Berlin: Werbung verbieten!?

Romantische Kulturkritik und „Sexismus shouldn’t sell“ – Generalverbote sind der falsche Ansatz

Im Berliner Mittelstandskiez Schöneberg gibt es viele Initiativen, die sich gegen die Abholzung von Bäumen, für Baumscheiben und Urbangardening und auch für die stadtteilgerechte Nutzung des Baudenkmals Gasometer[1] engagieren. Ein Kritikpunkt der Anwohner ist die Leuchtwerbung[2] an der Außenwand des Gasometers. Hier geht es nicht um die Kritik an der Werbung im Allgemeinen, sondern um konkrete Inhalte. Welche Beweggründe die Kritiker der Werbung haben, kann man nur zwischen den Zeilen lesen. Dort heißt es etwa:

Außenwerbung an einem Industriedenkmal wie dem Schöneberger Gasometer ist durchaus nicht selbstverständlich. Da der Gesamteindruck des Bauwerks durch das Geflimmer der Leuchtwerbung erheblich beeinträchtigt wird, müssen aus Sicht der Genehmigungsbehörde besondere Gründe erkennbar sein, die das rechtfertigen. Ein solcher Grund war in diesem Fall, die Zusage des Eigentümers, den Gasometer zu sanieren.

Bi-Gasometer.de[3]

Nun könnte man denken, dass man schon wohlhabend genug ist, um sich Gedanken zu machen, ob eine Außenwerbung die Außenwirkung des Berliner Gasometers beeinträchtigt. Viele würden sagen, die Lichtwerbung bringt sie überhaupt dazu, mal dort hinzugucken. Dass es sich nicht um grundsätzliche Werbekritik geht, zeigt sich schon daran, dass Bi-Gasometer lediglich kritisiert, dass die Werbeeinnahmen nicht für die Sanierung des Gasometers verwendet werden. Hier geht es wohl eher um unterschiedliche Konzepte der Aufwertung eines Stadtteils.

Zwischen Recht auf Stadt und romantischer Kulturkritik

Dagegen hat die Initiative Berlin Werbefrei[4] eine grundsätzliche Kritik. Sie bereitet einVolksbegehren[5] vor, um die Außenwerbung in Berlin stark einzuschränken. Dabei vermischen sich bei ihr Kritik an der kapitalistischen Zurichtung öffentlicher Räume mit konservativer Kulturkritik. So lautet ein Kritikpunkt:

Die massive Zunahme und neue Formen von Werbung wirken sich negativ auf das Stadtbild aus. Das individuelle Gesicht der Stadt verschwindet. Stadt- und Landschaftsräume werden durch Werbung verunstaltet. Die Stadt wird von immer mehr Plakat-, Licht- und Display-Werbung überflutet. Der öffentliche Raum wird banalisiert.

Volksentscheid Berlin Werbefrei[6]

Hier klingt unverkennbar die Kulturkritik der Romantik durch. Bereits im 19 Jahrhundert wurde beklagt, wie die Landschaft und die historischen Bauten von Fabrikschloten und Eisenbahnen banalisiert und abgewertet werden. Ansonsten betonen die Initiatoren des geplanten Volksbegehrens, dass es ihnen nicht darum gehe, Werbung generell aus der Stadt zu verbannen.

Sie wollen einen „verträglichen Umgang mit Werbeflächen im Öffentlichen Raum“ durchsetzen. Nur ist es fraglich, ob es eine Einigung darüber geben wird, wie der „verträgliche Umgang“ denn aussieht. Auffallend ist, dass bei den Werbekritikern der Zusammenhang zwischen Reklame und Kapitalismus gänzlich ausgespart wird. Dem belesenen Taz-Kolumnist Helmut Höge ist dieser Zusammenhang natürlich nicht entgangen.

Er verweist in seiner Kolumne[7] auf die Gedanken des marxistischen Wirtschaftstheoretikers Alfred Sohn-Rethel[8], wonach es in der kapitalistischen Produktion von Anfang an eine Überproduktion gab, die ständigen Absatzdruck hervorruft. Dabei wird die Werbung immer wichtiger.

Hierin liegt auch der Grund, warum es in den nominalsozialistischen Gesellschaften kaum Produktwerbung, dafür aber Parolen gab, um die Menschen zu guter Arbeit anzustupsen. Die Werbekritiker, die den Zusammenhang zwischen den Objekten ihrer Kritik und dem Kapitalismus nicht erwähnen, geraten so schnell in die Gefilde romantischer Kulturkritik und die Beschwörung von unverfälschter Natur -und Stadtbilder.

„Sexismus shouldn’t sell“

Eine große Diskussion hat auch die Initiative des Bezirksamt des Berliner Stadtteils Kreuzberg-Friedrichshain[9] zur Eindämmung und möglichen Verbannung als sexistisch eingeschätzte Werbung[10] in dem Stadtteil ausgelöst.

Hier geht es nicht um eine generelle Kritik an der Werbung, sondern an den Inhalten. Auch da wird es natürlich schwer sein, eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber zu finden, wann Werbung diskriminierend und sexistisch ist. In einem Taz-Interview[11]erklärte die Gleichstellungsbeauftrage von Friedrichshain-Kreuzberg, Petra Koch-Knöbel[12], dass für sie Bordellwerbung dazu gehören würde .

Taz: Bordellwerbung halten Sie für diskriminierend?
Petra Koch-Knöbel: Auf jeden Fall, ja. Frauen werden hier als käufliche Sexualobjekte dargestellt. Damit sollte man Jugendliche nicht pausenlos konfrontieren.
Taz: Die Grünen wollten doch bisher die Stigmatisierung der Sexarbeiterinnen beenden und ihren Beruf normalisieren. Und denen sagen Sie jetzt, dass sie für ihren Beruf nicht werben dürfen?
Petra Koch-Knöbel: Nicht auf großen Plakaten im öffentlichen Raum. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich bin für die Rechte der Prostituierten. Aber es ist nicht wegzudiskutieren, dass das ein Beruf mit einem problematischen Frauenbild ist, für den man nicht öffentlich mit Großplakaten werben sollte.

Interview Taz: „Sie werden Frischfleisch genannt“[13]

Hier wird der Widerspruch deutlich, dass einerseits Sexarbeiterinnen nicht mehr diskriminiert werden sollen und anderseits durch das Werbetabu doch wieder eine neue Schranke eingebaut wird. Auch die Frage, ob Werbung mit rosa T-Shirts diskriminierend ist, dürfte die Gemüter erhitzen.

Taz: Rollenstereotype lehnen Sie auch ab und wollen sie nicht mehr auf Plakaten reproduziert sehen. Heißt das: Kein rosa T-Shirt mehr für Mädchen?
Petra Koch-Knöbel: Genau. Die Eltern können ruhig auch mal nachdenken darüber, wie sie ihre Kinder einengen, wenn sie sie nur in Klischeeklamotten stecken.

Interview Taz: „Sie werden Frischfleisch genannt“[14]

In den USA gab es heftige Diskussionen über den möglicherweise rassistischen Anteilen in einem kurzen Werbeclip der Kosmetikfirma Dove[15]. Hierbei wird aber auch die Problematik deutlich, wenn man die Klassenverhältnisse vergisst. Wo der akademische Mittelstand darüber diskutiert, ob diese oder jede Werbung diskriminierend ist, fragen sich einkommensarme Menschen, ob sie sich die beworbenen Produkte leisten können.

Es ist auch bezeichnend, dass bei der Werbekritik selten thematisiert wird, dass und wie durch Werbung das Begehren nach oft besonders teuren Modeprodukten gefördert werden. Es werden Jugendliche gemoppt, wenn sie sich die angesagten Klamotten bestimmter Sportfirmen nicht leisten können. Ist dieses Problem heute nicht in den Schulen relevanter als das vielzitierte rosa T-Shirt?

Zudem finden sich in Berlin an einigen exponierten Stellen Werbung für die Polizei und Sicherheitsdienste. Auf einem Poster ist ein Mann zu sehen, der von der Polizei in einer U-Bahnstation in Polizeibegleitung abgeführt wird. Sofort werden Assoziationen zu einkommensarmen Menschen wach? Ist eine solche Werbung nicht auch diskriminierend?

Adbusting statt Werbeverbote

Solche Fragen stellen sich eher Gruppen, die nicht unbedingt für ein Verbot, sondern für einen kreativen Umgang mit der Werbung eintreten. Längst gibt es Adbusting-Workshops[16], wo diese Art der Werbekritik auch praktisch eingeübt werden kann. Eine solche Herangehensweise ist staatlichen oder kommunalen Verboten eindeutig vorzuziehen.

Sie führt dazu, dass sich Menschen selber Gedanken über die Werbung machen, die sie aushalten wollen oder nicht. Wenn Menschen eine Werbung als sexistisch empfinden, ist es alle Mal besser, sie drücken diese Kritik am konkreten Produkt aus, als dass sie einen Antrag ausfüllen, der zu einem Verbot führen soll.

Bei einer solchen kreativen Werbekritik geht es dann tatsächlich um die Inhalte der Werbung und nicht um ein Beklagen von angeblich geschädigter Natur oder Landschaft.

Ein Generalverdikt gegen die Werbung an sich verbietet sich schon deshalb, weil mittlerweile auch die Kunst in die Branche eingezogen ist. Ästhetisch sind solche Produkte gegenüber den grauen Betonwänden auf jeden Fall ein Gewinn.

https://www.heise.de/tp/features/Berlin-Werbung-verbieten-3858720.html

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.bi-gasometer.de/
[2] http://www.bi-gasometer.de/leuchtwerbung/
[3] http://www.bi-gasometer.de/leuchtwerbung/
[4] https://berlin-werbefrei.de/
[5] https://berlin-werbefrei.de/gesetzestext_und_begruendung.html
[6] https://berlin-werbefrei.de/aussenwerbung.html
[7] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5450748&s=&SuchRahmen=Print
[8] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118615246
[9] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg
[10] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/beauftragte/gleichstellung/frauenfeindliche-werbung/
[11] http://www.taz.de/!5450696/
[12] https://www.berlin.de/ba-friedrichshain-kreuzberg/politik-und-verwaltung/beauftragte/gleichstellung/
[13] http://www.taz.de/!5450696/
[14] http://www.taz.de/!5450696/
[15] https://www.nytimes.com/2017/10/08/business/dove-ad-racist.html
[16] http://www.adbusters.org/

Justizposse um Furz gegen Polizei

Exakt 17 Stunden und 13 Minuten brauchten MitarbeiterInnen der Polizei und der Justiz, um eine ungewöhnliche Strafanzeige zu bearbeiten. Ein Mann soll eine Polizistin beleidigt haben, weil er bei einer Personenkontrolle in ihrer Nähe gefurzt habe. Der Mann bekam einen Strafbefehl über 900 Euro. Nachdem er Widerspruch einlegte, stellte das Amtsgericht Tiergarten das Gerichtsverfahren umgehend ein. Die Kosten für den Prozess und den Anwalt des Angeklagten übernahm die Staatskasse.
»Wir haben wirklich andere Probleme in Berlin und hätten das Geld besser für die Prävention und die strafrechtliche Verfolgung von islamistischen Straftaten verwenden können«, kritisiert Sebastian Schlüsselburg, Rechtsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, den Verfolgungseifer wegen etwas heißer Luft.
Schlüsselburg hatte eine Schriftliche Anfrage nach dem Zeitaufwand der Ermittlungen gestellt. Er zeigte sich im nd-Gespräch »verwundert, dass die Staatsanwaltschaft nicht frühzeitig von ihrer Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens Gebrauch gemacht hat«. Unverständlich findet es der Politiker auch, dass nicht die Polizistin, die den Furz wahrgenommen hatte, sondern ihr Einsatzleiter die Anzeige stellte.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1066673.polizei-berlin-justizposse-um-furz-gegen-polizei.html
Peter Nowak

Justizposse kostet 87 Euro

Ein Furz bei einer Personenkontrolle in der Rigaer Straße sorgt für Nachwehen. Abgeordneter Sebastian Schlüssenburg (Linke) ließ die Kosten errechnen

Viel Spott zogen sich die Justiz­behörden zu, nachdem bekannt geworden war, dass Christopher S. einen Strafbefehl von 900 Euro erhalten hatte, weil er bei einer Personenkontrolle in der Rigaer Straße in der Nähe einer Polizistin einen Furz gelassen hatte. Nicht die Beamtin, son­ dern der Einsatzleiter stellte eine Anzeige. Für Christopher S. ging die Angelegenheit glimpf­lich aus. Das Berliner Amtsgericht stellte das Verfahren ein. Viel Wind um nichts, lautete der kurze Kommentar einer Pro­zessbesucherin. Doch umsonst war die Justizposse keineswegs.
Sebastian Schlüsselburg, Mit­glied der Linken im Abgeordne­tenhaus wollte vom Senat wis­ sen, wie hoch der Zeitaufwand und die Kosten für die Ermitt­lungen im Furz­-Verfahren war.
In ihrer Antwort listete Martina Gerlach, Staatssekretärin für Justiz und Verbraucherschutz, auf, dass 23 Dienstkräfte mit ei­nem Zeitaufwand von 17 Stun­ den und 13 Minuten mit der Be­arbeitung des Falls beschäftigt waren. Die Zeit setze sich „zu­sammen aus den polizeilichen Maßnahmen vor Ort, der späte­ren Sachbearbeitung und dem zeitlichen Aufwand für die rich­terliche Vorladung“.
Die MitarbeiterInnen von Schlüsselburg errechneten aus diesen Angaben Kosten in Höhe von lediglich 87,25 Euro. „In die­ ser Rechnung werden die Ar­beitsaufwendungen der Mitar­ beiterInnen von Gericht und Staatsanwaltschaft nicht mit einbezogen“, erklärte Schlüs­selburg gegenüber der taz. Auch die Kosten des nach 20 Minuten mit einer Einstellung beendeten Gerichtsprozesses Anfang Sep­tember und des Leipziger An­walts von Christopher S., die die Staatskasse trägt, konnten nicht berücksichtigt werden.
„Wir haben wirklich andere Probleme in Berlin und könn­ten das Geld für den Ausbau von Prävention und juristischer Verfolgung von Islamismus ver­ wenden“, kritisierte Schlüssel­burg den Verfolgungseifer.
Derweil gehen im Gefahren­ gebiet der Rigaer Straße die um­ strittenen und kostenintensi­ven Polizeimaßnahmen weiter. So rückte vor weniger Tagen die Polizei mit Feuerwehr und Be­weissicherungstrupp an, um ein Transparent von der Fassade der Rigaer Straße 94 zu entfernen, weil es das Logo der linken On­ lineplattform indymedia zeigte. Doch auch nach dem Verbot von indymedia­linksunten ist das Zeigen des Symbols bisher nicht strafbar.

aus Taz: 13.10.2017
Peter Nowak

Zu kooperativ für Solidarität?


Die Anti-Knast-Tage in Berlin beleuchteten die Situation der Gefangenen nach den Hamburger G20-Protesten

Bei vielen libertären Linken ist kooperatives Verhalten mit Gerichten oder anderen Staatsorganen nicht gerne gesehen. So stößt das Einlenken vieler junger G20-Häftlinge nicht bei allen auf Verständnis.

Die juristische Nachlese der Proteste gegen den G20-Gipfel ist im vollen Gange. Die ersten elf Angeklagten vor dem Hamburger Amtsgericht haben die ihnen vorgeworfenen Taten eingeräumt, um Entschuldigung gebeten und nahmen das Entgegenkommen der Gerichte dankbar an, wenn diese – wie in vielen Fällen geschehen – die von der Staatsanwaltschaft geforderten hohen Strafen zur Bewährung aussetzten.

Doch immer noch sitzen seit Anfang Juli rund 30 Personen im Knast – die meisten von ihnen in Untersuchungshaft. Unter ihnen der 21-jährige nicht vorbestrafte Niederländer Peike S., der wegen zweier Flaschenwürfe auf Polizeibeamte zu einer ungewöhnlich hohen Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war.

Bei vielen Hamburger G20-Häftlinge können Gemeinsamkeiten ausgemacht werden. Oft sind die Beschuldigten recht jung, leben im europäischen Ausland und arbeiten in geregelten Arbeitsverhältnissen. Ihr größter Wunsch ist es, das Gefängnis und Deutschland zu verlassen. Um ihre Gerichtsprozesse zu verkürzen, kooperieren sie mit den Behörden.

Über die Repressionsbedingungen wurde am vergangenen Wochenende auf den Anti-Knast-Tagen im Berliner Mehringhof debattiert. Ein Bündnis verschiedener libertärer Gruppen hatte ein vielfältiges Programm vorbereitet, an dem auch Vertreter_innen aus den Reihen der Zeitschrift »Gefangeneninfo« und der »Roten Hilfe« teilnahmen. Insgesamt waren über 200 Besucher_innen aus Deutschland und Österreich angereist, sie setzten sich zwei Tage lang mit den unterschiedlichen Aspekten von Gefängnis auseinander.

Vielen auch in der radikalen Linken sei heute oft nicht klar, dass eine Demonstration mit Gefängnis enden kann, so der Tenor. Das schaffe Ängste und führe dann dazu, dass die Betroffenen nur noch darüber nachdenken, wie sie schnell wieder aus dem Gefängnis entkommen können. So zumindest erklärten sich die meist jungen Teilnehmer_innen der Tagung die große Bereitschaft zur Kooperation bei den Hamburger Gerichtsverfahren. Ein junger Mann sprach auch von einer Niederlage für die außerparlamentarische Linke.

Wolfgang Lettow gehörte zu den älteren Teilnehmern der Anti-Knast-Tage. Der Redakteur der Zeitschrift »Gefangeneninfo« hat bereits Ende der 1970er Jahre mit der Solidaritätsarbeit begonnen, als Gefängnisse noch voll mit politischen Gefangenen und die Gerichtssäle zu klein für die vielen Prozessbesucher_innen waren.

In seinen Vortrag ging er auf die heute im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren stark veränderte soziale Zusammensetzung in den deutschen Gefängnissen ein. Neben Menschen aus der Türkei und Kurdistan, die heute das Gros der politischen Gefangenen stellen, säße auch eine steigende Anzahl sogenannter sozialer Gefangener aufgrund von Delikten wie Schwarzfahren, Diebstahl oder Raub ein. Beide Gruppen seien besonders starken Disziplinierungsmaßnahmen ausgesetzt, wenn sie im Gefängnisalltag zu wenig Kooperationsbereitschaft zeigen würden. Lettow betonte, dass Briefe für Gefangene nach wie vor ein wichtiges Mittel der Unterstützung seien.

Großen Raum nahm bei den Anti-Knast-Tagen die Frage des Umgangs mit Angeklagten ein, die vor Gericht kooperieren, ohne andere Personen zu belasten. Zu einer gemeinsamen Handlungsmaxime kam man dabei allerdings nicht.

Ein aktueller Fall ist die Verurteilung der Schweizerin Andrea N. vergangene Woche in Chur. Wegen linkspolitisch motivierter Militanz in den Jahren 2007 bis 2010 in Berlin wurde sie zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, von der sie – abzüglich ihrer in der Untersuchungshaft verbrachten Zeit – nun neun Monate absitzen muss. Die Frau hat sich mittlerweile von der linken Szene verabschiedet und die Anklagepunkte eingeräumt. Gleichzeitig verweigerte sie jedoch Angaben zu anderen Personen und zu politischen Strukturen.

Dennoch hegte von den Anwesenden kaum jemand mehr solidarische Gefühle gegenüber der ehemaligen Berliner Aktivistin Andrea N. Diese hatte bereits vor zehn Jahren wegen politischer Delikte 14 Monate in der Haftanstalt Berlin-Pankow absitzen müssen. Von denen, die damals die Solidaritätskampagne »Freiheit für Andrea« mitgetragen hatten, waren nur noch wenige am letzten Wochenende dabei.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1066477.zu-kooperativ-fuer-solidaritaet.html

Peter Nowak

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In dem Gefangeneninfo und auf der Seite von ABC Wien gab es eine Reaktion auf dem Artikel, der hier nur mit zwei Anmerkungen dokumentiert wird:

Hier ist davon die Rede, dass die Vorbereitungsgruppe so radikal ist, dass sie nicht mit der bürgerlichen Presse kooperiert. Was nicht stimmt. Wenn ein/e Gefangene einen Hungerstreik macht etc. wird natürlich der Kontakt zur Presse gesucht, was ja auch sinnvoll für die Gefangenen sein kann. Nur hat in diesen Fall gar keine Kooperation zwischen den Veranstalter_innen und der bürgerlichen Presse stattgefunden. Das ist nämlich eine längere Zusammenarbeit, die mit Interviews, Artikeln etc. begleitet wird. Das gab es nicht. Ich habe als Journalist über eine öffentlich beworbene und angekündigte Veranstaltung einen Artikel geschrieben. Das ist keine Kooperation zwischen den Veranstalter_innen und der Zeitung und daher haben die Veranstalter_innen darauf auch keinen Einfluss. Es gab natürlich immer wieder Versuche aus verschiedenen politischen Lagern, Berichterstattung zu verhindern. Es ist bedauerlich, dass auch libertäre Linke nicht vor dem Versuchen gefeit sind, eine Berichterstattung, die nicht von ihnen genehmigt ist und nicht unter ihrer Kontrolle steht, verhindern zu wollen. Es ist auch bezeichnend, dass ausgerechnet libertäre Linke nicht die Autonomie der Veranstalter_innen der einzelnen Arbeitsgruppen respektieren und auch dort Einfluss nehmen wollen. Den Veranstalter, den ich namentlich erwähnte, habe ich vorher gefragt und er hat seine Zustimmung dazu gegeben. Dass sich da noch einige sogenannte Libertäre als Über-ZK aufspielen, ist nur lächerlich. Das Ganze wird hier auch dokumentiert als Zeugnis der ideologischen Verwirrunung heutiger Linksradikaler, die sich ärgern, dass sie nicht alles unter ihrer Kontrolle haben. Und nun ist nicht zu befürchten, dass diese in ihrer aktuellen Form als radikale Linke mehr Einfluss auf die Gesellschaft bekommen, um ihren Kontroll- und Überwachungsgelüsten zu frönen. Doch zu befürchten ist, dass sie das nach ihrer radikalen Phase tun, wenn sie dann in den diversen Jobs für die bürgerliche Gesellschaft sind.

Die Anti-Knasttage 2017 in Berlin
Eine Auswertung, wie sie waren, was fehlte, wie geht es weiter?
Die Orgagruppe der Anti-Knast-Tage 2017

aus: gi_411_web.pdf und

Die Anti-Knast-Tage 2017 in Berlin – Eine Auswertung, wie sie waren, was fehlte, wie geht es weiter?

„Bei wem wir uns auch sehr ausdrücklich bedanken wollen, ist der Journalist Peter Nowak. Dieser nämlich veröffentlichte einen Artikel in der Zeitung „Neues Deutschland“, „Zu kooperativ für Solidarität?1“ über die Anti-Knast-Tage in Berlin. Wir wollen mal ein paar Dinge klarstellen, erstens, die Anti-Knast-Tage waren nicht von einem „ Bündnis verschiedener libertärer Gruppen“ organisiert und es nahmen auch keine „Vertreterin*innen aus den Reihen (…) der Roten Hilfe“ teil. Einige von uns sind Anarchist*innen, aber andere eben nicht und wir wollen dies betonen. Die Rote Hilfe wurde nicht eingeladen, weil sie nicht für die Abschaffung der Knäste stehen kann und steht, dies bestätigten uns auch einige ihrer Mitglieder. Diese Einstellung teilen nicht alle Mitglieder der RH, weil es auch dort Menschen gibt, die für die Abschaffung von Knästen sind, aber unter dem Motto könnten sie die Tage nicht unterstützen. Genauso wenig ist die RH für die Freiheit aller Gefangenen und engagiert sich nur für „politische Gefangene“, was wir nicht teilen. Was nicht bedeutet, dass die Rote Hilfe nicht trotzdem einen Infotisch ab dem Samstag aufgebaut hatte und es auch klar war, dass sie dafür Platz hätten.
Was uns auch sehr ärgerte ist das Peter Nowak, einen Veranstalter namentlich erwähnte. Und zuletzt die Einschätzung von Peter Nowak, dass während der Anti-Knast-Tage „die Frage des Umgangs mit Angeklagten (…), die vor Gericht kooperieren“ sehr viel Raum eingenommen hätte. Um diese Frage herum fand eine Veranstaltung statt, die von einer sehr langen Diskussion begleitet wurde. Aber es war nur eine von vielen. Dass daraus Peter Nowak die Schlussfolgerung zog, dass dies sich auf den Fall einer Person bezieht die in der Schweiz verurteilt wurde, war mehr als fragwürdig und nicht nachvollziehbar. Unseres Erachtens nach spielte es evtl. nur in kleinen Gesprächen eine Rolle, aber über diesen Fall wurde nicht in den Diskussionen geredet. Wir wollen nicht sagen, dass Peter Nowak absichtlich gelogen hat, aber er hat definitiv nicht wenig falsch veröffentlicht. Er hat auch in keinem Moment mit irgendwem von uns geredet, bzw. erwähnt, dass ein Artikel veröffentlicht werden würde. Dies hätten wir so oder so verneint, weil wir die Kooperation mit bürgerlichen Medien strikt verweigern. Für uns ist es wichtig, dies klarzustellen, weil es uns selber sehr überraschte einen Artikel darüber zu lesen und es uns sehr ärgerte was drin stand. Wir haben Peter Nowak ganz persönlich die Leviten gelesen. Diese Zeilen sollten ihn also auch nicht mehr überraschen.

„Für viele waren Nazis eine Nebenerscheinung“

Vor 30 Jahren gründeten sich in der DDR die ersten unabhängigen Antifa-Gruppen – Auslöser war der Überfall von Neonazis auf ein Punkkonzert in der Zionskirche in Prenzlauer Berg. Dietmar Wolf war einer der Mitbegründer der Ost-Antifa

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Herr Wolf, wann sind Sie in der DDR das erste Mal mit Neonazis in Kontakt gekommen?
Dietmar Wolf: Ich bin ab 1978 regelmäßig zu Spielen des Fußballclubs BFC Dynamo gegangen. Dort habe ich 1982 oder 1983 die ersten Fans mit extrem kurzen Haaren und auffälligen Klamotten gesehen, die aus heutiger Sicht typisch für Skinheads waren. Außerdem fiel zu dieser Zeit mehr und mehr auf, dass die Fansprechchöre immer extremer und aggressiver wurden und zunehmend rassistische, antisemitische, sexistische Inhalte hatten. Das war dann auch ein wesentlicher Grund für mich, nicht mehr zum BFC ins Stadion zu gehen.

Wie kamen Sie in den Kreis der Mitbegründer der Ostberliner Antifa?
Ich gehörte seit 1987 verschiedenen Gruppen der politischen Opposition in der DDR an. Unter anderem war ich auch Mitarbeiter in der Kirche von Unten. Deshalb war ich unmittelbar an der Planung und Organisation der Veranstaltung am 19. April 1989 beteiligt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits von der Gründung der Antifagruppe in Potsdam gehört. Allerdings hatte ich keine persönlichen Kontakte dorthin

Wie kam es zur Gründung unabhängiger Antifa-Gruppen in verschiedenen Städten der DDR?
Auslöser war der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987. Er hatte in zweierlei Hinsicht Si­gnal­wir­kung. Zum einen erhöhte sich danach die Zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads. Zum anderen regte sich erstmals selbst organisierter Widerstand. Daraus folgte dann die Gründung von unabhängigen Antifa-Gruppen: in Potsdam und Dresden 1987, in Halle 1988 und in Berlin nach einem gescheiterten Versuch 1987 am 19. April 1989 in den Räumen der Kirche von Unten, der KvU.

Wer steckte hinter dem Überfall auf die Zionskirche?
Damals hatten sich relativ spontan ungefähr 30 Neonazis von einer Geburtstagsfeier in einer Kneipe in Prenzlauer Berg zur Kirche aufgemacht, um das Konzert anzugreifen. Angeführt wurde die Aktion von Ostber­liner Neonazis wie Ronny Busse. Einige ebenfalls beteiligte ­Westberliner Neonazis sind allerdings nie enttarnt worden: Es gab ein Amtshilfeverfahren der DDR-Behörden, dem aber leider von Westberliner Seite nicht stattgegeben worden ist.

Wie war das Verhältnis zwischen der Unabhängigen Antifa und den unterschiedlichen Gruppen der DDR-Opposition?
Gute Kontakte hatte wir zu linken Oppositionsgruppen, die sich anarchistisch definierten, wie zum Beispiel die Umweltbibliothek und eben die KvU in Berlin. Der große Teil der Oppositionsgruppen – auch jene, die sich als marxistisch oder trotzkistisch definierten – nahm die Antifa-Gruppen aber nicht wirklich ernst. Für ihn war damals das Thema Rassismus und Nazis eine eher unwesentliche Nebenerscheinung.

Wie reagierten die DDR-Verantwortlichen auf die unabhängige Antifa?
Der Staat beziehungsweise das Ministerium für Staatssicherheit antworteten mit Repression und Bespitzelung. Es gab seitens der Antifa-Gruppen Versuche, mit der FDJ ins Gespräch zu kommen und auch auf der unteren Ebene eine gewisse Zusammenarbeit anzuregen. Das wurde von der FDJ bis in die Zeit der Wende hinein kategorisch abgelehnt.

Die Maueröffnung 1989 ermöglichte Ihnen dann direkte Kontakte mit Westberliner und westdeutschen Antifagruppen. Wie entwickelte sich das Verhältnis zwischen Antifa Ost und West?
Nach anfänglich großem Interesse und großer Bereitschaft zur Zusammenarbeit machten viele Antifaschisten und Antifaschistinnen aus der DDR die Erfahrung von Bevormundung, Herabwürdigung und ideologischen Eingliederungsversuchen durch die Westgruppen. Das führte schnell dazu, dass auch in den antifaschistischen Gruppen der Begriff des Ost-West-Konflikts Einzug hielt.

Wo lagen die Unterschiede?
In den 90er Jahren gründeten westdeutsche Antifa-Gruppen die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Aktion, eine antifaschistisch ausgerichtete Kader- und Sammlungsorganisation nach dem historischen Vorbild des Rotfrontkämpferbunds. Antifas aus der DDR koordinierten sich zu dieser Zeit im Ostvernetzungstreffen, zu dem Gruppen aus dem Westen keinen Zugang hatten.

Sie sind in der antifaschistischen Bildungsarbeit aktiv. Worum geht es da?
Ich sehe meine Bildungsarbeit als einen kleinen Beitrag zum Erhalt von antifaschistischer Geschichte. Sie ist in gewisser Weise eine Brücke von 1987 ins Jahr 2017. Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass die Antifaschisten und Antifaschistinnen von 2017 kaum etwas über die Antifagruppen von 2007 und 1997 wissen, geschweige denn von 1987.

Interview: Peter Nowak

Dietmar Wolf, geb. 1965, stellt am 12. 10. um 20 Uhr das Buch „30 Jahre unabhän­gige Antifa in Ostdeutschland“ vor. BAIZ, Schönhauser Allee 26A

aus Taz vom 9.10.2017:
http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5451924/

Wie viel Heimat verträgt die Politik?

Diskussionen nach den Wahlen: Die Grünen streiten über Heimat und die hippe Linke spielt Jung gegen Alt aus

Der Schock der etablierten Parteien über den Zuwachs der AfD ist vorbei. Nun sind sie dabei, ihren Diskurs entsprechend anzupassen, d.h. nach rechts zu verschieben. In der CDU und der CSU betonen alle, dass sie jetzt die konservative Seite wieder stärker akzentuieren wollen. Dabei hat ja CSU-Chef Seehofer vorgemacht, wie man mit einem rechten Diskurs die AfD stärkt. Ständig hat er die Obergrenze bei dem Flüchtlingszahlen gefordert, die mit dem Grundgesetz gar nicht vereinbar ist.

Nun dämmert Seehofer, dass seine Karriere beendet ist, weil er die Forderung so nicht umsetzen kann. Wenn er in der FAZ[1] mit dem Satz zitiert wird: „Ich kann ohne eine Lösung zur Obergrenze nicht zurück zu meiner Basis“, macht er noch deutlich, dass der Rechtsruck aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

Da ist für die AfD auf jeden Fall noch Potential. Dass bei einer möglichen Koalition mit FDP und Grünen das Wort „Obergrenze“ nicht in den Vereinbarungen stehen wird, ist auch Seehofer klar. Doch die Mehrheit Grünen ist flexibel genug, unter einem anderen Begriff durchaus weitere Einschränkungen der Flüchtlingsgesetze zu akzeptieren. Allerdings dürfte es in der Partei da noch heftige Auseinandersetzungen darum geben.

Warum die Grüne Heimatpartei über den Begriff „Heimat“ streitet

Seit einigen Tagen streiten sich die Grünen darüber, ob sie sich positiv auf den Heimatbegriff[2] beziehen sollen. Ausgelöst hatte die Debatte die Spitzenpolitikerin Kathrin Göring Eckardt, die auf dem Parteitag ausrief[3]: „Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat, und diese Heimat spaltet man nicht.“

Die Grüne Jugend kritisierte diese Rhetorik als ausgrenzend. In der Taz hat Göring Eckardt ihre Rede verteidigt[4] mit dem obligatorischen Hinweis, man dürfe die Heimat nicht den Rechten überlassen. Ihr hatte der Wissenschaftler Anatol Stefanowitsch[5] ebenfalls in der Taz widersprochen[6]. Seiner Meinung hat der Begriff Heimat in der Politik nichts zu suchen.

Wird Heimat zu einem politischen Begriff, wird es gefährlich, denn dann wird Heimat etwas, das durch die bedroht ist, die ein Zuhause suchen. Wenn der politische Heimatbegriff von einem konkreten Ort auf ein ganzes Land ausgedehnt wird, entsteht eine Nation, deren Mitgliedschaft durch Abstammung bestimmt ist. Die für niemanden ein Zuhause sein kann, für den sie nicht Heimat ist und die für niemanden Heimat werden kann, für den sie es nicht schon immer war.

Anatol Stefanowitsch

Nur ist die Diskussion etwas absurd. Denn die Grünen waren seit ihrer Gründung immer eine Heimatpartei. Ihre ökologische Orientierung war immer mit dem Kampf um eine lebenswerte Heimat verbunden. Auch die westdeutsche Anti-Pershing-Bewegung, in der die Grünen in ihrer Frühphase vertreten waren, hatte immer einen starken Heimat und sogar Nationalbezug. Es ist auch kein Zufall, dass die Filmreihe „Heimat“[7] von Edgar Reitz in der Umwelt und Anti-Raketenbewegung viele Anhänger hatte.

Viele aus der Alternativbewegung erklärten damals, sie hätten sich durch ihr Engagement dort mit dem Heimatbegriff versöhnt. Es ist schon erstaunlich, dass diese Zusammenhänge in der aktuellen innergrünen Heimatdiskussion ausgeblendet werden. Da wird suggeriert, erst der Kretschmann in Baden-Württemberg und Van Bellen in Österreich hätten den Heimatbegriff bei den Grünen populär gemacht. Nein, die Grünen waren seit ihrer Gründung damit verbunden.

Die Linke und die Migranten

Auch die Linke war in Gestalt der PDS eine Heimatpartei besonderen Typs, nämlich die Partei der ostdeutschen Kümmerer. Diese Rolle hat sie heute weitgehend verloren, teilweise auch an die AfD. Dafür findet die Linke Zustimmung bei einer linksbürgerlichen, urbanen Mittelschicht. Die legt Wert darauf, dass die Partei zumindest einige menschenrechtliche Grundlagen einhält und eben nicht auch anfängt, über Obergrenzen für Migranten zu diskutieren.

„Kurs halten“, appelliert[8] die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, Ulla Jelpke Das ist eine Entgegnung auf Wortmeldungen des Duos Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Dabei spielt das bekannte schlechte Verhältnis des Duos mit den gegenwärtigen Vorsitzenden der Partei eine große Rolle.

Lafontaine hat zudem schon als SPD-Spitzenpolitiker mit für die Verschärfung des Asylrechts gesorgt und mit seiner „Fremdarbeiterrede“[9] schon vor mehr als 12 Jahren für Unmut gesorgt. Doch wenn er darauf verweist, dass die Migration auch eine Klassenfrage ist, und die Ärmsten der Armen eben nicht die Möglichkeiten haben, nach Europa zu kommen, hat er Recht.

Das ist nun aber kein Argument für die Einschränkung von Flüchtlingsrechten, sondern für den Kampf um einen sicheren Transfer, damit die Menschen nicht mehr gezwungen sind, die lebensgefährlichen Routen zu nehmen. Andererseits muss nicht nur das Recht zu fliehen, sondern auch da Recht zu bleiben und trotzdem menschenwürdig leben zu können, gestärkt werden.

In Teilen der linksliberalen und linken Szene wird tatsächlich zu wenig darüber diskutiert, welche Folgen die Migration studierter oder gut ausgebildeter junger Menschen für diejenigen hat, die keine Möglichkeiten der Flucht haben. Bei aller Kritik an vielen Positionen des Duos Lafontaine/Wagenknecht zur Migrationsfrage, sollte dieser Aspekt genauer diskutiert werden, darin ist der saarländischen Landesvorsitzenden der Linken Astrid Schramm[10] zuzustimmen.

Muss die Linke grüner werden?

Recht haben aber auch die Mitarbeiter der Rosa Luxemburg Stiftung, Michael Brie und Mario Candeias, die in ihrer Wahlanalyse[11] empfehlen, die Linke solle Teil eines solidarischen Blocks werden – auch in der Unterstützung von Migranten. Auch der Chefredakteur der Tageszeitung Neues Deutschland warnt vor einer Anpassung der Linken[12] an den gesellschaftlichen Mainstream in der Flüchtlingsfrage.

Wenn Strohschneider dann Stimmen aus der Linksjugend zitiert, die sich wünschen, dass sich die Linke dem „städtischen, progressives, akademisches Milieu“ öffnen soll und sogar postuliert, „grüner zu werden, ohne die Grünen zu kopieren“, sollte man aber hellhörig werden. Zielen solche Vorschläge nicht auf eine neue linksliberale Partei hin?

Wie Alte gegen Junge in der Linken ausgespielt wurden

Ein negatives Beispiel gab da in einem Taz-Artikel die Kandidatin der Linken in Neukölln Judith Benda[13]. „Linke wird hip und urban“[14], lautet die Überschrift des Artikels. Da wird schon ein Ressentiment gegen die nicht hippe, nicht so urbanen Menschen bedient, die eben vielleicht nicht in Neukölln, sondern in Marzahn oder Hellersdorf wohnen. Genau dieses Ressentiment bedient Benda, die in dem Taz-Bericht über Neukölln mit diesem Statement zitiert[15] wird:

Alter ist eigentlich keine politische Kategorie. Aber es gibt schon einen Unterschied zwischen einem 60jährigen Typen und einer jungen Frau, die für eine andere politische Praxis steht.

Judith Benda

Auffallend ist hier auch die Geschichtslosigkeit in einer Partei, die sich in die Tradition einer Bewegung stellt, in der die „roten Großeltern“ ihren Kindern und Enkel über ihre Kämpfe an der Werkbank, am Arbeitsamt oder wo auch immer erzählten, um sie der jüngeren Generation weiterzugeben. Natürlich war auch viel Mythos und Kitsch dabei. Aber sowohl in der kommunistischen als auch in der anarchosyndikalistischen Arbeiterbewegung standen die oder rotschwarzen Großeltern auch für ein bestimmtes Bild von Gesellschaft und Geschichte.

„Die Enkel fechten es besser aus“

Da war die Vorstellung von einer Gesellschaft, in der die Erfahrungen von Kämpfen, ihre Erfolge aber auch ihre Niederlagen weitergegeben wurden. Darin war auch die Hoffnung enthalten, dass es eben nicht nur einzige Individuen, sondern eine kollektive Erfahrung gibt, die weitergegeben werden kann.

Bendas Statement steht für eine Generation, die davon nichts mehr hören will. Für sie ist ein 60-jähriger Arbeiter ein Typ, der möglichst schnell verschwinden, und den jungen, hippen urbanen Linken Platz machen soll.

Eine Linke, die sich selber ernst nimmt, müsste Platz sowohl für den 60jährigen Mann und die junge Frau haben. Ansonsten lässt sie die Kernwählerschaft der klassischen Arbeiter rechts liegen.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-viel-Heimat-vertraegt-die-Politik-3852221.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/csu-chef-horst-seehofer-beharrt-weiterhin-auf-obergrenze-15234106.html
[2] http://www.deutschlandfunk.de/ausgeloest-von-katrin-goering-eckardt-gruene-debattieren.1773.de.html?dram:article_id=397435
[3] http://www.deutschlandfunk.de/ausgeloest-von-katrin-goering-eckardt-gruene-debattieren.1773.de.html?dram:article_id=397435
[4] http://www.taz.de/!5451388/
[5] http://www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/we06/institut/mitarbeiterinnen_und_mitarbeiter/stefanowitsch/index.html
[6] http://www.taz.de/Kommentar-Gruener-Heimatbegriff/!5450730/
[7] http://www.heimat123.de/
[8] https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/artikel/319554.kurs-halten.html
[9] https://www.sozialismus.info/2005/07/11327/
[10] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065842.lafontaine-hat-das-recht-auf-asyl-nicht-in-frage-gestellt.html
[11] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065470.auswege-aus-der-zehn-prozent-nische.html
[12] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065502.waere-das-linke-politik.html
[13] https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/judith-benda
[14] http://www.taz.de/Die-Linkspartei/!5448496/
[15] http://www.taz.de/Die-Linkspartei/!5448496/

Mietenexplosion per Post


Bewohner der Schöneberger Gleditschstraße wollen sich gegen Erhöhung ihrer Mieten wehren

Jens Hakenes ist stinksauer. Er ist Mieter in der Gleditschstraße in Schöneberg. Nach der Modernisierung seines Hauses im vergangenen Jahr hat die Eigentümergesellschaft »Industria Wohnen« aus Frankfurt am Main ihm eine Mieterhöhung zugeschickt. So wie ihm gehe es 100 anderen Mietern, die in den Altbauten in seiner Straße wohnen. »Uns drohen jetzt Mehrkosten von insgesamt rund 100 000 Euro pro Jahr«, sagt Hakenes aufgebracht.

Hakenes kritisiert, dass die »Industria Wohnen« sich nicht an die Vereinbarungen mit dem Bezirksamt halte. Das habe auch der Berliner Mieterverein in einer Überprüfung der Mieterhöhung festgestellt. Tatsächlich kommt ein Mitarbeiter des Mietervereins in einer Stellungnahme zu der Einschätzung, dass die Modernisierung in der Gleditschstraße als reine Instandhaltungsmaßnahmen zu klassifizieren ist, die keine Mieterhöhung mit sich bringen dürfe. Das sähen auch die Vereinbarungen vor, die der Bezirk mit der »Industria Wohnen« vor zwei Jahren geschlossen habe. 

Der Vertrag zwischen dem Eigentümer und dem Bezirksamt war das Ergebnis eines Runden Tisches, nachdem sich die Mieter in der Gleditschstraße mit Kundgebungen und Straßenfesten gegen ihre durch die erhöhten Mieten drohende Verdrängung gewehrt hatten. Die Anwohner haben sich in der Mietergemeinschaft Gleditschstraße zusammengeschlossen und wollen erreichen, dass sie sich auch nach der Modernisierung der Häuser die Miete noch leisten können. Mit der Vereinbarung zwischen Bezirk und Eigentümer hofften sie, vor einer Mietenexplosion geschützt zu sein.

Als nun doch die Mieterhöhungen in den Briefkästen lagen, staunten die Mieter in Schöneberg nicht schlecht. »Jetzt steht der Bezirk in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Vereinbarung auch umgesetzt wird«, sagt Hakenes. Schließlich sei der ja Vertragspartner und nicht die Mieter. 

Uwe Klotz vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg dämpft die Erwartungen. »Bezüglich der Vereinbarung aus dem März 2015 werden wir bestehende vertragliche Möglichkeiten prüfen. Für den Fall, dass diese auch vorhanden sind, werden wir sie umsetzen«, sagte Klotz. Das Bezirksamt habe allerdings keinerlei gesetzliche Möglichkeiten, in Mieterhöhungsverlangen von Hauseigentümern einzugreifen. 

Sollte das Bezirksamt keine Reduzierung der Miete erreichen, bleibt den Mietern noch der individuelle Klageweg. Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild äußerte sich indes zurückhaltend, was die Chancen für die Mieter angeht: »Die Rechtsauslegung meines Mitarbeiters, auf die sich die Mieter aus der Gleditschstraße berufen, muss nicht auch jene der zuständigen Gerichte sein.« Die Mietergruppe will in diesem Fall vor allem durch öffentlichen Druck durchsetzen, dass die Vereinbarung umgesetzt wird. 

Zurzeit sammeln die Mieter Spenden, um weitere Gutachten über die Rechtmäßigkeit der Mieterhöhungen in Auftrag zu geben. Erste kleine Erfolge können die Mieter derweil vermelden. »Für eine etwa siebzig Quadratmeter große Wohnung verlangte die ›Industria Wohnen‹ ursprünglich eine Mieterhöhung von rund 141 Euro. Durch die bisher vorgenommenen Korrekturen sinkt dieser Betrag jetzt um rund zehn Euro monatlich«, rechnet Hakenes vor. 

Von der »Industria Wohnen« gab es trotz mehrmaliger Nachfragen bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1066077.mietenexplosion-per-post.html
Peter Nowak

Zuständig für Auslandspropaganda und Asylentscheide

In Jena war ein der vietnamesischen Regierung nahestehender Mann beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angestellt

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im thüringischen Jena/Hermsdorf war für Kanha Chhuns eine große Enttäuschung. Der kambodschanischen Oppositionellen wurde mitgeteilt, dass sie und ihre beiden Kinder innerhalb von 30 Tagen Deutschland verlassen müssen. Ihre Anträge auf Asylanerkennung wurden abgelehnt. Auch der subsidiäre Schutzstatus wurde ihnen nicht zuerkannt. Der Ablehnungsbescheid, der »nd« vorliegt, ist mit Ho unterzeichnet. Das Kürzel steht für Ho Ngoc. T. Der aus Vietnam stammende Mann hat bis vor wenigen Wochen im BAMF in Jena gearbeitet. Ho Ngoc. T. gilt keineswegs als neutral. Er hatte im sozialen Netzwerk Facebook die Entführung eines ehemaligen vietnamesischen Politikers aus Deutschland nach Vietnam zustimmend kommentiert.

Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation The Voice war Kanha Chhuns in Kambodscha in der Oppositionspartei CNRP aktiv und nahm an Demonstrationen teil. Die CNRP setzte sich unter anderem für Rechte streikender ArbeiterInnen ein, die von dem kambodschanischen Regime verfolgt werden. Der kambodschanische Langzeitpräsident Hun Sen ist ein enger Verbündeter Vietnams.

Dass ausgerechnet ein Gefolgsmann Vietnams über Asylanträge von kambodschanischen Oppositionellen entscheidet, empört die Flüchtlingsorganisation The Voice. »Wir fordern, dass die politische Verfolgung von kambodschanischen AktivistInnen als legitimer Fluchtgrund anerkannt wird. Das bedeutet auch, dass alle durch Herrn Ho Ngoc T. negativ entschiedenen Anträge noch einmal bearbeitet und entschieden werden müssen«, fordert Bernhard S., der in Thüringen in der Geflüchtetensolidarität aktiv ist. Diese Forderung wird auch von Vu Quoc Dung unterstützt. »Wenn das BAMF Herrn Ho Ngoc T. wegen Verletzung der Neutralitätspflicht entlassen hat, dann müssen nun die Asylfälle von kambodschanischen Oppositionellen, die er entschieden hatte, neu geprüft werden. Denn es ist weitgehend bekannt, dass Herr Ho Ngoc T. die Politik der vietnamesischen Regierung öffentlich verteidigt, deren Schützling der kambodschanische Diktator Hun Sen ist«, erklärt der Direktor der Menschenrechtsorganisation VETO! Human Rights Defenders‘ Network e.V. gegenüber »nd«. 

Er erinnerte auch daran, dass sich Ho Ngoc T. in Zeitungen der vietnamesischen Regierungspartei wiederholt abfällig über vietnamesische DissidentInnen geäußert und die Verhaftungen von BloggerInnen und JournalistInnen verteidigt habe. Zudem habe Ho Ngoc T. von der allein regierenden Kommunistischen Partei Vietnam einen Preis für Auslandspropaganda bekommen. 
»Grundsätzlich ist die Entscheidung über Asylanträge durch eine Person, die – wie wir jetzt wissen – weit weg vom sogenannten Boden des Grundgesetzes steht, inakzeptabel«, sagte die Berliner Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf dem »nd«. Sie hat den entführten vietnamesischen Ex-Politiker vertreten, der in Deutschland Asyl beantragt hat.

Die Sprecherin des BAMF, Kira Gehrmann, bestätige gegenüber »nd«, dass Ho Ngoc T. seit 1991 als Sachbearbeiter beim BAMF beschäftigt, dort aber nicht für die Durchführung von Asylverfahren für vietnamesische AsylbewerberInnen zuständig war. Von den Veröffentlichungen des Mitarbeiters habe ihre Behörde erst durch eine Presseanfrage Anfang August 2017 Kenntnis erlangt.

Danach sei der Mann bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts von seinen Tätigkeiten entbunden worden. Nach Abschluss der Prüfung habe das Bundesamt das Arbeitsverhältnis umgehend beendet. Kanha Chhums und ihre Kinder hatten wohl Pech, dass ihre Ablehnungen schon Anfang August ausgefertigt wurden. Zur Frage, ob die Anträge noch einmal überprüft werden, wollte Gehrmann aus datenrechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065679.zustaendig-fuer-auslandspropaganda-und-asylentscheide.html

Peter Nowak

Hasi Halle bleibt – zunächst

Mietvertrag beendete Zitterpartie um linkes besetztes Zentrum in Halle. Doch die Debatten ums Hasi gehen weiter

Die Betreiber_innen des Hallenser soziokulturellen Zentrums Hasi in der Hafenstraße 7 können vorerst aufatmen. Die Hallesche Wohnungsgesellschaft HWG wird den Vertrag zunächst bis zum Jahresende verlängern. Zudem prüft die Stadt Halle in Sachsen-Anhalt den Ankauf des Hauses. Das hat der Aufsichtsrat der HWG am Donnerstag beschlossen. Das Haus war aus einer Hausbesetzung im Januar vorigen Jahres hervorgegangen (»nd« berichtete). Die Besetzer_innen waren von Anfang an konstruktiv und setzen auf Verhandlungen. Ein offenes Haus für alle und nicht ein verlängertes Wohnzimmer für die Subkultur war das Ziel der Besetzung. Was die anfangs zwölfköpfige Gruppe in den knapp 20 Monaten auf die Beine gestellt hat, kann sich sehen lassen.

So wurden das Grundstück und das Haus komplett aufgeräumt. Der Haufen Müll, der ursprüngliche dort gelegen hatte, füllte mehrere Container. Das verwilderte Grundstück wurde beschnitten und beräumt. Es wurden Wasserleitungen und Stromkabel verlegt. Die Räume wurden teilweise renoviert. Es wurde ein Lesecafé und eine kleine Bibliothek aufgebaut, berichtete ein Besetzer der ersten Stunde gegenüber »nd«. Im Jahresbericht des Vereins Capuze e.V., der Träger der Hasi ist, sind zahlreiche Veranstaltungen im Haus mit Gästen aus dem gesamten Bundesgebiet aufgeführt. Dazu gehören das Treffen des Netzwerkes Solidarische Landwirtschaft, zahlreiche Lesungen, Kulturveranstaltungen und politische Diskussionen.

Trotzdem waren die letzten Wochen für die Hasi-Betreiber_innen eine Zitterpartie. Am 30. September wäre der bisherige Vertrag ausgelaufen. Zuvor hatte sich ein kleiner Teil der Nachbarschaft in einen Offenen Brief gegen das Projekt positioniert. Dies wurde von den konservativen Medien in Halle aufgegriffen.

»Es gibt ein paar Anwohner_innen, die einfach auf Prinzipien verharren und uns immer nur anmotzen, selbst wenn wir sie höflich ansprechen«, meint Mitbetreiberin Theresa Peuckert gegenüber »nd«. Sie vermutet, dass es da auch um Interessen von Investor_innen geht. Peuckert beklagt, dass die Regionalmedien einzelne ablehnende Äußerungen von Anwohner_innen in den Mittelpunkt stellten, – gegen einen Journalisten haben die Hasi-Bewohner_innen wegen seiner Berichterstattung mittlerweile eine Beschwerde beim Presserat eingelegt. Dabei gab es in den letzten Wochen auch zahlreiche Solidaritätserklärungen von Nachbar_innen. »Als Mieter würde ich mich freuen, wenn auf unser Wohlergehen mehr geachtet wird und politische Freiräume wie die Hasi von der HWG unterstützt würden«, schreibt ein Anwohner. Auch die Hallenser Bezirksorganisation der EVG (Gewerkschaft für Eisenbahn und Verkehr) hat sich mit dem Haus solidarisiert.

Mit nur kurzfristigen Verlängerungen ihres Mietvertrages – wie eben geschehen um drei Monate – sind die Betreiber_innen nicht zufrieden. Sie fordern einen langfristigen Vertrag, um ihre Arbeit auf eine sichere Grundlage stellen zu können. Die Hasi findet in Halle nicht zuletzt auch deshalb viel Zustimmung, weil es seit kurzem in Halle auch einen neuen Anlaufpunkt für die rechte Bewegung gibt: Die Identitären haben in der Stadt an der Saale im Juli dieses Jahres ein kulturelles Zentrum für Schulungen und Konferenzen eröffnet. »Da sind Räume, in denen Rechte keinen Zutritt haben, dafür aber Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Hautfarbe willkommen heißen, um so wichtiger«, betont Theresa Peuckert von der Hasi.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065616.hasi-halle-bleibt-zunaechst.html

Peter Nowak

Polizei empört Anwohner

Beamte sollen bei Kontrollen in der Rigaer Straße eine Passantin verletzt haben 

BewohnerInnen des Friedrichshainer Nordkiezes erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei. In einer Pressemitteilung, die mit „Nachbar_innen im Nordkiez Friedrichshain“ unterschrieben ist, wird die Polizei beschuldigt, am Sonntagnachmittag für den Sturz einer Frau vom Fahrrad verantwortlich zu sein. Sie habe sich dabei am Rücken verletzt und sei im Klinikum Friedrichshain stationär behandelt worden.

Der taz schilderte die verletzte Radlerin Gudrun G., die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, die Vorgeschichte. Sie sei am Sonntag auf dem Weg zu einem Hoffest des linken Hausprojekts Rigaer Straße 94 gewesen. Laut Einladung waren alle „FreundInnen des Hauskollektivs“ gebeten, „mit uns zusammen zu schlem- men, Broschüren durchzublättern, vielleicht einen Workshop zu besuchen, die Köpfe zusam- menzustecken und sich bei Musik die Hände an der Feuertonne zu wärmen“.

Das wollte auch G., die in einer Nachbarschaftsinitiative aktiv ist, die auf dem Fest ihre Arbeit vorstellte. Doch das war gar nicht so leicht, wie BesucherInnen bestätigen. Der Grund waren massive Personenkontrollen rund um das Haus. „Ich stellte die rechtliche Grundlagen dieser Durchsuchungen infrage und erinnerte die PolizistInnen daran, dass darüber vor Gericht gestritten wird“, erklärt G.

Klage vor Gericht

Hintergrund ist die Klage mehrerer von Polizeikontrollen Betroffener vor dem Verwaltungsgericht. Mitte September begannen die Verhandlungen. Dabei soll geklärt werden, ob die Klassifizierung der Gegend rund um die Rigaer Straße zum kriminalitätsbelasteten Ort rechtmäßig ist. Darauf bezieht sich die Polizei bei ihren Personenkontrollen.

Doch für ihre Bedenken fand Gudrun G. bei der Polizei am Sonntagnachmittag kein Gehör. Die zuständige Einsatzleiterin erteilte ihr einen Platzverweis, dem sie nachkam. Trotzdem sei sie auf dem Nachhauseweg in der Cellestraße erneut von der Polizei angehalten worden. „Ein Polizist griff in den Lenker meines Fahrrads, sodass ich stürzte. Ich hatte starke Rückenschmerzen und konnte nicht mehr auf- stehen“, erklärt G. Im Krankenhaus bekam sie schmerzlin- dernde Spritzen. G. habe die Polizei darauf hingewiesen, dass sie wegen eines Bandscheiben- vorfalls in Behandlung sei, bestätigten AugenzeugInnen des Vorfalls der taz.

Ein Polizeisprecher bestätigte am Dienstag, dass der Fall intern geprüft werde. Wegen des Feiertags könne die Pressestelle aber vor Redaktionsschluss keine Stellungnahme abgeben. 

aus taz vom 4.10.2017
Peter Nowak

Mit Druck und Drohungen für und gegen Israel?

Nun hat sich das Kampffeld auf die Kulturindustrie erweitert

Bisher konnte man davon ausgehen, dass Konzertabsagen von Bands persönlichen oder wirtschaftlichen Gründen geschuldet sind. Doch in letzter spielt dabei auch der Nahostkonflikt zunehmend eine Rolle. So sagten beim Berlin-Pop-Festival[1] Ende August einige Bands ab, weil die israelische Botschaft[2] die Reisekosten der israelischen Künstlerin Riff Cohen bezuschusst hat.

Der Boykott ist ein Beispiel für eine regressive Israelkritik und wurde so zu Recht scharf kritisiert. Schließlich wurde kein anderes Land, sondern ausschließlich Israel an den Pranger gestellt. Und es grenzt tatsächlich an Antisemitismus, wenn im Land der Shoah die Teilnahme israelischer Künstlerinnen und Künstler und die Unterstützung durch eine Behörde ihres Landes skandalisiert wird.

Durch die Absage der Künstler wurde auch die BDS-Kampagne[3] einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Das Kürzel bedeutet Boykott, Desinvestionen und Sanktionen und steht für ein weltweites Bündnis, die die israelische Regierung mit diesen Mitteln unter Druck setzen wollen und sich auf einen Aufruf[4] der palästinensischen Zivilgesellschaft bezieht.

Das Bündnis ist eindeutig pro-palästinensisch und stellt sich im Konflikt zwischen Israel und den arabischen Ländern klar auf einer Seite. Menschenrechtsverletzungen im Gaza und der Westbank werden dort ebenso wenig öffentlich dokumentiert, wie die Terroraktionen von islamistischen, aber auch arabisch-nationalistischen Gruppen gegen Israelis.

Wie aus einem Reisezuschuss für eine israelische Künstlerin eine israelische Unterstützung wurde

Die BDS-Kampagne hat mit einen Offenen Brief[5] an die Beteiligten des Berliner Pop-Festivals die Absagen zu verantworten. Dass sie dabei auch mit Falschmeldungen arbeite, zeigt die nachträgliche Richtigstellung[6].

Wir haben geschrieben: „Das Kultur- und Music Festival ‚Pop Kultur‘, das Ende August in Berlin stattfindet, wird von der israelischen Botschaft mitorganisiert.“ Das ist falsch. Richtig ist, dass die Kulturabteilung der israelischen Botschaft dem Festival Pop Kultur 2017 500 Euro als Reisekostenzuschuss für Künstler*innen zur Verfügung gestellt hat und daher auf der Webseite des Festivals gelistet ist, wie alle anderen Kultur-Partner auch.

BDS-Kampagne

Wenn es gegen Israel geht, nimmt man es mit der Wahrheit nicht so genau

Diese Korrektur nach der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, die die BDS-Kampagne durch den Rückzug zahlreicher Künstlerinnen und Künstler von dem Pop-Festival ausgelöst hatte, müsste für die BDS-Organisatoren Anlass einer Kritik ihrer Prämissen sein. Denn die Faktenlage hat sich nicht geändert. Wie konnte aus einem Reisezuschuss für eine israelische Künstlerin eine Mitorganisation des Festivals durch die israelische Botschaft werden?

Und warum fiel den BDS-Organisatoren erst jetzt auf, dass viele andere Künstler auch von staatlichen Institutionen „ihrer Länder“ Zuschüsse für die Reisekosten bekommen haben? Wird hier nicht die der BDS-Kampagne unterstützte Diskriminierung und Dämonisierung Israels deutlich? Und warum haben die Organisatoren die Richtigstellung nicht mit einer Entschuldigung und dem klaren Rückzug des Boykott-Aufrufs verbunden?

Das wäre doch eigentlich die logische Konsequenz ihrer Feststellung, dass sie eine Fake-News einer angeblichen Mitorganisation der israelischen Botschaft verbreitet haben. Auf dieser Grundlage haben einige Bands ihre Teilnahme abgesagt. Schließlich war die angebliche Mitorganisation der israelischen Botschaft die zentrale Aussage des Aufrufs.

„Beenden Sie die Partnerschaft mit der israelischen Botschaft“, heißt es dort[7]. Die Forderung konnte gar nicht eingelöst werden, weil es diese Partnerschaft nie gab.

Eine Band hat allgemein gesagt, dass sie sich wegen der durch den Boykottaufruf ausgelösten Debatte um das Festival zurückgezogen hat. Doch diese Konsequenz, ihren Aufruf zurückzuziehen und um Entschuldigung für ihre Falschaussagen und die Folgen zu bitten, sucht man in der BDS-Erklärung vergeblich. Die lapidaren Sätze der Richtigstellung zeigen, dass entweder die Organisatoren die Tragweite der Folgen nicht begriffen habe, die ihre Falschaussagen ausgelöst haben oder es ist ihnen schlicht egal.

Wenn es gegen Israel geht, nimmt man es mit der Wahrheit nicht so genau. Da wird ein Reisezuschuss für eine israelische Künstlerin gleich zu einem Festival, an dem die israelische Botschaft beteiligt ist. Dieser laxe Umgang mit der Wahrheit und die fehlende Bereitschaft, die Prämissen der eigenen Arbeit selbstkritisch zu hinterfragen, waren dann auch der Anlass, dass der Gegenwind gegen die BDS-Kampagne wuchs.

In mehreren Städten wie Frankfurt/Main und München wurden ihr städtische Räume verweigert. Auch Linke wie Jutta Ditfurth positionierten[8] sich klar gegen die BDS-Kampagne. Weniger bekannt ist das sehr differenzierte Grundsatzpapier[9] der Ökologischen Linken zum Israel-Palästina-Konflikt.

Ist die BDS-Kampagne antisemitisch?

Denn so berechtigt die Kritik an der BDS-Kampagne ist, so verkürzt ist es, sie pauschal als antisemitisch zu bezeichnen. Das wird der Tatsache nicht gerecht, dass an der Kampagne weltweit sehr unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Motivationen beteiligt sind. Der BDS-Kritiker Micha Brumlik, ist einer der wenigen, der hier sehr klar zu differenzieren in der Lage ist.

Er verteidigte beispielsweise die Adorno-Preisträgerin Judith Butler gegen den Vorwurf des Antisemitismus[10] . Heute wird das Adjektiv „antisemitisch“ im Zusammenhang mit der BDS-Kampagne sehr freigiebig verwendet und oft nicht einmal mehr begründet. So hat man den Eindruck, bei der Etikettierung wird voneinander abgeschrieben.

Die Mühe, die sich vor einigen Jahren noch die Kritiker der BDS-Kampagne gemacht haben, ihre Beurteilung nachvollziehbar zu machen, unterbleibt. Das ist auch einem Schwarz-Weiß-Denken auf beiden Seiten geschuldet. Warum soll es nicht möglich sein, die BDS-Kampagne zu kritisieren, ohne sie gleich als antisemitisch zu etikettieren?

Tatsächlich gibt es bei der BDS-Kampagne starke Anleihen an einem regressiven Antizionismus, der offene Flanken zum Antisemitismus hat. Deswegen sind nicht alle Menschen, die diese Kampagne unterstützen Antisemiten. Diese Differenzierung hat Konsequenzen bei der Behandlung der Menschen, die die BDS-Kampagne unterstützen.

Künstlerin wurde unter Druck gesetzt, weil sie angeblich BDS-Kampagne unterstützt

Das zeigte sich im Umgang mit der Rapperin Kate Tempest[11]. Sie war schon für einen Gig in der Volks-Bühnen-Dependance[12] am ehemaligen Flughafen Tempelhof in Berlin gebucht, als sie sich zur Absage des Konzerts entschlossen. Der Grund liegt im Streit um den Umgang mit Israel.

Die Berliner Zeitung schreibt[13] über die Absage der Künstlerin:

Tempests Absage ist doppelt schade und zugleich symptomatisch für das erhebliche kulturpolitische Störpotenzial, dass die BDS-Aktivitäten inzwischen auch für den hiesigen Kulturbetrieb darstellen.

Berliner Zeitung
Doch diese Darstellung ist zumindest irreführend. Denn tatsächlich ging der Absage von Tempest massiver Druck auf die Künstlerin voraus, dieses Mal von Kritikern der BDS-Kampagne[14]:

Wie aus einer Pressemitteilung der Volksbühne hervorgeht, veröffentlichte ihr Management folgendes Statement: „Wir erhalten weiterhin persönliche Drohungen via E-Mail oder sozialer Netzwerke und das ist keine akzeptable Umgebung, um unser Konzert zu präsentieren. Kate will in einer derartig aggressiven Atmosphäre nicht auftreten und ich will kein weiteres Risiko über ihre mentale Gesundheit oder die Sicherheit unseres Teams eingehen.“ 

Gegenüber der Zeit[15] erklärte die Künstlerin: „Ich möchte klarstellen, dass ich über die Handlungen der israelischen Regierung gegen die palästinensische Bevölkerung entsetzt bin. Ich habe lange darüber nachgedacht und mich, gemeinsam mit vielen anderen Künstlerinnen und Künstlern, die ich respektiere, als Akt des Protestes dem kulturellen Boykott angeschlossen. Ich bin eine Person jüdischer Abstammung und zutiefst von den Vorwürfen, ich würde eine antisemitische Organisation unterstützen, verletzt. Die israelische Regierung ist nicht die einzige Stimme des Judentums. Dieser Auftritt war dazu gedacht, darauf aufmerksam zu machen, welchen Horror Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben durchmachen müssen und Solidarität mit ihnen als Menschen zu zeigen und ich bin darüber enttäuscht, dass daraus ein politischer Spielball gemacht wurde. Ich bedauere, dass ich den Auftritt abgesagt habe, aber ich hatte das Gefühl, dass es weder ein angemessener noch ein sicherer Rahmen für mich wäre, meine Kunst zu präsentiere.“

laut.de[16]

Das war eine sehr differenzierte Stellungnahme, die die BDS-Kritiker zur Kenntnis nehmen sollten, denen es wirklich um den Kampf gegen Antisemitismus geht. Denn es gibt neben den von ihnen mit Recht herausgestellten israelbezogenen Antisemitismus weiterhin den gegen Linke, Antinationale und Kosmopoliten.

Vor allem der Teil der Rechten, die Israel als Vorposten des Kampfes gegen den Islamismus schätzen gelernt hat, konzentriert sich bei ihren Antisemitismus jetzt auf die Hetze gegen israelkritische Jüdinnen und Juden. Daher wäre es angebracht, wenn diese BDS-Kritiker sich klar von der Hetze gegen Tempest distanzieren würden.

Die Taz hat da auch Ross und Reiter genannt[17] beispielsweise den Berliner SPD-Jungpolitiker Sercan Aydilek. Er wird mit diesem Twitter-Posting[18] an Tempest zitiert: „Jetzt weißt du, dass dein Dreck in Berlin nicht willkommen ist.“

Jetzt sollten die BDS-Kritiker Aydilek deutlich machen , dass er mit diesen Statement seinen eigenen Grundsatz „Gegen jeden Antisemitismus“, selber nicht gerecht geworden ist und eine Entschuldigung fällig wäre.

Eine andere Kritik der BDS-Kampagne ist möglich

Dass man eine Kritik am regressiven Antizionismus auch ohne Diffamierung der Gegner führen kann, zeigte die kleine Basisgewerkschaft Wooblies[19]. Sie erstellte ein Dossier[20]. Dort zeigte sie auf, wieso die transnational arbeitende Gewerkschaft die BDS-Kampagne einst unterstützte und wo die Kritikpunkte liegen.

Dabei machte sie auch deutlich, dass kritische Artikel[21] den internen Diskussionsprozess beförderten. Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass es die Aufgabe einer Gewerkschaft nicht sein kann, Ausschlüsse und Spaltungen durch Boykottaufrufe, die sich in einem nationalen Konflikt einseitig auf eine Seite stellen, zu befördern.

Vielmehr müsste es konkret für die Region Israel/Palästina darum gehen, Organisationen und Gewerkschaften zu unterstützen, die Lohnabhängige binational organisieren und gemeinsam im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Löhne unterstützen.

Ein solche Orientierung schließt natürlich auch eine Absage ein an jede Unterstützung der Politik der israelischen Regierung wie jeder Staats- und Regierungsinteressen. Es wäre zu wünschen, wenn sich die BDS-Kritiker an den Umgang der Wooblies mit der Thematik ein Beispiel nehmen würden und nicht ihrerseits zu Druck und Beleidigungen greifen würden.

https://www.heise.de/tp/features/Mit-Druck-und-Drohungen-fuer-und-gegen-Israel-3848225.html

Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3848225

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.pop-kultur.berlin
[2] http://www.bento.de/musik/pop-kultur-2017-der-boykott-von-kuenstlern-und-die-bds-kampagne-erklaert-1623203/)
[3] http://bds-kampagne.de
[4] http://bds-kampagne.de/aufruf/aufruf-der-palstinensischen-zivilgesellschaft/
[5] http://bds-kampagne.de/2017/08/15/offener-brief-an-alle-beteiligten-gruppen-aus-uk-am-berlin-pop-kultur-2017-festival/
[6] http://bds-kampagne.de/2017/08/17/richtigstellung-zu-update-weitere-kuenstlerinnen-ziehen-ihre-teilnahme-am-pop-kultur-festival-2017-zurueck/
[7] http://bds-kampagne.de/2017/08/18/israelischen-buergerinnen-an-die-veranstalter-des-pop-kultur-festivals-in-berlin-bitte-beenden-sie-ihre-partnerschaft-mit-der-israelischen-botschaft/
[8] http://www.jutta-ditfurth.de/dl/dl.pdfa?download=Ditfurth-BDS-Hamas-20170609.pdf

 [9] http://www.oekologische-linke.de/dl/dl.pdfa?download=Oekologische-Linke_20170619_Position-zu-Israel.pdf
[10] https://www.heise.de/tp/news/Verdient-Judith-Butler-den-Adorno-Preis-1993079.html
[11] https://www.katetempest.co.uk
[12] https://www.volksbuehne.berlin/de/service/presse/418/kate-tempest
[13] http://www.berliner-zeitung.de/28446252
[14] http://www.laut.de/News/Israelkritik-Kate-Tempest-rechtfertigt-Berlin-Absage-22-09-2017-14006
[15] http://www.zeit.de/kultur/2017-09/israelkritik-konzert-absage-kate-tempest-volksbuehne/seite-2
[16] http://www.laut.de/News/Israelkritik-Kate-Tempest-rechtfertigt-Berlin-Absage-22-09-2017-14006
[17] http://www.taz.de/!5446621
[18] https://twitter.com/AydilekSercan/status/911286935599112192
[19] https://www.wobblies.org/CMS/dossier-bds-israel

»Der DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter«

Dietmar Wolf war in der linken DDR-Opposition aktiv und Mitbegründer der Unabhängigen Antifa Ostberlin. In diesem Herbst jährt sich zum 30. Mal die Gründung der Unabhängigen Antifa in verschiedenen Städten der DDR. Daran erinnert ein Buch mit dem Titel »30 Jahre Antifa in Ostdeutschland«, das kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist (»Jungle World« 30/2017). Wolf ist bis heute Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift »telegraph«. Wegen seiner antifaschistischen Tätigkeit will er kein Foto von sich veröffentlicht sehen. Am 30. September wird er ab 19 Uhr im FAU-Lokal in der Grünthaler Straße 24 in Berlin über die Geschichte der Unabhängigen Antifa in der DDR berichten.

Warum haben Sie und Ihre Mitstreiter die Unabhängige Antifa gegründet?
Seit 1983 nahmen die offenen Aktivitäten von faschistischen Gruppen, zum größten Teil rechtsgerichtete Skinheads und Fußballfans, sprunghaft zu. Es kam immer wieder zu Überfällen auf Ausländer, Punks, linksalternativ Gekleidete und Oppositionelle. In dieser Zeit bildeten sich auch feste faschistische Gruppen, die sich zum Beispiel »Bewegung 30. Januar« – in Anlehnung an die Machtergreifung der Nazis am 30. Januar 1933 – oder »Bucher Front« nannten. Die hatten damals bereits Kontakte zu Westberliner Faschisten, die in der Folgezeit intensiviert wurden. Der Überfall von Nazi-Skinheads auf ein Punkkonzert in der Ostberliner Zionskirche im Oktober 1987 hatte in zweierlei Hinsicht Signalwirkung. Zum einen erhöhte sich die Zahl der offenen Übergriffe von Nazis und Skinheads, zum anderen regte sich erstmals selbstorganisierter Widerstand. Daraus folgte die Gründung von unabhängigen Antifagruppen in Potsdam und Dresden 1987, in Halle 1988 und in Berlin dann im April 1989.

Warum gründete sich die Unabhängige Antifa in Ostberlin erst so spät?
Nach dem Nazi-Überfall in der Zionskirche gab es, ähnlich wie in Potsdam und Dresden, auch in Berlin einen Versuch von Punks im Umfeld der oppositionellen Umweltbibliothek und der Offenen Arbeit der Erlöserkirche, eine Antifagruppe zu gründen. Das schlug jedoch fehl. Zu verschieden waren die Vorstellungen, zu diffus die Ziele. Im April 1989 gab es dann einen zweiten Anlauf. Auslöser war das Gerücht, dass sich zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers DDR-weit Neonazis am 20. April in Potsdam versammeln wollten. Am 19. April fand in der »Kirche von Unten« (KvU) eine Podiumsveranstaltung zu Nazis in der DDR statt. Diese Veranstaltung war die Initialzündung für die Gründung einer Antifagruppe etwa zwei Wochen später. Daran beteiligten sich über 100 junge Menschen, die mehrheitlich nicht der Oppositionsszene angehörten.

Sehen Sie in der langen Weigerung der DDR-Verantwortlichen, die Existenz aktiver Neonazis in der DDR anzuerkennen, eher Hilflosigkeit oder Kalkül?
Es kann gar keinen Zweifel geben, dass die DDR im Wesen ein antifaschistischer Staat war. Nirgendwo wurde so rigoros und konsequent entnazifiziert wie in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Dabei darf sicher nicht verschwiegen werden, dass es ab 1948 vielen Nazis und Naziverbrechern gestattet wurde, wieder ins politische und gesellschaftliche Leben der DDR zurückzukehren und dort auch hohe politische, gesellschaftliche und militärische Positionen zu erlangen. Das ist einer der ganz großen Widersprüche des DDR-Antifaschismus. Man darf aber nicht verschweigen, dass die Zahl der Naziverbrecher und faschistischen Massenmörder, die in den westlichen Besatzungszonen und dann in der BRD erneut Einfluss erlangten und wirtschaftlich, militärisch und politisch Karriere machen durften, im selben Zeitraum deutlich höher war.

Warum konnte sich trotz der antifaschistischen Postulate in der DDR eine Naziszene etablieren?
Ein alles entscheidender Punkt für mich ist, dass sich die DDR im Gegensatz zur BRD auf antifaschistische Werte und Traditionen berief. Doch dieser DDR-Antifaschismus war lediglich ein staatlich verordneter. Mit allen Mitteln und Möglichkeiten der staatlichen Gewalt wurde gegen neofaschistische Erscheinungen und Tendenzen vorgegangen. Gleichzeitig sollte dies unter allen Umständen im Geheimen geschehen und schon gar nicht thematisiert werden. Nachdem die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1948 mit dem Befehl 35 die Entnazifizierung in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) für beendet erklärt hatte, wurde die gesamte Bevölkerung der SBZ/DDR automatisch zu Antifaschisten erklärt. Eine offene gesellschaftliche Aufarbeitung der Machtübergabe an Hitler und der Unterstützung durch den Großteil der deutschen Bevölkerung und eine Diskussion darüber, wie ein wirklicher sozialistisch-antifaschistischer Wiederaufbau nach der Befreiung Deutschlands stattfinden müsste, wären unumgänglich gewesen. Doch diese fanden nie statt.

Was waren die Gründe?
Dem standen Stalin und die stalinistisch beeinflussten Teile der KPD/SED im Weg. Es ging auch um den alleinigen Herrschaftsanspruch der KPD/SED, der sich grundlegend auf den Mythos vom ersten antifaschistischen Staat auf deutschem Boden stützte, in dem unter Führung der KPD/SED der Faschismus mit der Wurzel ausgerottet worden sei. So ist es nicht verwunderlich, dass Ermittlungen gegen Alt- und Neonazis im Wesentlichen in die Verantwortung des DDR-Geheimdiensts MfS fielen. Die DDR-Justiz verurteilte faschistische Täter stets nur wegen sogenannten Rowdytums oder wegen Störung des sozialistischen Zusammenlebens.

Welches Verhältnis hatten die unabhängigen Antifagruppen zur DDR-Opposition?
Es gab gute Kontakte zu linken Oppositionsgruppen, die sich anarchistisch definierten, wie zum Beispiel die Umweltbibliothek und die KvU in Berlin. Das kam auch daher, dass einige Mitglieder dieser anarchistischen Gruppen in den Antifagruppen aktiv waren. Der große Teil der Oppositionsgruppen, auch einige linke, marxistische, trotzkistische, nahm die Antifagruppen und das Thema Rassismus und Nazis in der DDR aber nicht wirklich ernst.

Die Maueröffnung ermöglichte direkte Kontakte mit Westberliner und westdeutschen Antifagruppen. Wie entwickelte sich das Verhältnis?
Das Verhältnis war nicht unproblematisch. Nach anfänglich großem Interesse und großer Bereitschaft zur Zusammenarbeit mussten viele Antifaschisten aus der DDR feststellen, dass es ihnen unter Linken nicht anders ging als mit dem Rest der Gesellschaft. Bevormundung, Herabwürdigung und ideologische Eingliederungsversuche aus dem Westen führten sehr schnell dazu, dass auch unter den antifaschistischen Gruppen der Begriff des Ost-West-Konflikts Einzug hielt. Während westdeutsche Antifagruppen Anfang der Neunziger mit der AABO eine antifaschistisch ausgerichtete Kader- und Sammlungsorganisation nach dem Muster der K-Gruppen der Siebziger und dem historischen Vorbild des stalinistischen Rotfrontkämpferbunds aufbauen wollten, schufen Antifagruppen aus der ehemaligen DDR das sogenannte Ostvernetzungstreffen, zu dem Gruppen aus dem Westen keinen Zugang hatten.

Die Pogrome von Hoyerswerda bis Rostock haben zu einer bis heute nicht abgeschlossenen Diskussion geführt, ob die dortigen Neonazis Produkt der DDR oder der Wende waren. Was denken Sie darüber?
Zu sagen, die Nazis in der DDR seien nicht Produkt der DDR gewesen, wäre natürlich Blödsinn. Gleichzeitig ist es auch großer Blödsinn, wenn Menschen behaupten, schuld sei der Zwangskollektivismus der DDR gewesen, weil dort alle Kinder im Kindergarten gleichzeitig auf den Topf gesetzt wurden. Man darf den sozialen Zusammenbruch durch die Zerstörung der DDR-Wirtschaft und die massenhafte Existenzvernichtung durch den kapitalistischen Raubzug nach dem 3. Oktober 1990 nicht gänzlich ignorieren. Es mag sein, dass die Bereitschaft, rassistisches und antisemitisches Gedankengut auf die Straße zu tragen und Gewalt auszuüben, im Osten größer ist. Fakt ist aber auch, dass es neben den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock das rassistische Pogrom in Mannheim-Schönau im Mai 1992 und die rassistischen Mordanschläge in Mölln und Solingen gab. Im Übrigen wurde die AfD 2016 in Mannheim-Schönau bei den dortigen Landtagswahlen mit 30 Prozent stärkste Partei.

Sie sind noch heute in der antifaschistischen Bildungsarbeit tätig. Sehen Sie angesichts des Aufstiegs der AfD noch eine besondere Rolle der Unabhängigen Antifa der DDR oder ist das für Sie nur noch eine historische Frage?
Es ist auch der Beharrlichkeit antifaschistischer Politik und Öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass selbst bürgerliche Medien heute die AfD als faschistisch einordnen. Ich sehe meine Bildungsarbeit als einen kleinen Beitrag zum Erhalt und zum Transfer von antifaschistischer Geschichte und Wissen. Sie ist in gewisser Weise eine Brücke von 1987 ins Jahr 2017. Denn leider stelle ich immer wieder fest, dass die Antifaschisten von 2017 kaum etwas über die Antifaschisten von 2007 und 1997 wissen, geschweige denn über die von 1987.

https://jungle.world/artikel/2017/39/der-ddr-antifaschismus-war-lediglich-ein-staatlich-verordneter
Interview: Peter Nowak

Nicht zu bremsen


Im Wahlkampf waren die steigenden Mieten kaum ein Thema, mit AfD und FDP im Bundestag droht noch mehr Ungemach

Die sogenannte Mietpreisbremse wirkt kaum, zudem stufte ein Gericht sie kürzlich als verfassungswidrig ein. Nun ziehen mit der FDP und der AfD weitere vermieterfreundliche Parteien in den Bundestag ein.

Es war eine Hamburger Rentnerin, die Mitte September dafür sorgte, dass im Wahlkampf doch noch über die immer weiter steigenden Mieten gesprochen wurde – zumindest ein bisschen. In der ZDF-Sendung »Klartext« hatte die Frau den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz mit der Situation vieler Mieter konfrontiert. Die Rentnerin berichtete, dass sie und ihr Mann bald aus ihrer Wohnung ausziehen müssten, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten könnten. Das Gebäude werde grundsaniert, danach solle die Miete auf knapp das Vierfache steigen: von 230 Euro im Monat auf 850 Euro. Während Schulz sich ahnungslos zeigte und bezweifelte, dass eine solche Steigerung gesetzeskonform sei, musste er sich vom Moderator daran erinnern lassen, dass es sich um die normale Praxis einer öffentlichen Wohnungsbaugesellschaft in einer SPD-regierten Stadt handele. »Die ›Mietpreisbremse‹ funktioniert nicht«, klagte die Rentnerin und brachte damit auf den Punkt, was viele Betroffene am Wohnungsmarkt täglich erleben. Dazu beigetragen haben die vielen Schlupflöcher, mit denen Haus- und Wohnungseigentümer die Deckelung der Mieten umgehen können.

»Man gewinnt den Eindruck, das Landgericht möchte sich wieder als Gönner der Vermieter profilieren.« Kurt Jotter, Berliner Mieteraktivist

Das war allerdings nicht der Grund dafür, dass kurz darauf das Berliner Landgericht die sogenannte Mietpreisbremse als verfassungswidrig einstufte. Die Richter argumentierten, es liege eine ungleiche Behandlung von Vermietern in unterschiedlichen Städten vor, weil die zulässige Miethöhe von der ortsüblichen Vergleichsmiete abhängt. Diese variiere aber je nach Stadt erheblich. Das widerspreche Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichbehandlung vor dem Gesetz vorschreibt. Als Beispiel erwähnte das Gericht, in München liege die Vergleichsmiete bis zu 70 Prozent über der in Berlin. Im konkreten Fall spielte die Frage der Verfassungsmäßigkeit am Ende keine Rolle mehr, so dass sie auch nicht zur Klärung an das Bundesverfassungsgericht weitergegeben wurde.

»Man gewinnt den Eindruck, das Landgericht möchte sich wieder als Gönner der Vermieter profilieren«, kommentierte der Berliner Mieteraktivist Kurt Jotter im Gespräch mit der Jungle World das Urteil. Jotter regte im Gegenzug an, den Paragraphen 559 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Dieser regelt Mieterhöhungen bei Modernisierungen und setzt nach Ansicht der Kritiker die Mieterrechte außer Kraft. Unter dem Motto »Rettet die Mieterrechte – streicht endlich den Paragraphen 559 BGB« haben Mieterinitiativen eine Petition an den Bundestag eingereicht. Die Abschaffung des Paragraphen gehört auch zu den Forderungen des bundesweiten Bündnisses »Mietenwahnsinn stoppen«, zu dem sich mehrere stadtpolitische Gruppen und Mieterinitiativen zusammengeschlossen haben. Am zweiten Septemberwochenende hatte das Bündnis bundesweite Aktionstage veranstaltet. Die Palette reichte von einer Plakataktion in Köln bis zu einer Demonstration in Berlin mit über 2 000 Teilnehmern.

Florian Kasiske, ein Sprecher des Hamburger Netzwerks »Recht auf Stadt« und Mitbegründer der bundesweiten Kooperation, benannte im Gespräch mit der Jungle World die Probleme einer Organisierung der Mieter über die eigene Stadt hinaus. »Bewegungen gegen steigende Mieten und Gentrifizierung sind sehr ortsbezogen. Um einen Konflikt zu gewinnen, muss man in einem sehr spezifischen lokalen Setting agieren.« Doch dabei stoße man immer mehr an Grenzen. »Zentrale Forderungen der Mieterinitiativen lassen sich nur bundesweit durchsetzen – wie beispielsweise die nach einer neuen Wohngemeinnützigkeit, nach Abschaffung der Modernisierungspauschale Paragraph 559 oder nach einer wirksamem Mietpreisbremse«, so Kasiske.

Die Notwendigkeit einer außerparlamentarischen Organisierung der Mieter wird angesichts der Zusammensetzung des neuen Bundestags wohl noch dringlicher. Mit der FDP und der AfD sind zwei Parteien in den Bundestag eingezogen, die Mieterrechte weiter einschränken wollen. Auch die CDU-FDP-Koalition, die in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung stellt, will die wenigen Schritte der rot-grünen Vorgängerregierung zugunsten der Mieterseite zurücknehmen. Die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel bezeichnete das Zweckentfremdungsgesetz, mit dem die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen gebremst werden soll, als Enteignung von Wohnungseigentümern.

https://jungle.world/artikel/2017/39/nicht-zu-bremsen

Peter Nowak

Protest gegen Leiharbeit im Senatsauftrag

Florian Geyer hat Ausdauer. Zehn Runden hat er am Freitagmittag um ein Polizeigebäude in Biesdorf gedreht. Doch es geht nicht um einen Sportwettbewerb. Geyer beteiligte sich mit weiteren KollegInnen am Dauerlauf für eine Festanstellung, zu dem die Gewerkschaft IG Metall aufgerufen hatte.

An dem Standort scannen sieben Festangestellte und 14 Leihbeschäftigte die Strafzettel Berlins ein. Letztere haben einen Vertrag mit der Zeitarbeitsfirma Randstad und werden von Atos ausgeliehen. »Sie verrichten die gleiche Arbeit wie fest angestellte Beschäftigte – bekommen aber weniger Geld und haben keine Sicherheit für die Zukunft«, erklärt die IG Metall-Gewerkschaftssekretärin Susanne Steinborn gegenüber »nd«. Für sie symbolisiert der Dauerlauf von Geyer und KollegInnen die Situation der Leihbeschäftigten. »Seit vielen Jahren hoffen sie auf eine Festanstellung, die nie kommt.« Auch das vor dem Eingang der Polizeistation aufgestellte Glücksrad brachte nur Trostpreise, aber keine Festanstellung.

Doch auch ein Warnstreik konnte am Glücksrad gewonnen werden. Zu dieser Kampfmaßnahme könnten die Beschäftigten greifen, wenn sich Atos weiter stur stellt. Das Unternehmen argumentiert, eine Festanstellung sei nicht möglich, weil der Senat das Scannen der Knöllchen automatisieren will und dadurch künftig weniger Personal benötigt werde. »Atos verrichtet jedoch auch andere Scan-Aufträge, die unsere Beschäftigten erledigen können. Insofern gibt es genügend Arbeit, auch wenn der Scan-Auftrag bei der Polizei in ein paar Jahren wirklich wegfällt«, wies die Betriebsratsvorsitzende Carola Kühn diese Argumentation zurück.

Die anwesenden Beschäftigten scheinen entschlossen, sich nicht mehr vertrösten zu lassen. Nicht nur bei Atos ist Leiharbeit an der Tagesordnung Auch beim Unternehmen Sellbytel, das Kundenservice in 40 Sprachen anbietet, sind manche nicht mehr bereit, zu schlechten Konditionen zu arbeiten. Einige KollegInnen haben sich mittlerweile in der IG Metall organisiert und zeigten in Biesdorf ihre Solidarität. Unterstützung bekamen die LeiharbeiterInnen vom frisch für die LINKE in den Bundestag gewählten Pascal Meiser. Solche Arbeitsverhältnisse dürfe es in Berlin nicht mehr geben, erklärte er.
Die Beschäftigten kennen ihr Druckmittel. »Ohne uns gibt es keine Strafzettel in Berlin«, stand auf einem Schild. Dabei gab es durchaus Bedenken, ob der Spruch nicht kontraproduktiv ist. Schließlich könnte es ja mancher Autofahrer begrüßen, wenn er den Strafzettel nicht bezahlen muss. Die Befürchtungen waren unbegründet. Auch viele passierende Autofahrer signalisierten Zustimmung mit den Forderungen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065402.protest-gegen-leiharbeit-im-senatsauftrag.html

Peter Nowak

Linke wollen Amazon blockieren

Aktionswoche rund um die Schnäppchentage am Standort Berlin geplant

Der Countdown läuft. Am 24. November 2017 ist Black-Friday beim Online-Riesen Amazon. Auf der Homepage werden schon die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden gezählt. Angelehnt an das US-Erntedankfest offeriert Amazon an diesem Tag besonders günstige Produkte. Doch nicht nur Schnäppchenjäger bereiten sich vor. Unter dem Motto »Make Amazon Pay« planen linke Gruppen vom 20. bis 26. November eine Aktionswoche, in der der Umgang des Onlinekonzerns mit den Beschäftigten thematisiert werden soll. Als Höhepunkt am 24. November kündigen sie an, das Amazon-Verteilzentrum in Berlin zu blockieren. Damit soll der ausdauernde Kampf von Amazon-Beschäftigten verschiedener deutscher Standorte für einen Tarifvertrag nach den Bestimmungen des Einzelhandels unterstützt werden. 

Seit fast vier Jahren legen Beschäftigte an verschiedenen Amazon-Standorten immer wieder die Arbeit nieder – auch in der Adventszeit. Außerparlamentarische linke Gruppen versuchen, den Streikenden den Rücken zu stärken. Von ihnen stammt auch der Vorschlag, den Schwarzen Freitag zum Anlass für eine neue Kampagne zu nehmen. Der Vorschlag wurde vom Ums-Ganze-Bündnis in die Diskussion gebracht, das Teil der postautonomen Linken ist. Schon im Rahmen der Proteste gegen den G 20-Gipfel in Hamburg war es an der Hafenblockade beteiligt, mit der die Beschäftigten im Logistiksektor unterstützt werden sollten. »Wir wollen mit der Aktionswoche rund um den Schwarzen Freitag die Wirkung der vorweihnachtlichen Streiks verstärken«, meinte Jonathan Schneider von der Vorbereitungsgruppe. Beteiligt sind auch Gewerkschafter aus dem polnischen Amazon-Standort Poznan. Sie sind in der Basisgewerkschaft IP organisiert und haben sich bereits mehrmals mit dem Kampf der Amazon-Beschäftigten in Deutschland solidarisiert. Bei einem Planungstreffen in Berlin kritisierten sie genauso wie Amazon-Beschäftigte aus dem Brandenburger Brieselang »die Methode Heuern und Feuern«, die in dem Unternehmen üblich sei. Agnieszka Mroz von der IP-Poznan sieht in der Black-Friday-Kampagne eine Möglichkeit, den Druck auf den Konzern zu erhöhen. Es geht ihnen nicht nur um zu wenig Lohn, auch die ständige Überwachung wird als Problem benannt. Die finde nicht nur vor Ort am Arbeitsplatz statt, sondern reiche weit ins Privatleben hinein. So würden Beschäftigte sogar zu Hause von Amazon aufgesucht, wenn sie häufiger krank sind, wie polnische Gewerkschafter berichten. Bei der Aktionswoche soll Amazon deshalb auch als Vorreiter von Kontrolle und Überwachung am Arbeitsplatz kritisiert werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065212.linke-wollen-amazon-blockieren.html

Peter Nowak


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