Rote-Ruhr-Uni

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Peter Nowak: Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken, Münster 2013

Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken
macht besser als der Titel deutlich, worum es in dem schmalen Bändchen geht. Auf dem Cover ist ein Israelfahne-Button vor einem Palästinensertuch zu sehen. Die Entstehung der „israelsolidarischen“ Position, die Nowak ablehnt, ist das eigentliche Thema. Unter dem Titel Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken hätte man eigentlich erwarten können, dass die „Antisemitismusdebatte“ beschrieben und dabei die sehr verschiedenen Konzepte vorgestellt werden, die innerhalb der deutschen Linken über Judenfeindschaft bestehen. Aber sie sind ebenso wenig Gegenstand von Nowaks Buch wie überhaupt jegliche tiefere Betrachtung der ideologischen, diskursiven und psychischen Ebenen der Judenfeindschaft. Das ist insofern
beachtlich, als Nowak zu Recht mit Moishe Postones Artikel „Antisemitismus und Nationalsozialismus“ beginnt, der in den 1990er Jahren innerhalb der radikalen Linken in Deutschland erstmals breit rezipiert wurde. Nowak zitiert jedoch lediglich die Aussagen von Postone, die sich mit dem Hass auf den Zionismus und Israel beschäftigen. Das zentrale Argument blendet Nowak aus: Postone definiert in seinem kurzen Text den Antisemitismus als eine „besonders gefährliche Form des Fetischs“ und warnt deswegen die politische Linke vor den verschiedenen Formen eines fetischisierten Antikapitalismus.

1 Der Zusammenhang zwischen einer bestimmten Form des Antikapitalismus und Antisemitismus wird in Nowaks Buch nicht einmal thematisiert. Ebenso fehlen grundsätzliche Aussagen über die Verbreitung von Verschwörungstheorien innerhalb der Linken oder über den Zusammenhang von Israel-Feindschaft und Antiamerikanismus.

2 Aus einer solchen Perspektive reduziert sich das Problem Antisemitismus auf ein paar falsche Meinungen über den Nahost-Konflikt. Dabei wäre es durchaus sinnvoll, daran zu erinnern, dass der antideutschen, israelsolidarischen Position eine antinationale Position vorausging, die sich zwar schon unter Slogans wie „Nie wieder Deutschland“ versammelte, aber noch nicht als antideutsch bezeichnete.

3 Die Position zum Nahost-Konflikt war zu dieser Zeit noch nicht der zentrale Gegenstand der Debatten. Es ging, so Nowak, in der Frühphase der Antisemitismusdebatte nach 1989 vor allem um eine Kritik am bisherigen Umgang der linken Bewegung mit der Shoah. […] Die linke Bewegung habe den Charakter des eliminatorischen Antisemitismus nicht erfasst, eine mindestens verkürzte Faschismustheorie habe das aktive und passive Mitmachen großer Teile der deutschen Bevölkerung im NS-System ignoriert.

4 Mit dem Erscheinen von Daniel Jonah Goldhagens Buch Hitlers willige Vollstrecker. Ganz normale Deutsche und der Holocaust
verstärkte sich diese Kritik.

5 Wie Ulrike Becker u.a. in ihrem Buch Goldhagen und die deutsche Linke schrieben, ergänzte Goldhagens Buch Postones kritische
Analyse der modernen Judenfeindschaft dadurch, dass auch Goldhagen an den Zusammenhang zwischen der Glorifizierung der Arbeit und Antisemitismus erinnerte. Das „Arbeitsethos des ationalsozialismus“ bestehe, so die Autorinnen und Autoren von Goldhagen und die deutsche Linke , auch nach 1945 fort: Deutschland sei längst zu einem „Tempel für Spekulanten und Börsianer“ verkommen, rief der Vorsitzende des DGB, Schulte, im März 1997 den Stahlarbeitern zu, die gegen die Thyssen-Übernahme durch Krupp auf die Straße gegangen waren. „Wer amerikanische Verhältnisse will, soll auswandern“, sekundierte der Konzernbetriebsratsvorsitzende von Thyssen, Georg Bongen.

6 Als eine Art Ouvertüre der späteren Konflikte lässt sich die Kritik lesen, die vor allem Wolfgang Pohrt 1991 in der Konkret
an der deutschen Friedensbewegung übte. Pohrt schrieb: Man faßt es einfach nicht, daß in Israel Auschwitzüberlebende mit der Gasmaske nachts unter Sirenenalarm in den Schutzraum flüchten müssen, während die Kinder und Enkel der Massenmörder von einst hier gemütlich über das Verhältnis von erster und vierter Welt räsonieren oder sich fröhlich auf der Bonner Hofgartenwiese tummeln und nicht die Verteidigung der Bedrohten, sondern Frieden mit einem Aggressor fordern.

7 Bei der Darstellung der Jahre 1989 bis 2000, zu denen bereits historische Untersuchungen vorliegen, ist Nowaks Abriss zwar nicht vollständig. Aber es werden relevante Beiträge aus der Debatte angeführt und zitiert. Für die Phase von 2000 bis in die aktuelle Gegenwart gilt das nicht mehr. Anstatt die Debatte darzustellen, geht es Nowak um seine Kritik an der „israelsolidarischen“ Position. Seine Darstellung zu dieser Phase ist nicht nur „subjektiv“, wie er eingangs einräumt,

8 sondern lückenhaft bis schlampig. Die Namen von Günter Grass oder Stephan Grigat werden falsch geschrieben, als wäre es ein Problem, sie zu googlen. Im Literaturverzeichnis fehlen zahlreiche Veröffentlichungen, wie, um nur zwei Beispiele zu nennen, Ingrid Strobls Vortrag „Das unbegriffene Erbe. Bemerkungen zum Antisemitismus in der Linken“, ohne den die Diskussion in
der autonomen Linken der 1990er Jahre nicht verstehbar ist, oder Maximilian E. Imhoffs Studie Antisemitismus in der Linken. Ergebnisse einer quantitativen Befragung.

9 Als markante Beispiele für die Jahre 2000 bis 2010 sollen ein Briefwechsel zwischen Hermann Gremlitza L. Gremliza, Herausgeber der Konkret und Moshe Zuckermann, die Kritik der Frankfurter Gruppe
Sinistra an der Bahamas und ein Dossier von Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso in der Jungle World herhalten.
Damit endet Nowaks Darstellung faktisch mit dem Jahr 2004. Über spätere Ereignisse wie die Beteiligung von drei Mitgliedern der Partei Die Linke an der Gaza-Flottille 2010 schreibt Nowak gar nichts. Was in der Bahamas zu lesen war und ist, setzt Nowak entweder als bekannt voraus oder sieht es als irrelevant an. Dass es in Jungle World eine Diskussion über das Dossier von Holz, Müller und Traverso gab,unterschlägt er. Und weshalb sich die innerlinke Debatte nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon vom 11.September 2001 verschärfte, muss rätselhaft bleiben, wenn man die Verbreitung von Verschwörungstheorien ignoriert und davon ausgeht, dass „die antiimperialistische Linke […] den Anschlag vom 11. September bis auf wenige Ausnahmen verurteilte“.
Die Auseinandersetzungen über Antisemitismus und über den Nahost-Konflikt waren und sind mehr als eine Debatte. Doch auch die Gewalt antiimperialistischer Linker spielt in Nowaks Darstellung keine Rolle. So schlugen 30 Mitglieder des Revolutionary International Movement (RIM) 2004 in Berlin zwei Antifas zusammen und stießen einem der beiden ein Messer in die Hüfte. 2002 prügelten mehrere Antiimps auf einen Redakteur des Hamburger freien Radios FSK ein.
Bei einem Ereignis, das für überregionale Aufmerksamkeit sorgte, fällt Nowak hinter seine eigene journalistische Arbeit zurück: Am 25. Oktober 2009 verhinderten antiimperialistische Linke, die sich in einem Infoladen namens B 5 treffen, gewaltsam die Vorführung von Claude Lanzmanns Film „Warum Israel“ in einem Hamburger Hinterhofkino. Kinogäste wurden als „Judenschweine“ beschimpft, bedroht und geschlagen. Die Hamburger NPD machte den Antiimps von der B 5 ein halbes Jahr später öffentlich ein Gesprächsangebot. Peter Nowak kritisierte seinerzeit im Neuen Deutschland , dass die B 5 in einem Flugblatt Lanzmanns Film als „zionistischen Propagandafilm“ bezeichnet hatte.
Heute bezeichnet Nowak den Vorfall nur noch als eine „versuchte Verhinderung“ einer Filmvorführung. In einem Anhang zur „Versachlichung der Diskussion“ wird die gegenwärtige Stimmung so zusammengefasst: „Fast im Wochenrhythmus wurde in den Medien darüber diskutiert, ob die Israelkritik von Günther Grass, ein Interview von Judith Butler oder ein Spiegel-Online-Kommentar von Jakob Augstein antisemitisch sind.“ Wer so etwas schreibt, klärt nicht auf, sondern wiegelt ab. Das Wort „Israelkritik“ zeigt es bereits. Günter Grass‘ Gedicht begann mit der Wahnvorstellung, ein militärischer „Erstschlag“ Israels könne das „iranische Volk auslöschen“. Judith Butler wurde nicht nur für ein Interview, sondern auch für ihr Engagement für die Initiative Boycott, Divestment and Sanction (BDS) kritisiert. Und dass das Simon Wiesenthal Center Aussagen von Jakob Augstein 2012 auf die Liste der schlimmsten antisemitischen und antiisraelischen Beleidigungen setzte, lag nicht nur an einem einzigen Kommentar auf Spiegel Online.
Zu dieser Ignoranz passt das Interview mit dem Sozialwissenschaftler Peter Ullrich am Schluss. Ullrich hätte man über die Auseinandersetzungen innerhalb der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder nach seiner Rolle im Streit über Judenfeindschaft in der Linkspartei fragen können. Aber Nowak hat kein Interesse, gegenüber Ullrich, der sich in dem Interview als Wissenschaftler und Linker präsentiert, der sich gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen engagiert, als kritischer Journalist zu wirken. Denn dann hätte er Ullrich fragen müssen, warum dieser sich nicht 2011 öffentlich
gegen die Beteiligung dreier Linkspartei-Mitglieder an der Gaza-Flottille aussprach. Eine akademische Kritik daran formulierten der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn und der Historiker Sebastian Voigt. Weite Verbreitung erfuhr ihr Beitrag für ein wissenschaftliches Journal, weil er online vorab publiziert wurde.
Ullrich versuchte gleich in mehreren Kommentaren, diese Kritik abzuwehren und als unwissenschaftlich zu denunzieren. Darauf erwiderte Katharina König, die für die Linkspartei im Thüringischen Landtag sitzt:
„Es geht nicht um den Nahost-Konflikt. […] Es geht um Eliminierungsphantasien gegen den Staat Israel. Es geht um die Gleichsetzung israelischer Politik mit der Judenverfolgung und -vernichtung im Nationalsozialismus. Es geht um die Zusammenarbeit mit faschistischen und islamistischen Organisationen.“
In Nowaks Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken warnt Ullrich vielmehr davor, dass „Antisemitismuskritik zum beliebig einsetzbaren Herrschaftsinstrument wird. Wer dabei über wen herrschen soll, bleibt nebulös. Antideutsche Gruppierungen über
die Linkspartei? Der Zentralrat der Juden in Deutschland über Jakob Augstein? Ein Teil der deutschen Linken wird die Antwort schon kennen.

Olaf Kistenmacher

Peter Nowak: Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken, Münster:
edition assemblage 2013, 94 S., € 9,80