100 Jahre Sozialpartnerschaft und „Volksgemeinschaft“

… oder wie im Kampf gegen rechts jede Opposition infrage gestellt wird – Das Stinnes-Legien-Abkommen und die Absage an den Klassenkampf

Es ging etwas unter, dass am 16.10. 2018 der Gewerkschaftsbund DGB [1] und der Unternehmerverband BDA [2] das 100-jährige Jubiläum jenes Stinnes-Legien-Abkommens [3] feierten, das eine wesentliche Ursache für die Niederlage der Novemberrevolution war.

Mit dem Abkommen wurde nach Meinung der Befürworter die „Sozialpartnerschaft“ in die Wege geleitet. Man könnte aber polemisch auch von „100 Jahre Volksgemeinschaft“ reden. Denn in diesem Abkommen wurde dem Klassenkampf eine Absage erteilt und die Gewerkschaften stellten die Arbeiter zum Ausgleich für einige sozialpolitische Zugeständnisse unter das Kommando des Kapitals.

Die Gewerkschaften hatten ihr Hauptziel erreicht, vom Sozialpartner Kapital anerkannt zu werden. Dafür gehörten sie zu den größten Gegnern der Räte, die sich nach der Revolution am 9. November 1918 überall in Deutschland spontan bildeten. Kaum waren diese auch mit Unterstützung der Freikorps blutig niedergeschlagen worden, wollte das Kapital auch von den Zugeständnissen nichts mehr wissen, die sie im Stinnes-Legien-Abkommen der vorrevolutionären Situation geschuldet noch machen mussten.

Bald setzen führende Kapitalfraktionen auf den Nationalsozialismus, der die Volksgemeinschaft ganz ohne Zugeständnisse terroristisch gegen diejenigen durchsetzte, die wie die Juden nicht dazu gehören durften oder wie linke Oppositionelle nicht dazu gehören wollten. Doch die Wesensverwandtschaft zwischen Sozialpartnerschaft und Volksgemeinschaft konnte nie verdeckt werden.

Trotzdem hat der DGB-Vorstand 100 Jahre nach der Novemberrevolution nichts Dringlicheres zu tun, als mit dem BDA die eigene freiwillige Unterwerfung unter die Interessen von Staat und Nation zu feiern. Und es gab nicht einmal größere wahrnehmbare Proteste.

100 Jahre unvollendete Revolution

Am 8. November werden in Berlin auch einige Gewerkschafter unter dem Motto „Die unvollendete Revolution von 19181/19“ [4] an die Räte und an die Errungenschaften des Umsturzes erinnern, den die alten Mächte im Bündnis mit den durch den Stinnes-Legien-Pakt kooptierten Teile der Arbeiterbewegung verhindern wollten.

Heute gibt es keine starke Arbeiterbewegung, die integriert werden müsste und von Umsturz reden heute die Rechten und meinen eine noch stärkere Unterwerfung unter Staat und Nation. Doch der Kampf gegen rechts, der nun überall propagiert wird, setzt in der Regel einen völligen Verzicht auf grundsätzliche Kritik an den aktuellen Verhältnissen voraus. Der Schriftsteller Jonas Löscher, der am 13.10. eine europaweite Bewegung gegen Rechts organisieren wollte, bringt die Harmlosigkeit der Bewegung so auf den Punkt [5].

Ich bin aber überzeugt, dass eine Mehrheit sich ein Leben in einer liberalen Demokratie wünscht. Sicher, wir müssen aufmerksam sein, dass die Rechtspopulisten in der Minderheit bleiben. Aber gleichzeitig dürfen wir durchaus selbstbewusst unser Leben in einer freien Gesellschaft leben. Die Menschen merken auf Demos, dass es trotz aller Panik noch gute Gründe für ein positives Selbstbewusstsein gibt. Berlin war dafür ein gutes Beispiel.

Jonas Löscher, Taz [6]

Bei so viel staatstragender Servilität ist es nicht verwunderlich, dass die anvisierten fünf Millionen Demonstranten in ganz Europa nicht erreicht wurden. Der mit dem Status quo zufriedene Mittelstand, und der ist angesprochen, lässt sich eben schwer zu Demonstrationen motivieren. Und das ist durchaus positiv.

Denn eine solche Mobilisierung könnte auch schnell zu einer reaktionären Schwungmasse werden, wenn es Menschen hierzulande tatsächlich mal in Angriff nehmen sollten, die dank SPD und Stinnes-Legien-Abkommen unvollendete Revolution doch noch zu vollenden.

Der reaktionäre Appell an den Zusammenhang der Gesellschaft

Um das zu verhindern, sind vor allem die ideologischen Staatsapparate daran interessiert, aus dem Kampf gegen rechts einen Kampf um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu machen und jede Spaltung als schädlich und gefährlich zu verwerfen.

Dabei wird geflissentlich übersehen, dass die Spaltung in Klassen ein Strukturelement der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist und die Appelle an den Zusammenhalt schon Elemente von Sozialpartnerschaft und auch Volksgemeinschaft enthalten. Genau das propagiert die Rechte seit Jahren.

Daher müsste eine Gegenstrategie gerade umgekehrt sein, alle Formen der Volksgemeinschaft abzulehnen und den Klassenkampf zu verschärfen. Nur dann kann man die rechten Konzepte konterkarieren.

Mit dem freiwilligen Eingliedern zum Zwecke des Kapitals leistet man keinesfalls einen Kampf gegen rechts. Im Gegenteil können sich die Rechten als die letzten Oppositionellen gerieren, die noch von Umsturz reden und damit mehr Nationalismus wollen. Linke Gruppen, die grundsätzliche Kritik an der Verfasstheit der Gesellschaft äußern, werden schnell als Brüder der AfD abgekanzelt, wie es ein FAZ-Kommentator [7] exemplarisch vormachte.

Peter Nowak

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[1] http://www.dgb.de/termine/++co++c9ce97e8-cded-11e8-87db-52540088cada
[2] https://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/de_100-jahre-sozialpartnerschaft-erfolgreich-in-die-zukunft
[3] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/industrie-und-wirtschaft/stinnes-legien-abkommen-1918.html
[4] http://1918unvollendet.blogsport.eu/
[5] http://www.taz.de/!5540688/
[6] http://www.taz.de/!5540688/
[7] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-und-globalisierungskritik-verachtung-fuer-die-demokratie-15841164.html