2.000 wollen König sein

ARBEIT Demo für bedingungsloses Grundeinkommen kleiner als erwartet. Denn die Bewegung ist gespalten

„Wollen sie auch eine Krone?“, fragte der Mann mit dem Stapel goldfarbener Papierkronen in der Hand. Die Menschen mit den Kronen sind Teilnehmer der Demonstration für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Rund 2.000 Menschen sind nach Angaben der Veranstalter am Samstagvormittag gekommen, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen.

„Mit den Kronen wollen wir symbolisieren, dass mit einem Grundeinkommen jeder Bürger ein König ist“, sagt Philipp Magalski von der Berliner Piratenpartei, die auch eifrig Mitgliedsanträge verteilt. Davon ist ein Aktivist am Infostand der Partei Die Violetten überhaupt nicht angetan. „Wir sind seit 2001 die Partei des Grundeinkommens und stehen nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen dahinter“, meinte er.

„Einigkeit und Recht und Grundeinkommen“ intoniert an der Spitze der Demonstration eine Gruppe eine leicht verfremdete Fassung der Nationalhymne. Eine ältere Demoteilnehmerin ist extra aus München angereist. Am heutigen Montag will sie als Zuhörerin dabei sein, wenn im Bundestag über eine Petition zum bedingungslosen Grundeinkommen beraten wird.

Während zahlreiche Initiativen auf der Demo präsent sind, halten sich die Parteien zurück. Außer den Violetten und den Piraten zeigt keine weitere Partei Flagge. Auch die Zahl der TeilnehmerInnen liegt weit unter den Erwartungen der OrganisatorInnen, die ursprünglich mit 6.000 Menschen gerechnet hatten.

Die niedrige Beteiligung ist auch auf interne Streitigkeiten zurückzuführen. So hat sich Ralf Boes, der bei der letzten Bundestagswahl in Mitte als Einzelkandidat für das Grundeinkommen eingetreten ist, aus der Demovorbereitung zurückgezogen. Gegenüber der taz führt er unter anderem die mangelnde Bündnisfähigkeit der OrganisatorInnen als Grund an. Auch Robert Ulmer vom Berliner Netzwerk Grundeinkommen kritisiert die Demoausrichtung. Schon der Hinweis darauf, dass sich durch die Hartz-IV-Drohkulisse Erwerbslose und Beschäftigte immer stärker in eine Unterbietungskonkurrenz treiben ließen, sei für die Organisatoren unerwünschte Klassenkampfrhetorik.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F11%2F08%2Fa0134&cHash=b17da7b8de

Peter Nowak

Vertrag ohne Vertrauen

Jurist sieht in Urteilsbegründung zu »Emmely« Stärkung von Beschäftigtenrechten

Die jetzt veröffentlichte Urteilsbegründung im Fall »Emmely« könnte Rechte von Beschäftigten stärken, meint ihr Anwalt – und fordert gleichzeitig eine Reform des Kündigungsrechts.
Die Kündigung der Berliner »Kaiser’s«-Kassiererin Emmely wegen zweier Pfandbons im Wert von 1,30 Euro sorgte in der ganzen Republik für Empörung. Nach einem Verfahren von insgesamt zweieinhalb Jahren gewann Emmely ihre Kündigungsschutzklage in der dritten Instanz vor dem Bundesarbeitsgericht im Juni 2010. Sie arbeitet seit Monaten wieder als Kassiererin.

Betriebszugehörigkeit zählt
Jetzt wurde die Urteilsbegründung veröffentlicht. »Dort finden sich einige Punkte, die die Rechte von Arbeitnehmern auch in der Zukunft stärken könnten«, meint Emmelys Rechtsanwalt Benedikt Hopmann. Ein wichtiger Punkt ist eine Neubestimmung des Begriffs des Vertrauens. Bei einer Verdachtskündigung genügte die Feststellung eines gestörten Vertrauensverhältnisses zwischen einem Beschäftigten und dem Chef. Das Bundesarbeitsgericht stellte fest: »Eine für lange Zeit ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört.

Da Emmely mehr als 30 Jahre ohne Beschwerden als Kassiererin gearbeitet hat, rechtfertigt ein Verdacht auf Unterschlagung von zwei Bons keine Kündigung. Hopmann sieht in dieser gerichtlichen Argumentation einen ersten Schritt, um den Begriff des Vertrauens aus dem Arbeitsrecht zu entfernen. »Schließlich handle es sich um ein Vertrags- und nicht um ein Vertrauensverhältnis«, betont der Jurist. Hopmann nannte einen weiteren Grund, um den Begriff des Vertrauens zu hinterfragen: »Im Nationalsozialismus wurde mit dem Verweis auf fehlendes Vertrauen massenhaft unliebsamen Arbeitern gekündigt«.

Emmelys Rehabilitation
In der Urteilsbegründung wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass Emmelys Verhalten vor Gericht und ihren Kollegen gegenüber nicht zu beanstanden ist. Damit wurde die Einschätzung des Landesarbeitsgerichts korrigiert, das die Kassiererin beschuldigt hatte, im Prozess falsche Angaben gemacht und Kollegen der Unterschlagung der Flaschenbons beschuldigt zu haben. Diese Beschuldigungen seien in konservativen Medien und von Untenehmerverbänden aufgegriffen worden, um Emmely zu diskreditieren, so Hopmann. Höhepunkt war ein juristischer Aufsatz des Burschenschaftlers und Direktor des Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (ZAAR), Volker Rieble, in der Neuen Juristischen Wochenzeitschrift. Dort bezeichnete er Emmely als notorische Lügnerin.

Der Erfolg vor Gericht mache eine Reform des Kündigungsrechts nicht überflüssig, so Hopmann. Es müsse ausgeschlossen werden, dass in erstmaligen Bagatellfällen überhaupt gekündigt wird. Er lobte den Gesetzentwurf der Linksfraktion. Damit würden Verdachtskündigungen generell ausgeschlossen. Die von SPD und Grünen eingebrachten Entwürfe gingen da nicht weit genug, meint der Anwalt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182323.vertrag-ohne-vertrauen.html

Peter Nowak

Stimme der Verrückten

30 Jahre Irren-Offensive: Von der Selbsthilfegruppe zur Menschenrechtsorganisation

Am vergangenen Sonnabend feierte die Berliner Irren-Offensive ihr dreißigstes Jubiläum. Doch noch hat sie ihre Ziele nicht ganz erreicht. 
 Anfang der 80er Jahre boomten die sozialen Bewegungen. Nicht mehr nur die Arbeitsverhältnisse, sondern die Familie, Wohnen, die Gesundheit und auch die Psychiatrie wurden Gegenstand politischer Interventionen. Menschen, die zum Teil traumatische Erfahrungen mit psychiatrischen Einrichtungen gemacht hatten, schlossen sich in vielen Städten zusammen und wehrten sich gegen Zwangsbehandlungen und gesellschaftliche Ausgrenzung. Die 1980 in Westberlin gegründete Irren-Offensive ist damals entstanden.

Die Gruppe fordert die Abschaffung aller psychiatrischen Einrichtungen und hinterfragt die Klassifizierung von Menschen als geisteskrank. Mochten die Aktivisten zunächst als »arme Irre« belächelt worden sein, zeigte sich schnell, dass sie mit ihren Aktionen an akademische Debatten jener Zeit anknüpften.

Das theoretische Rüstzeug der Irren-Offensive sind die Schriften des US-Psychiaters Thomas Szasz und des französischen Philosophen Michel Foucault, der mit dem Buch »Wahnsinn und Gesellschaft« zu einem Pionier der Psychiatriekritik avancierte. Im Mai 1998 wurde er sogar zum Namensgeber eines Psychiatrie-Kongresses, den die Irren-Offensive mit internationaler Beteiligung in der Berliner Volksbühne organisierte. Auf diesem Foucault-Tribunal fungierten neben Szasz und der mittlerweile verstorbenen Berliner Publizistin Gerburg Treusch-Dieter auch der emeritierte Politologieprofessor Wolf-Dieter Narr als Ankläger. Der prominente Bürgerrechtler gehört bis heute zu den Unterstützern der Irren-Offensive. Auf der Jubiläumsfeier am Wochenende wurde Narr für sein Engagement der Freiheitspreis der Organisation verliehen. Vorige Preisträger waren Thomasz Sasz und der Berliner Rechtsanwalt Thomas Saschenbrecker für sein juristisches Wirken gegen psychiatrische Zwangsmaßnahmen.

Für das Buch zum Jubiläum verfasste Narr gemeinsam mit Rechtsanwälten ein sozialwissenschaftlich-juristisches Memorandum. Darin betonen die Autoren, dass die Formel von der Unteilbarkeit der Menschenrechte impliziert, dass diese auch vor der Psychiatrie nicht haltmachen dürfe.

Die Realität sieht freilich oft anders aus. Auch wenn in den letzten 30 Jahren manche Psychiatriereform auf den Weg gebracht wurde, bestehen die Zwangsgesetze weiter, erklärt Irren-Offensive-Aktivistin Alice Halmi. Darunter versteht die Organisation die Einweisung in psychiatrische Kliniken sowie die Verabreichung von Medikamenten ohne Einwilligung der Betroffenen.

Das Selbstverständnis der Gruppe hat sich allerdings im letzten Jahrzehnt verändert. »In den ersten Jahren war die Irren-Offensive eine Selbsthilfegruppe von Psychiatrieerfahrenen. Jetzt versteht sie sich als Menschenrechtsorganisation«, so Halmi gegenüber ND. Die Erkenntnis, dass psychiatrische Zwangsmaßnahmen die Menschenrechte verletzen, sei durch das Foucault-Tribunal wesentlich angestoßen worden. Darüber hinaus setzt sich die Irren-Offensive für eine Rehabilitierung der während der NS-Zeit als geisteskrank ermordeten und die unmittelbar nach dem Krieg in psychiatrischen Einrichtungen verhungerten Menschen ein.

Das Patientenverfügungsgesetz, das seit einem Jahr in Kraft ist und die Rechte von Patienten stärkt, ist auch für die Anti-Psychiatrie-Aktivisten ein großer Schritt. Sie sehen darin einen Hebel, um sich gegen Zwangsmaßnahmen in der Psychiatrie zu wehren. Sie haben mit Unterstützung von Juristen eine besondere Variante der Patientenverfügung für Psychiatrien ausformuliert und ins Netz gestellt. Betroffene müssen zwar häufig gegenüber Ärzten um die Anerkennung der Erklärung kämpfen, doch juristisch ist die Lage eindeutig: Eine »medizinische« Behandlung gegen den schriftlich erklärten und aktuellen Willen eines »Patienten« wird zur Körperverletzung und jede erzwungene Unterbringung zur »Freiheitsberaubung«, heißt es auf der Homepage.

ww.patverfue.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182237.stimme-der-verrueckten.html

Peter Nowak

Keine Ein-Punkt-Bewegung

Tausende protestierten am Samstag in Berlin gegen Hartz IV und Sparprogramm

»Weg mit Hartz ITausende protestierten am Samstag in Berlin gegen Hartz IV und SparprogrammV«, lautete die Parole, die auf vielen Transparenten und Bannern zu lesen war. Auch gegen die Rente mit 67 und das Sparpaket der Bundesregierung sprachen sich viele der Demonstranten aus, die aus der ganzen Republik am Samstag nach Berlin kamen und in zwei Zügen ihren Protest durch die Stadt trugen.

Die Angaben über die Teilnehmerzahl klaffen auseinander. Während die Polizei von rund 1800 Protestierenden sprach, nannte der Pressesprecher des Demobündnisses Fred Schirrmacher gegenüber ND die Zahl von knapp 7000 Menschen. Die Demozüge starteten in den Berliner Stadtteilen Pankow und Neukölln und vereinigten sich am Alexanderplatz zur Abschlusskundgebung. Dort spielte allerdings der Kampf gegen Hartz IV nicht die alleinige Hauptrolle. So wandte sich Oli Kube von der Jugendinitiative gegen Stuttgart 21 gegen das umstrittene Bahnprojekt und machte den Erwerbslosen Mut: Der Widerstand gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 zeige, dass Veränderungen wieder auf der Straße erkämpft werden.

Der Bildungsstreikaktivist Wanja Lange sprach sich für eine Kooperation mit den Erwerbslosen und den Kritikern des Sparpakets aus. Das Spektrum der Redner mache deutlich, dass die Montagsdemobewegung nicht nur gegen Hartz IV kämpft, betonte Schirrmacher gegenüber ND. »Uns wird fälschlicherweise immer vorgeworfen, eine Ein-Punkt-Bewegung zu sein. Doch wir wenden uns gegen die Arroganz der Politiker, wie sie aktuell bei Stuttgart 21, beim Sparprogramm der Bundesregierung und bei vielen anderen Themen deutlich wird.« Die Zeit für eine erstarkende Bewegung gegen die Bundesregierung sei reif. Schließlich habe sich die Bundesregierung zum »Brandstifter des sozialen Unfriedens« entwickelt.

Großen Applaus bekam Manfred Gabler vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der sich in seinen Redebeitrag mit dem Anliegen der Demonstranten solidarisierte. Wie viele andere Menschen in Deutschland könnten auch Milchbauern von ihrer Arbeit oft nicht mehr leben, weil die Milchpreise zu niedrig seien. Auf diese niedrigen Milchpreise seien aber viele Hartz-IV-Empfänger existenziell angewiesen, weil sie sich teurere Nahrungsmittel nicht leisten können. Um diesen Unterbietungswettbewerb zu durchbrechen, unterstützten die Milchbauern den Kampf der Erwerbslosen. Denn, wenn die mehr Geld in der Tasche haben, können sie auch höhere Preise bezahlen. Die Milchbauern hatten schon am 10. Oktober eine bundesweite Erwerbslosendemonstration in Oldenburg unterstützt, an der sich mehr als 3000 Menschen beteiligten.

Schirrmacher bedauerte am Samstag in Berlin, dass die Konkurrenzsituation unter den aktiven Erwerbslosen seit 2004 unverändert fortbestehe. Das Demobündnis vom Wochenende nennt sich bundesweite Montagsdemobewegung und macht damit schon im Namen deutlich, dass es sich auf die Proteste gegen Hartz IV vor sechs Jahren bezieht. Allerdings gab es schon damals politische Differenzen, die sich unter anderem an der Marxistisch-Leninistischen Partei (MLPD) festmachen. Während die unabhängigen Erwerbslosengruppen deren Beteiligung am Montagsdemobündnis kritisieren, werfen deren Sprechern den Kritikern Antikommunismus vor. Ein Großteil der Demoteilnehmer kann mit den Auseinandersetzungen wenig anfangen. Dass zeigte sich bei den Beiträgen am Offenen Mikrofon, wo die Protestierenden in kurzen Redebeiträgen ihre Anliegen vorbringen konnten. Einige Erwerbslose berichteten vom täglichen Kleinkrieg mit den Jobcentern und von den oft zeitraubenden Kampf um jeden Cent. Andere legten in ihren Beiträgen den Schwerpunkt auf lokalen Widerstand gegen Hartz IV oder Sparprogramme.

Auch Gewerkschafter melden sich am Offenen Mikrofon zu Wort und sprachen sich für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Lohnabhängigen und Erwerbslosen aus. »Es muss verhindert werden, dass in den Betrieben von der Belegschaft immer wieder Zugeständnisse beim Lohnabbau und bei der Schleifung der Arbeiterrechte gemacht wird, nur um zu verhindern, dass man entlassen wird und in Hartz IV landet«, betonte eine Frau, die sich als IG-Metall-Mitglied vorstellte.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182026.keine-ein-punkt-bewegung.html

Peter Nowak

Jubiläum der Irren

PATIENTEN Auch nach 30 Jahren hat die Irren-Offensive ihre Ziele nicht erreicht

Am Samstag lädt die Berliner Irren-Offensive zu ihrer Jubiläumsfeier in das Rauchhaus ein. Neben verschiedenen Liveacts und Theateraufführungen soll auch die Geschichte der Organisation präsentiert werden.

Die Irren-Offensive wurde vor 30 Jahren von Psychiatrieerfahrenen gegründet, die sich gegen gesellschaftliche Stigmatisierung und Zwangsbehandlung wehrten. 30 Jahre nach ihrer Gründung ist der Kampf gegen Zwang und Stigmatisierung für die AktivistInnen der Irren-Offensive weiterhin aktuell. Ihr politisches Selbstverständnis habe sich allerdings in den letzten Jahrzehnten verändert, erklärt Aktivistin Alice Halmi. „Am Anfang war die Irrenoffensive eine Selbsthilfegruppe von Psychiatrieerfahrenen. Jetzt versteht sie sich als Menschenrechtsorganisation.“ Dahinter stehe die Überzeugung, dass Zwang in Heimen und Psychiatrien nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Betroffen, sondern die Menschenrechte verletzten.

Einen wichtigen Hebel zur Abwehr von Zwangsbehandlungen sehen die AktivistInnen in PatientInnenverfügungen. Damit kann jeder Mensch psychiatrische Zwangsmaßnahmen im Voraus ablehnen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F10%2F16%2Fa0209&cHash=b19d098020

PETER NOWAK

 Beginn: 19.30 Uhr im Rauchhaus am Mariannenplatz

Behindertenhelfer brauchen Hilfe

Mitarbeiter von Assistenzdiensten fordern mehr Lohn und Beteiligung an Tarifverhandlungen

Auf einem Poster hält Heike M. eine Flasche mit Urin in die Kamera. Darunter findet sich der Text: »Behindertenassistenz? Das könnte ich nicht. Und wenn ich dann noch gefragt werde, was ich verdiene, wechsle ich ganz schnell das Thema«.

Das Poster ist Teil einer Serie, mit der die etwa 1000 Berliner Behindertenassistenten derzeit in Berlin auf ihre Tätigkeit und ihre Forderungen aufmerksam machen.

»Es besteht immer die Vorstellung, wir würden den ganzen Tag nur Rollstühle schieben«, ärgert sich Carsten Does. Der Behindertenassistent ist Betriebsrat bei der Assistenzfirma Berliner Ambulante Dienste e.V. (AD). Er müsse oft den kompletten Haushalt führen und gemeinsam mit dem Behinderten dessen Leben planen, erzählt Does.

Die Assistenz wurde in den 80er Jahren als Alternative zur Pflege oder der Heimbetreuung auf Druck der damals starken Behindertenbewegung eingeführt. Dabei kann der Behinderte selber entscheiden, ob und welche Assistenz er in Anspruch nehmen will. In den ersten Jahren handelte es sich um einen typischen Studentenjob. Das hat sich aber mittlerweile geändert. Für immer mehr Beschäftigte ist es ein Vollzeitjob, doch oft können sie davon kaum leben. Der Lohn hat sich seit 2001 nicht erhöht. Neu Eingestellte müssen seit Jahren Lohnkürzungen hinnehmen.

Das knappe Budget lasse keine höheren Löhne zu, argumentieren die Assistenzdienste. Dazu gehören in Berlin neben AD die Assistenzdienste »Lebenswege für Menschen mit Behinderungen« und »PHÖNIX Soziale Dienste«. Ihr Budget ist Teil einer Vergütungsvereinbarung, die demnächst zwischen den Assistenzdiensten, den Pflegekassen und dem Senat für mehrere Jahre neu verhandelt wird. Dazu gab es gestern erste Vorgespräche.

»Obwohl es dabei auch um unsere Löhne geht, haben wir bei diesen Verhandlungen keine Stimme«, beschwert sich Does. Auch der Berliner ver.di-Sekretär Stefan Thyroke fordert, dass die Beschäftigten bei den Verhandlungen vertreten sind. Er hofft, dass sich im Zuge der Kampagne für mehr Lohn der bisher noch sehr geringe gewerkschaftliche Organisierungsgrad in der Branchen erhöht.

Der Berliner Staatssekretär für Soziales, Rainer-Maria Fritsch, wollte sich zu den Forderungen der Assistenten gegenüber ND nicht äußern, weil er den Verhandlungen nicht vorgreifen wolle. Die Sozialexpertinnen von Linkspartei und SPD im Abgeordnetenhaus, Minka Dott und Birgit Monteiro, unterstützen die Forderungen der Beschäftigten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182014.behindertenhelfer-brauchen-hilfe.html

Peter Nowak

Helfer brauchen auch bald Hilfe

SCHLECHTE BEZAHLUNG BehindertenassistentInnen wollen bei Verhandlungen um Löhne mitmischen

Die Verhandlungen um die Bezahlung der rund 1.000 Berliner BehindertenassistentInnen zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden der Ambulanten Dienste e.V. (AD) und dem zuständigen Staatssekretär für Soziales Rainer Maria-Fritsch geht am heutigen Freitag in die nächste Runde. „Seit 2001 wurden unsere Löhne nicht mehr erhöht. Bei Neueinstellungen werden sogar massive Lohnsenkungen vorgenommen“, beschreibt AD-Betriebsrat Carsten Does die Situation. Die Bezahlung ist so schlecht, dass sich viele AssistentInnen mit mehreren Jobs im Pflegebereich über Wasser halten müssen. Andere bekommen als Aufstockung Arbeitslosengeld II.

Das Budget der Assistenzdienste ist Teil einer Vergütungsvereinbarung, die zu Jahresende ausläuft. Die neue Vereinbarung wird zwischen den VertreterInnen der Pflegekassen, der Assistenzdienste und der Senatsverwaltung für Soziales ausgehandelt. Doch die AssistentInnen sind dort nicht vertreten. Sie befürchten, dass ihre Interessen wieder unter den Tisch fallen, so Does.

Diese Einschätzung teilen viele seiner KollegInnen und haben in ihrer Kampagne für eine bessere Bezahlung ungewöhnliche Methoden entwickelt. Dazu gehörte die Ausstellung „Jenseits des Helfersyndroms“ in der Kreuzberger Galerie Zeitzone. Dort wurde auch eine Plakatserie präsentiert, die an verschiedenen Berliner Häuserwänden zu sehen ist. Auf einem Poster hält die Assistentin Heike M. eine Flasche mit Urin in die Kamera. „Behindertenassistenz? Das könnte ich nicht. Und wenn ich dann noch gefragt werde, was ich verdiene, wechsle ich ganz schnell das Thema“, lautet der Begleittext.

Ver.di-Sekretär Stefan Thyroke unterstützt die Forderungen der AssistentInnen. Da sich aber der Organisationsgrad in der Branche in der Promillegrenze bewege, sei die Interessenvertretung schwierig, erklärt Thyroke.

Staatssekretär Fritsch wollte sich gegenüber der taz nicht dazu äußern. Auch in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD) und Minka Dott (Die Linke) blieb er unverbindlich. Auf die Frage, ob der Senat eine Notwendigkeit sieht, die Leistungsentgelte zu erhöhen, antwortete er: „Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F10%2F15%2Fa0115&cHash=d1b7687b1c
Peter Nowak

Krach schlagen für 80 Euro mehr

In Oldenburg demonstrierten Erwerbslose und forderten „mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel“

„Krach schlagen statt Kohldampf schieben. Mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel“, lautete das Motto auf dem Leittransparent einer bundesweiten Erwerbslosendemonstration, die am 10. Oktober durch die Innenstadt von Oldenburg zog. Mit dieser Aktion meldeten sich Betroffene in der seit Wochen vor allem von Politikern und Fachverbänden geführten Debatte über die Höhe der Regelsätze für Hartz IV-Empfänger zu Wort.

Die Demonstration, an der etwa 3.000 Menschen teilnahmen, fand in der Oldenburger Innenstadt starke Beachtung, weil viele Teilnehmer mit Stöcken oder Löffel auf mitgeführte Töpfe oder Fässer schlugen. Damit exportierten sie eine Protestform, die in vielen lateinamerikanischen Staaten seit Langem praktiziert wird. Sie könnte Schule machen.

„Sorgen wir dafür, dass Politiker mit unserem Krach konfrontiert werden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zu den Hartz IV-Sätzen äußern“, meinte Guido Grüner von der Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe bei der Abschlusskundgebung unter großen Applaus.

Heftige Kritik übten Redner auf der Demonstration an der Regierungskoalition. „Die Regelsätze dürfen sich nicht an den sinkenden Löhnen, sondern müssen sich am gestiegenen gesellschaftlichen Reichtum orientierten“, erklärte ALSO-Aktivist Michael Bättig. An die im Demonstrationszug mitlaufenden Mitglieder von SPD und den Grünen richtete er eine Botschaft: „Wir freuen uns, dass ihr dabei sind. Wir vergessen aber nicht, welche Rolle diese Parteien bei der Einführung von Hartz IV gespielt haben.“ Deshalb dürfe es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Man werde genau beobachten, wie SPD und Grüne im Bundesrat mit den von der Bundesregierung vorgelegten Regelsätzen umgehen. Weil die Bundesregierung dort keine Mehrheit hat, könnte die Opposition das Gesetz stoppen.

Milchbauern und Gewerkschafter als Bündnispartner

Auch Gewerkschaftsmitglieder waren mit Fahnen und Emblemen gut sichtbar auf der Demonstration vertreten, was in früheren Zeiten bei Aktionen von Erwerbslosen nicht selbstverständlich war.

Zahlreiche Redner betonten, dass höhere Regelsätze nicht nur den Erwerbslosen nützen. „Mit Hartz IV sind wir gezwungen, bei Aldi und Lidl einzukaufen. Wir wollen aber nicht für den Preiskrieg der Discounter missbraucht werden“, betonte eine Vertreterin einer unabhängigen Erwerbslosengruppe aus Oldenburg. Sie unterstützte ausdrücklich den Kampf der Milchbauern um gerechte Preise für ihre Produkte. Die wiederum unterstützen mit einem eigenen Wagen die Forderungen der Erwerbslosen.

Diese in Oldenburg erreichte Bündnisbreite hat die Erwerbslosen aus der ganzen Republik motiviert. Wenn ähnliche Kooperationen künftig auch in anderen Städten erreicht wird, könnte die Oldenburger Demonstration der Auftakt für ein neues Selbstbewusstsein von Erwerbslosen sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148539

Peter Nowak

Keine Mangelernährung für Hartz-IV-rer

Fragen an Guido Grüner (ALSO, Oldenburg)

Die zentrale Herbstdemonstration gegen das Sparpaket organisiert ein Bündnis von Erwerbslosenorganisationen in Oldenburg. Peter Nowak befragte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO) Oldenburg.

Nach den Anti-Hartz-Protesten gab es kaum noch Widerstand unter Erwerbslosen. Beginnt sich das zu ändern?

Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System. Das war so seit der Einführung 2005, das ist es heute umso mehr, als der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder: Die Leistungen für Kinder wurden in Hartz IV gegenüber der alten Sozialhilfe direkt gekürzt.

Hiergegen regt sich schon lange Widerstand. 2009 brachte er erste Erfolge: eine Schulbeihilfe von 100 Euro jährlich zum 1.8.2009 und ein monatlicher Zuschlag für Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren um rund 35 Euro seit dem 1.7.2009. Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben.

Andere Erwerbslose klagten gegen Hartz IV und gingen bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort wurde dem Gesetzgeber die Verletzung der Menschenwürde durch Hartz IV und dessen unzureichende Leistungen vorgehalten. Demnach müssen die Leistungen bis zum 1.1.2011 «realitätsgerecht und nachvollziehbar» neu festgesetzt werden.

Damit wurde den Regierungsparteien ein Gesetzgebungsverfahren aufgezwungen, das Erwerbslosennetzwerke nutzen wollen. Wir greifen einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens heraus, um deutlich zu machen, dass die Hartz-IV-Leistungen spürbar angehoben werden müssen.

Ist die Forderung nach 80 Euro mehr nicht sehr bescheiden?

Viele kritisieren uns deswegen. Vermutlich haben sie unsere Forderung noch nicht verstanden und sind über das politische Umfeld unserer Forderung im Unklaren. Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, und sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen die Arbeitnehmer unter Druck. Wir wollen diese Entwicklung durch eine Forderung nach höherem Einkommen stoppen – was wir anhand der heutigen Unterversorgung im Bereich der Ernährung konkret erklären können.

Wenn wir diese Forderung durchsetzen, stellen wir mehr in Frage, denn wir gehen damit über die bloße Forderung «mehr Sozialhilfe» hinaus. Wir legen den Finger in die Wunde gesellschaftlich untragbarer Zustände wie die Mangelernährung in Hartz IV, die schikanösen Arbeitsverhältnisse bei Discountern oder die ärmlichen Erzeugerpreise für die Milchbauern… Wir ordnen unsere Forderung ein in den Streit für ein menschenwürdiges Leben, existenzsichernde Leistungen und Mindestlöhne oberhalb der Armut.

80 Euro mehr für gesunde Ernährung steht der Forderung nach einer deutlich höheren Regelleistung oder einer repressionsfreien Grundsicherung überhaupt nicht entgegen. Wir setzen einen thematischen Schwerpunkt und wollen für unsere Forderung gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen, uns Bündnismöglichkeiten eröffnen.

Die Auswertung der EVS-Stichprobe durch das Statistische Bundesamt für die Festsetzung der Höhe des Eckregelsatzes soll bis Ende September vorliegen. Wir gehen Anfang Oktober auf die Straße, weil dann der Gesetzgebungsprozess anlaufen wird. Wir wollen, dass die Parlamentarier ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen.

Hat sich die Zusammenarbeit zwischen den gewerkschaftlichen und den unabhängigen Erwerbslosengruppen verbessert?

Die Forderung und die Ausrichtung unserer Kampagne sind das Ergebnis regelmäßiger Treffen von fünf Erwerbslosennetzwerken und zwei Erwerbsloseninitiativen mit überregionaler Bedeutung in der ersten Jahreshälfte 2010. Dort haben wir zum einen an die Zusammenarbeit bei der Kinderkampagne oder bei der Initiative «Keiner muss allein zum Amt» angeknüpft, die spektrenübergreifend Erfolge brachten. Zu diesem Erfolg hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen erheblich beigetragen.

Zum anderen wurde eine Brücke zur sog. «Triade» geschlagen, also der Forderung: 500 Euro Eckregelsatz, 10 Euro Mindestlohn, 30-Stunden-Woche. Denn die Forderung «80 Euro mehr für Ernährung» greift ein zentrales Moment der Triadenargumentation auf. Dabei spielte – das sei aus Sicht der ALSO betont – keine Rolle, ob die Erwerbslosen den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen oder neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind. So könnte es weiter gehen.

http://www.sozonline.de/2010/10/keine-mangelernaehrung-fuer-hartz-iv-rer/

Peter Nowak

»Krach schlagen statt Kohldampf schieben«

Erwerbslose wollen am Wochenende für höhere Hartz-IV-Regelsätze demonstrieren

Die derzeitige Diskussion um Hartz-IV-Regelsätze ruft auch Erwerbslosengruppen auf den Plan. Am kommenden Sonntag wollen sie in Oldenburg auf die Straße gehen.
»Wir werden jede Möglichkeit nutzen, um bei öffentlichen Auftritten von Mandatsträgern das Thema Hunger auf die Tagesordnung zu bringen«, erklärt der Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland, Martin Behrsing. Der Auftakt wird am kommenden Sonntag eine bundesweite Demonstration der Erwerbslosennetzwerke im niedersächsischen Oldenburg. Unter dem Motto: »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« wollen die Betroffenen auf die Straße gehen, um ihrem Unmut Luft zu machen.. Schon unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung zur Neufestsetzung der Hartz IV-Sätze im Februar 2010 trafen sich Initiativen aus unterschiedlichen Spektren der Erwerbslosenbewegung. Dort verständigte man sich auf die Ausrichtung einer bundesweiten Demonstration in Oldenburg am 10. Oktober.

 Die norddeutsche Stadt ist ganz gewählt worden. Seit Jahren gilt Oldenburg als Hochburg der Erwerbslosenbewegung. Verantwortlich dafür ist die Arbeitsloseninitiative Oldenburg (ALSO). Seit Jahren aktiv, beraten ihre Mitstreiter regelmäßig Erwerbslose und organisierten schon öfter erfolgreiche Demonstrationen. »Ganz konkret fordern wir 80 Euro mehr für Ernährung. Denn mit dem knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen fürs Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren«, erklärt Guido Grüner von der ALSO gegenüber ND. Er will mit dieser Forderung die Armutsspirale durchbrechen. »Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, die BRD soll verfestigt werden als Exportstandort«, erläutert Grüner. »So lange die Leistungen für Erwerbslose – wie es nun geschehen soll – von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet werden sollen, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck – ein Elend ohne Ende«, warnt der Erwerbslosenaktivist.

Schon im Vorfeld der Oldenburger Demonstration sind die Erwerbslosengruppen enger zusammengerückt. Gemeinsam erstellte man eine Zeitung, mit der man in vielen Städten die Forderungen der Erwerbslosen verbreitete. »Es spielt dabei aus Sicht der ALSO keine Rolle, ob die Erwerbslosenzusammenhänge den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen, oder den neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind«, betont Grüner. Die Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen habe sich in der letzten Zeit sehr gut entwickelt.

Dazu passt, dass DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der Demonstration eine große Aufmerksamkeit wünscht – und rege Unterstützung von Gewerkschaftern. »Die Bundesregierung will jetzt ausgerechnet den Ärmsten in die Tasche greifen, statt das Geld da zu suchen, wo es ist, nämlich bei den Besserverdienenden. Diejenigen, die die Krise verursacht haben und jetzt so tun, als wenn nichts gewesen wäre, werden geschont. Diese soziale Schieflage empört nicht nur die Erwerbslosen sondern auch viele Gewerkschafter«, erklärt Buntenbach.

Die Demonstration beginnt am 10. Oktober um 13 Uhr am Oldenburger Hauptbahnhof

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181408.krach-schlagen-statt-kohldampf-schieben.html

Peter Nowak

Gute Arbeit – auch Outdoor

Aktionswoche der Kampagne für saubere Kleidung
Eine Kletterpartie der besonderen Art konnte am Dienstagmittag auf dem Berliner Gendarmenmarkt bestaunt werden. Denn nicht ein Berg war das Kletterziel, sondern ein am Boden aufgespanntes Netz mit den Halteschildern Hungerlöhne, Zwangsüberstunden und Gewerkschaftsverbot.

Diese drei Begriffe beschreiben die Situation der Beschäftigten vieler asiatischer Textilfabriken, in denen ein großer Teil der Textilien für die auch in Deutschland boomende Outdoorbranche hergestellt werden. Gerade dort interessiert sich ein Großteil der Kunden auch für die Bedingungen, unter denen die teuren Textilen produziert werden, meint Julia Thimm. Sie ist Koordinatorin der Eilaktion der Kampagne für saubere Kleidung, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei den Produzenten in der Outdoorbranche einsetzt. Die IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind ebenfalls Teil dieser Kampagne.

Mit einer europaweiten Aktionswoche vom 5. bis 10. Oktober soll deren Anliegen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Aktionen der unterschiedlichsten Art sind vor allem in Deutschland, Tschechien und Österreich geplant. So sollen Postkarten an führende Outdoor-Markenfirmen geschickt werden. Sie werden aufgefordert, »Gipfelstürmer in Sachen Fairness« zu werden. Eine Unterschriftensammlung setzt sich für das gleiche Ziel ein. Mit öffentlichen Theatereinlagen soll bei den Passanten das Interesse geweckt werden. In Berlin hat es funktioniert. Einige Schüler aus NRW, die in Berlin auf Klassenfahrt waren, haben einige Postkarten mitgenommen und wollen sie auch im Freundeskreis verbreiten.

Zu Beginn der Aktionswoche stellte die Kampagne in Berlin ein Gutachten vor, in dem die Rechercheergebnisse zu den Arbeitsbedingungen in vietnamesischen Produktionsstätten zusammengefasst sind, die 15 führende Outdoor-Unternehmen mit Kleidung beliefern.

»Es reicht nur für einige Schüsseln Fleisch oder Gemüse«, berichtet ein Arbeiter aus einem vietnamesischen Zulieferbetrieb der Unternehmen Vaude und Columbia. Ein anderer beklagt das repressive Betriebsklima: »Sollten wir uns verspäten, dann wird der Lohn eines ganzen Tages gestrichen und wir verlieren alle zusätzlichen Boni zum Lohn.« Ein Arbeitstag von 16 Stunden ist in den Fabriken keine Seltenheit. Die Widerstandsmöglichkeiten sind begrenzt, meint Berndt Hinzmann vom INKOTA-Netzwerk, das federführend an der Kampagne für faire Arbeitsbedingungen beteiligt ist. »Das Vertrauen in die offiziellen Gewerkschaften in Vietnam ist nicht groß und unabhängige Gewerkschaften werden häufig verfolgt«.

Allerdings hat Hinzmann auch Positives zu vermelden. Die Zahl der Outdoorfirmen, die sich zumindest offiziell für bessere Arbeitsbedingungen bei der Herstellung ihrer Waren einsetzen, wächst. Die Kampagne will allerdings auch darauf achten, dass es nicht beim Greenwashing bleibt und die Ziele auch ernst genommen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181380.gute-arbeit-auch-outdoor.html

Peter Nowak

Hartz IV zum Selber-Rechnen

Wie viel Geld braucht ein Mensch für ein lebenswürdiges Leben?

Diese Frage beschäftigt Erwerbslose und Medien, seit die Regierung beschlossen hat, die Hartz IV-Sätze um 5 Euro monatlich zu erhöhen. In bewusster Abgrenzung dazu hat eine Dresdner Initiative, die seit langen sozialpolitisch aktiv ist, eine Kampagne gestartet, um den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln.

„Wir möchten dazu anregen, anhand Ihrer praktischen Erfahrung Beispiele dafür zu geben, was für Ausgaben für eine Existenzsicherung nötig sind“, wenden sich die Initiatoren an die Zielgruppe. Für die Einträge wurden im Internet Tabellen und ein Diskussionsforum eingerichtet. Dort soll darüber diskutiert werden, welche Wertigkeit die einzelnen Bedürfnisse haben. Die Initiatoren der Kampagne räumen ein, dass sie sich damit auf schwieriges Terrain begegnen, verteidigen auf der Kampagnenhomepage aber ihre Vorgehensweise.

„Nicht alles ist für alle gleichermaßen wichtig. Bedürfnisse sind immer persönliche Bedürfnisse. Wir denken: nicht alle Lebenssituationen sind miteinander vergleichbar. Trotzdem gibt es unserer Meinung nach die Notwendigkeit, sich über das zu verständigen, was für ein menschenwürdiges Leben in dieser Gesellschaft notwendig ist. Sonst tun es andere. Was dabei heraus kommt sehen wir an den aktuellen ALG II-Regelsätzen“, heißt es dort.

Es wird auch beklagt, dass eine ernsthafte Diskussion über ein angemessenes Arbeitslosengeld II bisher ausgeblieben sei. Dafür hatte man immer nur Abwehrkämpfe gegen wirtschaftsliberale Vorschläge geführt, die einer weiteren Kürzung der Hartz IV-Sätze das Wort redeten. Damit werden aber Initiativen von Erwerbslosengruppen ignoriert, die aus ihrer politischen und gesellschaftlichen Praxis heraus konkrete Forderungen in Bezug auf die Hartz IV-Sätze formulieren.

Weil diese Forderungen im persönlichen Kontakt oft besser als über das Internet zu ermitteln seien, geht am 10. Oktober 2010 ein Bündnis von Gewerkschaften und Erwerbslosengruppen für eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze um 80 Euro monatlich auf die Straße.

Die Diskussion über ein lebenswertes Einkommen ist also durchaus nicht so auf dem Nullpunkt, wie die Initiatoren der Kampagne annehmen. Allerdings scheinen die Aktivisten noch nicht so gut vernetzt zu sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148462

Peter Nowak

Arbeitslose machen Stunk

PROTEST Nur 5 Euro mehr für Hartz-IV-BezieherInnen? Das reicht Arbeitslosen nicht. Deswegen gehen sie am 10. Oktober in Oldenburg auf die Straße

OLDENBURG taz Nach der Ankündigung der Bundesregierung, die Hartz-IV-Regelsätze um fünf Euro zu erhöhen, mobilisieren Erwerbsloseninitiativen aus ganz Deutschland zu einer bundesweiten Demonstration. Unter dem Motto „Krach schlagen statt Kohldampf schieben“ sollen am 10. Oktober tausende erwerbslose Menschen in Oldenburg auf die Straße gehen. Unterstützung erhalten die Hartz-IV-EmpfängerInnen vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB).

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte der taz: „Gerade für Erwerbslose geht es um viel, wenn die Rentenbeiträge oder das Elterngeld für Hartz-IV-BezieherInnen gestrichen werden sollen.“

Zurzeit werben Aktivisten vor Job-Centern in ganz Deutschland für die Protestaktion. „Wir fordern 80 Euro mehr für Ernährung. Von den knapp 120 Euro, die bislang im Regelsatz eines Erwachsenen für Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend und gesund ernähren“, sagte Mitorganisator Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg.

Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen sagte: „Höhere Leistungen können nur politisch gegen massive Widerstände aus Politik und Wirtschaft erkämpft werden.“ Neben der politischen Debatte müsse daher nun auch Druck auf der Straße entstehen.

Der DGB selbst plant keine bundesweiten Großdemonstrationen. Zwar wollen einzelne gewerkschaftliche Gruppen Busse zur Arbeitslosen-Demo in Oldenburg schicken. Anders als ArbeitnehmerInnen, die mit den Gewerkschaften über einen hohen Organisationsgrad verfügen, sind Erwerbslose vor allem lokal organisiert – wenn sie überhaupt organisiert sind.

„Bereits eine Demonstration wie die in Oldenburg ist für viele Erwerbslose blanker Existenzkampf“, sagt Anne Seeck vom lokalen Erwerbslosentreff in Berlin-Neukölln. Martin Künkler sieht allerdings einen „qualitativen Sprung“ in der Zusammenarbeit unterschiedlicher Erwerbslosengruppen in den vergangenen Monaten.

„Zusammen wollen wir Druck machen für höhere Hartz-IV-Sätze, Erwerbslose ermutigen, für ihre Interessen einzutreten.“ Dass das nicht allzu leicht werden dürfte, zeigt die Geschichte der Erwerbslosenkämpfe.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2010%2F09%2F29%2Fa0048&cHash=b9c38742

Peter Noak

Mindestlohn als Dumpingbremse

Ver.di: Postmindestlohnverordnung hatte positive Effekte

Fast anderthalb Jahre gab es einen allgemein verbindlichen Mindestlohn für die Briefdienstebranche. Ob und wie er gewirkt hat, ließ ver.di nun untersuchen.

Im Januar hatte das Bundesverwaltungsgericht eine erste Mindestlohnverordnung für die Briefbranche wegen Formfehlern gekippt. Darin war die zwischen dem von der Deutschen Post AG dominierten Arbeitgeberverband Postdienste und ver.di vereinbarte Lohnuntergrenze von 9,80 Euro im Westen und 9,00 Euro im Osten als verbindlich für die gesamte Branche festgelegt worden. Die Unternehmen in der Branche mauern seitdem  und  verweisen  auf negative Auswirkungen auf die  Arbeitsplätze. In großen Teilen der Medien wird diese Argumentation übernommen und selbst bei manchen Mitarbeitern in der Branche stoßen sie auf offene Ohren,  wie Demonstrationen von Beschäftigten der PIN-AG gegen den Mindestlohn zeigten. Am 21. September hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Berlin eine von ihr in Auftrag gegebene und von der der Input-Consulting GmbH erarbeitete Studie zu den Auswirkungen der Postmindestlohnverordnung, die vom 1. Januar 2008 bis 30. April 2010 in Kraft war,  vorgestellt.       

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der allgemeinverbindlich erklärte Postmindestlohn nur von wenigen Firmen außerhalb der Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbands Postdienste e.V. tatsächlich bezahlt wurde.  Trotz der  begrenzten Anwendung konstatierte Claus Zanker von der Input-Consulting GmbH positive Auswirkungen auf die Lohnentwicklung durch die Mindestlohnverordnung.  Selbst die Unternehmen, die den Mindestlohn durch konkurrierende Tarifverträge umgangen haben, hätten damit Lohnuntergrenzen festgeschrieben, die über dem bislang in der Branche gezahlten Lohnniveau lagen. Positiv habe sich auch ausgewirkt, dass die Briefdienstleister und ihre Beschäftigungsbedingungen mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Mindestlöhne unter einer erhöhten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und ihrer Kunden lagen, erläuterte Zanker. Er kam zu dem Fazit, dass der Postmindestlohn trotz seiner nur sehr eingeschränkten direkten Anwendung eine stabilisierende Wirkung auf die Beschäftigung in der Branche hatte und als „Dumpingbremse“ gewirkt hat.

Kollateralschaden PIN-AG

Zanker ging auch auf die Pleite der PIN-AG ein, die von den Unternehmern als Paradebeispiel für den negativen Einfluss des Mindestlohns auf die Branche angeführt wird. Ein Mindestlohn, der nicht gezahlt wurde, kann dafür nicht verantwortlich sein, wies Zanker diesen Vorwurf zurück. „Nachweislich wurde der Zusammenbruch der PIN-Group durch Missmanagement, strategische Fehleinschätzungen der Eigentümer und eine prekäre wirtschaftliche Situation vieler PIN-Unternehmen bereits vor Einführung des Postmindestlohns ausgelöst“, erklärte er. Auf Grundlage der Daten lasse  sich ein vom Postmindestlohn angeblich verursachter umfassender Beschäftigungsrückgang nicht nachweisen, fasste Zanker die Ergebnisse zusammen.

Neuer Anlauf für einen Postmindestlohn

Die Stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis bezeichnete die Studie als Beitrag zu einer sachgerechten Auseinandersetzung mit dem Thema Postmindestlohn. „Unser Ziel ist nicht mehr und nicht weniger, als einen neuen Anlauf für einen über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für allgemein verbindlich zu erklärenden Post-Mindestlohn zu nehmen“, benannte sie  das Vorhaben von ver.di. Dazu werde man das Gespräch mit den beiden Arbeitgeberverbänden in der Branche suchen.

 https://www.neues-deutschland.de/artikel/180124.mindestlohn-als-dumpingbremse.html

Peter Nowak

Aktionstage für alle Unzufriedenen

SOZIALES Erwerbslose und Stadtteilinitiativen planen Aktionen gegen Sparpolitik und Umstrukturierung

„Am 1. 10. 2010 geht es los“, heißt es im Aufruf zu den Berliner Aktionstagen. Bis zum 10.Oktober soll dann mit dezentralen Aktionen in Berlin gegen Sparpolitik und Stadtumstrukturierung protestiert werden. Stadtteilinitiativen, Erwerbslosengruppen und soziale AktivistInnen wollen in diesen Tagen ihre Themen bündeln. Im Aufruf werden ausdrücklich „alle Unzufriedenen und Überflüssigen“ angesprochen, die sich von Parteien und Gewerkschaften nicht vertreten fühlen.

Die Herbstaktionstage starten am 1. Oktober mit dem Aufbau eines Temporären Sozialen Zentrums vor dem Neuköllner Jobcenter. Dort sollen Erwerbslose nicht nur Tipps im Umgang mit ihren FallmanagerInnen erhalten. Auf Wunsch werden sie auch auf das Amt begleitet. „Das ist eine große Unterstützung für Menschen, denen Geld verweigert wird oder die auf die Bearbeitung ihrer Anträge warten“, sagt Erwerbslosenaktivistin Elke Wießler der taz. Am 4. Oktober wollen die AktivistInnen ab 11 Uhr mit einem Umsonstbüffet auf dem Weddinger Leopoldplatz der Kommerzialisierung des städtischen Raums entgegentreten.

Während solche Aktionen in den vergangenen Jahren öfter stattfanden, soll am 10. Oktober mit einer politischen Wohnungsbesichtigung eine in Berlin recht neue Aktionsform erprobt werden. Die AktivistInnen wollen sich in die Schlange von InteressentInnen an teuren Loft einreihen und ein politisches Happening organisieren. Weitere Themen der Aktionstage sind der kostenlose öffentliche Nahverkehr und der Kampf um die kostenlose Bildung. Doch die Liste wächst noch. PETER NOWAK

 Interessierte können auf der moderierten Kampagnenhomepage berlinonsale.blogsport.de weitere Aktionen anmelden

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F09%2F15%2Fa0144&cHash=627b5c6241