Bedrohter Freiraum in Ljubljana

Die slowenische Hauptstadt plant auf dem Gelände des autonomen Zentrums ROG ein neues Museum

Sollte das soziale Zentrum ROG geräumt werden, würde dies eine Lücke in die Subkultur Ljubljanas reißen. Zumal sich ein weiterer Freiraum, das Metelkova, zu einem Ort unpolitischer Partys entwickelt hat.

Ein Fahrrad über dem Eingang ist zum Symbol für das selbstverwaltete Zentrum ROG mitten in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana geworden. Nur knapp 500 Meter von der zentralen Löwenbrücke entfernt, die für Touristen das Tor zur Altstadt bedeutet, hat man vom geräumigen Garten des ROG einen guten Blick auf den Fluss Ljubjanica. Die große hintere Hausfassade macht deutlich, wie geräumig das ehemalige Fabrikgelände ist. Bereits 1871 wurde dort eine Gerberei errichtet, die bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zu den Hauptproduzenten für Lederwaren wurde. Hauptabnehmer waren neben Armee und Marine auch viele europäische Länder.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Lederfabrik verstaatlicht. In den 1950er Jahren veränderten die Geschäftsführer die Produktpalette, und die Fabrik erhielt dadurch einen neuen Namen und ein neues Symbol, das die heutigen Nutzer noch immer hochhalten: In der Fabrik wurden Fahrräder der Marke ROG produziert, was auf Deutsch Horn heißt. In einer Ausstellung, die zurzeit im Städtischen Museum von Ljubljana zu sehen ist, wird die Geschichte der Industrie in und um die slowenische Hauptstadt ausführlich dargestellt.

In einem Film der Ausstellung werden über 20 Beispiele für die aktuelle Deindustrialisierung der Region gezeigt. Dabei werden Aufnahmen von der Fabrik in ihren Hochzeiten der Produktion mit Bildern kontrastiert, wie sich die Gebäude heute darbieten. Meistens sind leere Fabrikgebäude zu sehen. Einzig beim ROG wird in dem Film darauf hingewiesen, dass auf dem Areal ein autonomes Sozialzentrum entstanden ist und sich die aktuellen Nutzer mit der Geschichte des Gebäudes auseinandersetzen.

»Wir hatten Glück, dass hier zum Schluss Fahrräder produziert wurden«, meint der 18-jährige Andrej. Er fährt mit seinem bunten Rennrad auf dem Gelände herum. »Das Fahrrad ist für uns Jugendliche ein Symbol für Freiheit und Autonomie«, meint der Schüler, der seit Jahren im ROG mitarbeitet. Mit der früheren Lederfabrik dagegen kann sich der Veganer nicht identifizieren. Er und seine Freunde gehören zu einer Gruppe von Tierrechtlern, doch das ROG sehen sie hauptsächlich als Freiraum und Ort für Partys und kulturelle Aktivitäten. Das ist auch das Anliegen der meisten anderen Nutzerinnen und Nutzer.

Die Spuren der künstlerischen Arbeit sind auf den ersten Blick zu erkennen. Im Hof stehen zahlreiche Skulpturen, teilweise kunstvoll aus Draht fabriziert und mit dem Abfall der Konsumgesellschaft garniert. Die Geschichte des Geländes in den letzten zwei Jahrzehnten ist eng mit unterschiedlichen Auffassungen von Kunst und Kultur in der Stadt verbunden.

Politisch engagierte Studierende und Künstler besetzten das ROG

1998 wurde das ROG zum Industriekulturerbe erklärt und damit vor dem Abriss bewahrt. Von einem Forschungsprojekt wurde die Fabrik im Jahr 2000 zum Standort für bildende Kunst, Tanz, Musik und Theater vorgeschlagen. Auf dem Gelände gastierte das vierte internationale Festival junger Künstlerinnen und Künstler und die 17. Biennale für Industriedesign. Danach stand das Gelände allerdings wegen finanzieller Engpässe und Unklarheiten über die weiteren Pläne noch einige Jahre leer. Im März 2006 machten schließlich politisch engagierte Studierende, Künstler und soziale Aktivisten dem Leerstand mit der Besetzung ein Ende.

Sie wollten auf dem Areal auch eine Alternative zu einem anderen städtischen Freiraum schaffen, der sich allerdings längst zur Partymeile entwickelt hat: Nur fünf Minuten vom Zentralbahnhof von Ljubljana entfernt befindet sich das Metelkova. Nach dem Abzug der jugoslawischen Armee wurde das Kasernengelände Anfang der 90er Jahre zum Freiraum für Künstler und Politikaktivisten. Ein Infoladen bot vor allem Texte aus dem libertären und anarchistischen Spektrum an. Doch mittlerweile gehen vom Metelkova kaum noch politische Interventionen aus. Als Konzertort und Partymeile ist das günstig gelegene Zentrum vor allem bei jüngeren Menschen sehr gefragt. Jeden Morgen entsorgen die städtischen Reinigungsdienste die Spuren der Partyleute. Der Service gehört zum Vertrag, den die Nutzer des Metelkova mit den städtischen Behörden geschlossen haben.

Das Metelkova ist längst auch ein beliebter Ort für Touristen geworden, die sich für moderne Kunst und Kultur interessieren. Denn unmittelbar an das Gelände schließt sich das erst vor wenigen Jahren eröffnete Museum für moderne Kunst an, das sich häufig positiv auf die verschiedenen Subkulturen der letzten Jahrzehnte bezieht.

Ein eigener Raum dort ist der slowenischen Punkbewegung gewidmet. In Filmbeispielen kann man sehen, wie sich junge Punks Mitte der 1980er Jahre im Sozialismus jugoslawischer Prägung zurechtfanden und oft auch auf Unverständnis stießen. Ein anderer Raum ist der Band Laibach gewidmet, deren Name schon Teil ihrer umstrittenen Kunstinventionen war. Die Band benutzte bewusst den Namen, den die Stadt in der österreichischen Ära hatte und der nach 1945 verpönt war.

Für manche kulturaffinen Ausstellungsbesucher ist das Metelkova längst ein lebendiges Symbol für Subkultur geworden, bevor sie im Museum ausgestellt wird. Dem ROG droht dagegen die Räumung, um einem weiteren Museum Platz zu machen. Nach den Plänen der Stadtverwaltung soll auf dem Gelände das ROG Contemporary Arts Center entstehen, eine staatlich-private Kooperation, mit der angesagte zeitgenössische Kunst in Ljubljana präsentiert werden soll. Die bisherigen Nutzer sollen nach dem Willen der Stadt verschwinden.

Neonazis griffen das soziale Zentrum ROG an

Ein sogenanntes ROG-Lab am Flussufer soll die Veränderungen rund um das Areal begleiten, so der Plan. Mittlerweile sind die Außenwände des Containers, in dem das Lab sein Domizil haben soll, mit Parolen gegen Gentrifikation und Neonazis verziert. Damit positionieren sich die Nutzer und Unterstützer des ROG gegen die Vertreibungspläne der Stadt ebenso wie gegen die Neonaziszene, die zuletzt mit Attacken auf Geflüchtete und auf unangepasste Linke Schlagzeilen machte.

In den frühen Morgenstunden des 11. Juni 2016 griffen etwa 30 Neonazis das ROG mit Steinen und Böllern an. Mehrere Personen wurden bei der Attacke verletzt. Zuvor hatten sich die Nutzer und Unterstützer erfolgreich gegen einen von den städtischen Behörden eingesetzten Sicherheitsdienst gewehrt, der gemeinsam mit der Polizei das Räumungskonzept umsetzen wollten. Auch der Versuch, einige Gebäude abzureißen, scheiterte bislang an der Gegenwehr der Unterstützer. Schließlich wurde der Sicherheitsdienst vom Gelände vertrieben. Die Nutzer des ROG organisieren mittlerweile einen eigenen Sicherheitsdienst, um gegen Angriffe von Neonazis gerüstet zu sein. Für die Rechtsradikalen ist das ROG nicht zuletzt deshalb ein Angriffsziel, weil das Zentrum ein wichtiger Teil der Infrastruktur für die Flüchtlingshilfe in Ljubljana geworden ist.

In diesen Tagen ist es rund um das ROG ruhig. Nur die Aufkleber und Parolen erinnern an die turbulenten Tage im Juni 2016. Eine Räumung droht aber weiterhin.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1038114.bedrohter-freiraum-in-ljubljana.html

Von Peter Nowak

Flexibel ausgeliefert

Basisgewerkschaften rufen internationale Kampagne zur Vernetzung von Arbeitskämpfen bei Lieferdiensten ins Leben

In den letzten Monaten sorgten Arbeitskämpfe in verschiedenen europäischen Ländern für Schlagzeilen, mit denen Beschäftigte von Lieferdiensten wie Deliveroo und Foodora Erfolge bei der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen erreichen konnten. Jetzt haben Basisgewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit deliverunion eine internationale Solidaritätskampagne zur Vernetzung dieser Kämpfe initiiert. Aus Deutschland beteiligen sich die Basisgewerkschaften Freie Arbeiter Union (FAU) und IWW (Industrial Workers of the World).

Ausgangpunkt des internationalen Solidaritätsprojektes war eine Konferenz in Bilbao, wo Basisgewerkschaften aus aller Welt über eine Neuorientierung debattierten. »Der Wunsch nach mehr konkreten gemeinsamen Projekten, intensiverem Austausch und praktischer Klassensolidarität auch über die Grenzen des syndikalistischen Spektrums hinweg prägten diese Diskussion«, hieß es in einem Kongressbericht. Deliverunion ist eines der beschlossenen Projekte. Dabei soll nicht nur auf Italien und Großbritannien geschaut werden, wo bereits Arbeitskämpfe von Beschäftigten bei Lieferdiensten stattfanden. »Auch in Deutschland haben sich die FahrerInnen bereits selbstorganisiert und sich dabei ohne große Vorkenntnisse bisher sehr klug verhalten«, betont Clemens Melzer, Sprecher der Berliner FAU, gegenüber »nd«. Die Beschäftigten hätten sowohl zu ver.di als auch zur FAU Kontakt aufgenommen.

Melzer sieht gute Chancen, dass sich die Kooperation zwischen den renitenten Lieferdienstfahrern und seiner Gewerkschaft vertieft. Er sieht in den Kämpfen der Lieferdienste Sprengkraft. Ein Pluspunkt sei ihre Internationalität. So nutzen viele der Beschäftigten, die von Deliveroo angebotenen Möglichkeiten, sich in andere Länder versetzen zu lassen. Melzer sieht hierin eine gute Gelegenheit, auch die Erfahrungen über Arbeitskämpfe zu verbreiten. Basisgewerkschaften wie die FAU, die bereits seit langem eine »Foreigner Sektion« besitzt, in der Beschäftigte aus den unterschiedlichsten Ländern organisiert sind, könnten hier eine wichtige Rolle bei der Vernetzung spielen.

Der ver.di-Gewerkschaftssekretär Detlef Conrad ist skeptischer, was die dauerhafte Organisationsbereitschaft der jungen flexiblen Lieferdienstmitarbeiter betrifft. »Für viele ist es zudem nur ein Zweitjob neben dem Studium«, gibt er zu bedenken. Die Dienstleistungsgewerkschaft konzentriere sich auf den Teil der Beschäftigten, die dauerhaft an einen Ort beschäftigt sind, betont er. Bei Deliveroo sei man mit der Organisierung ebenso auf einen guten Weg, wie bei dem Unternehmen Bringmeister. Auch bei den Postzustellern der Pin-AG habe seine Gewerkschaft bereits einen erfolgreichen Arbeitskampf geführt.

Anders als die FAU setzt Conrad nicht auf die jungen, flexiblen Lieferdienstmitarbeiter sondern auf Beschäftigte, die aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit nicht mehr leisten können. Meist, weil ihnen nach Jahren auf dem flexiblen Rennrad, der kaputte Rücken einen Strich durch die Rechnung macht. Hier werden Folgekosten für eine krankmachende Arbeit auf die Gesellschaft abgewälzt, meint Conrad, der bei ver.di neben den Lieferdiensten auch für Senioren zuständig ist. Eine eigene bundesweite Verwaltungsstelle nur für die Lieferdienste hält Conrad für denkbar, wenn sich zeige, dass eine relevante Anzahl von Beschäftigten sich bei ver.di organisieren wolle.

Link zur Kampagne:

http://deliverunion.com/

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1037633.flexibel-ausgeliefert.html

Peter Nowak

Das Brexit-Bashing bei Linken und Liberalen geht weiter


Vor allem in Deutschland wird EU-Kritik als moderne Form des Vaterlandsverrats hingestellt

Wenn Linke oder Liberale auflisteten, was ihnen im vergangenen Jahr so besonders sauer aufgestoßen ist, fehlte das Brexit-Votum selten. Die Entscheidung einer knappen Mehrheit der britischen Bevölkerung, sich aus der EU zu verabschieden, rangiert neben der Trump-Wahl und dem internationalen Bedeutungszuwachs von Erdogan und Putin als Indikator für einen weltweiten Rechtsruck.

Nun ist nicht zu bestreiten, dass die Brexit-Kampagne mit großer Mehrheit mit nationalistischen Argumenten geführt wurde. Die Lexit-Kampagne[1] linker Gruppen und einiger kleinerer Gewerkschaften, die mit ganz anderen Argumenten ebenfalls für den Austritt aus der EU warben, hatte es schon in Großbritannien schwer, wahrgenommen zu werden.

Doch in Deutschland wurde sie vor und nach dem Brexit-Votum gezielt ignoriert.

Das zentrale Argument der Lexit-Kampagne wurde nicht einmal diskutiert und kritisiert, sondern einfach nicht beachtet. Es lautet: Die EU in ihrer aktuellen Form ist ein Desaster für Arbeiter-, Gewerkschafts- und Flüchtlingsrechte. Sie ist also gerade nicht die von vielen Linken und Liberalen so hochgelobte Alternative zur nationalistischen Brexit-Kampagne, sondern nur die andere Seite der Medaille.

Deswegen hat das Lexit-Bündnis für einen Austritt aus der EU geworben und kämpft jetzt darum, Mitstreiter dafür zu gewinnen, dass ein Großbritannien außerhalb der EU eben nicht die Flüchtlingsrechte weiter einschränkt. Auch Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte werden nicht am grünen Tisch, sondern in der konkreten Auseinandersetzung verteidigt. Wenn man mitbekommen hat, wie in den letzten Monaten die Arbeitskämpfe in Großbritannien in verschiedenen Bereichen zugekommen haben, könnte das auch schon ein kleiner Erfolg für die Lexit-Kampagne sein, obwohl viele der Streikenden sich selber gar nicht so positionieren wollten.

Schon vor einigen Monaten sorgten Londoner Mitarbeiter von einm Lieferservice-Start-Up mit ihrem Arbeitskampf[2] für Aufmerksamkeit[3]. Vor Weihnachten führten Streiküberlegungen von Beschäftigten der Post, Bahn und des Flugverkehres bei den herrschenden Torys zu Überlegungen, die Notstandsgesetze einzusetzen[4].

Das wäre doch für eine Linke, der angeblich so viel an Europa liegt, eigentlich eine Gelegenheit gewesen, diese transnationale Solidarität mal umzusetzen. Doch die Arbeitskämpfe und die Drohungen der Regierungen dagegen, wurden kaum registriert. Dafür ist noch immer das Lamento über den Brexit groß. Da wird auch die Generationengerechtigkeit ins Spiel gebracht.

Ältere Wähler hatten jüngeren Menschen um ihre Rechte als EU-Bürger gebracht, wird immer wieder behauptet. Um welche Rechte es genau geht, wird natürlich nie spezifiziert. Wenn es den Kritikern ernst wäre, müssten sie auf die deutsche Regierung Druck machen, dass die Briten auch nach einem Austritt nicht sanktioniert werden. Dann würden die vielzitierten jüngeren Briten auch nicht ihre EU-Rechte verlieren.

Aber dieselben Medien, die darüber klagen, setzen sich für harte EU-Austrittsverhandlungen ein und fordern, dass ein Exempel statuiert werden müsse, damit das britische Votum nicht etwa Nachahmer finden könnte. Da gäbe es vor allem in den Ländern der europäischen Peripherie sicher noch einige Kandidaten.


Es sind Länder wie Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, wo durchaus nicht mehr so klar ist, wie ein Votum über die EU heute oder in einigen Monaten dort ausgehen würde. Ja selbst in Griechenland, wo vor zwei Jahren noch viele Syriza gewählt hatten, weil sie hofften, der Austerität zu entkommen und trotzdem in der EU und sogar in der Eurozone bleiben zu können, ist die Ernüchterung mittlerweile groß.

Die Niederlage von Syriza gegen die von Deutschland dominierte EU und deren Austeritätspolitik hat dazu geführt, dass die Enttäuschung auch in die Milieus eingedrungen ist, die noch hofften, es könnte eine andere, einer sozialere EU geben. Doch der Block der „Deutsch-EU“, hier verkörpert von Schäuble, hat die griechischen Politiker vor die Alternative gestellt, Unterwerfung oder ihr müsst die Eurozone verlassen. Seitdem werden die Rechte und Perspektiven vor allem der jüngeren Generation weiter geschmälert, Gewerkschafts- und Arbeitsrechte werden entgegen griechischem Recht weiter eingeschränkt.

So wie in Griechenland passierte und passiert es in Spanien und Portugal. Über einen längeren Zeitraum gab der portugiesische Autor Miguel Szymanski mit seiner Kolumne[5] in der Taz einen Einblick in das Ausmaß von Verzweiflung und Entrechtung, das gerade junge Menschen in diesen Ländern durch die Austeritätspolitik von Deutsch-Europa zu ertragen haben.

Aber merkwürdigerweise wird über diese Rechte junger Menschen, die ihnen durch die konkrete Politik der EU genommen werden, bei denen nicht geredet, die jetzt darüber klagen, die Brexit-Entscheidung habe jungen Briten Rechte als EU-Bürger genommen. Und es scheint auch wenig wahrscheinlich, dass die beeindruckenden Schilderungen der Folgen der Austeritätspolitik, die Szymanski in seinen Kolumnen darlegte, bei manchen bedingungslosen EU-Befürwortern auch nur zum Nachdenken geführt haben könnte.

Denn inhaltlich widerlegt wurde Szymanski nie, es gab keine Gegenargumente, wenn er Kolumne für Kolumne schilderte, wie die Austeritätspolitik seine Länder verarmt und vielen Menschen nicht nur die Hoffnung, sondern auch die Perspektiven raubt. Doch mit seinen Texten wurde so umgegangen wie mit den Argumenten der Lexit-Befürworter. Sie wurden „nicht einmal ignoriert“.

Stattdessen geben ökoliberale Vordenker wie der Taz-Publizist mit guten Kontakten ins grüne Milieu, Peter Unfried, die Parole aus, dass links nur sein könne, wer bedingungslos für EU und Nato ist. Konkret auf die innergrüne Debatte bezogen hat Unfried die Frage auf die Personalien „Merkel versus Wagenknecht“ zugespitzt. Sollten die Grünen – wenn es dafür Mehrheiten gäbe – also eher mit einer Merkel-Union oder mit SPD und einer Linkspartei, in der Wagenknecht eine wichtige Rolle spielt, koalieren?

Für Unfried ist die Antwort klar, Die Grünen werden mit Merkel gehen. Neben dem Credo, links kann nur für die EU und ihre Vertiefung sein, ist das Verhältnis zu Russland ein zweiter Knackpunkt. Dabei leben alte antirussische Klischees wieder auf, mit denen schon die Mehrheit der SPD mit Hurra in den ersten Weltkrieg gezogen ist. Dabei ging es damals nicht darum, das reaktionäre zaristische Regime zu verteidigen – wie auch die Ablehnung, sich aktuell in eine antirussische Mobilisierung einzureihen, natürlich nicht bedeutet, irgendwelche Sympathien mit dem reaktionären Putin-Regime zu haben.

Dabei sollte man nicht verschweigen, dass diese notwendige Trennschärfe auch manche vermeintlich Linke vermissen lassen, die sich gegen die neue antirussische Frontstellung wenden. Und dass heute fast alle rechts von Merkel, bis auf einige Vertriebenenfunktionärinnen wie Erika Steinbach, Putin huldigen, sollte noch einmal mehr verdeutlichen, dass emanzipatorische Politik und Putin-Hochjubelei nicht zu vereinbaren sind. Das Einreihen in die antirussische Front, bei der heute die Grünen an vorderster Linie stehen, allerdings ebenso wenig.


Genau so ist es mit der Haltung einer emanzipatorischen zur real-existierenden „Deutsch-EU“. Genau die sollte immer so benannt werden, wenn gerade deren Befürworter von der EU oder von Europa reden und den Gegnern unterstellen, sie wären ja gegen ein transnationales Bündnis und für die Wiederherstellung von Nationalstaaten.

Nein, es geht gegen diese „Deutsch-EU“, wie sie hier und heute existiert, vielen Menschen Rechte und Chancen nimmt, und in Deutschland eine Schicht von Gewinnern und Nutznießern hat entstehen lassen, die natürlich genau diese Privilegien verteidigen. Dazu gehört ein Großteil dr Grünen, aber auch ehemalige Aktivisten und Funktionäre von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von „Deutsch-Europa“ kooptiert wurden.

Für sie ist eine Infragestellung der „Deutsch-EU“ gleichbedeutend mit dem, was für die Deutschnationalen jeglicher Couleur der Landesverrat war. Und tatsächlich sind die Parallelen frappierend. In der aktuellen EU sind die deutschen Interessen so dominant, dass eine Infragestellung der EU in ihrer heutigen Form auch eine Infragestellung Deutschlands ist. Daher auch die Vehemenz und die Härte, mit der diese Auseinandersetzung geführt wird, die sich nach dem Brexit noch verschärft hat.

Denn nicht das rechte Nein ist es, was dabei stört, sondern die Tatsache, dass Menschen entscheiden, dieses „Deutsch-Europa“ wollen wir nicht mehr, es hat für uns mehrheitlich seine Mythos verloren. Schon 2013 titelte der Spanien-Korrespondent der Taz, Reiner Wandler, „Europa ist am Ende“[6] und hat eigentlich „Deutsch-Europa“ gemeint. Ansonsten liefert er genug Argumente für die Antwort auf Frage, ob es links ist, für oder gegen diese EU zu sein.

War einst von Solidarität die Rede, um das Projekt Europa zu verkaufen, ist jetzt klar, dass diejenigen Recht hatten, die die Union als ein Projekt der Märkte geißelten. In guten Zeiten fielen Brosamen für den Süden ab, in schlechten Zeiten zeigt sich klar, wem Europa nützt. Der deutschen Wirtschaft und den deutschen Banken. Sie verdienten und spekulierten in den heutigen Krisenländern fleißig mit. Während ihre Kunden, die Banken und Sparkassen in Südeuropa bankrott gehen, hat die Austeritätspolitik „Made in Germany“ die Geldgeber aus Deutschland und Frankreich aus der Schusslinie genommen.

Reiner Wandler[7]

Nein, diese Deutsch-EU muss nach dem Brexit hoffentlich noch einige weitere Niederlagen einstecken, damit sich ein transnationales europäisches Projekt entwickeln kann, das bestimmt nicht von Brüssel und Berlin vorgegeben wird. Wann und wie es sich entwickelt, hängt von der Bereitschaft ab, wie wir uns mit den Kämpfen von Menschen und Bewegungen solidarisieren.

Die Unterstützung der kleinen britischen Lexit-Kampagne bei ihren Bemühungen, nicht den Rechten und Nationalisten in einem Großbritannien ohne EU das Feld zu überlassen, könnte ein Anfang ein. Wenn in Großbritannien oder wo auch immer Streikenden mit Notstandsgesetzten gedroht wird, und es folgt eine solidarische Antwort, wäre das auch ein Baustein für ein solches Europa der Basis, das sich gerade deshalb zu verteidigen lohnt, weil es kein „Deutsch-Europa“ ist sondern eine Konsequenz von dessen Scheitern.

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Peter Nowak


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.leftleave.org
[2] http://www.taz.de/!5330318/
[3] http://www.labournet.de/internationales/grossbritannien/arbeitskaempfe-grossbritannien/der-streik-bei-deliveroo-britische-selbststaendige-radkuriere-setzen-ein-signal-gegen-einen-boss-der-keine-app-ist/
[4] http://www.nzz.ch/international/europa/arbeitskaempfe-in-grossbritannien-aerger-ueber-streiks-an-weihnachten-ld.135465
[5] http://www.taz.de/!5260894/
[6] http://www.taz.de/!5069936/
[7] http://www.taz.de/!506993

Wie man migrationspolitische Duftmarken setzt

Geht es um den Kampf gegen Flüchtlinge oder den Kampf gegen den Islamismus? Der Streit über die Einstufung der „sicheren Herkunftsländer“ wird nun im Schatten des Anschlags fortgesetzt

Der Unionspolitiker Armin Schuster[1] hat die SPD und die Grünen nun dazu aufgefordert, ihren Widerstand gegen die Deklarierung weiterer Länder, aus denen eine starke Migration nach Europa geht, zu „sicheren Herkunftsländern“ aufzugeben. Schuster hat sich in den letzten Tagen als Unionspolitiker profiliert, der in der Winterpause seine migrationspolitischen Duftmarken setzen will[2].

Dabei weiß er, dass es in beiden Parteien starke Kräfte gibt, die sich gerne von der Union in diese Richtung drängen lassen. So hat der Tübinger Oberbürgermeister mit grünem Parteibuch, der sich gerne als Kretschmann-Nachfolger geriert, schon in einem Interview[3] klargestellt, dass die Abschiebepolitik überdacht werden müsse, was nichts anderes heißt, als dass sie weiter an die Vorstellungen der besorgten Bürger angepasst werden muss.

Dabei hat Palmer zuvor selbst vor vorgefertigten Urteilen gewarnt. Ein solch falsches Urteil besteht aber darin, die Anschläge von Berlin, Nizza, Brüssel oder wo auch immer zu einem Problem von Migration und Flüchtlingen zu machen. Dabei ist es ein Problem des Islamismus in seiner besonderen Rolle als Islamfaschismus. Darin sind ganz unterschiedliche Menschen verwickelt.

Einige sind hier geboren, konvertiert und wurden zu militanten Islamfaschisten. Andere haben eine migrantische Biographie, haben aber seit Generationen in den europäischen Ländern gelebt. Es wird auch einige Islamisten geben, die im Rahmen der Migration nach Europa gekommen sind bzw. sich dahinter versteckt haben.

Nun aber das Problem der Anschläge zu einem Programm der Migration zu machen und deren Verschärfung zu fordern, ist bestenfalls aktionistische Symbolpolitik, die die Rat- und Hilflosigkeit von Behörden kaschieren soll, die einen längst bekannten und überwachten Islamisten nicht an seinem verbrecherischen Tun hindern konnten. Schlimmstenfalls wollen Politiker ihre politische Agenda im Schatten des Anschlags vorantreiben. Das ist doppelt fatal.

Es macht die Menschen, die die wenigste Unterstützung haben, zu Sündenböcken und es betreibt das Geschäft der Islamisten. Deren erklärtes Ziel besteht darin, mit den Anschlägen die Lebensbedingungen der Moslems in Europa so zu verschlechtern, dass die sich ihnen anschließen.

Deshalb ist es der größte Erfolg in der Strategie der Islamisten, wenn rechte Strömungen stärker werden und rechte Politiker Wahlen gewinnen. Sie brauchen also nur ihre Mordaktionen so zu timen, dass sie den Rechten bei Wahlen nutzen. So können wir auch im Hinblick auf die Wahl an Frankreich und anderswo noch einiges erwarten.

Doch auch die Liberalen und Linken müssen sich nach dem Anschlag von Berlin kritischen Fragen stellen. Sie müssen mehr tun, als sich selber Mut zu machen, dass wir alle besonnen sein sollen und das Leben weitergeht. Sie müssen wissen, dass mit dem Islamfaschismus ein Feind aufgetaucht ist, der neben Besonnenheit auch die Entschlossenheit braucht, ihn mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Hätte ein Neonazi nach dem Vorbild des Münchner Oktoberfestes den Anschlag in Berlin verübt, wäre diese Entschlossenheit sicher zu hören gewesen. Warum wird nicht mit gleicher Verve gegen den Islamfaschismus agiert und dabei auch deutlich gemacht, dass die politische Rechte und die Islamisten sich gegenseitig brauchen? Dabei werden die Linken und Liberalen viele Menschen auf ihrer Seite haben, die sich von ihnen abgewandt haben, weil sie teilweise abgeschreckt sind, von der Ignoranz gegenüber dem Islamismus in Teilen der Linken[4], die manchmal noch als Bündnispartner gesehen werden. So erklärt[5] die Verfasserin der Studie Siding with the Oppressor: The Pro-Islamist Left[6] Maryam Namazie:

Wir haben zwei Schriften veröffentlicht, eine kritisiert die proislamistische Linke, die andere aber die extreme Rechte. Dieser Teil der Linken – und ich sage das als eine Person, die selbst links ist – sieht wegen seiner antiimperialistischen Neigung und seiner antikolonialen Perspektive jeden Widerstand gegen imperialistische Staaten als revolutionäre Kraft. Diese Linke kann nicht verstehen, dass der Islamismus, auch wenn er den westlichen Imperialismus herausfordert, ebenso eine regressive und unterdrückerische Kraft ist.

Es geht nach dem Schema: Der Feind meines Feindes ist mein Verbündeter, daher unterstützt jener Teil der Linken die Islamisten. Sie denken, diese seien eine Widerstandsbewegung wie der ANC in Südafrika gegen die Apartheid. Aber es ist eine grundlegend andere Bewegung, die in den Ländern, in denen sie die Macht übernommen hat, in erster Linie die Linke angegriffen und die Arbeiterbewegung vernichtet hat.

Die Islamisten haben ihre eigenen imperialistischen Projekte, wenn sie die Macht übernehmen. Des Weiteren denkt diese Linke, dass sie eine antirassistische Position einnimmt, dass sie damit Minderheiten verteidigt. Sie sieht nicht, dass Minderheiten keine homogenen Gemeinschaften sind. Sie stellt sich auf die Seite der Islamisten, derjenigen an der Macht, die unterdrückerischen Kräfte, und hilft somit Minderheiten innerhalb der Minderheit zu unterdrücken.

Maryam Namazie[7]

Es sollte sich auch die Frage stellen, warum im syrischen Bürgerkrieg – auch von Teilen der Linken – niemand die Islamisten sehen wollte? Da wurde noch vor wenigen Tagen, weit weg vom Geschehen, ein Massaker der syrischen Truppen und ihrer Verbündeter an einer wehrlosen Zivilgesellschaft angeprangert. Dabei waren schon längst Verhandlungen zur Evakuierung der Zivilbevölkerung angelaufen und die in den Berichten nicht existierenden Islamisten versuchten, diese zu verhindern, in dem sie die dafür vorgesehenen Busse in Brand steckten.

In einer Buchrezension im Neuen Deutschland[8] schreibt Emran Feroz, dass die Al Nusra Front, die Al-Qaida-Filiale in Syrien, von vielen Syrern anerkannt wird und hohen Respekt genießt. Dass Teile der Zivilbevölkerung also zumindest zeitweise mit den Islamisten verbündet waren, sollte aber auch dann gesagt werden, wenn wieder mal das Lamento über die hilflose Zivilbevölkerung gesungen wird.

Dass der Kampf gegen den Islamfaschismus auch ein Signal sein kann, dass ein solches Bündnis Konsequenzen hat, wie es die deutsche Volksgemeinschaft im Mai 1945 in Berlin erfahren musste, kann auch eine linke Konsequenz sein, wenn man den Islamisten als Feind ernst nimmt.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-man-migrationspolitische-Duftmarken-setzt-3580936.html

Peter Nowak


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[3] http://www.deutschlandfunk.de/nach-dem-anschlag-von-berlin-falsch-sind-die-vorgefertigten.694.de.html?dram:article_id=374460
[4] http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55412.html
[5] http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55412.html
[6] http://onelawforall.org.uk/siding-with-the-oppressor-the-pro-islamist-left/
[7] http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55412.html
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1028854.moerderischer-egoismus.html

„Demnächst passiert hier sicher ein Anschlag“

Der auch der eigenen Partei umstrittene AfD-Abgeordnete Marcus Pretzell[1] war der Klassenstreber bei der Verurteilung von Migranten und Merkel nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Als offiziell noch alle von einem ungeklärten Geschehen schrieben, twitterte[2] der rechte Europaabgeordnete unter dem Hashtag „Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei auf? Es sind Merkels Tote.“ (vgl. Berliner Weihnachtsmarkt: Ein Anschlag oder ein Unfall?[3])

Die darauf folgende rituelle Kritik und Empörung[4] war da von Pretzell schon einkalkuliert und sorgte nur dafür, dass seine wenige Zeilen noch bekannter wurden. Denn Pretzell drückt hier nur, noch recht gemäßigt, aus, was in rechten Kreisen so gedacht wird.

Dort wartete man schon lange auf einen solchen Anschlag in Deutschland und der AfD-Politiker dürfte sich seine Zeilen schon im Vorfeld für alle Fälle zurecht gelegt haben. Man muss nur an den Anschlag des faschistoiden Amokläufers in München[5] erinnern, der als Anhänger des norwegischen Nazis Brevik ein Blutbad plante. In rechten Kreisen war die Enttäuschung groß, dass es sich nicht um den lang erwarteten Anschlag der Islamisten handelte. Selbst als der rechte Hintergrund des Münchner Amokläufers nicht mehr zu leugnen war, versuchten die Rechten[6] ihre Version zu retten.

Die rechtskonservative Junge Freiheit zitiert sich gleich selber, bzw. einen von ihr beauftragten Undercover-Journalisten, der sich in eine Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Tempelhof begeben hatte und angeblich zur Einschätzung kam[7]: „Demnächst passiert hier sicher ein Anschlag.“

Dabei fällt auf, dass dieser Satz mal als Zitat eines syrischen Migranten angeführt und dann wieder ebenfalls in Anführungszeichen in indirekter Rede formuliert ist. Das kann ein verzeihlicher Fehler in der redaktionellen Eile sein. Es zeugt aber auch vom Bemühen, besonders schnell in die Öffentlichkeit hinauszuposaunen, dass man es ja schon immer gewusst habe.

Dass die Polizei eben noch erklärte, der Einsatz in der Migrantenunterkunft auf dem Tempelhofer Feld habe nichts mit dem Anschlag am Weihnachtsmarkt zu tun und obwohl die Zweifel wachsen, dass der festgenommene Migrant überhaupt etwas mit dem Anschlag zu tun hat, spielen in der Berichterstattung der rechten Zeitung keine Rolle.

Für Zweifel ist auch beim CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer wenige Stunden nach dem Anschlag kein Platz. Er wiederholt nur, was er seit Monaten fordert, eine Neujustierung der Einwanderungspolitik,[8] und hat nur die Begründung nach dem Anschlag aktualisiert.

Sein Parteifreund Hans Peter Uhl unterstützt Seehofer darin und bringt im Interview mit dem Deutschlandfunk[9] ein weiteres Lieblingsthema in die Debatte.

Sicherheit fällt doch nicht vom Himmel. Sicherheit muss dauerhaft ganzjährig erarbeitet werden von den Fachleuten. Und wenn es Länder gibt wie Griechenland, die versprochen haben, unsere Sicherheit dadurch zu gewährleisten, dass sie die Außengrenzen sichern, und wenn dieses Land Griechenland in einem unverantwortlichen Amnestiegesetz eine Vielzahl von Schwerverbrechern entlässt, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen, dann sind das doch Dinge, die man korrigieren muss. Das heißt, ein Land wie Griechenland gehört aus dem Schengen-Raum vorübergehend ausgeschlossen.

Hans Peter Uhl

Nun kann man sicher viele Interviews finden, in denen der Rechtskonservative Uhl gegen die Linkssozialdemokraten von Syriza agiert. Dass die griechische Regierung nun auch noch entgegen des von Deutschland ausgehenden Austeritätsdiktats die griechischen Rentner nicht noch weiter belasten will, dürfte die Sympathien nicht erhöht haben.

Dass nun aber der Politiker einer deutschen Regierungspartei der Regierung eines EU-Mitglieds vorwirft, Schwerverbrecher freizulassen und deutlich macht, dass das Land keinesfalls in die EU gehört, ist schon ein besonderes Beispiel für deutschnationale Geschichtsvergessenheit.

Schließlich hat Deutschland schon wenige Jahre nach dem Ende des NS großen Druck auf die griechische Regierung gemacht, dass NS-Verbrecher[10], die viele Menschen ermordet hatten[11], freigelassen werden. Da werden sich manche in Griechenland noch an die Berliner Diktate und ihre blutigen Folgen vor 1945 erinnern und man hat den Eindruck, dass Uhl und Co. Griechenland noch immer ihre überaus erfolgreiche Partisanenaktivitäten übel nehmen.

So wird dann schon mal von Uhl der Berliner Anschlag instrumentalisiert, um das Ressentiment gegen Griechenland ausleben zu können. Gerade in der nachrichtenarmen Zeit um Weihnachten werden sich auch weitere Politiker aller Parteien die Chance nicht entgehen lassen, auch mitzuspielen beim populistischen Spiel, wie schaffe ich es, den Anschlag für die eigene Partei und die eigene Politik zu vereinnahmen.

Dabei können sie sich der Rückendeckung von der rechtskonservativen polnischen Regierung ebenso erfreuen wie vom designierten US-Präsidenten Trump. Der sprach im Gleichklang mit den rechten Medien schon kurz nach dem Anschlag von einem islamistischen Anschlag, während die Berliner Polizei und auch viele Medien zunächst von einem Unfall bzw. später von einem mutmaßlichen Anschlag sprachen.

Für besondere Häme sorgte in den Kreisen der Sofort-Bescheidwisser ein Beitrag in der Taz[12], wo es zunächst hieß, ein LKW habe die Menschen auf dem Weihnachtsmarkt getötet. Später wurde die Zeile dann dahingehend korrigiert, dass eben der LKW in die Menge raste. Nun gibt es da eigentlich für diese Häme keinen Grund.

Denn die Taz hat sich mit ihrer Berichterstattung an die Ratschläge der Polizei von Montagabend gehalten, sich aller Spekulationen enthalten, und nur berichtet, was gesichert war. Zu dem Zeitpunkt der Taz-Schlagzeile war eben nur bekannt, dass ein LKW in die Menge gerast war. Ob es sich um einen Unfall oder einen Anschlag handelte oder ob ein noch völlig unbekannter Kontext hinter dem Geschehen steht, ist selbst am Dienstagnachmittag noch nicht ganz klar.

Dass bei der schnellen Produktion der Online-Texte auch etwas missverständliche Formulierungen zu verzeichnen sind, ist wohl nicht verwunderlich. Nur ist der zitierte Beitrag der Jungen Freiheit – wo das Bestreben, dem Ressentiment gegen Migranten Recht zu geben, so groß ist, dass sogar eine indirekte Rede als Zitat gekennzeichnet wird – auf jeden Fall journalistisch weniger zu rechtfertigen als die Taz-Schlagzeile, die eben nur widergibt, was zum Zeitpunkt des Verfassens bekannt war.


Doch die Rechten können triumphieren, wenn sie stolz vermelden, sie haben schon unmittelbar nach dem Anschlag vom islamistischen Anschlag gesprochen – wie auch Trump -, die „Systemmedien“ hätten dagegen erst Stunden später nachgezogen. Dabei zeigt dies nur, dass es ihnen egal ist, was die Ermittlungen ergeben, dass sie die konkreten Tatsachen nicht interessieren.

Sie haben schon lange auf den großen islamistischen Anschlag in Deutschland gewartet, sahen sich bereits in München am Ziel und mussten zurückstecken. Doch das war ihnen keine Lehre. Denn Ressentiments sind nicht Fehler und Versäumnisse, die korrigiert werden können. Wenn sie nun einmal Recht behalten, stimmen sie ein umso lauteres Triumphgeschrei an und machen alle nieder, die tatsächlich an den Ermittlungen der tatsächlichen Ereignisse interessiert sind.

Doch auch Liberale und Linke müssen selbstbewusster sein, ohne ihre Linie aufzugeben, sich an die Tatsachen zu halten und Vorverurteilungen zu vermeiden. Sie müssten sagen, wenn es kein Unfall, sondern ein bewusst herbeigeführtes Ereignis war, dann war es ein Akt des faschistischen Terrors, egal wer die Täter waren.

Ob es Islamfaschisten, Brevik- oder Hitler-Anhänger waren, ist für die Ermittlungen wichtig. Für die politische Beurteilung aber sind es verschiedene Spielarten des Faschismus, die bei allen Unterschiedlichkeiten eines eint: Sie sollen Terror und Schrecken bei allen Menschen erzeugen. Alle Menschen sollen an jedem Ort und zu jeder Zeit in Gefahr sein. Und all die unterschiedlichen Faschisten verehren den Tod und hassen das Leben.

https://www.heise.de/tp/features/Demnaechst-passiert-hier-sicher-ein-Anschlag-3578217.html?view=print


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[5] http://www.heise.de/tp/features/Muenchen-Massenmord-aus-Auslaenderfeindlichkeit-3287743.html
[6] https://juergenelsaesser.wordpress.com/2016/07/23/muenchen-amoklauf-einzeltaeter-nix-mit-dem-islam-zu-tun-wollt-ihr-uns-verarschen/
[7] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/demnaechst-passiert-hier-sicher-ein-anschlag/
[8] https://www.merkur.de/politik/nach-berlin-schock-csu-chef-horst-seehofer-will-zuwanderungs-politik-neu-justieren-zr-7142386.html
[9] http://www.deutschlandfunk.de/hans-peter-uhl-csu-zu-berlin-anschlag-sicherheit-faellt.694.de.html?dram:article_id=374423
[10] https://sites.google.com/site/geokerk/thetrialofmaxmerteninthechangingmirrorsoftimeandplace
[11] http://www.trend.infopartisan.net/trd7800/t537800.htm
[12] http://www.taz.de/Weihnachtsmarkt-in-Berlin/!5368077/

LabourNet braucht Solidarität

Gewerkschaftsplattform fehlt finanzieller Support

»Treffpunkt für Ungehorsame mit und ohne Job«, lautet die Selbstdarstellung der Onlineplattform LabourNet Germany. Es gibt auch LabourNets in sieben anderen Ländern, beispielsweise in den USA und der Türkei. Parteiunabhängigkeit gehört ebenso zu den Grundsätzen der weltweiten Bewegung wie ihr Gewerkschaftspluralismus. Auf der deutschen Plattform finden sich Texte von DGB-Gewerkschaften, aber auch von Basis- und Branchengewerkschaften. Mittlerweile bietet die Plattform LabourNet Germany über 50 000 Dateien, die täglich aktualisiert werden. Aber auch eigene politische Interventionen werden entwickelt und verbreitet. Aktuell bekommt die von LabourNet Germany initiierte Kampagne für die Kündigung der Tarifverträge von DGB-Gewerkschaften in der Leiharbeitsbranche unter dem Motto »Niedriglohn per Tarifvertrag? Schluss damit« viel Aufmerksamkeit.

Diese Arbeit kann eigentlich nur ein Kreis von hauptamtlichen Mitarbeitern bewältigen, mögen viele denken. Doch aus aktuellem Anlass hat LabourNet Germany noch einmal klargestellt, dass lediglich drei Personen dafür sorgen, dass die vielen Nachrichten aus der Arbeitswelt ständig aktualisiert werden. Die Journalistin und Industriesoziologin Mag Wompel ist die verantwortliche Redakteurin von LaborNet Germany, der Übersetzer Helmut Weiss kümmert sich um die internationalen Themen und die Redakteurin Susanne Rohland betreut das Thema gewerkschaftliche Interventionen. Bereits vor einigen Monaten hatten die Mitarbeiter in einem Newsletter angekündigt, dass sie wegen Arbeitsüberlastung einige Themengebiete reduzieren müssen.

LabourNet hat deshalb noch einmal zur Solidarität aufgerufen. Man wollte die Nutzer daran erinnern, dass die Existenz der Plattform keineswegs gesichert ist, erklärt Mag Wompel. Gerade jüngere Leser, die die über 20-jährige Geschichte nicht kennen, würden die Plattform vor allem als Dienstleister betrachten. Wegen Krankheit, Altersarmut oder Tod sei zudem die Zahl der Fördermitglieder rückläufig. Außerdem könnte das Projekt mittelfristig durch den Wegfall eines der Hauptsponsoren gefährdet sein. »Während die Arbeitsbelastung stetig zunimmt und wir eigentlich dringend Verstärkung brauchen würden, erreichte uns kürzlich die Information, dass das für uns vorgesehene Geld bei der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, mit dem der größte Teil der Redaktionskosten finanziert wird, in absehbarer Zeit ausläuft«, erklärte Mag Wompel gegenüber »nd«.

Mit dem Newsletter habe man die Nutzer darauf hinweisen wollen, dass die kritische Plattform nur existieren kann, wenn sie Unterstützung bekommt. »Wir beobachten leider, dass die erfolgte Kommerzialisierung des Internets dazu beigetragen hat, dass auch von nicht-kommerziellen und nicht werbefinanzierten Initiativen bei der Veröffentlichung wie bei der Beantwortung von Anfragen immer höhere Schlagzahlen wie selbstverständlich erwartet werden«, moniert Wompel.

Ans Aufgeben denken sie und ihre beiden Kollegen nicht. Sie fühlen sich durch Lob und Anerkennung aus den unterschiedlichen Spektren des Gewerkschaftsaktivismus ermutigt. »Zum langfristigen Weiterbestehen brauchen wir aber – leider kapitalistisch und banal – mehr Kollegen und Freunde, die uns eben nicht nur brauchen, sondern sich dafür auch finanziell engagieren«, betont Wompel. Gesucht werden Spender und Förderabos.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035790.labournet-braucht-solidaritaet.html

Peter Nowak

Aleppo: Warum gibt es in Deutschland kaum Erleichterung über ein Ende der Kämpfe…

… und die Niederlage der Islamisten? Das hat vielleicht weniger mit der Entwicklung in Syrien als mit der deutschen Geschichte zu tun

„Macht Euch keine Sorgen, bald werden keine Bilder aus Aleppo mehr kommen.“ Dieser Satz auf der Titelseite der Taz[1] über einem Bild von Menschen, die aus einem in diesen Tagen besonders umkämpften Stadtteil von Aleppo ins Nachbarviertel geflohen sind, soll Stimmung machen. „Mehr Macht für die UN-Vollversammlung“, forderte die Publizistin Kirsten Hilberg auf der gleichen Titelseite in einem Kommentar[2]:

Doch Aleppo ist mehr als eine Priorität Assads. Es symbolisiert das Ende einer Ära und sendet international ein fatales Signal. Ruanda, Srebrenica, Grosny – was „nie wieder“ geschehen sollte, wiederholt sich im Jahr 2016 in Echtzeit vor aller Augen und bestens dokumentiert. Der Massenmord in Syrien steht für das Versagen sämtlicher internationaler Institutionen und Mechanismen, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, um Kriege und Kriegsverbrechen zu verhindern. Vereinte Nationen, Internationaler Strafgerichtshof, Genfer Konvention? Lächerlich. Die Botschaft, die von Aleppo an die Machthaber dieser Welt ausgeht, lautet: Ihr könnt Zivilisten töten, so viele ihr wollt, solange ihr einen Freund im Weltsicherheitsrat habt. Aus dem moralischen Anspruch „Nie wieder!“ muss deshalb eine konkrete Anleitung zum Schutz von Zivilisten werden. Etwa so: Bei offensichtlichen Kriegsverbrechen würde man nicht mehr auf Einstimmigkeit im Weltsicherheitsrat warten, sondern die UN-Vollversammlung entscheiden lassen, was zu tun ist – zur Not auch militärisch.

Kristin Helberg

Bei diesen Argumentationslinien fühlt man sich an die 1990er Jahre zurückversetzt, als die einst pazifistischen Grünen kriegsfähig wurden. Wieder einmal geht es darum, einen „Massenmord“ zu verhindern. Nur etwas schlauer ist man in den letzten Jahren doch geworden. Ein neues Auschwitz, wie es damals Grüne herbei halluzinierten, will man in Aleppo nicht verhindern. Doch ansonsten sind alle Elemente vorhanden, um die Schwelle zur Kriegsfähigkeit weiter zu senken.

Dabei wird im Fall Aleppo oft mit Zitaten aus sozialen Netzwerken gearbeitet, die mehr auf das Gefühl als auf Analyse setzen. Das wird bei dem eingangs angeführten Zitat besonders deutlich. Es sagt erst einmal nur aus, dass sich Menschen im Kriegsgebiet nichts Sehnlicheres wünschen, als ein Ende der Kämpfe.

Das ist auch die Version der Journalistin Karin Leukefeld, eine der wenigen Pressevertreter, die bis zum Schluss in Syrien akkreditiert waren. Ihr wird aber sicherlich nicht zu Unrecht, eine gewisse politische Nähe zum Baathismus nachgesagt. Doch durch ihre Recherchen vor Ort gelang es ihr, ein Bild der syrischen Gesellschaft zu zeigen, dass sich den Gut-Böse-Einteilungen entzieht, die gerade in der letzten Zeit in den großen Teilen der Medien in Deutschland Konjunktur haben.

Daher sollte man bei allen Vorbehalten gegenüber Leukefelds recht unkritischer Haltung zur syrischen Regierung, ihre Schlussfolgerung, dass viele Einwohner Aleppos, unabhängig von ihrer Haltung zum Regime über ein Ende der Kämpfe froh sind, nicht vorschnell als einseitig abtun.

„Ob man für oder gegen die Regierung ist, spielt für viele Menschen in Aleppo schon lange keine Rolle mehr. Sie wollen vor allem den Kämpfen entkommen. Insofern gibt es im Gebiet unter Kontrolle der Regierung durchaus Personen, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, die aber noch viel weniger damit einverstanden sind, dass die Opposition sich von bewaffneten Gruppen unterstützen lässt“, so Leukefelds Einschätzung[3] der Situation in Aleppo.

Sie weist auch darauf hin, dass in Aleppo nicht eine wehrlose Zivilbevölkerung einem hochgerüsteten Regime gegenüberstand. Es gab bewaffnete islamistische Formationen, die gegen die Regierungstruppen gekämpft haben, und so gab es auch in allen Teilen Aleppos, in den Bereichen, die von der Regierung gehalten wurden, ebenso von den von der bewaffneten Opposition beherrschten Regionen, Verwüstung und Tod. Und dann gab es noch in den von der Opposition beherrschten Teilen Aleppos den islamistischen Terror, der merkwürdigerweise von vielen Kommentatoren der Ereignisse gar nicht erwähnt wird.

„Man darf nicht vergessen, dass Menschen auf der Straße hingerichtet wurden, dass die Frauen sich tief verschleiern mussten“, so Leukefeld. Man sollte auch nicht vergessen, dass viele Aktivisten der demokratischen Opposition, die einst gegen das Baath-Regime rebellierten, Opfer dieser Islamisten wurden. Doch nachdem Russland in den Konflikt eingriff und auch noch Erfolge zu verzeichnen hatte, schienen sich für manche diese Islamisten in Luft aufgelöst zu haben.

Zu den eifrigsten Leugnern des Islamismus in Syrien gehörte Bente Scheller[4], die das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut[5] leitet und vorher in Afghanistan war. Haben einst die Marketenderinnen die Kriegsplätze des Mittelalters abgegrast, so übernehmen diese Rolle heute Mitarbeiter von bestimmten Institutionen.

In einem Taz-Beitrag stellt sie die steile These auf, dass Assad mit Hilfe Russlands einen Massenmord verübt[6]. Besonders abstrus ist der Vorwurf an die Friedensbewegung, weitgehend tatenlos zuzusehen. Denn unabhängig davon, was man von deren Positionierung hält, ist die Friedensbewegung in Deutschland doch weitgehend marginalisiert und hat nun wirklich keinen Einfluss auf das was in Syrien passiert oder nicht passiert. Doch Scheller geht es um etwas Anderes. Sie will den Krieg in Syrien nicht beenden sondern verlängern:

An die Stelle einer Verantwortungsmoral ist die Gesinnungsmoral getreten. Lieber bleibt man seinem schlichten Weltverständnis treu, nachdem westliche Waffen keinen Frieden schaffen, als sich damit auseinanderzusetzen, dass nicht jeder Konflikt sich lösen lässt, ohne militärische Optionen auch nur zu erwägen. Das syrische Regime hat an keiner Stelle Konzessionen gemacht. Es nutzt das internationale Feigenblatt der Verhandlungen, um in seinem Schatten eine gnadenlose Militäroffensive gegen die eigene Bevölkerung zu vollstrecken – etwas, das gerade Pazifisten umtreiben sollte.

Bente Scheller

In ihrem Artikel ist von den verschiedenen islamistischen Banden, die in vielen Gebieten die Opposition vertrieben haben, nicht ein einziges Mal die Rede. Dafür wird viel Verständnis für die bewaffnete Opposition und nicht einmal verbal eine Distanz zu deren radikalislamistischen Fraktionen geäußert. Die Zitate aus sozialen Netzwerken, mit denen die Menschen, die in den Kampfgebieten wohnten, ihre Ohnmacht und Verzweiflung äußerten, werden instrumentalisiert.

Es wird nicht einmal die Überlegung angestellt, ob die Menschen nicht vor allem ein Ende der Kämpfe wollten. So könnte der Sieg der Regierung und ihrer Unterstützer tatsächlich auch für die Gegner des Regimes eine gute Nachricht sein. Jetzt können sie wieder Kraft schöpfen und sich auf den Widerstand gegen Assad konzentrierten, was in der Zeit viel schwieriger war, als die Bewaffneten die Szene beherrschten.

Warum gibt es in den Tagen, in denen in Aleppo vielleicht diese Bilder tatsächlich niemand mehr zu sehen bekommt, weil der Krieg vorerst zumindest dort beendet und die Islamisten vertrieben sind, kaum irgendwo eine Stimme, die darin eine Chance für die leidgeprüfte Bevölkerung sieht. Warum wird jetzt sogar in vielen Medien davor gewarnt, dass der künftige US-Präsident Trump in der Syrienfrage die Kooperation mit Russland sucht?

Die Erklärung sollte weniger in Syrien als in der deutschen Geschichte gesucht werden. Die fast durchweg negative Berichterstattung über die russische Intervention in Syrien noch verschärft durch einen möglichen Beistands Trumps wirkt wohl für manche in Deutschland so, als würde noch einmal eine Anti-Hitler-Koalition entstehen. Dieses Mal aber gegen den Islamismus, der in manchen Aspekten durchaus faschistische Züge hatte.

Der Begriff des Islamfaschismus kann durchaus auf einige der Formationen angewandt werden, die auch in Syrien ihr Unwesen trieben. Wenn jetzt in den deutschen Medien gar keine Erleichterung aufkommt, dass in der zweitgrößten Stadt Syriens diese Kräfte besiegt sind und die Bevölkerung jetzt zumindest keine Angst vor den Bomben und den Islamfaschisten mehr haben muss, könnte das durchaus daran liegen, dass im unterbewussten kollektiven Gedächtnis manche an Berlin 1945 dachten.

Für die meisten Deutschen waren die Soldaten der Roten Armee auch nur „die Russen“, und damals waren sie mit den USA verbündet. Man stelle sich nur vor, Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge[7] hätte aus ihrem toten Winkel[8] in der Reichskanzlei die Möglichkeit gehabt, die sozialen Netzwerke über die Situation im Berlin in den letzten Wochen vor dem Ende des NS zu füttern. Man hätte genügend Zitate über tote Kinder, über zerbombte Häuser, über Hunger und Not finden können und man hätte damit das sogenannte Gewissen der Welt überzeugen können, doch abzulassen von der Forderung der bedingungslosen Kapitulation des NS.

Diese Vorstellung war in Deutschland weit verbreitet und deswegen hat sich auch ein Großteil der Bevölkerung nicht befreit, sondern von fremden Truppen erobert gesehen. Kann nicht hier ein Grund liegen, dass so viele gar kein gutes Wort über den Sieg über die Islamisten in Aleppo finden können?

In den 1980er Jahren haben Publizisten wie Eike Geisel[9] und Wolfgang Pohrt[10] die Befindlichkeiten der damaligen deutschen Friedensbewegung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands abgeglichen[11]. Es wäre heute an der Zeit in ähnlicher Weise die aktuellen Befindlichkeiten deutscher Medien und Politiker im Syrienkonflikt zu hinterfragen. Sieht man nicht heute in den Russen und den fremden Truppen, die in Syrien die Islamisten besiegt haben, die Wiedergänger der Alliierten, die in Berlin für Deutschlands bedingungslose Kapitulation durchsetzten?

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[1] https://www.taz.de/Katastrophale-Lage-in-Aleppo/!5362452/
[2] https://www.taz.de/Kommentar-Kaempfe-um-Aleppo/!5362341/
[3] http://www.n-tv.de/politik/Die-Syrer-wollen-ein-Ende-der-Kaempfe-article19323121.html
[4] https://www.boell.de/de/person/bente-scheller
[5] https://www.boell.de/de/navigation/naher-mittlerer-osten-5293.html
[6] https://www.boell.de/de/2016/12/12/beim-sterben-wegsehen
[7] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=12218257X
[8] http://www.imdb.com/title/tt0311320
[9] http://www.hagalil.com/archiv/98/06/geisel.htm
[10] https://www.perlentaucher.de/autor/wolfgang-pohrt.html
[11] http://www.zeit.de/1981/45/ein-volk-ein-reich-ein-frieden

Rebellisches Schlesien. Geschichte über soziale Kämpfe in Oberschlesien

DVD von Darius Zalega polnisch mit Untertiteln

Der Film stellt eine Region als Ort von Kämpfen und Streiks vor, die oft mit deutschnationalen Ansprüchen konnotiert ist

Der Titel mag manche Linke irritieren. Denn wenn es um Schlesien geht, sind oft die Vertriebenenverbände nicht weit und deren Rebellion gegen die Anerkennung von historischen Tatsachen nach der Niederlage des NS ist manches noch in schlechter Erinnerung. Doch darum geht in dem Film nicht. Er ist vielmehr eine einstündige Lektion in Geschichte von Unten in einer Region in Polen, die einmal Schlesien hieß. Der Film beginnt am Ende der Epoche, die die HistorikerInnen aus Verlegenheit Mittelalter genannt haben. Der Begriff soll nur dazu diesen, eine Brücke zwischen der Antike und der Neuzeit herzustellen. Was weniger bekannt ist: Mitte des 16. Jahrhunderts gab es wichtige Neuerungen im Bergbau –  und massive Kämpfe der Beschäftigten. Mit den blutig niedergeschlagenen Protesten der Bergleute beginnt der Film und endet in den 90er Jahren als sich erneut Lohnabhängige gegen die Abwicklung ihrer Arbeitsplätze wehren. Dazwischen finden sich fast 500 Jahre Geschichte von Unten am Beispiel einer Region, die ein Zentrum der ArbeiterInnenklasse war.

Abwechselnd auf Deutsch und Polnisch berichten die ChronistInnen von den unterschiedlichen Kämpfen. Was sich viele Jüngere vielleicht nicht vorstellen können. Es gab ein Leben vor dem Internet und auch damals verbreitete sich die Kunde von Streiks, Kundgebungen und Demonstrationen schnell. Dafür sorgten unter Anderem Lieder, in denen die Kämpfe besungen, AusbeuterInnen verspottet und Opfer der Repression des Staates und der Polizei besungen wurden. Wir lernen in dem Film auch davon einige dieser Lieder kennen.

Regisseur des Filmes, der bereits vor Wochen in Katowice Premiere hatte, ist Dariusz Zalega. Er stößt damit auch eine Diskussion über eine Gedenkpolitik an. Schließlich gibt es bis heute keinen Erinnerungsort für die 17 vom Militär während eines Streiks im Januar 1919 Ermordeten. Sie demonstrierten für Lohnerhöhungen im damaligen Königshütte, dem heutigen Chorzów, als das Militär schoss. Nun sollte sich in Deutschland bloß niemand über eine ungenügende Gedenkpolitik in Polen empören. Für die über 40 Toten, die vor Januar 1920 vor dem Reichstag erschossen wurden, als Berliner ArbeiterInnen gegen die Entmachtung der nach der Novemberrevolution gestärkten ArbeiterInnenräte protestieren, gibt es bis heute ebenfalls keinen Erinnerungsort. Es gäbe viele Beispiele mehr. Rebellisches Schlesischen macht an einen Landstrich deutlich, dass es eine Geschichte der Kämpfe und Revolte gab, die durchaus nicht abgeschlossen ist. Wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen, sollten wir uns auch fragen, ob wir die unabgegoltenen Forderungen der damaligen Kämpfe heute nicht noch immer aktuell sind. So sollte eine aktuelle Beschäftigung mit der rebellischen Geschichte in Schlesien und anderswo nicht bei einer Diskussion über Gedenkorte stehen bleiben Am besten erinnern wir an die Kämpfe und die, die daran beteiligt waren, die in diesen Kämpfen verfolgt, verwundet und ermordet wurden, wenn wir die damaligen Forderungen heute wieder aufnehmen und dabei auf darauf verweisen, dass dafür schon lange vor uns Menschen auf den Barrikaden gestanden haben. Es ist die alte Frage, woher wir kommen, wohin wir gehen. Dafür ist es notwendig, dass wir die Kämpfe von damals kennen, dass wir mehr über die ProtagonistInnen erfahren, ihre Träume, ihre Utopien, ihre Erfolge und ihre Niederlagen. Daher sind Filme wie „Rebellisches Schlesien“ so wichtig.

Artikelübersicht Dezember 2016

Peter Nowak

Der Fall Rosenberg

»Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen.« So beginnt Silvia Plaths Roman »Die Glasglocke«. Sie erinnert an die jüdischen Kommunist_innen Ethel und Julius Rosenberg, die wegen Atomspionage für die Sowjetunion am 19. Juli 1953 in New York hingerichtet wurden. »Der Antisemitismus war in dem Verfahren gegen die Rosenberg untrennbar mit dem Antikommunismus verbunden«, schreiben die Antisemitismusforscherin Sina Arnold und der Historiker Olaf Kistenmacher in ihrem Buch über den »Fall Rosenberg«. Sie weisen nach, wie sich das Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus« in den USA verbreitete, während zeitgleich die stalinistischen kommunistischen Parteien in Osteuropa gegen den jüdischen »Kosmopolitismus« mobil machten. In einem eigenen Kapitel widmen sich die Autor_innen der Hetze gegen Ethel Rosenberg. Ihr nahm der Großteil der Medien übel, dass sie als Mutter zweier Kinder nicht das Leben einer Hausfrau führte. »Im Tierreich spricht man davon, dass Weibchen die tödlicheren Spezies seien. Man kann das auf den Fall Ethel und Julius Rosenberg übertragen«, schrieb die Boulevardzeitung New York World Telegram. Arnold und Kistenmacher haben mit dem Buch einen neuen Zugang zum Fall Rosenberg gefunden. Die Literaturliste und das Verzeichnis der Theaterstücke und Filme zum Fall Rosenberg bieten denen Anregungen, die sich weiter informieren wollen.

Peter Nowak

https://www.akweb.de/ak_s/ak622/09.htm

Sina Arnold und Olaf Kistenmacher: Der Fall Ethel und Julius Rosenberg, Antikommunismus, Antisemitismus und Sexismus in den USA zu Beginn des Kalten Krieges. Edition Assemblage, 96 Seiten, 12,80 EUR.

Die Mär von der liberalen Merkel-CDU und von Merkels Willkommenskultur

Union schließt sich rechter Kampagne gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung an, unter Merkels Willkommenskultur wurde das Asylrecht drastisch verschärft

„Wir Bayern müssen, wenn die Geschichte es erfordert, notfalls die letzten Preußen werden.“ Dieses wenig bekannte Bekenntnis von Franz Josef Strauß findet sich auf der Homepage der CSU-Bundesabgeordneten Iris Eberl[1]. Sie könnte dort auch an das Bonmot ihres politischen Lehrmeisters erinnern, dass rechts von der CSU nur die Wand sein soll.

Eberl praktiziert diesen Grundsatz sehr genau, wenn sie sich im CSU-Organ Bayernkurier unter der Überschrift: „Meinungsfreiheit – Wir können nicht den Bock zum Gärtner machen“[2] gegen eine Unterstützung der Amadeu-Antonio-Stiftung[3] ausspricht. Die hat sich mit ihrer Förderung einer demokratischen Gesellschaft den Hass aller Rechten auf sich gezogen[4]. Eberl ist da nur eine besonders eifrige Kämpferin gegen eine angeblich linke Meinungsdiktatur.

„Wie kann es sein, dass in unserem demokratischen Rechtsstaat die Definitionshoheit darüber, was im politischen Diskurs erlaubt ist und was daraus verschwinden muss, einer linken Aktivistengruppe überlassen wird?“ Schon die Fragestellung zeigt, dass Eberl wenig Berührungsängste mit dem rechten Rand hat. Daher lässt sie sich auch von der rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit mit der Forderung an Bundesinnenminister Heiko Maas zitieren[5], die Kooperation mit der Amadeu-Stiftung zu beenden und die finanzielle Förderung zu überprüfen.

Nun ist Eberl damit weder in der CSU noch in deren Schwesternpartei CDU isoliert. So wird im Bayernkurier beklagt, dass durch die Förderung der Amadeu Stiftung „Staatsknete an Linksextremisten“ fließe. Da brauchen die zahlreichen Pegida-Redner, die derlei in den letzten Monaten immer wieder behauptet haben, also nur aus einer den Regierungsparteien nahe stehenden Zeitung zitieren. Neben Eberl haben auch zahlreiche weitere Politiker von CSU und CDU in den letzten Monaten Stimmung gegen die Stiftung verschärft.

Aktueller Stichwortgeber ist der selbsternannte Anti-Stasi-Kämpfer aus Hamm, Hubertus Knabe, der sich wohl nicht zufällig Kahanes Stasi-Akte noch einmal angesehen hat. Sie hat allerdings ihre Tätigkeit für die Stasi nie verschwiegen, aber auch ihren Bruch mit der DDR deutlich gemacht. Wenn Knabe nun titelt „Stasi-IM als Netzspionin?“[6] erweist er sich als Stichwortgeber einer rechten Kampagne[7], die bereits seit Monaten im Gange ist und das Fragezeichen einfach weglässt.

Der Politologe Samuel Salzborn hat in einem wissenschaftlichen Gutachten[8] die rechte Kampagne gegen die Stiftung und dabei auch die Rolle der Union gut beschrieben. Dass nun auch die Junge Union auf dem CDU-Bundesparteigtag den Antrag „Staatliche Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung stoppen!“[9] einbrachte und dieser beschlossen[10] wurde, ist also nur konsequent. Es zeigt, dass die rechte Kampagne in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Gefordert wird eine Überwachung durch den Verfassungsschutz und eine Wiedereinführung der Extremismusklausel.

Erstaunlich sind hingegen die Reaktionen aus Medien und Politik, die den Eindruck erwecken, da hätten einige Rechte den Parteitag gekapert. Größere Aufmerksamkeit bekam der Beschluss zur Ablehnung der Doppelten Staatsbürgerschaft, der schließlich auch eine knappe Mehrheit bekam. Auch hier zeugt die Reaktion zumindest von einem Kurzzeitgedächtnis. Ist schon vergessen, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch vor knapp 15 Jahren mit seiner Ablehnung gegen die damals von rot-grün geplante doppelte Staatsbürgerschaft Wahlkampf machte und gewann? Er initiierte eine rechtlich unverbindliche, aber politisch sehr wirksame Unterschriftenaktion, an der sich vom ersten Tag an auch die extreme Rechte beteiligte.

Dass der Beschluss auf dem CDU-Parteitag ein überraschender Rechtsruck ist, der die Union politisch isoliert, hat wenig mit der Realität zu tun. Es wird sich zeigen, ob sie mit solchen Beschlüssen nicht nach dem Vorbild von Koch Wahlen gewinnen kann. Dann würden auch die Stimmen der Vertreter von SPD und Grünen, die sich jetzt empört geben, ganz anders klingen. Wenn die dann überhaupt noch gebraucht werden zur Regierungsbildung.


Manche halten sogar eine absolute Mehrheit der Union bei den nächsten Bundestagswahlen für nicht unwahrscheinlich. Da könnte eine Arbeitsteilung gute Hilfestellung ergeben. Weil sich Merkel verbal von dem Beschluss zur Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft distanziert, bleibt sie weiterhin ein Bezugspunkt für manche Liberale und Linke. Um die Basis vor der Wahl der AfD abzuhalten, wird der Beschluss auch gegen Merkels Bekundungen im Wahlkampf eine Rolle spielen.

Doch wie die linksliberalen Merkel-Unterstützer beharrlich darüber hinweggesehen haben, dass die Kampagne gegen die Amadeu Stiftung von Unionspolitikern munitioniert wird, wollen sie sich auch eine andere Fama nicht ausreden lassen: Dass Deutschland unter Bundeskanzlerin Merkel das Land der Willkommenskultur für Geflüchtete ist. Diese Überzeugung haben nicht nur Rechte aller Couleur, die dagegen Sturm laufen und Merkel zum Feindbild erklären. Auch bis weit ins linke Milieu gilt Merkel als das freundliche Gesicht Deutschlands, die sich für die Rechte der Migranten einsetzt.

Ein ganz anderes Bild zeichnet die aktuelle Ausgabe der Publikation „Cilip – Bürgerrechte und Polizei“ mit dem Schwerpunktthema „Überwachung, Verdatung und Sanktionen. Die neuen Maßnahmen gegen Geflüchtete“[11]. Das Heft widmet sich in 10 Kapiteln den massiven Verschärfungen des Asylrechts, die die Regierungskoalition seit Herbst 2015 im Windschatten der Debatten über die Willkommenskultur durchgesetzt hat.

Der Cilip-Mitherausgeber Heiner Busch sieht in den Bedrohungsszenarien, die nicht nur von ultrarechten Kreisen verbreitet wurden, einen wichtigen Grund, dass diese Gesetzesverschärfungen ohne relevanten Widerstand möglich wurden. Busch zitierte den Staatsrechtler Udo Di Fabio, der in seinem im Januar 2016 für die bayerische Landesregierung erstellten Gutachten[12] schrieb: „Kann ein Staat die massenhafte Einreise von Menschen in sein Territorium nicht mehr kontrollieren, ist ebenfalls seine Staatlichkeit in Gefahr.“ Solche Sätze lieferten nicht nur der bayerischen Staatsregierung[13], sondern allen rechten Gegnern der Flüchtlinge die passenden Stichworte. Sie liefern auch die Rechtfertigung, für die verschärfte staatliche Gewalt gegen Geflüchtete und Migranten.

„Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen mag verfassungswidrig sein, aber eine Obergrenze für symbolische Gesetzgebung mit habhaften, gar gewaltsamen Folgen für die davon Betroffenen ist vorerst nicht in Sicht“, lautet das ernüchternde Fazit[14] von Heiner Busch über die von vielen so hochgelobte Flüchtlingspolitik von Merkel.

Im aktuellen Cilip-Heft gibt es für diesen Befund zahlreiche Beispiele im Detail. So beschreibt das Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie[15], Christoph Schröder, wie seit Sommer 2015 die Polizei zahlreiche Aufgaben der Asyl- und Sozialbehörden übernommen hat. Was als Ausnahmesituation angesichts des Andrangs der Geflüchteten gerechtfertigt wurde, ist längst zum Normalzustand geworden Die Folge der Verpolizeilichung der Flüchtlingsarbeit bedeutet auch eine Einschränkung der Rechte für die Menschen: „Die zahlreichen Polizisten übertrugen die Arbeitsstrukturen und Organisationsformen aus dem Polizeialltag auf das Flüchtlingsmanagement“, so Schröder.

Der Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats[16], Stefan Dünnwald, bezeichnet die in dem Bundesland eingerichteten Ankunfts- und Rückführungszentren[17] für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten als Orte der Ausgrenzung und der Rechtlosigkeit.

Der Referent für Innenpolitik bei der Linksfraktion Dieter Burczyk zeigte am Beispiel von zwei neuen Gesetzen, wie die Geflüchteten zum riesigen Datenpool für viele Behörden werden. Der ebenfalls als Referent für die Linkspartei arbeitende Matthias Monroy beschreibt, wie mit Verweis auf angebliche Schleusertätigkeiten die Befugnisse von Polizei und V-Leuten in den letzten Monaten massiv ausgeweitet wurden. Dabei wird auf die Ermittlungen im Ausland besonderer Wert gelegt. Ein wichtiger Kooperationspartner für die verdeckten Ermittler ist nach wie vor die Türkei, wo der V-Leute Einsatz für Festnahmen sorge

Die Berliner Rechtsanwältin Anja Lederer ging in ihren Beitrag[18] auf die 2016 beschlossenen Verschärfungen im Ausweisungsrecht ein. Es diene der Disziplinierung der Menschen ohne deutschen Pass und sanktioniere Handlungen, die nach dem Strafrecht nicht verfolgt würden“, so ihr Fazit.

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[2] http://www.bayernkurier.de/inland/18978-der-bock-als-gaertner
[3] http://www.amadeu-antonio-stiftung.de
[4] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/2016/salzborn-gutachten
[5] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/kahanes-stasi-vergangenheit-sorgt-weiter-fuer-kritik/)
[6] https://twitter.com/hubertus_knabe/status/805083398884757504
[7] http://www.tagesspiegel.de/politik/trotz-rechter-kampagne-weiter-staatsgeld-fuer-amadeu-antonio-stiftung/14940904.html
[8] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/salzborn-gutachten-aas-als-meinungsfreiheit-getarnter-hass.pdf
[9] https://data.junge-union.de/pdf/2016/10/26/4722-58107cbed18c4.pdf
[10] https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/cdupt16_ueberwiesene_antraege_0.pdf?file=1
[11] https://www.cilip.de/2016/10/04/111-oktober-2016-die-neue-fremdenpolizei/
[12] http://www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/01/Gutachten_Bay_DiFabio_formatiert.pdf
[13] http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/gutachten-udo-di-fabios-zur-grenzsicherung-14010809.html
[14] https://www.cilip.de/2016/11/02/neu-alte-fremdenpolizei-mit-staatlicher-gewalt-gegen-gefluechtete-und-migrantinnen/
[15] http://www.grundrechtekomitee.de/
[16] http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/
[17] http://mediendienst-integration.de/artikel/studie-hildegard-lagrenne-stiftung-kinderrechte-von-roma-asylbewerbern-in-aufnahme-und-rueckfuehrung.html
[18] http://www.cilip.de/2016/11/07/ausweisung-reloaded-gesetzgebung-unter-dem-vorwand-von-koeln/

Wie proeuropäisch muss die Linke sein?

Die Linkspartei geht mit den Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch in die Bundestagswah

Mit der Nominierung der Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch für die Bundestagswahl hat die Linke eine der überflüssigsten Personaldebatten vorerst entschieden. Es fragt sich, was die Parteivorsitzenden Bernd Riexinger und Katja Kipping geritten hat, dass sie dieser Debatte überhaupt so lange Nahrung gegeben haben.

Warum haben sie nicht gleich erklärt, dass sie schon deshalb keine Ambitionen für die Spitzenkandidatur haben, weil sie die Trennung von Partei und Parlamentsmandat hochhalten? Dieser Grundsatz gehörte ja mal zu den demokratischen Errungenschaften der frühen Grünen, der natürlich sofort über Bord geworfen wurde, als sie nicht mehr Staat und Nation kritisierten, sondern mitgestalten wollten.

Gerade einer Partei wie der Linken, die ja auch eine Wurzel im autoritären Nominalsozialismus hatte, stände eine solche Trennung gut an. Es wird ja häufig inner- und außerhalb der Linken über die Konsequenzen aus ihrer Geschichte diskutiert. Meistens ist das nur eine Steilvorlage für die Übernahme liberaler und marktkonformer Regierungstechniken.

Der Fundus rätekommunistischer, linkssozialistischer und linksdemokratischer Konzepte wird hingegen bei dieser Debatte wenig in Anspruch genommen. Dann bietet sich schon mal die Gelegenheit, die Trennung von Parteiamt und Parlamentsfunktion hochzuhalten und die Linke erweckt den Eindruck, als hätte sie von einer solchen Debatte und den langen Kampf darum bei den Grünen nie etwas gehört.

Dass jetzt Wagenknecht und Bartsch Spitzenkandidaten der Partei sein werden, wird übrigens auch von den Befürwortern dieser Konstellation kaum mit der Debatte um die Trennung von Partei und Mandat verknüpft. Es ging vor allem um parteiinterne Machtspiele und Befindlichkeiten. So wurde auch darauf geachtet, dass in einem vierköpfigen Spitzenteam auch Riexinger und Kipping vertreten sind.

Dabei wird das komplexe Gemengelage bei den Linkssozialdemokraten verkürzt dargestellt und auf Wagenknecht zugespitzt[1], die sich die Sachverwalter der marktgerechten Demokratie und auch manche ihrer Nachwuchskräfte im linksalternativen Bereich zur Buhfrau im roten Kostüm auserkoren haben.

Da sie bei der Frage der Migration oft Untertöne vertritt, wie sie auch von SPD und Union vertreten werden, wird sie beharrlich in die Nähe der AfD gerückt. Das machen besonders gerne grünennahe Kräfte, die sich so als besonders migrantenfreundlich profilieren wollen. Dabei wird gerne unterschlagen, dass die Mehrheit der Grünen die Verschärfungen in der Asylgesetzgebung mitgetragen haben.

Wagenknecht hat aber mit ihrer Partei dagegen votiert. Ist das nicht auch ein Beispiel für die Macht des Postfaktischen, vom der in der letzten Zeit immer so viel zu lesen ist? Dabei hat Wagenknecht in der jüngeren Vergangenheit viel dafür investiert, um als Frau der linken Mitte wahrgenommen werden. Ihre Herkunft aus der Kommunistischen Plattform wird von ihr gar nicht mal erwähnt. Statt Marx lobt sie Ludwig Erhardt. Im Taz-Gespräch[2] übt sie sich mit Interviewpartnern von SPD- und Grünen im Small Talk und macht so den Eindruck, dass an ihr eine Kooperation links von der Union nicht scheitern werde.

Sogar auf ein Treffen mit Siegmar Gabriel[3] lässt sie sich ein, obwohl doch klar ist, dass es nur dazu dienen soll, dem früheren SPD-Popbeauftragten im innerparteilichen Kampf um die Kanzlerkandidatur Punkte zu bringen. Derselbe Gabriel hat mit der Nominierung des Agenda-21-Befürworters Steinmeier zum Bundespräsidenten-Kandidaten eigentlich schon genügend deutlich gemacht hat, dass er nicht mal für symbolische Erfolge bereit ist, die ein Verrücken der Stellschrauben nach links anzeigen würden.

Aber Wagenknecht hat ihrerseits schon mehrmals gezeigt, dass sie gelernt hat, wie stark man sich stromlinienförmig machen muss, um in der marktgerechten Demokratie mitspielen zu können.

Doch noch scheint Wagenknecht nicht ganz so glattgeschliffen. In der EU-Frage wagt sie es noch, dem herrschenden Mantra etwas entgegen zu setzen. Gerade einen Tag nach dem Referendum in Italien und der Präsidentenwahl in Österreich wird uns eingetrichtert, die eine Entscheidung sei gut, die andere schlecht für Europa.

Besonders der Ausgang der Wahl in Österreich wurde als großer Sieg für Europa erklärt. Dass in dieser Sprechweise ein bestimmtes Europa als gesetzt gilt, wird gar nicht erwähnt. Tatsächlich hatte der Nationalist Hofer keinen Austritt aus der EU im Sinn, er strebte allerdings eine engere Kooperation mit den Visagrad-Staaten und unter Umständen mit Russland an. Gehören die eigentlich nicht zu Europa?

Das wird suggeriert, wenn die Niederlage von Hofer als Sieg für Europa dargestellt wird. Dabei gäbe es wahrlich genug Gründe, Hofers Politik als rassistisch, nationalistisch etc. zu kritisieren. Doch dann müsste auch gefragt werden, ob das nicht auch für viele der Kräfte gilt, die sich hinter den Alpen-Kretschmann Van der Bellen gestellt haben.

Dazu gehört auch die ÖVP, die in den letzten Monaten die Restriktionen gegen Migranten durchsetzte, die die FPÖ immer forderte. Daher wird mit den Begriffen „EU-freundlich“ oder „EU-feindlich“ agiert, der aber gerade die am wenigsten geeignete Kritikkategorie ist. Dass dann ausgerechnet Wolfgang Schäuble das große Wort über EU-Feindlichkeit führt, ist der eigentliche Treppenwitz der Geschichte oder, um es modern auszudrücken, ein Sieg des Postfaktischen.

Denn wenn der Begriff „EU-Feind“ einen Sinn hat, wäre Schäuble mit seiner Politik der erste Anwärter dafür. Er wollte Griechenland aus dem Euro drängen und hat dieses Ziel anscheinend noch nicht aufgegeben. Gerade werden erneut die Daumenschrauben gegen Griechenland angezogen, das sich seit mehr als einem Jahr dem von Schäuble umgesetzten Austeritätskurs völlig unterworfen hat.

Erst kürzlich brachte Schäuble wieder den Grexit ins Gespräch[4]. Damit soll die Syriza-Regierung gefügig gemacht werden, um in die Tariffreiheit einzugreifen und die Rechte der Gewerkschaften zu beschneiden[5]. Gibt es nicht gute Gründe, einem solchen Europa feindlich gegenüber zu stehen?

Wenn alles als „EU-feindlich“ deklariert wird, was sich gegen Schäuble und die von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik wendet, sollte die Bezeichnung als Auszeichnung verstanden werden. Hier könnten sich neue Streitpunkte für die Linke auftun.

Während es dort viele Kräfte gibt, die sich als linker Flügel der proeuropäischen Kräfte gerieren und damit auch das deutsche Austeritätspolitik nicht grundsätzlich in Frage stellen könne, hatte Wagenknecht sich noch keine Denkverbote auferlegt und den Austritt aus Eurozone und EU nicht zu einer Frage über Sein und Nichtsein gemacht.


Es ist schlicht eine demokratische Möglichkeit, sich gegen diese EU und dieses Europa zu stellen. Für eine linke Partei ist es sogar eine Frage ihrer Überlebensfähigkeit. Als Feigenblatt des proeuropäischen Lagers, dem es um den Standort „Deutsch-Europa“ geht, wäre eine Linke schlicht überflüssig. Das hat sich im letzten Jahr am Schicksal von Syriza gezeigt.

Gerade weil sie keinen Plan B jenseits dieser EU hatte, ist sie an ihren eigentlichen solidarischen Ansprüchen gescheitert. Podemos sollte in Spanien ebenso auf die Pro-EU-Linke gebracht werden. In Frankreich hat Hollande mit seinem Einknicken vor diesem „Deutsch-Europa“ nicht nur seine Wiederwahl unmöglich gemacht, sondern auch die linken Kräfte in die Marginalität gestürzt.

Sollte es im nächsten Jahr nicht zu einer Konstellation kommen, wo eine Nationalistin mit sozialen Touch und ein selbsternannter Thatcherist in die Stichwahlen als Alternativen gelten, dann wäre das dem Linkssozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon[6] zu verdanken, der manchen als französische Version von Oskar Lafontaine gilt.

Wenn Mélenchon es tatsächlich schafft[7], dann wäre das auch seinem Widerstand gegen jenes „Deutsch-Europa“ à la Schäuble und Merkel zu verdanken. Hier zeigt sich, wie nötig eine linke EU-Kritik ist, um den Rechten Einhalt zu gebieten. Hollande hat als Feigenblatt dieses Europa jedes Vertrauen verloren.

Für die Linkspartei in Deutschland hätte eine Positionierung gegen dieses Europa noch einmal eine besondere Bedeutung. In dem Land, das sich mit der EU seinen Hinterhof zusammengezimmert hat, das mit seiner Austeritätspolitik die Lohnabhängigen in den Nachbarländern in einen Dumpingwettbewerb zieht, ist eine Positionierung gegen dieses Europa gleichzeitig eine Absage an dieses Modell-Deutsch-Europa.

Das ist die zeitgemäße Version der Parole der linken Arbeiterbewegung vor 100 Jahre – „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ (Karl Liebknecht). Ein Jahrhundert später müsste es heißen, der Hauptfeind für ein solidarisches Europa ist die Politik des eigenen Landes. Daran sind aber nicht nur Schäuble und Merkel, sondern auch sämtliche Politiker der SPD und fast alle der Grünen beteiligt.

Ein relevanter Flügel der Linkspartei will sich dem anschließen, weil ihr klar ist, dass Minister- und Staatssekretär-Posten nur dann winken. Daher auch die Aversionen, die der heute als gemäßigte Sozialdemokratin auftretenden Wagenknecht entgegenschlägt, weil sie in dieser Frage noch nicht ganz eingeknickt ist.

Zumindest in linkssozialdemokratischen Think Thanks, in dem die Realpolitiker den Ton angeben, scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass eine Linke, nur im Bruch mit den Grundlagen bisheriger rotgrüner Politik[8] eine Zukunft haben kann.

Noch grundsätzlicher in der Herrschaftskritik[9] ist Raul Zelik[10], der in der außerparlamentarischen Linken sozialisiert wurde und seit einigen Monaten im erweiterten Parteivorstand der Linkspartei aktiv ist.

Es ist nur zu befürchten, dass solche grundsätzlichen Kritikansätze auch bei der Linken in den Schubladen oder Datenspeichern verschwinden, wenn sich reale Möglichkeiten des Mitregierens ergeben. Das zeigt sich aktuell in Berlin.

Eigentlich gehen alle davon aus, dass sich bei der Mitgliederbefragung eine starke Mehrheit für einen Eintritt der Partei in den Berliner Senat ausspricht, obwohl es bei Parteitreffen auch viele Gegenstimmen gab, die davor warnten, dass die Linke dann wiederum die sozialen Bewegungen enttäuschen muss.

Zumindest wurde deutlich, dass der Widerspruch gegen ein Mitverwalten über die bekannten antikapitalistischen Nischen der Partei[11] und ihre Protagonisten[12] hinausgeht.

Ein Negativbeispiel der besonderen Art lieferte die Linkspartei in dem Bezirk Lichtenberg. Dort hatte sie als Bürgermeisterkandidatin mit Evrim Sommer eine Feministin kurdischer Herkunft aufgestellt, die auch schon mal eine Antifa-Demonstration im Bezirk angemeldet hatte. Dabei hatte sie Stimmen dazugewonnen, so dass die Partei den Zugriff auf den Bürgermeisterposten bekam.

Doch die innerparteilichen Gegner fanden es unerträglich, dass eine Frau ohne Ost-Biographie, eine Kurdin noch, jetzt ihren Bezirk regieren sollte. Sie lancierten eine Falschmeldung[13] über Sommers Bildungsabschluss und erreichten, dass sie schließlich aufgab[14]. Sehr zur Freude der Rechten aller Couleur.

Nun erklären sich Spitzenpolitiker der Partei[15] mit Sommer gegen die Hetze der NPD solidarisch. Dabei bestünde die größte Solidarität darin, die AfD-Fraktion in den eigenen Reihen zu demaskieren. Das sind die, die nicht von einer kurdischen Feministin vertreten werden wollen, selbst wenn sie Wählerstimmen erzielt. Dafür müsste die Linke konsequenterweise ihren Anspruch auf das Bürgermeisteramt aufgeben. Stattdessen soll nun einer der erklärten Sommer-Gegner nominiert werden.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-proeuropaeisch-muss-die-Linke-sein-3555843.html


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/spiegel/a-1124286.html
[2] http://www.taz.de/!5363056/
[3] http://www.berliner-zeitung.de/politik/rot-rot-gruenes-buendnis-treffen-von-gabriel-und-wagenknecht-naehrt-spekulationen-25210756
[4] http://www.taz.de/!5351622/
[5] https://www.taz.de/EU-Finanzministertreffen-zu-Griechenland/!5359609/
[6] http://melenchon.fr/
[7] http://www.jlm2017.fr/
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1033551.rueckkehr-der-hoffnung.html
[9] http://www.raulzelik.net/kritik-literatur-alltag-theorie/486-macht-gegenmacht-plaedoyer-fuer-einen-perspektivwechsel-nd-8-10-2016
[10] http://www.raulzelik.net/
[11] http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=1705
[12] https://www.sozialismus.info/2016/09/nein-zum-senat-heisst-nicht-rot-rot-gruen
[13] http://www.rbb-online.de/politik/wahl/berlin/bvv/evrim-sommer-bachelor-abschluss-bvv-lichtenberg.html
[14] http://evrimsommer.de/mein-wahlkreis/2016/pressemitteilung-erklaerung-in-eigener-sache.html
[15] http://www.die-linke-lichtenberg.de/politik/aktuelles/

Gerechtigkeit auch für Whistleblower in Deutschland

Die Verantwortlichen für die Wikileaks-Veröffentlichungen aus dem NSA-Ausschuss dürfen auf wenig Verständnis stoßen

Dass Wikileaks an Bedeutung verloren hat und mit seinen Veröffentlichungen kaum noch jemanden erschreckt, zeigen die Reaktionen auf die Veröffentlichung[1] von als geheim deklarierten Material aus den NSA-Untersuchungsausschüssen.

Eine Diskussion über die Inhalte der geleakten Informationen hat gar nicht erst begonnen. Stattdessen wird darüber gestritten, wie die Informationen überhaupt an Wikileaks gelangen konnten. Die Jagd nach den Verantwortlichen hat längst begonnen. Die Justiz hat die Ermittlungen aufgenommen.

Spiegel-Online berichtet[2] zumindest mit Hintergrundinformationen, dass Wikileaks selbst mit dafür gesorgt habe, dass der Kreis der Verdächtigten überschaubar geblieben ist. Schon die Zahl der Personen, die im NSA-Untersuchungsausschuss Zugang zu den Daten ist überschaubar.

Ein inzwischen bei Wikileaks gelöschtes Dokument[3] sei nur Mitgliedern des Auswärtigen Ausschüssen und des Ausschusses für Europaangelegenheiten zugänglich gewesen. Damit wäre der Kreis der möglichen Stichwortgeber noch einmal eingeschränkter.

Eine Veröffentlichungspraxis, die die Sicherheit der Whistleblower gefährdet, ist natürlich enorm ruinös für eine Enthüllungsplattform, die gegründet wurde, um geheime Dokumente öffentlich zu machen. Nun gerät Wikileaks nicht das erste Mal dafür in die Kritik, dass es bei Veröffentlichungen Sicherheitsstandards nicht einhält.

So wurden Dokumente aus Krisengebieten mit Klarnamen von Akteuren online gestellt, die die Genannten massiv gefährden können. Das Veröffentlichen eines Dokuments, das Hinweise auf die Informanten gibt, würde das Vertrauen in Wikileaks noch weiter unterminieren. In letzter Zeit war auch die politische Kritik vor allem an Wikileaks-Gründer Assange lauter geworden.

Dazu zählte seine Inszenierung als politsicher Verfolgter, weil er sich weigert, von der schwedischen Justiz zu Vorwürfen der sexuellen Belästigungen befragen zu lassen, ebenso wie zahlreiche irritierende politische Äußerungen und Verbindungen von Assange.

Doch auch Spiegel-Online verdient kritische Nachfragen nach seinen Quellen. Schließlich wäre es nicht unwahrscheinlich, dass es sich damit auch um Versuche handelt, das Misstrauen gegenüber Wikileaks zu verstärken. Daher wäre es schon wichtig, woher Spiegel-Online die doch sehr speziellen Informationen hat, die auch nur einen kleinen Kreis zugänglich sind.

Dass nun mehr über vermeintliche oder tatsächliche Pannen der Veröffentlichungsplattform als über die Inhalte der geleakten Daten gesprochen wird, hat sich Wikileaks zum größten Teil selber zuzuschreiben. Ein weiterer Grund ist aber die Heuchelei, mit denen auch Politiker der Oppositionsparteien in der NSA-Angelegenheit vorgegangen sind.

Sicher konnte man in den Wochen, in denen der NSA hierzulande Schlagzeilen machte, immer Politiker von Grünen und Linken finden, die sich furchtbar darüber aufregten, dass die USA Freude aushorchen lässt. Meist endete das Lamento mit der Aufforderung an die Bundesregierung und Merkel persönlich, Rückgrat gegenüber den USA zu zeigen und oftmals fehlte der Verweis auf die angeblich fehlende Souveränität Deutschlands nicht.

Dass bei den NSA-Angelegenheiten eigentlich nur Sachen verhandelt wurden, die alle Staaten, die es sich leisten können, so oder ähnlich machen, und dass Deutschland da keine Ausnahme macht, hörte man schon seltener. Da wurde dann Snowden in Deutschland schon mal als Held der Freiheit gefeiert, ihm wurden auch diverse Auszeichnungen in Deutschland verliehen.


Doch immer war auch klar, dass ein deutscher Snowden auch von diesen Oppositionspolitikern bestimmt nicht mit Preisen überhäuft würde. Denn dann ging es ja um deutsche Interessen, die öffentlich gemacht würden und die Menschen, die gefeiert werden, wenn sie in den USA leben, sind schnell Verräter, wenn sie auch in Deutschland Daten transparent machen, die als vertraulich und geheim deklariert werden.

So erklärte das Grüne Mitglied im NSA-Untersuchungsausschuss Konstantin von Notz[4], die Veröffentlichung der Dokumente auf Wikileaks sei nicht hilfreich und schade sogar[5] bei den Bemühungen, die NSA-Angelegenheit im Ausschuss aufzuklären.

Parlamentarische Kontrolle bedeute nicht, dass alles an die Öffentlichkeit gehöre, machte der grüne Parlamentarier die Grenzen der Transparenz deutlich. Nun könnte man ja argumentieren, dass die Veröffentlichungen dafür sorgen, dass jetzt nicht nur ein exklusiver Kreis im NSA-Untersuchungsausschuss die Daten lesen könnten und damit genau die Transparenz hergestellt würde, die ein Bundestagsausschuss niemals gewähren kann, solange die Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Was die Veröffentlichung als geheim deklarierter Dokumente anging, war der linke Flügel der Arbeiterbewegung vor 100 Jahren schon mal weiter. Eine der ersten Maßnahmen der jungen Sowjetregierung war im November 1917 die Veröffentlichung von Dokumenten, die von den Vorgängerregierungen als geheim erklärt hatten.

Auch einige der europäischen Länder, die in den Dokumenten erwähnt wurden, waren über die Transparenzoffensive nicht erfreut. In Bayern war eine der ersten Aktionen der kurzlebigen Räterepublik unter Vorsitz des linken Sozialdemokraten Kurt Eisner die Veröffentlichung[6] von als geheim klassifizierten Dokumenten der deutschen Außenpolitik und Diplomatie. Sie machten deutlich, welchen Anteil Deutschland für den Ausbruch des 1. Weltkriegs hatte.

Die alten Mächte aber auch die Mehrheitssozialdemokratie, die sie beerbte, waren erbost über diese Veröffentlichung. Der Hass auf die Räterepublik und ihre Protagonisten wuchs. Kurt Eisner wurde von einem Mitglied des völkischen Thulegesellschaft[7], einer direkten Vorläuferorganisation der NSDAP ermordet.

Dieses Schicksal würde den Whistleblower nicht drohen, die die NSA-Dokumente an Wikileaks weitergeleitet haben. Doch eine Haftstrafe wäre durchaus denkbar. Sollte es dazu kommen, wird sich zeigen, wer von denen, die in den letzten Jahren Snowden lobten, auch für die hiesigen Whistleblower eintritt.

https://www.heise.de/tp/features/Gerechtigkeit-auch-fuer-Whistleblower-in-Deutschland-3549769.html

Peter Nowak


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[1] https://wikileaks.org/bnd-inquiry/
[2] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/wikileaks-und-nsa-ausschuss-dokument-koennte-informanten-verraten-a-1124153.html
[3] https://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:rBXOJ40BhZMJ:https://wikileaks.org/bnd-inquiry/docs/Bundestag%2520Vorabunterrichtung%2520RfAB%252023.6.2014-1.pdf+&cd=1&hl=de&ct=clnk&gl=de&client=firefox-b
[4] http://von-notz.de/
[5] http://www.deutschlandfunk.de/von-notz-gruene-wikileaks-veroeffentlichung-zu-nsa-schadet.447.de.html?drn:news_id=684551
[6] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bayerische_Dokumente_zum_Kriegsausbruch_und_zum_Versailler_Schuldspruch,_1922
[7] http://www.relinfo.ch/thule/info.html

G20-Gegner: Globalisierungskritik ohne Nationalismus

Die Abgrenzung von Attac gegen rechte Globalisierungskritiker setzt einen klaren Akzent, ansonsten dominieren die alten Event-Rezepte

Nun können die Kritiker und Gegner des G20-Gipfels[1], der im Juli nächsten Jahres in Hamburg stattfinden soll, doch noch in den Räumen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg tagen. Das Hochschulpräsidium wollte zuvor die Räume für die Globalisierungskritiker kündigen, war aber juristisch damit gescheitert[2].

Schon werden von Attac Szenarien vorgestellt, nach denen Demonstranten am 8.Juli die Hamburger Innenstadt füllen sollen. Dabei müssen an diesem Wochenende erst einmal die Widersprüche innerhalb der Protestszene ausgeräumt werden. An einem Punkt dürfte es zumindest keinen Dissens geben. Avancen von rechts werden auch bei den G20-Protesten nicht auf Gegenliebe stoßen.

Kürzlich hat Attac eine Erklärung[3] verabschiedet, in der einer Globalisierungskritik ohne Nationalismus das Wort geredet wird. Die Klarstellung war auch deshalb notwendig geworden, weil rechte und rechtspopulistische Kräfte Auftrieb bekommen, die mit einem Standortnationalismus gegen den Freihandel mobilisieren. Die Wahl von Trump war ein Menetekel.

Wenn er nun tatsächlich Verträge wie TTIP verhindert, ist das Wasser auf die Mühlen nationalistischer Globalisierungskritiker. Mag auch der Kreis der Protestorganisatoren gegen rechte Avancen immun sein, so gilt das längst nicht für alle, die sich in den letzten Jahren an den von ihnen organisierten Protesten beteiligt hatten. So haben die Protestorganisatoren ein Problem, das auch die Linkspartei kennt.

Sie bzw. ihre Vorgängerpartei wurden auch von Menschen gewählt, die sie als Protestpartei wahrnahmen und eben mangels Alternative ihr Kreuz bei den Linksreformisten machten. Das erklärt, warum so viele von ihnen jetzt die AfD wählen. So beteiligten sich auch viele Freihandelsgegner an den von Linken organisierten Demonstrationen, weil es eben keine anderen wahrnehmbaren Akteure auf diesen Gebiet gab.

Das könnte sich mit dem Aufstieg rechter Bewegungen ändern, die noch darauf verweisen können, dass nicht die Linken, sondern Trump TTIP verhindert hätte, wenn er denn in dieser Frage seine Versprechungen einhält.

Interessant könnte es werden, wenn nun die Globalisierungskritiker Anfang Juli die wahrscheinliche Teilnahme von Trump dazu nutzen, um die Massen auf die Straße zu kriegen. Dann soll ausgerechnet jener Politiker, der für eine rechte Globalisierungskritik steht, den linken Globalisierungskritikern als Zugpferd für ihre Proteste dienen. Dabei stellt sich die Frage, welchen Stellenwert dann noch die Globalisierungskritik bei der Mobilisierung hat oder ob es nicht doch eher eine Antifa-Mobilisierung mit etwas globalisierungskritischen Touch sein wird.

Zumal sich ja neben Trump unter den im Juli anreisenden Politikern weitere Personen finden dürften, die sich für eine Antifa-Mobilisierung eignen. Zudem wird es im Juli 2017 Wahlen in Holland gegeben haben, die auch mit einem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Wilders enden könnten, der noch im letzten Jahr als Redner bei Pegida-Kundgebungen aufgetreten ist[4].

Auch in Frankreich finden die Präsidentenwahlen kurz vor dem G20-Gipfel statt. Mit einem Sieg von Le Pen würden die Weichen für die Proteste endgültig auf die Antifa-Schiene geschoben. Doch das Wahlergebnis ist für die Protestbewegung auch dann fatal, wenn Le Pen verliert. Denn ihr Gegenkandidat würde nach den aktuellen Umfragen kein Sozialdemokrat und nicht einmal ein liberaler Konservativer.

Mit Fillon stünde ein ultrakonservativer Traditionalist und Thatcher-Freund in der Stichwahl gegen Le Pen, der bereits angekündigt hat, die Zumutungen gegen die Lohnabhängigen enorm zu verschärfen, damit Frankreich im EU-Rahmen mit Deutschland ökonomisch konkurrieren kann. Er will die von Deutschland ausgehende Austeritätspolitik verschärft umsetzen, gegen die in Frankreich erst vor wenigen Monaten Zugtausende auf die Straßen gingen und gegen die es massive Streiks gab.

Dass ein solcher Kandidat dann von Gewerkschaftern und sozialen Aktivisten gewählt würde, nur um eine sich sozialprotektionistisch gebende Le Pen zu verhindern, glaubt niemand. Käme es zu dieser Konstellation, würde ein Großteil der Menschen sich der Wahl enthalten. Aber auch Le Pen, hätte mit ihrer nationalsozialen Rhetorik gute Chancen. Ein solches Szenario müsste eigentlich ein Weckruf für eine Linke sein, die mit ihren G20-Protesten dabei ist, die viel kritisierte Eventpolitik vergangener Jahrzehnte zu wiederholen.

Wie zu Zeiten von Heiligendamm im Jahr 2007 setzt man 10 Jahre später wieder darauf, Massen zu einem Treffen zu bringen, das für die Mehrheit der Menschen eigentlich völlig irrelevant ist. Die Mehrheit der prekär Beschäftigten und der Erwerbslosen werden die Proteste, wenn überhaupt, über die sozialen Netzwerke mitbekommen. Ihre Lebens- und Arbeitssituation verändert sich mit diesem Gipfel genauso wenig, wie es die Treffen in Heiligendamm, Göteburg, Genua und andere Gipfelorte taten.

Eine Linke, die wieder Relevanz bekommen will, müsste die Proteste und ersten Kämpfe in den neuen prekären Beschäftigungsverhältnissen zur Grundlage ihrer Arbeit machen. Dass sich in Italien Foodora-Beschäftigte in einem Arbeitskampf[5] befinden, kann man in den sozialen Netzwerken[6] erfahren, wird aber viel weniger bekanntgemacht als die neuesten Infos rund um G20.

Dabei ist Foodora auch in Deutschland ein Pionier für prekäre Arbeitsverhältnisse. Dass in der norditalienischen Logistikindustrie migrantische Arbeitskämpfe seit Jahren Arbeitskämpfe auch erfolgreich für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen kämpfen[7], wurde selbst dann in Deutschland nicht bekannter, als am 15. September der Streikposten Abd Elsalam Ahmed Eldanf[8] tödlich verletzt wurde.

Angestoßen durch die Blockupy-Proteste[9] der letzten Jahre gründete sich eine Plattform[10], die sich der Verallgemeinerung solcher transnationalen Arbeitskämpfe widmete. Es ist zu befürchten, dass diese Arbeit in den Mühen der Ebenen durch die Konzentration relevanter Teile der Linken auf den Hamburger Event zu kurz kommt.

Das Blockupy-Netzwerk hat mittlerweile beschlossen, seine Arbeit vorerst einzustellen und alle Kräfte auf den G20-Gipfel zu konzentrieren. Dazu hat sicher auch die geringe Beteiligung an den Berliner Blockupy-Protesten Anfang September beigetragen. Doch da müsste die Frage gestellt werden, ob die Erfolge gewerkschaftlicher und betrieblicher Basisarbeit nicht eher durch Streiks und andere Protestformen am Arbeitsplatz als durch Beteiligung an Demonstrationen gemessen werden.

Mit der Konzentration auf die Proteste in Hamburg hat man sich aber wieder auf die Logik der Massenaufmärsche als Kraftmesser des Erfolgs eingelassen.


Dabei wird es auch zu der Hamburger Mobilisierung wieder zwei völlig konträre Protestlogiken geben. Attac und Co. wollen die Protestszene stärken, um sich dadurch als Vermittler und Verhandler für die Staatsseite besser in Szene setzen zu können.

Je mehr Menschen auf die Straße gehen, desto besser können sie vermitteln, dass es sich hier um relevante Probleme geht, die Instanzen brauchen, die verhandeln und regulieren. Sie bieten sich dann natürlich gleich selber an. Dann gibt es auch noch andere Gruppen im Bündnis, die mit der Logik der Repräsentanz und Verhandlung brechen und die Proteste für Ansätze von Gegenmacht nutzen wollen.

In den Vorbereitungskonferenzen wird dann ausgehandelt, ob und wie diese beiden Logiken zusammengehen und wo die Grenzen sein werden. Dabei werden solche Fragen wie der Termin für die Großdemonstration relevant. Im Vorfeld des G20-Gipfels, wie es Attac und Co präferieren oder während des Gipfels, wie es die Teile des Protestspektrums, die mehr für Konfrontation stehen, vorziehen.

Auch die Kooperation mit dem Staat ist ein alter Streitpunkt bei solchen Konferenzen. Während Attac und viele NGO längst ihren Platz in der Protestecke des G20-Gipfels haben, lehnen andere Gruppen eine solche Form der Lobbyarbeit ab. Es sind auch biographische Fragen dabei zu berücksichtigen.

Viele jüngere Freunde des konfrontativen Protests wechseln mit Abschluss ihrer Ausbildung oder ihres Studiums so ganz langsam in die NGO-Landschaft über, bei der es auch verschiedene Abstufungen der Kritik und des Co-Managements gibt.

Natürlich sind die Staatsapparate dabei keine neutralen Beobachter. Schon mehr als 6 Monate vor Beginn des G20-Gipfels gibt es Streit um das Demonstrationsrecht. Das Komitee für Grundrechte hatte kürzlich in einer Erklärung bedauert[11], dass der rot-grüne Senat sich für eine repressive Linie entschieden hat. Das machen die Menschenrechtler an der Personalie des neuen Polizeipräsidenten fest:

Hartmut Dudde, der unter dem Rechtspopulisten und früheren Innenminister Ronald Schill Karriere gemacht hat, hat in seiner Zeit in der Gesamteinsatzleitung der Bereitschaftspolizei mehrfach Rechtsbrüche begangen. Rechtswidrige Einkesselungen von Versammlungsteilnehmer*innen – so z.B der Kessel in Harlingen beim Castortransport 2010, Verbot von Transparenten aufgrund der Länge, Ingewahrsamnahmen, Auflösung von Versammlungen – immer wieder mussten Gerichte feststellen, dass die Polizei Hamburg unter Leitung von Hartmut Dudde gegen das Versammlungsrecht und die Grundrechte der Bürger*innen verstoßen hat[12].

Komitee für Grundrechte

Als weitere Zeichen für eine Eskalation gegenüber den nicht konsensorientierten Teil der G20-Protestbewegung bewertet das Komitee für Grundrechte die Aufrüstung der Polizei und den Ausbau der Untersuchungsgefängnisse. Doch, wenn es um die Einschränkung von Grundrechten gegen radikale Teile der Protestbewegung geht, braucht man gar nicht bis zum G20-Gipfel zu warten.

In der kommenden Woche plant ein kleines antiimperialistisches Protestbündnis eine Demonstration gegen das in Hamburg tagende OSZE-Treffen. Das Hamburger Abendblatt sieht die Einkaufsfreiheit in Gefahr[13] und stellte sich auf die Seite der um das Weihnachtsgeschäft besorgten Händler.

Dass das Blatt noch Angaben über die politische Vita und den Wohnort des Demoanmelders bekannt gab, ist ein eindeutiger Verstoß gegen den Datenschutz und eine Einschüchterung von potentiellen Teilnehmern und Anmeldern solcher Demonstrationen.

https://www.heise.de/tp/features/G20-Gegner-Globalisierungskritik-ohne-Nationalismus-3549554.html

Peter Nowak


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.g20hamburg.org/de/node
[2] http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/hamburger-senat-muss-raum-fuer-g20-aktionskonferenz-zur-verfuegung-stellen/
[3] http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/-0f177611f2/
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-geert-wilders-bei-kundgebung-in-dresden-a-1028335.html
[5] https://strugglesinitaly.wordpress.com/2016/10/30/foodora-strikes-in-italy-the-dark-side-of-the-sharing-economy/
[6] https://www.facebook.com/notes/deliverance-project/international-news-release-an-extensive-call-to-all-riders-of-europe/1301332033220753
[7] http://de.labournet.tv/die-angst-wegschmeissen
[8] http://de.labournet.tv/node/7064
[9] https://blockupy.org
[10] http://www.transnational-strike.info/
[11] http://www.grundrechtekomitee.de/node/824
[12] https://kleineanfragen.de/hamburg/21/62-eskalationen-und-rechtsver
[13] http://www.abendblatt.de/hamburg/article208735847/OSZE-Gipfel-in-Hamburg-Haendler-in-Sorge-um-ihre-Laeden.html

Kuba und linke Hoffnungen: Ein Gegenmodell des Wirtschaftsliberalismus?

Die kubanische Revolution war Teil des gesellschaftlichen Aufbruchs zu Beginn der 1960er. Daran ist zu erinnern, bevor sich die „Miami-Boys“an ihr Werk machen

Der verstorbene Fidel Castro wird auch von parteiunabhängigen Linken vorschnell in eine Linie mit den sich sozialistisch kostümierenden Staatsbürokraten gestellt. Dabei wird vergessen, welch bedeutende Rolle die kubanische Revolution für die Herausbildung einer Linken spielte, die sich jenseits von Reformismus und Staatssozialismus positionierte.

Für die offizielle Sowjetunion und die Parteien, die sich in ihrem Dunstkreis bewegen, war es schlicht Linksradikalismus. Das fing schon damit an, dass die kubanischen Revolutionäre neben und oft genug im Widerspruch zur Kommunistischen Partei agierten, die in Kuba unter Batista nur am Rande der Legalität existieren konnte.

Mit den Bürokraten konnte man die Revolution nicht gestalten, daher wurde der alte KP-Vorsitzende auf einen Botschafterposten abgeschoben. An der Basis der Kommunistischen Partei war die Sympathie für die Revolutionäre schon bedeutend größer. Viele spielten im revolutionären Kuba eine wichtige Rolle.

Der Sieg der kubanischen Revolution war eine enorme Inspiration vor allem für die Linke auf dem amerikanischen Kontinent. Damit war das Phasenmodell der Kommunistischen Parteien widerlegt, die sich an der Sowjetunion orientierten und Volksfrontbündnisse mit bürgerlichen Kräften propagierte. In der Folge der kubanischen Revolution entstanden in vielen amerikanischen Ländern, später auch auf anderen Kontinenten, Guerilla-Gruppen, die die Revolution so nach dem kubanischen Vorbild vorantreiben wollten.

Sie alle waren Teil des revolutionären Aufbruchs, der seinen Ausgang mit dem Sieg der kubanischen Revolution genommen hatte. Dieser Moment kommt in der europäischen Erzählung über die Aufbrüche der späten1960er Jahren oft zu kurz. Die kubanische Revolution stand nicht nur zeitlich am Beginn des Jahrzehnts, sie setzte auch ein starkes Fanal, das sowohl an den Universitäten des amerikanischen Kontinents, aber auch bei Landarbeiterorganisationen und selbst bei der Theologie der Befreiung spürbar war.

Dabei waren längst nicht nur Guerillagruppen von der kubanischen Revolution inspiriert. Der damalige sozialistische Oppositionspolitiker aus Chile, Salvador Allende, besuchte bereits wenige Monate nach der Revolution Kuba, lernte Fidel und Che, aber auch die Mühen der Ebene in Kuba kennen. Er wurde zu einem großen Freund dieser Revolution und versuchte im Bündnis Unidad Popular die Umwälzungen auch in seinem Land umzusetzen. Daher wurde Allende auch nie zum Sozialdemokraten, den heute manche in ihn sehen wollen. Er behielt eine Grundsympathie zum revolutionären Movimiento de Izquierda Revolucionaria[1], die außerhalb der Unidad Popular blieb, aber solidarisch zu Allende stand.

Die MIR propagierte die Organisierung und Bewaffnung der Armen und orientierte sich stark an der kubanischen Revolution. Von der Kommunistischen Partei Chiles wurde sie als linksradikal bekämpft, Allende verteidigte sie und nach dem Putsch schickte er kurz vor seinem Selbstmord eine Botschaft an den MIR-Vorsitzenden, er solle jetzt seine Leute mobilisieren.

Noch in den 1960er Jahren scherte sich die kubanischen Revolutionäre wenig um sowjetische Dogmen. Der an Trotzki orientierte Theoretiker Ernest Mandel[2] diskutierte mit kubanischen Ministern und Wissenschaftlern über sozialistische Planung[3] und die Abschaffung des Geldes.

Der scharfe Kritiker des sowjetischen Nominalsozialismus[4] Charles Bettelheim[5] war ebenfalls häufig Gast in Kuba und beteiligte sich an der Planungsdebatte[6]. Dabei diskutierten linke Intellektuelle aus aller Welt über die Frage, ob und wie es möglich ist, eine Wirtschaft nach dem Kriterium der Bedürfnisse der Menschen und nicht nach Verwertungsgesichtspunkten zu gestalten.

Es ging dabei auch um die Frage, wie und wann bei der Transformation in eine nichtkapitalistische Gesellschaft das Wertgesetz außer Kraft gesetzt werden kann. Die Debatte wurde auch in den – damals in linksintellektuellen Kreisen sehr populären – von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Kursbüchern[7] dokumentiert.

Das Besondere an der Planungsdebatte bestand eben darin, dass dort Linke unterschiedlicher Couleur mit kubanischen Ministern debattierten[8]. Es war also eine Debatte des linken Pluralismus, wie sie in der Sowjetunion seit den frühen 1920er Jahren nicht mehr möglich waren. Deshalb begeisterten sich auch Linke aus aller Welt für Kuba, die von der Insel neue Impulse für den Kampf um eine egalitäre Gesellschaft erhoffen.

Diese linke Offenheit verschwand in den 1970er Jahren auch in Kuba. Doch, wenn Kuba auch einen Pakt mit dem nominalsozialistischen Block machte, blieb es doch eine wichtige Stimme der Blockfreien-Bewegung. Es gibt in dem sehenswerten Film Rot ist die blaue Luft[9] des französischen Regisseurs Chris Marker[10] eine Szene, in der gezeigt wird, wie Castro den Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten in der Tschechoslowakei widerwillig und sehr umständlich rechtfertigte.

Man spürt und sieht, dass er hier in erster Linie aus bündnispolitischer Räson und nicht aus politischen Überzeugungen die Maßnahme seiner Bündnispartner verteidigte. Damit war auch in dieser Phase Kubas Beitrag zum gesellschaftlichen Aufbruch noch nicht an sein Ende gekommen. Noch in den 1980er Jahren im Kampf gegen das südafrikanische Apartheidregime übte Kuba praktische Solidarität.


Sehr viel später, als Kuba die revolutionären Bestrebungen zugunsten einer sozialistischen Realpolitik zurücknahm, blieb Kuba auf anderen Gebieten Vorbild und leistete auch praktische Selbstkritik. In den ersten Jahrzehnten der Revolution gab es starke Restriktionen gegen Homosexuelle. In den letzten Jahren wurde Kuba zu einem amerikanischen Vorbild für die Gleichberechtigung von Menschen mit unterschiedlicher Sexualität.

Eine wichtige Pionierin dieser Entwicklung war Mariela Castro[11]. Dass sie Fidels Nichte ist, sollte nur am Rande erwähnt werden. Sie ist auf jeden Fall eine Politikerin, die dafür sorgen könnte, dass von Kuba weiterhin emanzipatorische Impulse ausgehen. Aber dazu gehört auch eine offene Debatte über blinde Flecken im Prozess der kubanischen Revolution.

Zur Sprache gebracht werden müssen die starken Repressalien, denen die anarchistischen Strömungen in den ersten Jahren nach der Revolution ausgesetzt waren. Aus libertärer Perspektive[12] gibt es sehr prononcierte Anklagen gegen diese Politik der Verfolgung.

Es gibt allerdings in Lateinamerika auch anarchistische Kräfte, die trotzdem für eine differenzierte Sicht auf die kubanische Revolution eintreten, worauf der anarchistische Publizist und Autor Sebastian Kalicha verweist[13]. Es wäre an der Zeit, eine offene Debatte über diese Repression zu führen, an der sich auch Linke aller Couleur beteiligen.


Die Debatte über Kubas Zukunft sollte nicht den jungen mit US-Geldern gesponserten Instituten ausgebildeten Playern überlassen werden, die nach Castros Tod hoffen, die letzten Reste der Revolution schleifen zu können. So monierte der Blogger [14] in einem Taz-Beitrag[15], dass Kuba in den letzten Jahren keine knallhart wirtschaftsliberale Politik betrieb.

Nach dem Niedergang des sozialistischen Lagers klammerte sich Fidel Castro trotzig an seine pseudomarxistischen Improvisationen und versuchte zum x-ten Mal, durch staatliche Programme den Kommunismus zu erreichen: Er brachte immer mehr Arbeiter unkontrolliert in die Hörsäle der Universitäten, beförderte künstlich angehende Lehrer, ließ Krankenhäuser und Polikliniken bauen und reparieren…

Carlos Manuel Alvarez

Dass also in Kuba auch nach 1989 noch Werte wie Bildung und Gesundheit für Alle zur politischen Maxime gehörte, störte den jungen Miami-Boy Alvarez. Er und viele andere stehen in den Startlöchern und hoffen, die alten Verhältnisse restaurieren zu können.

Als Gegenmittel reicht keine Revolutionsnostalgie mit noch mehr Che- und Fidel-Postern. Es steht vielmehr eine neue Planungsdebatte an, diesmal über die Frage, wie sich Kuba als Gegenmodell zum Wirtschaftsliberalismus weiterentwickeln lässt. Dazu sollten sich wie in der Planungsdebatte der 1960er Jahre die unterschiedlichen emanzipatorischen Strömungen beteiligen, auch die libertären, die damals nicht die Möglichkeiten hatten, sich zu artikulieren.

https://www.heise.de/tp/features/Kuba-und-linke-Hoffnungen-Ein-Gegenmodell-des-Wirtschaftsliberalismus-3513283.html

Peter Nowak


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.archivochile.com/Archivo_Mir/html/mir_1968_sept1973.html
[2] http://www.ernestmandel.org/
[3] http://www.erich-koehler-ddr.de/dokumente/che_planung.html
[4] http://diebuchmacherei.de/produkt/klassenkaempfe-in-der-udssr
[5] http://marxistupdate.blogspot.de/2011/12/on-charles-bettelheim.html
[6] http://www.erich-koehler-ddr.de/dokumente/che_planung.html
[7] http://enzensberger.germlit.rwth-aachen.de/kursbuch.html
[8] http://www.worldcat.org/title/wertgesetz-planung-und-bewusstsein-die-planungsdebatte-in-cuba/oclc/14906
[9] http://www.filmdienst.de/nc/kinokritiken/einzelansicht/rot-ist-die-blaue-luft,50992.html
[10] http://chrismarker.org
[11] http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-08/kuba-mariela-castro-schwule-lesben-gesetz
[12] http://www.black-mosquito.org/index.php/lesen/anarchie/geschichte/anarchismus-auf-kuba.html
[13] https://www.kritisch-lesen.de/rezension/bakunin-versus-marx-auf-kubanisch
[14] http://www.revistaelestornudo.com
[15] http://www.taz.de/!5360786

»Kein Unglücksfall« – Der Tod eines Streikpostens in Italien

Der Tod eines Kollegen auf Streikposten hat Mitte September in Italien zu massiven Protesten geführt. In Deutschland war das – auch in der linken Öffentlichkeit – kaum ein Thema.
„Er ist mit einem Megaphon in der Hand gestorben. Er ist von SEAM [einem Zulieferer von GLS] und GLS getötet worden.“ Das sagten einige KollegInnen von Abd Elsalam Ahmed Eldanf, der am 15. September 2016 bei der Blockade eines bestreikten GLS-Warenlagers in Piacenza von einem Firmenwagen überfahren wurde. Sie klagen damit auch die beiden Unternehmen an, bei denen der in Ägypten geborene Mann seit 2003 gearbeitet hat.
Mit dem Streik wollten die Beschäftigten die unbefristete Anstellung von 13 KollegInnen und die Wiedereinstellung von weiteren KollegInnen, die ihren Job verloren hatten, weil sie Gewerkschaftsmitglieder geworden waren, durchsetzen. Abd Elsalam hatte bereits einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Er beteiligte sich an dem Streik, um seine KollegInnen zu unterstützen. Dieses solidarische Agieren der Beschäftigten kennzeichnet den seit 2008 andauernden Kampfzyklus in der norditalienischen Logistikbranche. „Die meist migrantischen LogistikarbeiterInnen in Italien haben es in den letzten sechs Jahren geschafft, durch militante Streiks ihre menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen grundlegend zu verbessern. Während sie früher regelmäßig bei der Lohnabrechnung betrogen und von den VorarbeiterInnen mit gewalttätiger Arroganz behandelt wurden, haben sie jetzt in vielen Unternehmen normale Bedingungen für sich erkämpft. Wegen dieser Erfolge organisieren sich immer mehr ArbeiterInnen in der Basisgewerkschaft S.I. Cobas und setzen sich mit ihren KollegInnen zur Wehr“, schreibt Bärbel Schönafinger auf der Plattform Labournet.tv. Sie hat einige der italienischen LogistikarbeiterInnen 2014 beim europäischen Treffen von BasisgewerkschafterInnen in Berlin kennengelernt und diese in Norditalien besucht. Aus den Besuchen und Gesprächen ging auch der Film „Die Angst wegschmeißen“ (http://de.labournet.tv/die-angst-wegschmeissen) hervor, mit dem sie den Arbeitskampf in Norditalien in Deutschland bekannter gemacht hat.
Terror gegen Streikende
Für Giorgio Grappi, Sozialwissenschaftler, aktives Mitglied der MigrantInnen-Koordination von Bologna und des Kollektivs »S-Connessioniprecarie« (Prekäre Verbindungen), ist der Tod von Abd Elsalam nicht der tragische Unglücksfall, als den ihn die italienische Justiz darstellt. In einem Interview mit der linken Zeitung Il Manifesto bezeichnet er Abd Elsalams Tod als Höhepunkt der Gewalt, die von Seiten der Unternehmen und des Staates seit Beginn des Kampfzyklus gegen die Streikenden zum Ausdruck kam. „Wer die Arbeitskämpfe der migrantischen ArbeiterInnen in der Logistik verfolgt hat, kennt die Gewalt, die von Unternehmerseite bei den Blockaden ausgeübt wird, die Versuche, sie zu durchbrechen, und die Polizeieinsätze gegen Streikposten sehr genau“, erklärt Grappi. „Youtube ist voll von Videos, die ArbeiterInnen mit schweren Verletzungen zeigen, die ihnen Polizei oder Streikbrecher zugefügt haben“, berichtet auch Bärbel Schönafinger. Die Kampfbereitschaft und Entschlossenheit der Beschäftigten konnte damit nicht gebrochen werden .
Sie haben es geschafft, sich italienweit zu organisieren und gegenseitig in ihren Kämpfen zu unterstützen, so dass auch Kämpfe in Warenlagern gewonnen werden konnten, in denen zunächst nur ein kleiner Teil der Belegschaft in den Streik getreten war. Der Kampfzyklus hatte zudem eine integrative Kraft für die radikale Linke in Italien, die die LogistikarbeiterInnen tatkräftig unterstützt. Der Arbeitskampf wird sowohl von sozialen Zentren und autonomen Zusammenhängen als auch von verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen in Norditalien unterstützt. Die unterschiedlichen Spektren der italienischen Linken kooperieren bei der Streikunterstützung. Keine Unterstützung für den Arbeitskampf kam hingegen von den großen Gewerkschaftszentralen in Italien. Ob sich dies nach dem Tod von Abd Elsalam ändert, muss sich zeigen. Am 18. September erklärte der Sekretär der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Maurizio Landini: „Mit der Auftragsvergabe an Subunternehmer und Kürzungen bei der Vorbeugung befindet sich die Arbeitssicherheit in einer dramatischen Lage. Man muss die verfehlten Gesetze korrigieren.“ Die CGIL fordert ein neues Statut für die Rechte der Werktätigen und ein Referendum gegen den Jobs Act (kann man das erläutern?). Für den 21. September hatte auch die FIOM-CGIL zu Streiks und Betriebsversammlungen aufgerufen.
Kaum Unterstützung aus Deutschland
Obwohl einige der in Norditalien bestreikten Logistikunternehmen wie IKEA und DHM auch Filialen in deutschen Städten haben, ist es bislang in Deutschland nicht gelungen, eine Solidaritätsstruktur zur Unterstützung der Streikenden in Italien aufzubauen. Nachdem die Auseinandersetzungen in Norditalien durch den Film „Die Angst wegschmeißen“ bekannter wurden, gab es im Sommer 2015 auch Versuche, mit Aktionstagen die Solidarität mit den Streikenden auszuweiten. Das Konzept sah vor, parallel zum Arbeitskampf in Italien auch vor den Filialen in Deutschland die Forderungen der Belegschaft zu unterstützen. In Berlin, Hamburg und dem Ruhrgebiet gab es kleinere Aktionen wie z.B. unangemeldete Kundgebungen, und an IKEA-KundInnen wurden Flugblätter mit Informationen zu den Hintergründen der Streiks in italienischen Logistikunternehmen, die für IKEA arbeiten, verteilt. Doch es gelang nicht, die Solidaritätsaktionen kontinuierlich fortzusetzen oder gar auszuweiten. So wurde der Tod von Abd Elsalam Ahmed Eldanf in Deutschland kaum registriert. Lediglich in den Tageszeitungen Neues Deutschland und junge welt sowie in der Monatszeitung analyse und kritik (ak) gab es Artikel bzw. ein Interview dazu. Auch die außerparlamentarische Linke, die 2001 beim Tod des Globalisierungskritikers Carlo Giuliani noch in vielen Städten Aktionen organisierte, ignorierte den Tod des Streikpostens. Dieses Schweigen ist ein Zeichen, wie schlecht es um eine europaweite gewerkschaftliche Solidarität bestellt ist.
http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak