Klassenkampf ist nicht passé

AGIT-KINO Neue Filmreihe widmet sich hiesigen Arbeitskämpfen, etwa an den Universitäten

Der Name der neuen Filmreihe ist Programm: „Cinéma Klassenkampf“ widmet sich aktuellen Arbeitskämpfen in Berlin. Bei der Auftaktveranstaltung an diesem Montag geht es um die hiesigen Hochschulen. Der Film „Ausbeutung an der TU-Berlin“ (17 Min, BRD 2016) lässt zwei Forscherinnen zu Wort kommen, die sich bei einem Arbeitseinsatz in Uruguay gegen gesundheitsgefährdende Bedingungen wehren wollen sowie gegen eine Projektleitung, die permanent Überstunden verlangt. Doch sie finden kein Gehör und werden als Querulantinnen abgestempelt und isoliert. Zurück in Berlin, wenden sie sich an die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU), und eine lange Auseinandersetzung beginnt. „Seit 2011 sammeln wir Filme aus der ArbeiterInnenbewegung und stellen sie auf der Seite labournet.tv kostenlos und mit Untertiteln zur Verfügung“, erklärt die Mitbegründerin Bärbel Schönafinger vom Kollektiv labournet. tv der taz. Mit der Veranstaltungsreihe wolle man neue Fördermitglieder für labournet.tv gewinnen, da dessen Finanzierung nur noch bis zum Jahresende gesichert sei. Nach den Filmen soll es Diskussionen geben: so am heutigen Montag über Organisationsversuche im prekären Wissenschaftsbereich unter anderem mit der FAU, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der kürzlich gegründeten Hochschulgewerkschaft unter_bau aus Frankfurt am Main.

Aktive kommen zu Wort

In den nächsten Monaten sollen Film- und Diskussionsveranstaltungen unter anderem zum Arbeitskampf an der Charité sowie zu Organisierungsansätzen im Niedriglohnsektor Gastronomie und bei den Kurierdiensten in Berlin folgen. Auch ein Rückblick auf die Bewegung „Nuit Debout“, die für einige Wochen im vorigen Jahr von Frankreich ausgehend auch hier für Aufsehen sorgte, ist in Vorbereitung. „Zu den Veranstaltungen wollen wir immer Menschen einladen, die aktiv an den Kämpfen beteiligt waren“, so Schönafinger. „Doch ich wünsche mir vor allem, dass die Filmreihe ZuschauerInnen ermutigt, sich anihren Arbeitsplätzen nicht alles gefallen zu lassen.

Peter Nowak

aus Taz:

■■6. März, 19 Uhr, Kino Moviemento,

Der Grund ist verschwunden


Peter Nowak über einen unbeliebten Tarifvertrag

»Niedriglohntarif per Tarifvertrag – Schluss damit« hieß 2013 eine Kampagne von Gewerkschaftsmitgliedern inner- und außerhalb des DGB. Sie hatten damals die DGB-Gewerkschaften aufgefordert, die Tarifverträge mit den Leiharbeitsfirmen zu kündigen und keine neuen abzuschließen. Dann würde nach einer sechsmonatigen Frist automatisch der Grundsatz »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« gelten, so die Argumentation der Träger der Kampagne. Obwohl die DGB-Tarifgemeinschaft die Tarifverträge mit den Verbänden der Zeitarbeitsfirmen verlängerte, war die Kampagne nicht ganz erfolglos. Vor allem bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di war der Widerstand gegen den Niedriglohn per Tarifvertrag sehr groß.

Nun haben die Kritiker einen neuen Anlauf genommen. In einem auf dem Onlineportal LabourNet veröffentlichten (http://www.labournet.de/branchen/medien/software-und-dienstleistungen/atos/die-auseinandersetzung-bei-atos-geht-in-die-naechste-runde/)  offenen Brief fordern 37 Gewerkschafter eine Kündigung des Tarifvertrags. Zum einen verstoße dieser gegen den gewerkschaftlichen Gleichheitsgrundsatz. Zum anderen ist den Befürwortern der Tarifverträge ein wichtiges Argument abhanden gekommen. Sie verwiesen stets darauf, dass die Leiharbeitsfirmen mit unternehmensnahen Konkurrenzgewerkschaften Verträge zu noch schlechteren Konditionen abschließen könnten. Doch vielen sogenannten christlichen Gewerkschaften wurde von Arbeitsgerichten die Tariffähigkeit abgesprochen.

Deshalb kommt der Brief zur richtigen Zeit. Die verantwortlichen DGB-Gewerkschaften müssen den Beweis erbringen, dass sie nicht selber in die Fußstapfen der gelben Gewerkschaften treten und mit den Tarifverträgen die Spaltung der Belegschaften vorantreiben – und überdies die im Gesetz festgeschriebene Gleichbehandlung der Leiharbeiter verhindern. Die Spaltung in Kernbeschäftigte und Leiharbeiter ist der Kern eines gewerkschaftlichen Korporatismus, der ein enormes Hindernis für jegliche kämpferische Interessenvertretung darstellt. Die Kampagne gegen den Niedriglohn per Tarifvertrag ist denn auch eine Kampfansage an dieses Modell der Betriebspartnerschaft.

Das aber macht auch einen Erfolg schwierig. Sollte also die DGB-Tarifgemeinschaft die Tarifverträge in der Zeitarbeit erneut verlängern, sollte nicht wieder einige Jahre gewartet werden. Wichtig ist es, dass sich die Zeitarbeiter selber organisieren, im und auch außerhalb des DGB. Das würde auch den Druck auf den DGB erhöhen. Ein gutes Beispiel haben im letzten Jahr rund 5500 Beschäftigte in Bremen gegeben, die mit Protestaktionen und Streiks gegen die Entlassung von Leiharbeitern protestierten. Die Unternehmen reagierten mit 760 Abmahnungen. Die Bremer IG Metall hatte sich damals keinesfalls solidarisch gezeigt, sondern vor französischen Verhältnissen und wilden Streiks gewarnt. Der aktuelle Tarifvertrag Zeitarbeit zwischen DGB und dem Unternehmerverband IGZ läuft zum 31. Dezember aus.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1018775.der-grund-ist-verschwunden.html

Peter Nowak

Streik im Labor

An einem Labor des Instituts für Soziologie der Universität Jena streiken studentische Beschäftigte. Sie fordern Arbeitsverträge statt der bisher üblichen Werkverträge.

Das Comeback der Gewerkschaften – so heißt ein zentrales Thema der Sozio­logen Klaus Dörre und Stefan Schmalz. Die beiden lehren am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit einigen Wochen wird dort nicht mehr nur theoretisch über gewerkschaftliche Erneuerung diskutiert. Mitte Juni begannen studentische Beschäftigte des von dem Institut betriebenen Labors für Computer-Assisted Telephone Interviewing, kurz CATI-Labor, einen Arbeitskampf. In dem Labor werden telefonische Umfragen und Interviews durchgeführt – für universitäre Zwecke, aber auch für Firmen und politische Akteure. »Viele der am Institut durchgeführten Projekte greifen hierauf zurück, aber auch externen Nutzern wird diese Dienstleistung zur Verfügung gestellt«, heißt es auf der Homepage des CATI-Labors.

Katharina Leipold* hat bisher nur an universitätsinternen sozialwissenschaftlichen Umfragen mitgearbeitet. Vergütet wurde das mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro. Urlaubsgeld und andere Zusatzleistungen sind für sie nicht vorgesehen. Denn alle Beschäf­tigten sind beim CATI-Labor lediglich über Werkverträge angestellt. »Wir fordern Arbeitsverträge anstatt der Werkverträge und damit die Umsetzung geltender Arbeitsgesetze und der Bildschirmarbeitsverordnung«, sagt Leipold. »Außerdem verlangen wir eine am ­Tarifvertrag orientierte Vergütung von 13 Euro und die zuverlässige, zeitnahe Überweisung der Löhne«, so die Studentin. In der Vergangenheit mussten die Beschäftigten manchmal mehrere Wochen auf die Überweisung der Löhne warten. Unterstützt wird der Arbeitskampf von der Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion« (FAU), an die sich die Beschäftigten gewandt hatten. »Werkverträge zwingen die Beschäftigten in die Scheinselbständigkeit und unterwandern den Tarif­vertrag der Länder sowie grundlegende arbeitsrechtliche Mindeststandards«, begründet ein Mitglied der FAU die Ablehnung der bisherigen Arbeitsbe­dingungen im CATI-Labor. Eigentlich müsste er mit dieser Argumentation in einem Institut mit gewerkschaftsnahen Wissenschaftlern auf offene Ohren stoßen.

Doch auf einer institutsinternen Sitzung habe sich Dörre sehr ablehnend zu dem Arbeitskampf geäußert, sagte ein FAU-Mitglied. Anfragen der Jungle World an den Soziologieprofessor blieben unbeantwortet. »Das Institut für Soziologie der Universität Jena ist deutschlandweit bekannt für seine enorme akademische Produktivität und gewerkschaftsnahe Forschungsausrichtung. Umso mehr erstaunt es, dass das Institut im CATI-Labor die gewerkschaftlich erkämpften Errungenschaften unterläuft«, heißt es in einer Pressemitteilung der FAU.

Der Landesausschuss der Studentinnen und Studenten (LASS) in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Thüringen begrüßte den Streik: »Endlich haben sich nach dem ›HiWi-Streik‹ in der Soziologie im Jahr 2013 wieder Strukturen gebildet und vernetzt, die die Ausnutzung von Studierenden als billige Arbeitskräfte thematisieren und konkrete und berechtigte Forderungen vorbringen, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern«, sagte die LASS-Sprecherin Cindy Salzwedel mit Verweis auf einen Arbeitskampf der studentischen Hilfskräfte vor drei Jahren. Auch die Gefangenengewerkschaft der JVA Untermaßfeld und die sich in Gründung befindliche Hochschulgewerkschaft »Unterbau« (Jungle World 17/2016) solidarisierten sich mit den Jenenser Studierenden und ihren Forderungen.

Mittlerweile scheint auch das universitäre Rechtsamt Zweifel zu hegen, ob die Praxis der Werkverträge juristisch haltbar ist. So berichteten Teilnehmer einer Institutssitzung, die nicht ­namentlich genannt werden wollen, dass dort ein Gutachten der Rechts­abteilung der Universität verlesen worden sei, in dem die Rechtsauffassung der FAU bestätigt wird, wonach die Arbeitsbedingungen im CATI-Labor im Wesentlichen denen eines Arbeitsverhältnisses und nicht der Selbständigkeit entsprechen, die für Werkverträge Voraussetzung ist.

* Name von der Redaktion geändert.

http://jungle-world.com/artikel/2016/27/54407.html

Peter Nowak

Im prekären Sektor gibt es eine Alternative zum DGB

Betr.: «Auf absehbare Zeit gibt es keine Alternative zu den DGB-Gewerkschaften», von Jakob Schäfer in SoZ Mai 2016

Es ist erfreulich, dass die SoZ eine Debatte über die linke Bewegung und Gewerkschaften initiiert hat. Schließlich wächst auch in Teilen der außerparlamentarischen Linken die Erkenntnis, dass Gewerkschaften für eine Transformation der Gesellschaft unverzichtbar sind.

Ein Teil vor allem der postautonomen Linken arbeitet in unterschiedlichen DGB-Gewerkschaften mit. Weil ein Großteil der außerparlamentarisch Aktiven im Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegebereich arbeitet, konzentriert sich ihr gewerkschaftliches Engagement auf die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die GEW. Mittlerweile setzt ein Teil davon die durch das politische Engagement erworbenen Kenntnisse beruflich als Organizer in Gewerkschaften ein. Vereinzelt gibt es auch schon hauptberufliche Gewerkschaftssekretäre aus der außerparlamentarischen Linken.

Ein anderer Teil der an gewerkschaftlichen Aktivitäten interessierten außerparlamentarischen Linken sieht hingegen diese Mitarbeit in DGB-Gewerkschaften kritisch. Sie verweist auf Erfahrungen aus der Gewerkschaftsgeschichte, wo immer wieder Impulse aus kritischen Bewegungen in die Gewerkschaftsapparate integriert wurden und wenige Konsequenzen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik hatten. Diese Widersprüche hat Jakob Schäfer in seinem Diskussionsbeitrag gut benannt.

«Auf der einen Seite sind sie Schutzmacht gegen die schrankenlose Herrschaft des Kapitals, indem sie der Unterbietungskonkurrenz von Belegschaften einen Riegel vorschieben, vor allem durch Tarifverträge, nach Möglichkeit landesweit. Zum anderen sind sie auch Ordnungsmacht, weil sie auch ein Element des Kapitalverhältnisses sind (mindestens dann, wenn Tarifverträge abgeschlossen sind), auch unabhängig von einer Politik der Klassenversöhnung (die allerdings für fast alle Gewerkschaften, auch außerhalb des DGB, die Regel ist).»

Diesen Ausführungen könnte ich zustimmen, wenn der Halbsatz in der Klammer nicht wäre. Es stimmt eben nicht, dass die Politik der Klassenversöhnung für fast alle Gewerkschaften außerhalb des DGB gilt. Für die meisten Spartengewerkschaften, wie den Marburger Bund oder die Gewerkschaft Cockpit trifft das sicher zu. Ihr manchmal verbalradikaler Ton bei der Durchsetzung von Forderungen für meist kampfstarke Segmente der Lohnabhängigen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keinerlei gesellschaftskritisches Konzept haben und selbst den Gedanken der Solidarität unterschiedlicher Segmente der Lohnabhängigen, der auch in den DGB-Gewerkschaften meistens Lippenbekenntnis bleibt, nicht einmal dem Anspruch nach verwirklichen wollen.

Anders sieht es bei den Basisgewerkschaften aus, die die in den letzten Jahren in vielen europäischen Ländern an Bedeutung gewonnen haben. In Deutschland ist hier neben den Industrial Workers of the World (IWW), die in einigen Städten Organisationsversuche unternehmen, die Freie Arbeiter-Union (FAU) zu nennen. Ihr ist es in den letzten Jahren gelungen, den Status einer anarchistischen Gruppe mit Gewerkschaftsanspruch abzulegen. Die SoZ gehörte zu den wenigen linken Zeitungen, die über den Arbeitskampf im Berliner Kino Babylon berichtet hat. Er hat dazu beigetragen, dass die FAU als Basisgewerkschaft wahrgenommen wird.

Ein aktueller Arbeitskampf, der von der FAU getragen wird, ist der Kampf der rumänischen Bauarbeiter bei der Mall of Berlin, die seit nun mehr fast zwei Jahren um ihren Lohn kämpfen. Die Auseinandersetzung macht die großen Probleme deutlich, die das Beschreiten des Rechtswegs für die Betroffenen bedeutet. Die Bosse gehen notfalls durch alle Instanzen und geben lieber viel Geld für Gerichtskosten aus, als dass sie die ausstehenden Löhne bezahlen. Wenn sie dann in allen Instanzen zu Zahlungen verurteilt wurden, melden die Subunternehmen Insolvenz an.

Am Beispiel der Mall of Berlin zeigt sich auch, dass eine DGB-Gewerkschaft für die Bauarbeiter keine Option gewesen wäre. Sie waren schließlich zuvor bei einer Beratungsstelle unter dem Dach des DGB. Dort wurde ihnen gesagt, dass sie einen Bruchteil ihrer Ansprüche erstattet bekämen, wenn sie auf alle weiteren Rechte verzichteten. Diejenigen Bauarbeiter, die das ablehnten, wandten sich danach an die FAU. Erst dadurch wurde die Kampagne der letzten beiden Jahre möglich; sie richtet auch über die Mall of Berlin hinaus den Fokus darauf, dass Lohnbetrug und Überausbeutung zum alltäglichen Geschäftsmodell im Kapitalismus gehören.

So wie die Bauarbeiter bei der Mall of Berlin haben sich auch viele andere Lohnabhängige vor allem im prekären Bereich zunächst vergeblich an eine DGB-Gewerkschaft gewandt, bevor sie dann in und mit der FAU für ihre Rechte kämpften – etwa Beschäftigte aus der Serviceabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung, oder ein Mitarbeiter eines Spätkaufs in Berlin, der mehrere Jahre als eine Art Geschäftsführer auf Hartz-IV-Basis gearbeitet hat. In Jena haben Beschäftigte eines universitären Call-Centers mit der FAU einen Arbeitskampf begonnen.

Oft waren die Betriebe so klein, dass sie gar nicht ins Konzept des DGB gepasst hätten. Nun breiten sich solche prekären Arbeitsverhältnisse immer weiter aus. Lange Zeit galten diese Bereiche als für Gewerkschaften verloren. Die FAU hat in einigen Fällen gezeigt, dass auch hier Arbeitskämpfe möglich sind. Bärbel Schönafinger hat in dem Film Die Angst wegschmeißen am Beispiel des Arbeitskampfzyklus in der norditalienischen Logistikbranche gezeigt, was möglich ist, wenn eine Gruppe kampfentschlossener Beschäftigter auf eine Basisgewerkschaft stoßen, die den Kampf mit ihnen führen will. In diesem Fall waren es die Sin Cobas.

Von solchen Verhältnissen sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Aber auch hier spielt die Musik eben nicht mehr nur in den fordistischen Großbetrieben, wo die DGB-Gewerkschaften noch die Hegemonie haben, auf die Schäfer in seinem Beitrag verweist. Vor allem im prekären Sektor haben sich auch in Deutschland basisgewerkschaftliche Ansätze als kampf- und streikfähig erwiesen und damit bewiesen, dass sie dort eine Alternative zum DGB sein können.

Im prekären Sektor gibt es eine Alternative zum DGB

von Peter Nowak*

* Der Autor hat im letzten Jahr im Verlag Edition Assemblage das Buch «Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken» herausgegeben (112 S., 7,80 Euro).

Lehrerjahre sind keine Herrenjahre

Ob Integrationslehrer oder studentische Hilfskraft – Bezahlung und Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich sind oft miserabel. Gewerkschaften und Bildungsarbeiter wollen das ändern.

Zurzeit sind Deutschlehrerinnen und -lehrer sehr gefragt. Schließlich muss seit zehn Jahren jeder Geflüchtete in Deutschland obligatorisch einen Integrationskurs »Deutsch für Zuwanderer« belegen. Doch die Lehrenden klagen über geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen. Von einem Honorar von etwa 20 Euro pro Stunde müssen sie auch ihre Kranken- und Rentenversicherung vollständig selbst finanzieren. Urlaubsgeld erhalten sie nicht. Wenn sie krank sind, müssen sie einen Verdienstausfall hinnehmen. Bei befristeten Verträgen gibt es zudem keinen Kündigungsschutz.

»Integration nicht zum Hungerlohn« hieß deshalb das Motto einer Kundgebung von ungefähr 150 Integrationslehrern vor zwei Wochen vor dem Bundesinnenministerium, zu der die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gemeinsam aufgerufen hatten. Nicht nur in Berlin wächst der Unmut der Lehrenden, die häufig noch mit Hartz IV aufstocken müssen, weil sie zu wenig verdienen. Am 15. März gingen in Osnabrück ebenfalls Integrationslehrer auf die Straße.

Viele Deutschlehrer wollen den ihnen aufgezwungenen Status als Selbstständige loswerden und fordern tariflich bezahlte Arbeitsplätze. »Wir sind keine Unternehmertypen, sondern Lehrer und wollen auch so behandelt werden«, wurde Georg Niedermüller, Mitbegründer der »Initiative Bildung prekär«, im Herbst auf Spiegel Online zitiert. In dieser Initiative haben sich Lehrkräfte verschiedener Richtungen zusammengeschlossen, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne wehren wollen. Das ist auch das Anliegen des „Netzwerkes prekäres Wissen“ , die kürzlich eine Honorartabelle für Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen veröffentlicht. Dazu sammelte sie über 60 typische Beispiele von Honoraren, die Bildungsträger und wissenschaftliche Institutionen in den vergangenen Jahren gezahlt hatten. Sie ermittelte zudem, welcher häufig unbezahlte tatsächliche Arbeitsaufwand für die jeweiligen Aufträge nötig gewesen war, und errechnete so aus dem offiziellen Honorar den tatsächlichen Bruttostundenlohn der meist freiberuflich Tätigen. In über 20 Fällen lag dieser tatsächliche Stundenlohn unter dem Mindestlohn von 8,50 Euro. An der Leipziger Universität und der Freien Universität Berlin (FU) gab es sogar Lehraufträge ganz ohne Bezahlung.

Im Wissenschaftsbereich sind Niedriglohn und schlechte Arbeitsbedingungen, auch im Mittelbau, völlig üblich, wie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) in einer Stellungnahme vom Februar 2016 feststellte. Sie sieht die prekären Arbeitsbedingungen als Folge eines »akademischen Kapitalismus«, der durch eine Unterfinanzierung der Hochschulen und einen verschärften Wettbewerb um Forschungsgelder gekennzeichnet ist.

Auf einer Fachtagung der DGS diskutierten Gewerkschafter und Wissenschaftler Ende Februar über das Thema »Wissenschaft als prekärer Beruf«. Die Bestandsaufnahme war niederschmetternd: So haben die ungefähr 6 000 wissenschaftlichen Hilfskräfte an Berliner Hochschulen seit 2001 keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Das Weihnachtsgeld hat der Berliner Senat 2004 gestrichen. 2011 mussten GEW und Verdi die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ergebnislos abbrechen, weil es nicht gelungen war, den nötigen politischen Druck zu erzeugen. In nächster Zeit wollen beide Gewerkschaften gemeinsam mit politisch engagierten Studierenden aus sämtlichen Berliner Hochschulen einen neuen Anlauf für den Kampf um einen Tarifvertrag nehmen. Als erster Schritt wurde eine Umfrage begonnen, mit der ermittelt werden soll, welche tariflichen Forderungen den studentischen Hilfskräften wichtig sind. Zu Beginn des neuen Semesters sollen verstärkt neue Gewerkschaftsmitglieder geworben werden. Darin sehen beide Gewerkschaften die Voraussetzungen, um eine lange, vielleicht mit Streiks verbundene Tarifauseinandersetzung erfolgreich zu bestehen. Schließlich war es in den achtziger Jahren erst nach einem langen Arbeitskampf möglich, Tarifverträge für studentische Hilfskräfte abzuschließen. Beide Gewerkschaften und die Studierenden sind sich einig, dass die Selbstorganisierung der Hilfskräfte die Grundlage des Erfolgs ist. »Eine solche Kampagne steht und fällt mit der Bereitschaft der studentischen Beschäftigten, sich aktiv einzubringen und gewerkschaftlich zu organisieren«, heißt es auf der Homepage der GEW.

Derweil werden schon Bündnispartner unter den unterschiedlichen prekären Beschäftigtengruppen an den Hochschulen gesucht. Dass nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiter von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind, zeigt der Kampf der Beschäftigten des Botanischen Gartens Berlin gegen Dumpinglöhne und Outsourcing. Ein Teil der Belegschaft arbeitet für die FU, zu der der Garten gehört. Der andere Teil wurde beim Tochterunternehmen »Betriebsgesellschaft für die Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum« angestellt. Beide Gruppen machen die gleiche Arbeit, doch die Ausgegliederten erhalten bis zu 42 Prozent weniger Lohn. Seit über einem Jahr kämpfen Beschäftigte des Botanischen Gartens für das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Mittlerweile haben sie zwei erfolgreiche Warnstreiks organisiert. Weil die Ankündigung so kurzfristig war, konnte die FU die Streikenden nicht ersetzen. So kamen Besucher während des ersten Streiktags in den Genuss des freien Eintritts.

Die Beschäftigten des Botanischen Gartens haben für ihren Widerstand gegen das von der Universitätsleitung favorisierte Outsourcing Unterstützung von einem Bündnis, das von linken Studierendengruppen über die Berliner Gruppe gegen Arbeitgeberunrecht bis zur antikapitalistischen Ini­tiative »Klassenkampfblock« reicht. Kürzlich hat sich ein Solidaritätskreis gegründet, an dem Studierende, studentische Hilfskräfte und Wissenschaftler aus mehreren Berliner Hochschulen beteiligt sind. Denn ein Erfolg im Botanischen Garten wäre auch eine Ermutigung für die prekären Wissenschaftler.

http://jungle-world.com/artikel/2016/12/53713.html

Peter Nowak

Linker Internetpionier wider Willen

Berlin. Zu ihrem 20. Geburtstag hat sich die Onlinezeitung »TREND« unter dem Titel »Programm und Politik« am Wochenende auf einer Konferenz kritisch mit aktuellen Organisierungsansätzen beschäftigt. Über linke Internetprojekte, den Stellenwert von Feminismus und Marxismus und linke Krisentheorien wurde in unterschiedlich besuchten Workshops diskutiert. Die Onlinezeitung hat unfreiwillig eine Pionierfunktion inne: Weil die Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) 1995 die Finanzierung ihrer Kreuzberger Mitgliederzeitung TREND einstellte, führten die RedakteurInnen das Projekt ab Januar 1996 Online. Damit wurde TREND das erste linke deutschsprachige publizistische Projekt im Internet. dasnd.de/TREND

http://www.neues-deutschland.de/artikel/1000300.linker-internetpionier-wider-willen.html?sstr=trend|onlinezeitung

Peter Nowak

Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn

Die Auseinandersetzung migrantischer Arbeiter der „Mall of Berlin“ für ihren Lohn und ihre Würde geht weiter

„Sie haben die Arroganz der Macht, doch sie haben nicht mit unserer Bereitschaft zum Widerstand gerechnet. Was das Aufgeben betrifft, da haben sie bei uns keine Chance.“ Die knapp 200 TeilnehmerInnen der Demonstration „Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn“ brechen in Applaus aus, als einer der rumänischen Kollegen spricht, die um ihren Lohn kämpfen (DA berichtete). Ein Stundenlohn von sechs Euro sowie Kost und Logis war ihnen versprochen worden. Der Betrag ist wesentlich niedriger als der im Baugewerbe gültige Mindestlohn. Aber selbst dieser Niedriglohn wurde den Bauarbeitern vorenthalten.

Im Oktober 2014 hatten sie sich zunächst an den DGB Berlin-Brandenburg gewandt. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, auf und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Andere beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten, und wollten weiter gehen. Erst, als sich die verbliebenen Bauarbeiter an die FAU wandten, begann die Öffentlichkeitsarbeit. „Mall of Berlin – auf Ausbeutung gebaut“ lautete die Parole. Der von der FAU kreierte Begriff „Mall of Shame“ hat sich mittlerweile im Internet verbreitet. Der gesellschaftliche Druck hatte bisher nicht ausgereicht, um zu bewirken, dass der Generalunternehmer und seine Subunternehmen die ausstehenden Löhne bezahlten. Dabei handelte es sich um einige Tausend Euro. Für die Unternehmen sind es Beträge aus der Portokasse. Für die betroffenen Bauarbeiter und ihre Familien in der Heimat ist das Geld existenziell. Anfang April hatten zwei der Bauarbeiter einen juristischen Etappensieg errungen. Das Berliner Arbeitsgericht bestätigte die Forderungen von Nicolae Molcoasa und Niculae Hurmuz. Das beklagte Subunternehmen war nicht zur Verhandlung erschienen und hatte auch keinen Anwalt geschickt. So musste das Gericht der Klage stattgeben. Doch wenige Tage später ging ein Anwalt des Unternehmens in Berufung – jetzt müssen die Arbeiter weiter auf ihren Lohn warten. Im August sind die nächsten Prozesse vor dem Arbeitsgericht angesetzt. Trotz aller Schwierigkeiten betonen die betroffenen Arbeiter, wie wichtig es für sie war, gemeinsam mit der FAU um ihren Lohn zu kämpfen. Nur ein Teil der Betroffenen kann die Auseinandersetzung jetzt noch in Berlin führen. Andere mussten wieder nach Rumänien zurück oder haben in einer anderen Stadt Arbeit gefunden. Die Kollegen, die bis heute durchgehalten haben, berichten auch über die vielen Schwierigkeiten. Zu Beginn ihres Kampfes hatten sie weder Geld noch Unterkunft. Die FAU kümmerte sich um Essen und Obdach. Wenn sie auch nach sechs Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische ArbeiterInnen in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. Denn der Fall der rumänischen Bauarbeiter ist keine Ausnahme. „Es gibt viele solcher Fälle. Aber leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren“, meint eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebenden Romajugendlichen, auf der Demonstration. Das Leben von vielen Arbeitsmigranten aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Das erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierungen am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen. Zudem fehlt es den Betroffenen oft an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet. Nicht, dass sie in überteuerte Schrottwohnungen leben müssen, wird skandalisiert, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passen. Es gibt also genug zu tun für eine kämpferische Organisation wie die Foreigners Section der FAU. Sie ist mittlerweile zum Anlaufpunkt für KollegInnen aus den verschiedenen Ländern geworden, die in Deutschland um ihren Lohn oder um bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

aus:  Direkte Aktion 230 – Juli/August 2015

https://www.direkteaktion.org/230/sechs-monate-kampf-und-noch-immer-kein-lohn

Peter Nowak

Wer streikt, hat Recht

Bald finden die ersten Lesungen des Tarifeinheitsgesetzes im Bundestag statt. Unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht« planen Gewerkschafter den Protest gegen das Gesetz

Im November konnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland stehe kurz vor einer Revolution. Zumindest, wenn man die Reaktionen vieler Medien und konservativer Politiker zum Maßstab nahm, als das in der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer (GDL) organisierte Bahnpersonal für einige Tage die Arbeit niedergelegt hatte. Kaum zeigt ein Streik Wirkung, wird hierzulande vor einem Missbrauch des Streikrechts gewarnt und nach dem Gesetzgeber gerufen. Nach dem Ende des GDL-Streiks geht das gesetzliche Prozedere zur Einschränkung des Streikrechts, das unter dem Namen Tarifeinheit schon lange vor dem Streik des Bahnpersonals auf den Weg gebracht wurde, weiter. Anfang März ist die erste Lesung des geplanten Gesetzes zur Tarifeinheit im Bundestag vorgesehen. Für den 23. März ist die öffentliche Anhörung im Bundestagsausschuss »Arbeit und Soziales« geplant. Kurz darauf sollen bereits die zweite und dritte Lesung stattfinden.

Ende Januar trafen sich in Kassel etwa 50 linke Gewerkschafter und Unterstützer zu einer Konferenz, die unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht – für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit!« stattfand. In den Redebeiträgen der Teilnehmer wurde vor allem betont, dass das Streikrecht ein Grundrecht sei und es sich bei jeder Einschränkung um eine Grundrechtsverletzung handele. Diese Argumentation findet sich auch in dem Aufruf »Juristen gegen das Tarifeinheitsgesetz«, der von dem Hamburger Rechtsanwalt Rolf Geffken initiiert wurde. Im Aufruf wird festgestellt, dass mit dem Tarifeinheitsgesetz gleich mehrere Grundrechte verletzt werden. Eine solche Argumentation mag bei einer Prüfung des Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht wichtig sein, zur Mobilisierung von Widerstand, um dieses Gesetz zu verhindern, trägt der Verweis auf das Grundgesetz aber wohlkaum bei. Da wäre eine transnationale Solidarität der Gewerkschaften in Europa, die sich von Standortnationalismus und Sozialpartnerschaft abgrenzt, wohl der bessere Weg. Auf der Konferenz in Kassel wurde die transnationale Dimension des Angriffs auf das Streikrecht angesprochen. »Was aktuell in der Bundesrepublik noch in der Planungsphase ist, ist in anderen westeuropäischen Ländern teilweise schon Realität«, sagte ein Konferenzteilnehmer.

Das Streikrecht und die Zulässigkeit anderer Protestformen werden insbesondere für Basisgewerkschaften immer mehr eingeschränkt. Damit würden Grundlagen für die Kriminalisierung und die politische Verfolgung geschaffen, hieß es auf der Konferenz. Als Beispiel wurde das in Spanien im Dezember vorigen Jahres in Kraft getretene Gesetz »zur Sicherheit der Bürger« genannt, das von der Opposition als »ley mordaza« (Knebelgesetz) bezeichnet wird, weil es das Recht auf freie Meinungsäußerung auf der Straße stark einschränkt. Mitte Januar wurden fünf Bergarbeiter aus Asturien nach diesem Gesetz zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie wurden beschuldigt, im vorigen Jahr mit militanten Streikaktionen gegen die Schließung der Bergwerke protestiert zu haben. Ebenfalls Mitte Januar erhielt in Spanien der 21jährige Gewerkschafter Alfonso Fernández Ortega eine Haftstrafe von vier Jahren. Er wurde beschuldigt, auf dem Weg zum Generalstreik in einem Rucksack Explosivstoffe mitgeführt zu haben. Alfon, wie der Angeklagte von der Solidaritätsbewegung genannt wird, bestreitet die Vorwürfe, seine Fingerabdrücke wurden nicht auf dem Rucksack gefunden. Bereits vor einem Jahr wurden in Spanien Gewerkschafter zu Haftstrafen verurteilt, weil sie beim Generalstreik im März 2012 als Streikposten tätig waren.

Auf der Konferenz wurde auch deutlich, wie gespalten der DGB in der Frage der Tarifeinheit mittlerweile ist. Das kann man schon als Erfolg der Gegner des Gesetzes werten, schließlich ging die erste Initiative für eine Tarifeinheit im Jahr 2011 aus der Kooperation des DGB mit dem Bund Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) hervor. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi distanzierte sich wegen des Protests der Basis als erste DGB-Gewerkschaft von der Tarifeinheitsinitiative. Sie begründete diesen Schritt auch damit, dass Verdi in manchen Betrieben mittlerweile die Minderheitsgewerkschaft darstellt und sich damit selbst schwächen würde. Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass nur noch die Gewerkschaft, die in einem Betrieb die meisten Mitglieder hat, Tarifverträge aushandeln darf.

Der Vorstand der IG Metall propagiert hingegen weiterhin das Tarifeinheitsgesetz. »Gewerkschaftskonkurrenz schwächt nicht nur die betriebliche Interessenvertretung – sie schwächt die Gewerkschaftsbewegung insgesamt. Deshalb unterstützt die IG Metall den vorgelegten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit«, heißt es auf der Homepage der IG Metall. Als Negativbeispiel wird das Agieren von Verdi angeführt, die Dienstleistungsgewerkschaft konkurriert in einigen Branchen mit der IG Metall um Mitglieder. Auch zwischen anderen DGB-Gewerkschaften wie der IG Bau und der IG Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE) ist ein Kampf um die Mitglieder entbrannt. Dass DGB-Gewerkschaften nun den Gesetzgeber einschalten, um die Konkurrenz durch andere, unter dem Dach des DGB organisierte Gewerkschaften klein zu halten, ist ein Novum. Zur innergewerkschaftlichen Solidarität dürfte es kaum beitragen.

Allerdings wurde auf der Konferenz in Kassel deutlich, dass der Kurs der IG Metall auch von einigen ihrer Mitglieder abgelehnt wird. Vertreter dieser Opposition innerhalb der IG Metall waren auch in Kassel vetreten. Sie beklagten, dass die Kritiker des Tarifeinheitsgesetzes es schwer hätten, sich in der Organisation Gehör zu verschaffen. So übe die Leitung der IG Metall Druck auf Bildungssekretäre und Funktionäre aus, in keiner Betriebsversammlung und in keinem Bildungsseminar das Tarifeinheitsgesetz zur Debatte zu stellen. Bei der Delegiertenversammlung der IG Metall in Köln sei es gelungen, über das Gesetz zu diskutieren. Eine mehrheitliche Ablehnung durch die Delegierten sei die Konsequenz gewesen, berichteten sie in Kassel.

Im März plant das Solidaritätskomitee mehrere Aktionen für die Erhaltung des Streikrechts, etwa eine zentrale Veranstaltung in Berlin oder rund um die »Blockupy«-Aktionstage in Frankfurt. In den kommenden Wochen soll es entsprechende Plakate, Flugblätter und Aufrufe unter dem Motto »Hände weg vom Streikrecht – für die gewerkschaftliche Aktionsfreiheit« geben. Mehrere Konferenzteilnehmer kündigten an, ihre Arbeit auch fortzusetzen, wenn es nicht gelinge, das Tarifeinheitsgesetz zu verhindern. Man wolle sich in diesem Fall darauf konzentrieren, die Umsetzung des Gesetzes zu verhindern. Angesichts der geringen Solidarität für Gewerkschafter, die in Ländern wie Spanien von Repression und Kriminalisierung betroffen sind, kann man bei solchen Ankündigungen skeptisch bleiben. Auch die Einschränkungen gewerkschaftlicher Grundrechte, die es hierzulande bereits ohne das Tarifeinheitsgesetz gibt, haben bisher keine großen Proteste zur Folge gehabt. Das muss derzeit die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) erfahren. Sie vertritt seit mehreren Wochen acht rumänische Bauarbeiter, die beim Bau der Mall of Berlin mitgearbeitet hatten und weiterhin auf ihren Lohn warten. Der ehemalige Generalunternehmer der Mall of Berlin, Andreas Fettchenhauer, setzte eine einstweilige Verfügung gegen die FAU-Berlin durch. Die darf nun nicht mehr behaupten, mit seiner Firma in einem Arbeitskampf zu stehen. Bei Zuwiderhandlung droht der FAU ein Ordnungsgeld in Höhe von 250 000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft für den Gewerkschaftssekretär.

http://jungle-world.com/artikel/2015/06/51372.html

Peter Nowak

»Mit der Räumung nicht einverstanden«

Eine Woche lang hielten Flüchtlinge die Zentrale des DGB Berlin-Brandenburg in Berlin-Schöneberg besetzt. Nach dem Ablauf eines Ultimatums erstattete die Gewerkschaft in der vergangenen Woche Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die etwa 20 Besetzer und ließ das Gebäude von der Polizei räumen. Dabei wurden zwei Flüchtlinge verletzt. Anna Basten arbeitet im Arbeitskreis »Undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi, der Lohnabhängige unabhängig vom Aufenthaltsstatus berät. Sie hat mit der Jungle World gesprochen und gibt im Interview nur ihre persönliche Meinung wieder.

Small Talk von Peter Nowak

Verlieren undokumentiert arbeitende Menschen angesichts der Räumung nicht das Vertrauen in die Gewerkschaften und in Ihren Arbeitskreis?

Das fragen wir uns auch. Zurzeit haben wir hier noch keine Antwort, wie sich die Räumung auf unsere Arbeit auswirkt.

Sehen Sie in dem Geschehen generell einen Rückschlag für die flüchtlingspolitische Arbeit der Gewerkschaften?

Auf jeden Fall. Wir sind mit der Räumung überhaupt nicht einverstanden und waren auch nicht in die Entscheidung eingeweiht. Einige Mitglieder unseres Arbeitskreises haben die Flüchtlinge besucht und standen mit einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DGB in Kontakt. Es gab aber keine offizielle Kontaktaufnahme des DGB-Vorstands mit uns.

Es gibt gewerkschaftsinterne Kritik am DGB-Vorstand. Können solche Diskussionen noch etwas bewirken, wenn derart drastisch vorgegangen wurde?

Die Diskussionen müssen für eine Positionierung der Gewerkschaften in der Flüchtlingsfrage genutzt werden. Dabei müsste die Gewerkschaftsmitgliedschaft von Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in den Mittelpunkt gerückt werden. Schließlich wurden im vergangenen Jahr bereits 300 Flüchtlinge bei Verdi aufgenommen.

In der Vergangenheit wurde die Mitgliedschaft von Flüchtlingen unabhängig vom Aufenthaltsstatus meist mit Verweis auf die Satzung abgeblockt. Scheitern solche Forderungen weiterhin an gewerkschaftlichen Satzungsfragen?

http://jungle-world.com/artikel/2014/41/50701.html

Interview: Peter Nowak

Gewerkschafter kritisieren DGB

FLÜCHTLINGE Die Räumung der Zentrale sei ein „völlig falsches Signal“ gewesen, so der Tenor eines Aufrufs

Die Räumung einer Gruppe von Flüchtlingen aus der Berliner DGB-Zentrale durch die Polizei in der vergangenen Woche sorgt für Unmut unter Gewerkschaftern. „Die tagelange Belagerung des DGB-Hauses durch mehr als 20 Flüchtlinge und ihre Sympathisanten hat viele Beschäftigte im Hause an die Grenze der Belastbarkeit gebracht“, hatte der Sprecher des DGB Berlin-Brandenburg, Dieter Pienkny, die Einschaltung der Polizei begründet. Die Studentin Ines Schwerdtner und der Lehrer Micah Brashear von der Jungen GEW Berlin haben für diese Argumentation indes kein Verständnis: „Die Flüchtlingsgruppe hat sich nur in einem Stockwerk des Gewerkschaftsgebäudes aufgehalten und in der Lounge und in dem Foyer des DGB-Hauses geschlafen“, kritisieren sie das Vorgehen in einer Stellungnahme.

Nach Angaben der JunggewerkschafterInnen wollen sich KritikerInnen des Polizeieinsatzes, die im DGB-Haus arbeiten, nur anonym äußern, weil sie unter Druck ständen. Hingegen drücken viele haupt- und ehrenamtliche Mitglieder verschiedener Einzelgewerkschaften, die im DGB zusammengeschlossen sind, offen ihren Protest gegen die Räumung aus. „Nicht in unserem Namen – Refugees welcome!“, lautet die Überschrift des Aufrufs, der bereits von einigen hundert GewerkschafterInnen unterschrieben wurde. Die Räumung wird darin als „völlig falsches Signal“ bezeichnet.

Solidaritätskonferenz

Die GewerkschafterInnen wol- len die aktuelle Diskussion nutzen, damit sich der DGB und die in ihm zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften auf Seite der Flüchtlinge positionieren. So soll rasch eine Konferenz zur gewerkschaftlichen Solidarität mit den Geflüchteten organisiert werden. Außerdem soll jenen die Gewerkschaftsmitgliedschaft ermöglicht werden. Anna Basten vom „AK Undokumentiertes Arbeiten“, die im Ver.di-Büro Lohnabhängige unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus berät, verweist auf den Hamburger Ver.di-Sekretär Peter Bremme. Er hatte 2013 rund 300 Geflüchteten die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ermöglicht. Eine Abmahnung des Ver.di-Bundesvorstandes gegen ihn wurde nach Protesten zurückgenommen. Für die linke Gruppe Ver.di-Aktiv ist eine solche Initiative auch in Berlin überfällig. „Damit würden die Gewerkschaften deutlich machen, dass sie die Ausgrenzungspolitik nicht mittragen“, sagte ein Mitglied der Ver.di-Basisgruppe bei der BVG.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F07%2Fa0141&cHash=6972b0dbc68e19fd48640a53102d04fa

Peter Nowak

Gegen das Arbeitnehmerpatriarchat

Über eine etwas verkürzte Geschichte der DGB-Frauen von Sibylle Plogstedt
„Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: Der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren“, hieß es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März 2013. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB-Bundesvorstand verhindern, dass sich gewerkschaftliche Frauen an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war nach 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei, lautete die Begründung. Nachdem örtliche gewerkschaftliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der BesucherInnen gewachsen war, beschloss der DGB, eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren. Dabei war man aber bemüht, eine neue Geschichte dieses Tages zu kreieren. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Zetkins Rolle in der Durchsetzung des 8. März’ als Kampftag der proletarischen Frauenbewegung wurde einfach ausgeblendet. Diese heute weitgehend vergessenen Querelen um den 8. März im DGB finden sich dankenswerterweise in dem von Sibylle Plogstedt verfassten Buch „Wir haben Geschichte geschrieben“ wieder. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage. Die hatte, anders als die heute bekanntere Emma, schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht.
Kein Geld für Geschichte
Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistet Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt im Detail nachweist. Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen sie nicht mehr unter der Ägide einer CDU-Frau. Die Ära von Maria Weber war beendet. Dass für mehr als vier Jahrzehnte ein CDU-Mitglied für dieses Amt zuständig war, ist keineswegs der Wille der DGB-Frauen gewesen. Vielmehr zeigt Plogstedt, wie die sich anfangs dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte zwei „Minderheiten“ auf einem Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft, wie sie die DGB-Spitze verstand, berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. „Frauen durften nur im Rahmen der allgemeinen Konferenzen des DGB entscheiden, aber die Bundesfrauenkonferenz selbst war dort nicht antragsberechtigt“ (S. 95), beschreibt Plogstedt das Dilemma. Die Erwartungen des männlichen DGB-Vorstands formulierte Kollege Karl auf der ersten Frauenkonferenz des DGB: „Ich bitte Sie Ihre Anträge und Wünsche so zu formulieren und zu adressieren, dass über ihre Konferenz nachträglich nicht ungünstig beurteilt wird“ (S. 95). Folge dieser bürokratischen Eingriffe: „Beim zweiten DGB-Kongress verstummten die Frauen“ (S. 103). Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei den Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der DGB-Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 60er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Katholikin Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.
Abqualifizierung linker GewerkschafterInnen
Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann. Man entdeckt dort manche lange vergessene Episode der DGB-Geschichte und stößt auf manche zu Unrecht vergessene Diskussion. So wird an Claudia Pinls 1977 erschienene Schrift „Das Arbeitnehmerpatriarchat“ erinnert, die präzise die antifeministischen Strömungen in den männlichen DGB-Funktionärsetagen beschrieb. Manche Gewerkschafterin bemerkte schon launig, dass das Ausmaß des gewerkschaftlichen Antifeminismus größer sei als die Abwehr gegenüber Frauen in bürgerlichen Organisationen. Es ist Plogstedts Verdienst, in ihrem Buch an diese Debatten zu erinnern. Allerdings sollten auch die kritischen Punkte in ihrem Buch nicht vergessen werden.
Mit der Konzentration auf die Organisationsgeschichte kommt die gewerkschaftliche Basisbewegung, die immer auch von vielen aktiven Frauen getragen wurde, deutlich  zu kurz. So wird beispielswiese Fasia Jansen, die im Ruhrgebiet jahrzehntelang viele gewerkschaftliche Kämpfe begleitet hat, darunter die Streiks für die 35-Stunden-Woche, wird in dem Buch gar nicht erwähnt.
Immerhin wird in einem kleinen Kapitel auf die Streiks der Heinze- und Pierburg-Frauen für gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit hingewiesen.
Könnte die Konzentration auf die gewerkschaftliche Organisationsgeschichte vielleicht auch damit zu tun haben, dass in den Streikbewegungen auch KommunistInnen oder LinkssozialistInnen aktiv waren? Denn die werden im Buch entweder gar nicht oder nur negativ erwähnt. Das zeigte sich an Plogstedts Darstellung Kaltstellens  der Gewerkschaftssekretärin Karin Roth. Die spätere SPD-Spitzenfunktionärin Anke Fuchs brachte die Gründe gut auf den Punkt: „Karin Roth wollte zu meiner Zeit bei mir eingestellt werden. Die war mir aber zu links. Die habe ich nicht genommen“ (S. 376). Plogstedt teilt die Ansicht von Fuchs und anderen Roth-KritikerInnen: „Roth zählte damals zu den Hoffnungsträgerinnen der traditionellen Linken in der IG-Metall. Kaum jemand war so umstritten wie sie“ (S. 376). Der Terminus traditionelle   Linke war damals zu einem Kampfbegriff geworden, mit den GewerkschaftsmitgliederInnen bezeichnet wurden, die für eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik   eintraten und dabei auch zu  Bündnisse mit Gruppierungen links von der SPD bereit waren.  Dazu gehörte Karin Roth, die  seit 1972 SPD-Mitglied war,    in den 80er Jahren aber noch enge Kontakte auch zu linken Initiativen außerhalb der SPD hatte. Erst in den 90er Jahren trat  auch Karin Roth  den  Marsch  durch  sozialdemokratische Organisationen  an, war für   einige Jahre  Senatorin in Hamburg und danach Staatssekretärin in der rot-grünen Bundesregierung.
Plogstedt zeigt in ihrer Geschichte der DGB-Frauen auch, welch eingeschränktes Verständnis von Einheitsgewerkschaft in der Funktionärsetage von Anfang an dominierte. Während in der Gestalt von Maria Weber die christdemokratische und christsoziale Komponente auf der Führungsebene in einer Person vertreten war, galten LinksozialistInnen oder gar KommunistInnen als Kräfte von außen, die die Gewerkschaften vereinnahmen wollten und daher bekämpft werden müssen. Dass sie genauso Teil der Einheitsgewerkschaft DGB sein könnten wie Sozial- und ChristdemokratInnen, kam der DGB-Führung gar nicht in den Sinn und Plogstedt teilt diese Lesart weitgehend. So hat Plogstedt neben der Geschichte der DGB-Frauen auch eine Geschichte des DGB-Apparates geschrieben, die man kritisch lesen sollte.

express-Ausgabe 7-8/2014

http://www.express-afp.info/newsletter.html
Peter Nowak
Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen (1945- 1990), Psychosozial-Verlag, Gießen 2013, 519 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978-3-83792318-6

Ein langer Weg zum Frauenkampftag

Sibylle Plogstedt legte eine lesenswerte Geschichte der DGB-Frauen vor

Der Weg zur Emanzipation der DGB-Frauen in der eigenen Organisation war ein steiniger. Bürokratische Hindernisse und ideologische Differenzen galt es zu überwinden.

»Trotz aller gesellschaftlichen Fortschritte: der Internationale Frauentag hat seine Existenzberechtigung nicht verloren«, heißt es in einer Erklärung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg zum 8. März. Das war nicht immer so. 1980 wollte der DGB- Bundesvorstand durchsetzen, dass sich gewerkschaftliche Frauen nicht an den Aktionen zum 8.März beteiligen. Schließlich werde der in der DDR gefeiert und Clara Zetkin, die als wichtige Initiatorin gilt, war Mitglied der Kommunistischen Partei. Nachdem örtliche Initiativen die Vorstandsanweisung ignorierten und die Zahl der Besucherinnen gewachsen war, beschloss der DGB eigene Aktionen zum 8. März zu organisieren.

Dabei war man aber bemüht, den Tag von Clara Zetkin zu trennen. Ein historisches Gutachten machte darauf aufmerksam, dass der Anlass für den Internationalen Frauentag ein Streik von Textilarbeiterinnen in den USA gewesen ist. Die heute weitgehenden vergessenen Querelen um den 8. März im DGB verdanken wir dem Buch »Wir haben Geschichte geschrieben«, dass Sibylle Plogstedt herausgegeben hat. Die Autorin war als undogmatische Linke in der außerparlamentarischen Bewegung aktiv und Mitbegründerin der Frauenzeitung Courage.

Die hatte anders als die heute bekanntere Emma schon früh Kontakte auch zu Frauen in der Gewerkschaftsbewegung gesucht. Mit ihrer Geschichte der Frauen im DGB leistete Plogstedt Pionierarbeit. Dabei hatten die DGB-Frauenausschüsse bereits 1980 den Beschluss gefasst, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Allerdings verfügte die Frauenabteilung über keinen eigenen Etat. Diese Episode ist durchaus symptomatisch für den Umgang des DGB-Apparates mit der eigenständigen Organisation der Frauen, wie Plogstedt nachweist.

Sie geht chronologisch vor und beschreibt die Geschichte der gewerkschaftlichen Frauen von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Jahr 1990. Dieses Jahr ist tatsächlich auch für die DGB-Frauen eine Zäsur. Erstmals stehen die DGB-Frauen nicht mehr unter der Ägide von CDU-Frauen. Dass mehr als vier Jahrzehnte Mitglied von CDU/CSU für dieses Amt zuständig waren, ist allerdings nicht der Wille der DGB-Frauen gewesen.

Vielmehr zeigt Plogstedt auf, wie die sich sogar dagegen wehrten. Doch der männlich geprägte DGB-Vorstand wollte in ihren Augen zwei Minderheiten in einen Posten unterbringen: Frauen und CDU/CSU-Mitglieder mussten in den Führungsgremien einer Einheitsgewerkschaft berücksichtigt werden. Die dagegen aufbegehrenden Frauen wurden vom zuständigen Sekretär brüsk zurückgewiesen. Plogstedt beschreibt die Folgen dieser bürokratischen Eingriffe. Viele in der unmittelbaren Nachkriegszeit aktive DGB-Frauen meldeten sich bei Gewerkschaftskongressen kaum noch zu Wort. Der Konflikt innerhalb der Frauengremien spitzte sich erst Mitte der 1960er Jahre wieder zu. Während dort eine Mehrheit für eine Reform des Abtreibungsrechts votierte, lehnte es die Christsoziale Maria Weber aus Gewissensgründen ab, den Beschluss nach Außen zu vertreten.

Sibylle Plogstedt hat eine Organisationsgeschichte der Frauen im DGB geschrieben, die man ohne historisches Vorwissen lesen kann und sollte. Eine ähnliche Geschichte des FDGB wäre wünschenswert, denn der wird in dem Buch recht undifferenziert abqualifiziert.

Sibylle Plogstedt, Wir haben Geschichte geschrieben, Zur Arbeit der DGB-Frauen 1945- 1990, Psychosozial-Verlag, 519 Seiten, 19,90 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926159.ein-langer-weg-zum-frauenkampftag.html

Peter Nowak

Ein Kurier von ganz weit rechts

Der hessische CDU-Politiker Hans-Jürgen Irmer ist bekannt für seine rechtsextremen Ansichten. Dennoch wurde er erneut zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag ernannt. Dagegen protestieren nun Gewerkschaften und Schüler.

„Ein Mensch kann dauerhaft in zwei Welten leben. (…) Entweder man ist Deutscher oder Türke.« »Es reicht – gegen Zwangsarbeiterentschädigung.« »Es wird Zeit, dass wir das Büßergewand, in das wir 50 Jahre gezwängt waren, ausziehen.« »Herr Bubis sollte sich (…) einmal sachkundig machen, wie in Israel die Frage der Staatsbürgerschaft geregelt ist.«

Ihrer Diktion nach könnten diese Zitate in der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit oder auch in der neonazistischen Deutschen Nationalzeitung veröffentlicht worden sein. Doch es handelt sich um eine kleine Auswahl einschlägiger Zitate aus dem Wetzlar Kurier, einem regionalen Anzeigenblatt aus Hessen. Sie erschienen im Zeitraum zwischen 1998 und 1999. Man ist sich treu geblieben: In der aktuellen Ausgabe befürworten Schreiber und Herausgeber des Blatts ein »Europa der Vaterländer« und sorgen sich wegen des vermeintlichen »Asylmissbrauchs und der Einwanderung in die Sozialsysteme«.

Der Wetzlar Kurier wird von dem langjährigen hessischen CDU-Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer herausgegeben. Die rechtskonserva­tiven bis extrem rechten Ansichten, die in seinem Blatt vertreten werden und mit denen er sich auch gern selbst darin zitieren lässt, sind in der hessischen Union keinesfalls eine Gefahr für die Karriere. Erst vor wenigen Wochen wurde Irmer wieder zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion gewählt. Den Posten hatte er bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode inne. Nach scharfer Kritik an seinen politischen Ansichten war er jedoch zurückgetreten.

Obwohl der CDU-Politiker sich von keiner seiner Äußerungen distanziert hat, wurde er nun wieder auf den Posten gewählt. Der grüne Koalitionspartner der CDU schweigt zu der Personalie. Dabei war Irmer in den vorigen Legislaturperioden noch von SPD, Linkspartei und Grünen kritisiert worden. So sorgte Irmer 2004 für einen bundesweiten Skandal, als er den damaligen Fraktionsvorsitzenden der hessischen Grünen, Tarek al-Wazir, im Landtag mit seinem vollen Namen Tarek Mohamed al-Wazir nannte, wie es damals auch im Wetzlar Kurier üblich war, um nahezulegen, dass al-Wazir Muslim sei und in Deutschland eigentlich nichts verloren habe.

Mittlerweile ist al-Wazir Minister einer schwarz-grünen Koalition in Hessen und schweigt zur Irmers Äußerungen. Die Grüne Jugend Hessens bleibt hingegen bei ihrer Kritik. »Irmer fällt seit Jahren durch rechtspopulistische Aussagen negativ auf und betreibt mit dem Wetzlar Kurier eine populistische Zeitung. Zuletzt hatte die rechte Junge Freiheit im Wetzlar Kurier inseriert. Eine solche Person hat nichts mit der von Schwarz-Grün angekündigten ›Willkommenskultur‹ zu tun; sie darf keine so relevanten Ämter innehaben«, schreibt sie in einer Pressemitteilung. Ob sie allerdings aus ihrer Kritik die Konsequenzen zieht und Irmer zukünftig als Gesprächspartner ablehnen wird, erschließt sich aus der Erklärung nicht.

Da war der hessische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) konsequenter. Er lehnt Irmer als Gesprächspartner ab und fordert die Union auf, eine andere Person für das Amt zu benennen. »Abgeordneter Irmer vertritt seit Jahren immer wieder rechtsextremes Gedankengut. Die GEW hat deshalb bereits im Jahr 2010 die CDU-Fraktion des Hessischen Landtags aufgefordert, ihr einen anderen Gesprächspartner für den Bildungsbereich zu benennen. Als dies nicht geschah, haben wir damals die Gespräche mit ihm eingestellt«, äußerte kürzlich der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel.

Damit unterstützt die GEW auch eine Initiative der Interessenvertretung der hessischen Schüler. »Der Landesschülerrat verurteilt die rechtspopulistischen Aussagen des Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer und stellt jegliche Korrespondenz mit dem aktuellen bildungspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im hessischen Landtag ein. Weiterhin fordern wir die CDU-Fraktion des hessischen Landtages auf, uns einen neuen Gesprächspartner zu benennen«, heißt es in einer kürzlich veröffentlichten Pressemitteilung der Schülervertretung. »Der Landesschülerrat will mit dem einstimmigen Beschluss dieses Antrages ein klares Zeichen gegen die Wahl von Herrn Irmer zum bildungspolitischen Sprecher der CDU-Frak­tion setzen. Es geht nicht darum, bestimmte Themen in der gesellschaftlichen Debatte zu verbieten. Allerdings ist es ein großer Unterschied, ob man Ängste der Bevölkerung aufgreift und diskutiert, oder ob man sie missbraucht«, sagt der hessische Landesschulsprecher, Armin Alizadeh. Er weist darauf hin, dass Irmer auch auf bildungspolitischem Gebiet mit diskriminierenden Äußerungen aufgefallen sei. So habe der Politiker noch 2010 im Wetzlar Kurier die Prügelstrafe an Schulen verharmlost. 2012 musste er als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion zurücktreten, weil er die Einführung des Islamunterrichts an hessischen Schulen ablehnte. Damit hatte er sich auch gegen die offiziellen Beschlüsse seiner eigenen Partei gewandt.

Allerdings will die Schülervertretung trotz der Kritik an Irmer weiterhin mit der CDU-Fraktion im Gespräch bleiben und fordert deshalb einen anderen Gesprächspartner. Die Partei hat bislang nicht darauf reagiert. Auf die Forderung der GEW, Irmer durch einen anderen CDU-Politiker zu ersetzen, reagierten führende hessische CDU-Politiker mit Ablehnung. Man lasse sich keine Vorschriften bei der Personalpolitik machen, sagte der Sprecher der hessischen CDU-Fraktion, Christoph Weirich.

Dass die CDU-Fraktion Irmer in Kenntnis seiner politischen Ansichten wieder zum bildungspolitischen Sprecher gewählt hat, macht deutlich, dass der in der hessischen CDU seit den Zeiten des Landesvorsitzenden Alfred Dregger starke rechtskonservative Stahlhelmflügel zwar an Einfluss verloren hat, aber immer noch Macht besitzt. Die hessische CDU ist beispielsweise weiterhin die politische Heimat der Vertriebenenpolitikerin Erika Steinbach, während der Publizist und ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, dem hessischen Landesverband der CDU bereits 2008 den Rücken gekehrt hat und in den saarländischen Landesverband eingetreten ist. So wird verständlich, wie ein Politiker wie Irmer in dieser Partei weiter Karriere machen kann.

Bereits 2004 bezeichnete Spiegel Online ihn als »Roland Kochs zweiten Fall Hohmann«. Damals war Irmer mit der Äußerung aufgefallen, den damaligen EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) müsse man wegen Hochverrats an Deutschland anzeigen. Auch für den wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU ausgeschlossenen Fuldaer Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann hatte Irmer Partei ergriffen. Gemeinsam mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Clemens Reif kritisierte Irmer die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel, weil sie Hohmanns Parteiausschluss vorangetrieben hatte. Es sei Zeit, dass die Deutschen unverkrampft an ihre eigene Geschichte herangingen, befanden beide Abgeordnete. Die Unterstützung beruhte auf Gegenseitigkeit. Man wolle Irmer »mit Hilfe der Faschismuskeule und unterstellter Ausländerfeindlichkeit fertigmachen«. Dabei habe er nur »dem Volk aufs Maul geschaut«, sagte Hohmann 2004 Spiegel Online

http://jungle-world.com/artikel/2014/09/49404.html

Peter Nowak

Schüler streiken für Flüchtlinge

Links

[1]

http://refugeeschulstreik.wordpress.com/

[2]

http://asylstrikeberlin.wordpress.com

[3]

https://www.berlin.de/sen/inneres/

[4]

http://www.spiegel.de/schulspiegel/schueler-demo-fuer-lampedusa-fluechtlinge-in-hamburg-a-938684.html

[5]

http://www.gew-berlin.de

[6]

http://www.gew-berlin.de/10165_10397.php

[7]

http://www.abgeordnetenwatch.de/hans_juergen_irmer-487-43363.html

[8]

http://www.fr-online.de/rhein-main/wegen-islam-aeusserungen-gew-redet-nicht-mehr-mit-irmer,1472796,4461028.html

[9]

http://www.lsv-hessen.de

[10]

http://www.lsv-hessen.de/news/pressemitte

[11]

http://www.fr-online.de/landtagswahl-in-hessen—hintergrund/cdu-fraktion-hessen-irmer-rueckt-wieder-nach-vorne,23897238,2

[12]

http://www.dgb-jugend-bb.de/

[13]

http://www.dgb-jugend-bb.de/home/aktuelles/172-streik-fuer-die-rechte-von-gefluechteten-refugee-schul-und-unistreik-in-berlin-am-1322014-.html

[14]

http://refugeeschulstreik.wordpress.com/2014/02/10/solidaritatsaufruf-von-gewerkschafterinnen-solidaritat-mit-den-fluchtlingen-keine-raumung-des-oranienplatzes

[15]

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2013/11/lampedusa_hh_adverdi.pdf

[16]

http://www.labournet.de/interventionen/asyl/antirassistische-ini/fluchtlinge-und-ver-di-am-bsp-lampedusa-in-hamburg/

Reichensteuer für die Bildung

Peter Nowak über die Finanzierung von Bildung

Kaum jemand wird bestreiten, dass das Bildungssystem in Deutschland chronisch unterfinanziert ist. Eine Woche vor der Bundestagswahl hatte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Gegenkonzept vorgelegt und eine Reichensteuer für die Bildung vorgeschlagen. Rund 40 Milliarden Euro sollen nach ihrem Konzept in die Bildung fließen, um Reformen umzusetzen und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern. Zur Gegenfinanzierung schwebt der GEW ein steuerpolitisches Konzept vor, das 75 Milliarden Euro einbringen soll. Der größte Teil soll zweckgebunden in die Bildung fließen. Während einkommensschwache Teile der Bevölkerung entlastet würden, sollen Vermögende in die sozialpolitische Pflicht genommen werden. Der GEW-Vorschlag wurde öffentlich jedoch kaum wahrgenommen. In einem Wahlkampf, in dem über Merkels schwarz-rot-goldene Halskette und Handgesten ihres Herausforderers gestritten wurde, blieb für die Diskussion um politische Themen kein Raum.

Auch nach den Wahlen wird nicht über politische Inhalte, sondern über Befindlichkeiten geredet. Dafür wird für das schlechte Abschneiden der Grünen ein Steuerkonzept verantwortlich gemacht, das Steuersätze vorgesehen hatte, die noch unter denen der Kohl-Ära lagen.

Die GEW-Vorschläge widerlegen den Mythos, dass es angesichts von klammen Kassen und Schuldenbremse zum Kaputt-Sparen keine Alternative gibt. Vielleicht organisieren nach Semesterbeginn auch die Studierenden mal wieder Proteste, die durchaus unter dem Motto »Reichensteuer für die Bildung« stehen können.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/834392.reichensteuer-fuer-die-bildung.html

Peter Nowak