Aus Solidarität

Mit Kundgebungen in mehreren Städten wollen sich linke Gruppen in Deutschland mit dem heutigen Generalstreik in Spanien solidarisieren. »Wir wollen deutlich machen, dass auch Deutschland kein ruhiges Hinterland mehr ist«, sagt Jutta Sommer vom linksradikalen M31-Bündnis. Das Kürzel steht für einen antikapitalistischen Aktionstag, der in mehreren europäischen Ländern für den 31. März vorbereitet wird. In Deutschland wird die zentrale Demonstration an diesem Tag in Frankfurt am Main stattfinden.
Die Initiatoren der Solidaritätsaktionen sehen genug Gründe für Proteste in beiden Ländern. »Ziel des Streiks in Spanien ist es, der Kürzungspolitik und der fortgesetzten Auflösung sozialer Rechte durch die Regierung ein Ende zu setzen. Diese Politik wird auch von der EU und insbesondere der deutschen Regierung forciert«, betont Florian Wegner, Sekretär der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterunion (FAU).

In Berlin soll es heute um 13 Uhr eine Kundgebung vor dem Haus der Wirtschaft geben. Denn die deutsche Wirtschaft, so FAU-Aktivist Wegner, verdanke ihren jüngsten Aufschwung wachsender Prekarisierung hierzulande sowie der Verarmung der Bevölkerung in Ländern wie Griechenland oder Spanien.

Auch in Stuttgart und Frankfurt am Main sind Solidaritätskundgebungen mit den Streikenden in Spanien geplant. Sie sollen nachmittags vor den spanischen Konsulaten stattfinden. Dazu rufen auch soziale Initiativen auf. Clara Sommer vom Frankfurter Bündnis spricht von einem »Praxistest für die sozialen Bewegungen«. Jetzt werde sich zeigen, ob sie ihre nationalstaatliche Begrenzung aufgeben und sich auf soziale Kämpfe in Europa beziehen könnten.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/222726.aus-solidaritaet.html
Peter Nowak

„In Griechenland wird zur Zeit ein Angriff auf die Lohnabhängigen geführt“

Auf einer Rundreise sprechen griechische Beschäftigte über die konkreten Folgen der Krisenpakete für große Teile der Bevölkerung

Eine Branche boomt in diesen Tagen in Griechenland: die Suppenküchen, wo Menschen, die teilweise keinerlei Einkünfte mehr haben, etwas Warmes zu Essen bekommen können. Allein in Athen nutzen täglich ca. eine viertel Million Menschen diese karitative Einrichtung. Auch die Zahl der Obdachlosen und der Menschen, die keinerlei Zugang zu medizinischen Leistungen haben, ist in den letzten Monaten rasant gewachsen.

Diese Zahlen nannte Konstantina Daskalopulou am Dienstagabend auf einer Veranstaltung im vollbesetzten Saal des Berliner IG-Metall-Hauses. Die Journalistin der linksliberalen Tageszeitung Eleftherotypi befindet sich mit vielen ihrer Kollegen seit mehreren Monaten im Streik. Schon seit August letzten Jahres haben sie keine Honorare mehr bekommen. Das Zeitungssterben ist Teil des griechischen Krisenprozesses. Doch nicht alle Redaktionen haben sich gewehrt wie das Redaktionsteam von Eleftherotypi.

Der Stahlarbeiter Panagiotis Katsaros gehört zu den griechischen Lohnabhängigen, die sich gegen die Krisenpolitik wehren. Er gehört zu der Belegschaft eines seit Monaten bestreikten und besetzten Stahlwerkes in der Nähe von Athen. Katsaros und Daskalopulou machen zur Zeit eine Rundreise durch verschiedene deutsche Städte. Auf ihrer ersten Station am Dienstagabend in Berlin betonten viele Veranstaltungsteilnehmer, sie hätten durch die Gäste plastisch vor Augen geführt bekommen, dass nicht der Großteil der griechischen Menschen gemeint ist, wenn die Politiker hierzulande von Griechenlandrettung reden.

Griechenland als europäisches Labor

Margarita Tsomou von der Initiative Real Democray Now – Berlin/Griechenland, die die Rundreise konzipierte, betonte auf der Veranstaltung, sie habe Verständnis, wenn in Deutschland Stimmen laut werden, dass man nicht für Griechenland zahlen wolle. Es gehe schließlich nicht um die Unterstützung der Mehrheit der dort lebenden Menschen, sondern um die der Banken.

Der griechische Arbeitsrechtler Apostolos Kapsalis, der in einem Forschungsinstitut des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE arbeitet, legte den Fokus auf die massive Aushöhlung der Gewerkschaftsrechte in Griechenland im Rahmen des Krisenpakets. Darauf haben bisher weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Gewerkschafter hingewiesen. So hat die griechische Regierung auf Druck der EU-Troika ein Gesetz erlassen, das Lohnerhöhungen verbietet, bis die Arbeitslosigkeit auf 10 % zurückgegangen ist. Damit sei massiv in die Tarifhoheit eingegriffen worden. Kapsalis erläutert, dass vor allem die Branchentarifverträge, in denen die Beschäftigten eine reale Verhandlungsmacht haben, geschwächt werden und statt dessen betriebliche oder individuelle Vereinbarungen protegiert werden sollen.

Er sieht bei der Durchsetzung von neoliberalen Standards gegenwärtig Griechenland als europäisches Labor. Schon würden ähnliche Programme auch für Spanien, Portugal, Italien und vielleicht auch bald für Frankreich geschrieben, warnte der griechischen Gewerkschafter. Im Prinzip stimmte dieser Einschätzung auch Dierk Hirschel vom ver.di-Bundesvorstand zu, der in den letzten Wochen in verschiedenen Zeitungen die These vertreten hat, dass eine kämpferische, in Lohnerhöhungen mündende Tarifrunde hierzulande eine Unterstützung für die Lohnabhängigen an der europäischen Peripherie wäre.

Auf der Veranstaltung in Berlin stießen seine Ausführungen allerdings nicht nur auf Zustimmung. Schließlich legte er dort den Schwerpunkt auf das Erläutern der Probleme, die seiner Meinung nach europaweite Krisenproteste erschweren. Als er dann aber Proteste in Deutschland mit Beteiligung der DGB-Gewerkschaften frühestens für Herbst 2012 in Aussicht stellte, gab es Buhrufe. Schließlich planen Basisgewerkschaften und soziale Initiativen bereits für den 31.März und für Mitte Mai europaweite Aktionstage des Krisenprotestes.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36587/1.html
Peter Nowak

Nestlé und der Tod des Gewerkschafters

Juristen werfen Konzern Mitschuld an der Ermordung von Luciano Romero vor
In Kolumbien ist die Ermordung von Gewerkschaftern durch Paramilitärs traurige Realität. Erstmals soll jedoch die Mitverantwortung eines internationalen Großkonzerns juristisch aufgearbeitet werden.

Luciano Romero war am Morgen des 11. September 2005 in der nordkolumbianischen Provinzstadt Valledupar schwer misshandelt worden, bevor er durch die zahlreichen Messerstiche starb. Sein Tod erfolgte wenige Tage bevor der langjährige Nestle-Gewerkschafter auf einem internationalen Tribunal über den Nestle-Konzern aussagen sollte. Romero wäre einer von über dreitausend kolumbianischen Gewerkschaftern, die in den letzten Jahren von Paramilitärs getötet worden sind. Doch sein Fall hat heute schon Rechtsgeschichte geschrieben. Die Juristenvereinigung European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat kürzlich gemeinsam mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal, deren Mitglied Romero war, bei der Schweizer Justiz Anzeige gegen Verantwortliche des Nestle-Konzern gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, den Tod des Gewerkschafters „durch pflichtwidriges Unterlassen fahrlässig mit verursacht zu haben. „Der Mord geschah im Kontext eines bewaffneten Konflikts, in dem Gewerkschafter und andere soziale Gruppen systematischer Verfolgung, vor allem durch Paramilitärs und staatliche Stellen ausgesetzt sind“, heißt es in der Begründung der Anzeige. So sei Romero vor seinem Tod von Nestle-Verantwortlichen fälschlich in die Nähe der kolumbianischen Guerilla gerückt worden. Ein solcher Verdacht sei unter den damaligen Verhältnissen in Kolumbien fast ein Todesurteil gewesen. Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärte der Sinaltrainal-Anwalt Leonardo James, dass ein kolumbianische Richter in dem Prozess gegen zwei Mitarbeiter des Geheimdienstes auf die Verantwortung von Nestle hingewiesen habe. Der Jurist sei danach ebenfalls von den Paramilitärs bedroht worden und musste das Land verlassen.
Der Sinaltrainal-Vertreter Carlos Olava zitierte bei den Pressegespräch den Ausspruch eines Paramilitärs, der bekräftigte, die Gewerkschafter seien systematisch getötet würden, weil sie der Wirtschaft gefährlich werden könnten. Tatsächlich habe die Ermordung von Romero und anderen Gewerkschaftern einen schweren Rückschlag bei den Organisierungsbemühungen zur Folge gehabt. Die Menschen hätten danach Angast gehabt, sich überhaupt noch zu organisieren.. Olava sieht auch keinen Widerspruch darin, den juristischen Weg zu gehen und trotzdem für eine kämpferische Interessenvertretung einzutreten.
Der Berliner Rechtsanwalt und ECCHR-Vertreter Wolfgang Kaleck betonte, dass mit der Anzeige juristisches Neuland betreten werde. Es gebe aber nicht um ein Medienspektakel. Neben der Aufklärung der Wahrheit über die Ermordung des Gewerkschafters soll auch die Verantwortung von Konzernen thematisiert werden. Hier könnte die Klage eine Türöffnerfunktion bekommen, hofft Kaleck, „Unternehmen wie Nestle wissen, in welchen Gefahren ihre Arbeiter schweben, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren und ihre Rechte als Arbeiter verteidigen. Wenn sie solche Verbrechen hinnehmen, werden sie zu schweigenden Komplizen“, heißt es in einer in der Pressemappe dokumentierten Stellungnahme. Mittlerweile hat Nestel in einer Pressemitteilung erklärt, dass der Konzern immer gegen Gewalt eingetreten sei, lehnte aber jede Verantwortung für den Tod Romeos ab.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/220947.nestle-und-der-tod-des-gewerkschafters.html Peter Nowak

Tod im Getreidefeld

Im Juni 1992 wurden in Mecklenburg-Vorpommern zwei Migranten aus Rumänien getötet. Der genaue Tathergang wurde bisher nicht aufgeklärt. Nun erinnert ein Dokumentarfilm an die Opfer.

Die Namen Grigore Velcu und Eudache Calderar kannte bisher kaum jemand. Das könnte sich bald ändern. In wenigen Monaten wird der Dokumentarfilm »Revision« in die Kinos kommen, der den bislang ungeklärten Tod der beiden Roma aus Rumänien in einem Getreidefeld in Mecklenburg-Vorpommern in den frühen Morgenstunden des 29. Juni 1992 zum Thema hat. Schon auf der Berlinale sorgte Philip Scheffners Film für Diskussionen. Vielleicht auch, weil die Männer den falschen Pass hatten, gab es in den Medien damals nur eine kurze Meldung zum Tod Velcus und Calderars. Die offizielle Version lautet, die beiden Männer seien beim illegalen Übertritt der deutsch-polnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die die Gruppe, die in dem Getreidefeld auf ihren Transfer wartete, mit Wildschweinen verwechselt hätten. Die Schützen konnten schnell ermittelt werden. Ein ehemaliger Polizist und passionierter Jäger aus der Region sowie ein Jäger aus Hessen wurden wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Nachdem das Verfahren über mehrere Jahre verschleppt worden war, erfolgte ohne jede kritische Öffentlichkeit die Einstellung. Auch eine Revision wurde verworfen. Es habe nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden können, wer die tödlichen Schüsse abgegeben habe, die beide Männer getötet haben, lautet die Hauptbegründung für die Einstellung.

Dabei leisteten die Jäger den von den Schüssen Getroffenen weder Erste Hilfe, noch verständigten sie einen Rettungswagen. Mindestens einer der Männer atmete noch, als er etliche Stunden später von Erntehelfern gefunden wurde, er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ob er überlebt hätte, wenn sofort lebensrettende Maßnahmen eingeleitet worden wären, wurde nie geklärt.

Das ist nur eine von vielen Ungereimtheiten, die Scheffner aufdeckt. So sagte eine Gutachterin aus, dass bei den Lichtverhältnissen in der Morgendämmerung Wildschweine von Menschen klar zu unterscheiden gewesen seien. Auch die Ursache für einen Brand des Getreidefeldes nach den Schüssen bleibt offen. Angeblich soll ein Mähdrescher der Grund dafür gewesen sein. Vor der Kamera bestreiten zwei Feuerwehrleute, die an der Löschung beteiligt waren, dass ein Mähdrescher vor Ort gewesen sei. Scheffner befragte auch einen Freund der Getöteten, der sich mit ihnen auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte und Augenzeuge ihres Todes wurde. Auch nach mehrmaligem Nachfragen beharrt er darauf, dass die tödlichen Schüsse mit Zielfeuerwaffen aus einem Polizeiauto erfolgt seien, das am Rande des Felds gestanden habe. Diesen Umgereimtheiten wurde in dem Verfahren, das nur drei Verhandlungstage dauerte, nie nachgegangen. Keiner der Augenzeugen, die mit den Opfern im Feld auf ihren Transfer warteten, wurde als Zeuge gehört. Die meisten von ihnen waren zu diesem Zeitpunkt längst abgeschoben worden. Die Polizei hatte die Gruppe wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen an einer nahen Autobahnraststätte aufgespürt.

Vor der Kamera wollte keiner der Schützen Stellung zu dem Vorfall nehmen oder den Angehörigen der Opfer wenigstens nachträglich Beileid aussprechen. Während der hessische Jäger erklären ließ, er habe kein Interesse an einem Kontakt mit dem Filmemacher, beauftrage der ehemalige Polizist aus Mecklenburg-Vorpommern einen Anwalt, um mitzuteilen, dass der Fall rechtsstaatlich geprüft und längst zu den Akten gelegt worden sei. Auch die versicherungsrechtlichen Ansprüche seien mittlerweile verjährt, betonte der Jurist. Schließlich hätten die Angehörigen keine finanziellen Ansprüche geltend gemacht.

Die Verwandten der Opfer waren allerdings nie über ihre Rechte informiert worden. Dabei hätte eine finanzielle Entschädigung ihr Leben vielleicht etwas erleichtern können. Velcu und Calderar waren zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, weil sie in Rumänien keine Perspektive sahen. Sie hätten mit den Einkommen ihre Familien unterstützt. Ihr Tod stürzte ihre Angehörigen zusätzlich zur Trauer auch in große soziale Not. Frau Calderar war mit ihren Kindern zeitweise obdachlos.

Der Filmemacher stellt das Ereignis auch in einen politischen Zusammenhang. Knapp zwei Monate nach den tödlichen Schüssen im Sommer 1992 belagerte ein Mob aus Nazis und Bürgern in Rostock-Lichtenhagen ein Erstaufnahmelager für Migranten. Unter den Bewohnern, die in letzter Minute evakuiert wurden, nachdem es den Angreifern gelungen war, Teile des Gebäudes mit Molotow-Cocktails in Brand zu stecken, waren auch Augenzeugen der tödlichen Schüsse auf Calderar und Velcu. Wenige Monate später wurde das Asylrecht »reformiert«, oder besser gesagt: abgeschafft.

Das rassistische Klima hatte auch Velcu schon zu spüren bekommen. Er war mit seiner Familie 1989 nach Deutschland gekommen und lebte in einem Flüchtlingsheim in Gelbensande. Seine Mutter, die in dem Heim starb, wurde auf dem Dorffriedhof begraben. 1992 wurde die Grabstätte von Velcus Mutter mehrmals von Unbekannten verwüstet. Daraufhin entschloss Velcu sich, nach Rumänien zu reisen, um die nötigen Papiere für die Überführung der Leiche seiner Mutter in das Land zu besorgen. Er starb auf seinem Rückweg nach Deutschland im Getreidefeld. Das zerstörte Grabkreuz ist bis heute in einer Kirche in der Umgebung deponiert, auf Initiative einer Lehrerin aus der Region soll das Grab von Si­minica Ecaterina wieder hergerichtet werden. Scheffner sieht darin eine erste Reaktion auf die Diskussionen um seinen Film. In diesem Jahr jährt sich der Tod von Velcu und Calderar zum zwanzigsten Mal, ebenso wie die Angriffe auf das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/10/45018.html
Peter Nowak

Griechische Hochrüstung im Zeitalter der Krise

Noch 2010 gab Griechenland eine Milliarde Euro für Waffen aus

Eine Studie aus Brüssel war für die Bild-Zeitung wieder einmal ein Grund für Häme über die „Pleitegriechen“, die noch 2010 genug Geld hatten, um 1 Milliarde Euro für Rüstungsgüter ausgeben zu können. Größter Lieferant war Frankreich mit 876 Millionen Euro, gefolgt von Italien und den Niederlande. Auf Platz 4 folgt Deutschland mit insgesamt 35,8 Millionen Euro.

Schon länger ist bekannt, dass führende deutsche Rüstungskonzerne wie die Panzerfabrik KMW oder die Kieler Howalds-Werke-Deutsche Werft zu den Profiteuren der griechischen Militärpolitik gehören.

Der überproportional hohe Anteil der Rüstungsausgaben hat geopolitische und auch historische Gründe. Denn zwischen den beiden Natomitgliedern Griechenland und Türkei herrscht lediglich ein kalter Friede, der in der Vergangenheit schon mehrmals akut gefährdet war. Zypern ist seit langer Zeit ein Streitfall zwischen den beiden Ländern. Zudem gibt es Streit um die Abgrenzung der beiderseitigen See- und Lufthoheit in und über der Ägäis. Die Aufrüstung ist allerdings auch noch eine Erblast des kalten Krieges, als sowohl die Türkei als auch Griechenland an der „Südostflanke Europas“ massiv aufgerüstet wurden.
Verordnete außenpolitische Neuorientierung?

Im Zuge der Sparpolitik soll auch der Rüstungsetat um zunächst 300 Millionen Euro gekürzt werden, was allerdings nur ein erster Schritt sein dürfte. Schon wird auch von deutschen Kommentatoren wie Lothar Rühl in der FAZ gefordert, Griechenland müsse jetzt sein Verhältnis zum feindlichen Verbündeten Türkei grundsätzlich ändern.

Natürlich ist es naheliegend, die Reduzierung der Rüstungsausgaben in einem Land zu fordern, in dem zur Zeit massive Einschnitte bei den Löhnen, den Renten und Sozialleistungen umgesetzt werden. Die Reduzierung der Rüstungsausgaben müsste eine zentrale Forderung der griechischen Protestbewegung sein, die sich in den letzten Wochen im Widerstand gegen das von der EU diktierte Sparpaket lautstark zu Wort gemeldet hat. Schließlich sind Forderungen nach Einsparungen beim Militär statt auf sozialem Gebiet oder der Bildung weltweit ein grundlegendes Element sozialer Protestbewegungen.

Wenn solche Forderungen nicht gestellt werden, könnte das darauf hindeuten, dass die zentralen außenpolitischen Prämissen der griechischen Politik von einem großen Teil der Bevölkerung geteilt werden. Eine Kehrtwende in der türkisch-griechischen Zusammenarbeit kann aber nicht von außen diktiert werden, sondern muss zumindest von einem relevanten Teil der griechischen Bevölkerung unterstützt und eingefordert werden. Sollte dagegen eine Rüstungsausgabensenkung und ein neuer Politikansatz gegenüber der Türkei als EU-Diktat interpretiert werden, könnte es das Erstarken einer nationalistischen Rechten begünstigen, die schon längere Zeit nicht erfolglos durch die Krise verunsicherte Teile der Gesellschaft anspricht. Die Propaganda gegen eine EU, die nicht nur auf die Wirtschafts-, sondern auch die Außen- und Verteidigungspolitik Griechenlands Einfluss nehmen will, könnte solche Kräfte stärken.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151570
Peter Nowak

Kein Guantánamo im Mittelmeer

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde über europäische Flüchtlingspolitik entschieden
Italien hätte afrikanische Flüchtlinge, die noch auf See abgefangen wurden, nicht einfach zurück schicken dürfen. Das entschied am Donnerstag der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Damit stellten die Richter klar, dass das Meer kein rechtsfreier Raum ist.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasste sich auch mit der Kooperation der EU-Staaten mit dem Gadhaffi-Regime bei der Abwehr von Flüchtlingen, die heute gerne verschwiegen wird. Dabei waren Gadaffis Dienste als europäischer Grenzwächter sehr gefragt, nicht nur von der italienischen Regierung. Flüchtlinge wurden erst gar nicht auf europäischen Boden gelassen. Ihre Boote wurden gleich im Meer zur Rückkehr gezwungen.

Kritiker sprachen von einem Guantánamo auf hoher See, weil auf den Schiffen alle Rechte der Flüchtlinge suspendiert waren. So zum Beispiel im Mai 2009: Eine Gruppe von 227 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea wurde von Libyen kommend 35 Seemeilen vor der italienischen Insel Lampedusa von der italienischen Grenzpolizei und Marine aufgebracht. Zunächst dachten die Flüchtlinge, sie seien in Sicherheit, als sie auf die Schiffe der Marine gebracht wurden. Doch die transportierten sie sofort zurück nach Tripolis. Das Gericht entschied, dass die Flüchtlinge dadurch unmenschlicher Behandlung und Folter in den libyschen Flüchtlingslagern ausgesetzt wurden.

Die italienische Rechtsregierung sah in der Maßnahme einen großen Erfolg. Schließlich war es die erste Aktion nach dem Rückübernahmeabkommen mit Libyen. Deshalb fuhren mit der Grenzpolizei auch Journalisten mit, die für die mediale Verbreitung sorgen sollten. Schließlich gab es bei den Anhängern der italienischen Rechtsparteien, die damals die Regierung stellten, sogar Stimmen, die eine Bombardierung der Flüchtlingsboote forderte.

Schiffe kein rechtsfreier Raum

Die Anwesenheit von zwei französischen Journalisten auf dem Polizeiboot sorgte dafür, dass diese Rückführung den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof beschäftigte. Sie recherchierten in Libyen weiter, was mit den Abgeschobenen geschehen ist. Dort bekamen sie auch die Vollmachten von 24 Abgeschobenen, mit denen die Klagen eingereicht wurden. Der Europäische Gerichtshof stellte jetzt fest, dass mit der Rückführung gleich gegen mehrere Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen worden sei.

So seien die Flüchtlinge durch die Rückführung in Gefahr gebracht worden, weil ihnen unmenschliche Behandlung sowohl in Libyen als auch in ihren Herkunftsländern drohte. Es sei bekannt, dass in Eritrea Flüchtige mit Haft bestraft werden, nur weil sie das Land verlassen. Auf Zusagen der libyschen Regierung, wonach für den Schutz der Flüchtlinge gesorgt werde, hätte sich die Grenzpolizei schon deshalb nicht verlassen dürfen, weil das Land weder die Genfer Konvention zum Schutz der Flüchtlinge unterzeichnet, noch das örtliche Büro des UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) anerkannt hatte.

Schließlich hätte Italien auch die Menschenrechtskonvention beachten müssen – den Flüchtlingen sei nämlich kein Rechtsmittel gegen ihre Zurückweisung nach Libyen ermöglicht worden. Ein solches Rechtsmittel hätte eine aufschiebende Wirkung haben müssen, so die Richter.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151490
Peter Nowak

Seltene Erden statt Menschenrechte

Kasachstan, deren Diktator heute in Berlin auf Staatsbesuch weilte, steht nicht im Fokus von hiesigen Menschenrechtsinterventionisten

Der Versuch, eine unabhängige Gewerkschaft zu gründen, endete in einem Blutbad, bei dem es nach Angaben von Beteiligten der Protestbewegung mindestens 70 Tote gegeben hat. Die Regierung spricht von 10 Todesopfern. Sondereinsatztruppen des Innenministeriums seien im Einsatz gewesen (Der Fluch des Öls in Kasachstan).

Nein, die Rede ist nicht von Syrien, sondern von Kasachstan. Die blutigen Vorfälle ereigneten sich vor knapp zwei Monaten, während des Streiks der Ölarbeiter in der kasachischen Stadt Zhanaozen. Selbst kritische Kommentatoren sehen die Hauptfehler der trotzkistisch orientierten Gewerkschaft und ihrer Unterstützer darin, zu naiv gewesen zu sein und die Arbeiter damit der Repression des autokratischen Regimes des Präsidenten Nursultan Nasarbajew ausgeliefert zu haben. Der hat am Mittwoch einen Staatsbesuch in Berlin absolviert.

Zu den wenigen Kritikern gehörten linke Solidaritätsgruppen und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Schon 2010 hieß es im Länderbericht dieses aus der Erbmasse der Sowjetunion entstandenen Staates: „Es gab nach wie vor zahlreiche Berichte über Folter und andere Misshandlungen, obwohl die Regierung zugesichert hatte, mit einer ‚Null-Toleranz-Politik‘ dagegen vorgehen zu wollen.“ Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Right Watch hat sich die Situation der Menschenrechte in dem Land in der letzten Zeit sogar noch verschlechtert. Nach einer Verfassungsänderung darf Nasarbajew sich so lange wie er will zum Präsidenten wählen lassen. Schon bisher konnte von demokratischen Wahlen keine Rede sein.

Doch beim Staatsbesuch spielte nicht das Menschenrechtsthema, sondern der Abschluss von Wirtschaftsverträgen die zentrale Rolle. Kasachstan ist ein wichtiger Partner für die Wirtschaftsmacht Deutschland (Rohstoffpartner Kasachstan). Das Land verfügt über seltene Rohstoffe. Neben großen Mengen an Öl- und Gasvorkommen sind es seltene Erden. Das sind Metalle, die sehr selten vorkommen und für die Produktion moderner technischer Geräte wichtig sind. So wird Samarium für den Bau von Lasergeräten benötigt, Neodym steckt in Festplatten und Lanthan in Akkus für Elektro- und Hybridautos.

Der Chinabesuch, den Merkel mit einer großen Wirtschaftsdelegation .vor wenigen Tagen beendete, diente ebenfalls der Anbahnung von Verträgen zur Sicherung dieser seltenen Erden. Doch seit das Land seine Exporte drosselt, wird Kasachstan zunehmend zu einem gefragten Handelspartner.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151386
Peter Nowak

Was stört die EU-Kommission an Ungarns Rechtsregierung?

In der ungarischen Opposition gibt es unterschiedliche Auffassungen zum Eingriff der EU

Lange Zeit konnte Ungarns Rechtsregierung augenscheinlich schalten und walten, wie sie wollte. Mit einer komfortablen Mehrheit im Rücken machte sie sich an den konservativen Staatsumbau. Die Proteste im Innern waren überschaubar und Kritik vom Ausland schien die Rechtskonservativen in ihrer Bunkermentalität nur zu bestärken. Doch seit sich in Ungarn die Folgen der Wirtschaftskrise bemerkbar machen und das Land dringend neue Kredite braucht, kann Ministerpräsident Viktor Orban die Kritik aus dem Ausland nicht mehr ignorieren.

Jetzt hat die EU-Kommission rechtliche Schritte gegen die ungarische Regierung eingeleitet. Gleich auf drei Feldern sieht sie das EU-Recht verletzt: bei der Unabhängigkeit der Notenbank, beim Pensionseintrittsalter von Richtern und bei der Unabhängigkeit des Datenschutzes.

Politische Beobachter gehen davon aus, dass Orban am ehesten bei der Bankreform zu Kompromissen gezwungen und bereit dafür ist. Er hat auch schon angedeutet, das Bankgesetz im Sinne der EU zu verändern. Am schwersten dürfte es der Regierung vor allem bei der Justizreform, einem Kernstück des Staatsumbaus, fallen, den Brüsseler Kritikern nachzugeben. Schließlich muss die Regierung dem eigenen Anhang gegenüber fürchten, das Gesicht zu verlieren, wenn sie einerseits gegen ausländische Einmischung polemisiert und Oppositionelle als Handlager des Auslands diffamiert, um dann selbst Brüsseler Vorgaben zu erfüllen.

Zumal mit der Jobbik-Bewegung eine rechte Opposition in Ungarn bereitsteht, die bereits Demonstrationen und Aktionen gegen die EU organisiert und Vergleiche zwischen Moskau vor 1989 und Brüssel zieht. Diese rechtspopulistischen Kräfte könnten von einer Schwächung des Orban-Regimes profitieren.

Weder Orban noch EU

Wesentlich schwieriger noch ist es für die liberale und linke ungarische Opposition, sich gegen die EU-Vorgaben zu positionieren. Von den liberalen Kräften wird das Vorgehen Brüssels weitgehend begrüßt. Dort wurde schon längerem ein Eingreifen gefordert. Manche Liberale wünschen sich noch stärkeren Druck aus den USA. Der ungarische Philosoph und Linksoppositionelle Gáspár Miklós Tamás warnt allerdings in einem Beitrag, erschienen in der liberalen ungarischen Zeitung hvg davor, im Kampf gegen Orban auf die EU zu setzen. Tamás warnt:

Das in der Vergangenheit schon so oft enttäuschte ungarische Volk könnte in der „Causa Demokratie“ nur das i-Tüpfelchen auf dem von den westlichen Mächten verordneten Sparmaßnahmenkatalog sehen. Letztere scheinen sich eher um Finanzstabilität zu sorgen. Wenn der Schutz der demokratischen Institutionen zwangsläufig mit einer Verarmung des ungarischen Volkes einhergeht, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Bürger nicht für eine Wiederherstellung der liberalen Demokratie begeistern, die ihnen mehr Armut bringt.

Die Stichhaltigkeit seiner Argumente kann man an der EU-Kritik am ungarischen Bankengesetz deutlich machen. Die EU-Kommission wirft der ungarischen Regierung Verstöße gegen Artikel 130 des EU-Vertrags vor, der die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken vorschreibt, sowie gegen Artikel 127, der bei Gesetzesänderungen Konsultationen mit der Europäischen Zentralbank (EZB) verlangt.

Im Detail bemängelt die Kommission, dass der Finanzminister direkt an den Sitzungen des geldpolitischen Rats teilnehmen kann, was der Regierung die Möglichkeit geben könnte, die Notenbank von innen zu beeinflussen. Auch müsse die Bank der Regierung vorab ihre Tagesordnung vorlegen, was vertrauliche Erörterungen behindere. Die Bezahlung des Notenbankpräsidenten werde schon jetzt, statt erst zur nächsten Amtszeit, verändert, was die Gefahr berge, dass auf diese Weise politischer Druck auf ihn ausgeübt werde. Problematisch sei auch, dass der Präsident und die Mitglieder des geldpolitischen Rats auf Ungarn und dessen Interessen vereidigt würden, obwohl der Präsident auch Mitglied des Erweiterten Rats der EZB sei.

Diese Kritik ist auch in dem Sinne zu lesen, dass die EU-Kommission die unabhängige Finanzpolitik eines Landes begrenzen oder gar verhindern will. Jede Regierung, mag sie auch durch Wahlen von der Bevölkerung legitimiert sein, die eine Banken- und Fiskalpolitik einschlägt, die nicht mit den Interessen der EU-Kernländer harmoniert, könnte sanktioniert werden.

Es ist nicht der von EU-Kommissionspräsident Barroso beschworene ominöse Geist der EU, der hier verletzt wird, sondern es sind Interessen von mächtigen Ländern in der EU, die hier tangiert werden. Die EU-Kommission hat nicht protestiert, als der griechischen Bevölkerung im Dezember vergangenen Jahres das Recht genommen wurde, über das Krisenprogramm abzustimmen. Dem griechischen Ministerpräsidenten Papandreous kostete der in populistischer Absicht gestartete Demokratieversuch das Amt.

Wenn Ungarns Liberale jetzt hoffen, dass auch Orban durch Druck aus Brüssel sein Amt verliert, stehen auch nicht Fragen zur Demokratie, sondern wirtschaftliche Interessen im Mittelpunkt. Anders als die Liberalen positioniert sich die kleine, aber in Großbetrieben verankerte Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei in einer aktuellen Erklärung Gegen Urban, EU und IWF.
http://www.heise.de/tp/artikel/36/36256/1.html
Peter Nowak

Proteste gegen IWF-Politik in Rumänien

Wie in Ungarn könnte auch in Rumänien die extreme Rechte vom Unmut über der Bevölkerung profitieren

Die Proteste gegen die Sparpolitik der rumänischen Regierung weiten sich aus. Am Sonntagabend kam es in der Hauptstadt Bukarest erstmals zu militanten Auseinandersetzungen, nachdem Demonstranten die Polizeiketten durchbrochen hatten. In den Medien wird von mehr als 50 Verletzten gesprochen, die große Mehrheit waren Demonstranten. 29 Personen wurden festgenommen.

Sofort war irreführend von unpolitischen Fußballfans und Hooligans die Rede. Die Teilnahme von rechtsgerichteten Fußballfans, die nationalistische Parolen wie „Rumänien erwache“ riefen, ist sicher ein Ausdruck davon, dass Parteien und Gewerkschaften in Rumänien bei der Protestbewegung keine große Rolle spielen. Doch schon immer waren Fußballclubs auch in Rumänien mehr als nur eine Freizeitbeschäftigung. Sie haben auch als Ersatz für politische Organisationen gedient. Schon lange ist dort die großrumänische Ideologie auf fruchtbaren Boden gefallen. Die scheinbaren Verlierer der Wende richten ihren Frust gegen Roma, Juden und andere Minderheiten und träumen von einem Großrumänien. Solche Stimmungen wurden in der Vergangenheit von unterschiedlichen rumänischen Regierungen instrumentalisiert und gegen die Opposition eingesetzt.

Schon in den frühen 90er Jahren mobilisierte die als Sozialdemokraten firmierenden Nachfolger der Nationalkommunisten nationalistische Bergarbeiter aus der rumänischen Provinz nach Bukarest, um die Proteste der konservativen und liberalen Opposition niederzuschlagen. Mittlerweile haben diese Kräfte schon lange die Regierungsgewalt in Rumänien inne und bewiesen, dass sie genau so populistisch, machthungrig und bestechlich sind wie die Nachfolger Ceausescus. So lieferten sich im Jahr 2007 monatelang zwei Politiker des konservativ-liberalen Lagers einen Machtkampf ohne Rücksicht auf die staatlichen Institutionen. Dabei setzte sich der rechtspopulistische Präsident Traian Basescu gegen den nicht minder konservativen Ministerpräsidenten Calin Popescu Tariceanu durch. Der Präsident erwies sich als der geschicktere Populist und konnte einen großen Teil der Bevölkerung auf seine Seite bringen und dabei die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen. Diese Fähigkeit scheint ihm jetzt abhanden zu kommen. Die Proteste der letzten Tage richten sich vor allem gegen den Präsidenten. Sein Rücktritt wird gefordert.

IWF-Diktat in der Kritik

Zu den vom IWF aufoktroyierten Wirtschaftsmaßnahmen gehörte die Einfrierung der Renten, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Privatisierung des Gesundheitswesens. Der unmittelbare Anlass für die Proteste war die vom Präsidenten geplante Privatisierung des nationalen Rettungsdienstes und die Entlassung eines parteilosen Staatssekretärs, der dagegen opponierte.

Für einen Großteil der Bevölkerung brachte diese Wirtschaftspolitik eine noch stärkere Verschlechterung ihrer Lebenssituation. Schließlich sind in den letzten Jahren die Preise und Lebenshaltungskosten erheblich gestiegen. Bei den Löhnen gehört Rumänien noch immer zu den europäischen Schlusslichtern. Lange Zeit hat die Hoffnung auf einer Besserung der sozialen Situation durch eine EU-Mitgliedschaft einen großen Teil der Bevölkerung von Protesten abgehalten. Die Freude über die EU-Mitgliedschaft war in großen Teilen der Bevölkerung weit verbreitet. Anders als etwa in Polen oder Ungarn hält die rumänische Regierung noch immer an einer baldigen Einführung des Euro fest.

Doch die Geduld der Bevölkerung scheint zu Ende zu gehen. Es wird sich zeigen, ob sich der wendige Präsident noch einmal halten kann und der Aufruf zu einem nationalen Dialog Gehör findet. Eine politische Alternative hat auch die parteipolitische Opposition nicht zu bieten. Daher könnte wie in Ungarn auch in Rumänien die immer schon starke, offen chauvinistische Rechte vom Unmut der Bevölkerung, von der Diskreditierung aller großen Parteien und vom Fehlen emanzipatorischer Perspektiven in der Gesellschaft profitieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/151234
Peter Nowak

Mafia – Gewinnerin in der Krise?

Wie eine Meldung des italienischen Handelsverbandes in der EU-Krise propagandistisch benutzt wird

„Die Mafia ist die solideste Bank Italiens“, titelte die Bild-Zeitung und stützte sich dabei, wie viele andere Medien auch, auf den Jahresbericht des italienischen Handelsverbands Confesercenti.

Demnach ist die Mafia in Italien – die „Mafia AG“ – „die einzige Struktur, die über liquide Mittel für Investitionen verfügt“, wie sich der Confesercenti-Chef Marco Venturi dazu äußert. Haupeinahmequellen sind ihm zufolge nicht etwa heikle Devisen- oder Börsengeschäfte, sondern illegale Müllentsorgung, illegaler Geldverleih, Schutzgelderpressung, Betrug und Schmuggel. Auch im Bausektor soll die Mafia im vergangenen Jahr erfolgreich im Geschäft gewesen sein. Der Confesercenti-Bericht spricht von zehn Milliarden Euro Umsatz mit behördlich nicht genehmigen Bauten. Auch der Lebensmittelsektor ist laut Bericht eine Wachstumsbranche der Mafia.

Wenn auch der Jahresbericht des italienischen Handelsverbandes die Grundlage für die Medienberichte war, so darf doch nicht übersehen werden, dass der Mafiabegriff ganz bestimmte negative Assoziationen hervorruft, die sich politisch instrumentalisieren lassen. So wird vor allem Süditalien und Sizilien mit der Mafia identifiziert. Der Begriff wirkt dann ebenso als Klischee wie das der „Pleitegriechen“. Es gibt Studien, die sich mit dem Zusammenhang von kapitalistischer Ethik und der Mafia befassen und die sich dabei gegen solche Klischees wenden. Doch auf den öffentlichen Diskurs haben sie nur einen begrenzten Einfluss.

Deutschland als Anführer der EU-Intoleranz

So ist die breite Rezeption, die der Jahresbericht des italienischen Handelsverbandes in deutschen Medien fand, nicht zufällig mit dem Deutschlandbesuch des italienischen Ministerpräsidenten verbunden. Mario Monti war mit der Forderung aufgetreten, auf Augenhöhe mit Merkel und Sarkozy zu verhandeln.

Mit einer Drohkulisse, die das Bild von Demonstrationen gegen die EU heraufbeschwört, und der Akzentuierung der Rolle Deutschlands in der Gemeinschaft, versuchte Monti, größere Mitspracherechte für Italien zu erreichen. Wenn er mit seiner Politik keinen Erfolg habe, würde es in Italien zu einer antieuropäischen Bewegung kommen, mahnte Monti. Der Protest würde sich dann auch gegen Deutschland richten, „das als Anführer der EU-Intoleranz gilt, und gegen die Europäische Zentralbank“, sagte er. In seinem Interview mit der „Welt“ verwies er zugleich auf eigene Erfolge bei der Modifikation des Rentensystems sowie bei anderen sozialen Sicherungssystemen – und darauf, dass es nur wenige Streiks gegeben habe.

Natürlich wurde Monti im Interview auch auf die Mafia angesprochen. Die sei aber, so betonte er, kein typisch italienisches Problem. Welches Druckmittel im EU-internen Streit mit dem Thema „Mafia“ aufgebaut werden kann, zeigt sich an der wachsenden Los-von Rom-Bewegung in Südtirol. In den konservativen Kreisen wird ein Anschluss an Österreich diskutiert, begründet wird das mit dem Unwillen, weiter die armen Regionen zu alimentieren. Natürlich darf auch das Mafia-Klischee dabei nicht fehlen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151207
Peter Nowak

Die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt

Die letzten Tage dürften für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben

In Griechenland läuft alles auf eine große Notstandskoalition hinaus (Machtspiele der großen Parteien in Griechenland). Das ist auch die Folge der Lektion, welche die griechische Regierung in der letzten Woche gelernt hat. Sie lautet, dass die Demokratie keineswegs das konstitutionelle Element der europäischen Gemeinschaft ist. Die kurze Zeit zwischen der Ankündigung eines Referendums über die EU-Beschlüsse und der Absage wenige Tage später durch den griechischen Ministerpräsidenten zeigten die Panik auf in welche die EU-Elite geriet, als der Regierungschef eines EU-Landes es wagte, die Bevölkerung befragen zu wollen, ob sie den Maßnahmen überhaupt zustimmt, die gravierende Auswirkungen auf ihr Leben haben..

Dabei war es die Absicht des griechischen Ministerpräsidenten, den von der EU geforderten Kurs der Haushaltssanierung durch ein Referendum gestärkt umsetzen zu können. Damit wäre nicht nur seine Regierung, sondern auch die EU-Politik bestätigt worden. Aber allein die Möglichkeit, dass, wie nun mal bei demokratischen Abstimmungen nicht zu vermeiden, die Mehrheit auch mit Nein stimmen könnte, führte zu Panikreaktionen, als stünde ein kommunistischer Umsturz in Athen bevor. Schließlich könnte der demokratische Virus auch auf andere Länder übergreifen. Dass der Druck auf den griechischen Ministerpräsidenten massiv war, verschweigen die Befürworter dieses Kurses gar nicht.

„Die EU ist kein Wohlfahrtsverein“

„Seit dem G-20-Gipfel von Cannes ist ein für alle Mal klar: Die EU ist kein Wohlfahrtsverein. Die Konsequenzen dieser Einsicht werden erheblich sein – auch was Verwerfungen angeht“, kommentiert die FAZ am Wochenende.

„Und was ist mit der Souveränität? Und wie steht es mit der Demokratie in den nun unter Kuratel gestellten oder überwachten Staaten? Die Grenzen ihrer Souveränität haben die Märkte den betroffenen Staaten aufgezeigt“, beantwortet das konservative Blatt die rhetorische Frage selber.

Während der FAZ-Kommentator durch die Verwendung des Pronomens „Wir“ den Standpunkt der deutschen Regierung selbstverständlich einnimmt, dann aber anonyme Märkte als Begründung für den Notstand der Demokratie heranzieht, bleiben konservative Medien in den europäischen Nachbarländern weniger allgemein. So schrieb der Figaro:

„Ab sofort wird Europa stärker den deutschen Prioritäten Rechnung tragen müssen – vor allem auch in der Budgetdisziplin, die von Berlin aus gesehen seit der griechischen Krise in Europa aus dem Ruder gelaufen ist.“

Damit trägt das regierungsnahe Blatt der Tatsache Rechnung, dass der französische Präsident mit seinen Bestreben, die Maastrichter Stabilitätskriterien zu lockern, an der deutschen Bundeskanzlerin gescheitert ist. Sarkozy wollte eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen, um die Proteste gegen die EU-Spardiktate, die nicht nur in Griechenland seit Wochen zu beobachten sind, einzudämmen.

Die Grenzen der Demokratie bekam auch Italien schon zu spüren, dessen Wirtschaftspolitik in Zukunft von EU und IWF überwacht werden soll. Doch nicht die Berlusconi-Regierung, sondern die Gewerkschaften, Studierenden und sozialen Bewegungen sind es, die schon lange gegen weitere soziale Verschlechterungen mobil machen. Sie kämpfen nicht gegen Berlusconi, um einen EU-genehmen Sparkommissar zu akzeptieren.

Was geschieht, wenn sich die sozialen Bewegungen nicht verlaufen?

Die deutsche Regierung, verwöhnt von den marginalen sozialen Protesten im eigenen Land, will die gesamte EU-Zone nach dem Vorbild der deutschen Wirtschaftspolitik gestalten. Was aber passiert, wenn sich die sozialen Bewegungen in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und vielleicht demnächst in Frankreich nicht verlaufen und marginalisieren lassen wie in Deutschland?

Diese Frage wird sich vermehrt stellen, nachdem in den letzten Tagen am Beispiel Griechenland die Grenzen der Demokratie im EU-Projekt so deutlich wie nie markiert wurden. Die letzten Tage dürften da auch für Klarheit bei den Trägern der Sozialproteste gesorgt haben In Zukunft werden sie in den europäischen Nachbarländern verstärkt gegen das EU-Modell Deutschland geführt werden. Illusionen über demokratische Prozesse bei den Aktivisten dürften endgültig geschwunden sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150775

Peter Nowak

Stürzt die EU Berlusconi?

Für Empörung in Italien sorgt das Lächeln von Merkel und Sarkozy über Berlusconi

n Seit Monaten fordert die breitgefächerte Opposition in Italien den Rücktritt von Ministerpräsident Berlusconi. Der aber, nur noch darum bemüht, sich seine Straffreiheit zu bewahren, hat trotz Zerwürfnissen in seiner eigenen rechten Koalition bei Vertrauensfragen im Parlament immer wieder eine knappe Mehrheit erhalten. Doch jetzt könnte der Dauerministerpräsident doch noch straucheln, wie italienische Medien melden. Verantwortlich dafür wären aber weder die italienische Protestbewegung und schon gar nicht die politischen Oppositionsparteien, die nicht weniger zerstritten als die Regierung sind. Der neueste Streit in der italienischen Regierung wurde von den EU-Gremien verursacht. Die verlangen von Italien massive Sozialkürzungen, u.a. eine Erhöhung des Rentenalters, damit das Land sein Defizit verringert. Gegen diese Maßnahme aber sperrt sich die Lega Nord, die in der letzten Zeit Berlusconis Stütze im Parlament war. Die norditalienischen Rechtspopulisten, die sich gerne als Stimme des italienischen Steuerbürgers gegen alle Zuwanderer, sei es aus dem Süden des Landes oder dem Ausland geriert, hat schon in der Vergangenheit an der Rentenfrage die Rechtskoalition platzen lassen. Schon redet der Lega-Vorsitzende Bossi von Neuwahlen. Damit aber bringt er nicht nur Berlusconi, sondern auch die EU in Bedrängnis. Denn wenn bei den Eurorettungsverhandlungen ein italienischer Ministerpräsident auf Zeit sitzt, der keine Verhandlungsvollmacht mehr hat, wird das vielzitierte Vertrauen in die Währung nicht gerade gestärkt. Zumal überhaupt nicht absehbar ist, wie es in einen Italien nach Berlusconi, der trotz erster Absatzbewegungen in seiner eigenen Partei noch immer die Nummer eins ist, weitergehen soll. Obwohl die Oppositionsparteien so oft dessen Rücktritt fordern, sind sie auf eine Nachfolgeregelung nicht vorbereitet. Zumal auch nicht klar ist, ob Berlusconi, entgegen aller seiner Versprechungen, bei vorgezogenen Neuwahlen nicht doch noch mal antreten und sich als Verteidiger Italiens gegen die Zumutungen der EU aufspielen könnte.

Das Lächeln von Merkel und Sarkozy

Zweifelhaft ist, ob Berlusconi auf dem EU-Gipfel am Mittwoch die von ihm zugesagten Maßnahmen zur Haushaltssanierung präsentieren kann. Es sei eine Vereinbarung erzielt worden, sagte Bossi, aber nicht über die Rentenreform. Für mehr Empörung in der italienischen Öffentlichkeit sorgt aber das „maliziöse Lächeln“ für Empörung, mit dem Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy bei einer Pressekonferenz auf die Frage reagierten, ob sie noch Vertrauen in Berlusconi haben? „Diese Erniedrigung, mit Griechenland gleich gesetzt zu werden, ist der Beweis, dass Italien abgestiegen ist. Wir müssen daran arbeiten, wieder in die erste Liga aufzusteigen“, übt sich Enrico Letta von der sozialliberalen Demokratischen Partei in Standortnationalismus. Auch Außenminister Frattini gab sich entrüstet. Solche Ab- und Aufwertungen der verschiedenen Länder im EU-Rahmen werden durch die Politik der EU eher gefördert und beschränken sich nicht nur auf Italien. So hat der konservative bulgarische Ministerpräsident in Bezug auf die Griechenlandhilfe gefordert, jedes EU-Mitglied solle die Löhne und Gehälter auf bulgarisches Niveau senken, bevor es Hilfe von der Europäischen Gemeinschaft in Anspruch nehmen darf. Wo nicht solidarische Bewegungen soziale Mindeststandards auf europäischer Ebene verteidigen, übernehmen oft rechte Populisten und Nationalisten auf ihre Weise diese Aufgabe. Das könnte auch der italienischen Rechten nützen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150700

Peter Nowak

Wird es dieses Mal Ernst mit dem heißen Herbst?

Mit einem globalen Antikrisen-Aktionstag wird an Proteste der 90er Jahre angeknüpft

Am kommenden Samstag soll es in ca. 80 Ländern in der ganzen Welt Antikrisenproteste geben. Die Initiative zu dem globalen Aktionstag ging von der spanische Bewegung Democracia Real Ya! aus, die im Sommer mit Platzbesetzungen in den Innenstädten für Aufmerksamkeit sorgte. Inspiriert auch von den Ereignissen in den arabischen Ländern schien sich eine neue Aktionsform durchzusetzen. Schließlich sorgte sie in Israel für die größten sozialen Proteste seit Jahrzehnten.

Unter dem Motto Occupy Wall Street hat die Bewegung schließlich auch die USA erreicht und innenpolitisch schon einiges erreicht. Bestimmte bisher die rechte Teapartybewegung die politische Agenda und diffamierte Obama als Sozialisten, so ist nun eine linke Gegenbewegung entstanden, die soziale Themen anspricht.

In Deutschland hat die Bewegung allerdings bisher nicht so recht Wurzeln geschlagen. Mehrere Initiativen haben in Berlin schon im Sommer eine Besetzung nach dem spanischen Vorbild versucht. Es gab viele Vorbereitungstreffen, doch die Resonanz blieb verhalten. Zudem unterband die Polizei mit dem Verweis auf das Ordnungsrecht jegliche Versuche, auf zentralen Berliner Plätzen Zelte aufzustellen. Die Aktivisten bekamen auch wenig Unterstützung, als sie mit Zelten in der Hand für das Recht auf eine Platzbesetzung demonstrierten.

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Nun will schon aus Witterungsgründen am Samstag niemand zelten. Doch der spanische Protestimpuls scheint nun auch das herbstliche Deutschland erreicht zu haben (Occupy Germany). Mit Attac und Campact haben zwei globalisierungskritische Organisationen die Initiative ergriffen.

Mit einer „Krisen-Anhörung“, die dem Bankentribunal nachempfunden ist, wird versucht, die Initiative auf ein sehr realpolitisches Gleis zu setzen. Anders als in Spanien, Israel oder den USA, wo die Aktionen einen spontanen Charakter hatten und dadurch eine politische Dynamik entfalteten, werden in Deutschland vor allem die Regulierung des Finanzsektors und die Schließung von Steueroasen im Mittelpunkt der Debatten stehen.

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In Frankfurt haben Proteste schon begonnen

Allerdings ist nicht ausgemacht, ob die Aktionen in den verschiedenen Städten nicht doch nach dem Vorbild von Spanien, Israel und den USA einen spontanen Charakter bekommen. So beteiligt sich in Frankfurt/Main ein großes Spektrum an der Vorbereitung von Aktionen, die mit der Besetzung der Paulskirche durch antirassistische Gruppen schon begonnen hat.

Dass in Leipzig auf Plakaten für den Aktionstag mit ausgestreckten Händen in den Deutschlandfarben geworben wird, sorgt bei anderen Aktivisten für Kritik, ist aber auch eine Folge der dezentralen Arbeitsweise der Kampagne.

Vorbild Sozialforumsbewegung

Inhatlich knüpft sie an die globalisierungskritischen Aktionstage der 90er Jahren an. Damals war die Vorbereitung vor allem von der Sozialforumsbewegung getragen worden, die sich aber seit Jahren in der Krise befindet. Scheinbar hat auch die aktuelle Protestbereitschaft es nicht geschafft, ihr wieder neues Leben einzuhauchen.

Das aber zeigt auch, dass sich die Aktionsformen und die -foren immer wieder wandeln. Das ist zwar ganz im Sinne der zapatistischen Vorstellung vom Lernen in Bewegung. Nur stellt sich die Frage, ob es sich um ein Lernen handelt, wenn die Erfahrungen der globalen Aktionstage des letzten Jahrzehnts und der Sozialforumsbewegung in den aktuellen Aufrufen gar nicht erwähnt werrden. Daher muss sich zeigen, ob der Aktionstag nur ein weiterer Protestevent bleibt, wie es sie in den letzten Jahren immer wieder gab, oder ob es der Startschuss für eine neue Bewegung wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150627

Peter Nowak

Der verdrängte Genozid

Nach mehr als 100 Jahren hat die Berliner Charité die Schädel von Opfern des deutschen kolonialen Genozids an den Herero und Nama an Namibia zurückgegeben. Bislang hat sich die Bundesrepublik nicht entschuldigt, um keinen Ansprüchen auf Wiedergutmachung Vorschub zu leisten.

„Deutschland ist das Land der freien Rede«, rief Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, der Menge zu. Doch dieser Versuch, sich Respekt zu verschaffen, regte das Publikum noch mehr auf. Ein Großteil der Zuhörer buhte Pieper aus. Einige hielten Schilder hoch, auf denen eine Entschädigung für die deutschen Kolonialverbrechen gefordert wurde.

Es waren vor allem Aktivisten von zivilgesellschaftlichen Initiativen aus Namibia, die am Freitag voriger Woche der FDP-Politikerin in der Berliner Charité zu verstehen gaben, dass ihre Geduld zu Ende ist. An diesem Tag übergab die Charité 20 Schädel, die dort fast 100 Jahre lang aufbewahrt worden waren. Die Gebeine stammen von Angehörigen der Herero und Nama, die vor mehr als einem Jahrhundert von deutschen Kolonialsoldaten ermordet wurden. Hunderte Schädel wurden anschließend für sogenannte rassen­anatomische Untersuchungen nach Deutschland gebracht. Lange Zeit wurden die Forderungen der namibischen Initiativen nach Rückgabe der Gebeine ignoriert.

Dass die Charité nun den Anfang macht, bewerten die Intitiativen als längst überfälligen Schritt, kritisieren aber, dass ein Großteil der Kosten für die Identifizierung und die Restaurierung der Gebeine von Namibia getragen werden musste. Eine Sprecherin der Charité wollte in der Übergabe einen Schritt zur Versöhnung sehen. Die namibischen Aktivisten und ihre hiesigen Unterstützer machten mit ihren Protesten gegenüber Pieper jedoch deutlich, dass für sie eine Entschuldigung und Ent­­schädigung politisch notwendig sind.

»Seit Jahren werden wir mit schönen Worten über die Verbrechen des deutschen Kolonialismus an unseren Vorfahren abgespeist. Aber von einer Entschuldigung oder Entschädigung ist nie die Rede«, sagte Ida Hoffmann vom Komitee zur Aufklärung des Völkermords an den Nama. »Bis heute hat sich kein deutscher Regierungsvertreter für die Verbrechen des deutschen Kolonialismus entschuldigt«, kritisiert auch Armin Massing vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlag. Damit wolle die deutsche Regierung Entschädigungsforderungen abwehren. Der Versuch der verschiedenen Bundesregierungen, die Pflege deutscher Wirtschaftsinteressen, welche eng mit entwicklungspolitischen Maßnahmen verknüpft ist, durch Aufarbeitung der Kolonialpolitik zu veredeln, wird von den namibischen NGO heftig zurückgewiesen. Sie kritisieren auch Versuche der deutschen Politik, über ihre Köpfe hinweg mit der namibischen Regierung zu verhandeln. »Wir können uns selber vertreten. Die Bundesregierung soll endlich mit den Opferverbänden in Verhandlungen über Reparationen treten«, fordert Festus Tjikuua vom Komitee für die Aufarbeitung des Völkermordes von 1904.

Das Datum erinnert an den Beginn des bis 1908 andauernden Vernichtungskrieges deutscher Kolonialtruppen im heutigen Namibia. Verantwortliche Militärs sprachen damals offen aus, dass die Menschen, die sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft wehrten, vernichtet werden müsten. Einige der daran beteiligten Militärs gehörten später zu den Unterstützern der Nationalsozialisten. Auch die Methoden, die gegen die afrikanischen Bewohner angewandt wurden, nahmen teilweise den Terror der Nazis vorweg. So wurden Tausende Afrikaner in eine wasserlose Wüste getrieben, wo sie dem Tod ausgeliefert wurden. Wer sich den wenigen von deutschen Militärs bewachten Wasserstellen näherte, wurde erschossen. Frauen und Kinder sollten ausdrücklich nicht verschont werden. »Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen«, hieß es im berüchtigten Vernichtungsbefehl des verantwortlichen Generalleutnants Lothar von Trotha. Afrikanische Gefangene wurden in Lager gepfercht, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit beim Straßenbau verrichten mussten. Dominik Schaller, Historiker an der Universität Heidelberg, kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Inhaftierten infolge von Krankheiten, Zwangsarbeit und Mangelernährung gestorben sind. Bis zu 80 000 Afrikaner sind den deutschen Kolonialtruppen zum Opfer gefallen. Nicht nur die Form des Terrors, sondern auch die Formierung der Heimatfront nahm die Methoden der Nazis vorweg. Bei den als »Hottentottenwahlen« in die Geschichtsschreibung eingegangenen Reichstagswahlen wurden alle Kritiker der deutschen Kolonialpolitik, die vor allem beim linken Flügel der Sozialdemokratie und vereinzelt im bürgerlichen Lager zu finden waren, als Vaterlandsverräter diffamiert. Damals formierte sich erstmals eine frühe »Volksgemeinschaft«, die bis ins Lager der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften reichte und den Terror der Kolonialtruppen als Kampf um Deutschlands »Platz an der Sonne« unterstützte.

Auch mehr als 100 Jahre später ist dieser Teil der deutschen Verbrechensgeschichte wenig aufgearbeitet. So wird jedes Jahr am Volkstrauertag vor dem Herero-Stein auf dem Garnisonsfriedhof am Berliner Columbiadamm der deutschen Soldaten gedacht, die im Kolonialkrieg gegen die Herero und Nama starben. Seit 2009 erinnert eine Tafel an die »Opfer des Kolonialkrieges«. Weder Opfer noch Täter werden benannt. Für ein antifaschistisches Bündnis, das seit einigen Jahren gegen die Ehrung der deutschen Krieger protestiert, ist diese Formulierung Ausdruck von Geschichtsrevisionismus. Unter dem Motto »Deutsche Helden vom Sockel holen« ruft es anlässlich der Feierlichkeiten, die am Volkstrauertag am Columbiadamm veranstaltet werden, zu einer Kundgebung auf dem Garnisonsfriedhof auf. Die Nachfahren der afrikanischen Opfer deutscher Kriegspolitik haben also Verbündete, die allerdings nicht in der Bundesregierung sitzen.

http://jungle-world.com/artikel/2011/40/44076.html

Peter Nowak

Mit Drohnen gegen die PKK?

Während türkische Medien von einem bevorstehenden türkisch-iranischen Angriff mit Unterstützung der USA auf PKK-Stellungen in Nordkurdistan schreiben, werden auch in Deutschland pro-kurdische Gruppen aktiv
Von einem Angriff auf die Pressefreiheit sprach Außenminister Westerwelle. Er verurteile die Besetzung des RTL-Fernsehstudios durch rund 30 prokurdische Aktivisten in Köln am vergangenen Mittwoch. Sie weigerten sich das Studio zu verlassen, bevor der Sender einen Beitrag zu den in der Türkei inhaftierten Vorsitzenden der Kurdischen Arbeiterpartei PKK Abdullah Öcalan gesendet hat. Die gewaltfreie Aktion dauerte nur wenige Stunden und wurde durch die Polizei beendet.
  Auf der Internetseite des Senders findet sich darüber keine Notiz und auch sonst war das Medieninteresse sehr gering. Das war vor mehr als 12 Jahren noch anders, als Proteste von pro-kurdischen Aktivisten auf Autobahnen in Deutschland für Schlagzeilen sorgten. So wurde auch kaum erwähnt, dass der Gerichtshof der Europäischen Union Deutschland erst vor wenigen Tagen im Zusammenhang mit einem kurdischen Medium die Verletzung der Pressefreiheit bescheinigt hat.

Es geht um den Sender Roj TV, der von Dänemark aus Sendungen in kurdischer Sprache ausstrahlt. Deutschland kann die Weiterverbreitung der Sendeinhalte auf seinem Hoheitsgebiet nicht verhindern, hat das Gericht entschieden. Gegen das Verbot der den Sender betreibenden Vereine in Deutschland hatte das Gericht hingegen nichts einzuwenden. Diese juristische Auseinandersetzung macht deutlich, dass Deutschland innerhalb der EU bei der Bekämpfung der kurdischen Nationalbewegung eng mit der Türkei zusammenarbeitet.

Die Kooperation erstreckte sich auf die unterschiedlichen Regierungen. Die Aktivitäten der pro-kurdischen Aktivisten sind wiederum ein Seismograph für die Situation im Südosten der Türkei. Immer wenn die Auseinandersetzungen dort eskalieren, steigt auch in der Diaspora das Engagement. Ein Höhepunkt war zweifelsohne die Verhaftung von Öcalan 1999.

Unterstützung vom Irak und der USA?

Zwölf Jahre später könnte eine erneute Eskalation drohen. Türkische Medien unterschiedlicher politischer Couleur berichten übereinstimmend, dass die Armee eine Bodenoffensive gegen den Nordirak vorbereitet, um die dortigen PKK-Stellungen anzugreifen. Eine Offensive mit dem gleichen Ziel war im Jahre 2007 nicht sehr erfolgreich. In türkischen Medien wurde sogar von einer Niederlage geredet, nachdem PKK-Kämpfer türkische Soldaten gefangen genommen und den Medien präsentiert hatten.

Eine besondere Brisanz erhält der geplante Angriff durch die Unterstützung von zwei Ländern, die in der weltpolitischen Arena eigentlich als Antipoden wahrgenommen werden. Unterstützung sollen sowohl der Iran als auch die USA zugesagt haben. Am Rande einer UN-Konferenz in New York soll der türkische Ministerpräsident Erdogan sowohl mit US-Präsident Obama als auch mit den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad über eine größere Militäraktion gegen die PKK gesprochen und von beiden Unterstützung erhalten haben. Das iranische und das türkische Militär wollen sich bei der Aktion koordinieren und die USA Aufklärungsdrohnen und sogar unbemannte Kampfflugzeuge zum Kampf gegen die PKK beisteuern, wie sie bisher in Afghanistan und Pakistan im Kampf gegen Islamisten eingesetzt werden.

Indirekte Kooperation zwischen zwei Todfeinden

Die zumindest indirekte Kooperation zwischen den USA und Iran ist nur auf den ersten Blick paradox. Jenseits der weltpolitischen Feindschaft gibt es in konkreten Konflikten schon längere eine solche Kooperation beispielsweise in Afghanistan, aber auch im Irak. Der Iran, der vom Sturz Saddam-Husseins profitiert hat, sorgte über seine irakischen Bündnispartner dafür, dass sich das Land zumindest oberflächlich stabilisiert. Die gemeinsame Frontstellung gegen PKK-Stellungen würde auch das türkisch-iranische Bündnis festigen, das vor allem in den letzten Jahren erst Konturen bekommen hat.

Je mehr die türkische Regierung sich mit anti-israelischer Symbolpolitik zu profilieren sucht, desto mehr hat sie sich der iranischen Regierung angenähert, die wegen ihrer weltpolitischen Isolation und des Konflikts mit Saudi-Arabien auf jeden Bündnispartner angewiesen ist. Zumal Syrien, ein weiterer bisheriger Partner der Achse Istanbul-Teheran, durch die innenpolitische Situation ins Wanken geraten ist.

Erdogan hat sich schon deutlich vom Assad-Regime zu distanzieren versucht. Manche politischen Beobachter vermuten gar, die Türkei könnte sogar unter dem Mantel einer humanitären Intervention in dem Nachbarland militärisch eingreifen, wie es Frankreich in Libyen vorexerziert hat. Der Krieg gegen die kurdischen Militärbasen könnte auch dazu dienen, im Vorfeld eines solchen Konflikts mögliche Kontrahenten auszuschalten. Denn wie so oft in der Geschichte ist die kurdische Nationalbewegung auch jetzt wieder zum Spielball unterschiedlicher politischer Interessen geworden.

Bündnis Israel – Kurden?

Das wurde besonders deutlich, als sich die anti-israelische Politik Erdogans verschärft hat. Prompt wurden Planspiele israelischer Politiker bekannt, der kurdischen Bewegung in der Türkei Hilfestellung zu leisten. Besonders der israelische Außenminister Avigdor Lieberman dachte sogar laut über eine Militärhilfe für die PKK nach, wurde aber vom israelischen Ministerpräsidenten dafür gerügt.

Ob Netanjahu diese Pläne insgesamt ablehnte oder nur die öffentliche Präsentation durch seinen Außenminister, blieb dabei offen. Auch die Antwort der PKK auf die Avancen blieb nebulös. Von deren Führung wurde als Vorbedingung für eine Kooperation mit Israel eine Entschuldigung für die angebliche Beteiligung Israels an Öcalans Verhaftung gefordert. Nun könnte man das als Retourkutsche für Erdogans Forderung an Israel interpretieren, sich für den Angriff auf die Gazahilfsflotte zu entschuldigen.

Allerdings wird sich Israel wohl weder bei der türkischen Regierung noch bei der PKK entschuldigen. Ob damit eine Kooperation ausgeschlossen wird, ist dennoch offen. Unabhängig davon sorgt die angebliche PKK-Unterstützung durch Israel im Internet für viel Zuspruch bei Verschwörungstheoretikern aller Couleur.

Erdogan kann der Basis seiner islamischen Partei damit einen Angriff auf PKK-Stellungen jedenfalls gut plausibel machen. Der wiederaufgeflammte Guerillakrieg in der Türkei sorgt sowieso schon für nationalistische Aufwallungen. Das bekommen vor allem die erst vor wenigen Monaten gewählten Abgeordneten eines Bündnisses aus linken und pro-kurdischen Gruppierungen zu spüren. Wegen diverser Schikanen und ständiger Menschenrechtsverletzungen haben sie einen Parlamentsboykott beschlossen, was den Druck auf sie noch erhöht.

Zivilgesellschaft und die Rolle der irakischen Kurden

Dabei galt der überraschend hoch ausgefallenen Wahlerfolg der Partei für Frieden und Demokratie eines Bündnisses von prokurdischen und linken Kräften als Stärke der Zivilgesellschaft vor allem in den kurdischen Gebieten der Türkei, wie sie noch einmal beim kürzlich zu Ende gegangenen zweiten Mesopotamischen Sozialforum in Diyarbakir deutlich wurde. Diese Zivilgesellschaft dürfte das erste Opfer einer militärischen Eskalation gegen die PKK werden.

Dass es in dem Konflikt um politische und nicht um ethnische Konflikte handelt, zeigt sich auch daran, dass die türkische Regierung auch die kurdische Autonomieregierung im Nordirak für den Kampf gegen die PKK gewinnen will. Gespräche laufen schon länger.

Da führende Politiker dieser Regionalregierung mit einer Zivilgesellschaft konfrontiert sind, die gegen die Menschenrechtsverletzungen und Korruption in den Autonomiegebieten protestieren, sehen die Politiker in der PKK und ihren nordirakischen Bündnispartnern einen gefährlichen Konkurrenten. Daher haben sie durchaus ein Eigeninteresse, wenn sie sich an einer gegen die PKK gerichtete Militäraktion beteiligen oder diese zumindest stillschweigend dulden.

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35597/1.html

Peter Nowak