Auch am Amazon-Standort im polnischen Poznan wurde gestreikt.
Transnationale Streikkonferenz in Poznań
ak 607 vom 18.8.2015
https://www.akweb.de/
Zeitungsartikel des Journalisten Peter Nowak
Arbeiterinitiative Poznan / Workers Initiative Poznan
https://www.akweb.de/
»Wir unterstützen die Streiks bei Amazon in Deutschland« – Transparente mit diesem Motto hingen in der letzten Junihälfte rund um das Amazon-Werk in Poznań (Polen). Es blieb nicht bei Bekenntnissen. Die Nachtschicht bei Amazon in Poznań solidarisierte sich vom 24. auf den 25. Juni durch demonstratives Bummelstreiken mit dem Streik bei Amazon-Deutschland. Andere Beschäftigte stellten kurzfristig Urlaubsanträge, um keine Streikbrecher zu werden. Tage vorher hatten Mitglieder der anarchosyndikalistischen Inicjatywa Pracownicza (IP) in dem Werk Flugblätter über den Verdi-Streik in Deutschland verteilt und dabei T-Shirts mit dem Slogan »Pro Amazon mit Tarifvertrag« getragen. Noch im Dezember 2014 bei der Eröffnung der Werke in Poznań und Wrocław erklärte der Logistikchef von Amazon Europe, Tim Collins, dass die polnische Dependance für pünktliche Lieferungen an Amazon-Kunden sorgen werde, auch wenn Verdi in Deutschland zum Arbeitskampf aufrufe. Doch schon vor Weihnachten 2014 hatte sich ein Teil der Belegschaft an die IP gewandt, weil sie mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden war. Mitte Mai organisierte die Gewerkschaft unter der Parole »My Prekariat« (Wir Prekären) eine erste Warschauer Mayday-Parade mit knapp 350 Teilnehmern. Neben Beschäftigten von Universitäten, Bauarbeitern, Theaterleuten und Erziehern beteiligten sich auch Arbeiter von Amazon daran. Vom 2. bis zum 4. Oktober 2015 haben auch die Amazon-Beschäftigten Gelegenheit, Kontakt zu den polnischen Kollegen aufzunehmen. Am ersten Oktoberwochenende wird zu einer Tagung mit dem Thema transnationaler sozialer Streik in Poznań aufgerufen. In Arbeitsgruppen soll erörtert werden, wie man sich kollektiv gegen die Fragmentierung und Individualisierung der Arbeit wehrt. Es geht um die Vernetzung fester und befristeter Angestellter und die Frage, wie die kapitalistische Ausbeutung länderübergreifend angegriffen werden kann.
Nicht nur in Deutschland sind die Amazon-Beschäftigten mit ihren Arbeitsbedingungen unzufrieden. Auch im Amazon-Werk im polnischen Poznan fordern die KollegInnen verlängerte Pausenzeiten und eine Erhöhung des Stundenlohns von bisher 13 auf 16 Złoty. Das wären umgerechnet etwa vier Euro. Für das Amazon-Management ist der Arbeitskampf ein Warnsignal. Schließlich wurde die weltweit größte Amazon-Niederlassung in Poznan mit 3000 Beschäftigten im September 2014 eröffnet, um bei Streiks in den Amazon-Filialen in Deutschland in das Nachbarland ausweichen zu können. Einige Wochen später wurde bei Wroclaw ein weiteres Amazon-Verteilzentrum eröffnet.
»Aus Polen werden Kunden in ganz Europa beliefert«, erklärte der Logistikchef von Amazon Europe, Tim Collins, bei der Eröffnung des Werkes in Poznan und verhehlte nicht, dass von dort ein transnationaler Streikbruch geplant war. Dank des europaweiten Netzwerks mit insgesamt 28 Standorten, darunter auch in Polen und der Tschechischen Republik, werde trotz Arbeitsniederlegungen in Deutschland pünktlich geliefert »Amazon-Pakete kommen jetzt aus Polen«, titelte das »Handelsblatt« am 15. Dezember 2014. Damals brachten an verschiedenen Amazon-Standorten in Deutschland Beschäftigte das Weihnachtsgeschäft des Onlinehändlers durch Streiks ins Stocken.
»Die Polen arbeiten, die Deutschen streiken«, kommentierten konservative polnische Zeitungen. Doch die Beschäftigten dort wurden von den Arbeitskämpfen hier ermutigt, ebenfalls für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die anarchosyndikalistische Gewerkschaft OZZ Inicjatywa Pracownicza (Arbeiterinitiative). In einen von der Gewerkschaft herausgegebenen Bulletin werden die Anfänge des gewerkschaftlichen Engagements bei Amazon-Poznan so beschrieben: »Im Dezember 2014 drang die Unzufriedenheit der Leiharbeiter bei Amazon an die Öffentlichkeit: Sie fingen an, sich wegen nicht pünktlich gezahlter Löhne, Unregelmäßigkeiten bei der Berechnung der Löhne und überfüllter Kantinen an die lokalen Medien zu wenden.« Auch durch die Kündigung von rund 100 Leiharbeitern ließ sich die Belegschaft nicht einschüchtern. Im Mai veröffentlichte sie eine Petition für bessere Arbeitsbedingungen. Vom 24. auf den 25. Juni solidarisierte sich ein Teil der Nachtschicht bei Amazon-Poznan durch demonstratives Langsamarbeiten mit dem Streik bei Amazon-Deutschland. Andere Beschäftigte stellten kurzfristig Urlaubsanträge, um nicht zum Streikbrecher zu werden. Zuvor hatten Mitglieder der Arbeiterkommission in dem Werk Flugblätter über den ver.di-Streik verteilt und dabei T-Shirts mit dem Slogan »Pro Amazon mit Tarifvertrag« getragen. In der Nähe der Niederlassung verkündeten Transparente: »Wir unterstützen die Streiks bei Amazon in Deutschland.«
»Amazon wird immer wieder versuchen, Beschäftigte an verschiedenen Standorten gegeneinander auszuspielen. Deswegen ist es wichtig, dass sich Beschäftigte aus verschiedenen Standorten über Ländergrenzen hinweg vernetzen und gemeinsam dafür streiten, bei Amazon das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung, Tarifverträge und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen,« zeigt sich die Presssprecherin des ver.di-Bundesvorstands Eva Völpel über die Solidaritätsaktionen erfreut.
Bisher gab es drei Vernetzungstreffen, an denen Gewerkschafter verschiedener Amazon-Standorte teilnahmen. Aus Polen waren neben Delegierten der Arbeiterkommission auch Vertreter der sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Gewerkschaft Solidarnosc anwesend. Mit ihr hatte ver.di bereits in der Vergangenheit kooperiert. »Polnische Kollegen haben Amazon-Standorte in Deutschland während der Streiks besucht und sich zuletzt an der großen Streikkundgebung am 24. Juni 2015 in Bad Hersfeld beteiligt«, so Völpel. Die Kooperation mit der Arbeiterkommission wurde bisher vor allem von außerbetrieblichen Amazon-Solidaritätsgruppen vorangetrieben Einige Aktivisten beteiligten sich gemeinsam mit Amazon-Beschäftigten aus Deutschland am 23. Mai an einer von der Gewerkschaft organisierten Demonstration in Warschau.
Die Arbeiterkommission lädt vom 11. bis 13. September nach Poznan zu einen internationalen Treffen von Amazon-Beschäftigten unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit ein. Das Ziel solle ein Austausch der Beschäftigten und nicht der Funktionäre sein, heißt es in dem im Internet verbreiteten Aufruf.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/978223.gegen-transnationalen-streikbruch.html
Peter Nowak
Beim Versandhandel Amazon wurde in der letzten Woche wieder gestreikt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di weiß natürlich, dass die Tage vor Ostern genau wie vor Weihnachten zentral für das Amazon-Business sind. Dann ist der Druck besonders groß.
Die Amazon-Manager versicherten natürlich sofort, dass pünktlich geliefert werde und der Streik keinerlei Auswirkungen habe. Selbst Journalisten, die mit dehttp://www.heise.de/tp/news/Amazonstreik-keine-Chancen-fuer-die-Gewerkschaften-2595858.htmlgen, ist Verdi in einen Arbeitskampf gegangen, der unter den gegebenen Bedingungen nicht zu gewinnen ist. Jetzt bleiben nur Durchhalteparolen – und ein paar Kurzmeldungen in den Medien. Bitter, denn die Amazon-Beschäftigten hätten bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen verdient.“ Beucker sieht den Grund für die Schwäche des Amazon-Streiks in der zu geringen Anzahl der Beschäftigten, die sich am Ausstand beteiligen.
Diese pessimistische Sicht auf den Arbeitskampf wird von Gruppen [2], Parteien [3] und Einzelpersonen, die sich mit den Streikenden wie schon vor Weihnachten auch in der letzten Woche wieder solidarisiert haben, nicht geteilt. Dort wird besonders positiv hervorgehoben, dass die Streikenden von Amazon mit Beschäftigten anderer Branchen, die sich ebenfalls für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen engagieren, kooperieren. In Leipzig nahmen sie etwa an der Kundgebung von Kitabeschäftigten teil.Unter dem Motto „Die Kämpf verbinden: Amazon-Solidarität ausweiten“ [4] wollen die Solidaritätsgruppen die Dynamik der letzten Tagen erhalten und ausweiten.
Auch der italienische Gewerkschaftler Roberto Luzzi [5] zeigte sich sehr positiv überrascht, dass in Deutschland die Organisierung von Amazon-Beschäftigten gelungen ist und dass sie über einen längeren Zeitraum in den Arbeitskampf treten. Luzzi ist Aktivist der Basisgewerkschaft SI Cobas [6], die in den letzten Jahren in der italienischen Logistikbranche einige erfolgreiche Arbeitskämpfe [7] geführt und ihre Mitgliederzahl dort beträchtlich erhöht hat.
Durch eine kampforientierte Politik gelang es der Basisgewerkschaft, für die Beschäftigten günstige Tarifverträge abzuschließen. Das erzürnte die großen italienischen Gewerkschaftsbünde, die sich in einem Brief an die Manager der Logistikunternehmen beschwerten, dass sie mit der Basisgewerkschaft bessere Verträge als mit ihnen abschließen. „Dass diese Verträge kein Zugeständnis der Unternehmen, sondern Ergebnis einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik waren, wurde von den großen Gewerkschaften nicht wahrgenommen“, mokiert sich Luzzi gegenüber Telepolis über die Ignoranz der Gewerkschaftsfunktionäre.
Dass SI Cobas bei Amazon-Italien keinen Erfolg hatte, liegt nach Meinung von Luzzi an deren kurzen Beschäftigungsverhältnissen. Das ist allerdings ein Problem, das die Gewerkschaften auch bei Amazon in Deutschland beklagen. Luzzi hat als Teilnehmer einer SI-Cobas-Delegation die Streikenden bei Amazon-Leipzig besucht. Kritisch merkte er an, dass der Arbeitskampf zu defensiv geführt werde.
„Es gab es keine Versuche, die Beschäftigten, die sich nicht am Streik beteiligten, am Betreten des Werkes zu hindern. Auch LKW konnten während des Streiks ungehindert auf das Gelände fahren und es verlassen. Es gab weder Blockaden noch Versuche, mit Flugblättern für den Streik zu werben“, lautete Luzzis Kritik. Die SI-Cobas-Delegation berichtete auf einer Veranstaltung und einem Workshop über ihre Arbeit und die Organisationsbedingungen in der italienischen Logistikbranche.
Unzweifelhaft ist es eine im letzten Jahrzehnt boomende Branche. Wie in Norditalien wachsen auch in vielen anderen Regionen gerade in sogenannten strukturschwachen Gebieten die Großhallen der oft global operierenden Logistikunternehmen aus dem Boden. „Die Arbeitsbedingungen sind oft von besonderer Überwachung, geringen Lohn und ständiger Arbeitshetze gekennzeichnet. Die Arbeitskämpfe in dem Bereich zeigen aber, dass es für die Lohnabhängigen möglich ist, das Management unter Druck zu setzen“, berichteten die italienischen Basisgewerkschafter über Erfahrungen, die auch die Amazon-Beschäftigten machten.
Die Logistikbrancheist ein Bereich, in dem Lohnabhängige eine besondere Macht haben, weil ein entschlossener Streik zu richtigen Zeit schnell dazu führt, dass die Lieferungen verzögert werden. Das bedeutet für die Unternehmen nicht nur symbolische, sondern auch materielle Verluste. Das aber muss aus der Perspektive der Beschäftigten im Arbeitskampf das Ziel eines Ausstands sein, wenn es auch angesichts der Symbolpolitik der meisten Arbeitskämpfe in Deutschland oft vergessen wird.
Eine wichtige Frage beim Austausch mit den italienischen Gewerkschaften waren die Möglichkeiten der Ausweitung der Kämpfe über den nationalen Rahmen hinaus. Die Notwendigkeiten dafür sind offensichtlich. So hat Amazon schon präventiv eine Niederlassung in Poznan [8] aufgebaut, um dorthin auszuweichen [9], wenn in Betrieben in Deutschland gestreikt wird. Ein solcher schneller Wechsel über Ländergrenzen hinwegcist in der Logistikbranche auch deshalb einfach, weil es dort keine Hochöfen oder komplexe Maschinenparks gibt, die nicht so einfach ersetzt werden können.
Dadurch wird auch dem Standortdenken weitgehend die Grundlage entzogen, das transnationale Arbeitskämpfe erheblich erschwert und oft unmöglich gemacht hat. Schließlich hatte dieses Standortdenken bei Lohnabhängigen der fordistischen Schwerindustrie die reale Grundlage in dem Maschinenpark, der nicht so leicht zu ersetzen oder auszulagern war. Warum werden dann in Logistikbranche, in der diese Bedingungen entfallen, die Möglichkeiten für eine transnationale Kooperation von Beschäftigtennoch so wenig genutzt, war eine zentrale Frage bei der Veranstaltung und dem Workshop in Berlin.
Bisher ist die Kapitalseite bei der Internationalisierung auch im Logistikbereich der Vorreiter. Die Arbeitskämpfe werden hingegen immer noch zu stark in einem nationalen Kontext geführt, kritisieren die Gewerkschaftler. Aber sie sehen auch Ansätze einer Änderung. So gab es kurz vor Weihnachten 2014 auch bei Amazon-Betrieben in Frankreich Streiks [10], die sich ausdrücklich auf die Arbeitskämpfe in Deutschland bezogen haben. Und im Amazon-Werk in Poznan haben sich mittlerweile Beschäftigte in einer kämpferischen Workers Initiative [11] organisiert [12]. So könnte also bei dem nächsten Amazonstreik genau das eintreten, was das Management verhindern will. Nicht nur in Leipzig und Bad Hersfeld, sondern auch in Poznan, das die Ausfälle bereinigen soll, könnten die Beschäftigten die Arbeit niederlegen.
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/news/Amazonstreik-keine-Chancen-fuer-die-Gewerkschaften-2595858.html
Links:
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