Sechs Jahre Haft für Spendensammeln

Berlin: Das Berliner Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der »Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation« nach Paragraph 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

Das Kammergericht sieht es als erwiesen an, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zu Gunsten der Angeklagten geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit in der DHKP-C mehr nachzuweisen sei.
Menschenrechtsgruppen kritisieren die Paragrafen 129a und 129b als Gesinnungsjustiz, mit dem Linke auch für legale Aktivitäten zu hohen Haftstrafen verurteilt werden könne.

www.neues-deutschland.de/artikel/822130.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

URTEIL GEGEN AKTIVISTIN GÜLAFERIT ÜNSAL

Sechseinhalb Jahre fürs Spendensammeln

Das Kammergericht hat am vergangenen Donnerstag die aus der Türkei stammende Gülaferit Ünsal zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt. Die 43-Jährige wurde der „Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Organisation“ nach Paragraf 129b Strafgesetzbuch beschuldigt.

In ihrem griechischen Exil war Ünsal aufgrund eines Haftbefehls der Bundesanwaltschaft im Juli 2011 in Auslieferungshaft gekommen und drei Monate später an die Bundesrepublik ausgeliefert worden. Seitdem ist sie in der Frauen-JVA in Lichtenberg gefangen.

Für das Gericht ist erwiesen, dass Ünsal von August 2002 bis November 2003 Europachefin der in der Türkei auch bewaffnet gegen den Staat kämpfenden Revolutionären Volksbefreiungsfront-Partei (DHKP-C) war. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von acht Jahren gefordert. Das Gericht machte zugunsten Ünsals geltend, dass ihr nach 2003 keine Führungstätigkeit mehr nachzuweisen sei. Daher blieb es unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß.

Wie schon in vorangegangenen 129b-Prozessen beruhten große Teile der Anklage auf Informationen türkischer Sicherheitskräfte. Da nach Informationen von Menschenrechtsorganisationen beim Zustandekommen solcher „Beweise“ Folter nicht ausgeschlossen werden kann, dürften sie nach deutschem Recht eigentlich keinen Eingang in den Prozess finden.

Eine Beteiligung an Anschlägen konnte das Gericht Ünsal, die sich der DHKP-C in den frühen 90er Jahren angeschlossen haben soll und deswegen in der Türkei bereits zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, nicht nachweisen. Vielmehr habe sie nach Ansicht der Richter für die DHKP-C Spenden gesammelt und Schulungen organisiert.

Keine Reaktionen

Nach Ünsals Auslieferung hatten noch linke Solidaritätsgruppen gegen das 129b-Verfahren mobilisiert. Im Laufe des mehrmonatigen Verfahrens und anlässlich der Urteilsverkündigung gab es aber keine Reaktionen. „Während es in Griechenland eine große Bewegung gegen die Auslieferung gab, zeigte sich in Berlin, dass die Gefangenensolidaritätsbewegung in der Krise ist“, erklärte ein Aktivist gegenüber der taz, der namentlich nicht genannt werden wollte.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F21%2Fa0116&cHash=e9118c2a20e86894685eefce94fdcdb5

Peter Nowak

Kritik an „Gesinnungsjustiz“

JUSTIZ Am Donnerstag hat der Prozess gegen Gülaferit Ü. begonnen – nach dem Anti-Terror-Paragrafen 129 b. Vor dem Gericht gab es Proteste

Vor dem Kammergericht hat am Donnerstag der Prozess gegen eine mutmaßliche Linksterroristin begonnen: Der 42-jährigen Gülaferit Ü. wird Mitgliedschaft in einer verbotenen türkischen Gruppe vorgeworfen. Es ist in Berlin das erste Verfahren nach Paragraf 129 b, der die Mitgliedschaft in politischen Organisationen unter Strafe stellt, die als terroristisch erklärt werden. In der Vergangenheit wurde damit unter anderem in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf gegen mutmaßliche AktivistInnen islamischer sowie linker türkischer und kurdischer Gruppen vorgegangen.

Ü. soll Mitglied der marxistischen „Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) gewesen sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln der großen Städte sowie an den Universitäten der Türkei ihre Basis. Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte sie die Kombination legaler politischer Arbeit mit militanten Aktionen. Die Gruppe ist in der Türkei und in Deutschland verboten.

Am ersten Prozesstag am Donnerstag äußerte sich die Angeklagte nur zu ihrer Person, nicht zur Anklage. Sie saß hinter Panzerglas, für den Prozess waren verstärkte Sicherheitskontrollen angeordnet.

Die Staatsanwaltschaft verlas Auszüge aus einer Datei, die die Justizbehörden von der belgischen Polizei erhalten haben. Sie sei bei einer Razzia in Büros von legal arbeitenden türkische Organisationen in Belgien gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um eine politische Biografie, die Ü. selbst verfasst haben soll. Der Text schildert ihren politischen Werdegang in der Türkei, darunter eine Haftstrafe wegen Beteiligung an einer militanten Aktion.

Seit Oktober in U-Haft

Die Datei enthielt auch Adressen und Telefonnummern einiger Verwandten Ü.s. Eine der Nummern habe die Angeklagte gewählt, als sie nach ihrer Überstellung nach Deutschland mit Angehörigen Kontakt aufnahm, so die Staatsanwaltschaft. Ü. wurde im Oktober 2011 aus Griechenland nach Deutschland ausgeliefert und sitzt seitdem in Untersuchungshaft im Frauengefängnis Lichtenberg.

Vor Prozessbeginn am Donnerstagmorgen organisierte ein Initiativkreis, dem verschiedene politische Gruppen angehören, eine Kundgebung vor dem Kammergericht. Sie forderten Ü.s Freilassung sowie die Abschaffung der Paragrafen 129 a und 129 b, die sie als „Instrument der Gesinnungsjustiz“ bezeichneten. RednerInnen monierten, die Angeklagte sei erschwerten Haftbedingungen ausgesetzt. So würden ihre Post zensiert, die Zusendung deutschsprachiger Literatur erschwert und der Kontakt zu türkischen Mitgefangenen unterbunden.

Schon in Griechenland hatten sich Menschenrechtsgruppen gegen Ü.s Auslieferung an Deutschland eingesetzt. Sie sahen in der Anklage nach dem Paragrafen 129 b ein politisches Instrument, mit dem völlig legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Eine solche Kritik äußern auch JuristInnenorganisationen in Deutschland. Auch sie wollen das Berliner Verfahren kritisch begleiten.

Der Prozess wird sich in die Länge ziehen. Das Kammergericht hat Termine bis Ende November festgesetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F07%2F20%2Fa0146&cHash=c90d5a9175
Peter Nowak