Eine neue Qualität?

Fragen an Christoph Schulze, Mitarbeiter der Opferperspektive Brandenburg, die rechte Vorfälle
dokumentiert und Opfer rechter Gewalt berät.

Die rechten Drohungen gegen die Lausitzer Rundschau in Spremberg haben vor einigen Wochen bundesweit Aufsehen erregt.
CHRISTOPH SCHULZE: Dass eine gesamte Lokalredaktion im Visier von Neonazis steht, war mir zumindest
bisher nicht bekannt und zeugt vom gestiegenen Selbstbewusstsein der Rechten. Deshalb hat die Aktion in
der Tat eine neue Qualität. Dass Pressevertreter in den Fokus der Rechten geraten, ist allerdings weder neu
noch überraschend. So wurde die Journalistin Andrea Röpke, die seit Jahren über die rechte Szene schreibt, von Neonazis angegriffen und geschlagen. Auch Fotojournalisten geraten immer wieder ins Visier der Rechten, so unter anderem bei einem Neonaziaufmarsch am 1. Mai 2010 in Hamburg.

Sind Ihnen auch aus der Region solche Angriffe gegen Journalisten bekannt?
C.S.: Ja, so wurde der Journalist Peter Huth aus der Uckermark bedroht, der sich in journalistischen Beiträgen
seit Jahren mit der rechten Szene auseinandersetzt. Immer wieder erhalten Journalisten, die sich kritisch
mit den Neonazis beschäftigen, Drohbriefe.

Sind die Angriffe auf die Lausitzer Rundschau Indiz für eine neue rechte Szene, die mit solchen Ak-tionen
von sich reden macht?

C.S.: In der jüngeren Generation der Neonazis ist grundsätzlich eine gesteigerte Gewaltbereitschaft sowie
die Suche nach neuen politischen Ausdrucksformen festzustellen. Dazu gehören auch maskierte Nachtde-monstrationen, wie sie eine Neonazigruppe unter dem Namen »Die Unsterblichen« am Vorabend des 1. Mai
2011 erstmals durchführte und mit PR-Methoden propagierte. Inzwischen wurden diese Aktionen dutzendfach
in anderen Städten wiederholt. In der Lausitz hat sich eine Neonaziformation »Spreelichter« damit hervorgetan. Es gibt starke Indizien, dass aus ihrem Umfeld auch die Angriffe auf die Lausitzer Rundschau ausgehen.

Wo liegt der Grund für diese Art von neuem rechten Aktivismus?
C.S.: Ich sehe das als einen Erfolg der Nazigegner, die mit erfolgreichen Blockadeaktionen wie in Dresden
und anderen Städten rechte Aufmärsche erfolgreich be- oder verhinderten.

Am 12. Mai wurden auch linke Jugendliche in Spremberg angegriffen. Zeigt sich in den Reaktionen
darauf ein Ungleichgewicht an öffentlicher Aufmerksamkeit?

C.S.: Nein, die Aufmerksamkeit, die durch Drohungen gegen die Lausitzer Rundschau auf die rechte Szene
in der Region gelenkt wurde, hat dazu geführt, dass auch Angriffe auf Punks in einer größeren Öffentlichkeit
wahrgenommen wurden. Denn dass es eine aktive Neonaziszene in Spremberg gibt, ist nun wahrlich
nichts Neues. Es ist aber bislang kaum gelungen, darüber breiter zu debattieren. Unabhängig von den letzten Angriffen ist inzwischen in vielen Medien eine größere Sensibilität für Opfer rechter Gewalt entstanden, was
sich beispielsweise bei den Angriffen auf die Jugendlichen in Spremberg zeigte. Immer mehr Redaktionen berichten über rechte Aktivitäten vor Ort. Die Zeiten, als darüber geschwiegen wurde, weil man das »eigene
Nest« nicht mit schlechten Nachrichten in Misskredit bringen wollte, gehören zum Glück weitgehend
der Vergangenheit an.

Aber gibt es nicht noch immer das Argument, dass die Touristen wegbleiben, wenn wir über rechte Vorfälle schreiben?
C.S.: Solche Stimmen gibt es auch heute noch vereinzelt. Doch auch da hat sich quer durch alle Parteien
einiges verändert. Ein gutes Beispiel ist der Umgang der Verantwortlichen in Neuruppin mit der Neonaziszene.
Die rechten Vorfälle werden ausführlich dokumentiert, Menschen, die sich dagegen wehren, werden aktiv
unterstützt. Dieses offene Engagement gegen Rechts führt gerade nicht dazu, dass die Touristen wegbleiben.
Im Gegenteil: Weil sich mittlerweile rumgesprochen hat, dass Rechte in Neuruppin keine Chance
haben, kommen mehr Menschen dorthin.

INTERVIEW: PETER NOWAK
http://medien-kunst-industrie.bb.verdi.de/sprachrohr/#ausgaben-2012


sprachrohr 7 3 | 12

Kampagne gegen ethnisches Profiling

Was bei Menschenrechtlern und EU-Gremien auf Kritik stößt, wurde von der deutschen Justiz nicht beanstandet

„Vor Kurzem bin ich mit meiner Tochter im Zug von Prag nach Berlin gefahren, und wir wurden kontrolliert. Der Polizist konnte mir aber nicht erklären, warum er gerade uns dafür ausgesucht hat und nach welchen Kriterien er vorgegangen ist. Als ich seine Motive als rassistisch bezeichnet habe, hat er mir mit einer Anzeige wegen übler Nachrede gedroht.“

Was der Mitbegründer der Organisation Reach Out, Biplab Basu, erlebt hat, können viele Menschen mit dunkler Hautfarbei berichten. Auf Bahnhöfen oder in der Innenstadt, immer wieder sind sie bei einer Polizeikontrolle die ersten. Dafür gibt es den Fachbegriff „racial profiling“, was auch mit „ethnischem Profiling“ übersetzt wird. Nach diesen Kriterien werden Polizeikontrollen in ganz Europa durchgeführt, dies wird von Menschenrechtsorganisationen und EU-Gremien scharf kritisiert.

Nur eine geringfügige Grundrechtsbeeinträchtigung?

Das Verwaltungsgericht Koblenz hat hingegen vor einigen Monaten das ethnische Profiling für rechtmäßig erklärt und damit die Klage eines Betroffenen abgewiesen. Während einer Kontrolle im Zug hatte er eine heftige verbale Auseinandersetzung mit einem Polizisten, was dem Mann eine Beleidigungsklage einbrachte. In dem Prozess hat der Polizist als Zeuge ausgesagt, dass der Mann wegen seiner Hautfarbe kontrolliert wurde.

Das Gericht sah darin nur „eine nur geringfügige Grundrechtsbeeinträchtigung mit einer sehr niedrigen Belastung im Einzelfall“, was bei Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsorganisationen nicht nur in Deutschland auf scharfe Kritik stieß. Eine daraufhin organisierte Onlinepetition gegen ethnisches Profiling wurde von über 15.000 Menschen unterstützt. Auch das Projekt einer Internationalen Konferenz, die am vergangenen Freitag und Samstag in Berlin von der Kampagne gegen rassistische Polizeigewalt organisiert wurde, ist eine Reaktion auf das Urteil.

Das Interesse an der Konferenz war groß, wie die gut besuchte Auftaktveranstaltung und die Teilnahme an den 8 Arbeitsgruppen zeigte. Die Geschäftsführerin des Londoner Instituts of Race Relations, Liz Fekete, und die kanadische Rassismusforscherin Frances Henry berichteten über die Diskussionen zum Thema ethnische Diskriminierung durch die Polizei in ihren Ländern, die dort weiter fortgeschritten ist als in Deutschland. Der Befund, dass nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September in den USA weltweit Diskriminierungen auch aus ethnischen Gründen zugenommen haben, wäre aber zu einfach.

Schulung der Polizei eine Lösung?

Tatsächlich hat auch die Sensibilität gegenüber solchen Praktiken zugenommen. So existiert in Kanada eine unabhängige Polizeikommission, die regelmäßig Vorwürfe von ethnischer Diskriminierung untersucht. Auch in Großbritannien beschäftigten sich mittlerweile Polizeigremien verstärkt mit solchen Vorwürfen. In Deutschland wird von Polizeisprechern hingegen abgestritten, dass die Polizei nach dem Prinzip von ethnischen Kriterien Kontrollen durchführt.

Werden solche Vorfälle bekannt und können von Zeugen bestätigt werden, wird offiziell von bedauerlichen Einzelfällen gesprochen. Auf der Konferenz wurde auch diskutiert, ob es sinnvoll ist, mit antirassistischen Schulungsprogrammen die Sensibilität bei der Institution Polizei für die Gefahren der ethnischen Kontrolle zu erhöhen. In Großbritannien gibt es bereits solche Programme.

Sebastian Friedrich von der Berliner Initiative gegen rassistische Polizeigewalt schließt für seine Organisation eine solche Arbeit aus: Als Gründe führt er an, dass KOP-Berlin parteiisch auf Seiten der von Rassismus Betroffenen stehe und zum anderen Rassismus bei der Polizei als institutionelles Problem betrachtet wird, dem nicht mit einigen Kursen beizukommen sei.

Allerdings werde bei KOP-Berlin durchaus darüber diskutiert, wie auch mit konkreten Forderungen an die Polizeiarbeit die Situation der von Rassismus Betroffenen verbessert werden kann. Dabei setzt KOP allerdings auf eine stärkere Beschäftigung mit der Thematik in außerinstitutionellen Zusammenhängen und eine größere Öffentlichkeitsarbeit. Dieses Konzept wird mittlerweile auch von anderen Städten übernommen. So hat sich vor kurzem nach dem Berliner Vorbild in Dresden eine Initiative gegen rassistische Polizeigewalt gegründet.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152985
Peter Nowak

GEFÜHRTER SPAZIERGANG DURCH DEN WEDDING

Zeitreise in ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte

Auf die kolonialen Spuren der Stadt begibt sich ein Spaziergang, zu dem am heutigen Freitag der Verein Berlin Postkolonial durch das Afrikanische Viertel im Wedding einlädt. Damit soll daran erinnert werden, dass in dem Kiez noch immer Straßen nach berüchtigten Kolonialoffizieren wie Lüderitz, Peters und Nachtigall benannt sind.

Nach der Umbenennung des Kreuzberger Gröbenufers in May-Ayim-Ufer vor eineinhalb Jahren habe es Hoffnungen auf ein Umdenken auch im Wedding gegeben, sagte der Historiker Christian Kopp von Berlin Postkolonial der taz. „Doch bei der Bildung der aktuellen Zählgemeinschaft im Bezirk hat die SPD dem Wunsch der CDU nach einer Fortführung der Kolonialpropaganda nachgegeben“, moniert er.

Der Spaziergang ist Teil einer Veranstaltungsreihe, mit der Berlin-Postkolonial zum Jahrestag des im Oktober 1904 von dem deutschen Kolonialgeneral Lothar von Trotha verfassten Vernichtungsbefehls gegen die Herero an die kolonialen Spuren in Berlin erinnern will. Die gebe es nicht nur im Wedding, betont Kopp am Montag auf der Auftaktveranstaltung in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln. Es befindet sich in einer Straße, die nach dem berüchtigten Kolonialgouverneur Herman Wissmann benannt ist.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=
bl&dig=2012%2F10%2F05%2Fa0147&cHash=ab8e87786250055a1c7bdc9833dde51b

Peter Nowak

Zivilgesellschaft statt Verbot

Es könnte Szenarien geben, die eine Vorführung des Mohammed-Trailers ohne Rückgriff auf staatliche Verbote und Religionsschutz verhindern

Eine bunte und friedliche Demonstration sei es gewesen, der Anmelder habe im Vorfeld mit der Polizei kooperiert und ein Sprecher der Polizei erklärte im Nachhinein, dass die Aufregung im Vorfeld bei den Medien größer gewesen sei als bei ihnen. So wie in Freiburg haben in den letzten Tagen auch in anderen deutschen Städten jeweils einige hundert Menschen gegen den von rechten Christen aus den USA lancierten Mohammad-Movie-Trailer protestiert.

Dass hier also das Recht auf Meinungsfreiheit völlig im Rahmen des deutschen Demonstrationsrechts in Anspruch genommen wurde, ist für den Großteil der Medien nicht besonders interessant. Da werden noch immer zum großen Teil die Nachrichten aus den Ländern in den Mittelpunkt gestellt, in denen die Proteste gegen den Trailer gewalttätig verlaufen sind. Dabei wird oft unterschlagen, dass auch in den arabischen, asiatischen und afrikanischen Ländern, in denen es Proteste militanter Islamisten gab, nur eine verschwindende Minderheit beteiligt war. Dass fast zeitgleich in Ägypten ungleich mehr Menschen gegen soziale Missstände demonstriert und gestreikt haben, war hingegen in Deutschland kaum jemandem eine größere Nachricht wert.

Unfähig, die Welt im Plural zu denken

Man muss nun den Medien nicht unterstellen, dass sie hier bewusst ein Feindbild des Islam aufbauen oder gar „Islamophobie“ schüren wollen. Viel besser bringt es die Kennerin vieler islamisch geprägter Länder, die Reisekorrespondentin Charlotte Wiedemann, mit der Formulierung auf den Begriff, dass hier „die Unfähigkeit, die Welt im Plural zu denken“ deutlich werde. Tatsächlich sind in der Debatte um den Kurzfilm solche differenzierten Stellungnahmen noch immer die Ausnahme. Zu den Ausnahmen gehört auch das Kompetenzzentrum Islam der Aktion 3.Welt Saar, das in einer Pressemitteilung sowohl auf die antisemitischen und antiamerikanischen Töne der islamistischen Kampagne der letzten Tage hinwies, aber auch die rassistischen Untertöne in den hiesigen Medien benannte.

„Die in den Medien geführte Diskussion zu den Vorfällen trägt auch rassistische Züge. Moslems und Araber werden nicht als entscheidungsfähige, handelnde Subjekte gesehen, sondern als Pawlow’sche Hunde, die nicht anders können, als bei jeder vermeintlichen Beleidigung des Propheten Mohammed instinktiv mit Gewalt zu reagieren. Diese rassistische Grundhaltung teilen offenbar manche Anhänger der multikulturellen Gesellschaft und Politiker verschiedener Parteien mit den Rechtspopulisten von ‚Pro Deutschland‘, die jetzt mit dem Film hausieren gehen.“

In der Pressemitteilung wird zudem gegen ein Verbot des Films argumentiert, das schnell auch dazu führen könnte, religionskritische Stimmen generell zum Schweigen zu bringen. Zumindest bei manchen Stellungnahmen aus dem Spektrum der CSU, in denen einer Verschärfung des Paragraphen 166 das Wort geredet wurde, ist die Befürchtung tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Denn dabei geht es um die Sanktionierung einer angeblichen Schmähung der Religion.

Das Dresden-Szenario

Statt eines Verbotes sollte eine gesellschaftliche Debatte darüber geführt werden, ob der Film gezeigt werden soll oder nicht. Dass die bereits im Gange ist, zeigte die Abfuhr, die sich Cinema for Peace holten, als sie als eine Art Trittbrettfahrer des Medienhypes über den Film kurzzeitig ankündigten, ihn demnächst in Berlin zeigen zu wollen. Wahrscheinlich wollten sie damit vor allem das Medieninteresse auf ihr dahin dümpelndes Projekt lenken und hatten noch nicht einmal den Geschäftsführer des Kinos vorher kontaktiert, in dem Cinema for Peace den Film zeigen wollte.

Es wäre absurd, ihm deswegen den Vorwurf zu machen, er würde das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken. Es ist ein Unterschied, ob ein staatliches Verbot durchgesetzt werden soll oder ob sich Kinobetreiber, Filmverleiher und auch Filmvorführer weigern, den Film zu zeigen. Letzteres ist eine zivilgesellschaftliche Entscheidung, die sich vor allem gegen das Umfeld und die politische Stoßrichtung derer richtet, die lautstark verkünden, den Trailer öffentlich zeigen zu wollen. Dagegen zu protestieren, könnte auch das Ergebnis jener „breiten gesellschaftlichen Diskussion“ sein, die Bundesinnenminister Friedrich am Sonntag im Interview mit dem Deutschlandfunk einforderte. Nur sollte es dabei nicht um den „Schutz religiöser Gefühle“ gehen, wie Friedrich sich ausdrückte, sondern um eine Absage sowohl an Islamismus, aber auch an Rassismus und Rechtspopulismus.

Friedrich gibt in dem Interview auch den Hinweis darauf, dass es ein Szenario geben könnte, das eine öffentliche Filmvorführung aus der rechten Ecke ohne Rückgriff auf den Schutz der Religionen verhindern könnte.

„Wenn konkret zu befürchten wäre, dass es Unruhen und Auseinandersetzungen – gewalttätige Auseinandersetzungen – gibt, die Sie nicht beherrschen können auf andere Art und Weise, dann könnte man so etwas untersagen. Aber das wäre etwas, was im Einzelfall ganz konkret vor Ort von den Länderbehörden zu beurteilen wäre.“

Das ist das gleiche Szenario, das in der Vergangenheit schon die Durchführung vieler rechter Demonstrationen beispielsweise in Dresden verhindert hat. Politiker, die immer nach Verboten und staatlichen Sanktionen rufen, wären dann wieder einmal durch die Aktivitäten der Zivilgesellschaft blamiert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152839
Peter Nowak

Bedroht in Hoyerswerda

Antifa-Gruppen fordern Gedenkort und Entschädigung für Naziopfer von 1991
Am Wochenende wollen Antifa-Gruppen in Hoyerswerda an die rassistischen Ausschreitungen von 1991 erinnern. Diese bildeten den Auftakt einer Serie von Angriffen auf Ausländer in Deutschland nach der Vereinigung.

Der Jahrestag der rassistischen Ausschreitungen in Rostock hat vor einigen Wochen für große Aktivitäten gesorgt, nicht nur seitens der antifaschistischen Bewegung, sondern auch der offiziellen Politik. Wenn für Sonnabend zwei linke Bündnisse zu einer Demonstration nach Hoyerswerda mobilisieren, wird die Teilnehmerzahl hingegen wohl im dreistelligen Bereich bleiben. Dabei war die sächsische Stadt der erste Ort in Deutschland, wo nach der Vereinigung Gewalt gegen Ausländer eskalierte. Unter dem Beifall Hunderter Schaulustiger griffen Neonazis im September 1991 ein Wohnheim von Vertragsarbeitern aus Vietnam und Mosambique an. Die Opfer wurden schließlich unter Polizeibegleitung in Bussen aus der Stadt gebracht.

Allerdings nicht in Sicherheit. »Viele mussten die Nacht in den Bussen verbringen und sind sofort abgeschoben worden«, erinnert sich Mathias Buchner an die unwürdige Behandlung der Opfer rechter Gewalt. Er ist Sprecher des Bündnisses »Pogrom 91«, in dem sich linke Aktivisten aus der Region zusammengeschlossen haben. Den Begriff rassistisches Pogrom haben sie bewusst gewählt, weil bei den Angriffen Tote bewusst in Kauf genommen worden seien, begründet Buchner die Wortwahl, die in Hoyerswerda nicht nur beim CDU-Bürgermeister, sondern auch bei Stadträten der LINKEN auf Ablehnung stieß. Die Demonstration am Sonnabend wird allerdings von LINKE-Politikern unterstützt, darunter die antifaschistische Sprecherin der Landtagsfraktion, Kerstin Köditz und die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Auch die Linksjugend Solid mobilisiert zur Demo und versuchte Unterstützung in Hoyerswerda zu finden. Dabei wurden Solid-Aktivisten an ihrem Infostand auf dem Marktplatz von Neonazis bedroht. Anschließend versammelten sich die Rechten vor dem Büro der Partei, wo die Jugendorganisation eine Veranstaltung geplant hatte. Auf Anraten der Polizei musste sie vorzeitig abgebrochen werden, was nach Augenzeugenberichten von der mit Reichskriegsflagge aufmarschierten Neonazigruppe mit Applaus und den Rufen »Hoyerswerda bleibt braun« quittiert wurde. Bereits im vergangenen Jahr waren Opfer der Ausschreitungen von 1991, die zum 20. Jahrestag nach Hoyerswerda gekommen waren, von Neonazis erneut angegriffen worden. Dies sei auch ein Grund gewesen, in diesem Jahr wieder bundesweit nach Hoyerswerda zu mobilisieren, erklärt Martin Peters vom Bündnis »Rassismus tötet« gegenüber »nd«.

Die Initiativen fordern einen angemessenen Gedenkort und eine Entschädigung der Opfer. Die Stele, die im vergangenen Jahr aufgestellt wurde, erfüllt diesen Anspruch nicht. Sie spricht ganz allgemein von »extremistischen Ausschreitungen«. »Von Rassismus ist dort ebenso wenig die Rede, wie von der Unterstützung durch große Teile der Bevölkerung«, kritisieren die Antifagruppen. Eine Woche nach der Demonstration wird es im Rahmen der Interkulturellen Woche in der Kulturfabrik Hoyerswerda eine Veranstaltung mit den Herausgebern der Anthologie »Kaltland« geben, die das rassistische Pogrom thematisiert.

Demo, 22. September, 14 Uhr, Bahnhof Hoyerswerda

http://www.neues-deutschland.de/artikel/239012.bedroht-in-hoyerswerda.html
Peter Nowak

Religionskritik oder Hetze rechter Christen?

Ob der Mohammad Movie Trailer in Deutschland gezeigt werden kann, dürfte die Gerichte beschäftigen

Die rechtspopulistische Kleinstpartei Pro Deutschland bleibt selbst bei von ihnen zentral beworbenen Großaktionen in der Regel im zweistelligen Teilnehmerbereich. Trotzdem scheint sie ein internationaler Faktor. Als vor wenigen Tagen die deutsche Botschaft im Sudan angegriffen wurde, soll ein Grund darin gelegen haben, dass die Rechtspartei kritische Mohammed-Karikaturen auf mehreren Kundgebungen gezeigt hatte.

Dass im Internetzeitalter solche Haltungen auch im Sudan wahrgenommen werden, kann nur verwundern, wer noch immer ein Afrikabild pflegt, wie es auf den meisten Werbeplakaten von Hilfsorganisationen zu sehen ist. Dort blicken traurige Kinder vor irgendwelchen windschiefen Hütten in die Kamera. Insignien der modernen Gesellschaft fehlen in der Regel völlig. Die Macher solcher Klischeewerbung geben unumwunden zu, dass Fotos von Jugendlichen in Internetcafes der Spendenbereitschaft nicht förderlich wären. Dabei würden gerade solche Bilder die Realität wesentlich besser spiegeln und auch leichter erklärbar machen, warum im Sudan die Aktion einer rechten Kleinstpartei in Deutschland für so viel Wirbel sorgt. Gerade Migranten aus afrikanischen Ländern sind häufige Kunden von Internetcafes und tauschen sich mit ihren Verwandten und Freunden über Dinge aus, die sie bewegen. Die Pro-Deutschland-Aktion gehörte nun mal für Moslems zu diesen Ereignissen, selbst wenn sie nicht zum salafistischen Spektrum gehören sollten, die auf die Plakataktion mit Straßenaufruhr reagierten.

Damals hatten verschiedene Gerichte der Rechtspartei bescheinigt, dass sie die Karikaturen zeigen kann (Auch Rechte dürfen Mohammed-Karikaturen zeigen), und widersprachen damit den Verbotsverfügungen der NRW-Landesregierung. Diese juristische Entscheidung bekam Unterstützung auch von Kreisen, die mit der Pro-Deutschlandbewegung nichts zu tun hat und sie sogar politisch bekämpfen. Tatsächlich war dieses Urteil begründet. Jedes Mitglied einer Religionsgemeinschaft muss es hinnehmen, wenn diese mit Witz und Karikatur angegangen wird. Dieses Recht auf Religionskritik bzw. Freiheit von der Religion gehört zu den Essentiels einer säkularen Gesellschaft. Wenn das irgendwelche religiösen Fundamentalisten zum Anlass für Angriffe nehmen, so müssen diese an die Spielregeln einer säkularen Gesellschaft erinnert werden.

Wo beginnt die rassistische Hetze?

Doch wie soll man reagieren, wenn unter dem Deckmantel der Religionskritik Hetze gegen gesellschaftliche Minderheiten betrieben wird? So hat sich auch der Antisemitismus historisch wie aktuell immer auch der Religionskritik bedient In der aktuellen Debatte um die Beschneidung schwingen solche Töne mit, wenn Juden und Moslems zumindest indirekt unterstellt wird, sie würden ihre Kinder quälen und verstümmeln. Auch bei der Diskussion um das Schächten von Tieren, die in Frankreich eine größere Rolle spielt als in Deutschland, werden gegen Juden und Moslems gerichtete Ressentiments laut. Nun stellt sich die Frage, ob man nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet, wenn man solchen Gruppen das Zeigen bestimmter Filme, Bücher oder Karikaturen mit religionskritischen Inhalten verbietet. In der Auseinandersetzung um die Karikaturen hatten daher die Gerichte für das Recht auf Religionskritik entschieden. Wie ein juristischer Streit um eine Vorführung des Mohammad Movie Trailers ausgeht, ist völlig offen. Denn es gibt hier schon einige gravierende Unterschiede.

Hat der Film auch eine antisemitische Agenda?

Während Karikaturen eben einen Gegenstand verfremden, handelt es sich bei dem Trailer um ein Produkt plumper Hetze. Die Spuren weisen in das Lager rechter christlicher Fundamentalisten, die in der Mehrheit genau so gegen Juden wie gegen Moslems agieren, selbst wenn ein Teil von ihnen in der israelischen Rechten Bündnispartner gegen den Islam sieht. Die kurze Geschichte des Mohammad Movie Trailers macht dies auch deutlich.

Schließlich ist wohl aus Kreisen der Verantwortlichen die anfangs von vielen Medien aufgenommen Behauptung gestreut worden, der Film sei von einem aus Israel eingewanderten Juden produziert worden, der als Immobilienhändler gearbeitet und für die Produktion des Films Geld von 100 reichen Juden in den USA Millionenbeträge gesammelt habe. Scheinbar hinterfragte zunächst niemand, wofür das Geld angesichts des Low-Budget-Trailers gebraucht wurde. Auch fiel wohl zunächst kaum auf, dass die Fama vom jüdischen Immobilenhändler und seinen reichen jüdischen Spendern gleich mehrere antisemitische Elemente enthielt.

Damit wurde zumindest implizit in Kauf genommen, dass nicht nur Israel, sondern Jüdinnen und Juden in aller Welt ins Visier von Islamisten geraten, also offen der Gefahr ausgesetzt wurden. Ein solches Vorgehen rechter Gruppen ist nicht selten. Schließlich helfen sie so mit beim Schüren des von ihnen viel zitierten Kampfes der Kulturen. Der Trailer ist also ein Beispiel dafür, dass unter dem Mantel der Religionskritik Hetze gegen gesellschaftliche Minderheiten betrieben wird.

Ob man darauf mit einem Vorführverbot reagiert, wie es jetzt im Fall von Pro Deutschland gefordert wird (Provokationstrittbrettfahren), muss Gegenstand der gesellschaftlichen Debatte bleiben. Nur wäre schon viel gewonnen, wenn man hier unterscheiden würde zwischen einer emanzipatorischen Islamkritik, die sich am Ziel eines säkularen Staates orientiert und einer Hetze aus dem Umfeld rechter Christen, die eine säkulare Gesellschaft nicht weniger hassen als die Islamisten.

Die Notwendigkeit einer solchen Differenzierung ist übrigens nicht neu. Als vor einigen Jahren rechte Gruppen und eine mit ihnen kooperierende Bürgerinitiative gegen den Bau einer Moschee in Berlin-Heinersdorf mobilisierten, propagierten antifaschistische Gruppen neben dem Recht auf Freiheit von der Religion auch ein Recht auf Religionsfreiheit.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152792
Peter Nowak

Gedenkaktion für NS-Opfer zieht aufs Tempelhofer Feld

ERINNERUNG AN DIE VERDRÄNGTE GESCHICHTE DES AREALS

Immer am zweiten Sonntag im September gedenken alte und junge AntifaschistInnen der Verfolgten des NS-Regimes und diskutieren über den Kampf gegen alte und neuer Nazis – eine Tradition seit 22 Jahren. Am kommenden Sonntag findet die Aktion erstmals auf dem Tempelhofer Feld statt. Unmittelbarer Grund für den Umzug aus Mitte sind laut Hans Coppi vom Veranstalter VVN-BdA die Bauarbeiten rund um den Schlossplatz. Es ist aber auch eine Rückkehr zu den Wurzeln: In Tempelhof fand 1946 der erste Tag der Mahnung statt.

Damals war den Überlebenden noch das berüchtigte Columbiahaus bekannt, eines der ersten Berliner Konzentrationslager, das auf dem Areal errichtet worden war. Nach Auflösung des KZ mussten ZwangsarbeiterInnen auf dem Gelände für den Bau des neuen Flughafens und die Luftrüstung schuften. Später wurde die NS-Geschichte des Ortes verdrängt – nur so sei zu erklären, dass das Areal heute „Tempelhofer Freiheit“ genannt werde, kritisiert die Historikerin Beate Winzer, die seit Jahren für einen Erinnerungsort auf dem Areal kämpft. Am Sonntag bietet sie um 14 Uhr eine Exkursion zu den Stätten der NS-Verfolgung am Tempelhofer Feld an.

Diskussionen über historische Themen und aktuellen Rassismus stehen auch auf dem Programm. Um 15 Uhr gibt es ein Gespräch mit Janina Duda. Die jüdisch-polnische Partisanin gehörte als Fallschirmspringerin und Kommandeurin des Emilia-Plater-Bataillons zu den polnischen BefreierInnen vom Nationalsozialismus.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=
2012%2F09%2F08%2Fa0219&cHash=63f962c6693f3ef76c13aa6e093b3f13

Peter Nowak

Esel hinter Stacheldraht

Durch die Documenta wurde ein lange vergessenes nordhessisches NS-Konzentrationslager und ein dort verübtes Massaker weltweit bekannt

Zu Documenta-Zeiten durchweht das nordhessische Kassel ein kosmopolitischer Flair. Menschen aus allen Ländern und Kontinenten sind auf der Suche nach den in der gesamten Stadt verteilten Kunstwerke. Auch die kleine Gruppe, die sich am Mittwochmittag am Kasseler Opernplatz trifft könnte als eine der vielen Kunstexkursionen durchgehen. Doch die hier beginnende Tour ins knapp 15 Kilometer entfernte Cuxhagen ist eine Zeitreise in die deutsche Vergangenheit, in eine Geschichte des Beschweigens und Verdrängens. Die Nazis errichteten in Cuxhagen auf dem Gelände des idyllisch an der Fulda gelegenen Klosters Breitenau. das seit 1874 als Arbeitshaus benutzt wurde, am 15 Juni 1933 eines jener frühen Konzentrationslager, in die Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere Nazigegner verschleppt wurden. In Hessen gehörte neben Breitenau noch das durch den Roman „Das siebte Kreuz“ von Anna Seghers weltbekannt gewordene Osthofen zu diesen KZ der ersten Stunde. Durch die diesjährige Documenta machten sich in den letzten Wochen viele Künstler und Ausstellungsbesucher aus aller Welt auf die Zeitreise in die deutsche Geschichte Nordhessens, meint Gunnar Richter. Er beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit diesen Ort, zunächst als Student, dann als engagierter Wissenschafter und seit einigen Jahren als Leiter der Gedenkstelle Breitenau. Als er Ende der 70er Jahre an der Kasseler Gesamthochschule sein Studium begann, gingen die meisten ehemaligen Nationalsozialisten in Westdeutschland in Rente und eine durch die Apo politisierte junge Generation interessierte sich für die Alltagsgeschichte des NS. Unter dem damaligen SPD-Oberbürgermeister Hans Eichel habe Kassel eine Vorreiterrolle bei der Aufarbeitung der NS-Geschichte gespielt, berichtet Richter stolz.
Mittlerweile sei die Zusammenarbeitung mit der Bevölkerung vor Ort gut. Als die jungen Studierenden Ende der 70er Jahre auf dem Klostergelände nach Spuren der NS-Verbrechen forschten, stießen sie auf eine Mauer des Schweigens. Davon wollten die Bewohner nie etwas gehört und gesehen haben. Im Sommer 1940 wurde Breitenau zum Arbeitserziehungslager erklärt. Ein Großteil der Insassen waren ausländische Zwangsarbeiter, darunter auch Kinder Am 30. März 1945, als die US-Befreier schon wenige Kilometer an das Lager herangerückt waren, ließ die SS achtundzwanzig Gefangene erschießen. Sechzehn Opfer des in der Geschichtsforschung als „Massenmord am Fuldaberg“ bezeichneten Verbrechens kamen aus der Sowjetunion, 10 aus Frankreich und zwei aus Holland. „In den 70er Jahre gab es vor Ort keinerlei Hinweise auf das Verbrechen“, erinnert sich Richter. Dabei hatte der Kasseler Journalist Willi Beltz, der wie sein Vater als Kommunist im KZ-Breitenau inhaftiert war, in seinem 1960 erschienenen Widerstandsrom „Die Standhaften“ die Massenerschießung beschrieben, sich t allerdings bei der Opferzahl geirrt Der langjährige Vorsitzende der Kasseler VVN/Bund der Antifaschisten. Beltz hat auch über das Holzkreuz berichtet, das nach der Befreiung durch die Alliierten im Kloster Breitenau aufstellten. Erst nach einer mühevollen Suche, wurden die Geschichtsforscher in den 70er Jahren fündig. Denn das Kreuz, aber auch die Leichen der Erschossenen waren schon lange auf einen Kriegsopferfriedhof in der Nähe umgebetet worden. Mit den Opfern und dem Kreuz schien im Kloster Breitenau jede Spur des NS-Verbrechens beseitigt. In einer Festschrift zum 600ten Jubiläum von Cuxhagen wird 1952 die gesamte NS-Zeit ganz ausgeblendet Man merkt Richter den Stolz auf die Veränderungen im nordhessischen Geschichtsbild, das er mit angestoßen hat. Aber man hört seinen engagierten Anführungen auch an, dass für ihn die Geschichte nicht vergangen ist. Immer wieder erinnert er daran, dass die Verbrechen der Nazis nicht im Verborgenen sondern vor aller Augen stattfanden. In den Vitrinen der Breitenauer Ausstellung finden sich Kopien der nordhessischen Lokalpresse der NS-Zeit, die ausführlich über das Konzentrationslager Breitenau berichtet. Ein Zeitungsfoto aus jener Zeit, das in der Ausstellung zu sehen ist, beeindruckt viele Besucher und inspirierte einige Künstler, die in den letzten Wochen die Ausstellung besucht haben. Es zeigt einen Esel hinter Stacheldraht Das Foto wurde am 1. April 1933 am Kasseler Opernplatz aufgenommen An diesem Tag hatten die Nazis zum ersten landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. Der von der SA bewachte Esel hinter Stacheldraht sollte zeigen, was denen blüht, die den Boykott ignorieren.
In der Unterzeile aus der zeitgenossischen Zeitung heißt es über diese SA-Präsentation: „Die Kasseler haben sich von morgens bis abends darüber gefreut“.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/237679.esel-hinter-stacheldraht.html

Peter Nowak

Erfurt mit Naziproblem?

In der Landeshauptstadt Thüringens mehren sich die rechten Übergriffe

MICAHEL KLEINERT ist Mitglied des Bildungskollektivs Biko, das seit zehn Jahren in Erfurt Bildungsarbeit und Veranstaltung gegen Rechts organisiert. Über Naziübergriffe in Erfurt und polizeiliche Versäumnisse sprach mit ihm für »nd« PETER NOWAK.

nd: In den letzten Wochen gab es in Erfurt vermehrt rechte Übergriffe. Hat die Stadt ein Naziproblem?
Kleinert: In den 90er Jahren war die Stadt eine Nazihochburg. Zwei Menschen sind durch rechte Gewalt gestorben. In den letzten Jahren war es gelungen, zumindest in der Innenstadt von Erfurt die Rechten zurückzudrängen. In den letzten Monaten gab es aber eine besorgniserregende Entwicklung. Seit Frühjahr diesen Jahres hatten wir eine Reihe von Neonaziüberfällen mitten im Erfurter Zentrum, die von der Mitte der Gesellschaft ignoriert wurden.

Können Sie Beispiele nennen?
Während einer öffentlichen Übertragung der Fußball-EM skandierte eine Gruppe von Rechten abwechselnd Sieg und heil. Die Mehrheit der Fußballfans ignorierte das. Eine Gruppe von Antifaschisten, die daraufhin »Nazis raus« rief, wurde physisch angegriffen und auch das führte nicht dazu, dass die Fußballfans eingegriffen hätten.

Ist das eine Ausnahme?
Durchaus nicht. Wer gegen Nazis aktiv wird, wird misstrauisch beäugt. Davon betroffen sind Punks, alternative Jugendliche, aber auch Studierende. So sind uns auf und um den Campus der Erfurter Universität in den letzten Monaten mehrere Übergriffe auf Studierende bekannt geworden.

Wie reagiert die Polizei auf die rechten Übergriffe?

Wir haben Fälle protokolliert, bei denen die Polizei Opfern rechter Gewalt von einer Anzeige abgeraten hat. In einem Fall wurde ein Betroffener, der aussagte, von einem Neonazi angegriffen worden zu sein, von einen Polizisten zurecht gewiesen. Er sollte nicht Neonazi sagen, dass würde provozieren.

War das Bildungskollektiv Biko, in dem Sie Mitglied sind, auch von rechter Gewalt betroffen?

Besucher unserer Jubiläumsfeier im Juni zum zehnjährigen Bestehen von Biko wurden auf dem Heimweg von 20 Neonazis angegriffen. Mehrere Menschen wurden durch Faustschläge und Flaschenwürfe verletzt. Im Anschluss geriet ein Mitarbeiter des Biko ins Visier der Polizei, nachdem er von den Rechten beschuldigt wurde, sie angegriffen zu haben.

Ihr kritisiert auch die Reaktion der Polizei auf den Angriff auf eine Veranstaltung im Erfurter Kunsthaus im Zentrum Erfurt.
Am 13. Juli wurden mehrere Besucher des Kunsthauses durch Neonazis teilweise schwer verletzt. Die Polizei negierte zunächst den Neonazihintergrund und sprach in einer Pressemeldung von einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen. Nachdem der Überfall bundesweit Schlagzeilen machte, räumte ein Pressesprecher der Polizei den rechten Hintergrund ein, erklärte aber, es werde zu oft die Antifakarte gezogen, wenn Alkohol im Spiel war.

Gibt es auch Strategien gegen die Rechten in der Innenstadt?
Im Rahmen des lokalen Aktionsplans wurden Anwohner der Erfurter Kneipenmeile zu einem Gespräch eingeladen. Dort gibt es Lokalitäten, in denen die Rechten regelmäßig verkehren. Ein Kneipenbesitzer hat mittlerweile Hausverbote für erkennbare Neonazis verhängt. Wir hoffen, dass dieses Beispiel Nachahmer findet

http://www.neues-deutschland.de/artikel/237415.erfurt-mit-naziproblem.html

Interview: Peter Nowak

Eine deutsche Eiche vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus

Am Wochenende gab es zweierlei Gedenken in Rostock

„Störer wie euch dürfen niemals durchkommen.“ Diese unsouveräne Antwort gab Bundespräsident Joachim Gauck einer Gruppe von Antirassisten, die ihn am Sonntag vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus mit „Heuchler“-Rufen und einem Transparent mit der Aufschrift „Rassismus tötet“ empfingen.

Das renovierte Haus war in den letzten Wochen in vielen Zeitungen und auf vielen Plakaten zu sehen. Vor 20 Jahren wurde es durch von einem Bürgermob angefeuerte Neonazis in Brand gesteckt. Zu dem diesem Zeitpunkt waren Polizei und Feuerwehr abgezogen worden. In letzter Minute konnten sich die noch im Gebäude anwesenden Flüchtlinge samt Unterstützer durch eine Dachluke vor den Flammen retten. Von Gauck, der heute gerne auf seine Rostocker Herkunft verweist, war damals übrigens nichts zu hören. Das Foto eines Betrunkenen mit erhobenen rechten Arm ging um die Welt und prägt für viele bis heute das Bild jener pogromartigen Ereignisse vor 20 Jahren. In dem Buch Kaltland hat ein Autorenkollektiv noch einmal das Klima jener Zeit nicht nur im Osten Deutschlands festgehalten.

„Sie können jetzt einpacken“

Vielleicht hätte ein anderes Bild, das leider nie so bekannt geworden ist, noch treffender die damaligen deutschen Zustände vermittelt. Es zeigt eine rumänische Romafrau, die mit den anderen Rostocker Flüchtlingen nach den rassistischen Ausschreitungen auf die Busse wartet, die sie aus Rostock abtransportieren. Das Foto des Fotografen Jürgen Siegmann dürfte in der nächsten Zeit bekannter werden. Schließlich ist es in dem Film Revision zu sehen, der demnächst in die Kinos kommt und die Geschichte von zwei rumänischen Flüchtlingen aufarbeitet, die Ende Juli 2002 an der deutschpolnischen Grenze von Jägern erschossen worden, die sie angeblich mit Wildschweinen verwechselten.

Das Foto spielt deshalb in dem Film eine Rolle, weil die abgebildete Frau die Witwe eines der Erschossenen ist. Ihre wenigen Habseligkeiten sind in einer Plastiktüte mit der Aufschrift „Sie können jetzt einpacken“ verstaut. Der lustig gemeinte Werbespruch eines Discounters wurde dem Mob aus Bürgern und Nazis in Rostock umgedeutet. Als die Flüchtlinge abtransportiert wurden, applaudierten sie über ihren „Sieg“.

Als wenig später die Asylgesetze in Deutschland so sehr eingeschränkt wurden, dass kaum noch ein Flüchtling in Deutschland davon profitieren kann, konnten sie noch einen vermeintlichen Sieg feiern. Welches Signal sendet nun das Pflanzen einer Eiche vor dem renovierten Rostocker Sonnenblumenhaus aus? Die Initiatoren argumentieren einerseits pragmatisch damit, dass die Eiche besonders langlebig sei und sprechen von der Friedenseiche als einem alten deutschen Symbol. Linke Kritiker sehen in der Eiche eher ein deutschnationales Symbol.

Gedenktafel oder Eiche?

Bei der unterschiedlichen Ausgangslage ist es nicht verwunderlich, dass es am Wochenende zwei unterschiedliche Arten des Gedenkens in Rostock gab. Die offizielle Gedenkfeier verurteilt die rassistische Übergabe und spricht scheinbar selbstkritisch vom Versagen des Staates. Gauck forderte eine „wehrhafte Demokratie“. Die könnte sich dann ebenso gegen die Antirassisten richten, die Gauck als Störer adressierte, wie gegen angeblich illegale Flüchtlinge. Schließlich wird im offiziellen Gedenken peinlich darauf geachtet, dass die massive Einschränkung des Asylrechts nicht mit dem Pogrom von Rostock in Verbindung gebracht wird, obwohl vor 20 Jahren zahlreiche Politiker selber den Zusammenhang herstellten. So reiht sich das offizielle Gedenken in ähnliche Veranstaltungen zu den NS-Verbrechen ein. Schlimme Zeit damals, aber Deutschland hat daraus gelernt und ist gestärkt darauf hervorgegangen, heißt kurz zusammengefasst das Fazit. So gesehen ist die Eiche vielleicht ein passendes Symbol.

Die linken Kritiker hingegen betonten im Aufruf zu der von mehreren tausend Menschen besuchten Demonstration in Rostock besonders den Zusammenhang zwischen der Verschärfung des Asylrechts und dem Pogrom. Sie sprachen sowohl vom institutionellen Rassismus als auch von dem in der Mitte der Gesellschaft. Sie brachten eine Gedenktafel erneut am Rostocker Rathaus an, mit der die Organisation Töchter und Söhne der aus Frankreich deportierten Juden bereits vor 20 Jahren gegen den Rassismus Stellung nahmen. Die Tafel wurde von der Stadt entfernt, die Aktivisten, darunter auch Beate Klarsfeld, festgenommen.

Gedenktafel versus Eiche, allein in diesen Symbolen wird die Unterschiedlichkeit des Gedenkens deutlich. Dazwischen agierte ein zivilgesellschaftliches Bündnis, das die Ablehnung von rechter Gewalt mit einer Imagewerbung für Rostock verbindet. Allerdings kooperieren manche der Aktivisten jenseits von zentralen Gedenkveranstaltungen mit Aktivisten des linken Bündnisses im Alltag in antirechten Bündnissen. Daher ist auch die Konfrontation nicht mehr so schroff wie vor 20 Jahren, als schon einmal ein Bundespräsident, damals war es von Weizsäcker im Berliner Lustgarten, bei einer offiziellen Gedenkveranstaltung zu den Opfern rechter Gewalt ausgepfiffen und mit Heuchlerrufen bedacht wurde.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152667
Peter Nowak

Verleugnete Nazi-Opfer I

Fulda: Antifaschisten bemühen sich um Aufklärung im Fall Dorit B.
Fulda ist eine Kleinstadt in Hessen. Wenig ist von ihr über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Doch in Fulda hat sich vor mehr als einer Dekade ein Mord ereignet, der einen rechten Hintergrund haben könnte. Antifaschisten bemühen sich in dem Fall um Aufklärung.

Heute jährt sich zum elften Mal der Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau Dorit B. Die 54-Jährige war am 17. August 2001 in dem von ihr betriebenen Military-Shop im Zentrum der osthessischen Stadt erstochen worden. Der Täter wurde wenige Stunden nach der Tat verhaftet. Der zur Tatzeit 18-jährige Thüringer wurde vom Landgericht Erfurt nach Jugendstrafrecht wegen Mord aus Habgier verurteilt. Dorit B. habe den jungen Mann dabei ertappt, als er Bekleidungsstücke im Wert von etwa 1000 Euro aus dem Laden entwenden wollte, so die Anklagebehörde.

Naziaufmarsch im bayerischen Wunsiedel

Die »Fuldaer Zeitung« schrieb schon kurz nach der Tat: »Für eine Verbindung zur rechten Szene gibt es nach den bisherigen Ermittlungen keine Anhaltspunkte«. Doch Antifaschisten recherchierten weiter und veröffentlichten die Ergebnisse auf der Onlineplattform www.fuldawiki.de.

Am Tatwochenende mobilisierte die Naziszene bundesweit zu einem Aufmarsch zum Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess ins bayerische Wunsiedel. Fulda fungierte damals als einer der Orte, von dem die Rechten Mitfahrmöglichkeiten anboten. War der Täter auf dem Weg zum rechten Aufmarsch und wollte die geklauten Military-Kleidungsstücke dort weiterverkaufen, lautet eine der bisher unbeantwortet gebliebenen

Fragen der Antifaschisten.

Der Täter sagte mehrmals aus, dass der Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau ein Aufnahmeritual für die Heidenfront war. Diese völkische Strömung kombiniert einen Bezug zu germanischem Heidentum mit der »Blut-und-Boden-Ideologie« des Nationalsozialismus. Das Christentum wird von ihr »als Schwächeanfall des germanischen Volkes« bezeichnet. In verschiedenen skandinavischen Ländern verübten rechte Heiden Brandanschläge auf Kirchen. In Thüringen machte ein Aktivist der neuheidnischen Szene in den 90er Jahren Schlagzeilen, weil er einen 14-jährigen Mitschüler in Sondershausen tötete. Seit mehreren Jahren ist die Heidenfront politisch inaktiv.

»Der rechte Hintergrund des Mörders von Dorit B. spielt auch zehn Jahre nach der Tat noch immer keine Rolle«, so Karin Masche gegenüber »nd«. Sie sitzt für »Die Linke.Offene Liste« im Fuldaer Stadtparlament. In einer Anfrage an den Magistrat der Stadt wollte die Fraktion wissen, ob sie Dorit B. als Opfer rechter Gewalt anerkennt und ihrer gedenkt. In seiner Antwort wollte der Fuldaer Bürgermeister Wolfgang Dippel (CDU) beide Fragen nicht beantworten. »Die Bewertung und Ermittlung zum Tathergang obliegt in der alleinigen Zuständigkeit der Strafermittlungsbehörde, d. h. der Staatsanwaltschaft und allenfalls noch des Verfassungsschutzes«, weist er die Verantwortung der Politik zurück.
Ausweichende Antwort der Bundesregierung

Auch die Linksfraktion im Bundestag wollte in einer Anfrage von der Bundesregierung wissen, warum die Tötung von Dorit B. nicht als politisch motivierte Straftat erfasst wird. In der Antwort weist ein Sprecher der Bundesregierung darauf hin, dass die Zuordnung einer Straftat zur politisch motivierten Kriminalität den Polizeibehörden des Landes, in dem sich der Tatort befindet, obliegt.

Masche will sich auch nach dem Jubiläum weiter um Aufklärung bemühen und dafür kämpfen, dass Dorit B. als Opfer rechter Gewalt gedacht wird.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/235793.verleugnete-nazi-opfer-i.html

Peter Nowak

Parole an der Wand


GEDENKEN In Kreuzberg wird der kommunistische Widerstandskämpfer Wolfgang Szepansky geehrt

Mit der Anbringung einer Gedenktafel wird am Samstag in Kreuzberg an einen antifaschistischen Widerstandskämpfer erinnert. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Verband der Antifaschistinnen (VVN-VdA) und das Aktive Museum befestigen an der Wand der ehemaligen Schultheissbrauerei in der Methfesselstraße die Plakette für Wolfgang Szepansky. „Wir wollen damit einen Mann ehren, der bis zu seinem Tod im Alter von 98 Jahren in der antifaschistischen Bewegung aktiv war“, sagte Frieder Böhne von der VVN-VdA gegenüber der taz zu den Beweggründen.

Am 11. August des Jahres 1933 hatte der damals 23-jährige Szepansky an dieselbe Mauer die Parolen „Nieder mit Hitler! KPD lebt! Rot Front!“ gepinselt. Dafür wurde er ins Columbiahaus, das berüchtigte erste Konzentrationslager Berlins auf dem Tempelhofer Feld eingeliefert. Nach seiner Freilassung emigrierte er nach Holland, wo ihn der Naziterror mit der deutschen Besetzung einholte. Er wurde 1940 an die Gestapo ausgeliefert und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht.

Als Teilnehmer der Todesmärsche, bei denen die SS in den letzten Tagen des Naziregimes KZ-Häftlinge durch Deutschland trieb, wurde Szepansky durch britische Alliierte befreit. Sofort beteiligte er sich am Aufbau des antifaschistischen Jugendausschusses in Tempelhof. Szepansky arbeitete als Lehrer, wurde aber im Zuge der Kommunistenverfolgung des Kalten Krieges aus dem Schuldienst entlassen. Dafür engagierte er sich bis ins hohe Alter gegen alte und neue Nazis. Als Zeitzeuge begleitete er zahlreiche antifaschistische Stadtrundfahrten. Er starb 2008.

Mehr als zwei Jahre dauerten die Verhandlungen über den neuen Gedenkort. Der ursprünglich vorgesehene Eingangsbereich der Schultheissbrauerei war vom Eigentümer abgelehnt worden. „Nach Vermittlung durch den Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz kam es nun zur Einigung“, freut sich Frieder Böhne
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/
?ressort=bl&dig=2012%2F08%2F10%2Fa0214&cHash=343c56193a
Peter Nowak

Enthüllung der Gedenktafel: Samstag, 11 Uhr, Methfesselstr. 42

Extremismusklausel für Sportler?

Als Konsequenz aus der Diskussion über das Umfeld der olympischen Ruderin Nadja Drygalla soll der Staat mehr Macht bekommen

Eigentlich war man bisher davon ausgegangen, dass Sportler sich an der Olympiade beteiligen wie Fußballspieler an den Europa- und Weltmeisterschaften, weil sie sich mit anderen Sportlern in ihren jeweiligen Disziplinen messen wollen. Die Politik gehörte gemeinhin nicht dazu. Daher war es schon immer peinlich anzusehen, wenn Sportfunktionäre oder auch ausgewählte Sportler besondere politische Belange vertreten sollten. So kam es vor der diesjährigen Fußball- EM zu manchem Spreizschritt, weil sich Berufene einerseits für die Demokratie in der Ukraine einsetzen wollten, andererseits aber doch darauf zu achten hatten, dass die EM-Veranstalter und Sponsoren nicht zu stark vor den Kopf gestoßen würden. Die Sportler mussten also Diplomaten werden.

Man könnte in dieser Rolle einen Fortschritt gegen über der Weltmeisterschaft 1978 sehen. Damals wurde die WM in Argentinien ausgetragen, wo zu dieser Zeit eine blutige Militärdiktatur herrschte. Aber die Forderungen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, sich doch für die Gefangenen einzusetzen, wurde von einigen Kickern nicht nur brüsk abgelehnt, sondern sogar mit Hohn und Spott kommentiert. Unpolitisch war die deutsche Elf aber schon damals nicht. Schließlich hatten sie in den Spielpausen Zeit, den ewigen NS-Nostalgiker und Freund der argentinischen Militärjunta Hans-Ulrich Rudel rein privat zu einem Besuch in ihrem Quartier zu empfangen. Dieser Besuch löste 1978 einen Skandal aus.

33 Jahre später sind die Nazis der Generation Rudels weitgehend tot und die zweite und dritte Generation macht nun Ärger. Der Anlass sind die privaten Beziehungen der Ruderin Nadja Drygalla zu einem ehemaligen Aktivisten der neonazistischen Freien Kameradschaften und zeitweiligem NPD-Mitglied. Die Diskussion war kaum aufgebrandet, da verließ die Sportlerin schon das olympische Team. Damit war die Debatte nicht zu Ende.

SPD-Politiker warfen den Sportgremien vor, nicht rechtzeitig über die Personalie Drygalla informiert zu haben. Und bald darauf begann auch die Debatte, ob es sich bei dem öffentlichen Hype nicht um eine jener Übungen in hilflosem Antifaschismus handelt, bei dem am Ende mehr Kontrolle und Gesinnungsprüfung herauskommt. Spätestens nachdem das Bundesinnenministerium eine Extremismusklausel für öffentlich finanzierte Sportverbände ins Gespräch brachte, drängt sich dieser Verdacht noch deutlicher auf.

Schließlich sind die Pläne, wie das Ministerium betont, schon älter. So wird der Fall Drygalla also als gute Gelegenheit dafür gesehen, solche Pläne auch in die Tat umzusetzen. Schließlich will niemand ausgewiesene Vertreter der Rechten im Olympiateam haben. Aber hier zeigt sich schon die Schieflage der gesamten Debatte. Es geht nicht um irgendwelche Äußerungen oder Handlungen von Drygalla sondern um das politische Umfeld ihres Lebensgefährten. So wurde gleich Entwarnung gegeben, als nun offiziell bestätigt wurde, dass dieser die NPD mittlerweile verlassen hat. Dass ein längjähriger Aktivist der Freien Kameradschaftsszene zur NPD-Mitgliedschaft nur ein taktisches Verhältnis hat und dass Aus- und Wiedereintritte dort nicht selten sind, blieb dabei unerwähnt. Auch die politischen Ansichten von Drygalla und ihren Lebensgefährten waren kaum Gegenstand der Debatte, es ging um Organisationen und Mitgliedschaften.

Kein brauner Fleck auf deutsches Olympiateam

Und da sollte kein brauner Fleck auf das deutsche Olympiateam fallen. Hier wird auch eine weitere problematische Seite der gesamten Debatte deutlich. Es wird unhinterfragt davon ausgegangen, dass die Sportler nicht für sich und ihr Sportteam, sondern für die Nation Deutschland in den Wettkampf ziehen. Daher wurden auch bei der Fußball-EM die Lippenbewegung der deutschen Spieler beim Singen der Nationalhymne genau registriert und gerügt, wenn sie nicht genügend deutlich mitsangen. So wäre es auch nur konsequent, wenn dann auch die Sportler auf das deutsche Grundgesetz eingeschworen werden sollen, wie es ja bei Beamten bereits der Fall ist und bei zivilgesellschaftlichen Organisationen, wenn sie Gelder bekommen sollen, geplant ist…

Es gab anlässlich der Fußball-EM erneut Kritik an der Verschmelzung von Spiel und „Patriotismus“ – dem Einschwören von Sportlern und Fans auf die Nation. Die Kritiker müssten nun auch im Fall Drygalla gegen eine Extremismusklausel für Sportler eintreten, weil damit die Athleten auf eine heikle Weise von der Nation vereinnahmt werden. Mit dem Kampf gegen Rechts im Sport hat das sehr wenig zu tun. Der wird sowieso erfolgreicher von zivilgesellschaftlichen Organisationen im Umfeld von Fußballspielen praktiziert. Dabei geht es weniger um Mitgliedschaften in rechten Organisationen, sondern um nationalistische und rassistische Alltagspraktiken, die nicht an Organisations- und Parteimitgliedschaften gebunden sind.

Der hilflose Antitotalitarismus, der im Fall Drygalla von Politik, Sportverbänden und Teilen der Medien praktiziert wird, behindert eine solche Arbeit der zivilgesellschaftlichen Gruppen eher, die ja schließlich ebenfalls einer Extremismusklausel mit merkwürdigen Auswüchsen unterliegen (Führt Extremismusklausel zu Misstrauen und Beschnüffelung?), die nun besser installiert werden kann.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152542

Peter Nowak

Hitlers Gegner, Stalins Opfer

In Berlin wurde erstmals der deutschen Kommunisten und Sozialisten gedacht, die der stalinistischen Verfolgung in der UdSSR zum Opfer fielen.

»Mein Großvater hatte ein typisch kommunistisches Schicksal«, sagt Oswald Schneidratus. »SPD, USPD, Spartakus, Strafbataillon vor Verdun, KPD, Republik der Wolgadeutschen, Studium in Moskau, als Architekt Neugestaltung Moskaus 1933 bis 1935, bei Stalin in Ehren empfangen. 1936 als Oberstleutnant nach Spanien, 1937 erschossen in Butowo bei Moskau.« Mit diesen Worten skizzierte er in der vergangenen Woche auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin die politische Biographie seines Großvaters.

Dort gedachten Angehörige und Freunde der in Deutschland geborenen Kommunisten und Sozialisten, die den Nazis entkommen konnten und dann in der Sowjetunion der stalinistischen Verfolgung zum Opfer fielen. Schneidratus’ Großvater gehörte dazu. Sein Name war einer von 750, die während der knapp einstündigen Gedenkveranstaltung verlesen wurden. Damit wurde erstmals öffentlich an ein Datum erinnert, das für die stalinistische Verfolgung eine große Bedeutung hat: Am 25. Juli vor 75 Jahren begann mit dem NKWD-Befehl 00439 auf Anordnung Stalins und seines Geheimdienstchefs die sogenannte Deutsche Operation. In der UdSSR lebende Deutsche wurden unter den Generalverdacht profaschistischer Spionage gestellt. Die Operation war Teil der als »großer Terror« bekannten Verfolgungen der Jahre 1937/38.

Viele Überlebende gingen in den Fünfzigern in die DDR, wo sie den Verfolgten des Nationalsozialismus rechtlich gleichgestellt wurden, aber in der Öffentlichkeit nicht von der Verfolgung in der UdSSR reden sollten. Viele Überlebende und Angehörige blieben bis zum Schluss überzeugte Verteidiger des Realsozialismus. Sie wollten schon deshalb nicht über die Verfolgungen unter Stalin sprechen, weil sie den Gegnern im Kalten Krieg nicht in die Hände spielen wollten.

Immer noch fällt es vielen Betroffenen schwer, an die Öffentlichkeit zu gehen. »Einige Angehörige wollten nicht, dass die Namen ihrer ermoderten Verwandten verlesen werden, und das haben wir auch akzeptiert«, sagt Hans Coppi der Jungle World. Er ist Mitglied im Arbeitskreis zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Nach mehreren Veranstaltungen war die öffentliche Ehrung ein weiterer Schritt, um die damaligen Ereignisse öffentlich zu machen. In der nächsten Zeit soll eine Ausstellung über die Verfolgung in der Sowjetunion konzipiert werden. Mittlerweile hat der Arbeitskreis auch angeregt, einen Gedenk­ort einzurichten. Am Karl-Liebknecht-Haus, der früheren Zentrale der KPD und dem derzeitigen Sitz der Linkspartei, soll eine Gedenktafel mit der Inschrift angebracht werden: »Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.« Der Historiker Wladislaw Hedeler hält die Wahl des Gedenkorts für richtig, weil viele der später Ermordeten mit Billigung des KPD-Zentralkomitees in die UdSSR gingen.

Es war sicher auch der Lage des Termins im Sommer geschuldet, dass die Angehörigen auf der Gedenkveranstaltung überwiegend unter sich blieben. Dabei haben sich in den vergangenen Jahren auch jüngere, antifaschistische und antinationale Linke mit dem Stalinismus befasst. Die Leipziger Initiative gegen jeden Extremismusbegriff hat im Unrast-Verlag unter dem Titel »Nie wieder Kommunismus?« ein Buch mit zwölf Aufsätzen zur Kritik an Stalinismus und Realsozialismus herausgegeben. Auch der kürzlich im Verlag Buchmacherei von Philippe Kellermann herausgegebene Band »Gespräche über die Geschichte und Gegenwart der sozialistischen Bewegungen« widmet sich dem Stalinismus und seiner Vorgeschichte. Mit dem Arbeitskreis bei der VVN eint die Autoren beider Bücher ihre Kritik am Stalinismus ohne Bezugnahme auf die Totalitarismus­theorie und ihre Weigerung den Kapitalismus zu verteidigen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/31/45968.html
Peter Nowak

Nazi-Rauswurf mit finanziellen Folgen

ORANIENBURG Weil er einen NPDler aus dem Saal schmiss, muss ein Versammlungsleiter blechen

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass der NPD-Kommunalpolitiker Detlef Appel bei einer Gedenkveranstaltung zum Hitler-Attentäter Georg Elser in Oranienburg aus dem Saal geschmissen wurde. Das hatte ein juristisches Nachspiel: Wie jetzt bekannt wurde, verurteilte das Landgericht Neuruppin den Versammlungsleiter Ende Mai, dass er dem NPD-Politiker knapp 400 Euro Schadenersatz zahlen und sämtliche Verfahrenskosten tragen muss. Der Saalverweis sei geeignet, „sich abträglich auf Ansehen und Ehre des politisch aktiven Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken“, hieß es.

Die „Courage-Elser-Initiative“ hatte damals zu einer Gedenkveranstaltung für den verhinderten Hitler-Attentäter ins Bürgerzentrum Oranienburg geladen. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sprach zum Thema „Georg Elser – ein Volksheld oder ein Täter mit gutem Gewissen?“. Im vollbesetzten Saal habe Detlef Appel, Kreistagsabgeordneter in Oberhavel und Stadtverordneter in Oranienburg, massiv gegen Elser gehetzt, erinnert sich der Vizevorsitzende der Elser-Initiative, Bernd Findeis. „Die Anwesenden waren zunächst fassungslos, dem Entsetzen folgte ein immer deutlicher werdender Protest.“ Als der Versammlungsleiter Appel des Saales verwies, habe der anstandslos seinen Mantel genommen und sei verschwunden.

Markus Roth von der Antifa Friedrichshain kritisiert, dass der rechte Hintergrund des Politikers in dem Urteil komplett ausgeblendet worden sei. Diese juristische Normalisierungsstrategie konterkariere die Bemühungen, NPD-Mandatsträger bewusst auszugrenzen.

Roth befürchtet nicht, dass in Zukunft die Präsenz von Personen aus der rechten Szene bei antifaschistischen Veranstaltungen hingenommen werden müsse. Man sollte allerdings schon bei der Werbung deutlich machen, dass diese Leute nicht geduldet würden. Darauf verweist auch Annika Eckel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Der Verein hat auf seiner Homepage eine Handreichung veröffentlicht, um Ausschlüsse von Rechten juristisch wasserdicht zu machen. Selbst wenn eine Ausschlusserklärung versäumt wurde, hätte die Veranstaltung kurzfristig aufgelöst und unter Ausschluss der Rechten neu eröffnet werden können.

Für die Georg-Elser-Initiative kommen diese Ratschläge zu spät. Sie hat ein Spendenkonto eröffnet, damit der Versammlungsleiter nicht auf den Kosten sitzenbleibt.
ttp://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F31%2Fa0157&cHash=3dd8500c2a

Peter Nowak