Berlusconi am Ende?

Ob die Schlappe für Italiens Rechte bei den Kommunalwahlen zum schnellen Sturz Berlusconis führt, ist aber weiterhin offen

Zum Test für die italienische Rechtsregierung hatte der italienische Ministerpräsident Berlusconi die Kommunalwahl erklärt, deren zweite Runde am 30. Mai zu Ende gegangen ist. Die Rechtsregierung hat den Test ganz eindeutig nicht bestanden, wie schon kurz nach der Schließung der Wahllokale deutlich wurde. Der schon bei der ersten Runde der Kommunalwahlen am 15. und 16. Mai deutlich gewordene Trend hat sich fortgesetzt.

Die Parteien der Rechtsregierung wurden abgestraft. Das wurde besonders an den Wahlergebnissen in Mailand und Neapel deutlich. Diese beiden Städte waren schon vor den Wahlen zu Symbolen für die Stimmung in der politischen Bevölkerung erklärt worden. In beiden Städten haben die Kandidaten der Rechtskoalition deutlich verloren. In Neapel bleibt der Kandidat der Mitte an der Macht.

Besonders schmerzlich dürfte für Berlusconi die Niederlage in seiner Heimatstadt und langjährigen Hochburg Mailand sein. Dort war der Ministerpräsident selber als Listenführer seiner Partei aufgetreten. Nachdem sich bei der ersten Runde der Kommunalwahlen die Niederlage für die Rechte abgezeichnet hat, versuchten Berlusconi und sein Umfeld die Niederlage mit einer Zuflucht zu extrem rechter Rhetorik noch abzuwenden. Bei einem Sieg der Linken würde Mailand rote Fahnen schwenkenden Zigeunern und Muslimen überlassen, verfiel Berlusconi in einen Duktus, die man eigentlich nur noch bei der äußersten Rechten erwartet hatte. Das Ergebnis, ein Erfolg des Linkskandidaten zeigte, dass ein solcher rassistischer Brachialwahlkampf nicht zum Erfolg führt.

Keine Aufbruchsstimmung bei den Berlusconi-Gegnern

 Die geringe Wahlbeteiligung machte aber auch deutlich, dass bei aller Ablehnung von Berlusconi von einer Aufbruchsstimmung seiner Gegner nicht die Rede sein kann. Das liegt auch daran, dass mehrere Mitte-Linksregierungen, die im vergangenen Jahrzehnt die Berlusconi-Ära unterbrochen hatten, keinen grundlegenden Politikwechsel einleiten konnten. Zudem konnte sich die Opposition bisher weder auf gemeinsame Ziele noch Kandidaturen einigen.

Daher bleibt abzuwarten, ob bei aller Berlusconi-Dämmerung die Zeit des Rechtsaußenpolitikers schon endgültig abgelaufen ist. Sicher ist allerdings, dass Berlusconi nicht mehr auf die schweigende Mehrheit in Italien zählen kann. Wie schnell seine Ära zu Ende geht, wird auch von der Positionierung der rassistischen Lega Nord abhängen, die in den letzten Monaten nach seinem Zerwürfnis mit Fini zu dessen engsten Bündnispartner gehörte. Sie konnte von dieser Liaison aber nicht mehr profitieren und schon gibt es dort Stimmen, von Berlusconi abzurücken.

Bereits die erste Berlusconi-Regierung wurde durch die Lega-Nord gestürzt. Gerade die momentane Schwäche der Lega Nord könnte dem Ministerpräsidenten jetzt aber einen Zeitgewinn bescheren. Wer bei Neuwahlen um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten muss, ist nicht so schnell bereit, das alte Parlament aufzulösen. Da auch die Mitte-Links-Opposition auf schnelle Neuwahlen noch gar nicht vorbereitet ist, obwohl sie diese immer wieder fordert, könnte die Berlusconi-Dämmerung noch einige Zeit andauern.
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149921

Peter Nowak

Todesstrafe für Homosexuelle in Uganda?

 
Mit einer Onlinepetition versuchen Menschenrechtler die Verabschiedung eines Gesetzes in dem afrikanischen Staat Uganda zu verhindern, das es möglich machen würde, Homosexuelle mit dem Tod zu bestrafen.

 Im letzten Jahr hat Ugandas Präsident Museveni eine ähnliche Initiative nach Protesten in aller Welt zurückgezogen. Dass sie jetzt wieder auf der Tagesordnung des Parlaments steht, könnte auch mit den Protesten einer selbstbewussteren Zivilgesellschaft zusammenhängen, die den autoritären ugandischen Präsidenten herausfordert. . Schon in der Vergangenheit dienten in Uganda zu Minderheiten erklärte Personengruppen als Sündenböcke. Dazu gehört die Ermordung von Albinos ebenso wie die von Angehörigen sexueller Minderheiten. Gerade Homosexuelle sind in vielen afrikanischen Staaten zur Zielscheibe von Angriffen geworden und werden als unafrikanisch und unpatriotisch verfolgt. Darauf hat Internationale Menschenrechtskommission für Schwule- und Lesben immer wieder aufmerksam gemacht. Bei der Verfolgung von Homosexuellen wird die Angst vor Aids gezielt ausgenutzt.

Mord an ugandischen Schwulenaktivisten

Wie schnell aus der Hetze Mord wird, zeigt die Ermordung des ugandischen Schwulenaktivisten David Kato im Januar 2011. Der Jurist Kato hatte im letzten Jahr den erfolgreichen internationalen Protest gegen den Gesetzentwurf wesentlich mit initiiert, der auch damals schon die Möglichkeit der Todesstrafe für Homosexuelle vorgesehen hat. Er klagte auch gegen das ugandische Boulevardblatt Rolling Stone, das Ende vergangenen Jahres die Fotos bekennender oder angeblicher Homosexueller mit Namen und Adresse unter der Schlagzeile „Hängt sie auf“ veröffentlicht hatte. Katos Bild war damals prominent auf der Titelseite abgedruckt worden.

Das Blatt nutzte die Schwulenhetze zur Auflagensteigerung und verknüpfte die Angst vor Aids, Terrorismus und politischer Unruhe mit den Angriffen auf die sexuelle Minderheit. Dass das Blatt damit geschäftlichen Erfolg hatte, zeigt auch das gesellschaftspolitische Klima in Uganda. Sollte der Gesetzesvorschlag Erfolg haben, fürchten Menschenrechtler eine weitere Verschärfung. Nach ihren Angaben wären tausende Menschen bedroht.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149826
 Peter Nowak

Tödliche Medikamente

Präparate, die nicht nur Leben retten: Was ein europäischer Pharmakonzern mit der Todesstrafe in den USA zu tun hat
Das Selbstbild ist jedenfalls eindeutig: „Lundbeck ist ein forschendes, pharmazeutisches Unternehmen. Unser Fokus liegt auf der Entwicklung innovativer Medikamente, die zur Behandlung von Störungen des Zentralen Nervensystems (ZNS) eingesetzt werden: u.a. bei Depressionen, Schizophrenie, Morbus Alzheimer, Angststörungen und Morbus Parkinson.“ Das dänische Unternehmens, das in über 50 Ländern – unter anderem in Hamburg-Harburg – Niederlassungen hat, will demnach die Lebenssituation von Menschen verbessern, die am Zentralnervensystem erkrankt sind.

 Doch bei Lundbeck hergestellte Präparate retten nicht nur Leben. In den USA ist das Unternehmen der einzige Lizenzträger für das Betäubungsmittel Pentobarbitural, das künftig bei Hinrichtungen mittels Giftspritze eingesetzt werden soll. Damit soll das Narkosemittel Thiopental ersetzen werden, das nicht mehr eingesetzt werden kann. Bürgerrechtsgruppen hatten Alarm geschlagen, nachdem drei zum Tode Verurteilte bei ihrer Hinrichtung grauenvolle Qualen erlitten hatten, weil das Narkosemittel versagte. In allen drei Fällen wurde nach Recherche von Menschenrechtlern das Narkosemittel Thiopental von der britischen Firma Dream Pharma an die US-Bundesstaaten Kalifornien, Georgia, South-Carolina, Arkansas und Arizona geliefert. Die britische Menschenrechtsorganisation Reprieve sorgte mit einer Klage vor dem Obersten Gerichtshof dafür, dass Dream Pharma das von ihr geliefertes Narkosemittel zurückzuholen musste.

Damit stehen die Justizbehörden der 35 US-Bundesstaaten, die die Todesstrafe vollstrecken, vor einem Problem. Die Vorräte für den Gift-Cocktail, mit dem die Todeskandidaten ins Jenseits befördert werden, sind zur Neige gegangen und können nicht wieder aufgefüllt werden. Der einzige in den USA zugelassene Hersteller stoppte nach Protesten von Menschenrechtsorganisationen die Produktion. Der Plan des Herstellers Hospira, das Narkosemittel Natrium-Thiopental in Italien weiterproduzieren zu lassen, nachdem die US- Produktion im August 2009 wegen eines Engpasses bei einem chemischen Bestandteil gestoppt werden musste, scheiterte ebenfalls. Italien verbot den Export des Medikaments in die USA, nachdem Menschenrechtsorganisationen bekannt gemacht hatten, dass es dort zu Hinrichtungen verwendet werden soll.

 Mittlerweile hat Hospira das Produkt vollständig vom Markt genommen. Als Unternehmen, das sich auf dem Markt einen Namen gemacht hat, weil es Medikamente zur Lebensrettung produziert, sei man nicht bereit, die Herstellung von Produkten zu unterstützen, die für die Vollstreckung der Todesstrafe genutzt werden, begründete Hospira-Vizepräsident Kees Gioenhout diesen Schritt. Mittlerweile mussten mehrere US-Bundesstaaten schon terminierte Exekutionen wegen des fehlenden Präparats verschieben. Die Hinrichtung des wegen Vergewaltigung und Frauenmordes zum Tode verurteilten Cleve Foster war auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs der USA wegen des fehlenden Narkosemittels ausgesetzt worden.

Lundbecks ethisches Dilemma

Menschenrechtsgruppen verstärken den Druck auf Lundbeck, weil sie verhindern wollen, dass das Unternehmen mit seinen Präparaten die Vorräte für die Hinrichtungsspritze in den USA wieder auffüllt. Das „Netzwerk gegen die Todesstrafe“ initiierte eine Petition, in der Lundbeck aufgefordert wird, eine Klausel in die Verträge mit seinen Vertriebsfirmen einzufügen, mit der die Weitergabe des Präparats an die Todeskammern in den US-Bundesstaaten untersagt werden soll. Das Netzwerk verweist dabei auf das 13. Protokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention, das nicht nur die Todesstrafe in Europa verbietet sondern auch die europäische Politik auffordert, sich weltweit für die Abschaffung der Todesstrafe einzusetzen.

In einer Stellungnahme versicherte der Lundbeck-Manager Eberhard Lüdtke, sein Unternehmen lehne die Todesstrafe kategorisch ab und habe den Global Compact der Vereinten Nationen (UN) gegen die Todesstrafe unterzeichnet. Die Verwendung eines in seinem Unternehmen hergestellten Präparats als Bestandteil des Gift-Cocktails für die Hinrichtungsmaschenerie in den USA stelle sein Unternehmen vor ein ethisches Dilemma, klagte Lüdtke.

„Lundbeck hat alle Möglichkeiten untersucht, den Missbrauch von Pentobarbital in den USA zu stoppen. Hochrangige Rechtsexperten sind leider zu dem Ergebnis gekommen, dass die … „Endverbraucher-Klausel“ in den Verträgen auch nicht vor der missbräuchlichen Anwendung schützt. Die einzige Alternative wäre, das Produkt vollständig vom Markt zu nehmen, was sehr negative Konsequenzen für die schwererkrankten Patienten hätte“, erklärte Lüdtke.

Es wird sich zeigen, ob das Unternehmen bei dieser Position bleibt. Das Netzwerk gegen die Todesstrafe will in der nächsten Zeit verstärkt um Unterstützung für die Petition werben, die Lundbeck jedes Geschäft mit dem Tod verbieten will. Die Unterschriften sollen am 10.12.2011, dem internationalen Tag der Menschenrechte, bei der deutschen Lundbeck-Niederlassung in Hamburg-Harburg übergeben werden.

Petition: http://www.thepetitionsite.com/2/keine-lundbeck-prparate-fr-hinrichtungen-in-den-usa/

http://www.freitag.de/politik/1116-

Peter Nowak

Eskalation im Libyen-Konflikt

Die Kontaktgruppe setzt in Verein mit den Aufständischen auf einen Regimewechsel
Die vor zwei Wochen bei der internationalen Libyen-Konferenz in London gegründete Kontaktgruppe hat bei ihrem Treffen in Doha ihren Ton gegenüber dem libyschen Regime verschärft. Der Tenor des von Vertretern aus über 20 Staaten und internationalen Organisationen bestückten Gremiums war eindeutig. Gadaffi hat keine Zukunft mehr und muss abtreten, lautete die Forderung.

Damit geht man über den UN-Beschluss, mit dem die Bombardierung militärischer Ziele in Libyen gerechtfertigt wird, hinaus. Der sah keinen Regime Change, sondern einen Schutz der Zivilbevölkerung vor. Deren Situation hat sich aber in den letzten Wochen noch zugespitzt. Die Not der Menschen in Libyen wird nach Einschätzung der Vereinten Nationen immer schlimmer. In der Stadt Misurata sei der Zugang zu Nahrung, Wasser und medizinischer Versorgung stark eingeschränkt oder ganz abgeschnitten.

„Etwa 490.000 Menschen haben nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissars seit Beginn der Krise das Land verlassen. Noch einmal 330 000 sind innerhalb Libyens auf der Flucht.“

Damit wiederholt sich in Libyen ein Szenario aus dem Kosovo-Konflikt. Auch dort verschlechterte sich die Lage der Zivilbevölkerung durch die einseitige Unterstützung einer Bürgerkriegspartei aus dem Ausland. Die wiederum war zu keinen Kompromiss bereit. Die Verschlechterung der Situation der Menschen vor Ort führte wiederum dazu, nach weiteren militärischen Maßnahmen aus dem Ausland zu rufen, wieder mit der Begründung, das Los der von Hunger und Gewalt bedrohten Menschen zu verbessern.

Aufständische gegen jeden Kompromiss

So lehnten die libyschen Aufständischen einen von der Afrikanischen Union initiierten Vermittlungsvorschlag im libyschen Bürgerkrieg von Anfang an vehement ab, zu dem sich das Regime bereit erklärt hatte. Die Reaktion ist auf den ersten Blick verwunderlich, wurde doch immer wieder in den Nachrichten vermeldet, dass die Aufständischen in militärischer Bedrängnis, die Regierungstruppen dagegen auf dem Vormarsch seien.

Doch da die Oppositionskräfte Unterstützung aus dem Ausland erhalten, können sie hoch pokern. Die USA, Frankreich und Großbritannien hatten auch ein großes Interesse, die Initiative der Afrikanischen Union scheitern zu lassen. So können sie bestens demonstrieren, dass ohne die westlichen Player in Afrika nichts läuft.

Der Ausgang des Konflikts in der Elfenbeinküste (siehe Despotenwechsel in der Elfenbeinküste) dürfte solche Strategien befördert haben. Schließlich haben dort zunächst die französische Regierung und dann auch die UN einseitig in einen Machtkampf zwischen zwei Blöcken in dem Land interveniert. Obwohl nachweislich auf beiden Seiten Wahlbetrug und Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, gilt in der öffentlichen Meinung, der von Frankreich Unterstützte als Demokrat, der Bekämpfte dagegen als Diktator.

Im Falle von Libyen ist Gaddafis Diktatorenrolle klar; dass die Aufständischen Demokraten sind, ist deswegen noch lange nicht erwiesen. Darum dürfte es auch nicht mehr gehen, wenn sich die humanitäre Situation in Libyen weiter verschlechtert und die Gewalt zunimmt. Die Rufe nach der Entsendung von Bodentruppen dürften dann lauter werden. Auf der Frühjahrstagung der Nato-Außenminister, die morgen in Berlin beginnt, dürfte darüber ebenfalls diskutiert werden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149662

Peter Nowak

Bomben oder Bomben lassen?

Die Positionierung zum Bürgerkrieg in Libyen sorgt weiterhin für Diskussionen, die allerdings nicht in Glaubenskriege ausarten
Lange Jahre war der israelische Oppositionelle Uri Avnery in Deutschland bei Kriegsgegnern hoch angesehen. Doch seit einigen Tagen sind manche seiner alten Freunde über Avnery irritiert. Er hat sich nämlich für eine militärische Intervention auf Seiten der Aufständischen in Libyen ausgesprochen und dabei nicht mit Pathos und historischen Vergleichen gespart.

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 Mein Herz schlägt für die Libyer (tatsächlich bedeutet „libi“ im Hebräischen „mein Herz“). Und „Nicht-Einmischung“ klingt in meinen Ohren wie ein schmutziges Wort. Es erinnert mich an den Spanischen Bürgerkrieg, der tobte, als ich noch ein Kind war. 1936 wurde die Spanische Republik brutal von einem spanischen General, Francisco Franco, mit aus Marokko importierten Truppen angegriffen. Es war ein sehr blutiger Krieg mit unsagbaren Gräueln. Nazideutschland und das faschistischen Italien griffen Franco damals unter die Arme, die deutsche Luftwaffe terrorisierte spanische Städte wie Guernica.
Uri Avnery

Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke antwortet Avnery in einem Offenen Brief mit nachdenklichen Worten:
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 Ich bin in vielem, was es abzuwägen gilt, tief verunsichert. Ich möchte, dass das Töten und Morden aufhört, auf allen Seiten. Und ich will dazu beitragen, dass Gaddafi verschwindet. Das wird aber eher nicht das Ergebnis des Krieges sein.
Wolfgang Gehrcke
Am Ende seines Briefes dankt Gehrcke Avnery, den er einen „Gerechten in einer ungerechten Welt“ für seine „Herausforderung zum Nachdenken“ nennt.

Ja zum deutschen Sonderweg

Auch der friedenspolitische Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie und Veteran der deutschen Friedensbewegung Andreas Buro widerspricht Avnery in seinem „pazifistischen Blick auf Libyen“.
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 Bei der offiziellen Legitimation des NATO-Einsatzes im libyschen Konflikt wird viel von einer ‚humanitären Intervention‘ gesprochen. Die Ideologie der ‚humanitären Intervention‘ ist die Fortsetzung der Ideologie vom „Gerechten Krieg“, der wichtigsten Legitimationsideologie für fast alle Kriege. Für die Friedensbewegung stellt sich die Frage, welche Folgen hätte es, wenn Pazifisten sich für eine humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln einsetzten, wie es zum Beispiel Uri Avnery tut?
Andreas Buro
Allerdings bleibt er nicht in dem bei pazifistischen Kreisen so beliebten Darstellung der eigenen moralischen Zerrissenheit stehen, die aus den Debatten der Grünen rund um den Kosovo-Einsatz so beliebt waren. Buro stellt zumindest einige Fragen zur konkreten Situation im libyschen Bürgerkrieg:
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 Warum wird fast ausschließlich über die tatsächlichen und potentiellen Opfer der Gaddafi-Truppen berichtet, aber nicht über die Massaker der Rebellengruppen?
Andreas Buro
Allerdings hätte man gerne erfahren, auf welche Quellen sich der Verfasser dabei bezieht. Auch sein positives Bekenntnis zu einem „deutschen Sonderweg zur friedlichen Konfliktbearbeitung“ muss vor dem Hintergrund der letzten 20 Jahre kritisch gesehen werden. Schließlich hat Deutschland im Konflikt auf dem Balkan bekanntlich nicht im Sinne einer friedlichen Konfliktbearbeitung agiert. Lassen sich hier Pazifisten nicht einfach in deutsche Staatsinteressen einspannen, die manchmal, wie die Beispiele Irak oder Libyen zeigen, eine Ablehnung militärischer Eingriffe beinhaltet?

Gepflegte Debatte um Libyen-Einsatz

Bei der aktuellen innerdeutschen Debatte um den militärischen Eingriff in den libyschen Bürgerkrieg ist das Fehlen der Aufgeregtheit auffällig, die während des Balkan-Einsatzes aber auch während des Irak-Krieges noch aus politischen Differenzen Feindschaften machten. Sowohl auf Seiten der Befürworter als auch der Gegner eines Einsatzes wird häufig betont, dass die eigene Positionierung mit vielen eingestandenen Unsicherheiten verbunden ist.

Das wurde auch auf einer von der Wochenzeitung Jungle World organisierten Diskussionsveranstaltung deutlich. Dort pflegten Kritiker und Gegner des Militäreinsatzes einen gepflegten Meinungsaustausch, wie Moderator Ivo Bozic am Ende der Diskussion positiv hervorhob.

Der Arzt Ramadan Bousabarah von der libyschen Gemeinde in Berlin betonte, dass mit dem militärischen Eingreifen ein von Gaddafi lautstark angekündigtes Massaker an den von den Oppositionellen gehaltenen Städten verhindert wurde. Der Berliner Landesvorsitzende der Linken Stefan Liebich betonte, dass er als führendes Mitglied im realpolitischen Forums Demokratischer Sozialsten nicht zu den grundsätzlichen Gegnern jeglicher von der UN legitimierter Militäreinsätze gehört. Die militärische Durchsetzung der Flugverbotszone hält Liebich allerdings für falsch.

Der für das Auslandsressort in der Jungle World zuständige Redakteur Jörn Schulz betonte, dass ihm das Argument, die staatliche Souveränität eines Landes müsse auf jeden Fall gewahrt werden, nicht überzeugt. Damit legitimieren Machthaber gerne jegliche Unterdrückung der eigenen Bevölkerung. Die politische Linke habe sich hingegen unabhängig von den Landesgrenzen mit politischen Bewegungen solidarisiert, die gegen ihre Unterdrückung kämpften.

Wie islamistisch ist die libyschen Opposition?

Unklar blieb der Charakter der politischen Opposition in Libyen auch auf der Veranstaltung. So betonte Ramadan Bousabarah zwar, dass libysche Volk würde zusammenstehen, wenn nur der Gaddafi-Clan verschwindet. Da fragten sich manche aus dem Publikum, ob auch die afrikanischen Arbeiter und Migranten zum libyschen Volk gehören. Bozic zeigte sich irritiert, dass ein Ausgangspunkt der neueren lybischen Opposition  im Jahr 2006 die Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung waren. Es verwundert schon, dass Menschen in auf die Straße gegangen sind und sich in Gefahr begeben haben nicht für ihre eigenen Rechte, sondern wegen einiger Karikaturen, die niemand auch nur gesehen hat.

Die Unklarheiten über die Rolle islamistischer Gruppen in der libyschen Opposition spielen auch in der Debatte eine Rolle, die in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung über das Pro und Contra eines militärischen Eingriffs in den libyschen Bürgerkrieg geführt wurde. Malte Lehning vom Berliner Tagesspiegel verweist auch das Risiko, „dass in einem eskalierenden Bürgerkrieg weitaus mehr Zivilisten getötet werden, als es durch eine Niederschlagung des Aufstands geschehen wäre“.

Dass innerhalb weniger Tage gleich zweimal libysche Oppositionelle Opfer der Bombardierungen wurden, die eigentlich ihrem Schutz dienen sollten, bestätigen die Befürchtungen. Sie erinnern an die Entwicklung im Kosovokonflikt, wo albanische Flüchtlinge und Roma Opfer der Natobomben wurden, die sie offiziell schützen sollten. Im Unterschied zur damaligen Frontenbildung zwischen Gegnern und Befürwortern eines militärischen Einsatzes dominieren aktuell die Nachdenklichkeit und das Eingeständnis von Unsicherheiten auf beiden Seiten. 
 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34514/1.html

Peter Nowak

EU-Länder zeigen afrikanischen Flüchtlingen kalte Schulter

Die Tragödie vor Lampedusa und „europäische Spielregeln“
Mindestens 150 Flüchtlinge gelten nach einem Bootsunglück vor Lampedusa in der Nacht auf Mittwoch als vermisst. Das Unglück geschah, als sich die Flüchtlinge, die in Lybien gestartet waren, schon in Sicherheit wähnten und die Küstenwache die Menschen auf ihr Schnellboot umladen wollte. Das Flüchtlingsboot hatte sich in Seenot befunden. Natürlich stellt sich die Frage, wie das Unglück vor den Augen der Küstenwache geschehen konnte. Schließlich gehören Sicherheitsvorkehrungen gegen das Kentern beim Bergen von Menschen aus manövrierunfähigen Booten zu den Basiskompetenzen einer Küstenwache.
Rechte Stimmungsmache
Die Tragödie im Mittelmeer ist nicht die erste ihrer Art. Der innenpolitisch bedrängte italienische Ministerpräsident Berlusconi versuchte sich erst kürzlich vor den Einwohnern Lampedusas als Hardliner und Heilsbringer mit großen Versprechungen zu präsentieren, der das Flüchtlingsproblem schnell lösen will. Einige Tage zuvor hetzten Politiker der italienischen rechtspopulistischen Regierungspartei Lega Nord gemeinsam mit der Vorsitzenden des extrem rechten Front National, Marine Le Pen, auf Lampedusa gegen die Flüchtlinge.
Mittlerweile versucht die italienische Regierung mit großzügigen finanziellen Zusagen an die neue tunesische Regierung diese zur Flüchtlingsabwehr zu verpflichten, wie sie sie mit der gestürzten Diktatur vereinbart hatte. Doch bisher blieb man auf tunesischer Seite unverbindlich.
Europäische Spielregeln gegen die Flüchtlinge
Die EU-Regierungen äußern sich nach außen sehr kritisch zum Flüchtlingsmanagement der italienischen Rechtsregierung. Doch dabei geht es den meisten Politikern weniger um das Schicksal der Flüchtlinge, sondern um die Angst, die italienische Regierung werde sie nicht an der Weiterreise in andere EU-Länder hindern. Schließlich haben die meisten Migranten angegeben, Italien nur als Transitland auf den Weg in andere EU-Länder nutzen zu wollen.
Die Ankündigung der italienischen Regierung, die Flüchtlinge mit Aufenthaltsgenehmigungen auszustatten, würde den Interessen der Flüchtlinge sehr entgegenkommen. Denn damit könnten sie in andere europäische Staaten reisen. Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber lehnte es im Interview mit dem Deutschlandfunk vehement ab, afrikanische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.
„Wir haben Spielregeln vereinbart, wie in Europa mit Flüchtlingen umzugehen ist, und Italien hat diese Spielregeln akzeptiert“, doziert Weber in Richtung der italienischen Regierung und droht mit Sanktionen.
„Dann muss die Kommission dafür sorgen, dass das Recht, das wir in Europa haben, auch umgesetzt wird. Ich kann nicht akzeptieren, dass wir sozusagen jemandem dann nachgeben, weil er Spielregeln nicht einhält.“
Die Verletzung der Spielregeln besteht für Weber und viele seiner Parteikollegen nicht in der unmenschlichen Behandlung der Flüchtlinge, sondern in deren möglichen Einreise in die EU. Die wenigen Stimmen von Flüchtlingshilfsorganisationen wie Pro Asyl, die schon seit Wochen fordern, den Flüchtlingen Fluchtwege in der EU zu öffnen, werden in der Öffentlichkeit kaum gehört. Die europäische Politik sehnt sich nach starken Regimes zurück, die die Torwächterrolle für sie in Nordafrika spielen, wie es lange Jahre Gaddafi vorgemacht hat. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149610
Peter Nowak

Droht neuer Krieg zwischen Israel und Gaza?

Der Bombenanschlag in Jerusalem verschärft die Situation erheblich
Eine Frau wurde getötet und mindestens 30 Personen sind verletzt worden, als heute gegen 15 Uhr eine Bombe in einem Bus im Zentrum Jerusalems explodierte. Nach Regierungsangaben hatten die Attentäter die Bombe in einer Tasche auf dem Busbahnhof versteckt. Die Explosion traf einen Bus der Linie 174, der nach Maale Adumim, einer jüdischen Siedlung im Westjordanland fahren sollte. Die Polizei sperrte den Anschlagsort ab und suchte mit Spürhunden nach möglichen weiteren Sprengsätzen in der Umgebung. Die Wucht der Explosion erschütterte Gebäude auch noch in mehreren hundert Metern Entfernung. Die Fensterscheiben von Bussen und Autos zerborsten. Augenzeugen berichteten von blutenden Menschen, die auf dem Boden lagen und auf Tragen weggebracht wurden.

Der erste Bombenanschlag in Jerusalem seit 2004 droht die schon angespannte Situation zwischen Gaza und Israel zu verschärfen. Schon vor dem Anschlag waren in der israelischen Regierung Forderungen nach einem neuen Militärschlag gegen das Hamas-Regime im Gazastreifen laut geworden, weil von dort in der letzten Zeit wieder vermehrt Raketen auf israelisches Gebiet geschossen wurden. Schon die brutale Ermordung von fünf Mitgliedern der jüdischen Familie Fogel, die Mitte März in ihrem Haus ermordet wurden, hatte vielen in Israel deutlich gemacht, dass die Veränderungen in den Nachbarstaaten nicht unbedingt zu einer Entspannung zwischen Israel und den Palästinensern führen. Die Anschläge stärken maßgebliche israelische Regierungsmitglieder, die fürchten, dass nach dem Sturz des Mubarak-Regimes, das einen kalten Frieden mit Israel praktizierte, in Ägypten Kräfte an Einfluss gewinnen, die zur offenen Konfrontation mit Jerusalem zurückkehren wollen.

Change auch im Gaza?

Die jüngste Zuspitzung dürfte auch mit den ungelösten innerpalästinensischen Auseinandersetzungen zusammenhängen. Sowohl die Fatah-Regierung als auch das Hamas-Regime sind mittlerweile in der Bevölkerung diskreditiert. Innerhalb der Hamas gibt es Streit darüber, wie sie auf das Kooperationsangebot des scheidenden Präsidenten Abbas regieren soll. Derweil wächst auch im Gaza der Widerstand gegen den Tugendterror und die Gängelung der Hamas. Der Kampf gegen Israel ist dann oft der letzte Ausweg der bedrängten Herrscher.

Die israelische Regierung ist nun in einem Dilemma. Einerseits wächst nach dem erneuten Bombenanschlag der Druck, militärisch zu reagieren. Andererseits könne darin genau das Kalkül der Kräfte bestehen, die mit dem Terror jede Entspannung im Konflikt zwischen Juden und Palästinensern verhindern und die Opposition gegen Hamas und Fatah zum Schweigen bringen wollen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149516

Peter Nowak

Merkwürdige Bündnisse bei Befürwortern und Gegnern des Libyen-Einsatzes

Abgeordnete der Linken loben Westerwelle und die taz kritisiert, dass Deutschland nicht kampfbereit gegen Libyen ist

Der ehemalige kubanische Staatschef Fidel Castro kann sich bestätigt fühlen. Er hatte schon vor mehr als einen Monat vor einer kriegerischen Auseinandersetzung in und um Libyen gewarnt. Im Windschatten der japanischen Reaktorkrise wurde die Grundlage für diesen Einsatz geschaffen. Dazu wurde ein Bürgerkrieg, in dem auf beiden Seiten Bewaffnete kämpfen, so hingestellt, als stehe eine unbewaffnete Bevölkerung wehrlos einem blutrünstigen Regime gegenüber. Als dann die Opposition in Bedrängnis geriet, war es das Startsignal für den einseitigen Angriff im libyischen Bürgerkrieg.

Dass zur gleichen Zeit in Bahrain, im Jemen oder auch im westafrikanischen Staat Elfenbeinküste eine unbewaffnete Bevölkerung Opfer von Militärs oder auch Milizen wurde, war kein Anlass, dort nach internationalen Militärinterventionen zu rufen. Doch im Fall Libyen ermöglichte eine heteregone Koalition von innenpolitisch angeschlagenen Politikern wie Berlusconi und Sarkozy, die sich mit außenpolitischen Themen profilieren wollen, und arabischen Staatschefs, die schon lange mit dem Gaddafi-Regime zerstritten sind, den Angriff.

„In Bahrain schießt das Militär ohne UN-Widerspruch mit Waffen, hergestellt in den Ländern des UN-Sicherheitsrates, auf friedliche Demonstranten. Die humanitäre Heuchelei ist kaum zu überbieten!“, weist der politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner auf diese Doppelstandards hin. Mittlerweile haben sich auch einige europäische Antikriegsorganisationen in einem gemeinsamen Aufruf gegen den Angriff auf Libyen ausgesprochen.

Grüne für Angriff

Erstaunliche Bündnisse gibt es auch bei den Gegnern oder Skeptikern des Libyen-Einsatzes in Deutschland. Weil sich Deutschland bei der Abstimmung der Stimme enthalten hat, wird die Regierung nicht nur von dem Gaddafi-Regime, sondern auch vom Bundesausschuss Friedensratschlag gelobt. „Wir begrüßen ausdrücklich Deutschlands Enthaltung im Sicherheitsrat, die der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig mit den ‚großen Risiken‘ begründete, welche die Implementierung des Beschlusses birgt“, heißt es in der Pressemitteilung der Organisation.

Wie 2003, als die Schröder-Fischer-Regierung den Irakkrieg zumindest in Worten ablehnte, gibt es auch jetzt wieder bemerkenswerte innenpolitische Zweckbündnisse. Während der Bundestagsabgeordnete der Linken Jan van Aaken Bundesaußenminister Westerwelle für seine kriegsskeptische Politik lobte, kritisieren führende Grüne diese Entscheidung und fordern ein „klares Signal gegen Gaddafi“.

Schon einige Tage vor dem UN-Beschluss hat der grüne Vordenker Daniel Cohn-Bendit in der Taz für einen Militärschlag Libyen aus humanitären Gründen getrommelt, wofür er von der ehemaligen Parteikollegin Jutta Ditfurth kritisiert wurde. Die Taz kritisiert denn auch, dass Deutschland gegen Libyen nicht kampfbereit ist. „Einer muss den Job ja machen“, schreibt der Kommentar Deniz Yücel in dem einst alternativen Blatt nach der UN-Abstimmung und auf der Titelseite wird die UN-Resolution als „wichtiges Signal an die Bevölkerung Libyens“ gelobt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149505

Peter Nowak

Der universelle Wert der Solidarität

Um wirkliche Solidarität mit den Aufständischen und Revolutionären im arabischen Raum zu üben, müsste die Linke ihre Staatsfixierung überwinden und die europäische Flüchtlingsabwehr bekämpfen.

Als sich Linke in Deutschland zu Jahresbeginn noch darüber stritten, ob das zivilisationskritische Manifest »Der kommende Aufstand« von situa­tionistischen oder von präfaschistischen Theoretikern beeinflusst sei, waren die realen Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten schon im Gange. In Tunesien und Ägypten wurden Diktatoren, die jahrzehntelang geherrscht hatten, innerhalb kurzer Zeit gestürzt. Auch in Libyen rüttelten große Teile der Bevölkerung bereits an den scheinbar festgefügten Herrschaftsverhältnissen.

Die linke Bewegung war davon völlig überrascht. Schließlich handelt es sich bei Tunesien, Ägypten und Libyen um Länder, von denen der Großteil der Linken mit einigen Ausnahmen kaum Ahnung hat. Die fortdauernde Unterdrückung von sozialen Bewegungen in diesen Ländern wurde nur von einem kleinen Kreis von Menschenrechtsaktivisten thematisiert. Dass es in Ägypten seit einem Jahrzehnt zu ausgedehnten Streiks gekommen ist, an denen nach Angaben des Professors für Mittelost-Studien an der Stanford-Universität, Joel Beinin, insgesamt mehr als zwei Millionen Menschen teilgenommen haben, wurde hierzulande kaum registriert.

Daher war auch weitgehend unbekannt, nach welchem Ereignis sich die »Bewegung des 6.April« benannt hatte, die zum Sturz des Mubarak-Regimes ganz wesentlich beigetragen hat. Der Name erinnert an den 6. April 2008. An diesem Tag ini­tiierten die Textilarbeiter von Mahalla al-Kubra eine Kampagne für die Erhöhung des Mindestlohns auf 1 200 äyptische Pfund im Monat. Bestreikt werden sollte dabei die größte Fabrik Ägyptens mit ca. 22 000 Beschäftigten. Doch die Sicherheitskräfte des Regimes besetzten die Fabrik und verhinderten so größere Streikmaßnahmen, eine Demonstration auf dem Hauptplatz von Mahalla al-Kubra wurde von der Polizei angegriffen. Immerhin bekam die Bewegung Aufmerksamkeit im ganzen Land.

Da viele deutsche Beobachter mit diesen Hintergründen nicht vertraut sind, herrscht hierzulande oft der Eindruck vor, das Mubarak-Regime sei von der Facebook-Generation gestürzt worden, der es um die Durchsetzung »der westlichen Werte« gehe und für die soziale Themen oder gar Arbeiterrechte keine Rolle spielten. Dabei ist die Rede von den westlichen Werten, die die Aufständischen angeblich forderten, aus mehreren Gründen irreführend.

Westlich von Ägypten liegt Libyen und westlich von Tunesien der Atlantik. Die westliche Welt, die hier wohl gemeint ist, liegt im Norden der Aufstandsgebiete. Die wird aber von vielen Menschen in diesen Ländern aus naheliegenden Gründen eher mit Frontex und Abschottung als mit Freiheit und Demokratie in Verbindung gebracht. Schließlich waren die bekämpften Regime enge Verbündete der Staaten des Nordens – vor allem bei der Bekämpfung von Flüchtlingen. Ein Großteil der Bevölkerung der EU-Länder, nicht nur in Italien, unterstützt die Regierungen bei der Flüchtlingsabwehr und fordert oft noch härtere Maßnahmen.

Auch die Flüchtlinge, die es in die europäischen Länder geschafft haben, dürften die sogenannten westlichen Werte vor allem mit Billiglohn, Ausbeutung, Heimen, Residenzpflicht, Ausländersondergesetzen sowie mit Rassismus assoziieren, der sowohl von den Staatsorganen wie auch der Bevölkerung dieser Länder ausgeht. Und diese Assoziationen wurden erst jüngst eindrücklich bestätigt: Kaum gerieten einige der Regimes ins Wanken, die die EU-Staaten sich als Grenzwächter zunutze gemacht hatten, wurde in den europäischen Medien vor neuen Flüchtlingsströmen gewarnt.

Es sind zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl, die mit ihrem Aufruf »Fluchtwege nach Europa öffnen« zumindest einige Gegenakzente setzen. Die Solidarität mit den Flüchtlingen, die nicht westliche Werte, sondern einfach ein besseres Leben im globalen Norden anstreben, müsste jetzt zur zentralen Aufgabe einer linken Bewegung werden. Dabei sollte die Forderung, den gesamten EU-Raum für die Flüchtlinge zu öffnen, einen zentralen Stellenwert haben. Anders als zivilgesellschaftliche Organisationen wie Pro Asyl sollte eine linke Bewegung den Kampf um die Flüchtlingsrechte allerdings nicht mit der besonderen Notsituation begründen, sondern mit dem Kampf um universelle Bewegungsfreiheit.

Die europäischen Institutionen dagegen streben an, die Flüchtlinge möglichst in der Region zu halten, um sie so schnell wie möglich dorthin zurückzuschicken, woher sie flohen. Dem sollten Linke die Forderung entgegensetzen, dass die Menschen selber entscheiden sollen, wo sie leben wollen. Dass eine solche Forderung in der aktu­ellen gesellschaftlichen und politischen Situation keine Chance auf ihre unmittelbare Erfüllung hat, ist klar. Sie könnte aber eine wichtige Rolle spielen bei der Herausbildung einer kosmopolitischen Linken.

Thomas Schmidinger ist insofern zuzustimmen, dass die Aufstände auch eine Chance für die Neuformierung einer linken Bewegung auf globaler Ebene bieten (Jungle World, 10/2011). Dazu müssten manche Relikte eines falsch verstandenen Internationalismus entsorgt werden, der nicht mit sozialen Bewegungen und den Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern mit Staaten solidarisch war – etwa mit dem iranischen oder dem libyschen Regime. Die von Udo Wolter beschriebene Kooperation mancher Linker mit dem Gaddafi-Regime (9/2011) ist ein Beispiel dafür, dass jeder emanzipatorische Anspruch verloren geht, wenn sich Linke positiv auf ein Regime beziehen, das jede soziale Bewegung, von kommunistischen oder anarchistischen Gruppierungen gar nicht zu reden, gewaltsam unterdrückt.

Wolter allerdings suggeriert, das Regime in Libyen sei mit der Chávez-Regierung in Venezuela vergeichbar. Doch anders als in Libyen existiert dort eine Selbstorganisierung der Bevölkerung. Es gibt einflussreiche Frauen- und Nachbarschaftskomitees, die eben nicht einfach zu Claqueuren der Regierung gestempelt werden können. Das zeigt sich auch daran, dass die Pro-Gaddafi-Po­sitionen von Hugo Chávez auf den einschlägigen Internetseiten verschiedener Unterstützer des bolivarischen Prozesses nicht nur kontrovers diskutiert werden, wie Thilo F. Papacek (9/2011) schreibt, sondern auch überwiegend auf Ablehnung stoßen. Schließlich muss eine solche Basisbewegung, die es ernst meint mit der Selbstorganisierung, ein existentielles Interesse daran haben, dass die regierungsamtliche Verteidigung von Diktatoren kritisiert wird. Eine Linke, die die Fehler des alten Internationalismus kritisiert, sollte den gesamten bolivarischen Prozess nicht auf ein Projekt von Chávez reduzieren und damit die Basisbewegungen unsichtbar machen.

Ähnich fixiert auf die Position der politischen Herrschaft bleibt der Beitrag von Stephan Grigat (9/2011). In ihm werden die Umwälzungen im arabischen Raum von einem vermeintlichen Standpunkt Israels bewertet und kritisiert. Auch hier stellt sich die Frage, wessen Standpunkt hier vertreten wird. Ist die Position der gegenwärtigen Rechtsregierung damit gemeint, die der parlamentarischen oder der außerparlamentarischen Opposition? Wer eine solche Differenzierung unterlässt, bleibt letztlich in der Perspektive der Herrschaft befangen.

Solche Differenzierung tut auch im aktuellen Libyen-Konflikt not, bei dem sich in der Linken schnell Szenarien wie während des Irak-Kriegs wiederholen könnten. Damals standen bekanntlich Befürworter des Angriffs Gruppen gegenüber, die in Saddam Hussein den Verteidiger der na­tionalen Souveränität sahen. Eine neue Linke hingegen müsste die Ablehnung jeder militärischen Intervention mit einer klaren Ablehnung des Gaddafi-Regimes, aber auch der regressiven Bewegungen unter seinen Gegnern verbinden. Unterstützt werden hingegen sollten neben den Flüchtlingen alle Formen von Selbstorganisation, die sich der Logik der Herrschaft und des Krieges widersetzen. Nicht »Hände weg von Libyen« müsste das Motto einer solchen Kampagne sein, sondern »Hände, Bomben und Polizeiknüppel weg von den Menschen, die dort leben«.

 http://jungle-world.com/artikel/2011/11/42803.html

Peter Nowak

Linke im Krieg

Die Zustimmung einiger Europaabgeordneter der Linken zur Libyen-Resolution im EU-Parlament führt zum innerlinken Streit:
„Wir lehnen jede militärische Intervention ab“, heißt es auf der Homepage des Abgeordneten des Europäischen Parlaments Lothar Bisky.

„Wir halten die in der Kompromiss-Resolution des Europäischen Parlaments enthaltene Forderung nach Einrichtung einer Flugverbotszone für falsch, auch wenn sie Forderungen aus Teilen der libyschen Opposition und von Staaten der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union aufgreift.“

Weil Bisky mit anderen Kollegen aus der gemeinsamen Fraktion der europäischen Linken der Gesamtresolution zustimmte und lediglich in einer gesonderten Abstimmung über den Punkt 10, der eine Flugverbotszone in Libyen vorsieht, mit Nein votierte, wird er jetzt heftig kritisiert. Ein Kommentator der jungen Welt, die sich gerne als das antiimperialistische Gewissen der Linken aufspielt, sieht Bisky nach der Abstimmung bereits auf Interventionskurs.

Der Mehrheitsflügel innerhalb der Europäischen Linksfraktion reichte einen eigenen Antrag ein, in dem es unter Punkt 7 heißt, dass „jede ausländische Militärintervention zur Lösung der Krise in Libyen“ abgelehnt wird.

Flugverbotszone als kriegerische Maßnahme

Die linke Europaabgeordnete Sabine Lösing bringt in ihrer Erklärung das Dilemma zum Ausdruck, in dem sich die linken Parlamentarier befinden.

„Angesichts der Übergriffe auf Demonstranten, der Toten, der Diktatur, der Person Al-Gaddafi, ist der Wunsch nachvollziehbar die Opposition zu unterstützen und eventuell auch zu intervenieren. Wenn aber McCain Präsident Obama zu Militäraktionen auffordert oder konservative EU-Politiker für zukünftige Unruhegebiete, die Ausarbeitung eines Stand-by Planes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik einfordern, dann müssen progressive Menschen aufhorchen!“

Ähnlich argumentiert die linke EU-Abgeordnete Sabine Wils nach der Abstimmung:

„Ich habe die Resolution abgelehnt. Selbst wenn es zu begrüßen ist, dass ein blutiger Diktator in Libyen, der Menschenrechte mit Füßen getreten hat (und dafür von den selben, die jetzt die Intervention fordern mit Handelsverträgen und Waffenexporten unterstützt wurde) gestürzt wird, rechtfertigt das nicht die Vorbereitung eines Krieges.“

Tatsächlich lautet das Argument der Gegner einer Flugverbotszone, die ja offiziell Menschenleben retten soll, dass diese nur mit kriegerischen Maßnahmen durchzusetzen sei. Auch der den Grünen nahestehende Publizist Micha Brumlik schreibt in der Taz:

„Realpolitisch, mit Blick auf absehbare Folgen und nicht kalkulierbare Nebenfolgen, verbietet sich jede militärische Einmischung.“

Ob die Bewaffnung der Opposition gegen Gadaffi, die er zumindest in Erwägung zielt, nicht zu noch mehr Blutvergießen führt, wäre zu fragen. Die Diskussionen zeigen, dass ein wirksames Mittel gegen Gadaffi auch unter Linken noch gesucht wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149411
 
Peter Nowak

Pro Asyl fordert, Fluchtwege nach Europa zu öffnen

Der Bürgerkrieg in Libyen wird heftiger, was die Zahl der Flüchtlinge erhöhen dürfte
versucht die italienische Regierung und mit ihr die EU alles, um zu verhindern, dass diese Menschen auf europäisches Territorium gelangen und dort womöglich Asyl beantragen könnten. Wenn die Flucht schon nicht verhindert werden kann, sollen die Migranten möglichst nah an ihren Herkunftsländern untergebracht so schnell wie möglich wieder zurück geschickt werden.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und Medico International haben wenige Tage vor dem für den 11. März geplanten europäischen Sondergipfel zu Libyen mit ihrer Erklärung Fluchtwege nach Europa öffnen andere Akzente gesetzt.

Mit einer Email-Aktion wird die Bundeskanzlerin aufgefordert, sich für die Aufnahme von aus Libyen geretteten Flüchtlingen in Deutschland und der EU einzusetzen. Beide Organisationen begründen ihre Intervention für den Flüchtlingsschutz mit der Geschichte. Schließlich haben die europäischen Länder in der Abwehr von Flüchtlingen jahrelang mit dem Gaddafi-Regime, aber auch mit der Diktatur in Tunesien eng zusammengearbeitet.

Pro Asyl und Medico erinnern in ihrem Aufruf daran, dass viele Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern Europas im libyschen Bürgerkrieg zwischen die Fronten zu geraten drohen:

„Transitflüchtlinge und Migranten, die aus den Krisenländern Afrikas wie Eritrea, Somalia und Tschad, aber auch aus den südlicheren Ländern Afrikas und aus Asien stammen und nun zwischen die Fronten geraten. Ohnehin schlecht versorgt, sind sie nun erhöhten Gefahren ausgesetzt, weil sie mit jenen sub-saharischen Militäreinheiten verwechselt werden, die das Gaddafi-Regime offenbar zur Bekämpfung der Aufstandsbewegung einsetzt.“

Rechte von Flüchtlingen mit Kindern gestärkt

Am 8. März hat der Europäische Gerichtshof die Position von Flüchtlingen mit Kindern gestärkt.

Nicht-EU-Bürger haben nach dem Urteil automatisch ein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union, wenn ihre minderjährigen Kinder die Staatsbürgerschaft eines EU-Landes besitzen. Geklagt hatte ein kolumbianisches Ehepaar, das seit Jahren in Belgien lebt und deren beiden Kinder die belgische Staatsbürgerschaft besitzen. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149399
Peter Nowak

Militärische Option und Antiimperialismus

Prompt scheinen die alten Frontstellungen wieder zu funktionieren: Die deutsche Debatte über Libyen


Vor wenigen Tagen noch gab es eine fast einhellige Zustimmung zu den Aufständen in Nordafrika und im arabischen Raum. Viele sahen in dem Sturz der Diktatoren in Ägypten und Tunesien den Beginn einer allgemeinen Demokratisierung der islamischen Welt. Als auch in Libyen der Aufstand begann und sich schnell ausbreitete, war die Begeisterung besonders groß. Hatte doch gerade in dem Land niemand einen schnellen Regimewechsel erwartet. Nun können sich die Skeptiker bestätigt fühlen.
   

Denn es zeigte sich, dass das Gaddafi-Regime nicht nur militärische Mittel hat, um gegen die Opposition vorzugehen. Es hat auch außenpolitische Unterstützer, vor allem unter den Linksregierungen in Lateinamerika, die sich schon als Vermittler zwischen Gaddafi und den Aufständischen anbieten und vor einem Eingreifen der Nato in Libyen warnen (siehe Chavez will Gaddafi zu Hilfe eilen).

Damit wird aber aus dem Konflikt zwischen einer Diktatur und der Mehrheit der Bevölkerung ein Bürgerkrieg mit gleichwertigen Verhandlungspartnern und aus dem Unterdrückerstaat ein Regime, das die Souveränität und die Bodenschätze gegen einen Angriff der Nato oder der USA verteidigt. Schon Ende Februar warnte der kubanische Elder Statesman Fidel Castro in seinen Reflexionen vor einem Zugriff der Nato auf das libysche Öl.

 

Kein Blut für Öl?

Dieser Perspektivenwechsel hat auch Auswirkungen auf die Debatte bei der Linken in Deutschland. Prompt scheinen die alten Frontstellungen wieder zu funktionieren. Der Bundestagsabgeordnete der Linken Wolfgang Gehrcke hat sogar eine Parole der Anti-Golfkriegsbewegung von vor 20 Jahren wieder entmottet. „Kein Krieg für Öl – das gilt auch heute noch“, schreibt er in einer Erklärung und warnt vor einem neuen Kriegsszenario wie im Irak.

Eine Woche zuvor hatten Gehrckes Erklärungen noch eine andere Stoßrichtung. „Die Gewalt in Libyen muss sofort beendet werden. Die internationale Öffentlichkeit muss eine Chance haben, sich über die tatsächlichen Zustände im Land authentisch zu informieren“, hieß es noch in seiner Erklärung vom 21. Februar 2011. Da war viel über die Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten und dem libyschen Regime vor allem bei der Flüchtlingsabwehr die Rede, eine Warnung vor einer militärischen Lösung fehlte damals noch, was von Teilen der Basis der Linken kritisch registriert worden war.

Vor allem in der Tageszeitung junge Welt, das Flaggschiff der „Antiimperialisten“ in und außerhalb der Linkspartei, hat sich in der letzten Woche die Libyen-Berichterstattung zunehmend auf die Frage einer Militärintervention. fokussiert. So schreibt der Chef-Kommentator Werner Pirker:
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 Bei einem westlichen Eingreifen aber geriete die Herrschaft Gaddafis umgehend in die Rolle eines nationalen Widerstandszentrums, dem sich auch Teile des Anti-Gaddafi-Lagers anschließen könnten.
Sara Flounders von der US-Antikriegsinitiative International Action Center, die vor einer Dämonisierung Gaddafis warnt, erinnert wieder an angebliche Verdienste von Gaddafi erinnert:
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 Über viele Jahre war Gaddafi Verbündeter von Ländern und Bewegungen, die den Imperialismus bekämpften. Als er in einem Militärputsch 1969 die Macht übernahm, nationalisierte er das libysche Öl und investierte einen Großteil des Geldes in die Entwicklung der libyschen Wirtschaft. Die Lebensbedingungen der Menschen verbesserten sich dramatisch. Deshalb waren die Imperialisten entschlossen, Libyen zu zermürben.
Damit wird unkritisch an eine Zeit angeknüpft, wo das Libyen unter Gaddafi als Bündnispartner von Linken aus verschiedenen Ländern galt. Noch in den frühen 1990er Jahren besuchten parteiungebundene Linke aus Ost- und Westdeutschland Libyen. Sie waren von einer staatlichen Organisation eingeladen worden, die das Grüne Buch Gaddafis und die dort vertretene Ideologie als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus propagierte (siehe Gaddafis Evangelium). Der Diskurs um Libyen erinnert an ähnliche Debatten, als im letzten Jahr das islamische Regime im Iran und vor 10 Jahren der Irak unter Saddam Hussein von manchen antiimperialistischen Gruppen verteidigt wurde.

Wo beginnt der Angriff?

In einer Stellungnahe des Bundesgeschäftsführers der Linken Werner Dreibus wird für humanitäre Hilfe geworben, aber jede militärische Intervention abgelehnt. Dazu werden ausdrücklich auch Flugverbotszonen für das Gaddafi-Regime gezählt, die von Teilen der libyschen Opposition gefordert werden. Der Einsatz von Bodentruppen hingegen wird von der libyschen Opposition abgelehnt.

Unter dem Motto „Flugverbotszone jetzt“ wird in der Zeit für diese Maßnahme geworben. Auch der Begründer der Grünhelme Rupert Neudeck sieht darin ein geeignetes Mittel, um die Bevölkerung in Libyen vor der Repression des Regimes zu schützen, kann sich im Notfall auch eine begrenzte militärische Bombardierung von Militäranlagen vorstellen. Neudeck, der auch den Jugoslawien-Krieg aus humanitären Gründen befürwortete, ist mit dieser Position allerdings auch in zivilgesellschaftlichen Kreisen umstritten.

Sehr bedeckt halten sich die Grünen in der Frage von militärischen Maßnahmen gegen Libyen. „Die Wirksamkeit einer Flugverbotszone ist umstritten, und ein militärisches Eingreifen wird von vielen Regimegegnern selbst abgelehnt“, heißt in einer Erklärung der Bundestagsfraktion, in der eine eigene Positionierung zu dieser Frage nicht erkennbar ist.

Zivile Maßnahmen

Es gibt auch unter Politikern und Militärs in Deutschland viele Warnungen vor einem militärischen Eingreifen in Libyen. Der Politikberater Walther Stützle warnt ausdrücklich davor und hält auch die Einrichtung von Flugverbotszonen für nicht praktikabel.
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 Das Einzige, womit man im Moment wirklich wirksam helfen könnte und müsste und erstaunlicherweise nicht tut von Seiten der Europäischen Union, die dafür die Möglichkeiten haben, wäre die der Flüchtlingsströme aufzunehmen und zwar vor Ort, nicht nach Europa zu lenken, sondern vor Ort zu sein mit Hilfsorganisationen.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hingegen appelliert daran, der aktuellen humanitären Krise durch die stärkere Aufnahme dieser Menschen in Europa zu begegnen Proasyl erinnert auch an die Rolle des von manchen schon wieder zum standhaften Antiimperialisten verklärten Gaddafi bei der Flüchtlingsabwehr in der EU.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34297/1.html

Peter Nowak

Integration ja – Assimilation nein

Erneut sorgt der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan bei seinem Besuch in Deutschland für Aufregung

Der türkische Politiker rief am vergangenen Samstag auf einer von 10.000 Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bejubelten Rede seine Zuhörer dazu auf, sich in Deutschland zu integrieren, aber nicht zu assimilieren. Dabei sparte er nicht mit nationalistischem Pathos. So erklärte der türkische Ministerpräsident:

„Niemand wird in der Lage sein, uns von unserer Kultur loszureißen. Unsere Kinder müssen Deutsch lernen, aber sie müssen erst Türkisch lernen.“

Dass er damit die Menschen mit türkischem Hintergrund als ein nationales Kollektiv betrachtet, für das er zu sprechen vorgibt, wäre in der Tat kritikwürdig. Diese Anmaßung wird auch von den vielen Betroffenen, die schon selber entscheiden wollen, welche Sprache sie und ihre Kinder lernen wollen, mit Recht zurückgewiesen.

Vorhersehbare Aufregung

Doch die Reaktionen in der politischen Klasse waren so vorhersehbar, wie auf Wählerstimmen schielend. Auf rechten Webseiten wird Erdogan wieder einmal als gefährlicher Islamist dargestellt, der mit Hilfe der türkischen Diaspora Einfluss auf Europa gewinnen will. Dabei sind auch sie gegen die Assimilitation von türkischen Menschen in Deutschland.

In diesen Kreisen stößt natürlich besonders sauer auf, dass Erdogan vor wachsenden Rassismus in Deutschland warnte. Nur wenig moderater ist die Erdogan-Kritik bei den politischen Parteien. Die CSU wirft ihm Aufwiegelung und Gefährdung der Integrationsbemühungen vor, für die sich Erdogan nun gerade stark gemacht hat. Auch der integrationspolitische Sprecher der FDP erklärte Erdogans Rede für abwegig.

Die Debatte erinnert an die Reaktionen auf eine Erdogans mit ähnlichen Inhalt im Jahr 2008 in Köln (siehe Integration oder Assimilation?). Im letzten Jahr sorgte der türkische Politiker mit seiner Forderung nach türkischen Schulen in Deutschland für Aufregung.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149359
 
Peter Nowak

Muss Ex-US-Präsident Bush in Europa Strafverfahren fürchten?

Bush hat seinen  Besuch in der Schweiz lieber einmal abgesagt
Warum hat der ehemalige US-Präsident Bush seinen für die kommende Woche geplanten Besuch in der Schweiz abgesagt? Wegen befürchteter Krawalle, wie Mitarbeiter des ehemaligen US-Politikers behaupten, oder aus Angst vor Protesten und einer drohenden Strafverfolgung, wie die juristische Menschenrechtsorganisation ECCHR schreibt?

Sie hatte gemeinsam mit ihrer US-US-amerikanischen Partnerorganisation im Namen von zwei Opfern des US-Folterprogramms nach dem 11.September 2011 in Genf Strafanzeigen gegen Bush vorbereitet, die von Menschenrechtsorganisationen in aller Welt unterstützt worden waren. Da sie seit Jahren dafür kämpfen, dass Menschenrechtsverletzungen bis auf der höchsten politischen Ebene juristisch verfolgt werden, hätte ein Strafverfahren gegen Bush für sie daher einen hohen symbolischen Wert.

Sie sehen sich im Einklang mit der UN-Antifolterkonvention, die alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, mutmaßliche Täter zu verfolgen, unabhängig davon, ob es sich um den ehemaligen Präsidenten, Regierungs- oder Geheimdienstmitarbeiter, Soldaten oder Polizisten handelt.

„Solange die US-Justiz keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der europäischen Länder gefordert“, begründete der ECCHR-Generalsekretär und Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck die Vorbereitungen zur Anklageerhebung in der Schweiz. Die juristischen Menschenrechtsorganisationen haben nicht nur den Ex-Präsidenten im Visier. Schon Ende Januar haben sie die spanische Justiz aufgefordert, gegen führende, das Guantanamo-System stützende Militärs und Juristen vorzugehen, darunter den ehemaligen befehlshabenden Offizier in Guantanamo, Generalmajor Geoffrey Miller. „Jede Europa-Reise solle für die US-Entscheidungsträger zu einem unkalkulierbaren Risiko werden“, so Kaleck.

Auch Amnesty International hatte die Schweizer Staatsanwaltschaft aufgefordert, gegen Bush ein Verfahren wegen Folter einzuleiten und ihn festzunehmen. Erst danach cancelte er die Reise. Die Beweisführung gegen Bush dürfte nicht schwer sein. In seinen vor einigen Monaten veröffentlichen Memoiren hat er sich selbst belastet, indem er zugab, als Präsident gewisse Foltermethoden, wie das sogenannte Waterboarding, autorisiert zu haben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149212

Peter Nowak

Waffen made in Germany für das ägyptische Regime

Friedensorganisationen kritisieren, dass die Waffenlieferungen zwischen 2008 und 2009 für Ägypten verdoppelt worden sind
Werden die Proteste in Ägypten auch mit Waffen aus Deutschland unterdrückt? Diese Frage stellt sich, nachdem Friedensorganisationen in einer gemeinsamen Presseerklärung darauf hingewiesen haben, dass das Land am Nil zu den bedeutenden Importeuren von Waffen aus Deutschland gehört.

Die Waffenexporte hätten sich im Zeitraum zwischen 2008 und 2009 verdoppelt, kritisieren die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, die Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben und das RüstungsInformationsBüro. „Ägypten ist als Entwicklungsland bedeutendster Empfänger deutscher Waffen“, heißt es in der Mitteilung.

Der Wert der von Deutschland gelieferten Waffen habe sich von 33,6 Millionen Euro im Jahr 2008 auf 77,5 Millionen Euro 2009 „dramatisch gesteigert“, präzisierte der Rüstungsexperte Jürgen Grässlin die Vorwürfe. Er monierte explizit die Einzelgenehmigungen für Kleinwaffen, die „aufgrund der hohen Opferzahlen besonders folgenschwer“ seien. Die ägyptische Polizei verfüge über von Heckler & Koch entwickelte Maschinenpistolen des Typs MP5. Wegen Waffenlieferungen in Krisengebiete in Mexiko war das Unternehmen vor einigen Monaten ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten, die Bundesregierung hat die Verkäufe gestoppt.

Zudem seien dem ägyptischen Regime Panzerteile gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge und Kommunikationsausrüstung geliefert worden. Die Friedensorganisationen werfen Bundesaußenminister Westerwelle Heuchelei vor, wenn er als Mahnung an die ägyptische Regierung in einem Interview erklärte, dass „der Weg zur Stabilität über die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte“, führe, die Waffenlieferungen an das Land aber nicht erwähnt und schon gar nicht infrage stellt. Die Friedensorganisationen hingegen fordern in ihrer Erklärung einen sofortigen Stopp von Waffenlieferungen und Rüstungsgütern an Ägypten und andere diktatorische Regime.

Bisher wird Ägypten auf den Webseiten von Großunternehmen wie Siemens als attraktiver Partner dargestellt und die Zusammenarbeit als ausbaufähiges Erfolgsobjekt bezeichnet. Ob sich die Kontakte auch bei einem Regimewechsel so positiv weiter entwickeln, ist völlig unsicher. Die Zukunft der deutschen Exporte vor allem auf dem Rüstungssektor dürfte auch davon abhängigen, ob eine künftige ägyptische Regierung die relativ prowestliche Außenpolitik fortsetzt. 
 http://www.heise.de/tp/blogs/8/149180
Peter Nowak