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Buchkritik „Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken“ von Peter Nowak

Das Büchlein „Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken“ von Peter Nowak (Münster, 2013) ist ein guter Einstieg in den Nahost-Konflikt in der Linken in der Bundesrepublik.

Seit fast über zwei Jahrzehnten führt dieser Konflikt zur Polarisierung innerhalb der Linken. Älteren Szenegänger*innen kommt schnell mal ein Stöhnen über die Lippen, wenn am linken Stammtisch sich mal wieder eine Nahost-Diskussion Bahn bricht.
Nowak versucht die „Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken“ ausgewogen darzustellen. Wobei bei ihm mit Linken vor allem außerparlamentarische Linke gemeint sind.
Ohne falsche Loyalitäten oder Beschönigungen thematisiert Nowak auch jahrzehntelange Verdrängungsleistung in der Linken in Deutschland in Bezug auf den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Sehr lange wollte auch unter den Linken niemand, wenn es um TäterInnen ging, von „den Deutschen“ schreiben. Stattdessen wurde der Holocaust eher als eine Art Begleiterscheinung des Nationalsozialismus eingestuft, es dominierten auf linker Seite ökonomische und imperialismustheoretische Analysen.
Analog dazu ist Israel in der westdeutschen Linken spätestens seit 1967 eine Art Feindstaat. Die Wahrnehmung Israels als „Frontstaat des Westens“ oder schlimmer, ignoriert die Pluralität innerhalb des Staates, worauf laut Nowak Antizionismus-Kritiker*innen in der Linken hinweisen:

„Damit werde zudem ein einheitliches Israel konstruiert, in den kein Platz für dort lebende Kritiker_innen der israelischen Politik ist, lautete ein weiterer Einwand gegen den Holzhammer-Antizionismus.“ (Seite 14-15)

Nowak markiert die Zäsuren der Antisemitismusdebatte: die Goldhagen-Debatte, Walsers Paulskirchen-Rede 1998, die zweite Intifada ab Oktober 2000.
Doch die eigentlichen Wurzeln liegen tiefer in der Zeitgeschichte vergraben, nämlich in dem Ereignis, was in den offiziellen Annalen bundedeutscher Geschichtsschreibung als „Wiedervereinigung“ bezeichnet wird. Dagegen entstand in Westdeutschland eine antinationale Nie-wieder-Deutschland-Bewegung. Durch den geschichtsrevisionistischen Diskurs um die Bombardierung von Dresden nehmen auch in Ostdeutschland Linke antinationale Haltungen ein. Sie treten u.a. mit dem Motto „Keine Träne für Dresden“ auf. Mensch ist geeint im Kampf gegen deutsche Zustände:

„[…] viele aktive Antifaschist_innen in der dreifachen Frontstellung gegen Neonazis, Normalbürger_innen und Polizei teilten.“ (Seite 46)

Es ist die Zeit der Pogrome und fast täglichen Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte.
Auch im Buch erwähnt wird die Rolle das Magazins „konkret“. Angefangen hat die Rolle des Magazins beim zweiten Golfkrieg im Winter 1990 als der Irak Scudraketen auf Israel schießt, was aber von großen Teilen der Antikriegs-Bewegung genauso ignoriert wird, wie der Charakter von Saddam Husseins Regime. Dagegen schreiben die „konkret“-Autoren Gremliza und Pohrt. Doch „konkret“ hat keinen einseitige Kurs, sondern ist vielmehr ein Podium für Debatten.
Sowohl der zweite Golfkrieg als auch der jugoslawische Zerfallskrieg 1992 bis 1995 sorgen für weitere Spaltungen in der Linken. Diese übertragen sich auch auf einzelne Projekte. Die antiimperialistische Tageszeitung „junge Welt“ gebiert die undogmatisch-antideutsch-libertäre Wochenzeitung „Jungle World“.
Ende der 1990er Jahren kommt es zu einer Krise der autonomen Antifa-Bewegung und daraus resultiert eine Hinwendung zur Globalisierungskritik bei den einen und eine Hinwendung zur Ideologie- und Staatskritik bei den anderen. Bei letzteren kommt es zu einer verstärkten Beschäftigung mit Antisemitismus-Theorien. Kritik an Solidarität mit befreiungsnationalistischen, z.T. sogar islamistischen Bewegungen, führt dazu, dass sich aber viele wieder von der globalisierungskritischer Bewegung abwenden.
Es entsteht eine israelsolidarische Antifa, die sich mit den Resten dieses Nie-wieder-Deutschland-Spektrums verbindet.
Zu einer weiteren Spaltung kommt es mit den Septemberattentaten auf das World Trade Center. Daraus resultiert ab Herbst 2001 eine verhärtete Lagerbildung. Es kommt zur Herausbildung der einseitig israelsolidarischen Strömung innerhalb der Linken.
Im Kapitel „Palästinensertuch versus Israelfahne“ schreibt Nowak über die Veränderungen in Teilen der linken Szene:

„In den 80er Jahren gehörte das Palästinensertuch zu den Bekleidungsstücken vieler sich als links verstehender Menschen. Manche trugen es bewusst als Zeichen der Solidarität mit Palästina, manche sahen darin ein bequemes Kleidungsstück und waren erstaunt, dass ab Ende der 90er Jahre am Beginn von Antifademonstrationen Erklärungen verlesen wurden, in denen begründet wurde, warum Palästinensertücher nicht getragen werden sollten.“ (Seite 48-49)

Er kritisiert die Auswüchse einer bedingungslosen, also unreflektierten Israel-Solidarität. Als Beispiel führt er an, wie im Jahr 2002 das antideutsche Magazin „Bahamas“ die Streitschrift „Der Zorn und der Stolz“ der antimuslimischen Rassistin Oriana Fallaci verteidigte. Nowak betont aber, dass sich auch innerhalb der israelsolidarischen Linken viele gegen „Bahamas“-Positionen gewandt hätten.
Ein Teil der antideutschen Linken hätte durch die historische Brille den Islamismus nach dem 11. September als neuen Nationalsozialismus interpretiert. Die „Bahamas“-Fraktion sei nicht mehr gegen den deutschen Staat, sondern gegen Islamismus und teilweise auch gegen den Islam als solchen. Es wird eine Dualität „westliche Welt“ versus „Islam(ismus)“ konstruiert. Daraus resultierte eine bedingungslose Israel-Solidarität.
Nowak weist darauf hin, dass sich die BRD-Linke anfangs in der inner-israelischen Debatte noch auf Seiten der israelischen Linken positioniert hätte, nun aber einige antideutsche Linke sich auf der Seite der israelischen Falken und Israel-supporter aller Coleur positionieren würden:

„Die Kritiker_innen argumentierten nicht von der Position einer grundsätzlichen Solidarität mit der israelischen Politik, sondern der Unterstützung der Friedens- und Frauenbewegung und der israelischen Linken.“ (Seite 15)

Dabei erwähnt Nowak, dass eine Unterstützung Israels nicht anti-antisemitisch motiviert sein muss:

„Wie schon während des Kalten Krieges wurde nun wieder die Auseinandersetzung um Israel von weltpolitischen Fragen überformt, die weder direkt mit Antisemitismus noch mit dem Kampf verschiedener Gesellschaften um dasselbe Land zu tun hatten. Diese ideologische Aufladung führte aber dazu, dass die Verteidigung Israels bis weit ins rechte Lager propagiert wurde. […] Die Erkenntnis, dass jemand ein hundertprozentiger Verteidiger Israels und Antisemit sein kann, wurde meist ignoriert. […] Nicht wenige Ex-Nazis und Rechtskonservative gerierten sich in der BRD als Partner Israels, hatten aber ihren Antisemitismus nur notdürftig übertüncht. Die Kooperation mit Israel korrespondierte bei ihnen weder mit einem Aufarbeiten der deutschen Verbrechensgeschichte gegenüber den Juden noch aus einer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus, sondern war außenpolitischen Interessen in der damaligen Ost-West-Auseinandersetzung geschuldet.“ (Seite 50-51)

Auf der anderen Seite gäbe es in der Linken auch eine bedingungslose Palästinasolidarität und grenzenloser Antizionismus.
Bei seiner Kritik schreibt Nowak nicht von strukturellen Antisemitismus, sondern lieber von potenzieller Anschlussmöglichkeit an antisemitische Denkmuster. Ebenso schreibt er eher von Grauzonen oder regressive Israelkritik und regressive Antizionismus als alles als hundertprozentigen Antisemitismus abzukanzeln. Er praktiziert damit etwas, was er selbst fordert: Die „Versachlichung der Debatte“.

Das Buch ist für nichtkundige Neugierige sehr empfehlenswert, weil es die Antisemitismusdebatte innerhalb der deutschen Linken fair darstellt und beleuchtet. Der Autor lässt erkennen, dass er von einer plumpen entweder-oder-Haltung nicht viel hält. Sowohl ein weltbildhafter Antizionismus als auch eine bedingungslose Israel-Solidarität lehnt er ab.
Das Buch ist nur eine Einführung, deswegen bleiben einige Fragen zurück. Beispielsweise, warum es so eine Fixierung auf den Israel-Palästina-Konflikt gibt? Eine ähnliche Frage stellt sich ja in Bezug auf den Iran, der von antideutscher Seite vor ein paar Jahren als Thema entdeckt wurde. Seltsamerweise wurde dagegen die islamische Theokratie in Saudi-Arabien, die nicht weniger Unterdrückungs-Potenzial aufweist als der Iran, so gut wie gar nicht thematisiert.
Interessanterweise geht es heute auch gar teilweise nicht mehr so sehr um Inhalte, besonders bei der jüngeren Generationen in der israelsolidarischen Linken scheint es eine identitäre Phase zu geben, auf die später peinlich berührt zurückgeschaut wird. Damals als noch die Israelfahne überm Bett hing.
Spannend wäre auch die Frage, warum einige ältere Antideutsche in Bezug auf Linke nur noch Destruktivität an den Tag legen und sich dem bürgerlichen Mainstream andienen, aber dessen Positionen kaum noch kritisieren. Also in den Linken ihren neuen Hauptfeind entdecken und keine konstruktive Kritik an den Fehlern der Linken mehr üben wollen, sich also aus der Linken verabschiedet haben.

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