Die SPD will zur Migrationsdebatte etwas Senf geben

Aber daran wird die Regierung nicht scheitern und Seehofers Pläne könnten eher von seinen politischen Freunde in Österreich und Italien konterkariert werden

Nach dem tagelangen Streit zwischen Merkel und Seehofer über den Umgang von in anderen EU-Ländern registrierten Migranten muss nun die SPD zeigen, dass sie auch noch ein politischer Faktor in der Regierungskoalition ist und nicht einfach abnickt, was die Unionsparteien nach viel Gepolter beschlossen haben. Doch auch in diesem Streit gilt: Auch dieses Mal wird die Koalition an der SPD nicht scheitern. Es wird daher noch manches Geplänkel geben.

Nicht geschlossen, doch niemand darf raus

So will die SPD die an der deutsch-österreichischen Grenze entstehenden Lager nicht „Transitzentren“ nennen und geschlossen sollen die Einrichtungen auch nicht sein. Der der CSU angehörende Staatssekretär im Bundesinnenministerium Stephan Mayer hat eine originelle Lösung für das Problem vorgeschlagen. Er erklärte: „Transitzentren sind keine Gefängnisse. In den Zentren kann sich jeder frei bewegen, raus darf aber niemand.“

Kanzlerin Merkel hat nun erklärt, dass die Migranten maximal zwei Tage in den Transitzentren bleiben sollen und berief sich auf das Grundgesetz. Doch in den letzten Jahren wurde das Grundgesetz nun wirklich oft genug neu formuliert, wenn es darum ging, Gesetze zu verschärfen, um beispielsweise Migranten besser von Deutschland wegzuhalten.

Dass es im aktuellen Fall zwischen der Union und der SPD zu Formelkompromissen kommen wird, liegt einfach daran, dass die SPD-Führung aus verschiedenen Gründen kein Interesse hat, an der Flüchtlingsfrage den Streit in der Regierung weiter zu eskalieren. Schließlich hat sie Angst, damit einen Teil ihrer noch verbliebenen Basis zu verlieren. Die SPD-Ortsgruppen im Ruhrgebiet beispielsweise wären kaum dafür zu gewinnen.

Der Dissens ist einkalkuliert

Dort versucht die AfD einen Teil ehemaliger SPD-Wähler zu gewinnen. Andererseits gibt sich die SPD vor allem in den Großstädten eher offen und liberal. Dort kommt es gut an, wenn die SPD-Vorsitzende Nahles erklärt, dass ihre Partei nicht alles abnickt, was die Unionsparteien beschließen. Deshalb ist auch der momentane Dissens schon einkalkuliert.

Nur ist eben klar, dass er die Regierung nicht in Gefahr bringt. Hätte die SPD wirklich vorgehabt, eine andere Flüchtingspolitik durchzusetzen, hätte sie sich auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen CSU und CDU nicht weggeduckt und immer nur die beiden Unionsparteien gemahnt, doch bitte beim Streit an Deutschland zu denken. „Wir erwarten von CDU und CSU, dass sie die Streitereien endgültig beenden und dass sie sich zu dieser Koalition bekennen“, erklärte Nahles mehrmals.

Wer so argumentiert, will natürlich keine grundsätzliche politische Debatte. Das gilt übrigens auch für die Parteien links von der SPD.

Die Redner der Linken in der aktuellen Parlamentsdebatte hatten auch nur das reibungslose Funktionieren des Landes im Blick. Sie beklagten das „Chaos“ auf Seiten der Regierung und sahen die Regierungsfähigkeit gefährdet, wie es Dietmar Bartsch für die Linkspartei monierte.

Allein dass hier der Begriff „Chaos“ wie bei allen Freunden von Recht und Ordnung wieder einmal negativ belegt wurde, zeigt wie staatstragend diese Position in Berlin ist.

Der 5-Punkte-Plan der SPD

Auch der von der SPD-Führung verabschiedete 5-Punkte-Plan[1] in der Flüchtlingsfrage wird da kein Stein des Anstoßes in der Regierung werden. Nach einen allgemeinen Bekenntnis zum Asylrecht heißt es in dem Programm:

Sozialdemokratische Asylpolitik folgt klaren Regeln, wer zu uns kommen kann, bei uns bleiben darf – und wer nicht.“ Diejenigen, die Schutz benötigen, brauchen Sicherheit, Perspektiven und eine schnelle Integration. Wer keinen Schutzanspruch hat, muss wieder in seine Heimat oder in einen sicheren Drittstaat zurückkehren. Zügige und rechtsstaatliche Verfahren und der uneingeschränkte Zugang zu diesen Verfahren sind der unverzichtbare Rahmen. Diese klaren Regeln sind die Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz. Sie müssen verständlich und transparent sein. Und sie müssen konsequent angewandt und durchgesetzt werden. Genauso konsequent treffen Ressentiment und Schikane gegen Flüchtlinge auf unseren Widerstand.

Aus dem 5-Punke-Programm des SPD-Vorstands zur Flüchtlingsfrage

Diesem allgemeinen Statement werden weder Merkel noch Seehofer widersprechen, auch wenn es im Detail vielleicht Unterschiede gibt. Auch sie wollen klare Regeln und werden sich immer dagegen verwahren, dass sie Flüchtlinge schikanieren, auch dann nicht, wenn sie sie in Krisengebiete abschieben.

Dann haben sie eben die klaren Regeln umgesetzt. Weil sich da eben CSU, CDU und SPD im Grundsatz einig sind, gibt es auch keinen Grund für größere Konflikte. Während der Auseinandersetzung innerhalb der Unionsparteien wurde immer gesagt, dass die SPD Merkel unterstütze. Nachdem sich diese mit Seehofer geeinigt hatte, gibt es für die SPD nur das Problem: Sie will auch noch gefragt werden.
Die Pläne von Seehofer und Co. können nur noch von deren politischen Freunden konterkariert werden. Denn sowohl die österreichische[2] als auch die italienische Regierung hat bisher wenig Bereitschaft zur Rücknahme von Migranten nach dem Willen der CSU gezeigt.

Schon gibt es Drohungen gegen Italien[3]. Am Wochenende will auch die Initiative Seebrücke[4] mit einer Demonstration für sichere Häfen für Migranten und gegen die Abschottungspolitik auf die Straße gehen.

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.spd.de/fileadmin/user_upload/180702_SPD_Fluchtmigration_FinaloAE.pdf
[2] https://www.welt.de/newsticker/news1/article178650700/Fluechtlinge-Wien-lehnt-Fluechtlingsabkommen-zulasten-Oesterreichs-ab.html
[3] https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.oesterreich-csu-generalsekretaer-droht-italien-abkommen-oder-rueckweisungen.17128d4d-8730-46de-9f26-dfcc6c674310.html
[4] https://www.facebook.com/SeebrueckeSchafftsichereHaefen/

Vor Gericht für den »wahren Martin«

Wegen einer Satireaktion mit einem Schulz-Double verklagte die SPD die »Aktion Arbeitsunrecht«

Ungewöhnliche Töne kamen am 16.12.2017 vom ehemaligen SPD-Bundestagskanzlerkandidaten Martin Schulz auf einer Kundgebung in seiner Heimatstadt Würselen in Nordrhein-Westfalen. »Hartz IV – das waren wir. Aber ich verspreche Euch, wir haben uns geändert«, rief er. 15 Minuten versuchte er das Publikum von der neuen, sozialen SPD zu überzeugen. Es gab viel Gelächter. Denn schnell war klar, dass hinter dem »wahren Martin« der Kölner Mietrebell und Kandidat der LINKEN bei der NRW-Landtagswahl, Karl Gerigk, steckte, der wegen seines Widerstands gegen seine Zwangsräumung bundesweite Bekanntheit erlangte. 

Der Sketch könnte jetzt juristische Folgen für das Bündnis »Aktion Arbeitsunrecht« haben, das die Veranstaltung organisierte. Es setzt sich für Gewerkschafter*innen und Beschäftigte ein, die gemobbt werden. Dazu gehörte Mona E, Betriebsrätin bei der Spielwarenkette Toys R US. Am dritten Advent letzten Jahres organisierte die »Aktion Arbeitsunrecht« vor der Würselener Filiale des Einzelhändlers eine Solidaritätskundgebung für die Betriebsrätin mit dem »Wahren Martin« als Überraschungsgast. 

Zuvor hatte Werner Rügemer vom Bündnis »Aktion Arbeitsunrecht« den SPD-Mann persönlich zu der Kundgebung eingeladen. Dessen Referent antwortete, dass Schulz die Einladung aus Termingründen nicht annehmen könne. Daraufhin verschickte die Initiative eine satirische Pressemitteilung mit einem angeblichen Brief von Schulz, in dem er ankündigte, er werde auf der Veranstaltung eine Würseler Erklärung verlesen, die einen Kurswechsel der SPD und eine Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze beinhalte. Der WDR hatte diese Pressemeldung damals ernst genommen und mit einem Großaufgebot zum Schulz-Auftritt nach Würselen fahren wollen. Das wurde erst abgeblasen, nachdem auf telefonische Nachfrage auf den Charakter der Veranstaltung hingewiesen wurde.
Wegen des satirischen Schreibens hat der SPD-Bundesvorstand bereits am 17. Dezember 2017 eine Anzeige wegen Urkundenfälschung gegen Rügemer erstattet. Seitdem ermitteln das LKA Berlin und die Kölner Kripo. Der Pressesprecher der Initiative, Elmar Wigand, beklagt nicht nur die Humorlosigkeit der SPD-Führung. »Es geht um die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung – hier der Satire. Es geht auch um den Schutz vor Schnüffeleien und Überwachung«, erklärte Wigand gegenüber dem »nd«. Das LKA hatte sich im Rahmen der Ermittlungen Zugang zum E-Mail-Konto von Werner Rügemer verschafft. Für Wigand ist die Anzeige ein weiteres Beispiel für eine »SPD im Selbstzerstörungsmodus«. 

Die Kundgebung vor der Filiale zeigte auch bei Toys R US Wirkung. Ein Vorgesetzter, der von den Aktivisten als hauptsächlich verantwortlich für das Mobbing von Mona E. benannt wurde, soll inzwischen in eine andere Filiale versetzt worden sein. Doch die juristischen Auseinandersetzungen gehen weiter. Am 5. Juli findet vor dem Aachener Arbeitsgericht der nächste Prozess statt. Dann kehrt auch der »wahre Martin« zurück. Karl Gerigk hat angekündigt, dass er dort seine Schulz-Satire ebenso aufführen wird wie am 13. Juli vor einer Real-Filiale in Düsseldorf. Dort protestieren die Aktivisten erneut gegen das Mobbing von Betriebsrät*innen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1093024.vor-gericht-fuer-den-wahren-martin.html

Peter Nowak

Die Abwehr von Geflüchteten wollen alle vorantreiben

Beim Streit zwischen Seehofer und Merkel geht es vor allem darum, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet werden kann

Beim Streit zwischen Seehofer und Merkel geht es vor allem darum, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet werden kann

Die Satirezeitung Titanic hat für eine kurze Zeit mal wieder Politik gemacht, als sie die „Meldung“ lancierte, dass die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU aufgelöst sei. Dass mehrere Agenturen und Zeitungen diese Satire übernahmen, zeigte, wie fragil die Regierungskoalition mittlerweile geworden ist. Wenn nun Insiderberichte durchgestochen werden, nach denen Seehofer im kleinen Kreis erklärte, er könne mit Merkel nicht mehr arbeiten, gehört das auch zu den Machtspielen, an denen sich die unterschiedlichen Medien beteiligen.

Seehofer hat schließlich vor einigen Jahren das Agieren von Merkel im Herbst 2015 als Herrschaft des Unrechts bezeichnet. Legendär war Seehofers Standpauke gegenüber Merkel[1] im November 2015. Trotzdem waren beide professionell genug, um in einer Regierung zusammenzuarbeiten. Daran wird die Regierung nicht scheitern.

Nun gibt es schon verschiedene Vermittlungsversuche von Seiten der CDU und auch der CSU. Es kann also durchaus sein, dass man sich zunächst auf einen Formelkompromiss einigt. Schließlich würde ein tatsächlicher Bruch der Fraktionsgemeinschaft das politische System in Deutschland ziemlich durcheinander bringen. Davon wäre natürlich auch die AfD betroffen, die auf einmal einen „seriöseren“ Konkurrenten vor der Nase hätte.

CSU in die Opposition – Grüne in die Regierung?

Es gab sogar in der Taz nach den letzten Wahlen Kommentatoren, die der CSU empfohlen haben, sich doch wieder auf F.J. Strauß besinnen und den rechten Rand einzufangen, um die AfD kleinzuhalten. Dann könnten vielleicht sogar die Grünen Merkel entweder in oder von außerhalb der Regierung unterstützen. Das dürfte ihnen nun gar nicht mehr schwer fallen. Sie sind schließlich heute die eifrigsten Merkel-Verteidiger, und mitregieren wollten sie sogar mit Seehofer und Lindner.

Dass eine solche Konstellation nicht auf die FDP zählen könnte, zeigt sich schon daran, dass Lindner Seehofer im Streit mit Merkel verbal unterstützt hat, während er nun aus parteitaktischen Gründen eine eigenständige CSU als Konkurrent fürchten müsste. Seit die FDP wieder im Bundestag ist, hat Lindner versucht, sie zu einer AfD-light[2] zu machen und sie zwischen Union und AfD positioniert. Eine eigenständige CSU würde genau auf diesem Gebiet auch um Wähler werben, wäre also nicht in Lindners Sinne.

Auch sonst wäre ein Alleingang der CSU mit sehr vielen Unbekannten verbunden und für die Partei und vor allem für Seehofer selber nicht ohne Risiko. Weil er kein Abgeordnetenmandat hat, müsste er nach dem Verlust seines Ministeriums außerparlamentarisch reagieren, was viele Fragen entstehen ließe. Würde der Teil der AfD, der mit dem Einfluss des völkischen Flügels hadern, zu einer bundesweiten CSU wechseln? Danach sieht es allerdings nicht aus.

Werden alle CSU-Abgeordneten einen Alleingang mitmachen? Und wie viele Unionspolitiker würden zu Merkel stehen? Bisher hat sich in der Union keiner der vielen Merkel-Kritiker offen als Konkurrent um die Macht in der Partei zu erkennen gegeben, obwohl die Kritik aus dem rechten Spektrum zugenommen hat. Nur würde das so bleiben, wenn wirklich die Kooperation mit der CSU in Gefahr ist? Schließlich muss man bedenken, dass Merkel nach 13 Regierungsjahren am Ende ihrer Karriere steht. Politische Beobachter sind davon ausgegangen, dass diese Legislaturperiode ihre letzte Amtszeit ist. Nicht wenige haben angezweifelt, dass sie sie zu Ende bringt. Daher ist es fraglich, wie viele Abgeordnete hinter Merkel stehen, wenn es zum Schwur kommt.

„Merkel muss weg“ – aber was kommt dann?

Andererseits kann die CSU nicht sicher sein, ob ein Alleingang von den Wählern belohnt wird. Am Ende schadet das Manöver beiden Unionsparteien mehr als der AfD. Die könnte damit argumentieren, dass Seehofer jetzt die Abschottungspolitik gegenüber Migranten auch deshalb forciert, weil die CSU von der AfD im bayerischen Landtagswahlkampf von rechts unter Druck gesetzt wird. Das sagen führende CSU-Politiker ganz offen. Damit geben sie aber der AfD politisches Gewicht und geben offen zu, dass die CSU auf Druck von rechts reagiert.

Doch auch die Rechten sind verunsichert. Schließlich war die Parole „Merkel muss weg“ der kleinste gemeinsame Nenner, der die unterschiedlichen Gruppen auf der Straße und im Parlament stark machte. Nun fragen sich schon manche User auf der rechten Onlineplattform Politically Incorrekt: „Merkel muss weg und was kommt dann?“ Manche befürchten, dass ohne Merkel die Mobilisierung schwieriger wird. Für die Rechten wäre es natürlich ein Propagandaerfolg, wenn sie Seehofer vorwerfen könnten, wieder mal den Mund zu voll genommen zu haben.

Nur haben diese Identitätskämpfe zwischen etablierten und neuen Rechten wenig mit einer humaneren Migrationspolitik zu tun. Denn auch Merkel hat in den letzten Jahren zahlreiche Verschlechterungen beim Flüchtlingsrecht durchgesetzt. Vielleicht gelingt ihr das mit ihrem liberalen Image, das ihr Sympathien bis in linke Kreise einträgt, sogar besser als Seehofer und der CSU, gegen die sich leichter Widerstand formieren lässt. Schließlich hat die CSU in Bayern es geschafft, dass sich gegen ihr Polizeiaufgabengesetz[3] in kurzer Zeit eine Massenbewegung[4] entwickelte, wie dies in anderen Bundesländern, die ähnliches planen, nicht erkennbar ist.

Drohkulisse Deutschlands in der EU

Der Streit zur Flüchtlingspolitik innerhalb der Union sorgt für eine Drohkulisse innerhalb der EU. Wenn jetzt als Kompromissvorschlag ein Vorratsbeschluss von Seehofer ins Spiel gebracht wird, nachdem die Zurückweisung von Migranten an den deutschen Grenzen noch eine bestimmte Zeit aufgeschoben wird, um eine EU-Lösung zu ermöglichen, dann würde der Druck noch einmal enorm steigen. Es wäre im Grunde eine weitere Ansage Deutschlands an die anderen EU-Länder, dafür zu sorgen, dass wir von Migranten verschont bleiben. Dafür soll das von Deutschland wesentlich durchgesetzte Dublin-System sorgen.

Es war der Aufbruch der Migranten und der Unwille der Regierungen der europäischen Nachbarländer, auf diesem Gebiet die deutsche Hegemonie zu akzeptieren, die das Dublin-System zum Einsturz brachten. Daraus eröffneten sich unter Umständen einige Spielräume für die Migranten. Schon die Berlusconi-Regierung ließ viele Migranten ungehindert Richtung Norden reisen, weil sie sie so loswerden konnte. Den Migranten war das recht, weil sie nicht Italien bleiben wollten.

Doch nicht nur zwischen Deutschland und den Nachbarstaaten gab es in der Migrationsfrage Streit. Das zeigte der Streit zwischen der neuen italienischen und der französischen Regierung zum Umgang um das Flüchtlingsschiff Aquarius. Auch hier wird die Heuchelei offenbar, die bei diesem Thema immer mit im Spiel ist. Während sich Macron nun als Vertreter von Humanität und Menschenrechte in der Flüchtlingsfrage aufspielt, wird vergessen, dass seine Regierung die Flüchtlingsgesetze massiv verschärft[5] hat. Erst vor wenigen Tagen hat die NGO Oxfam einen Bericht[6] über Zurückweisungen von Migranten, darunter Jugendlichen, an der französisch-italienischen Grenze veröffentlicht. Darauf konnte die italienische Regierung natürlich verweisen, um die Kritik abzuwehren.

Das ist das übliche Spiel in der EU. Alle Regierungen wollen Migranten zurückweisen und geben sich dann humanitär, wenn sie das Prozedere bei anderen Regierungen kritisieren. Das dürfte auch bei der neuen spanischen Regierung nicht anders sein, die das Einlaufen der Aquarius in Valencia zu einem Medienspektakel macht, um zu demonstrieren, dass in dem Land jetzt eine humanitäre Flüchtlingspolitik betrieben wird. Nur sind die Migranten auf dem Schiff überhaupt nicht gefragt worden, ob sie Teil dieser Inszenierung werden wollen. Die haben sicherlich nach dem strapaziösen Transfer andere Bedürfnisse. Und wenn die Kameras ausgeschaltet sind, beginnt die Frage, wie viele von ihnen in Spanien bleiben können.

Die Achse der Willigen

Wie in fast allen Fragen agieren die europäischen Nationalstaaten untereinander auch in der Migrationsfrage weiter als Konkurrenten. Da hat es auch Deutschland schwer, einfach eine Regelung durchzudrücken, die die Migranten aus dem Land raushält. Doch die Bemühungen für eine europäische Lösung gibt es auch von Seiten Seehofers. Er hat sich parallel zum Berliner Integrationsgipfel mit Österreichs Ministerpräsident Kurz getroffen und in der Abschiebepolitik Übereinstimmung festgestellt, die auch die neue italienische Regierung einschließt, Ungarn hat er nicht ausdrücklich genannt, aber auch diese Regierung gehört zur „Achse der Willigen“, die Sebastian Kurz sogleich ausrief.

Es gibt in Deutschland 73 Jahre nach dem Sieg über den NS noch einige Publizisten, denen sich „die Haare aufstellen“[7], wenn nun sogar metaphorisch wieder alte deutsche Bündniskonstellationen in Europa abgefeiert werden. Ungarn, Österreich, Deutschland, Italien, das waren schließlich bis 1943 die Achsenmächte, die das restliche Europa im Würgegriff hielten.

Auch Frankreichs Präsident Macron war nicht erfreut über diese Wortwahl[8]. Er ging auf Distanz zur Achse der Willigen, nicht aber zur Abschottungspolitik. Nun muss sich zeigen, ob sich die Eigeninteressen der europäischen Nationalstaaten soweit zügeln lassen, dass ein neues Flüchtlingsregime errichtet wird oder ob der Druck aus Deutschland das eher erschwert, wie Siegmar Gabriel nun ohne politisches Amt schon warnt[9]. Er fordert die SPD auf, ebenfalls mehr Härte in der Migrationspolitik zu zeigen und hier nicht der AfD und Seehofer das Feld zu überlassen.

Boris Palmer hat kürzlich via FAZ einen ähnlichen Appell[10] an die Grünen gerichtet. So beteiligen sich fast alle politischen Parteien an der Frage, wie sich Migranten aus dem Land heraushalten lassen. Was die wollen, fragt dabei niemand. Denn da wollen noch immer viele nach Deutschland, Großbritannien oder die skandinavischen Länder. Für viele Politiker ist das ein Grund, das Abschiebeprozedere noch mehr zu verschärfen.

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/angela-merkel-horst-seehofer-streit-chronologie-1.4015817
[2] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[3] http://netzpolitik.org/2018/das-haerteste-polizeigesetz-seit-1945-soll-heute-in-bayern-beschlossen-werden/
[4] http://www.deutschlandfunkkultur.de/kritik-an-gesetzentwuerfen-in-bayern-hoert-auf-solche.1005.de.html?dram:article_id=417488
[5] http://www.heise.de/tp/features/Zuwanderung-in-Frankreich-Neue-Haerten-3939982.html
[6] http://d1tn3vj7xz9fdh.cloudfront.net/s3fs-public/file_attachments/bp-nowhere-but-out-refugees-migrants-ventimiglia-150618-en.pdf
[7] http://www.sueddeutsche.de/politik/sebastian-kurz-achse-der-willigen-kommentar-1.4013997
[8] https://www.huffingtonpost.de/entry/macron-geht-auf-distanz-zur-achse-der-willigen-von-seehofer-und-kurz_de_5b23f0fae4b0783ae128dd57
[9] https://www.focus.de/politik/deutschland/duerfen-nicht-laenger-wegsehen-ex-spd-chef-gabriel-fordert-asyllager-in-afrika-und-geht-eigene-partei-scharf-an_id_9109418.html
[10] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/kriminalitaet-und-fluechtlinge-wir-muessen-nicht-alle-integrieren-15636465.html

Rechte wollen am 17. Juni demonstrieren

Pegida bis AfD rufen zum »nationalen Gedenktag« auf

Rechte wollen am Sonntag bundesweit auf die Straßen gehen. In neun Städten sind bisher Demonstrationen geplant. Die Initiative ging von den Rechtspopulisten Michael Stürzenberger und Thomas Böhm aus, beide waren in der mittlerweile aufgelösten rechten Kleinstpartei »Die Freiheit« aktiv. Sie verteilten einen Aufruf unter dem Motto »17. Juni 2018 – Tag der Patrioten – Eine Republik geht auf die Straße«. In dem Text werden verschiedene Städte aufgezählt, wo in den vergangenen Monaten rechte Demonstrationen stattgefunden hatten – von Dresden über Cottbus bis Kandel.

»Diese Bewegung gilt es zu kanalisieren und zu noch mehr Durchschlagskraft zu verhelfen«, benennt das rechte Duo das Ziel des Aktionstages. Dieser wird im rechten Duktus als »Kampftag gegen eine Entdemokratisierung unseres Landes im System Merkel« bezeichnet. Man wolle »den symbolträchtigen 17. Juni« in diesem Jahr zu einem Tag des Widerstandes auf der Straße machen, heißt es in dem Aufruf weiter. »Wie damals, als die Bürger der DDR gegen ihr totalitäres Regime protestierten, sollen die Menschen jetzt in ihren Städten und Gemeinden zeigen, dass es so nicht mehr weitergehen kann.«

Mobilisiert wird vor allem über das Internet. Mehrere rechte Blogger rufen in einem Mobilisierungsvideo zur Beteiligung an den Protesten auf. Ein zentrales Thema gibt es jedoch nicht. Die organisierenden Gruppen vor Ort sollen die Themenfelder aussuchen, die jeweils mobilisierungsfähig sind. Das könne der Widerstand gegen einen Moscheebau ebenso sein, Gewalt auf der Straße Straße, die Flüchtlingspolitik oder das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Die Resonanz auf den Aufruf dürfte dementsprechend von Stadt zu Stadt variieren. In Berlin gelingt es etwa dem für die Aktion verantwortlichen »Merkel muss weg«-Bündnis nicht, über den harten Kern hinaus Menschen zu mobilisieren. Anders sieht es in Dresden und Cottbus aus, wo mit »Pegida« und »Zukunft Heimat« Gruppen für die Proteste Verantwortung tragen, die mobilisierungsfähig sind. In Rathenow ruft das »Bürgerbündnis Havelland« zu den Demonstrationen auf. In Salzgitter mobilisiert die örtliche AfD unter dem Motto »Unser Land – unsere Heimat«.
In Mödlareuth an der bayerisch-thüringischen Grenze gehört neben weiteren Parteifunktionären der AfD-Landesvorsitzende von Thüringen, Björn Höcke, zu den Redner_innen. »Packt Eure Deutschlandfahnen ein und kommt nach Mödlareuth«, heißt es in einem Aufruf . Gegner_innen haben sich zum »Dreiländereck«-Bündnis zusammengeschlossen und rufen zu Protesten auf.

Es ist nicht das erste Mal, dass der 17. Juni von extremen Rechten zum »nationalen Gedenktag« ausgerufen wird. Schon Ende der 1970er Jahre lud die NPD an diesem Tag zu Demonstrationen nach Frankfurt am Main. Es gab damals eine starke Gegenbewegung, an der sich auch Verfolgte des Naziregimes und KZ-Überlebende beteiligen. Am 17. Juni 1979 wurden die antifaschistischen Gegenaktionen von der Polizei mit Wasserwerfern aufgelöst, was zu Protesten im In- und Ausland führte. Später hatten auch die rechten Republikaner den 17. Juni als ihren »nationalen Feiertag« entdeckt. Daran wollen nun die AfD und ihre Bündnispartner in diesem Jahr anknüpfen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091236.rechte-wollen-am-juni-demonstrieren.html

Peter Nowak

Parteitag der Linken: Wie passen offene Grenzen mit realen Abschiebungen zusammen?

Die Linke zerstreitet sich auf ihren Parteitag erwartungsgemäß über offene Grenzen. Doch die Abschiebungen in von ihr mitregierten Bundesländern wurden erst am Ende ein Thema

Am Ende kam es doch noch zum Eklat auf dem Parteitag der Linken. In einer teilweise sehr emotionalen, extra anberaumten einstündigen Diskussion über die Flüchtlingsfrage[1] zeigte sich, wie sehr die Delegierten das Thema umtreibt. Es hatten sich fast 100 Delegierte für eine Wortmeldung angemeldet. Nicht mal ein Viertel konnte sich aus Zeitgründen äußern.

Es war seit Monaten vorauszusehen, dass die Flüchtlingspolitik zum Knall führen wird. Dabei bemühte man sich zwei Tage um Formelkompromisse. Es sah auch erst so aus, als könnte das gelingen.

„Bleiberecht für Alle“ oder „Bleiberecht für Menschen in Not“

Sahra Wagenknecht erklärte ausdrücklich, dass sie mit dem vom Parteivorstand eingebrachten Beschluss leben kann, weil dort nicht mehr ein Bleiberecht für alle Menschen, sondern für alle Geflüchtete gefordert wird. Nun handelt es sich hier auch wieder um viel Semantik. Denn natürlich wollen nicht alle Menschen fliehen und nur ein Bruchteil der Menschen in Not will überhaupt nach Deutschland.

Darauf wies Fabian Goldmann in einem Kommentar[2] in der Tageszeitung Neues Deutschland hin.

Von den 67 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind, kamen im vergangenen Jahr 186.644 nach Deutschland. Rechnet man noch die 1,17 Millionen Geflüchteten aus den beiden Vorjahren hinzu, kommt man immer noch nicht auf „die ganze Welt“, sondern auf rund zwei Prozent der weltweiten Flüchtlingsbevölkerung.

Fabian Goldmann

Allerdings macht Goldmann seine Kritik an einer populistischen Äußerung der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles fest. Doch eigentlich zielte seine Kritik auf den Flügel um Sahra Wagenknecht und so wurde sie auch punktgenau vor dem Beginn des Parteitags der Linken im Neuen Deutschland platziert.

Hier wird einer der Gründe deutlich, warum in der Linken eine Debatte um Migration so schwierig ist. Goldmann schlägt Nahles und meint Wagenknecht, die manche schon nicht mehr als rechte Sozialdemokratin sehen, sondern gleich in die Nähe der AfD stellen. Und Goldmann hat auch noch exemplarisch gezeigt, wie man in der Migrationsdebatte in der Linkspartei künstlich Konflikte schafft.

Denn die Überschrift über Goldmanns Überschrift ist natürlich polemisch gemeint, was im Text deutlich wird. „Doch wir können alle aufnehmen“ – weil nur 2% der Migranten überhaupt nach Deutschland kommen. Es ist schon erstaunlich, dass sich vor allem der realpolitische Flügel der Linken in den Fragen der Migrationspolitik als Maximalisten der Worte geriert, während seine Mitglieder in fast allen gesellschaftspolitischen Fragen ansonsten jeden Wortradikalismus bekämpfen, weil er angeblich viele potentielle Wähler abschrecke.

Würde, so ließe sich fragen, in einem sozialpolitischen Leitantrag die Überschrift auftauchen, dass nur eine kommunistische Gesellschaft – nicht zu verwechseln mit dem untergegangenen Staatskapitalismus – die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigen kann? Einem Antrag mit einer solchen Wortwahl würden nicht mal 10 Prozent der Delegierten zustimmen. Warum also in der Flüchtlingsfrage die Liebe zur Wortradikalität?

Da lohnt ein Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Schon Jahre vor Beginn des 1. Weltkriegs, als ein Großteil der sozialdemokratischen Parteien ihren Burgfrieden mit Staat und Kapital schloss, hatten bekannte Parteifunktionäre diesen Schritt vorbereitet. Sie befürworteten den Kolonialismus, wollten Frauen aus der Arbeiterbewegung ausgrenzen – und auch die Liebe zu Nation und Staat hatten sie schon entdeckt. Doch diese Verstaatlichung der Sozialdemokratie wurde durch radikal klingende Parteiprogramme verdeckt, in denen man sich scheinbar orthodox auf Marx berief. Doch sie hatten wenig mit der konkreten Parteipolitik zu tun. Daher konnte man sie zu Beginn des 1. Weltkriegs so schnell über Bord werfen. Umgekehrt schien die Burgfriedenspolitik für viele überraschend, weil sie eben nur auf die radikal klingenden Programme und weniger auf die Praxis guckten.

Warum nicht auch ein würdiges Leben für die, die nicht migrieren wollen?

In der Debatte um die Flüchtlingspolitik in der LINKEN scheint sich das Muster zu wiederholen. Das wird schon daran erkennbar, dass die Aufregung von der Person abhängt, die sich zur Migrationspolitik äußert.

Es ist absolut richtig und mit linker Programmatik kompatibel, die Bedürfnisse und Interessen der Menschen in den Aufnahmeländern ebenfalls im Blick zu haben.

Wieder so ein Satz von Sahra Wagenknecht gegen Offene Grenzen? Nein, er stammt von einen Beitrag[5] des Bundestagsabgeordneten Michael Leutert[6] in der Wochenzeitung Jungle World. Dort verteidigt Leutert ein Einwanderungsgesetz der LINKEN, das er mit formuliert hat. In einen späteren Beitrag kritisiert[7] Caren Lay[8] dieses Einwanderungsgesetz vehement und sieht es als Versuch der Revision einer angeblich libertären Programmatik in der Flüchtlingspolitik der LINKEN.

Das Thesenpapier von Fabio De Masi, Michael Leutert und anderen folgt dagegen einer anderen Agenda: nämlich die bisherige programmatische Forderung der Linkspartei nach offenen Grenzen zu revidieren. Es spricht sich erstmalig in der linken Migrationsdebatte klar für die Regulierung von Einwanderung, vor allem die Begrenzung der Arbeitsmigration im Interesse der deutschen Bevölkerung, aus. Ich bin erschrocken, wenn behauptet wird, ‚ohne Grenzmanagement stünden die Staaten hilflos gegenüber der international organisierten Kriminalität und dem Terrorismus‘ da, denn das suggeriert, dass organisierte Kriminalität offenbar ausschließlich von außen importiert wird.

Anstatt Migration und Einwanderung als Normalfall und Grundlage moderner Gesellschaften anzunehmen und positive Leitbilder für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft zu entwerfen, werden die Bedürfnisse von Eingewanderten und Einheimischen gegeneinandergestellt. Grundlage der Argumentation ist die Unterscheidung zwischen Asylsuchenden und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, wie es im Mainstreamdiskurs heißt, auch wenn die Formulierung „diejenigen, (…) die lediglich ein höheres Einkommen erzielen oder einen besseren Lebensstandard genießen wollen“ versucht, diesen Begriff zu umschiffen. Eine solche Unterscheidung bedeutet im Kern nichts anderes, als von Millionen Menschen im globalen Süden paternalistisch zu fordern, doch bitte zu Hause zu bleiben und dort für Gerechtigkeit und ein besseres Leben zu kämpfen. Garniert wird dies mit der abenteuerlichen Behauptung, nur die Wohlhabenden der Herkunftsgesellschaften würden den Weg nach Europa schaffen.

Caren Lay

Lay und Leutert sind aktiv im realpolitischen Flügel der LINKEN, stehen in der Einwanderungsfrage konträr und schaffen es doch, ohne persönliche Angriffe die Kontroverse auszutragen. Hier geht es also im Grunde um den Streit, der am Sonntagmittag zur Eskalation auf dem Parteitag der LINKEN beigetragen hat. Wagenknecht hatte in ihrer Rede betont, dass sie das Asylrecht verteidigt und daher offene Grenzen für Menschen in Not befürwortet, nicht aber eine Arbeitsmigration.

Tatsächlich wird in der Debatte von allen Seiten sehr selektiv geurteilt. Auch bei den Befürwortern einer Arbeitsmigration für Alle werden die Konsequenzen für die Gesellschaften außer Acht gelassen. Schon die heute legale Arbeitsmigration im EU-Raum zeigt diese Problematiken. Viele Kinder wachsen in Rumänien und Bulgarien ohne Eltern auf, weil die in Westeuropa arbeiten und nur wenige Tage im Jahr zu Hause sind. Wenn die wenigen Ärzte und Pfleger aus dem Subsahara-Raum migrieren, wer kümmert sich dann um die Ärmsten, die eben aus Alters- und Krankheitsgründen nicht fliehen können?

Müsste eine linke Position nicht nur das Recht auf Migration, sondern auch das Recht stark machen, dass Menschen in ihren Heimatländern ein würdiges Leben führen können? Und warum macht man sich nicht auch für die Ausbildung von Geflüchteten in Deutschland stark, mit der sie in ihren Heimatländern ein würdiges Leben für sich und andere aufbauen können? Es haben viele Geflüchtete aus Syrien, aber auch aus anderen afrikanischen und asiatischen Ländern immer wieder betont, dass sie gerne zurückgingen, wenn sich für sie Lebensperspektiven bieten würden. Könnten nicht derartige Ausbildungsprogramme zu solchen Perspektiven beitragen?

Auf dem Parteitag wurde etwas nebulös auch immer wieder davon geredet, dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssen. Aber von Ausbildungsprogrammen für Migranten, die wieder in ihre Heimatländer zurückwollen, hat man wenig gehört. Dabei wäre das im Interesse für einen nicht unerheblichen Teil der Menschen, die migrieren mussten. Was auch nicht erwähnt wurde, war die gewerkschaftliche Organisierung der Migranten.

Erst kürzlich wurde in Italien Soumaila Sacko erschossen[9], der sich gewerkschaftlich organisierte[10]. Er sammelte Blech für seine Hütte, mit der er in Italien sich selber ein Dach über dem Kopf schaffen wollte. Doch diese Biographien von Lohnabhängigen in Europa kommen auch in den moralisch grundierten Refugee-Welcome-Erzählungen einer parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken viel zu wenig vor.

Der Film Eldorado[11] ist da eine Ausnahme. Der Regisseur Markus Imhooff begleitete einen Gewerkschafter in die Hütten der ausgebeuteten Tagelöhner, die in Italien Tomaten ernten. Doch ein Großteil der Migrantengeschichten in Filmen und Theatern nimmt die Perspektive eines linksliberalen akademischen Mittelstands ein, der heute in verschiedenen Orten der Welt zu Hause ist und sich dann fragt, wo ihre Heimat ist. Das gilt auch für künstlerisch sehr gelungene Theaterstücke wie Being here – hier sein[12]. Was für eine künstlerische Arbeit, die ein linksliberales Bürgertum anspricht, das auch sonst kaum mit der realen Arbeitswelt in Berührung kommt, verständlich sein mag, ist für eine Partei, die sich rhetorisch auf die Arbeitswelt bezieht, fatal.

Werden Kipping und Wagenknecht zusammen Abschiebungen behindern?

Am Ende sind die streitenden Personen innerhalb der LINKEN doch noch gemeinsam auf die Bühne gegangen und haben einen Vorschlag für die Weiterführung der Debatte vorgestellt. So soll nicht mehr über die Medien, sondern innerhalb der Partei und ihren Gremien diskutiert werden. Es wird sich zeigen, wie lange dieser Vorsatz Bestand hat. Zudem soll eine Tagung zur Flüchtlingsfrage mit Bündnisorganisationen und Experten beraten werden. Vielleicht kommt es dann doch noch dazu, darüber zu beraten, wie denn Abschiebungen von Migranten aus Ländern mit Regierungsbeteiligung der LINKEN be- oder gar verhindert werden können.

In der nach Wagenknechts Rede erzwungenen Diskussion haben mehrere Delegierte auf diese Abschiebungen hingewiesen. Das war implizit auch eine Kritik an die vielen Realpolitikern der LINKEN, die so vehement für offene Grenzen auf dem Papier eintreten und über darüber schwiegen, dass sowohl in Berlin und Brandenburg als auch in Thüringen die Polizei weiterhin Abschiebungen mit Polizeihilfe vollzieht.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die Wagenknecht in einem emotionalen Redebeitrag sehr stark angriff, äußerte sich nicht dazu. In der anschließenden Abschlussrede erklärte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow mit dem Parteibuch der LINKEN wie sehr er diese Abschiebungen bedauert. Doch leider müssen nun mal Bundesgesetze umgesetzt werden. Daher müsse die LINKE auch da so stark werden, dass sie die Gesetze verändern kann. Das ist allerdings eine Vertagung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Viel realistischer ist es, wenn eine starke zivilgesellschaftliche Bewegung Abschiebungen real be- oder auch verhindert. Das ist auch schon mehrmals geschehen und mittlerweile wird ein solcher Widerstand vermehrt kriminalisiert[15], wie im letzten Jahr in Nürnberg[16] und kürzlich in Ellwangen[17].

Warum positioniert sich die LINKE nicht hier, anstatt über offene Grenzen zu zerstreiten? Weil es dann für die Realpolitiker um ihre Ämter geht? Wie würde die Presse reagieren, wenn sich Katja Kipping und Sahra Wagenknecht gemeinsam auf einer Blockade unterhaken, um womöglich in einem von der LINKEN mitregierten Land die Abschiebung einer Roma-Familie zu verhindern? Das wäre doch ein Thema, mit der die LINKE ganz konkret in die Abschiebemaschine eingreifen könnte.

Der Sender Phönix habe die Ausstrahlung des Films „Kreuzzug der Katharer“ abgesagt, um die kurzfristig anberaumte Diskussion der LINKEN auszustrahlen, erklärte Dietmar Bartsch stolz. Ungleich größer wäre das Medienecho, wenn die Spitzenpolitiker der LINKEN dem Vorschlag eines Delegierten folgend tatsächlich in die Abschiebemaschine eingreifen würden.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Parteitag-der-Linken-Wie-passen-offene-Grenzen-mit-realen-Abschiebungen-zusammen-4075493.html

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[1] https://www.youtube.com/watch?v=cuWwA4AWdKM
[2] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1090349.obergrenze-fuer-fluechtlinge-doch-wir-koennen-alle-aufnehmen.html
[3] https://www.flickr.com/photos/die_linke/42688945811/
[4] https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/
[5] https://jungle.world/artikel/2018/20/regulieren-ist-notwendig
[6] https://www.michael-leutert.de/de/topic/3.bundestag.html
[7] https://jungle.world/artikel/2018/22/links-bleiben
[8] https://www.caren-lay.de/
[9] http://www.ilgiornale.it/news/vibo-valentia-fermato-presunto-killer-soumaila-sacko-1537727.html
[10] http://www.derstandard.de/story/2000081073354/mord-an-migrant-in-kalabrien-entflammt-tageloehnerdebatte
[11] http://www.majestic.de/eldorado/
[12] http://www.hellerau.org/being-here-2018
[13] https://www.flickr.com/photos/die_linke/42661563902/
[14] https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/
[15] https://www.heise.de/tp/features/Fall-Asef-N-Der-Rachefeldzug-3973990.html
[16] https://www.heise.de/tp/features/Fall-Asef-N-Nuernberger-Lehren-3744160.html
[17] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nach-polizeieinsatz-in-ellwangen-fluechtlinge-schildern-polizei-ihre-aengste.5dcc19ae-89aa-4a28-be3f-33aeec1e3ad4.html

Die Debatte besetzen


Hausbesetzungen sorgen in Berlin für wohnungspolitische Diskussionen

Kürzlich besetzten linke Gruppen neun Häuser in Berlin. Diese wurden zwar geräumt, die Diskussion über die Besetzungen hält jedoch an.

»Wir brauchten Räume für ein soziales Zentrum und die haben wir uns mit der Besetzung genommen«, sagte Matthias Sander von der Initiative »Friedel im Exil«. Ende Juni vergangenen Jahres war der »Kiezladen Friedel 54« in Berlin-Neukölln geräumt worden. Am Pfingstsonntag hatte die Initiative »Friedel im Exil« in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg deshalb ein Haus als neues Domizil besetzt.

Dies geschah im Zuge einer länger vorbereiteten Besetzung mehrerer Häuser an Pfingsten. Bereits nach wenigen Stunden wurden die neun in verschiedenen Stadtteilen besetzten Häuser zwar wieder geräumt, doch die politische Debatte im rot-rot-grün regierten Berlin hält an.

Schließlich hatte der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft »Stadt und Land«, Ingo Malter, den Räumungen zugestimmt, während die Besetzer noch über ein Angebot berieten, das von Politikern der Berliner Grünen vermittelt worden war – so zumindest stellen es die Besetzer und die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne), die sich an Ort und Stelle befand, dar. Malter gab an, die Verhandlungen seien an den Besetzern gescheitert.

Während die SPD die Räumungen befürwortete, bezeichnete die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei, Katalin Gennburg, die Räumungen im Gespräch mit der Jungle World als Fehler. Ihres Wissens seien ihre Parteikollegen nicht an der Entscheidung beteiligt gewesen. Eine nachträgliche Diskussion über mögliche Fehler hält Gennburg jedoch für »nicht zielführend«. Sie fordert ebenso wie der gesamte Landesverband der Linkspartei, alle Strafanzeigen gegen die Besetzer zurückzuziehen.

Das ist auch für Sander und die anderen Besetzer eine zentrale Frage. Schließ­lich haben Grüne und Linkspartei in der Vergangenheit gelegentlich Verständnis für Hausbesetzungen geäußert. »Und die Stadt gehört euch«, lautete ein Slogan der Linkspartei in der Kampagne zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Andrej Holm, Berater der Senatsverwaltung im »Begleitkreis zum Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030«, sagte dem Spiegel zu den Besetzungen: »Ich vermute, die Aktion sollte ganz bewusst den Finger in die Wunde legen – und zeigen, dass es sogar bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Defizite gibt.«

»Die Häuser denen, die darin wohnen« – diesen alten Besetzerslogan hatte Canan Bayram im jüngsten Bundestagswahlkampf verwendet. Ihr gelang es, für die Grünen das Direktmandat im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg/Prenzlauer Berg-Ost zu erringen. Allerdings hatte es innerparteilich heftige Kritik an Bayrams Wahlkampf gegeben, der auf das linke Milieu in diesen Stadtteilen zugeschnitten war. Einem von der Mehrheit der Grünen favorisierten Bündnis mit der Union sind Besetzerslogans nicht förderlich. Der Bundesparteivorsitzende Robert Habeck bezeichnete die jüngsten Besetzungen in einem Interview in der Welt als »Rechtsbruch« – »klar wie Kloßbrühe« –, den die Grünen ablehnten. »Weder sollten sich die einen jetzt als law and order aufplustern, noch die anderen sich in einem angeblichen Wir-sind-Widerstand-Modus profilieren. Diese alten Muster aus den achtziger Jahren helfen nämlich nicht. Es sollten sich alle schütteln und dann das Problem lösen«, sagte Habeck, ganz Pragmatiker der Mitte. Ähnliches forderte auch der Journalist Philippe Debionne in der Berliner Zeitung.

Wünschenswert sei, dass »man das real existierende Problem der Wohnungsnot und explodierenden Mieten vernünftig löst«, schrieb er und warnte davor, das Wohnungsproblem zu einem »systematischen kapitalistischen Missstand« zu erklären.

Doch gerade politisch engagierte Mieter haben in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass kapitalistische Verwertungsmechanismen Menschen mit geringen Einkommen große Schwierigkeiten dabei bereiten, Wohnungen zu finden. Daher ging es bei den jüngsten Hausbesetzungen in Berlin zwar auch um subkulturelle Freiräume, im Mittelpunkt stand jedoch die Forderung nach Wohnraum für alle. Zu den Unterstützern der Besetzungen gehört die »Solidarische Aktion Neukölln«, die nach dem Prinzip »Nachbarn helfen Nachbarn« arbeitet. »Wir beraten uns gegenseitig und planen Aktionen zu den Themen Wohnen, Sozialleistungen, Arbeit«, heißt es auf der Homepage der Initiative. Jeden ersten und dritten Dienstag im Monat können sich dort Neuköllner Rat holen, wenn sie Ärger mit dem Jobcenter, dem Vermieter oder dem Chef haben.

https://jungle.world/artikel/2018/22/die-debatte-besetzen

JUNGLE.WORLD 2018/22
31.05.2018

Peter Nowak

Ein Toter und viele offene Fragen

Flüchtlingsbeirat in Fulda verurteilt Polizeischüsse auf Schutzsuchenden

»Gerechtigkeit für Matiullah!« »Der Polizist muss bestraft werden!« »Ein Unschuldiger wurde getötet!« So lauteten in den letzten Tagen die Rufe von Geflüchteten, die durch die Innenstadt von Fulda gezogen sind. Damit protestierten sie gegen einen Vorfall, der in der Stadt für große Aufregung gesorgt hat. Am Freitagmorgen wurde der junge afghanische Flüchtling Matiullah von der Polizei erschossen. Zuvor soll er in einer Bäckerei randaliert und dabei Angestellte und einen Auslieferungsfahrer verletzt haben. »19-jähriger Afghane greift Bäckerei an«, lautete die Schlagzeile der »Osthessen-News«.

Damit leistete das Portal die Vorlage für die Schlagzeilen diverser alarmistischer Meldungen auf rechten Homepages. Dort war die Rede davon, dass der Terror nun auch Fulda erreicht habe. Dass die rechten Netzwerke so ausführlich berichteten, ist nicht verwunderlich. Schließlich ist Fulda der Wahlkreis von Martin Hohmann, der einst wegen einer als antisemitisch bewerteten Rede aus der CDU ausgeschlossen wurde und bei der AfD ein politisches Comeback gestartet hat. Hohmann hatte nach dem Vorfall behauptet, dass Kanzlerin Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik verantwortlich seien.

Während sich in den ersten Tagen nach dem Vorfall in der Bäckerei auch die Lokalmedien an der Hetze gegen den toten Schutzsuchenden beteiligten, beginnt man nun damit, sich auf die Menschen einzuschießen, die sich nicht martialisch über Asylbewerber äußern wollen. Angegriffen wurden etwa die Geflüchteten, welche die Geschehnisse teilweise als AugenzeugInnen verfolgten und die Polizei kritisiert haben. Schließlich befindet sich der Tatort in unmittelbarer Nähe der Flüchtlingsunterkunft.

Der junge Mann war am Freitagvormittag nur mit Hausschuhen in die Bäckerei gekommen, um für das Frühstück einzukaufen. »Wir haben mit zwei Zeugen gesprochen. Einer von ihnen hat den Tathergang genau beobachten können«, sagte Abdulkerim Demir. Er ist Vorsitzender des Ausländerbeirats der Stadt Fulda. »Der Verstorbene wollte ausschließlich zwei Brötchen kaufen, geriet dann jedoch mit einer Verkäuferin in Streit, weil die Bäckerei noch geschlossen war.« Daraufhin habe er laut Demir die Steine gegen die Fensterscheibe geworfen. »Wir heißen das Verhalten des jungen Mannes keineswegs gut, doch er war nicht bewaffnet. Als er vor der Polizei weggerannt ist, wurde er erschossen. Dieses aggressive Verhalten der Polizei war gänzlich falsch«, so Demir. Es sei untragbar, dass ein junger Mensch in Deutschland, der zwei Brötchen kaufen will, erschossen werde.

Wegen dieser Aussagen wurde Demir von Heiko Wingenfeld scharf angegriffen. »Solche Vorverurteilungen passen nicht zu unserem Rechtsstaat«, monierte der CDU-Politiker. Er wandte sich damit auch gegen die Schutzsuchenden, die mit ihrer spontanen Demonstration ihre Trauer und Empörung über den Tod ihres Mitbewohners im Flüchtlingsheim zum Ausdruck gebracht hatten.

Verständnis für die Sorgen der Geflüchteten äußerte hingegen Karin Masche, die Mitglied der Fraktion »Die Linke.Offene Liste/Menschen für Fulda« im Stadtrat der Bischofsstadt ist. Sie sprach von einer »grauenvollen Allianz aus AfD, CDU und der Fuldaer SPD«, die den Vorsitzenden des Ausländerbeirats unter Druck setze, weil der den tödlichen Polizeieinsatz kritisiert hatte. Dabei seien die Augenzeugen der tödlichen Schüsse bis heute nicht befragt worden.

Mittlerweile liegt der Obduktionsbericht vor, welcher der Kritik an der Polizei neue Nahrung geben dürfte. Danach wurden zwölf und nicht, wie die Beamten behauptet hatten, vier Schüsse auf den Mann abgegeben. Mittlerweile wurde gegen den Schützen in Uniform ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Gegen ihn wird wegen eines Tötungsdelikts ermittelt. Geprüft wird dabei allerdings auch, ob Notwehr vorlag. Denn die zur Hilfe gerufenen Polizisten sollen mit Steinwürfen und einem Schlagstock angegriffen worden sein.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1085667.vorfall-in-fulda-ein-toter-und-viele-offene-fragen.html

Peter Nowak

Armut bekämpfen, statt Arme auszuspielen

Ein Bündnis von sozialen Initiativen fordert offensive Sozialpolitik

Nach dem vorläufigen Aufnahmestopp von Menschen ohne deutschen Pass bei der Essener Tafel (Wenn die „deutsche Oma“ gegen Arme ohne deutschen Pass ausgespielt wird) gab es viel Kritik aber auch Verständnis für die Maßnahme. Selbst Merkel meinte, sich dazu äußern müssen, und auch der Faschismusvorwurf wurde erhoben.

Bevor Ermüdungserscheinungen eintreten, bekam die Diskussion jetzt noch mal eine erfreuliche neue Richtung. Ein Bündnis von sozialen Initiativen initiierte einen Aufruf für einen Wandel der Sozialpolitik.

Dass Menschen, egal welcher Herkunft, überhaupt Leistungen der Tafeln in Anspruch nehmen müssten, sei Ausdruck politischen und sozialstaatlichen Versagens in diesem reichen Land, heißt es in der Erklärung, die u.a. vom DGB, der Nationalen Armutskonferenz, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Sozialverband VdK Deutschland, dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter, dem Deutschen Kinderschutzbund, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und PRO ASYL unterzeichnet wurde.

„Sozialstaatliche Leistungen müssen dafür sorgen, dass für alle hier lebenden Menschen, gleich welcher Herkunft, das Existenzminimum sichergestellt ist. Es ist ein Skandal, dass die politisch Verantwortlichen das seit Jahren bestehende gravierende Armutsproblem verharmlosen und keine Maßnahmen zur Lösung einleiten. Damit drohen neue Verteilungskämpfe“, heißt es in dem Aufruf.

Damit werden die Verantwortlichen für die Misere genannt und dabei weder die unterschiedlichen Nutzer der Tafeln noch die Initiatoren der Tafeln verurteilt, sondern eine Politik, welche die Verarmung großer Teile der Bevölkerung in Kauf nimmt, was die „Vertafelung der Gesellschaft“ überhaupt nötig macht.

„Sozialpolitische Reformen der vergangenen Jahre hatten immer das Ziel, Mittel einzusparen“, erklärte Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz. Reichen seien Steuergeschenke gemacht worden, gleichzeitig habe man die Leistungen für Bedürftige zusammengekürzt. In der Folge sei die Konkurrenz der Menschen um die Mittel verschärft worden.

Heute beklagt die Politik, die den Sozialabbau herbeigeführt hat, die Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Barbara Eschen

Die Verarmungspolitik hat einen Namen: Hartz-IV

Die Organisatoren machen auch deutlich, dass die politisch gewollte Verarmungspolitik einen langen Vorlauf hat, aber in dem Hartz IV-Programm kulminiert.

Um überleben zu können, waren immer mehr Menschen auf die Tafeln angewiesen. Da ist es besonders zynisch, dass der Alt-Sozialdemokrat und Lobbyist Claus Schmiedel in einem Interview in der Wochenzeitung Kontext erklärt.

Mit der Agenda und Gerhard Schröder haben wir 2005 noch einmal ein prächtiges Ergebnis bei der Bundestagswahl eingefahren.

Claus Schmiedel

So wie Schmiedel denken wahrscheinlich viele in der SPD, nur nicht alle werden es so offen aussprechen. Wenn eine Spätfolge der Essener Tafeldebatte dazu führt, diese Verarmungspolitik und die dafür Verantwortlichen in den Fokus zu nehmen, dann wäre das sehr positiv. Es gäbe viele Gründe weiterhin gegen die Vertafelung der Gesellschaft zu protestieren.

Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der Essener Tafel wurde immer wieder betont, man dürfe die Menschen, die ehrenamtlich helfen wollen, nicht kritisieren. Natürlich geht es nicht darum, ihren guten Willen infrage zu stellen. Was aber sehr wohl not tut, ist die Kritik an einem bürgerlichen Philanthropismus, der von den gesellschaftlichen Ursachen der Verarmung und Verelendung nicht reden will und die Betroffenen nur als Bittsteller ansieht, die für jeden Bissen dankbar sein soll.

Wie schon Karl Marx den bürgerlichen Philanthropismus scharf kritisierte, so ist das heute auch wichtig. Nur noch wenige Organisationen wie Medico International kritisieren einen solch paternalistischen Ansatz von Hilfe und propagieren dagegen eine Unterstützung, die Menschen zu Selbstbewusstsein und Widerstand ermutigt.

Warum nicht die Tafeln nutzen, um mit den Menschen gemeinsame „Zahltage“ in Jobcentern zu machen, um ihre Rechte einzufordern, damit sie genug Geld haben, um Produkte ihrer Wahl zu kaufen? So würden sich die Tafeln selber überflüssig machen und das müsste ihre vornehmste Aufgabe für alle Menschen sein, wenn die Arbeit bei der Tafel wirklich gesellschaftlich etwas bewirken und nicht nur Armut verwalten und regulieren will.

https://www.heise.de/tp/features/Armut-bekaempfen-statt-Armut-auszuspielen-3988098.html

Peter Nowak
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[1] https://www.heise.de/tp/features/Wenn-die-deutsche-Oma-gegen-Arme-ohne-deutschen-Pass-ausgespielt-wird-3977708.html
[2] http://www.der-paritaetische.de/presse/buendnis-fordert-offensive-sozialpolitik-
armut-jetzt-bekaempfen
[3] http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/
9ef8993719d83ff7c1258248002ebedd/$FILE/180306_pk_erklaerung.pdf
[4] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/361/gottes-segen-haelt-4945.html
[5] http://www.aktionsbuendnis20.de/
[6] https://www.medico.de
[7] http://de.labournet.tv/video/5879/zahltag-jobcenter-neukolln

Weniger Profit, mehr bezahlbarer Wohnraum

Seit über einem Jahr stellt die Linkspartei in Berlin die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen. An den steigenden Mieten in der Hauptstadt hat das nichts geändert.

Ein Jahr im Amt – das ist für Politiker immer eine willkommene Gelegenheit für Selbstbespiegelung und die Präsentation ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Erfolge. Auch Katrin Lompscher von der Linkspartei nutzte ihr einjähriges Jubiläum als Berliner Wohnungs- und Stadtentwicklungs­senatorin für eine Bilanz. »Was wurde in einem Jahr in der Wohnungsfrage ­geschafft beziehungsweise was nicht?« – unter diesem leicht verschwurbelten Motto stand die Diskussion, zu der die »Helle Panke«, die Berliner Sektion der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, Ende Januar eingeladen hatte.

Moderiert wurde die Debatte von Andrej Holm, den viele der zahlreichen Besucher freundlich begrüßten und mit Vornamen anredeten. Schließlich ist Holm seit Jahren als Mieteraktivist bekannt. Sein kurzes Gastspiel als Staatssekretär, das er wegen Stasivorwürfen bald beenden musste, schuf ein ungewöhnliches Bündnis: »Holm bleibt« lautete das Motto einer kurzlebigen Kampagne, bei der sich Mitglieder der außerparlamentarischen Mieterbe­wegung erstmals in ihren Leben für einen Politiker stark machten. Was bei der Veranstaltung deutlich wurde: Nach Holms Rücktritt blieb das Verhältnis zwischen großen Teilen der mieten- und stadtpolitischen Bewegung in Berlin und dem Senat entspannt.

Nur kurz wurde es etwas lauter – weil sich einige Menschen beschwerten, die keinen Einlass mehr in dem vollen Saal fanden.

Die mehr als 250 Teilnehmer hörten geduldig zu, als Lompscher ihre kleinen Erfolge anpries. Zu der lockeren Atmosphäre dürfte beigetragen haben, dass die Senatorin gar nicht bestritt, dass sich für einen Großteil der Mieter mit geringen Einkommen in Berlin wenig zum Besseren gewendet hat. Das bestätigte die Mieteranwältin Carola Hand­werg mit einem Bericht aus ihrer täglichen Praxis. Demnach formulierten die Eigentümer die Begründungen für Kündigungen immer kreativer und kämen damit bei den Gerichten häufig sogar durch. Zudem sei die Zahl der Zwangsräumungen von Wohnungen in Berlin weiter gestiegen, auch städtische Wohnungsgesellschaften seien an dem Anstieg beteiligt.

Lompscher behauptete, dass die Wohnungen meistens schon verlassen und Zwangsräumungen daher nicht nötig seien. Dabei ist bekannt, dass viele ­Betroffene aus Scham lieber bei Bekannten auf der Couch oder gleich auf der Straße übernachten, als sich räumen zu lassen. An der Stelle wäre für die ­außerparlamentarische Linke zumindest die Forderung nach einem Räumungsmoratorium bei städti­schen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften angebracht gewesen. Eine solche Forderung muss allerdings von unten durchgesetzt werden, indem man die betroffenen Mieter bestärkt, nicht freiwillig auszuziehen, und stattdessen die Verantwortlichen in ihren Büros besucht.

Die Eigentumsfrage stellte in der »Hellen Panke« dann wenigstens Ralf Neumann von der Mieten-AG der Interventionistischen Linken (IL). Man ­müsse dafür sorgen, dass die Profite der Immobilienfirmen sinken, sagte er. Dazu hat die Mieten-AG unter dem Titel »Das Rote Berlin« eine Broschüre veröffentlicht. Der Titel knüpft an die linkssozialdemokratische Wohnungs­politik im sogenannten Roten Wien der zwanziger Jahre des vorigen Jahr­hunderts an, als mit großzügig finanziertem kommunalem Wohnungsbau tatsächlich einige Erfolge in der Wohnungsfrage erzielt wurden.

In ihrem Konzept schlägt die IL »Strategien für eine sozialistische Stadt« vor, so der Untertitel. Der private Wohnungsmarkt solle durch Steuern, ­Regulierung und Marktbehinderung zurückgedrängt und so die Spekula­tion mit Wohnraum un­attraktiv gemacht werden. In einem nächsten Schritt ­solle der Wohnraum durch Aufkauf und Enteignung ­rekommunalisiert und zusammen mit den bereits in Landeseigentum befindlichen Wohnungen in demokratische Selbstverwaltung überführt werden. Dafür will die IL Mieter politisch organisieren und zivilen Ungehorsam sowie Projekte wie das Mietenvolksbegehren unterstützen.

Die Bewegung müsse außerparlamentarisch bleiben, betont die IL in der Borschüre. Gespräche mit Parteien­vertretern lehnt sie aber nicht ab. Es sei radikaler bei den Parteien die Erfüllung von Wahlversprechen einzufordern, als abstrakte Verratsvorwürfe zu er­heben, heißt es in Richtung jener Autonomen, die etwa in der aktuellen ­Ausgabe der Zeitschrift radikal die IL bereits als Vorfeldorganisation der Linkspartei einordnen – und bekämpfen wollen.

Interventionistische Linke Berlin: Das Rote Berlin. Strategien für eine sozialistische Stadt. Berlin 2018, 47 Seiten, kostenloser Download unter interventionistische-linke.org/beitrag/das-rote-berlin

https://jungle.world/artikel/2018/07/weniger-profit-mehr-bezahlbarer-wohnraum

Peter Nowak

Ist nur Merkel ein Auslaufmodell oder die gesamte CDU?

Die Frage ist nicht, warum sich nun Unionspolitiker, die Merkel in die zweite Reihe verbannt hat, zu Wort melden. Die Frage ist, warum sie so lange geschwiegen haben

Die politischen Aschermittwochreden sind längst ein Ritual geworden. Doch sie sind auch ein Seismograph für die politische Großwetterlage in Deutschland. Und die stand 2018 im Zeichen des Endes der Ära Merkel. Nun wurde das schon seit Jahren prognostiziert.

Doch dass es nun soweit ist, zeigt sich auch daran, dass sich die Merkel-Gegner in der Union aus der Deckung wagen. Dazu gehört der langjährige CDU-Rechtsaußen Roland Koch, der in der FAZ eine Nachfolgeregelung von Merkel forderte. Seine Ansage war eindeutig: „Sie schulden den Wählern eine Antwort auf die Frage, welches die nächste Generation ist, die Verantwortung übernimmt.“

Interessant ist auch, wie Koch begründet, warum er sich nun doch zu Wort meldet, nachdem er jahrelang zu dem unionsinternen Zwist geschwiegen hat:

Wir sind in einer sehr wichtigen Zeit sowohl für Deutschland als auch für die Partei, der ich mich wie eh und je verbunden fühle, also für die CDU. Wir laufen Gefahr, dass die beiden großen Volksparteien zu stark an Einfluss verlieren.

Roland Koch, FAZ

„Die CDU hat alles mit sich machen lassen“

Nun ist Koch nicht der einzige, der in der Merkel-Ära abserviert und dann lange geschwiegen haben. Dass sich Roland Koch nun zu Wort meldet, dürfte ein Indiz sein, dass die Zeit vorbei ist, wo die „CDU hat alles mit sich machen lassen“. Diese Überschrift über dem Koch-Interview in der FAZ kann durchaus auch eine Selbstkritik sein. Warum hat die CDU seit fast 20 Jahren das mit sich machen lassen?

Wie konnte eine ehemalige FDJ-Sekretärin aus Mecklenburg, die nichts mit der DDR-Opposition zu tun hatte, eine solche Macht erlangen, dass sie reihenweise Unionspolitiker von Helmut Kohl über Friedrich Merz und viele andere in die Versenkung verbannen konnte? In den Wendewirren sind viele Politiker aus der DDR kurzzeitig hochgespült worden. Heute kennt ihre Namen niemand mehr.

Warum gehörte Merkel zu den wenigen, die es geschafft haben, oben zu bleiben? Warum spielte selbst bei der notorisch antikommunistischen Union die ungeklärte DDR-Vita von Merkel keine Rolle? Eine Politikerin mit ähnlicher Vita bei der SPD oder der LINKEN hätte sich viel kritischere Fragen gefallen lassen müssen.

Bündnis Schäuble -Merkel zahlte sich politisch aus

Gerade, weil solche Fragen öffentlich kaum gestellt wurden, haben sich Rechte und Verschwörungstheoretiker aller Couleur damit beschäftigt. Dabei ist der Aufstieg Merkels und ihre lange Hegemonie in der Union recht einfach zu erklären. Das Ende der Kohl-Ära hat die Partei verunsichert.

Damals wurde ihr eine lange Zeit der Opposition prognostiziert, nachdem die Affäre der Geheimkonten bekannt geworden war. So war Kohl schon längst ein Auslaufmodell, bevor er von Merkel beiseite geschubst wurde. Mit dem designierten Kohl-Nachfolger Wolfgang Schäuble ging sie ein Bündnis ein, das beiden eine lange Herrschaft garantierte.

Die Bedingung war, dass niemand so genau nachfragt, was noch an Ungesetzlichen in der Kohl-Ära geschehen ist und welche führenden CDU-Politiker darin verwickelt waren. Dafür wollte auch niemand so genau die Vita der Angela Merkel in der DDR eruieren. Weil beide Seiten ein Interesse daran hatten, die Vergangenheit ruhen zu lassen, konnte aus diesem Bündnis Merkel-Schäuble zeitweise eine stabile Hegemonie über die Partei entstehen.

Politisch zahlte sich das für die Union aus. Während Schäuble als strenger Kassenwart den EU-Staaten das Troika-Diktat beherrschte, konnte Merkel als ideologiefreie Liberale selbst bei Sympathisanten der Grünen und mancher Ex-Linker durchgehen. Dabei kam ihr zugute, dass sich der Mitte-Mythos auch bei ihnen längst durchgesetzt hat.

Spätestens mit dem Aufstieg rechtspopulistischenr Bewegungen auch in Deutschland wuchs die Zahl der Merkel-Sympathisanten an. Selbst schlauere Linke meinten, Merkel loben zu müssen, weil sie im „Herbst der Migration“ die Grenzen für einige Wochen nicht komplett dichtmachte. Nicht die Zähigkeit und der Widerstandsgeist der Migranten wurden herausgestellt, sondern die Politikerin, die in der Folge die schärften Flüchtlingsabwehrgesetze zu verantworten hat, wurde so endgültig zur Kanzlerin der deutschen Mitte gemacht und die schwenkte nach rechts.

Merkel-Ende im Zeichen des Rechtsrucks

Das Bündnis Merkel-Schäuble ist zu Ende, Schäuble hat sein Ministeramt verloren und in der Union melden sich alte und neue Merkel-Kritiker zu Wort. So steht auch das sich ankündigende Ende der Ära Merkel im Zeichen dieses Rechtsrucks.

Denn egal, wer sie in der Union beerben sollte, er oder sie wird wieder stärker auf die konservativen und deutschnationalen und christlichen Wurzeln der Union rekurrieren, schon um sich gegenüber der AfD als seriösere Rechtsformation verkaufen zu können.

Als Roland Koch noch aktiv in der Politik mitmischte, gewann er in Hessen Landtagswahlen, indem er eine Unterschriftenkampagne gegen die damals von Rot-Grün favorisierte doppelt Staatsbürgerschaft initiierte. Vieler derer, die damals unterschrieben haben, werden später die AFD gewählt oder wie Erika Steinbach für sie geworben haben.

In einer von Roland Koch geprägten Union hätten sie sich sicher gut aufgehoben gefühlt. Dass heute die Merkel-Dämmerung eher eine Verschiebung nach rechts bedeutet, lag auch am Versagen von linken Kräften in Deutschland. „Merkel muss weg“ wurde zu einer rechten Parole.

Einem großen Teil der Linken fiel nichts Dümmeres ein, als Merkel zu verteidigen, statt mit der Parole „Alle müssen weg“ deutlich zu machen, dass keiner der sogenannten Repräsentanten der Macht es wert ist, verteidigt zu werden.

Umgruppierungen im Parteiensystem für den autoritären Kapitalismus

Dabei haben schon andere parlamentarische und außerparlamentarische Gruppen die Erfahrung gemacht, dass sie nur verlieren, wenn sie sich an eine Fraktion des Ancien Regime binden. Schließlich ist die Schwäche von sozial- und christdemokratisch/konservativen Parteien kein deutsches Spezifikum. Im Gegenteil.

Deutschland ist in dieser Hinsicht eher Nachhut. In Italien ist das Parteiensystem bereits vor 2 Jahrzehnten implodiert und profitieren konnte der Berlusconismus, eine moderne Form des Rechtspopulismus, der bis heute die politische Hegemonie in Italien prägt. In Frankreich konnte ein Macron vom Ende des alten Parteiensystems profitieren, weil er sich als letztes Bollwerk gegen den Front National inszenieren konnte.

Nun könnte auch in Deutschland eine solche Umstrukturierung des Parteiensystems anstehen. Natürlich gibt es dafür immer spezielle länderspezifische Gründe, die den Verlauf und das Ausmaß der Krise bestimmen. Daher wäre es auch verfehlt, nun auch in Deutschland schon das Ende von Union und SPD einzuläuten.

Doch etwas Gemeinsames gibt es bei dem Verfall der Parteien in all diesen Ländern. Es ist der Umbau der Gesellschaft in einen autoritären Kapitalismus. Anders als im Fordismus gibt es innerstaatlich kaum noch etwas zu verteilen. Reformen sind immer mehr Zumutungen für die Subalternen.

Der Staat ist immer mehr nur der Standort für die jeweiligen Konzerne, die als Industriestandorte gegen andere Konzerne in den Krieg ziehen, vorerst nur in den Wirtschaftskrieg, aber dabei muss es nicht bleiben. Für diesen weltweiten Wirtschaftskrieg wird auch das Parteiensystem umgestaltet. Ein Symptom der Krise des fordistischen Parteiensystems ist die Hegemoniekrise.

Die Personalstreitereien in der SPD-Führung sind dafür ein beredtes Beispiel. Weil keine der streitenden Fraktionen eine innerparteiliche Hegemonie erlangen und den Konflikt beheben kann, wird der Vorschlag eingebracht, nun müsse die Basis über die neue Führung entscheiden. Nun ist das wahrlich nicht neu. Erinnert sich noch jemand, dass 1993 bei einer Urwahl der SPD-Mitglieder ein Rudolf Scharping zum Parteivorsitzenden gekürt wurde?

Der ist so vergessen, dass es kaum einen Vergleich zwischen Martin Schulz und ihn gab, obwohl da Ähnlichkeiten offensichtlich sind. Die Flucht zur Basiswahl ist Ausdruck einer Hegemoniekrise und hat wenig mit Liebe zur Basisdemokratie zu tun.

Das Duo Merkel-Schäuble hatte über eine längere Zeit die Hegemonie in der Union gesichert. Es muss sich nun zeigen, ob ihren Nachfolgern dies auch gelingt. Wenn nicht, könnte auch die Union ein Auslaufmodell werden.

https://www.heise.de/tp/features/Ist-nur-Merkel-ein-Auslaufmodell-oder-die-gesamte-CDU-3969961.html

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Peter Nowak
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[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/roland-koch-im-interview-merkel-muss-nachfolge-regeln-15443510.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/faz-interview-mit-ex-ministerpraesident-roland-koch-15443521.html
[3] http://www.faz.net/aktuell/faz-interview-mit-ex-ministerpraesident-roland-koch-15443521.html
[4] http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?cPath=21_48&products_id=511
[5] http://www.faz.net/aktuell/politik/rueckblick-unterschriften-brachten-koch-wahlsieg-in-hessen-140326.html
[6] https://www.kleinerbuchladen.de/shop/rainer-balcerowiak-die-heuchelei-von-der-reform/

Erklärtes Feindbild USA

Nur wenig Resonanz bei NPD-Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin.

Nur wenige Teilnehmer bei NPD-Kundgebung in Berlin;
In der letzten Zeit war die NPD in Berlin in der Öffentlichkeit kaum präsent gewesen. Wie wenig mobilisierungsfähig sie zurzeit ist, zeigt die geringe Teilnehmerzahl bei einer Kundgebung, die die NPD unter dem Motto „Kriegstreiber beim Namen nennen“ am vergangenen Samstag am Brandenburger Tor veranstaltet hat.

Selbst die angemeldeten 20 Personen wurden noch unterboten. Dabei waren auch die Jungen Nationaldemokraten (JN) auf der Kundgebung vertreten. Zudem war mit dem Ex-NPD-Vorsitzenden Udo Voigt der letzte bekanntere Mandatsträger der NPD als Redner aufgeboten. Der EU-Parlamentarier Voigt dürfte aber sein Mandat bei der nächsten Europawahl wohl verlieren. Auf der Berliner Kundgebung monierte Voigt eine angebliche Destabilisierung des Iran durch die USA.

Angeblich von den USA gesteuerte Kriege

Zuvor hatte der Berliner NPD-Vorsitzende Andreas Käfer in seiner Rede die USA angegriffen und der Scheinheiligkeit geziehen. Sie würden vorgeben, Frieden und Demokratie zu exportieren und produzieren nichts anderes als Flüchtlingsströme und tote Zivilisten. Angeprangert bei der Kundgebung wurde die angebliche Destabilisierung des Iran durch die USA, aber auch die Kriege im Iran, im Libanon und in Syrien standen im Fokus der NPD-Kritik.

Auch hier sieht die rechtsextreme Partei die USA am Werk. Kein anderes Land bekomme die Negativauswirkungen der internationalen Kriegstreiberei so stark zu spüren wie Deutschland, versuchte der Berliner NPD-Chef Käfer einen Zusammenhang zwischen angeblich von den USA gesteuerten Kriegen und der Zunahme von Geflüchteten herzustellen. Zu den Forderungen der NPD-Kundgebung gehörte auch eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, Iran und Syrien und ein Ende der Sanktionen gegen Russland sowie einen Stopp von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.

aus: Blick nach Rechts
https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/erkl-rtes-feindbild-usa

Peter Nowak

Die SPD gewinnt Mitglieder

Und der Vorstand streitet, ob er sie überhaupt will

Was ein deutscher Juso ist, der geht für die SPD durch dick und dünn. Eben noch haben sie ihre Kampagne gegen ein Bündnis mit der Union am Sonderparteitag knapp verloren und nun machen sie der SPD ein besonders Geschenk.

Sie organisieren eine Eintrittskampagne[1]. Was Besseres könnte der doch nun wahrlich nicht erfolgsverwöhnten Partei gar nicht passieren.

Da treten womöglich noch junge Leute in die SPD und was macht die? Sie sagt, nicht mit uns. Wer womöglich nur in die SPD eintreten wolle, um bei den Regierungsoptionen mit zu bestimmen, der soll möglichst draußen bleiben. Schon ist von einem Stichtag die Rede, wer danach eintrete, habe erst einmal nicht mit zu entscheiden.

Diese Stichtagsregelung kann aber auch als Signal an die Jusos verstanden werden, dass man über die Mitgliederbefragung so sauer denn doch nicht ist. Sonst hätte man ja die Mitwirkungsmöglichkeiten sofort beendet.

Die Stichtagsregelung dagegen könnte ja zunächst eine neue Eintrittswelle provozieren. Zumal sich ja auch der Juso-Chef Keven Kühnert wieder einmal besonders staatstragend gibt und erklärt, er wolle auch keine Kurzzeitmitglieder. Damit distanziert er sich von den flotten Sprüchen anderer Jusos, die mit einem Zehner gegen die Groko[2] antreten wollte. Prompt monierte die FAZ eine unlautere Mitgliederwerbung[3].

Juso-Kampagne und Kritik unpolitisch

Diese Kritik ist genauso unpolitisch wie die Juso-Kampagne selber. Zunächst haben die sie nicht erfunden. In Großbritannien haben Masseneintritte mit dafür gesorgt, dass die wirtschaftsliberalen Blair-Anhänger gegenüber dem Sozialdemokraten Corbyn in die Defensive gerieten.

Auch sie wurden vom Parteietablishement vielfältig behindert. Nicht anders geschah es jungen Anhängern von Bernie Sanders innerhalb der Wahlmaschinerie der Demokratischen Partei in den USA, die ganz auf Clinton eingeschworen war und mit ihr verlor. Auch in Deutschland ist es nichts Neues, dass Masseneintritte in eine Partei propagiert wurden, um ein politisches Ziel zu erreichen. Idealerweise eignen sich dafür kleinere Parteien besonders.

So kamen 1998 nach einen Studierendenstreik Kommilitonen auf die Idee, die FDP, die sich damals gerade in der Opposition befand, zu kapern und in ihrem Sinne zu verändern[4]. Die Reaktion der Liberalen schwankte von Unmut bis Existenzangst. Die hatte sich aber bald gelegt. Drei Jahre später meldete der Spiegel, dass einige der Sponti-Studierenden in der Partei Karriere machten[5].

So war die angebliche Sponti-Aktion eigentlich eine etwas coolere Form, sich der FDP anzunähern. Nun ausgerechnet die bürokratische und unbewegliche SPD durch Masseneintritte in eine bestimmte politische Richtung drängen zu wollen, ist eine besondere Schnaps-Idee und soll wohl nur dazu dienen, der SPD einige Neumitglieder zu bescheren. Der poltische Inhalt ist fragwürdig, vage und wenig durchdacht.

Das beginnt schon damit, dass hier das gedankenlose Geschwätz von der großen Koalition tradiert wird, die eine Koalition zwischen Union und SPD nicht mehr ist. Die hätte weniger Sitze als die sogenannte kleine Koalition von SPD und FDP in den 1970er Jahren. Nun könnte man sagen, dass sind eher Details. Doch es zeigt, wie wenig die ganze Eintrittsaktion durchdacht ist.

Was wollen die Neumitglieder in der SPD?

Die Probleme mit dem Konzept gehen tiefer. Was wollen die Neumitglieder außer, das Bündnis mit der Union zu verhindern?

Dazu müsste zumindest ein Minimum an politscher Debatte laufen, die aber unterbleibt. Die Neueintritte bei der Laborpartei sagen, dass sie sich die Partei von den Wirtschaftsliberalen zurückholen wollen und verweisen auf die sozialistische Pateirhetorik der 1970er Jahre.

Die aber hatte die SPD in ihrer Mehrheit nie, so kann sich dort niemand zurückholen, was es nie gab: Und so politisch, die Rücknahme der Agenda 2010 zu fordern oder einen Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei, sind die Jusos nicht. Damit aber könnten sie deutlich machen, dass es um mehr als Symbolpolitik geht. Dazu aber ist der Jusovorstand nicht bereit.

Das inhaltsleere Gerede über einen SPD-Eintritt, um dort eine Entscheidung mit zu bestimmen, verdeckt die inhaltlichen Leerstellen der Kampagne gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der Union. Man will sich ideologisch nicht festlegen, weil ja viele durchaus eine Minderheitsregierung der Union mittragen würden.

Warum sollen die Neumitglieder der SPD nicht über Hartz IV und Waffenlieferungen entscheiden?

Dabei gäbe es genügend inhaltliche Positionen, die für SPD-Neumitglieder interessant sein können. Warum sollen sie die SPD nicht auf eine Revision der Agenda 2010 festlegen, die schließlich wie auch SPD-nahe Institute mittlerweile zugestehen, zu einer Verarmung großer Teile der Bevölkerung in Deutschland und zum Lohndumping führte. Und was ist mit einem Stop aller Waffenlieferungen in Staaten, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind?

Das wäre doch eine sehr aktuelle Forderung, nach dem bekannt wurde, dass unter rot-schwarz die Geschäfte der deutschen Rüstungsindustrie besser florierten als unter schwarz-gelb. Verantwortlich war der Außenminister Gabriel, der in Sonntagsreden so wortreich für eine Regulierung der deutschen Rüstungsexporte eintritt.

Diese Frage wurde noch aktueller, als Fotos zeigten, dass deutsche Panzer beim Krieg der Türkei gegen die kurdischen Enklaven in Syrien mit dabei sind. Gäbe es eine Kampagne, in die SPD einzutreten, um gegen Waffenlieferungen in die Türkei oder für die Revision von Hartz IV zu votieren, wäre die Reaktion der Parteiführung wahrscheinlich viel vehementer.

Denn dann stünde die Rolle der SPD als Stütze des Kapitalismus in Frage. Die Kampagne der Jusos und einiger SPD-Linker gegen die weitere Kooperation mit der Union hingegen ist für die SPD-Führung harmlos. Einen großen Einfluss auf die Abstimmung werden die Neueintritte nicht haben. Um so viele Menschen zu einen Parteieintritt zu motivieren, müssten sie schon mit lukrativen Prämien locken. Eine verminderte Eintrittsgebühr reicht da sicher nicht.

Zudem werden manche, von denen, die tatsächlich eintreten, auch bleiben und so bekommt die SPD einige dringend benötigte Mitglieder. Bleiben sie drin oder wollen gar in der Partei aufsteigen, werden sie genauso stromlinienförmig die Parteiraison unterstützen, wie es heute Andrea Nahles und Co. tun, die schließlich auch mal als linke Jusos galten. Johanna Ueckermann, eine der Nahles-Nachfolgerin bei den Jusos, muss sich noch in Anpassung üben, das war die Botschaft der SPD, die ihr bei den letzten Wahlen keinen aussichtsreichen Listenplatz gab[6].

Peter Nowak
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https://www.heise.de/tp/features/Die-SPD-gewinnt-Mitglieder-3951390.html?seite=2

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Links in diesem Artikel:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-mitgliederentscheid-wie-die-jusos-die-groko-noch-verhindern-wollen-a-1189420.html
[2] http://www.zeit.de/news/2018-01/22/deutschland-jusos-kuendigen-kampagne-einen-zehner-gegen-die-groko-an-22083602
[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/jusos-in-der-spd-der-unlautere-kampf-um-neue-genossen-15412651.html
[4] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7809500.html
[5] http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/fdp-unterwanderung-sponti-studenten-machen-karriere-a-150985.html
[6] http://www.taz.de/Juso-Chefin-bekommt-kein-Mandat/!5362147/

SPD will an der Regierung bleiben

Nur Merkel-Gegner in der Union könnten Regierung mit der SPD noch sabotieren

362 Delegierte haben am Sonntagnachmittag beim SPD-Sonderparteitag in Bonn für die Aufnahme der Koalitionsgespräche mit der Union gestimmt. Das ist wahrlich kein überraschendes Ereignis. Bemerkenswert ist, dass immer noch 279 Delegierte mit Nein gestimmt haben. Insgesamt ist sich die SPD treu geblieben.

Seit über 100 Jahren drängt sie sich immer an die Regierung, obwohl niemand mehr die Illusion hat, dass sie damit an der Macht wäre. Heute reicht es der SPD schon, wenn sie ihre Posten behält und das Ende der Ära Merkel noch etwas herausschieben kann. Deshalb hat auch ein Großteil der liberalen Medien die Entscheidung auf dem SPD-Parteitag mit der Aura einer Schicksalswahl umgeben.

Seit Tagen wurde der Eindruck erweckt, als hinge das Schicksal der Republik daran, dass sich die Wahlverlierer Union und SPD gegenseitig stützen. Die grünennahe Taz hatte sogar den nun wahrlich nicht linken SPD-Landesverband NRW dafür kritisiert, dass der die auch wahrlich nicht radikale Forderung stellte, die sachgrundlose Job-Befristung zur Bedingung für eine Koalition der Union zu machen.

Das Ende der sachgrundlosen Befristungen könnte eine Brücke für zweifelnde Delegierte sein. Aber diese Brücke führt ins Nirwana. Denn wenn die SPD eine neue Bedingung stellt, wird das auch die Union tun. Die Koalitionsverhandlungen würden mit einer Hypothek starten.

Ulrich Schulte, Taz

Der Schulterschluss der grünennahen Zeitung verwundert nicht. Schließlich nehmen die Grünen der FDP noch immer übel, dass sie die gemeinsame Regierung verhindert haben. Seitdem machen sie der Union immer wieder Avancen.

Keine Mehrheit links von der Union

Das ganze Gerede von einer angeblichen Mehrheit links von der Union, das es bis zu den letzten Bundestagswahlen unter Einschluss der Grünen im Parlament gegeben habe, wird so einmal mehr als Schimäre entlarvt. Daher war es nur konsequent, dass selbst die Gegner des Bündnisses mit der Union davon nicht mehr reden wollten. Und hier wird auch ihr größtes innerparteiliches Manko deutlich: Sie haben kein alternatives Konzept.

Wenn Martin Schulz daran erinnerte, dass bei einer Neuwahl die SPD mit dem gleichen Programm antreten würde, auf das sie sich bei den Sondierungen mit der Union geeinigt hat, hat er Recht. Das Elend der Sozialdemokratie zeigt sich darin, dass diese Tatsache nicht zum Gegenstand der Kritik gemacht wird.

Nun soll niemand von der SPD irgendwelche revolutionären Anwandlungen erwarten, die sie nun seit über 100 Jahren scheut wie der Teufel das Weihwasser. In den nächsten Monaten jähren sich einige blutige Ereignisse zum 100ten Mal, als die SPD den republikfeindlichen Freikorps den Auftrag gab, revolutionäre Arbeiter und Räte niederschießen zu lassen.

Doch man könnte von der SPD erwarten, dass sie sozialdemokratische Politik macht wie der Vorsitzende der Labourparty in Großbritannien Jeremy Corbyn. Doch es waren nicht nur Sozialdemokraten vom rechten Seeheimer Kreis, die unter dem Slogan „Corbyn auf dem Parteitag – No Way“ gegen eine Rede des britischen Sozialdemokraten auf den SPD-Parteitag mobil machten, sondern Jusos.

Vordergründig ging es ihnen um in der Tat kritikwürde Positionen Corbyns zum Nahostkonflikt, die man als „regressiven Antizionismus“ bezeichnen kann. Doch den Laborvorsitzenden auf diese Position zu reduzieren und seine Initiativen gegen weitere wirtschaftsliberale Maßnahmen und gegen weitere Privatisierungen unerwähnt zu lassen, zeigt doch eher, dass den Nachwuchssozialdemokraten nicht an einem Linksruck in ihrer Partei gelegen ist.

Vor Jahrzehnten gebärdeten sich die Jusos noch als sozialistisch und schreckten die Mutterpartei mit Unterschriften unter verbalradikalen Aufrufen. Als dann die Schröders, Nahles und Scholz den Marsch durch die Parteiinstanzen starteten, waren solche Positionen schnell vergessen. Heute kürzen die jungen Sozialdemokraten diesen Prozess ab, in dem sie sich von Anfang realpolitisch geben und die deutsche Staatsraison zu jeder Tages- und Nachtzeit verteidigen können.

Das ist nicht verwunderlich, weil es heute kaum noch kritische Jugendliche gibt, die es gilt, mit radikalem Gestus an die SPD zu binden. Wer heute grundsätzliche Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus übt, wird nicht auf die Idee kommen, mit der SPD oder ihrem Jugendverband anzubandeln.

Also gibt man sich von Anfang staats- und parteifromm wie der aktuelle Jusochef Kevin Kühnert, der seine Kampagne NoGroko nur zum Besten der Partei und ihrer Traditionen verstanden haben will. Schon der Name der Initiative ist falsch, weil gedankenlos das Gerede von der großen Koalition tradiert wird, während das Bündnis zwischen SPD und Union weniger Abgeordnete auf sich vereinen würde, als die als „kleine Koalition“ apostrophierte Kooperation zwischen SPD und FDP in den 1970er Jahren.

Über das aktuelle geistige und politische Klima auch im universitären Milieu geben sich unpolitisch gebende Zeitungen wie die UnAufgefordert bestens Aufschluss, die eine Kampagne gegen die letzten linken Asten begonnen haben, die nun von der AfD aufgegriffen wird. In einen solchen Klima kann sich nun wahrlich keine linke Alternative bilden und schon gar nicht in der SPD.

Gegen die SPD schießen und Merkel meinen

Da ist es nicht verwunderlich, dass die SPD für Koalitionsgespräche mit der Union ausgesprochen hat, sondern dass eine relevante Minderheit dagegen stimmte. Dabei hatten auch sogenannte linke Sozialdemokraten in den letzten Tagen noch im Namen der Basisdemokratie vehement für die Linie von Schulz ausgesprochen.

Wenn auf dem SPD-Parteitag das Aus für eine Kooperation mit der Union beschlossen würde, wäre das eine Entmündigung der Basis. Schließlich sollen nach den Koalitionsverhandlungen alle SPD-Mitglieder über das Ergebnis abstimmen.

Da werden wir von manchen Medien noch einmal vor eine vermeintliche Schicksalsentscheidung gestellt und wieder dürfte die zugunsten des Verbleibs der SPD in der Regierung ausgehen. Es sei denn, bei den Koalitionsverhandlungen brüskieren die Merkel-Gegner in der Union die SPD so, dass eine Stimmung entsteht, sich das nicht mehr gefallen zu lassen. Schließlich wäre ein Scheitern des erneuten Bündnisses eine Schwächung von Merkel. Es gibt in der CSU und in der CDU genügend Leute, die das wünschen. Sie müssen dann nur gegen die SPD schießen und Merkel meinen.

Doch auch hier dürfte die Parteiraison siegen und man ist bereit, Merkel noch einige Jahre zu dulden. Ob es in der SPD noch vernehmliche Forderungen nach Nachverhandlungen beim Schutz von Flüchtlingen oder bei sozialen Themen gibt, ist offen. Die veröffentliche Meinung von der grünennahen Taz bis zur konservativen Welt ist auf Seiten der Union, drängt zur Eile und lehnt weitere Forderungen der SPD daher ab.

Egal wie die SPD letztlich entscheidet, in der Partei dürfte die Personaldebatte weitergehen. Dass Martin Schulz Parteichef auf Abruf ist, wurde in den letzten Wochen immer deutlicher. Nun wird ihm angelastet, dass er nach der Bundestagswahl angeblich ohne Not eine Koalition mit der Union ausgeschlossen habe und dieses Bekenntnis noch einmal wiederholte, als die FDP ein Bündnis mit Union und Grünen platzen ließ.

Schon ist vergessen, dass Schulz für seine Erklärung in die Opposition zu gehen, weil seine Partei starke Verluste einstecken musste, an der SPD-Basis viel Zustimmung bekam und damals auch von vielen Medien gelobt wurde. Damals setzten viele auf eine Koalition ohne die SPD.

Als diese ohne die AfD nicht mehr möglich war, wuchs der Druck auf die SPD und sie entschied sich, an der Regierung zu bleiben. Dass nach dem SPD-Parteitag Andrea Nahles für ihr völlig inhaltsleeres Schreien gelobt wurde und schon als Nachfolger von Schulz gehandelt wird macht nur eins deutlich, besser wird es für die SPD nicht.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/SPD-will-an-der-Regierung-bleiben-3947430.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/!5475453/
[2] https://www.facebook.com/jusosnn/posts/1735243083199282
[3] https://nogroko.de/
[4] http://www.unauf.de
[5] http://www.unauf.de/2017/solange-keiner-hinschaut/

Dem Volk nah – aber irgendwie links

Warum ein Vorschlag von Sahra Wagenknecht für Aufregung sorgt, obwohl er inhaltlich weitgehend Konsens bei der Linken ist

Zum Jahresauftakt setzen die Parteien Akzente für die nächsten Monate ihrer politischen Agenda. Die CSU positionierte sich stramm rechts mit der „konservativen Revolution“, die Grünen als „offen für alle“, die FDP als „AFD light“[1]. Die SPD streitet weiter darüber, ob sie weiter mit der Union regieren will.

Es wären eigentlich gute Zeiten für die Linke, um diejenigen zu sammeln, die gegen Kriege und die Fortsetzung des Sozialabbaus sind. Mehr kann man von einer sozialdemokratischen Partei, und das ist Die Linke nun mal, nicht erwarten. Wenn sie aber selbst diese Minimalziele nicht vertritt, macht sie sich schlicht überflüssig.

Nun geistert seit einiger Zeit der Begriff der „linken Sammlungsbewegung“ durch die Medien und sorgt in der Partei nicht etwa für Einigkeit und Aufbruch, sondern für neuen Streit und sogar für Spaltungsgerüchte.

Wagenknecht schockt nicht mehr mit Bekenntnissen zum Kommunismus, sondern zur linken Volkspartei

Anlass für die neu entstandene Debatte ist ein Interview der Fraktionsvorsitzenden der Linken, Sahra Wagenknecht, im Spiegel[2]: „Ich wünsche mir eine linke Volkspartei“, ist die Zusammenfassung ihrer Auslassungen. Das ist das Gegenteil von radikal und kollidiert auch mit den Positionen, die Wagenknecht noch vor einem Jahrzehnt hatte.

Damals hatte sie als bekannteste Exponentin der parteiinternen Kommunistischen Plattform[3] einen neuen Kommunismus gewünscht und sie wollte die DDR nicht in Bausch und Bogen verurteilen. Sie war ein rotes Tuch für alle in der PDS, einer der Vorläuferorganisationen der Linken, die endlich in dem real existierenden Staat ankommen wollten.

Gregor Gysi hatte sogar verhindert, dass Wagenknecht in den Parteivorstand gewählt wurde. Das ist lange her und Wagenknecht hat ihre Wendung zur Reformistin mit Bekenntnissen zu Ludwig Erhard und der sozialen Marktwirtschaft schon lange unter Beweis gestellt. Auch in der Flüchtlingsfrage hat sie schon längst den Anschluss an die ganz große Koalition gefunden, als sie vom Gastrecht sprach.

Keine große Aufregung also für alle, in und außerhalb der Linken, die diese Ziele gar schon viel länger favorisieren und gerade deshalb lange Zeit Sahra Wagenknecht an exponierter Stelle in der Partei verhindern wollten. Eigentlich müssten sie doch zufrieden sein, dass Wagenknecht nun auch in den großen Konsens derer eingeschwenkt ist, die eine Volkspartei „irgendwie links“ wünschen.

Dies zu kritisieren, wäre von einer radikal staats- und kapitalismuskritischen Position aus auch berechtigt. Doch es ist nicht bekannt, dass entsprechende Auffassungen nun der Linkspartei Mehrheiten gefunden haben.

Daher ist die Kritik an Wagenknecht nur ein Ausdruck des innerparteilichen Kampfes um Pfründe und Einfluss. Diejenigen, die nun Wagenknecht für ihr Interview kritisieren, sind schließlich nicht gegen eine linke Volkspartei. Sie wollen nur nicht, dass damit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine identifiziert werden.


Sammlungsbewegung: Mit wem und zu welchem Ziel?

Lafontaine hatte schon vor einigen Wochen einen Versuchsballon gestartet, als er von einer linken Sammlungsbewegung geredet[4] hatte. Wenn man die innerparteilichen Befindlichkeiten außer Acht lässt, welche die Diskussion begleiten, müsste man feststellen: „Dagegen hat in der Linken kaum jemand etwas.“

Gerade der eher bewegungsorientierte Flügel um Katja Kipping, der sich nun besonders dagegen wehrt, dass das Projekt mit ihrer Konkurrentin verbunden wird, hat vor einigen Jahren immer wieder Bewegungen wie Podemos in Spanien als Vorbild für die Linke ins Gespräch gebracht. Was ist das anderes als eine linke Bewegungspartei?

Der frankophile Lafontaine orientiert[5] sich mehr an dem französischen Linksnationalisten Mélenchon. Daher bekam der Neujahrsauftakt der Linken, auf dem beide gesprochen haben, in diesem Jahr eine besondere mediale Aufmerksamkeit. Nur die von manchen Medien herbeigewünschte Spaltung der Linken fand dort nicht statt.

Es waren schließlich auch erklärte Gegner des Duos Wagenknecht/Lafontaine wie Gregor Gysi dort anwesend, der sicher gegen eine linke Volkspartei nichts einzuwenden hat, wenn sie mit seinem Namen verbunden wird. Zudem hat der Neujahrsempfang am gleichen Ort mit fast exakt dem gleichen Personal seit Jahren stattgefunden. Zu Spaltungen hat er nie geführt.

Nun wäre die von Bernard Schmid gut herausgearbeitete linksnationalistische Wende von Mélenchon[6] Gegenstand von berechtigter Kritik. Schließlich bräuchte sich Lafontaine gar nicht zu wenden, um solche Positionen zu vertreten. Er hat als führender SPD-Politiker mit dazu beigetragen, dass die Flüchtlingsgesetze verschärft wurden und auch in der Linken immer wieder die nationale Flanke bedient.

Allerdings müssten auch die Freunde von Podemos dann die Frage beantworten, ob die nicht auch längst ihr basisdemokratisches Konzept zugunsten von Orientierung an staatlichen Strukturen und einigen Führungsfiguren aufgegeben haben[7]. Ähnlich wie in Frankreich wurde auch bei Podemos der Klassenbegriff durch das den Terminus von der „widerständigen Bevölkerung“ ersetzt.

Kaum Grundlagen für linke Sammlungsbewegung?

Die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Konzepten einer linken Sammlungsbewegung bzw. einer linken Volkspartei wären also nicht so unüberwindbar, wenn in der Linken eine Diskussion geführt würde, die nicht schon durch Vorfestlegungen personeller Art verunmöglicht wird.

Wenn es dann tatsächlich zu Spaltungen kommt, dann nicht wegen unvereinbarer inhaltlicher Gegensätze, sondern weil bestimmte Personen nicht in einer Partei sein können. Versuche, die Debatte auf inhaltliche Differenzen zu konzentrieren, wie sie die Autoren der im Laika-Verlag herausgegebenen Flugschaft „Jenseits von Interesse und Identität“[8] unternehmen, kommen von außerhalb der Linken. Es wird sich zeigen, ob sie und andere tatsächlich erreichen können, dass über Inhalte und nicht über Personen und Befindlichkeiten gestritten wird.

Zumal die Debatte ja aktuell im luftleeren Raum geführt wird. Es ist nicht absehbar, wo denn in Deutschland das Potential für die neue linke Sammlungsbewegung bzw. die neue linke Volkspartei herkommen soll. Die Linke ist durch die Bewegung gegen Hartz IV mitinitiiert worden, als Teile der SPD der Linie ihrer Partei nicht mehr folgen wollte.

Podemos und ähnliche Bewegungen in anderen Ländern stehen noch klarer für die Konsequenzen einer starken sozialen Bewegung. Davon aber ist in Deutschland im Jahr 2018 nichts zu sehen. Dafür stehen noch andere linke Reformisten in den Startlöchern, die überparteiliche Organisationen gründen wollen. So gibt es das Projekt DIEM25[9], das vom kurzzeitigen griechischen Finanzminister Varoufakis[10] mitgegründet wurde und zu den EU-Wahlen antreten will.

Da sie explizit EU-freundlich ist, dürfte eine Kooperation mit dem Wagenkecht/Lafontaine-Projekt nicht einfach sein. Solche Projekte sind natürlich auch immer abhängig von den innenpolitischen Faktoren. Sollte die SPD gegen großen innerparteilichen Widerstand mit der Union in eine Regierung gehen, könnte ein Teil der Opposition Gefallen an den Vorstellungen von Wagenknecht und Co. finden.

Sollte die SPD aber in der Opposition bleiben, dürfte sie die soziale Opposition abdecken und sich als linke Volkspartei profilieren wollen. Denn da, wo Wagenkecht hinwill, wo Lafontaine immer war und wo auch die meisten ihrer innerparteilichen Kritiker ihren Sehnsuchtsort entdeckt haben – „dem Volk nah, irgendwie links“, da gibt es bekanntlich großes Gedränge.
Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Dem-Volk-nah-aber-irgendwie-links-3943727.html
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[2] https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2690.ich-w%C3%BCnsche-mir-eine-linke-volkspartei.html
[3] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/zusammenschluesse/kommunistische-plattform
[4] https://www.heise.de/tp/features/Zwei-unvereinbare-Tendenzen-in-der-Linkspartei-3927842.html?seite=all
[5] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-01/linkspartei-oskar-lafontaine-jean-luc-melenchon
[6] https://www.heise.de/tp/features/Jean-Luc-Melenchons-linksnationalistische-Wende-und-neue-Angriffspunkte-3930803.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Jean-Luc-Melenchons-linksnationalistische-Wende-und-neue-Angriffspunkte-3930803.html)
[8] https://www.laika-verlag.de/laika-diskurs/jenseits-von-interesse-identitat
[9] https://diem25.org/home-de/
[10] https://diem25.org/manifesto-lange-version/
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Rechter Schulterschluss bei CSU-Klausur

Victor Orbán besucht die bayerische Partei zu einer Zeit, in der führende CSU-Politiker politisch artikulieren, dass es in Deutschland eine rechte Mehrheit gibt

Nun ist schon lange bekannt, dass der rechtskonservative ungarische Ministerpräsident Orbán für die CSU ein Vorbild ist. Bereits 2015 und 2016 war Orbán von Seehofer eingeladen worden und auch im letzten Jahr war der ungarische Rechtsaußen schon Gast bei der CSU-Klausurtagung.

Nur findet der diesjährige Orbán-Besuch besonders viel Aufmerksamkeit, weil er vor den entscheidenden Gesprächen eines Regierungsbündnisses der Unionsparteien mit der SPD stattfindet, die wohl von vielen Kommentatoren eher aus Bequemlichkeit noch immer als große Koalition bezeichnet wird. Dabei würde das Bündnis rechnerisch weniger Mandate aufbieten, als sie die sogenannte Kleine Koalition aus SPD und FDP in den 1970er Jahren besaß.

Orbán: Vorbild für unterschiedliche Rechte

Vor allem aber kommt der Orbán-Besuch zu einer Zeit, in der führende CSU-Politiker politisch artikulieren, dass es in Deutschland eine rechte Mehrheit gibt. Die kann aber nur mit der AfD realisiert werden. Nun gab es in den letzten Wochen bereits in verschiedenen Landtagen gemeinsame Abstimmungen zwischen Union und AfD.

Doch vor allem der Merkel-Flügel der Union betont die klare Abgrenzung nach Rechtsaußen. Die Mehrheit der CSU hat allerdings schon immer mit Merkel gefremdelt und sich in der Flüchtlingsfrage direkt als ihr Gegner aufgespielt. Das hat nun dem Merkel-Flügel aller Parteien genützt, der die Kanzlerin zu einer Politikerin der offenen Grenzen aufbaute. Das hatte Wirkung bis weit ins linke Lager.

Tatsächlich wurden unter Merkel die schärfsten Flüchtlingsabwehrgesetze erlassen. Doch der Merkel-Flügel der Union registriert auch, dass Teile der deutschen Industrie Arbeitskräfte brauchen. Daher verband man dort eben Flüchtlingsabwehr mit dem Konzept der flexiblen Einwanderung, wie sie in den USA schon lange praktiziert wird.

Die CSU hingegen gibt sich als Interessenvertreter der Kreise in Bevölkerung und Industrie, die die Grenzen möglichst dichtmachen wollen. Orbán gehört zu den europäischen Politikern, die mit dem Dichtmachen der Grenze Ernst gemacht haben. Seitdem ist er ein Vorbild für ganz unterschiedliche rechte Strömungen in Europa. Er wird auf Pegida-Aufmärschen gelobt, ebenso von der rechtspopulistischen österreichischen FPÖ. Aber natürlich ist es für den ungarischen Ministerpräsidenten eine größere Aufwertung, nun wieder einmal Gast der CSU zu sein.

Aufruf zu einer konservativen Revolution

Dass aber führende CSU-Politiker durchaus auch die Innenpolitik in Deutschland mit im Blick haben, wenn sie Orbán einladen, zeigt ein Artikel, den CSU-Generalsekretär Dobrindt unter dem bezeichnenden Artikel „Für eine konservativ-bürgerliche Wende“ in der Welt veröffentlicht hat. Gleich der erste Absatz zeigt, um was es Dobrindt geht:

Deutschland ist ein bürgerliches Land. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land lebt und denkt bürgerlich. Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland. Das hat nicht zuletzt die Bundestagswahl 2017 wieder ganz klar gezeigt. Und doch dominiert in vielen Debatten eine linke Meinungsvorherrschaft eine dieses Schauspiel ertragende bürgerliche Mehrheit. Der Ursprung dafür liegt vor genau 50 Jahren, im Jahr 1968. Damals haben linke Aktivisten und Denker den Marsch durch die Institutionen ausgerufen und sich schon bald Schlüsselpositionen gesichert in Kunst, Kultur, Medien und Politik. Sie wurden zu Meinungsverkündern, selbst ernannten Volkserziehern und lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit. Die 68er waren dabei immer eine Elitenbewegung, eine Bürger-, Arbeiter- oder Volksbewegung waren sie nie.

Alexander Dobrindt

Hier sind alle Topoi vertreten, die auch die unterschiedlichen rechten Gruppen verwenden. Da wird 50 Jahre nach 1968 noch einmal der rechte Kulturkampf gegen den damaligen Aufbruch, der schon längst zur Schwungmasse des neoliberalen Kapitalismus wurde, geführt.

Da wird bis in die Begrifflichkeiten von „den Volkserziehen und den lautstarken Sprachrohren einer linken Minderheit“ ein Duktus verwendet, die Orbán und seine Anhänger in Ungarn genauso beherrschen wie die AfD. Die hat Dobrindt schon einmal mit einbezogen in seine bürgerliche Mehrheit, die ja nur zustande kommt, wenn er Union und AfD und womöglich auch die FDP zusammenaddiert.

Wenn die letzten Linksliberalen in der FDP wie Leutheusser-Schnarrenberger nun innerparteilich auf stärkere Abgrenzung zur AfD drängen, zeigt dies, dass der Lindner-Kurs, die FDP zu einer AfD light zu machen, sehr wohl innerparteilich wahrgenommen wird.

Nun bedeutet es nicht, dass in den nächsten Wochen eine Rechtskoalition in Deutschland etabliert wird. Doch die CSU setzt hier Wegmarken und das sie dabei den Begriff der „Konservativen Revolution“ benutzt, der seit Jahren für unterschiedliche Rechtsaußengruppen ein wichtiger Bezugspunkt ist, ist kein Zufall.

Wenn es einen Staat gibt, wo die Vorstellungen der extremen Rechten aller Couleur realpolitisch umgesetzt werden, dann ist es Ungarn. Deswegen ist er auch ein Vorbild der sonst durchaus zerstrittenen extremen Rechten. Die CSU macht deutlich, dass sie ein relevanter Teil dieser Rechten ist und bleibt. Damit steht sie ganz in der Tradition von Franz Josef Strauß, der auch den unterschiedlichen Rechtsgruppierungen als Vorbild diente.

Es gab über Jahre hinweg von Rechtsaußenfiguren das Konzept der Vierten Partei, einer bundesweiten CSU unter der Führung von Strauß. Zudem hat es Orbán geschafft, seine eindeutig antisemitische Kampagnen nicht nur gegen Soros durch eine besondere Nähe zur gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung zu kaschieren.

So gehört Orbán zu denjenigen im Kreis der EU-Politiker, die die angekündigte Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem begrüßen. Auch hier ist Orbán ein Vorbild für viele europäische Rechtsaußengruppen, die Pro-Israel-Positionen mit Antisemitismus kombinieren wollen.

Die kläglichen SPD-Reaktionen

Natürlich kritisiert die SPD diese Klarstellungen der CSU besonders stark. Schließlich werden damit die Bemühungen der Parteiführung nicht einfacher, die Parteibasis auf ein Regierungsbündnis mit der Union einzuschwören, das nach den Bundestagswahlen noch ausgeschlossen worden waren.

Doch die Kritik ist, wie von der SPD zu erwarten, erbärmlich harmlos. So kritisieren führende SPD-Politiker, es wäre ein anti-europäisches Signal, wenn Orbán von der CSU eingeladen wird. Dabei wird ausgeblendet, dass Orbán schon längst zum führenden Kopf einer rechten EU-Version geworden ist, die in den Visegrad-Staaten umgesetzt wird und Unterstützung durch die neue österreichische Rechtsregierung bekommen hat.

Auch die CSU hat schon immer Sympathien mit dieser rechten EU-Version gezeigt. Nur ist eben das auch von der SPD favorisierte EU-Modell stärker an den neoliberalen Interessen führender Kapitalkriese orientiert, aber deswegen nicht wesentlich emanzipatorischer. Wenn nun die SPD-Politikerin Manuela Schwesig als Kritik an Dobrindts rechten Kampfbekenntnis mit dem schlichten Satz kommentiert, dass die Bürger keine Revolution, sondern eine stabile Regierung wollen, zeigt das eben die Harmlosigkeit der SPD.

Da hat sich seit dem Ende der Weimarer Zeit wenig geändert. Nicht einmal die Herleitung des Begriffs „Konservative Revolution“ aus dem Ideologiefundus der extremen Rechten kommt ihr über die Lippen. Da kündigt sich schon an, wie viel Kompromisse die SPD gegenüber Rechtsaußen an den Tag legen wird, um die stabile Regierung zu ermöglichen.

Koalition ohne die CSU

Nun haben manche Merkelaner auch und vor allem außerhalb der Union ein Regierungsbündnis von CDU, SPD und Grünen ins Gespräch gebracht. Dann wäre neben der AFD und der FDP auch die CSU Teil der rechten Opposition. Dass einige CSU-Politiker die Orbán-Einladung auch nicht gut finden sollen, nährt bei ihnen die Hoffnung, dass in solch einen Bürgerblock auch einige aus dieser Partei überwechseln.

Doch unabhängig davon, dass es dabei darum nur geht, welche bürgerliche Variante für die sozialen Zumutungen zuständig sein soll, die für die Mehrheit der Lohnabhängigen in Deutschland schon angekündigt sind, dürften solche Planspiele schon daran scheitern, dass sich damit auch die CDU spalten würde.

Denn der Rechtskurs der CSU hat viele Unterstützer in der Union, die sich in Zeiten der Merkel-Dämmerung lauter bemerkbar machen. Immerhin darf nicht vergessen worden, dass ein großer politischer Freund Orbáns Helmut Kohl war.

https://www.heise.de/tp/features/Rechter-Schulterschluss-bei-CSU-Klausur-3935010.html

Peter Nowak

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[1] https://www.tagesschau.de/inland/orban-csu-105.htm
[2] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article172133774/Warum-wir-nach-den-68ern-eine-buergerlich-konservative-Wende-brauchen.html
[3] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article172133774/Warum-wir-nach-den-68ern-eine-buergerlich-konservative-Wende-brauchen.html
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fdp-sabine-leutheusser-schnarrenberger-fordert-klare-kante-gegen-afd-a-1186115.html
[5] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[6] http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr221s.htm
[7] https://www.heise.de/tp/features/Oesterreich-Modell-fuer-Europa-und-vielleicht-auch-fuer-die-FDP-3919969.html
[8] http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Kritik-an-CSU-Schwesig-fordert-mehr-Sachlichkeit-id42915776.html
[9] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/viktor-orban-bei-helmut-kohl-a-1088033.html