Selbstorganisierte Belegschaften

Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutierte Möglichkeiten und Fallstricke von Betriebsübernahmen
Betriebsübernahmen durch die Belegschaft sind nicht immer besonders kämpferisch, sondern oft letzte Möglichkeit. Das wurde auf der Konferenz »Den Betrieb übernehmen. Einstieg in Transformation?« der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin deutlich.

»Du brauchst keinen Chef, der Chef braucht Dich.« So lautete das Motto der Belegschaft der französischen Uhrenfabrik Lip, die in den 1970er Jahren ihren Betrieb besetzte und in eigener Regie weiterführte. Diese kämpferische Haltung ist bei Betriebsübernahmen aber längst nicht die Regel.

Dabei nehmen Betriebsübernahmen und Produktionsgenossenschaften zu, vielerorts sind als Reaktion auf Neoliberalismus und Wirtschaftskrise Betriebe besetzt. Kerstin Sack und Herbert Klemisch vom Klaus-Novy-Institut haben mehrere Betriebsübernahmen untersucht. Laut ihrem Fazit ist dieser Schritt oft letztes Mittel, um Arbeitsplätze zu retten, wenn sich kein Investor gefunden habe. Die Folge bedeute oft: mehr Arbeit und weniger Lohn. Und nicht selten finde sich ein Investor, nachdem die Belegschaft den Betrieb fit für den Markt gemacht habe. Genau diese Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sind nach Ansicht von Walter Vogt von der IG Metall problematisch. Innerhalb der DGB-Gewerkschaften werde der Verlust, aber auch das Unterlaufen von Tarifverträgen befürchtet. Inzwischen unterstütze die Metallgewerkschaft allerdings solche Betriebsinitiativen bei Verhandlungen.

Auch international sind Betriebsübernahmen ein politisches Mittel der Beschäftigten. Der US-Politologe Immanuel Ness zieht eine Linie von den Ursprüngen der Genossenschaftsbewegung »im Kampf der Lohnabhängigen gegen die brutalen Formen des Kapitalismus« zu den aktuellen Betriebsübernahmen in den USA, bei denen die gleiche Verteilung des Gewinns und die Selbstverwaltung im Vordergrund stünden. Aktuell haben sich Genossenschaften in den USA im Bereich der Reinigungsunternehmen und der Kinderbetreuung gegründet.

Welche Rolle der Staat in dieser Auseinandersetzung einnimmt, das ist in den selbstverwalteten Betrieben in Venezuela Thema, über die der Politologe Dario Azzellini berichtete. Mitverwaltung, Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle existieren in Venezuela als unterschiedliche Formen der Partizipation nebeneinander. Konflikte mit Politik und Verwaltung sind alltäglich. »Entweder wir machen den Sozialismus selbst oder es wird ihn nicht geben«, ist der aus Erfahrungen gewonnene Leitspruch der Betriebsaktivisten.

Vielleicht können sie aus dem gescheiterten jugoslawischen Modell der Arbeiterselbstverwaltung lernen, das Goran Music von der Universität von Bologna vorstellte. Dort seien zwar viele Elemente der Selbstverwaltung eingeführt worden, doch das Desinteresse großer Teile der Belegschaft führte schnell zu einer neuen Bürokratisierung.

Der Wirtschaftshistoriker Jörg Roesler berichtete über Selbstverwaltungsmodelle in der Endphase der DDR. Während sich selbst CDU-Wähler in Thüringen hierfür einsetzten, sorgten auch die ab Sommer 1990 einsetzenden Massenentlassungen für ein schnelles Ende solcher Bewegungen von unten. Allerdings fanden in den vergangenen 20 Jahren von den Betriebsbesetzungen 1992 im Kalibergwerk Bischofferode bis zum Projekt »Strike Bike« in Nordhausen immer wieder mit Betriebsbesetzungen verbundene Abwehrkämpfe statt.

Leider kamen die Protagonisten selbst auf der Konferenz kaum zu Wort. Aus der Praxis berichteten drei Beschäftigte des Pharmaherstellers Jugoremedija in Nordserbien. Die Belegschaft des Unternehmens kämpft seit Jahren um ihre Arbeitsplätze. Erfolgreich konnte sie den Verkauf des Betriebes an einen Investor abwehren, der den Betrieb zerschlagen und meistbietend verkaufen wollte. Die Beschäftigten sind zum großen Teil auch Kleinaktionäre und konnten ihren Betrieb teilweise übernehmen. Wie es weitergeht, ist aber unklar.

Seit Anfang November finden sich im Internet auf der Website www.workerscontrol.net Dokumente zur Arbeiterkontrolle und Selbstverwaltung früher und heute.

Konferenzbeiträge können hier nachgelesen werden: Luxemburg, 3/211, Den Betrieb übernehmen, 10 Euro, ISBN: 978-3-89965-8583.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210636.selbstorganisierte-belegschaften.html

Peter Nowak

Korpsgeist im Späti

In den Spätverkäufen sind nicht nur die Arbeitsverhältnisse prekär, auch die Läden selbst kämpfen häufig ums Überleben. Wie schwer es dadurch ist, die Situation der Beschäftigten zu verbessern, zeigt der Fall eines ehemaligen Verkäufers aus Berlin.
Welcher Hauptstadtbewohner hat sich noch nicht zu später Stunde etwas in einem sogenannten Spätkauf besorgt. Doch wer macht sich dabei Gedanken über die Arbeitsbedingungen des Verkäufers? Diese Frage richtete ein Redner Mitte Oktober bei einer Aktion im Berliner Stadtteil Friedrichshain an die Passanten. Dort hatte die Freie ArbeiterInnen-Union (FAU) zusammen mit Stadtteilaktivisten eine Kundgebung organisiert, die der Unterstützung eines ehemaligen Spätkauf-Beschäftigen galt, der sich im Konflikt mit seinem alten Arbeitgeber befindet.

Daniel Reilig* hatte mehrere Jahre im Spätkauf »Mumbai Corner« im Samariterkiez gearbeitet. Als Minijobber, der sein ALG II ein wenig »aufstocken« wollte, sollte er laut Vertrag 20 Stunden monatlich arbeiten, wie er der Jungle World berichtet. Doch in Wirklichkeit, beklagt Reilig, habe seine Arbeitszeit bis zu 60 Stunden in der Woche betragen. Dadurch habe er faktisch für weniger als zwei Euro die Stunde gearbeitet. Zudem habe er seine Mahlzeiten meistens an der Ladentheke verzehren müssen. Da dem Laden überdies ein Internet-Café und ein Hermes-Versandhandel angegliedert sind, waren die Pausen selten, erklärt der ausgebildete Industriekaufmann.
Prekärer Kreislauf: Als billiger Kneipenersatz ziehen Spätis, Trinkhallen und »Wasserhäuschen« – so die regionalen Bezeichnungen – auch eine Kundschaft mit schmalem Geldbeutel an
Prekärer Kreislauf: Als billiger Kneipenersatz ziehen Spätis, Trinkhallen und »Wasserhäuschen« – so die regionalen Bezeichnungen – auch eine Kundschaft mit schmalem Geldbeutel an (Foto: PA/Julian Stratenschulte)

Unter solchen Bedingungen soll Reilig drei Jahre lang gearbeitet haben. Erst als ein Streit mit dem Besitzer über eine auf die Kasse gerichtete Kamera eskalierte, war »das Maß des Erträglichen überschritten«, so der ehemalige Verkäufer. Nachdem das Arbeitsverhältnis aufgelöst worden war, wandte sich Reilig an die FAU Berlin, die ihm gewerkschaftliche Unterstützung zusicherte. Mit Hilfe des Berliner Arbeitsrechtlers Klaus Stähle versucht Reilig nun, seinen entgangenen Arbeitslohn rückwirkend einzuklagen. Der Anwalt sieht grundsätzlich gute Chancen. »Wichtig dabei ist, dass sich durch Zeugenaussagen oder andere Belege die tatsächliche Arbeitszeit nachweisen lässt«, betont der Jurist gegenüber der Jungle World. Und in diesem Fall würden einige Stammkunden bezeugen können, dass sie Reilig sehr häufig hinter der Ladentheke gesehen haben. Der Spätkaufbesitzer ließ dagegen über seinen Anwalt erklären, Reilig sei, wie vertraglich vereinbart, nur 20 Stunden im Monat beschäftigt gewesen und habe sich in dieser Zeit vor allem um die Warenbestellung gekümmert.

Für Stähle ist die Klage juristisches Neuland. Bisher habe sich noch nie ein Spätkaufbeschäftigter an ihn gewandt. Als einen Grund für die Zurückhaltung führt der Anwalt an, dass viele Betroffene nicht wüssten, dass sie mit Prozesskostenhilfe rechnen können. Auch die für die Berliner Einzelhandelsbranche zuständige Verdi-Sekretärin Erika Ritter kann sich nicht daran erinnern, dass sich je ein Beschäftigter aus jenem Bereich an ihre Gewerkschaft gewandt habe. Selbst für die FAU, die bereits Erfahrung mit Organisierungsprozessen in prekären Sektoren gesammelt hat, ist es der erste Fall im Bereich der Spätverkäufe.

Die Gründe für die geringe Gegenwehr in Spätverkäufen sieht man bei der FAU Berlin nicht nur in dem unzureichenden Kenntnisstand, den viele Beschäftigte über ihre Rechte hätten. Schließlich habe man es »nicht nur mit prekären Arbeitsverhältnissen zu tun, sondern mit einer regelrechten prekären Ökonomie«, sagt Florian Wegner, Sekretär der FAU Berlin. Tatsächlich ist nach der Einführung von Hartz IV die Zahl der Selbstständigen vor allem im Einzelhandel und der Gastronomie angewachsen, wo der Brancheneinstieg relativ einfach erscheint. Jedoch erweist sich der Traum vom eigenen Laden, mit dem man aus der Arbeitslosigkeit flüchten möchte, meist als Illu­sion. Für die Selbständigen setzt sich dort häufig die Prekarität fort. Denn »die hohe Wettbewerbs­intensität«, so Wegner, »kann meist nur durch schonungslose Selbstausbeutung oder die Ausnutzung billigster Arbeitskräfte kompensiert werden«. Dabei wird häufig auch auf mithelfende Familienangehörige zurückgriffen, aber auch auf Freunde und Bekannte. »Flache Hierarchien« und lockere Umgangsformen scheinen dazu beizutragen, dass beim Lohn häufig nicht so genau nachgerechnet wird.

Auch Reilig sah zunächst kein größeres Problem darin, gewissermaßen als Filialleiter auf Minijob-Basis zu fungieren. Zuvor hatte er Erfahrungen mit unbezahlter Arbeit gemacht. Vier Wochen lang habe er als Praktikant in einem Discounter Regale eingeräumt, erzählt er. Während dieser als Probezeit deklarierten Beschäftigungsphase habe er ständig unter der Beobachtung der Filialleiterin gestanden und kaum Pausen gehabt. Obwohl er keinen Lohn bekam, wollte er diesen »Null-Euro-Job« nicht kündigen, weil er als ALG-II-Empfänger Sanktionen vom Jobcenter befürchtete. Danach sei Reilig erst einmal froh gewesen, den Job im Spätkauf gefunden zu haben.

Die lockere Atmosphäre im Spätkauf, wo scheinbar alle gleich prekär arbeiten, war es auch bei Reilig, die ihn zunächst über den niedrigen Lohn hinwegsehen ließ. In einem Arbeitspapier der FAU Berlin ist in diesem Zusammenhang von »einer Art Mini-Korporatismus« die Rede, der sich in prekären Ökonomien häufig zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten herausbilde: »Alle Beteiligten haben im Hinterkopf, dass höhere Löhne den Laden ruinieren könnten.« Das bekam auch Reilig zu spüren. Nachdem er sich zu wehren begonnen hatte, blieb die Unterstützung durch die anderen Angestellten des Inhabers, der zwei Läden betreibt, aus, obwohl diese unter den gleichen Bedingungen gearbeitet und sich im kleinen Kreis häufiger beklagt haben sollen.

»Wo sich Belegschaften nur schwer wehren können, müssen andere Wege der Unterstützung gefunden werden«, hieß es in einem Redebeitrag auf der Kundgebung. So könnten Kunden, die meist in der Nähe des Ladens wohnen, Einfluss auf die Situation nehmen. In den USA ist dieser Ansatz unter dem Begriff »Community Organizing« bekannt. Dort wird schon länger versucht, Arbeitskämpfe in schwer organisierbaren Bereichen durch Initiativen von Nachbarn und Kunden zu unterstützen. Selbst Verdi hat beim letzten großen Einzelhandelsstreik 2008 auf das Konzept der »kritischen Kunden« zurückgegriffen. So wurde während eines Aktionstags die Filiale einer bestreikten Ladenkette von solidarischen Kunden blockiert.

Dass solche Aktionen durchaus etwas bewirken können, machte zuletzt die Kampagne für »Emmely« deutlich. Von der Kündigung der Kassiererin bei Kaiser’s erfuhren damals einige Kunden im Rahmen eines solchen Aktionstags. Sie gründeten daraufhin ein Solidaritätskomitee und ini­tiierten eine bundesweite Kampagne, die nicht nur dafür sorgte, dass die Frau wieder eingestellt werden musste. Ihr Fall wurde auch zu einem Symbol für Gegenwehr und Solidarität in schwer organisierbaren Bereichen. Die Soziologin Ingrid Artus wies in diesem Zusammenhang darauf hin, wie wichtig die Unterstützung in solchen »Einzelfällen« ist. Auch im Fall von Reilig scheint die Unterstützung durch ein solidarisches Umfeld Wirkung zu zeigen. So beklagte die Arbeitgeberseite in der ersten Güteverhandlung Ende Oktober, dass deren Umsatz um die Hälfte eingebrochen sei. Außerdem wurde inzwischen die Klage des Ladenbesitzers gegen das Onlinemagazin »Trend« abgewiesen, mit der anscheinend die Berichterstattung über den Fall unterbunden werden sollte. Auch damit hatte sich der Besitzer keine Freunde im Kiez gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2011/44/44248.html

Peter Nowak 

Weihnachten bei Amazon

Erwerbslosenforum und Beschäftigte erheben neue Vorwürfe gegen Internetversandhandel
Kostenlose Arbeitskräfte für das Weihnachtsgeschäft? Neue Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandriesen Amazon werden laut.

Nach Angaben des Erwerbslosenforums lässt Amazon sich für das Weihnachtsgeschäft ALG-II-Berechtigte als Praktikanten vom Jobcenter vermitteln. Ein Erwerbsloser hatte sich an das Forum gewandt, nachdem er vom Jobcenter an den Internetversandhandel vermittelt wurde.

Nach seinen Schilderungen lässt sich das Unternahmen die Aushilfsarbeitskräfte zum Verpacken der Waren für das Weihnachtsgeschäft vom Jobcenter subventionieren. Er sei in einer Gruppe mit 90 Erwerbslosen zu einer mehrstündigen Informationsveranstaltung in Werne (Nordrhein-Westfalen) eingeladen worden. Dort seien neben Amazon-Verantwortlichen auch Mitarbeiter des Jobcenters anwesend gewesen. Die Erwerbslosen sollten für zwei Wochen als »Praktikanten« ihre Arbeitskraft kostenlos zur Verfügung stellen. Sie bekommen in dieser Anlernzeit weiterhin ALG II und zusätzlich die Fahrtkosten erstattet. Bei einer zukünftigen Einstellung sollen die Aushilfskräfte wöchentlich 38,5 Stunden arbeiten, bekommen aber nur 35 Stunden bezahlt. Wenn sich ein Erwerbsloser weigert, unter diesen Bedingungen bei Amazon zu arbeiten, drohen ihm nach den Beschreibungen Sanktionen durch das Jobcenter.

Der Sprecher des Erwerbslosenforums Martin Behrsing bezeichnete das Vorgehen als »schier unerträglich« und forderte die Bundesagentur für Arbeit auf, »schleunigst dafür zu sorgen, dass diese Praxis des Abzockens auf allen Ebenen sofort gestoppt wird«. Hier werde ein international agierender Konzern auf Kosten von Erwerbslosen subventioniert.

Die Druckmittel gegen Amazon sind allerdings begrenzt. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die Beschäftigten die Aufforderung »Occupy Amazon«, mit der die Presseerklärung des Erwerbslosenforums endet, umsetzen.

Denn die Angst unter den Mitarbeitern ist groß, wie Report Mainz bei Recherchen herausfand. Amazon-Mitarbeiter der Standorte Leipzig und Bad Hersfeld berichteten dem Sender, dass sie teilweise über mehrere Jahre immer wieder befristete Arbeitsverträge bekommen. Die Furcht, nach dem Auslaufen des Vertrags nicht übernommen zu werden, führte dazu, dass die Beschäftigten trotz Krankheit zur Arbeit erschienen. »Der Druck ist groß«, bestätigte eine Mitarbeiterin. Immer mehr Firmen würden Vollzeitarbeitsplätze abbauen und durch befristete Verträge ersetzen, meint der Arbeitssoziologe Klaus Dörre. Er bezeichnet diese Maßnahme als Disziplinierungsinstrument.

Diese Einschätzung bestätigt Amazon indirekt. Sie gibt als Gründe für die Ausweitung der Befristungen an, dass damit die Nachfrageschwankungen innerhalb eines Jahres aufgefangen und besonders engagierte Mitarbeiter gewonnen werden sollen. Sprich: Sind die Arbeitsplätze unsicher, steigt das Engagement.

Allerdings wächst in der letzten Zeit auch die Bereitschaft von Amazon-Mitarbeitern, sich gewerkschaftlich zu engagieren. Das berichtet Julian Jaedicke gegenüber »nd«. Er ist Organizer für die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Bad Hersfeld. Dort beträgt die Probezeit, in der die Beschäftigten ohne Lohn arbeiten müssen, eine Woche. Von den 5000 Mitarbeitern der Hersfelder Filiale haben 3000 befristete Arbeitsverträge.

Viele Beschäftigte hätten Angst sich zu positionieren. »Wenn wir einen festen Arbeitsvertrag haben, werden wir aktiv«, lautet die Devise. Mittlerweile wachse der Druck des Unternehmens auf die Organizer, die die Kantine von Amazon nicht mehr betreten dürfen. Allerdings habe ihre Arbeit Früchte getragen. »Mittlerweile verteilen die Mitarbeiter die Materialen in der Kantine«, erzählt Jaedicke.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/210419.weihnachten-bei-amazon.html

Peter Nowak

»Zwischen Bittbrief und Barrikade«

Diskussionsveranstaltung und ein neues Buch zur Zukunft der Erwerbslosenbewegung

ErwerbslosenaktivistInnen diskutierten auf einem Seminar in Berlin über die Zukunft der Erwerbslosenbewegung. Parallel erschien ein neuer Band mit Diskussionsbeiträgen zum Thema

Vor knapp einen Jahr machten aktive Erwerbslose unter dem Motto »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« auf sich aufmerksam. Doch nach einer erfolgreichen Demonstration am 10. Oktober 2010 im niedersächsischen Oldenburg wurde es wieder still um die Initiative. Harald Rhein hat schon mehrere solcher Aufbrüche erlebt. Der seit mehr als 30 Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktive Frankfurter zog am vergangenen Wochenende auf einem Seminar in Berlin ein Resümee dieser Arbeit. Schon das Motto »Zwischen Bittbrief und Barrikade« sollte zur Kontroverse anregen Tatsächlich wurde die Debatte sehr rege und manchmal auch sehr emotional geführt. Denn schon in den vergangenen Monaten liefen im Internet heftige Diskussionen darüber, ob Erwerbslose weiterhin mit Bundestagsabgeordneten und Sozialexperten über die Höhe der Regelsätze streiten sollen. Ein Teil der auf dem Seminar Anwesenden bejahte diese Frage mit Verweis auf die vielen Menschen, die um jeden Euro im Jobcenter kämpfen müssen.

Andere Erwerbslose wiederum stimmten Rhein zu, der in der praktischen Arbeit die Erfahrung gesammelt hat, dass die Regelsatzdiskussion auch einen Großteil der Betroffenen nicht mehr interessiert. Dass dürfte allerdings nicht nur als Resignation interpretiert werden. Schließlich würden auch viele politisch aktive Erwerbslose für sie erträgliche Maßnahmen akzeptieren, um Zeit und Raum für ihre politische Arbeit zu haben. Die Zustimmung bei Teilen des Publikums signalisierte, dass Rhein damit nicht nur seine Erfahrungen artikulierte.

Auch die Kritik an Parteien und Großorganisationen stieß auf Zustimmung. Bündnispartner sollten angesichts der wachsenden Zahl von Niedriglöhnern, die auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, einkaufsschwache Personen mit und ohne Lohnarbeit sein, sagte ein Diskussionsteilnehmer. Rheins Vorschlag, statt über die Regelsätze über das gute Leben zu diskutieren, wurde sehr kontrovers debattiert. Ist dieser Begriff nicht viel zu vage und unbestimmt, fragten einige. Andere sahen gerade darin eine Chance, in eine grundsätzlichere Debatte zu kommen.

Ein zentraler Punkt für die Berliner Erwerbslosenaktivistin Petra Leischen ist die Forderung nach einem Existenzgeld, die sowohl in der LINKEN als auch in den sozialen Bewegungen umstritten ist. »Es wird nicht die Herrschaft aller Männer über die Frauen aufheben, allerdings die ökonomische Lage der Frauen entscheidend verbessern«, schreibt Leischen in einem Beitrag in dem kürzlich im Verlag AG Spak erschienenen Buch mit dem poetischen Titel »Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen«. Es könnte als ein Wegweiser für eine Debatte um das gute Leben dienen, die Rhein in dem Buch genauer begründet. Nicht nur der Wiener Philosoph Karl Reitter versucht sich in dem Buch an einer marxistischen Fundierung der Existenzgeldforderung. Auch die Ökonomin Anne Allex beendet ihre Kritik an Grünen Bürgergeld-Konzepten mit der Erkenntnis von Karl Marx: »Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.« Ronald Blaschke, Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Katja Kipping (LINKE), zeichnet den Diskussionsverlauf um das Existenzgeld bei PDS und LINKE in den letzten Jahren nach. Dabei belegte er mit Zitaten, dass Oskar Lafontaine als SPD-Politiker dem Existenzgeldansatz näher stand als heute. Während Blaschke gegen die Gewerkschaftsfunktionäre polemisierte, die in der Linkspartei die Existenzgeldforderung ablehnen, stellte die Feministin Frigga Haug kritische Fragen an die Existenzgeldbefürworter. »Ich kann Gesellschaft nicht ohne Arbeit denken«, ist ihr zentraler Einwand gegen alle, die in der Arbeit nur Zwang sehen. »Aber die Arbeitspflicht existiert bei Pflege-, Reproduktions- oder Sorgearbeit ohnehin immer«, schreibt Haug: »Der Protest gegen die Zumutung, arbeiten zu wollen als Teilhabe an der Gesellschaft, steht quer zur notwendigen Arbeit im Reproduktionsbereich.« Mit ihrer auch in der Linkspartei diskutierten »Vier-in-einem-Perspektive« macht Haug Vorschläge für eine Neuaufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sowie gesellschaftliches Engagement. Nicht nur sie wirft in dem Buch Fragen auf, die in einer Debatte um das gute Leben diskutiert werden sollten.

Anne Allex, Harald Rhein (Hg.): »Den Maschinen die Arbeit … uns das Vergnügen!« Beiträge zum Existenzgeld. AG Spak Bücher, 16 Euro.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/210141.zwischen-bittbrief-und-barrikade.html

Gute Laune bei der Streikwache

Die Beschäftigten der Pflegefirma Alpenland streiken seit über zwei Monaten für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen.
„Alpenland“, das klingt nach bayerischen Bergen. Doch eine Filiale der Pflegefirma gleichen Namens liegt im flachen Marzahn, und auch die Entlohnung der dort beschäftigten Mitarbeiter ist alles andere als hoch: Die rund 210 Pflegekräfte werden geringer entlohnt als ihre knapp 130 Kollegen im Westteil der Stadt. Der Unterschied beläuft sich monatlich auf bis zu 170 Euro, rechnet Meike Jäger von Ver.di vor. Sie hat mittlerweile Hausverbot in dem Marzahner Pflegeheim, denn dessen Belegschaft streikt bereits seit dem 18. August. Die zentralen Forderungen: Angleichung der Löhne und Verhinderung der Flexibilisierung der Arbeitszeit.

„Bisher können wir über unsere Arbeitseinsätze entscheiden. Das soll auch so bleiben“, sagt eine Beschäftigte, die in eine dicke Decke gehüllt gegenüber dem Eingang des Pflegeheims auf einer Bank sitzt. Sie gehört zum harten Kern von rund 40 Beschäftigten, die täglich mehrere Stunden die Streikwache stellen. Die Stimmung ist gelöst. Weniger gut zu sprechen sind die AktivistInnen auf die ca. 40 Beschäftigten, die individuelle Verträge mit dem Unternehmen abgeschlossen haben. Dabei sichert ihnen eine Klausel zu, dass auch sie davon profitieren, wenn sich die Streikenden durchsetzen. „Da wird die Solidarität

Deshalb freuen sich die Streikenden über jede Unterstützung von außerhalb. Vor einigen Tagen haben ihnen die Ver.di-Senioren einen Solidaritätsbesuch abgestattet. Demnächst will sich die Streikwache mit einer Feuertonne gegen die herbstlichen Temperaturen schützen. Immerhin: Nach einem guten Monat Pause wird zwischen Ver.di und Alpenland wieder verhandelt. Am kommenden Samstag werden die Gespräche fortgesetzt.

In den vergangenen Wochen haben sich die Alpenland-Beschäftigten an gemeinsamen Aktionen mit den KollegInnen von der CFM, der Service-Tochter der Charité, beteiligt. Die rund 300 Beschäftigten der CFM befinden sich seit Mitte September im Ausstand, sie fordern einen Tarifvertrag und eine Lohnerhöhung von 168 Euro monatlich. Viele neu eingestellte KollegInnen seien bei Stundenlöhnen von weniger als sieben Euro zur Aufstockung ihres Gehalts durch Hartz IV gezwungen, schildert Ver.di-Verhandlungsleiterin Silvi Krisch die Arbeitsbedingungen.

Beschäftigte und UnterstützerInnen haben in den letzten Wochen mit Kundgebungen und Flashmobs vor dem Dussmann-Kulturkaufhaus den Druck erhöht. Dussmann ist Gesellschafter der CFM. Eine Sprecherin des Unternehmens fordert von Ver.di ein neues Gesprächsangebot, nachdem die Gewerkschaft im August die Verhandlungen abgebrochen hat. Gegenüber der taz betont Silvi Krisch, es gehe nicht darum, wer zu den Gesprächen einlade, sondern ob es ein verhandlungsfähiges Angebot gebe. Bisher war die CFM nur zu Verbesserungen bei vier von 18 Berufsgruppen bereit. Daher gehen die Beschäftigten am Donnerstag wieder auf die Straße. Um 11 Uhr startet eine Demonstration vom Charité-Bettenhochhaus zum Roten Rathaus. Die Streikenden von Alpenland wollen auch kommen.

http://www.taz.de/Langzeitstreik-bei-Pflegefirma/!80644/

Peter Nowak

Veränderung statt Caritas

Gründer möchte mit ethecon-Stiftung die Welt verändern

Wirtschaft und Gesellschaft werden zunehmend von den großen multinationalen Konzernen geprägt. Die Stiftung ethecon will deshalb Ethik und Ökonomie zusammen bringen. Dazu werden regelmäßig Tagungen und Preisverleihungen organisiert.

»Ich trete auf der ethecon Tagung auf, um Gesicht zu zeigen. Mir ist es wichtig, dass Menschen mir in die Augen sehen und ich ihr Feuer erkennen kann. Das stärkt meinen Willen und zeigt mir, dass ich nicht alleine bin.« So begründet der Rapper Kern seinen Auftritt bei der Verleihung der beiden internationalen ethecon-Preise am 19. November im Berliner Pfefferwerk. Es ist mittlerweile die sechste Preisverleihung.

Seit 2006 verleiht ethecon den Positivpreis Blue Planet Award und würdigt damit einen außerordentlichen Einsatz zum Erhalt und zur Rettung des Planeten. In diesem Jahr geht der Preis an die US-amerikanische Bürger- und Menschenrechtsaktivistin Angela Davis, die den Preis persönlich in Empfang nehmen wird. Damit steht sie in einer guten Tradition. Mit den Positivpreisen hat ethecon in den vergangenen Jahren Diane Wilson aus den Vereinigten Staaten, Vandana Shiva aus Indien, José Abreu und Hugo Chávez aus Venezuela, Uri Avnery aus Israel sowie Elias Bierdel aus Österreich ausgezeichnet.

Der Schmähpreis Black Planet Award, mit dem Verantwortliche für den Ruin und die Zerstörung der Erde markiert werden sollen, geht an Tsunehisa Katsumata und Masataka Shimizu, die als Großaktionäre und verantwortliche Manager des Tepco-Konzern in Japan für ihre Verantwortung für die Atomkatastrophe. In den vergangenen Jahren haben unter anderem Manager der Konzerne Monsanto, Blackwater und Nestlé diesen ungeliebten Preis bekommen. Es sind bewusst immer Menschen und nicht Institutionen, die mit den Preisen im Positiven wie im Negativen bedacht werden. »Es sind immer einzelne Menschen, die im Guten wie im Schlechten die Verantwortung tragen und die Entscheidungen fällen. Nur zu gerne wird dies vor allem bei ökologischen, sozialen, friedenspolitischen und anderen Verbrechen hinter den Fassaden von Institutionen und »Sachzwängen« verborgen«, ist Stiftungsgründer Schnura-Köhler überzeugt. Die ethecon-Preise sollen Ross und Reiter klar beim Namen nennen.

Kritiker könnten einwenden, dass durch die Konzentration auf Personen die Illusion erweckt werden könnte, man müsste nur die Menschen und nicht die Strukturen ändern, um Gerechtigkeit zu erreichen. Doch als Reformist würde sich der langjährige politische Aktivst Schnura-Köhler keineswegs verstehen. Der 1949 in Hof geborene Betriebswirt wird auf Wikipedia als »Konzernkritiker mit internationalem Wirkungsfeld« bezeichnet. Seit früher Jugend ist er in der DKP aktiv. Er gehörte dem deutschen Koordinierungskreis des Europäischen Sozialforums (ESF) an und war von 1999 bis 2003 jeweils verantwortlich für den Bereich »Multinationale Konzerne« beim ersten ESF 2002 in Florenz und beim zweiten ESF 2003 in Paris. Da blickte er schon auf eine jahrzehntelange politische Biographie zurück. 1978 war er an der Gründung der linken Tageszeitung taz ebenso beteiligt wie 1980 an der Entstehung der Ökobank-Genossenschaft, die inzwischen in der GLS-Bank aufgegangen ist. Auch bei der Gründung und dem Aufbau des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) sowie des Pestizid-Aktionsnetzwerkes (PAN) hatte er wesentlichen Anteil. Beruflich arbeitete er in der Geschäftsleitung verschiedener Unternehmen, bevor er sich 1988 selbstständig machte. Bei ethecon kann er betriebswirtschaftlichen Kenntnisse mit politischem Engagement verbinden.

Gemeinsam mit Gudrun Rehmann gründete Köhler-Schnura die Stiftung 2004. Die Preisverleihung ist für sie eine eminent politische Demonstration. Einmal jährlich nehme die Stiftung politisch Stellung zu aktuellen politischen Problemen und Konflikten und verbreitet diese Erklärungen national und international. Jährlich einmal wird in einer großen öffentlichen Vortragsveranstaltung in Berlin ein aktuelles Thema der sozialen Bewegungen in den Mittelpunkt gestellt.

Vom Profit- zum Solidarprinzip

Für die Gründer ist der Name der Stiftung Programm. »Ziel der Stiftung ist es, die Beachtung ethischer, ökologischer, sozialer und menschenrechtlicher Prinzipien im Wirtschaftsprozess zu fördern und durchzusetzen sowie demokratische und selbstbestimmte Strukturen zu stärken.« Da Profit zunehmend zum einzigen Kriterium für das gesellschaftliche Leben und den Umgang mit der Umwelt geworden sei, trete ethecon für einen Wandel weg vom Profitprinzip und hin zu einem Solidarprinzip ein. Der Frage, ob solche Ziele nicht im Kapitalismus illusorisch sind, kann Köhler-Schnura durchaus verstehen. Er betont aber, dass ethecon eine Stiftung ist, die auf den Wandel statt auf karitative Hilfe setzt. »Karitative Fürsorge lindert vielleicht das eine oder andere ökologische, soziale Problem, löst dieses aber niemals endgültig, ist Köhler-Schnura überzeugt. Deshalb würden Spenden gegen den Hunger nie zum Ende der Unterernährung beitragen.

»Hunger kann nur durch eine Veränderung der politischökonomischen Verhältnisse beendet werden«, ist eines der Credos von ethecon. Mit dieser klaren Positionierung macht sich die Stiftung nicht überall Freude. »Je konsequenter auf eine grundlegende Änderung gesetzt wird, desto weniger wird dafür gespendet«, weiß der erfahrene Stiftungsgründer. Schließlich werden ca. 95 Prozent aller Spenden und Zustiftungen im karitativen Bereich geleistet. Mit leuchtenden Kinderaugen, die für »edle Spender« als großes Erfolgserlebnis betrachtet werden, kann ethecon nicht dienen. Wer auf gesellschaftlichen Wandel setzt, braucht eher einen langen Atem als ein gutes Gewissen. Hinzu kommt, dass eine Stiftung wie ethecon nicht die Mittel besitzt, um mit Fernsehspots und auf Großleinwänden auf die Tränendrüse zu drücken. Genau das ist aber auch gar nicht das Ziel einer Stiftung, die mehr auf den Verstand als auf das Gemüt setzt.

Doch für ein Lamento sieht Optimist Köhler-Schnura keinen Grund. »Gemessen an dem Stiftungsvermögen und den begrenzten Mitteln, die uns für Kampagnen und Aktionen zur Verfügung stehen und der Tatsache, dass uns nur eine hauptamtliche Kraft zur Verfügung steht, haben wir bereits viel erreicht.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/209442.veraenderung-statt-caritas.html

Peter Nowak

Gleiche Pflege, ungleicher Lohn

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Ost und West- dafür streiken die Beschäftigten der Alpenland Pflege GmbH seit Mitte August.

Alpenland – der Name erinnert an die Berge. Doch die Pflegefirma mit diesem Namen liegt am Fuße des Biesdorfer Schlosses in Berlin-Marzahn. Der Grund, warum die bayerische Firma dort ein Unternehmen aufgebaut hat, ist äußerst profan. Im Osten Berlins sind die Löhne immer noch niedriger als im Westteil der Stadt. Der Unterschied beläuft sich monatlich auf bis zu 170 Euro, rechnet Meike Jäger vor. Die ver.di-Sekretärin hat mittlerweile Hausverbot im Marzahner Pflegeheim. Denn dort ist die Belegschaft seit dem 18. August im Streik. Die Angleichung der Löhne auf das Westniveau gehört zu den zentralen Forderungen. Daneben wollen die Beschäftigten verhindern, dass ihre Arbeitszeit weiter flexibilisiert wird. »Bisher können wir über unsere Arbeitseinsätze entscheiden. Das soll auch so bleiben«, meint eine Beschäftigte, die in eine dicke Decke eingehüllt gegenüber dem Eingang des Pflegeheims in Biesdorf auf einer Holzbank sitzt. Sie gehört zum harten Kern von rund 40 Beschäftigten, die dort täglich die Streikwache stellen.

Die Stimmung ist gelöst. Doch, wenn sie auf den Grund ihres Ausstands zu sprechen kommen, ist ihnen nicht nach Scherzen zumute. »Wir sind seit 63 Tagen im Streik. Wo bleibt die Öffentlichkeit«, fragt eine Frau. Auch Jäger beklagt die Schwierigkeiten, die Forderungen der Beschäftigten bekannt zu machen. Schließlich handelt es scheinbar nur um einen Ausstand in einem Pflegeheim am Rande Berlins.

Doch tatsächlich hat der Ausstand eine viel grundsätzlichere Bedeutung, meint Norbert Paas. Der ver.di-Sekretär aus Frankfurt/Oder unterstützt die Streikenden in Marzahn. Das Grundproblem besteht für ihn darin, dass die Pflege mittlerweile immer stärker Profitinteressen unterworfen wird. Das bekommen die Beschäftigten ebenso zu spüren wie die Menschen, die in den Pflegeheimen leben. Auch in Frankfurt/Oder gibt es Probleme in Pflegeeinrichtungen der Arbeiterwohlfahrt AWO ebenso wie in städtischen Einrichtungen. Auch die von den Unternehmern gewollte Aufspaltung der Belegschaft sieht Paas kritisch »Wenn Neueingestellte 500 Euro mehr verdienen als Beschäftigte, die länger arbeiten, ist Solidarität schwer herzustellen.« Dabei betont Paas, dass er den Neueingestellten die bessere Bezahlung gönnt. Er fragt aber, warum nicht alle Beschäftigten davon profitieren.

Auch bei Alpenland ist die Solidarität unter den Beschäftigten immer ein Thema. Den 40 regelmäßigen Streikaktiven steht eine fast gleich große Zahl von Beschäftigten gegenüber, die individuelle Verträge mit den Unternehmen geschlossen haben und sich am Ausstand nicht beteiligen. Dabei haben sie sich aber zusichern lassen, dass sie davon partizipieren werden, wenn es den Streikenden gelingt, sich mit ihren Forderungen durchzusetzen. Daneben gibt es eine schweigende Mehrheit in der Belegschaft, die weder einen individuellen Vertrag unterschrieben hat, sich aber auch nicht am Streik beteiligt. »Da wird die Solidarität der aktiven Kollegen schon stark strapaziert«, betont Jäger.

Umso wichtiger sei da deiUnterstützung von außen. So war die Freude groß, als sich die ver.di-Senioren anmeldeten. Gerade jetzt, wo die Temperaturen fallen und bald eine Feuertonne für Wärme bei der Streikwache sorgen wird, fragen sich viele, wie lange sie noch durchhalten werden. Doch noch sagt die Mehrheit der Aktiven, wir lassen uns nicht unterkriegen, wenn der Unternehmer sich nicht bewegt. Nach mehr als einem Monat wurden gestern die Verhandlungen mit Alpenland fortgesetzt. Sie dauerten bei Redaktionsschluss dieser Seite an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/209390.gleiche-pflege-ungleicher-lohn.html

Peter Nowak

Spät – aber nicht zu spät

Minijobber soll mehr als 60 Stunden in der Woche geschuftet haben

Unter dem Motto „Gegen Ausbeutung in Spätverkäufen“ organisiert ein Bündnis sozialer Gruppen am Dienstag um 18 Uhr eine Kundgebung an der Frankfurter Allee – Ecke Samariterstraße im Bezirk Friedrichshain.   Damit soll ein ehemaliger Mitarbeiter des Spätkaufs Mumbai-Corner in der Samariterstraße 3 unterstützt werden. Der Hartz IV-Empfänger war mit einem  Minijob-Vertrag in dem Laden angestellt. Nach seinen Angaben  habe er aber bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten müssen und hätte oft nicht einmal Mittagspause gehabt.
Der Ladenbesitzer bestreitet diese Angaben. Der Mitarbeiter habe nur 20 Stunden im Monat in dem Laden gearbeitet, wie im Minijobvertrag vorgesehen.
Jetzt muss sich das Arbeitsgericht mit der Angelegenheit befassen. Dort will der ehemalige Verkäufer die ihm  seiner  Meinung nach zu stehende Löhne einklagen. Nach Angaben seines Anwalts Klaus Stähle stehen die Chancen für seinen Mandanten nicht schlecht. Er konnte mehrere Kunden des Ladens ausfindig machen, die bezeugen, dass der Kläger  häufig hinter der Ladentheke gestanden habe. Arbeit habe ich dort immerhin gegeben. Denn in dem Laden werden nicht nur Zeitungen, Getränke und Zigaretten, sondern auch die Dienstleistungen des Hermes-Paketdienstes  angeboten. Zu de gehört ein Internettreffpunkt zu den Laden.

Am kommenden Donnerstag hat das Berliner Arbeitsgericht am Magdeburger Platz 1 einen Gütetermin angesetzt. Dort soll ausgelotet werden, ob es in der Angelegenheit eine Einigung gibt.  Das Interesse an der öffentlichen Veranstaltung im Raum 209 dürfte groß sein. Denn der Kläger ist einer der wenigen Spätkauf-Angestellten, die sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren. Nicht nur Stähle sagt, dass sei sein erster Mandant aus dieser Branche. Auch Erika Ritter,  die bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di für die Einzelhandelsbranche zuständig ist, erklärt  im Gespräch mit Neues Deutschland, ihr sei Fall, wo ein Spätkauf-Beschäftigter  sich an ihre Gewerkschaft gewandt hat um seine Rechte durchzusetzen. Auch für die kleine Gewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU), an die sich der Verkäufer aus Friedrichshain gewandt hatte, sieht in dem Fall Neuland.
Nicht selten wollen die Spätkauf-Besitzer  mit einem eigenen Laden aus der Arbeitslosigkeit fliehen wollen. “Eine  extrem hohe Wettbewerbsintensität wird durch schonungslose Selbstausbeutung oder die Verwendung billigster Arbeitskräfte kompensiert. Nicht wenige „Spätverkäufe  sind  von mithelfenden Familienangehörigen abhängig“, meint FAU-Pressesprecherin Julia Fehrle. Ihre Organisation bietet Beratung für Beschäftige dieser Branche an. Dafür soll auf der Kundgebung ebenso geworben, wie für Solidarität mit den Beschäftigten, der sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen wehrt. Mittlerweile haben sich auch Nachbarn des Spätkaufs mit den klagenden Beschäftigten solidarisch erklärt. Der Liedermacher Detlev K. hat unter dem Titel „Spätkauf aber nicht zu spät“, einen Solidaritätssong komponiert.

aus Neues Deutschland 18.10.2011
Peter Nowak

Solidarität mit Charité- und Pflege-Streik

Gewerkschaft will Arbeitskampf in die Gesellschaft tragen

„Wir  sind Mehrwert“, diese Parole prangte auf vielen T-Shirts der Gewerkschafter, die am Samstagsmittag  vom Alexanderplatz zu Brandenburger Tor gezogen. Mehrere hundert Menschen hatten sich daran beteiligt. Darunter waren die streikenden Beschäftigten der Charity und der Pflegedienste Alpenland. Zu ihrer Unterstützung war die Demonstration organisiert worden. „Diese Streiks helfen mit, die Spirale von Dumpinglöhnen, schlechten Arbeitsbedingungen und tariffreien Zonen zu stoppen und sind deshalb im Interesse aller Arbeitnehmer“,    betonte ein Gewerkschafter.
Gleichzeitig brauchen die Kollegen mehr Solidarität, wie aus ihren Berichten deutlich wurde.
„Die Geschäftsführung der Charité Facility Management GmbH ist nicht im Ansatz bereit, einen für alle Beschäftigten geltenden Tarifvertrag, geschweige denn wirkliche Entgelterhöhungen für alle Beschäftigten mit uns zu vereinbaren“, klagt eine Streikende. Mit Hausverboten gegen Gewerkschafter, Einschüchterungen und Drohungen sowie Auszahlung von Streikbrecherprämien solle der Arbeitskampf gebrochen werden. Ähnliches hatte Maike Jäger vom verdi-Fachbereich 3 von Alpenland zu berichten. Streikende würden eingeschüchtert, Streikbruch solle belohnt werden. Dadurch würde  aber die Entschlossenheit der Streikenden erhöht, berichtete sie und verweist auf Erfolge. „Vor einigen Wochen kannte kaum jemand den Namen Alpenland. Durch den Streik sei die Firma dadurch bekannt, dass die Beschäftigten im Osten wesentlich weniger als im Westen verdienen“.

Auf einer Zwischenkundgebung vor dem Buchkaufhaus Dussmann machten die Gewerkschafter ihren Unmut Luft. Das Unternehmen bildet gemeinsam mit der Charity, den Unternehmen Hellmann und  VAMED die  Charité Facility Management GmbH. „Wir kommen wieder“ beendete ein Redner seinen kurzen Redebeitrag, der von zahlreichen Passanten mit Zuspitzung aufgenommen wurde.
Tatsächlich soll es nicht die letzte Solidaritätsdemonstration bleiben. Ver.di will den Arbeitskampf aus den betroffenen Betrieben in die Gesellschaft tragen. Auf der Demonstration waren allerdings die aktiven Gewerkschafter eindeutig in der Mehrzahl. Soziale Initiativen, die  2008 beim Einzelhandelsstreik   zur Unterstützung der Kollegen waren auf der Demo kaum vertreten. Die beteiligten sich dagegen zahlreich  an einer Demonstration, die zwei Stunden später auf der gleichen im Rahmen der globalen Krisenproteste   auf der gleichen Route durch Berlins Mitte zog. Dort wurden die Arbeitskämpfe gar nicht erwähnt. Anders als in den USA, wo Gewerkschafter bei den Krisenprotesten beteiligt sind,  klappte in Berlin der Schulterschluss noch nicht. Vielleicht sollten die Sozialforen wieder aktiv werden, die vor einigen Jahren hier eine wichtige Koordinierungsfunktion hatten“, meine eine Aktivistin.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/209062.solidaritaet-mit-charite-und-pflege-streik.html

Peter Nowak

Demo für Streikende

CHARITÉ Der Streik dauert seit sechs Wochen an. Eine Einigung ist bislang nicht in Sicht

Mehrere hundert Menschen haben mit einer Demonstration am Samstag zur Solidarität mit den streikenden MitarbeiterInnen der Charité und der Alpenland-Pflegedienste aufgerufen. Beteiligt waren unter anderen die Gewerkschaft Ver.di und ein Solidaritätskomitee, an dem neben Gewerkschaften auch soziale Initiativen beteiligt sind.

Seit dem 18. August sind MitarbeiterInnen der Alpenland Pflegedienste und der Charité im Ausstand. „Die Streiks sind ein Mittel, die sich ausbreitende Prekarisierung, und die Untergrabung von ArbeitnehmerInnenrechten zu bekämpfen“, begründet Sascha Stanicic vom Solidaritätskomitee, warum der Ausstand nicht allein Sache der Beschäftigten sein soll.

Die berichteten von Aufforderungen zum Streikbruch und Einschüchterungsversuche. „Das hat die KollegInnen nur noch entschlossener gemacht. Wir setzten den Streik fort, bis es gleiche Löhne in Ost- und Westberlin gibt“, sagt Maike Jäger vom Ver.di-Fachbereich 3. Einheitliche Löhne sind eine zentrale Forderung der Beschäftigten des Pflegeunternehmens. Kommenden Donnerstag soll dort weiterverhandelt werden. Zur Unterstützung ruft Jäger für diesen Tag zu Besuchen der Streikenden in der Weißendörfer Straße 64 in Biesdorf auf. Die Charité Facility Management GmbH ist bisher nicht zu Tarifverhandlungen bereit.

Die GewerkschafterInnen wollen in nächster Zeit in weiteren Aktionen ihre Solidarität mit den Streikenden zeigen. Schon im Einzelhandelsstreik 2008 beteiligten sich soziale Initiativen zur Unterstützung der KollegInnen. Die Demonstration am Samstag bestimmten allerdings die GewerkschafterInnen schon optisch. Die Aktivisten aus sozialen Initiativen beteiligten sich wiederum zwei Stunden später an der Demo zu globalen Krisenaktionstag.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2011%2F10%2F17%2Fa0114&cHash=fa438f86ba

Peter Nowak

Rund um die Uhr an der Kasse


PREKÄRE JOBS Ein Spätkauf-Mitarbeiter verliert erst den Job, dann will man ihm verbieten, über die schlechten Arbeitsbedingungen zu sprechen. Der Fall beschäftigt nun die Justiz

Rund um die Uhr einkaufen, sich frühmorgens Biernachschub holen oder im Internet surfen erfreut sich wachsender Beliebtheit. Die Zahl der Spätkaufläden in Berlin wächst – und damit auch die Zahl der prekären Arbeitsplätze.

Drei Jahre hat Daniel Reilig* in einem Spätkauf in Friedrichshain gearbeitet, offiziell war er Minijobber. Gearbeitet habe er 60 Stunden in der Woche, berichtet Reilig am Mittwochabend im Stadtteilladen Zielona Gora. Anfangs hätten ihn die Arbeitsbedingungen nicht gestört. „Ich hatte ein unbezahltes Praktikum in einem Discounter hinter mir. Da hat mir die familiäre Atmosphäre zunächst gefallen“, sagt er. Zumal ihm sein Chef bald die Verantwortung für einen Laden übertragen habe. Als Filialleiter auf Minijobbasis sei ihm der niedrige Lohn kaum aufgefallen. Erst als ein Kurzurlaub abgelehnt wurde, sei die Situation eskaliert. Reilig erhielt die Kündigung.

Sein früherer Chef, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, behauptet, Reilig sei auf eigenen Wunsch gekündigt worden. Auch die Vorwürfe gegen die Arbeitsbedingungen weist er zurück. Der Angestellte habe nur zwanzig Stunden im Monat arbeiten müssen. Sollte er länger im Laden gewesen sein, sei es freiwillig geschehen.

Die Angelegenheit beschäftigt mittlerweile die Justiz. Der ehemalige Chef wollte Reilig mit einer Klage verbieten lassen, seine Darstellung der Arbeitsverhältnisse weiter zu verbreiten. Er verklagte auch ein Internetmagazin, das einen Bericht über den Konflikt veröffentlicht hatte. In einer eidesstattlichen Erklärung hat Reilig seine Version bekräftigt. Unterstützung bekommt er von KundInnen des Spätkaufs. Die wollen vor dem Arbeitsgericht bestätigen, dass er fast rund um die Uhr an der Kasse stand.

Reilig will den Lohn für seine tatsächliche Arbeitszeit einklagen. Nach Angaben seines Anwalts Klaus Stähle stehen die Chancen gut. „Wichtig ist dabei, dass sich durch ZeugInnenaussagen oder andere Belege die tatsächliche Arbeitszeit nachweisen lässt“, betont der Arbeitsrechtler gegenüber der taz.

Reilig ist der erste Spätkauf-Beschäftigte unter seinen Mandanten. Gründe seien die informellen Arbeitsbeziehungen in der Branche und mangelnde Information der Beschäftigten über ihre Rechte. Auch an die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat sich bislang kein Spätkauf-Beschäftigter zur Durchsetzung seiner Rechte gewandt, erklärt die zuständige Gewerkschaftssekretärin Erika Ritter gegenüber der taz.

Dabei würden die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel insgesamt immer schlechter. Vor allem die Konkurrenz der Discounterketten sorge für großen Druck und verringere die finanziellen Spielräume. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU, an die sich Reilig gewandt hat, ist optimistisch. „Unsere Erfahrungen, Löhne für Einzelne einzuklagen, sind sehr positiv. Der juristische Weg reicht dabei natürlich oft nicht aus“, sagt Julia Fehrte von der Berliner FAU zur taz. Am 26. Oktober soll um 18 Uhr am U-Bahnhof Samariterstraße eine Solidaritätskundgebung für Reilig auch die KundInnen dafür sensibilisieren, dass der Rund-um-die-Uhr-Service der Spätkaufe seinen Preis hat.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F10%2F07%2Fa0149&cHash=315583a9c3

Peter Nowak

Die besseren Manager

Um für Mitglieder attraktiver zu werden, wollen die Gewerkschaften ihre Arbeit modernisieren. Dabei setzen sie auf den »Standort« und betriebswirtschaftliche Professionalität.

Haben die DGB-Gewerkschaften noch eine Chance oder sind sie ein Auslaufmodell? Mit dieser Frage beschäftigen sich die zwei größten Einzelgewerkschaften im DGB. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi tagte in der vorigen Woche in Leipzig, die IG Metall lädt vom 9. bis zum 15. Oktober zum 22. Gewerkschaftstag nach Karlsruhe. Es solle über die Herausforderungen der kommenden Jahre diskutiert werden, schreibt der IG-Metallvorsitzende Berthold Huber auf der Homepage der Gewerkschaft und macht sich und den Mitgliedern Mut.

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Widerstand ist organisierbar

Konferenz in Berlin – mit wenig Interesse bei Gewerkschaften
Am Wochenende lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Berlin zu einer Konferenz ein, an der vor allem sogenannte Stadtteilorganizer teilnahmen.

Soziale Proteste sind in Deutschland selten. Bundesweite Demonstrationen unter dem Motto »Wir zahlen nicht für Eure Krise« bleiben ohne nachhaltige Wirkung. Dieser Zustand frustriert viele politisch Aktive und lässt sie nach politischen Alternativen Ausschau halten. Zwei Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind in den USA fündig geworden. Sie haben auf dem dortigen Sozialforum das Community-Organizing, die politische Organisierung in den Stadtteilen, in Theorie und Praxis kennen gelernt. Einige Stadtteilorganizer nahmen am Wochenende in Berlin an einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung teil, die sich mit Strategie und Taktik einer revolutionären Realpolitik befassten.
Stadteilorganisator Eric Mann aus Los Angeles erinnerte darin, dass die Kommunistische Partei der USA in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreiche Organizing-Projekte initiiert. Auch für die US-Bürgerrechtsbewegung war die Stadtteilorganisierung ein wichtiges politisches Aktionsfeld. Mann erinnerte daran, dass Martin Luther King mit der Organisierung streikender Müllmänner beschäftigt war, als er von einem Rassisten erschossen wurde. Daran knüpft seine Organisation an, als sie mit den Beschäftigten und Stadtteilbewohnern gegen die Schließung einer CM-Filiale erfolgreich kämpfte. Sendolo Diaminah von der Initiative People’s Durham outet sich auf der Konferenz als Kommunist, der nach der weltweiten Krise der Linken nach dem Ende des Nominalsozialismus nach neuen Wegen suchte. Er sieht im Organizingkonzept eine Möglichkeit, die Lücke zu füllen, die der Zerfall linker Organisationen hinterlassen hat.

Auch für Steve Williams von der Initiative Power aus Los Angeles ist das Organizingkonzept heute besonders aktuell. Das Schrumpfen der Kernarbeiterschaft führe zum Bedeutungsverlust von Gewerkschaften. Erfolgreiche Streiks seien daher auf Organisierung außerhalb der Betriebe angewiesen. Als Beispiel nannte er eine gelungene Organisierung von Schülern und Busfahrern, als der Schultransport privatisiert wurde, was mit Preissteigerungen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbunden war.
Auch in Deutschland hat die Debatte um Organizingstrategien inner- und außerhalb der Gewerkschaften begonnen. Der Stuttgarter verdi-Bezirk gehört zu den Vorreitern. „Innerhalb der deutschen Gewerkschaftsbewegung steht die Debatte noch ganz am Anfang,“ betont die Stuttgarter Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt auf der Konferenz.

Florian und Max, zwei Aktivisten vom „Recht auf Stadt-Bündnisses“, berichten über Erfolge und Grenzen ihrer Organisationsansätze in den Hamburger Stadtteilen Altona und Wilhelmsburg. In letzterem wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen, bei denen die Organisierer auf offene Ohren stießen. Innerhalb kurzer Zeit wurde eine Protestaktion gegen Mieterhöhungen zum Wohnungsbauunternehmen Gagfah organisiert. Allerdings sind nicht alle politischen Initiativen erfolgreich gewesen. Der These, dass man mit den Bewohnern über den Protest gegen steigende Mieten nicht aber über Stadtpolitik reden kann, widersprach der Soziologe Alex Demirovic und verweist auf andere Erfahrungen in Frankfurt/Main. Auch die Grundsatzfrage, ob Organizingkonzepte linke Parteien ersetzen oder ergänzen kann, blieb auf der Konferenz offen. Dass sie an Bedeutung gewinnen werden, scheint aber klar. Daher war es unverständlich, dass bei der Konferenz im Berliner IG-Metallhaus kaum Gewerkschaftler und politische Aktivisten anwesend waren.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/207596.widerstand-ist-organisierbar.html?sstr=Organizing

Peter Nowak

Bier und Päckchen, Kippen und Ausbeutung

Alles locker am Spätkauftresen? Oftmals nicht für die Beschäftigten
Zehn Stunden Arbeit am Tag statt Minijob, nur der Lohn ist der gleiche. Erstmals will sich ein Berliner Spätkaufbeschäftigter vor dem Arbeitsgericht gegen die fiesen Arbeitsbedingungen wehren.

Daniel Reilig* gehörte zum wachsenden Heer von Minijobbern. 20 Stunden im Monat wollte er in einem Spätkaufladen im Berliner Stadtteil Friedrichshain seine Hartz-IV-Bezüge durch eine Vergütung von 120 Euro aufbessern. So steht es in dem Vertrag, den Reilig mit dem Besitzer mehrerer Spätkaufläden abgeschlossen hat. Doch sein Arbeitsalltag sah ganz anders aus.
Campact – Waffen

»Ich arbeitete sechs Tage die Woche bis zu zehn Stunden täglich. Ich hatte in dieser Zeit auch keine Mittagspause«, erklärt Reilig gegenüber ND. Bei einem Imbiss in der Nachbarschaft habe er Menüs bestellt, die er an seinen Arbeitsplatz verzehren konnte, wenn er gerade keine Kunden zu bedienen hatte. Dass sei selten gewesen, denn im Spätkauf waren ein Internetcafé, ein Getränke- und Zeitschriftenvertrieb und ein Hermes-Versanddienst integriert.

Der Chef von Reilig behauptet, seine Brüder hatten in den Läden fast rund um die Uhr gearbeitet. Reilig hingegen sei nur 20 Stunden im Monat dort tätig gewesen. Wenn er sich dort länger aufgehalten hat, sei das freiwillig gewesen. Er droht Reilig mit einer Klage, wenn er seine Beschreibung der Arbeitsbedingungen weiterhin aufrecht erhält. Der hat in einer Eidesstattlichen Erklärung seine Version bekräftigt, die von einigen regelmäßigen Kunden des Spätkaufs bestätigt wird. Er habe sich immer wieder gefragt, ob Reilig keine Freizeit habe, weil er rund um die Uhr hinter der Kasse gesessen hat, erklärte ein Anwohner, der in dem Laden regelmäßig einkauft. Diese Angaben will er beim Prozess vor dem Arbeitsgericht wiederholen.

Dort will Reilig den Lohn für seine tatsächliche Arbeitszeit einklagen. Nach Angaben seines Anwaltes Klaus Stähle stehen die Chancen gut. Wichtig sei aber, dass er durch Zeugenaussagen oder andere Belege seine tatsächliche Arbeitszeit nachweisen kann. Bisher ist dem Arbeitsrechtler kein weiterer Fall bekannt, wo sich ein in einem Spätkauf Beschäftigter juristisch wehrt. Gründe seien die informellen Arbeitsbeziehungen in der Branche und mangelnde Information der Beschäftigten über ihre Rechte. So sei vielfach auch nicht bekannt, dass Menschen mit geringen Einkommen Prozesskostenbeihilfe beantragen können, um ihre Rechte einzuklagen.

Auch Erika Ritter, bei ver.di Berlin-Brandenburg für den Handel zuständig, kennt keinen Fall, wo sich ein Spätkauf-Beschäftigter an die Gewerkschaft gewandt hat, um seine Rechte durchzusetzen. Auch sie bewertet die Erfolgsaussichten als gut. Ließe sich nachweisen, dass der in Berlin geltende Tarifvertrag um mehr als 30 Prozent unterschritten wird, sind die Arbeitsbedingungen sittenwidrig. Das kann bei einem Stundenlohn von unter acht Euro der Fall sein.

Ein Grund für die geringe Organisierungsbereitschaft liegt für Ritter darin, dass es sich überwiegend um Familienbetriebe handelt, in denen die gesamte Verwandtschaft rund um die Uhr für wenig Geld schuftet. Dabei würden die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel immer schlechter. Vor allem die Konkurrenz der Supermärkte und Discounterketten sorgte für großen Druck und verringere die finanziellen Spielräume. Die anarchosyndikalistische Gewerkschaft FAU will mit einer Kampagne beginnen, um die Beschäftigen in dieser Branche verstärkt über ihre Rechte zu informieren. Eine erfolgreiche Klage von Reilig könnte dabei helfen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206864.bier-und-paeckchen-kippen-und-ausbeutung.html

Peter Nowak

Organisieren statt Lamentieren

Eigeninitiative und Solidarität: Über den Arbeitskampf an der Schwedischen Schule Berlin
Ein Lehrer organisiert die Belegschaft einer schwedischen Schule in Berlin, erreicht die Verbesserung von Arbeitsbedingungen – und ist überrascht über die Solidarität von Schülern und Eltern.

»Die Schwedische Schule in Berlin bietet ein geschütztes, sicheres schulisches Umfeld mit Zweisprachigkeit und Unterricht in kleinen Gruppen, angeleitet durch kompetente Pädagogen«, heißt es auf der Homepage der Lerneinrichtung in Berlin-Wilmersdorf. Sie wird von über 50 Schülern, vor allem Kinder von in Deutschland lebenden schwedischen Künstlern und Diplomaten, besucht.

An dieser Schule gelang es einem engagierten Gewerkschafter, die Arbeitsbedingungen entscheidend zu verbessern. Im Sommer 2010 nahm Johnny Hellquist die Arbeit in Berlin auf und war über die dortigen Arbeitsbedingungen empört. »Es gab weder Arbeitsverträge, noch Lehrerzimmer oder Arbeitsräume. Eine Stunde pro Woche arbeiteten wir unentgeltlich in der Schule und mussten uns auch darauf einstellen, bei Klassenfahrten und an vereinzelten Wochenenden unsere Arbeitskraft unbezahlt zur Verfügung zu stellen«, berichtete er gegenüber ND. Bei seinen sechs Kollegen stieß er sofort auf offene Ohren, als er Treffen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen organisierte. Die Lehrer hatten mehrmals die schwedische Akademikergewerkschaft über die prekären Arbeitsbedingungen in Berlin informiert. Die hatte allerdings bedauernd mitgeteilt, in Deutschland nicht eingreifen zu können. Ein Kontakt zur hiesigen GEW wurde ihnen nicht vermittelt. In Schweden existieren drei gewerkschaftliche Dachverbände, die getrennt Arbeiter, Angestellte und Akademiker vertreten und sozialpartnerschaftlich orientiert sind. Lediglich der anarchosyndikalistische Gewerkschaftsverband SAC, in dem Hellquist organisiert war, setzt auf gemeinsame Organisierung von Arbeitern, Angestellten und Akademikern. Die SAC spielt mit ihren über 6000 Mitgliedern als kämpferische Gewerkschaft eine wichtige Rolle auch in schwer organisierbaren Branchen. In Berlin war Hellquist erfolgreich. Als die Lehrer kollektiv die Teilnahme an einer weiteren Klassenfahrt ohne Bezahlung verweigerten, kam der Durchbruch. Ab Herbst 2011 erhalten alle Pädagogen erstmals schriftliche Arbeitsverträge. Alle Arbeitsstunden und Klassenfahrten werden künftig bezahlt. Zudem wurde ein Arbeits- und ein Lehrerzimmer in der Schule eingerichtet.

Für diesen Erfolg macht Hellquist neben der Organisierung der Kollegen auch die Unterstützung durch Eltern und Schüler verantwortlich. Die zeigte sich am 29. Mai, als dem engagierten Gewerkschafter von der Direktion mitgeteilt wurde, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert werde. Er wurde aufgefordert, die Schlüssel abzugeben und das Schulgelände sofort zu verlassen. Diese Disziplinierungsmaßnahme war für Hellquist ein Ansporn zum Widerstand: »Abends schrieb ich einen langen Brief an die Eltern, in dem ich sie über das ganze Drama aufklärte und ihnen vorschlug, an die Schuldirektorin und den Vorstand zu schreiben und ihre Meinung kundzutun«, erzählt er. Über die Reaktion war er selber erstaunt. Schüler richteten auf »Facebook« eine Seite mit dem Titel »Wir wollen Johnny zurück« ein, 20 Eltern drohten mit der Besetzung des Schulgebäudes, wenn die Entlassung von Hellquist nicht zurückgenommen wird. Am nächsten Tag kam die Schulleitung der Forderung nach. »Weniger Lamentieren – mehr Organisieren«, dieses Fazit zieht Hellquist aus seinen Erfahrungen, die er auf viele Arbeitsbereiche für übertragbar hält.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/206337.organisieren-statt-lamentieren.html

Peter Nowak