Zusammen allein

Mit einem offenen Brief hat eine politische Gefangene darauf aufmerksam gemacht, dass sie im Gefängnis Berlin-Pankow Mobbing und Schikane ausgesetzt ist.

»Im Gefängnis, im Hof, bei der Arbeit, im Auto, während Arztbesuchen und auf den Stationen bin ich mit heftigen Provokationen von anderen Häftlingen angegriffen worden. Obwohl ich mit Wärtern und Sicherheitsleuten gesprochen habe, haben sie sich dazu nicht geäußert und nichts dagegen getan. Man hat eher darauf gewartet und darauf gebaut, dass die Angriffe mehr werden.« So beschreibt Gülaferit Ünsal ihre Situation im Frauengefängnis Berlin-Pankow. Sie hat vor einigen Wochen in einem offenen Brief mitgeteilt, dass sie Schikanen und Mobbing von Mitgefangenen ausgesetzt sei.

Auch das Verhalten des Gefängnispersonals kritisiert sie. »In meiner Zelle konnte ich einen Monat lang kein Fernsehen schauen und die Gefängnisleitung sagte, dass es mehrere Monate in Anspruch nehmen würde, dies reparieren zu lassen. Deshalb bin ich auch aus meiner Zelle in eine andere Zelle verdrängt worden«, heißt es in dem Brief. Mehrere türkische Zeitungen, die sie abonniert habe, seien ihr oft nicht ausgehändigt worden, beklagt die Gefangene. Für langjährige Mitglieder der Gefangenensolidaritätsbewegung ist es nicht verwunderlich, dass Konkurrenz und Ausgrenzung den Alltag im Gefängnis prägen. Solidarität hat allerdings schon fast vollständig gefehlt, als Ünsal mehrere Monate in Berlin vor Gericht stand und im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer sechseinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Die 43jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b StGB beschuldigt.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europa­chefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) war. Eine Beteiligung an Anschlägen konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Vielmehr hat sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert. Strafmildernd wurde gewertet, dass Ünsal nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr in der Organisation nachgewiesen werden konnte. Daher blieb das Gericht unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von acht Jahren Haft.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher vermeintlicher Beweise Folter nicht ausgeschlossen werden kann, fordern sie, dass solche Informationen keinen Eingang in den Prozess finden. Doch wie schon in anderen 129b-Verfahren kooperierten auch beim Prozess gegen Ünsal deutsche und türkische Sicherheitsbehörden. Nachdem Ünsal 2011 auf Betreiben der Bundesanwaltschaft von Griechenland nach Deutschland ausgeliefert worden war, hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keinerlei solidarische Aktivitäten mehr. »Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist«, sagt ein Aktivist, der namentlich nicht genannt werden möchte, der Jungle World.

Nachdem Ünsal wegen eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft genommen worden war, formierte sich in Griechenland eine große Solidaritätsbewegung gegen ihre drohende Auslieferung nach Deutschland. Beteiligt waren auch Rechtsanwälte und Menschenrechtler. Sie sahen in der Anklage nach Paragraph 129b ein politisches Instrument, mit dem legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Ünsals Auslieferung konnten die griechischen Aktivisten nicht evrhindern, erwarteten aber, dass die Solidaritätsarbeit in Deutschland fortgesetzt werde. Doch weder der Prozess noch die sechsjährige Haftstrafe sorgten für größere Aufmerksamkeit. Erst Ünsals Berichte über den Druck, dem sie im Gefängnis ausgesetzt ist, stießen auf etwas mehr Interesse. In den vergangenen Wochen wurden mehrere Kundgebungen organisiert und Protestschreiben an die Gefängnisleitung gerichtet.

Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2015/02/51202.html