Oggersheimer Geschichtslektionen

Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Felix Wemheuer veröffentlichte Dokumente über Linke und Gewalt – von Lenin bis zur RAF

Wie hält es die Linke mit der Gewalt? Diese Frage wird wieder verstärkt diskutiert, sind doch in jüngster Zeit einige politische Aktionen und Demonstrationen nicht ganz friedlich verlaufen. Doch die Debatte ist älter.

Einen profunden Überblick über die Diskussionen zur Rolle der Gewalt in den unterschiedlichen Spektren der Linken in den letzten 150 Jahren liefert ein Dokumentenband, den der in Wien lebende Politologe Felix Wemheuer herausgegeben hat. Im Vorwort skizziert er die Bandbreite der Probleme, die in den zwanzig hier gedruckten Dokumenten erörtert werden. »Kann auf Gewalt beruhende Herrschaft mit friedlichen Mitteln gestürzt werden oder ist Gegengewalt notwendig? Wenn ja, welche Ziele sind in Bezug auf die Mittel zu rechtfertigen und welche nicht? Wie verändert die Gewaltausübung den Revolutionär? Kann man überhaupt verhindern, dass man seinen Gegnern immer ähnlicher wird?« Es sind also eminent politische, philosophische und ethische Fragen, die hier von unterschiedlichen Autoren erörtert werden.

Die Dokumentenauswahl ist in fünf Kapitel unterteilt. Im ersten sind unter dem Titel »Krieg und bewaffnete Revolution« Texte von Wladimir I. Lenin, Mao Zedong, Regis Debray und Pierre Ramus zusammengefasst. Das zweite Kapitel widmet sich dem individuellen Terror, Tyrannenmord und gesellschaftlichen Veränderungen anhand der Äußerungen von Johann Most, Rosa Luxemburg, Wera Figner, Gustav Landauer und Erich Mühsam. Unter der Überschrift »Roter Terror und die Verteidigung der Revolution« sind Schriften von Karl Kautsky, Leo Trotzki, Isaac Steinberg und Enrico Malatesta zu lesen. Im vierten Kapitel sinnieren Martin Luther King, Frantz Fanon und Eldrige Cleaver über die Rolle der Gewalt im antikolonialen Kampf. Im letzten Kapitel schließlich geht es um die Stadtguerilla. Einem Ausschnitt aus einem Grundlagentext der RAF ist eine vehemente Kritik des Soziologen Oskar Negt gegenübergestellt. Ein Interview mit dem französischen Philosophen Jean-Paul Sartre nach seinem Besuch bei Andreas Baader im Hochsicherheitsgefängnis von Stammheim und ein Interview mit Aktivistinnen der feministischen Guerilla Rote Zora beenden den Band.

Die empfehlenswerte Publikation dürfte auch für Leser ohne historische Vorkenntnisse von Gewinn sein. Die Auswahl ist gut getroffen, die kontroversen Debatten dereinst werden lebhaft dargestellt. Die bis heute anhaltende Kontroverse über die Gewaltanwendung der Bolschewiki zur Verteidigung ihrer Revolution gegen Feinde im Innern wie auch ausländische Interventen wurde durch Kautskys 1919 verfasste Schrift »Terrorismus und Kommunismus« ausgelöst. Trotzki blieb dem deutschen Sozialdemokraten seinerzeit eine harsche Replik nicht schuldig.

Interessant ist der Beitrag des linken Sozialrevolutionärs Issac Steinberg über »die Grenzen der revolutionären Gewalt«. Der erste sowjetrussische Justizminister erklärte hierin, eine Revolution sei nicht ohne Gewalt durchzuführen, ein Verzicht auf sie könne nur noch mehr Gewalt der alten Mächte zur Folge haben. Dennoch heiligte für Steinberg der Zweck nicht die Mittel: »Wende die Gewalt, wenn es darauf ankommt, nur dann an, wenn du in deiner Waffenkammer keine anderen Mittel finden kannst, wende sie aber so an, dass, trotz ihrer Anwendung, der Aufbau einer Gesellschaft von gleichwertigen und reinen Menschen möglich bleibt.«

Diesen »kategorischen Grundsatz der Revolution« sah Steinberg in jenem Augenblick verletzt, als die Bolschewiki ihre Gegner nicht nur einsperrten, sondern auch hinrichten ließen und sogar deren Familienmitglieder nicht verschonten. Der aus Protest gegen den Friedensvertrag von Brest-Litowsk 1918 vom Amt zurückgetretene Steinberg wurde 1923 ausgewiesen.

* Felix Wemheuer (Hg.): Linke und Gewalt. Pazifismus, Tyrannenmord, Befreiungskampf. Promedia. 173 S., br., 12,90 €

https://www.neues-deutschland.de/artikel/948206.der-zweck-heiligt-nicht-die-mittel.html

Peter Nowak

Gewerkschafter kritisieren DGB

FLÜCHTLINGE Die Räumung der Zentrale sei ein „völlig falsches Signal“ gewesen, so der Tenor eines Aufrufs

Die Räumung einer Gruppe von Flüchtlingen aus der Berliner DGB-Zentrale durch die Polizei in der vergangenen Woche sorgt für Unmut unter Gewerkschaftern. „Die tagelange Belagerung des DGB-Hauses durch mehr als 20 Flüchtlinge und ihre Sympathisanten hat viele Beschäftigte im Hause an die Grenze der Belastbarkeit gebracht“, hatte der Sprecher des DGB Berlin-Brandenburg, Dieter Pienkny, die Einschaltung der Polizei begründet. Die Studentin Ines Schwerdtner und der Lehrer Micah Brashear von der Jungen GEW Berlin haben für diese Argumentation indes kein Verständnis: „Die Flüchtlingsgruppe hat sich nur in einem Stockwerk des Gewerkschaftsgebäudes aufgehalten und in der Lounge und in dem Foyer des DGB-Hauses geschlafen“, kritisieren sie das Vorgehen in einer Stellungnahme.

Nach Angaben der JunggewerkschafterInnen wollen sich KritikerInnen des Polizeieinsatzes, die im DGB-Haus arbeiten, nur anonym äußern, weil sie unter Druck ständen. Hingegen drücken viele haupt- und ehrenamtliche Mitglieder verschiedener Einzelgewerkschaften, die im DGB zusammengeschlossen sind, offen ihren Protest gegen die Räumung aus. „Nicht in unserem Namen – Refugees welcome!“, lautet die Überschrift des Aufrufs, der bereits von einigen hundert GewerkschafterInnen unterschrieben wurde. Die Räumung wird darin als „völlig falsches Signal“ bezeichnet.

Solidaritätskonferenz

Die GewerkschafterInnen wol- len die aktuelle Diskussion nutzen, damit sich der DGB und die in ihm zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften auf Seite der Flüchtlinge positionieren. So soll rasch eine Konferenz zur gewerkschaftlichen Solidarität mit den Geflüchteten organisiert werden. Außerdem soll jenen die Gewerkschaftsmitgliedschaft ermöglicht werden. Anna Basten vom „AK Undokumentiertes Arbeiten“, die im Ver.di-Büro Lohnabhängige unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus berät, verweist auf den Hamburger Ver.di-Sekretär Peter Bremme. Er hatte 2013 rund 300 Geflüchteten die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ermöglicht. Eine Abmahnung des Ver.di-Bundesvorstandes gegen ihn wurde nach Protesten zurückgenommen. Für die linke Gruppe Ver.di-Aktiv ist eine solche Initiative auch in Berlin überfällig. „Damit würden die Gewerkschaften deutlich machen, dass sie die Ausgrenzungspolitik nicht mittragen“, sagte ein Mitglied der Ver.di-Basisgruppe bei der BVG.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F10%2F07%2Fa0141&cHash=6972b0dbc68e19fd48640a53102d04fa

Peter Nowak

Hausbesuch oder Streichung der Miete

Drachen gegen Drohnen

Aktion am kommenden Samstag will auf die Gefahren der unbemannten Kriegsführung aufmerksam machen

Drachen gehören in den herbstlichen Himmel. Drohnen hingegen haben dort nichts verloren, meint ein Antikriegsbündnis und protestiert mit den angeleinten Untieren gegen deren Einsatz.

Lass Deinen Drachen steigen, heißt es am 4. Oktober in vielen Städten in Deutschland. Damit übernehmen Gegner der Etablierung von Kampfdrohnen eine Aktionsform aus Afghanistan. In dem Land mit den meisten Drohneneinsätzen hat die kleine Zivilgesellschaft mit dem Steigenlassen von Drachen gegen den Tod aus der Luft protestiert. Am 4. Oktober wird sie nun erstmals nach Deutschland importiert. In einem Pressegespräch in Berlin machte Elsa Rassbach von der internationalen Frauenfriedensorganisation Code Pink deutlich, dass Deutschland eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Drohnen habe. In der nächsten Zeit werde sich entscheiden, ob es einen weltweiten Wettbewerb beim Bau von Drohnen gibt, oder ob die neuen Waffen geächtet werden.

In Großbritannien, Italien, Frankreich und den Niederlanden stehen Drohnen bereit. In Deutschland soll die Entscheidung in den nächsten Monaten fallen. Zurzeit stehen zwei Drohnenmodelle zur Auswahl, wie Lühr Henken von der Berliner Friedenskoordination ausführte. Die Luftwaffenführung in Deutschland favorisiere die US-Drohne mit dem bezeichnenden Namen Reaper (Sensenmann), führende Verteidigungspolitiker hingegen wollen das israelische Drohnenmodell Heron TP anschaffen. »Die bundesweite Kampagne lehnt die Etablierung einer Drohnentechnologie zur Kriegführung, Überwachung und Unterdrückung grundsätzlich ab«, betonte Henken.

Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag sieht die Gefahr, dass mittels Drohnen das Führen von Kriegen für wenige Staaten gefahrloser möglich ist. Die Bevölkerung lehne Kriege weitgehend ab, wenn damit die Gefahr für die eigenen Soldaten verbunden ist. Durch den Einsatz der Drohnen aber soll diese Gefahr vermindert werden. Strutynski wies darauf hin, dass der Libyeneinsatz von maßgeblichen NATO-Verantwortlichen als erfolgreichster Einsatz in der Geschichte des Militärbündnisses bezeichnet wird, weil kein NATO-Soldat getötet oder verwundet wurde. Über die Zahl der Toten auf libyscher Seite wird geschwiegen, wie auch über die Opfer der Drohneneinsätze in Pakistan, Afghanistan und Jemen.

Der Aktionstag am 4. Oktober ist Teil einer längeren Kampagne gegen die Etablierung der Kampfdrohnen. Bereits am 3. Oktober demonstriert ein Antikriegsbündnis in Kalkar. Am Stadtrand in der Seydlitz-Kaserne ist ein NATO-Luftkommando untergebracht, das Drohneneinsätze koordiniert. Auch von der Air Base Ramstein werden Drohneneinsätze vorbereitet. Für die Gegner werde damit Beihilfe zur Todesstrafe geleistet, was im Widerspruch zur Politik der EU-Staaten stehe.

drohnen-kampagne.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/947888.drachen-gegen-drohnen.html

Peter Nowak

Der Sensenmann kommt aus der Luft

Die Kampagne gegen Kampfdrohnen mobilisiert in den nächsten Tagen. Drohneneinsätze werden auch in Deutschland koordiniert

In den 70er Jahren hatte der kleine Ort Kalkar in NRW für die bundesweite Anti-AKW-Bewegung eine große Bedeutung [1]. Die massiven staatlichen Repressionsmaßnahmen im Sommer 1977 gingen als Kalkar-Schock in die Geschichte ein. Der dort geplante Schnelle Brüter wurde an diesem Standort trotzdem verhindert.

Kalkar ist am 3.10. wieder ein Protestziel. Am kommenden Freitag protestiert [2] die bundesweite Kampagne gegen Kampfdrohnen gegen ein in der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntes Nato-Luftkommando, das in einer Kaserne am Stadtrand von Kalkar untergebracht ist. Die Antikriegsbewegung [3] protestiert dort, weil in den Räumen des Kommandos weltweite Drohneneinsätze koordiniert werden. Auch die Airbase Ramstein und die Kommandostelle Africom in Stuttgart koordinieren Drohneneinsätze. Für die Gegner der Kampfdrohnen wird damit die Schwelle für eine Kriegsbereitschaft gesenkt.

Auf einer Pressekonferenz am Mittwochvormittag in Berlin stellte die in der Kampagne gegen Kampfdrohnen [4] die geplanten Proteste vor. Schwerpunkt ist der globale Aktionstag gegen Drohnen [5] am 4. Oktober. Wie in vielen anderen Städten überall auf der Welt wollen die Drohnengegner auch in Deutschland in vielen Städten Drachen steigen lassen. Damit wird eine Aktionsform der afghanischen Zivilgesellschaft importiert, die sich gegen den Drohneneinsatz mit Drachen wehrten.

Kriege ohne Opfer auf Seiten der Nato

Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag [6] sieht die größte Gefahr im Drohneneinsatz darin, dass so das Führen von Kriegen für einige wenige Staaten gefahrloser möglich wird. Die Bevölkerung dieser Staaten würde Kriege weitgehend ablehnen, wenn damit die Gefahr für die eigenen Soldaten verbunden ist. Durch den Einsatz der Drohnen aber soll diese Gefahr vermindert werden. Strutynski wies darauf hin, dass der Libyeneinsatz von maßgeblichen NATO-Verantwortlichen als erfolgreichster Einsatz in der Geschichte des Militärbündnisses bezeichnet wurde, weil kein Nato-Soldaten getötet oder verwundet wurden. Über die Zahl der Toten auf lybischer Seite wird geschwiegen, wie auch über die Drohneneinsätze in
Pakistan, Afghanistan und Jemen.

Lühr Henken von der Berliner Friedenskoordination [7] betonte auf der Pressekonferenz, dass die Drohneneinsätze weitgehend im Geheimen stattfinden. Deswegen sei auch nicht möglich, die genaue Zahl der Opfer im Allgemeinen und der Zivilisten im Besonderen zu bestimmen. Henken monierte, dass mit dem Drohneneinsatz Richter und Henker in eine Instanz fallen. Es sei weder
ersichtlich, nach welchen Kriterien Menschen zu Objekten erklärt werden, die durch Drohnen ausgeschaltet werden sollen, noch wie viele Zivilisten, die sich zufällig in der Nähe der ausgewählten Person sterben.

Todesstrafe ohne Verteidigung

Natürlich fallen auch sämtliche rechtsstaatliche Kriterien für die Zielpersonen weg. Weder gibt es eine Verteidigungsmöglichkeit noch andere Formen, um dem Todesurteil zu widersprechen. Das ist besonders verwunderlich, wo doch gerade die EU-Staaten und dabei vor allem auch die Regierung in Deutschland sehr für die Ächtung der Todesstrafe weltweit eintreten. Eine Abschaffung der Todesstrafe gehört zu den Aufnahmebedingungen der EU. Nun fragen sich die Drohnen-Gegner, wie sich diese Bekenntnisse damit vertragen, dass auch in Deutschland Einsätze einer Waffe koordiniert werden, die Todesurteile ohne Urteil und Verteidigungsmöglichkeiten vollstreckt.

Elsa Rassbach von der internationalen Organisation Code Pink [8], die den globalen Kampf gegen die Drohnen koordiniert, erklärte auf der Pressekonferenz, dass eine Ablehnung der Drohnen gerade in Deutschlandvon großer Bedeutung ist. In der nächsten Zeit werde sich entscheiden, ob es einen weltweiten Wettbewerb beim Bau von Drohnen gibt oder erste Schritte zu einer weltweiten Ächtung dieser Waffen eingeleitet werden.

In Großbritannien, Italien, Frankreich und die Niederlande stehen bereits Drohnen bereit. In Deutschland soll die Entscheidung in den nächsten Monaten fallen. Zur Zeit stehen zwei Drohnenmodelle zur Auswahl, wie Lühr Henken ausführte. Die Luftwaffenführung in Deutschland favorisiere die US-Drohne mit dem bezeichnenden Namen Reaper (Sensenmann), führende Verteidigungspolitiker hingegen bevorzugen das israelische Drohnenmodell mit dem Namen Heron TP. „Diebundesweite Kampagne lehnt die Etablierung einer Drohnentechnologie zur Kriegführung, Überwachung und Unterdrückunggrundsätzlich ab“, betont Henken. Damit sprach er eine Dimension an, die bei dem Aktionstag nur eine untergeordnete Rolle spielen soll.

Überwachen und Töten

Die Drohnen sind ein globales Überwachungsinstrument und sorgen dafür, dass die Privatsphäre von Menschen zum Fremdwort wird. Gerade wenn dieser Aspekt mehr betont würde, könnten vielleicht auch Menschen in den Natostaaten aktiviert werden, die sich vornehmlich gegen Überwachung engagieren. Gerade diese Totalausspähung aber sorgt dafür, dass in Krisen- und Kriegszeiten die Drohnen als Vollstrecker geheimer Todesurteile umso besser arbeiten können.

Henken und Rassbach berichteten, wie die Menschen, die in Regionen leben, in denen immer
wieder bewaffnete Drohneneinsätze stattfinden, allein von dem Surren der Geräte terrorisiert und traumatisiert werden. In Pakistan gehen viele Menschen gar nicht mehr aus dem Haus, in der irrigen Hoffnung, dadurch von den Drohne nicht gesehen zu werden. Viele Jugendliche haben die Schulen und Universitäten verlassen, weil sie sich auch dort im Visier der Drohnen wähnen.

Vielen Menschen in Mitteleuropa sind solche Ängste völlig fremd. Nun müsste die Erkenntnis verbreitet werden, dass auch hierzulande mit Überwachungsdrohnen die Voraussetzungen getroffen werden, den Weg für Killerdrohnen in Krisenzeiten zu ebnen. Eine ähnliche Diskussion gab es Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts im Widerstand gegen die Volkszählung. Damals erinnerten Historiker daran, dass mit den Daten, die bei den Volkszählungen in der Weimarer Republik gesammelt wurden, im NS die Erfassung, Aussonderung und Ermordung der Juden und anderer missliebiger Bevölkerungsgruppen viel leichter zu bewerkstelligen war.

http://www.heise.de/tp/news/Der-Sensenmann-kommt-aus-der-Luft-2410468.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://rees-magazin.de/wp-content/uploads/2013/04/Chronologie-Atom-Kalkar.pdf

[2]

https://www.kraz.ac/index.php/component/jevents/icalrepeat.detail/2014/10/03/388/-/demo-gegen-nato-drohnen-in-kalkar?Itemid=1

[3]

http://www.aixpaix.de/autoren/sander/kalkar.html

[4]

https://drohnen-kampagne.de/

[5]

http://(http://dronecampaignnetwork.wordpress.com/

[6]

http://www.ag-friedensforschung.de/

[7]

http://www.frikoberlin.de/

[8]

http://www.codepink4peace.org/

Verdrängung hat viele Gesichter

Aufwertung der Stadtteile bedeutet die Verdrängung von MieteInnen mit geringen Einkommen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in liberalen Medien angekommen. Doch wie gehen die Betroffenen damit um?

Was passiert in einem Stadtteil, der jahrelang wenig beachtet wurde, wenn auf einmal in kurzer Zeit fast ein Dutzend Baustellen entstehen? Ist Aufwertung und Verdrängung ein Naturgesetz oder gib es Verantwortliche, die diesen Prozess vorantreiben? Dass sind einige der Fragen, denen sich der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ stellt, den das Filmkollektiv „Schwarzer Hahn“ produziert hat.  Dort haben StadtteilaktivInnen gemeinsam mit   KünstlerInnen  mehrere Jahre an dem Film  gearbeitet. Sie wollten den  Aufwertungsprozess am Beispiel des Stadtteils Treptow verdeutlichen.   Noch Ende der 90er Jahre schien es, als wäre der Stadtteil das totale Gegenteil zum Prenzlauer Berg. Während dort schon  Ende der 90er Jahre ein Großteil der Alt-MieterInnen  wegziehen mussten, weil sie die  teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, waren  in Treptow  die Mietsteigerungen moderat und der Wegzug gering.  Doch das änderte sich, als Baugruppen den Stadtteil für sich entdeckten. Es sind meist Angehörige der neuen gut verdienenden Mittelschichten, für die   Treptow aus mehreren Gründen interessant wurde. Der Weg zu den vielen Clubs ist kurz. Zudem siedelten sich im Rahmen des Media-Spree-Projekts zahlreiche Unternehmen an.  Für die Angestellten wurde eine Wohnung in Treptow mit kurzen Anfahrtszeiten zur Arbeit attraktiv. Wie der  plötzliche Ran der  Baugruppen  auf die BewohnerInnen eines Stadtteils wirkte, der bisher von großen Veränderungen verschont geblieben war, macht der Film sehr  gut deutlich.

Nicht nur Mieter kämpfen in dem Stadtteil um das Überleben

Der Film begleitet  Menschen, die ums Überleben kämpfen müssen. Da ist der Altrocker, der auf seinen Balkon sitzt und sich bange fragt, ob er sich nach der nächsten Mieterhöhung die Wohnung noch leisten kann. Da ist die Frau mit den geringen Einkommen, die die neue Entwicklung nicht einfach hinnimmt sondern sich wehrt. Der Film zeigt, wie in Treptow plötzlich in einer  Stadtteilinitiative Menschen aus unseren kulturellen und gesellschaftlichen Milieus zusammenarbeiten. Sie eint die Angst vor der Verdrängung   aus dem Stadtteil und der Wille,  sich dagegen zu wehren.
Der Film zeigt auch, dass nicht nur MieterInnen  davon betroffen sind. Da wird ein  Treptower Buchhändler gezeigt, der trotz eines gerade überstandenen Herzinfarkts fast rund um die Uhr im Laden steht und am Ende 5 Euro Gewinn erzielt hat   Die Menschen,  die bisher seinen Buchladen aufsuchten,  verschwinden aus dem Stadtteil. Die Konsumwünsche des neu zugezogenen Mittelstandes kann er nicht befriedigen. Der Film  geht so auf Aspekte der Aufwertung eines Stadtteils ein, die oft ausgeblendet werden. Neben den MieterInnen mit wenig Geld sind auch Läden und Kneipen bedroht, die ein Angebot für eine Kundschaft mit geringen Einkommen bereithielten.

Die „guten“ VerdrängerInnen

Doch auch die Menschen, die von der neuen Situation profitieren, kommen in dem Film zu Wort. Mitglieder der Baugruppen werden interviewt. Manchmal kommt es zum Dialog, oft zum Streitgespräch zwischen den GewinnerInnen und VerlierInnen  der Aufwertung.  Viele Baugruppen-Mitglieder      äußern ihr Unverständnis darüber, dass sie plötzlich in der Kritik stehen. Einige waren deshalb zum Interview mit den FilmemacherInnen bereit, wo sie sich als umweltbewusste StadtbürgerInnen präsentieren.  In dem Film werden die Baugruppen-BewohnerInnen nicht denunziert, doch es wird die Frage nach ihrer Verantwortung gestellt. Es werden die gesellschaftlichen Bedingungen infrage gestellt, die dafür sorgen, dass in einem Stadtteil  AltmieterInnen ums Überleben kämpfen und   gleichzeitig ein neuer Mittelstand  ihre Privilegien und Macht ausspielt Der Film zeigt, dass Verdrängung   viele Gesichter hat, aber kein Naturges tz ist.  So wird auch der Alltagswiderstand der MieterInnen  in Treptow gezeigt, der  vom Besuch bei den vielen neuen Kreativbüros über Stadtteilspaziergängen  bis zur Beteiligung an Baugruppen-Partys ohne Einladung reicht. Dabei ist der Film immer locker und humorvoll.

Peter Nowak

Verdrängung hat viele Gesichter«  hat  am 9.10. um 18.30 Uhr in Anwesenheit des Filmteams und Protagonist_innen im  Moviemento Kino Berlin, Kottbusser Damm 22, Premiere.
Weitere Termine mit anschließenden Diskussionen im gleichen Kino:

12.10. Publikumsgespräch mit „Zwangsräumung verhindern“
15.10. Publikumsgespräch mit der Stadtteilinitiative „Wem gehört Kreuzberg?“
20.10. Publikumsgespräch mit der Stadtteilinitative „Karla Pappel“ – 6 Jahre Stadtteilarbeit – eine Bilanz
Weitere Termine finden sich  auf der Homeapge  berlingentrification.wordpress.com

aus: MieterEcho online 01.10.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/verdraengung-hat-viele-gesichter.html

Peter Nowak

Misshandlungen von Geflüchteten ohne fremdenfeindlichen Hintergrund?

Misshandlungen in Flüchtlingsunterkünften: Die Politiker geben sich als Aufklärer. Fragen nach dem gesellschaftlichen Kontext solcher Übergriffe werden aber nicht gestellt

Nachdem bekannt wurde, dass die Misshandlungen von Geflüchteten in mehreren Unterkünften in NRW keine Einzelfälle waren, gab sich der NRW-Innenminister Ralf Jäger als Problemlöser. Am Dienstagmittag gab er auf einer Pressekonferenz erste Konsequenzen der Vorfälle bekannt. Er entschuldigte sich bei den betroffenen Flüchtlingen und kündigte rückhaltlose Aufklärung an.

Jedem Übergriff werde nachgegangen. Das ist allerdings das Mindeste, was ein verantwortlicher Minister in solchen Fällen tun muss. Schon substantieller ist die Ankündigung, dass das Land NRW künftig nicht mehr mit Sicherheitsfirmen zusammenarbeiten will, die mit Subunternehmen kooperieren. Ansonsten bewegte sich Jäger bei den Konsequenzen weitgehend in den alten Bahnen.

Die potentiellen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes sollen künftig von Polizei und Verfassungsschutz überprüft werden. Damit soll wieder einmal ausgerechnet die Behörde aufgewertet werden, die spätestens nach dem NSU-Skandal eigentlich als Bündnispartner gegen Rechts ausgedient haben sollte. Damals wurde in vielen Medien darauf hingewiesen, dass zivilgesellschaftliche Gruppen eine wesentlich bessere Adresse sind, wenn es um den Kampf gegen Rechts geht.

Das zeigt sich auch im Fall der Misshandlungen in den Flüchtlingsunterkünften. Denn so überraschend sind die längst nicht. Schon vergessen scheinen die Schlagzeilen, die seit vielen Jahren Angehörige rechter Gruppen als Mitarbeiter bei Sicherheitsdiensten von Flüchtlingsunterkünften machen

Rechte als Wachschützer in Flüchtlingsheimen

Bereits 2002 wurde bekannt, dass Rechte bei einem Sicherheitsdienst, der mehrere Unterkünfte in Brandenburg bewacht hatte, angestellt waren. „Nazis als Wachschützer im Asylbewerberheim: Von Böcken und Gärtnern“ titelte [1] Hagalil und zitierte aus einem Bericht des Magazins Focus, wonach der Verfassungsschutz intern auf vier Neonazis bei dem Sicherheitsdienst hingewiesen habe. Das Resultat war damals, dass der Sicherheitsdienst mit rechtlichen Schritten drohte [2], wenn sein Name weiter im Zusammenhang mit den Vorfällen erwähnt werde.

Zudem klagte [3] die Arbeiterwohlfahrt zwei Flüchtlinge aus Rathenow wegen übler Nachrede an, weil die in einem Offenen Brief darauf hingewiesen hatten, dass in der Wachfirma Menschen mit extrem rechtem Hintergrund beschäftigt seien. Als im Februar 2013 erneute Neonazis bei Wachschutzfirmen Schlagzeilen machten [4], weil sie im Verfassungsschutzbericht [5] des Landes Brandenburg im Jahre 2012 thematisiert wurden, waren die Berichte aus dem Jahr 2002 weitgehend vergessen.

Das macht wieder einmal deutlich, dass bestimmte Meldungen erst in die größeren Medien kommen, wenn sie sich auf den Verfassungsschutzbericht als Quelle berufen können. Die Recherchearbeit von Initiativen gegen Rechts, die oft viel früher über solche Entwicklungen berichteten und die anders als die Verfassungsschutzbehörden eben unabhängig von staatlichen Vorgaben sind, werden hingegen oft ignoriert oder relativiert. Daher ist es ein fatales Zeichen, wenn jetzt auch vom NRW-Innenminister Jäger wieder der Verfassungsschutz als Prüfungsinstanz dienen soll.

Keine fremdenfeindlichen Hintergründe?

Befremdlich ist auch, dass Jäger bisher keine Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Misshandlungen erkennen will. Die Flüchtlinge seien Opfer von Kriminellen geworden, erklärte er. Dass erinnert an die die lange kritisierte Praxis, Angriffe auch von Menschen mit rechtem Gedankengut nicht als neonazistische Taten zu bezeichnen, wenn beispielsweise der Täter betrunken war.

Seit vielen Jahren streiten sich Opferverbände, Polizei und Politik über die korrekte Klassifizierung [6]. Mittlerweile hat auch die Polizei einige der Straftaten, bei der sie lange Zeit keine politischen Hintergründe sehen wollte, als Taten mit neonazistischen oder rassistischen Hintergrund bewertet [7]. Das macht deutlich, wie umstritten dieses Klassifizierungssystem ist. Auch bei den Übergriffen in den Flüchtlingsunterkünften sollte man die Frage stellen, ob sie auch gegen Menschen mit deutschem Pass verübt worden wären.

Dabei führt es auch in die Irre, wenn man von einer rassistischen Tat nur dann ausgeht, wenn die Beschuldigten Kontakt zu Organisationen der extremen Rechten haben. Damit wird der Alltagsrassismus ausgeblendet, der sich auch bei Menschen äußert, die nie auf eine Neonazidemonstration gehen und sich diesen Milieu auch gar nicht zugehörig fühlen. Damit wird aber auch deutlich, dass die offizielle Politik genau dieses Thema möglichst nicht anspricht.

Denn dann müsste der politische Kontext angesprochen werden, der dazu führt, dass solche Übergriffe möglich werden und die Täter vielleicht noch glauben, dass sie damit nur ausführen, was viele gutheißen. Wenn man verfolgt, wie in den letzten Monaten Geflüchtete als Bedrohung angesehen wurden, die man möglichst schnell wieder loswerden will, zeigt sich, dass sie damit gar nicht unbedingt so unrecht haben.

Bereits vor mehr als 10 Jahren haben Unionspolitiker die Devise ausgegeben, dass die Flüchtlinge in Deutschland Hindernissen und Beschwernissen ausgesetzt werden müssen. Es solle sich bis nach Afrika herumsprechen, dass es nicht mit Annehmlichkeiten verbunden ist, in Deutschland Asyl zu beantragen, hieß es damals.

Wenn die CSU mit Parolen in der Art „Wer betrügt, der fliegt“ Wahlkampf macht, setzt sie die populistische Kampagne fort. Wenn erst vor wenigen Jahren einige Länder auf dem Balkan zu sicheren Drittstaaten erklärt wurden, obwohl dort Roma massiven Verfolgungen und Diskriminierungen ausgesetzt sind, wird diese Politik der Ausgrenzung von Wahlkampfparolen in Gesetze und Verordnungen gegossen. Dann ist es auch nicht verwunderlich, dass eben einzelne Männer den Vorsatz, es den Asylbewerbern so ungemütlich wie möglich in Deutschland zu machen, in die Tat umsetzen.

Privatwohnungen statt Heime

Es wäre ein Erfolg, wenn als Konsequenz der Misshandlungen die Heimunterbringung insgesamt infrage gestellt würde. Diese Forderungen stellen Flüchtlingsselbsthilfeorganisationen und Antirassismusgruppen seit Langem.

Hätten die Geflüchteten in Wohngemeinschaften statt in Heimen gewohnt, wären die Misshandlungen auch gar nicht passiert. Die von der Politik gewollte Heimunterbringung soll genau umsetzen, was Unionspolitiker erklärten. Die Geflüchteten sollen eben nicht das Gefühl haben, willkommen zu sein.

Es ist ein Zufall, dass gerade in diesen Tagen der 25. Jahrestag gefeiert wird, als DDR-Flüchtlinge, die die Prager Botschaft besetzt hielten, in die BRD ausreisen konnten. Es wäre schon ein Symbol, wenn einige derjenigen, die immer zu solchen Jahrestagen als Berufs-DDR-Bürgerrechtler durch die Medien gereicht werden, eine Erklärung verfassen würden, in denen sie sich mit den Menschen solidarisieren, die aktuell nach Deutschland flüchten. Damit würden sie unter Beweis stellen, dass für sie Menschenrechte universell gelten und nicht nur für Besitzer eines deutschen Passes.

http://www.heise.de/tp/news/Misshandlungen-von-Gefluechteten-ohne-fremdenfeindlichen-Hintergrund-2408602.html

Peter Nowak 

Links:

[1]

http://www.klick-nach-rechts.de/gegen-rechts/2002/12/zarnikow.htm

[2]

http://www.inforiot.de/security-zarnikow-droht-mit-juristischen-schritten/

[3]

http://jungle-world.com/artikel/2004/11/12493.html

[4]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/rechtsextreme-unterwanderung-neonazis-als-wachschuetzer,10809148,21730912.html

[5]

http://www.verfassungsschutz.brandenburg.de/media_fast/4055/VSB_web_1.pdf

[6]

http://jungle-world.com/artikel/2014/08/49366.html

[7]http://www.derwe

Auf gute Nachbarschaft

Demonstration »United Neighbours« zieht gegen Zwangsräumung und Mietpreissteigerung durch die Stadt

Am Samstag protestierten über 1000 Menschen gegen den Umgang mit Wohnungslosen in der Stadt.

»Hände weg von meinen Nachbarn« stand auf dem selbst gemalten Schild, dass eine ältere Frau auf der von Aktivisten und Flüchtlingen organisierten Demo »United Neighbours – Bleiberecht und Wohnraum für alle!« am Samstag gen Himmel streckt. »Ich wohne hier in der Ohlauer Straße seit Jahren und die Flüchtlinge sind meine Nachbarn und sollen es auch bleiben«, erklärte sie ihr Motto, mit dem sie sich mit den jetzigen Bewohnern der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule solidarisierte. In unmittelbarer Nähe des Gebäudes startete am Samstagnachmittag gegen 15 Uhr die Demonstration. Laut Veranstaltern waren rund 1500 Menschen dem Aufruf von Refugee Strike Berlin, Bündnis Zwangsräumung Verhindern sowie politischen Gruppen und Einzelpersonen gefolgt. »Wir wollen damit deutlich machen, dass der Kampf der Mieter und der Flüchtlinge zusammengehört«, erklärte Johannes vom Vorbereitungskreis gegenüber »nd«.

Eine Nachbarschaftsinitiative sorgte sogar mit einem eigenen Schlachtruf für Stimmung. »Ohlauer Olala«, rief sie unter Beifall. Solidarität werden die noch in der Schule lebenden Flüchtlinge in den nächsten Wochen brauchen. Vor einigen Tagen haben Vertreter des Bezirks Kreuzberg-Friedrichshain erklärt, dass die Flüchtlinge das Gebäude in der nächsten Zeit verlassen müssen. Ein Bewohner gab auf der Demonstration die Antwort: »Wir lassen uns nicht in Heime stecken und werden gegen jeden Räumungsversuch erneut Widerstand leisten«. Die Demonstration zog dann zur in der letzten Woche geräumten Cuvry-Brache am Spree-Ufer, wo sich in den letzten Monaten zahlreiche wohnungslose Menschen ein Domizil gesucht hatten. »Der Platz war unsere Lücke im System. Sie gab uns die Möglichkeit, dass nicht nur Leute mit dem nötigen Geld und deutschem Pass die Stadt für sich nutzen und in dieser überleben können«, erklärte eine ehemalige Bewohnerin.

Die Demonstration endete am Oranienplatz, wo im Oktober 2012 der Flüchtlingsprotest in Berlin begonnen hatte. Dort beklagten mehrere ehemalige Bewohner der Zeltstadt, dass der Senat die Vereinbarungen, die zur Räumung des Platzes führten, weiterhin ignoriert. Erst in den letzten Tagen bekamen Geflüchtete, die in Unterkünften in Charlottenburg lebten, die Aufforderung, in der nächsten Woche Berlin zu verlassen. »Dies bedeute erneut Obdachlosigkeit, soziale Ausgrenzung und in vielen Fällen Abschiebung«, sagte ein Redner. Mieteraktivisten von »Kotti und Co.« sowie des Bündnisses »Zwangsräumung verhindern« machten in ihren Redebeiträgen noch einmal deutlich, dass sie mit dem Kampf der Geflüchteten solidarisch sind. »Wir kämpfen gemeinsam gegen jede Ausgrenzung«.

»Ich hätte mir eine Wiederbesetzung des Platzes gewünscht. Nur so können wir den Druck auf den Senat erhöhen, die Vereinbarungen mit den Flüchtlingen doch noch einzuhalten«, meinte eine Teilnehmerin. Eine Gruppe von Gewerkschaftern verteilte eine Solidaritätserklärung mit den Geflüchteten und forderte den Berliner DGB auf, sich an der Organisierung von Solidaritätsdemonstrationen zu beteiligen und den Flüchtlingen Räume zur Verfügung zu stellen. Seit Donnerstagnachmittag hält sich eine Gruppe von ca. 20 Geflüchteten im Berliner DGB-Haus am Wittenbergplatz auf.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/947489.auf-gute-nachbarschaft.html

Peter Nowak

Protestzug bis zum Oranienplatz

ASYL Über 1.000 Leute ziehen am Samstag durch Kreuzberg. Flüchtlinge kündigen Widerstand an

„Ohlauer Olala, Ohlauer Olala“, lautete der Schlachtruf einer Kreuzberger Nachbarschaftsinitiative, die sich mit den Flüchtlingen in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg solidarisierte. Am Spreewaldplatz in unmittelbarer Nähe des Gebäudes begann am Samstagnachmittag unter dem Motto „United Neighbours“ eine Demonstration von Mieter- und FlüchtlingsaktivistInnen, an der sich circa 1.200 Menschen beteiligten. Der Zug führte quer durch Kreuzberg 36 bis zum Oranienplatz.

Auf einer Zwischenkundgebung an der kürzlich geräumten Cuvrybrache am Spreeufer erklärte eine ehemalige Bewohnerin: „Der Platz war unsere Lücke im System. Sie gab uns die Möglichkeit, dass nicht nur Leute mit dem nötigen Geld und deutschem Pass die Stadt für sich nutzen und in dieser überleben können.“

Auf der Abschlusskundgebung am Oranienplatz erklärten RednerInnen des Bündnisses „Zwangsräumung verhindern“ und „Kotti und Co.“ ihre Solidarität mit den Geflüchteten. Man kämpfe schließlich gegen jede Form von Ausgrenzung.

In mehreren Redebeiträgen berichteten Flüchtlinge, wie ihre Interessen von Bezirk und Senat ignoriert würden. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die BewohnerInnen der Gerhart-Hauptmann-Schule erst in der vergangenen Woche erneut aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Einer von ihnen rief am Samstag: „Wir werden gegen jeden Räumungsversuch erneut Widerstand leisten und lassen uns nicht in Heime stecken.“

Manche TeilnehmerInnen hatten sich von der Demonstration mehr erhofft. „Angesichts der Räumung der Cuvrybrache und der erneuten Drohungen gegen die Gerhart-Hauptmann-Schule hätte ich mit mehr Leuten gerechnet“, sagte eine junge Frau. Es sei nur vereinzelt gelungen, über das linke Milieu hinauszukommen. Dazu gehörten einige GewerkschafterInnen, die sich mit den Flüchtlingsprotesten solidarisierten. Sie forderten den Berliner DGB auf, sich künftig an der Organisation von Demonstrationen zu beteiligen.

Schon während der Abschlusskundgebung leerte sich der Oranienplatz. „Ich hatte gehofft, dass wir im Anschluss den Platz wieder besetzen“, sagte eine Demoteilnehmerin enttäuscht. Der Senat habe alle Versprechen gebrochen, die er den Flüchtlingen gemacht habe, damit die das Camp räumten. „Eine Wiederbesetzung wäre eine Möglichkeit, den Druck auf den Senat zu erhöhen.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F09%2F29%2Fa0122&cHash=55ea5311f143fe75510f3caf74435ca2

Peter Nowak

„Wir werden nicht vergessen und vergeben“

Die Rede des palästinensischen Präsidenten vor der UN zeigt die Hoffnungslosigkeit für einen Friedensprozess

Reden von palästinensischen Führungspersonen vor der UN-Vollversammlung sorgen seit langem für weltweite Aufmerksamkeit. So inszenierte sich Jassir Arafat 1974 [1]vor der UN als Freiheitskämpfer und brachte sogar eine Waffe mit in den Plenarsaal. Für einen großen Teil der antiimperialistischen Gruppierungen jener Zeit waren Arafat und die PLO nach dieser Rede zu Sympathieträgern geworden. Für Israel und seine Unterstützer war sie ein weiterer Beleg, dass mit diesen Gruppen und ihrem Personal kein Frieden möglich ist.

40 Jahre später sorgt wieder die Rede einer palästinensischen Führungsperson vor der UN-Vollversammlung für Aufregung. Mahmud Abbas, dessen Amtszeit als palästinensischer Präsident eigentlich schon längst abgelaufen ist und der intern durch den Konflikt mit der Hamas geschwächt ist, ging explizit auf Arafats UN-Auftritt ein und richtete scharfe Vorwürfe gegen Israel.

Die israelische Armee habe im Gazakrieg schwere Kriegsverbrechen begangen, erklärte Abbas.“Wir werden nicht vergessen und wir werden nicht vergeben“, rief Abbas. Er kündigte an, die Verantwortlichen wegen Kriegsverbrechen verfolgen zu lassen. Propagandistisch war seine Erklärung, dass die Stunde der Unabhängigkeit für Palästina begonnen habe. Allerdings blieb es bei diesen Bekenntnissen. Konkrete Schritte oder Termine unterblieben – und das hatte seinen Grund. Abbas hat gar keine Möglichkeiten, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Weltpolitische Ereignisse isolierten Palästina

Im Unterschied zu 1974, als Arafat von einen großen Teil der UN-Vertreter hofiert wurde, hat die Veränderung der weltpolitischen Lage die Unterstützung für die palästinensische Sache schrumpfen lassen. Schon mit dem Ende des nominalsozialistischen Lagers brachen viele Unterstützer weg. Dann sorgte der zweite Golfkrieg dafür, dass auch im arabischen Lager die Gegner der PLO stärker wurden, weil Arafat damals auf Saddam Hussein setzte. Mit den Umbrüchen in den arabischen Ländern, die als Arabischer Frühling bekannt wurden, verstärkten sich die innerarabischen Differenzen.

So führte der Aufstand in Syrien, der sich in zu einem Bürgerkriegentwickelte, in dem die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien um die Hegemonie kämpften, dazu, dass ehemalige Unterstützer bestimmter palästinensischen Fraktionen zu Gegnern wurden.Besonders die Hamas bekam das zu spüren, weil sie sich den islamistischen Gegnern gegen das Baath-Regime annäherte. Der Aufstieg des IS überlagert nun zeitweise den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, aber er ist nur zeitweise stillgelegt. Die palästinensische Sache gerät damit nur noch mehr in den Hintergrund.

Wenig Kooperationspartner in Israel

Auch die innenpolitische Entwicklung in Israel wirkt sich zuungunsten Palästinas aus. Während noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts auch linkszionistische Kreise auf einen Frieden mit Palästina hinarbeiteten, eine Zwei-Staaten-Lösung anvisierten und dafür Gesprächspartner im
palästinensischen Lager suchten, sind solche Positionen in der israelischen Gesellschaft weitgehend marginalisiert. Dazu trugen demografische Veränderungen bei, die noch dem Arbeiterzionismus nahestehende Einwanderer aus Europa gegenüber Zuwanderern aus Osteuropa, besonders aus Russland, in die Minderheit geraten ließen. Diese sehen die Priorität in einer Politik der Stärke und einen möglichen Friedensvertrag mit den Palästinensern nicht als vordringlich an.

Der gegenwärtige israelische Außenminister Avidgor Liebermann ist ein Protagonist dieser Strömungen, die damit argumentieren, dass es auf palästinensischer Seite keine Partner für ein Friedensabkommen gäbe. Sie sehen sich durch die Rede von Abbas vor der UN-Versammlung bestätigt. Liebermann warf Abbas vor, „falsche Anschuldigungen“ in seiner Rede vorgebracht zu haben und sprach sogar von „diplomatischen Terrorismus“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu klassifizierte die Abbas-Rede ähnlich.

Auch US-Politiker schlossen sich dem Urteil an. Die Sprecherin des US-Außenministeriums monierte, die Rede von Abbas habe „provozierende Äußerungen“ enthalten, sei kontraproduktiv und untergrabe die „Anstrengungen zur Schaffung einer positiven Atmosphäre“. Doch diese
Klassifizierungen sind ebenso propagandistisch und berechnend wie auf anderer Ebene die Abbas-Rede. Mit der Kritik an der Abbas-Rede versucht die Obama-Administration, die Kluft zu überwinden, die sich zwischen ihr und der israelischen Regierung in den letzten Monaten aufgetan hat. Lange waren die Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht so schlecht wie aktuell. Mit der gemeinsamen Kritik an der Abbas-Rede werden die Gegensätze nur scheinbar überbrückt.

Tatsächlich richtete sich die Abbas-Rede an die palästinensische Bevölkerung, was schon der Bezug auf den Arafat-Auftritt 1974 zeigt, der in palästinensischen Kreisen mystifiziert wird. Abbas will sich gegenüber der islamistischen Hamas und anderen Gruppierungen als starker Vertreter der palästinensischen Sache profilieren. Wenn er schon keine ökonomische und politische Macht hat, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen, muss die Beschwörung einer gemeinsamen nationalen Zukunft diese Leerstelle füllen. So funktionieren alle Projektionen auf Nationen und insofern ist Abbas da nicht besonders originell.

Vertrauen zwischen Israel konnte er mit seiner Rede schon deshalb nicht zerstören, weil es das seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses nicht mehr gibt. Wer dafür dieVerantwortung trägt, ist seitdem ein großer Streitpunkt, nicht nur zwischen Israel und Palästina, sondern auch zwischen israelsolidarischen und propalästinensischen Gruppierungen in aller Welt, besonders auch in Deutschland.

Symptom der Sprachlosigkeit

Die Marginalisierung des israelischen Friedenslagers hat seine Ursache nicht zuletzt darin, dass zwischen Israel und Palästina völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Ergebnisse des Osloer Prozesses bestanden. Auch viele israelische Friedensaktivisten wussten keine Antwort mehr auf die Frage, wie es noch zu einem Übereinkommen kommen könne. Als dann der islamistische Terror immer massiver wurde, mit dem die israelische Zivilgesellschaft bereits in den 90er Jahren konfrontiert war, wurde das Friedenslager noch weiter dezimiert.

Die Abbas-Rede und die Reaktionen aus Israel sind denn auch eher die Beschreibung eines Zustands der Sprachlosigkeit zwischen beiden Lagern. Viele Israelis sehen das Projekt eines Friedensvertrags zumindest für die nächste Generation als nicht auf der Tagesordnung stehend. Das sehen auch viele Palästinenser ähnlich, was den Zulauf zu den verschiedenen islamistischen Gruppierungen erklärt, die die Zukunft in einen imaginären Jenseits versprechen. Insofern markieren die Rede von Abbas und die Reaktionen aus den Israel den Status Quo.

Wie es zu einem Friedensprozess kommen könnte, der vielleicht nicht zu zwei Staaten führt, aber zu einem Gemeinwesen, in dem alle Menschen mit gleichen Rechten leben können, ist eine Frage an die Zukunft.Sicher aber ist wohl, dass die Protagonisten nicht die Politiker beider Lager sein werden, sondern die Initiativen und Gruppierungen, die bereitsheute über die nationalen und ethischen Grenzen hinweg eine Kooperation leben und praktizieren.

http://www.heise.de/tp/news/Wir-werden-nicht-vergessen-und-vergeben-2404836.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.wrmea.org/1994-november-december/plo-chairman-yasser-arafat-s-first-appearance-at-the-united-nations.html

Überwachung bleibt ein Thema

Peter Nowak über die Ablehnung der Ehrendoktorwürde für Edward Snowden
An der Rostocker Universität haben sich Wissenschaftler erfolglos für die Verleihung der Ehrendoktorwürde an den ehemaligen  US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden eingesetzt. Der Rektor der Rostocker Hochschule und das Bildungsministerium von Mecklenburg Vorpommern verhinderten die Verleihung dieses Titels mit der Begründung, der Whistleblower habe mit der Aufdeckung der Spitzeltätigkeiten britischer und US-amerikanischer Geheimdienste keine wissenschaftliche Arbeit geleistet. Selbst wenn diese Ablehnung Bestand haben sollte, endete die Initiative für die Verleihung des Doktortitels nicht mit  einer Niederlage. Denn nun wird über den Umgang der Unileitung mit dem Thema Überwachung diskutiert. Die linke studentische Gruppe »Kritische Universität« listet gleich mehrere Veranstaltungen zu kritischen Themen auf, die von der Rostocker Unileitung in den letzten Jahren untersagt wurden. Dazu gehörte eine von der Grünen Hochschulgruppe geplante Veranstaltung mit dem Gentechnik-Kritiker Percy Schmeißer. Auch der Buchautor Jörg Bergstedt durfte die Ergebnisse seiner Recherche über die Gentech-Lobby nicht auf dem Campus der Rostocker Universität vorstellen. Die Studenten weisen zudem auf die Aktivitäten der Firma Grawis hin. Die Ausgründung der Rostocker Uni entwickelte das Programm Textrapic, das der Geheimdienst BND für die Überwachung des Internets nutzen möchte. Solche Debatten dürften durchaus im Sinne von Edward Snowden und jener Wissenschaftler an der Rostocker Uni sein, die sich weiterhin für die Ehrung des Whistleblowers einsetzen.
Peter Nowak

http://www.neues-deutschland.de/artikel/947261.ueberwachung-bleibt-ein-thema.html

Die Mieterstadt löst sich auf

Können Mietpreisbremse und Selbstbau-Initiativen den Wohnungsmarkt entlasten?

Senat, Opposition, Stadtforscher und Initiativen diskutierten, welche Möglichkeiten es gibt, Wohnungsnot und steigenden Mieten beizukommen.

Die Werbetafeln an der Großbaustelle an der Otto Suhr Allee im Stadtteil Charlottenburg zeigen deutlich, dass dort Lofts für eine einkommensstarke Klientel entstehen. Nur wenige Hundert Meter weiter im Rathaus Charlottenburg widmeten sich am Mittwochabend unter dem Motto »Weder Lofts noch Laube« Stadtsoziologen und Politiker der Frage, wie Menschen mit wenig Einkommen in Berlin eine Wohnung finden und ob Genossenschaften und Selbstbauinitiativen dafür eine Lösung haben. Eingeladen hatte die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin.

Wohnungsnot und steigende Mieten erfordern kreative Lösungen durch Politik und Gesellschaft. In der stadtentwicklungspolitischen Diskussion sind neben einer Mietpreisbremse bei Neuvermietungen und nach Modernisierungen vor allem Möglichkeiten der Förderung von Neubauten. Hoffnungen werden auf Genossenschaften und Selbstbau-Initiativen gesetzt. Kann durch sie bezahlbarer Wohnraum geschaffen und der Mietanstieg wirksam begrenzt werden? Welche weiteren Ideen und Projekte gibt es, um die »Berliner Mischung« zu erhalten?

Der an der Humboldt Universität lehrende Stadtsoziologe Andrej Holm lieferte eine eine ungeschminkte Zusammenfassung der Wohnsituation in der Hauptstadt: »Die Mieterstadt Berlin ist in Auflösung begriffen«, so sein Befund, den er mit einer Analyse der Zeitungsanzeigen untermauerte. Lange Zeit habe es sich überwiegend um Mietannoncen gehandelt, im letzten Jahr aber hätten erstmals die Anzeigen für Wohnungsverkäufe überwogen. Auch die dramatische Situation für Hartz IV-Empfänger belegte Holm mit Zahlen.

Während 2007 in Berlin die Mieten von rund 40 Prozent der Wohnungen unter der Bemessungsgrundlage der Jobcenter lagen, waren es 2012 nur noch 6 Prozent. Neubauwohnungen seien für einkommensschwache Bevölkerungsteile kaum erschwinglich.

Daher plädierte Maren Kern von den Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) dafür, bei den Bestandswohnungen günstige Mieten zu erhalten. Kern betonte, ihr Unternehmen sorge seit Jahren dafür, dass einkommensschwache Menschen in Berlin wohnen können. Es sei eine alternative zu Immobilienfirmen, denen es nur um die Rendite gehe.

Wesentlich kritischer sah Thomas Schmidt von der Initiative »Genossenschaft von unten« das Agieren der etablierten Wohngenossenschaften. Die würden sich zu oft als Unternehmen der Immobilienwirtschaft sehen und hätten den Gründungsgedanken aus den Augen verloren. Viel Unterstützung bekam er aus dem Publikum. Der Zivilgesellschaft rechnete Andrej Holm das Verdienst zu, dazu beigetragen zu haben, dass in Berlin soviel über die Wohnungs- und Mietenproblematik geredet wird. Mehrere Mitglieder einer Neuköllner Genossenschaft beklagten das undemokratische Gebaren des Vorstands. Über den Bau neuer Wohnungen seien sie zu spät unterrichtet worden, auf Kritik habe der Vorstand mit Ausgrenzung reagiert. Ähnliche Kritik trugen auch Mitglieder anderer Genossenschaften vor.

Die wohnungspolitische Sprecherin der Linkspartei Katrin Lompscher bekam Applaus, als sie mehr Transparenz und eine Demokratisierung der Genossenschaften anmahnte. Kritische Fragen musste sich hingegen die stellvertretende Fraktionschefin der SPD im Abgeordnetenhaus Ülker Radziwill anhören, als sie den Milieuschutz als Erfolg ihrer Partei reklamierte. »Die SPD in Neukölln stellt sich dagegen«, hielt ihr ein Zuhörer vor. Aus dem Publikum stellte sich die vor einigen Monaten gegründete Initiative Neue Kommunaler Wohnungsbau (INKW) vor, die sich für einen sozialen Wohnungsbau durch die öffentliche Hand einsetzt. Damit könnten die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass auch in Berlin wieder Wohnungen für einen Quadratmeterpreis von 6,50 Euro gebaut werden.

Peter Nowak

Kann denn Liebe strafbar sein?

Auf dem Weg zu einer bundesweiten Gefangenengewerkschaft

Eine Zellenrazzia sorgt für Aufmerksamkeit

Von Peter Nowak, Berlin. – Im Mai gründeten Gefangene in der JVA Tegel eine Gefangenengewerkschaft. Dies wurde sofort mit Repression und Einschüchterungsversuchen beantwortet. Dabei sind die zentralen Forderungen bisher Mindestlohn auch für Gefangene und Einbeziehung in die Rentenversicherung. In mehreren europäischen Ländern, wie Italien und Österreich, ist das längst Realität. In der Bundesrepublik dagegen sind die  Gefangenen sind nur ein Teil eines ganzen Heeres von Billiglöhner_innen. Die Kapitalist_innen und die mit ihnen befreundeten Politiker_innen werden nicht müde, den Untergang des Abendlands heraufzubeschwören, wenn diese Menschen wenigstens den Mindestlohn erhalten.

Eine Gefangenengewerkschaft erscheint möglicherweise auch engagierten GewerkschafterIinnen draußen utopisch. Warum eigentlich? In Argentinien existiert seit 2012 die Gefangenengewerkschaft SUTPLA. Diese ist mittlerweile Mitglied des Mitte-Links Gewerkschaftsbündnisses CTA. Wie CTA-Funktionäre berichten, hat die Gefangenengewerkschaft bereits die Aufmerksamkeit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auf sich gezogen. Das Experiment habe gute Chancen, auch in andere Länder exportiert zu werden. Selbstverständlich erhalten die Gefangenen in Argentinien den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 553$. Aber auch dort muss die Gefangenengewerkschaft ständig gegen eine Knastbürokratie ankämpfen, die mit miesen Tricks versucht, den Mindestlohn doch zu umgehen.

Hierzulande wird ja gerne behauptet, die Arbeit der Gefangenen sei gar keine „richtige“ Arbeit und deshalb würden Tarifverträge und arbeitsrechtliche Bestimmungen nicht greifen. Mit diesem Argument versuchte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) der neuen Gewerkschaft den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch ein solcher Widerstand von Seiten der Politik dürfte hinter Knastmauern wenig Eindruck machen. In der JVA Berlin-Tegel haben innerhalb kurzer Zeit mehr als 150 Gefangene die Initiative mit ihrer Unterschrift unterstützt. Dass es bei zwei Initiatoren eine Zellenrazzia gab, bei der Unterlagen zur Gründung beschlagnahmt wurden, hat eher noch zur Unterstützung im Gefängnis beigetragen. Mittlerweile hat sich die Initiative über Tegel hinaus ausgeweitet. In den Gefängnissen Berlin-Plötzensee, Willich und Aschaffenburg haben sich Vorbereitungskreise für eine Gefangenengewerkschaft gegründet. Sie ist also auf dem Weg zu einem bundesweiten Projekt. Damit erfüllt sich ein Wunsch der Gewerkschaftsinitiatoren, die in ihrer Gründungserklärung geschrieben haben.

„Mit unserer Initiative setzen wir darauf, beispielgebend für Gefangene in anderen Haftanstalten der Bundesrepublik zu sein, damit die eigenen Belange nicht nur auf geduldigem Papier stehen, sondern vor allem auch gehört werden müssen.“

Herausforderung an die bestehenden Gewerkschaften

Die Gründung ist auch eine Herausforderung an die bestehenden Gewerkschaften. Dort sind Inhaftierte als Mitglieder bisher ausgeschlossen, da die Rechtsform ihrer Tätigkeit nicht ein klassisches Arbeitsverhältnis sei, sondern ein »öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis eigener Art«. Obwohl sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, haben Inhaftierte kaum Möglichkeiten, ihre ohnehin eingeschränkten Rechte einzufordern. Darüber hinaus sind Gefangene deutscher Justizvollzugsanstalten gemäß Paragraph 41 des Strafvollzugsgesetzes bis zum Rentenalter verpflichtet, zu arbeiten. Ein Verstoß kann disziplinarisch, zum Beispiel mit dem Entzug von Vergünstigungen wie dem Fernseher in der Zelle, geahndet werden und führt zudem dazu, dass man die Gefangenen zur Zahlung von Haftkosten heranzieht. In manchen Gefängnissen wird Arbeitsverweigerern sogar nach 22 Uhr der Strom abgestellt.

2012 starteten in einigen Bundesländern Initiativen zur Abschaffung der Arbeitspflicht. Sie waren nur in drei Bundesländern erfolgreich. Der Sonderstatus der Arbeit in den Gefängnissen sorgt weiterhin dafür, dass die Inhaftierten von der Rentenversicherung ausgeschlossen sind. Ein Gesetz zur Einbeziehung der Gefangenen wurde 1976 im Parlament beschlossen,  aber bis heute nicht umgesetzt. Der Rentenanspruch von Menschen, die mehrere Jahre in Haft waren, verringert sich  drastisch. Nach acht bis zehn Jahren gibt es in der Regel kaum noch Hoffnung für ein Auskommen über Hartz-IV-Niveau. Vor allem bei der Entlassung älterer Menschen ist das ein immenses Problem. Wie der Gefangenenbeauftragte des Komitees für Grundrechte erklärte, erhält seine Organisation immer wieder Briefe von Gefangenen, die über schlechte Arbeitsbedingungen, miese Löhne und die fehlenden Rentenbeiträge klagen. Sie wenden sich an das Grundrechtekomitee, weil sie dort einen Ansprechpartner_innen für ihre Rechte v. Mit der Gefangenengewerkschaft würden sie sich eine Organisation schaffen, mit der sie selber für ihre Rechte kämpfen könnten.

Gefängnis als verlängerte Werkbank

Das wird besonders aktuell in einer Zeit, in der sich auch in Deutschland ein gefängnisindustrieller Komplex herausbildet. So wurde allein in Berlin im letzten Jahr mit Knastarbeit ein Umsatz von über 7 Millionen Euro gemacht. In anderen Bundesländern ist diese Entwicklung teilweise noch weiter fortgeschritten. In Hessen gibt es bereits eine teilprivatisierte Haftanstalt die Kaffee verkauft. Der Knastshop „SANTA FU – kreative Zellen“ wirbt mit „heißen“ und „originellen“ Produkten und Geschenkideen „direkt aus Hamburgs Knast.“ Der Justizvollzug Nordrhein-Westfalen bietet auf der Seite www.knastladen.de Produkte für Privatkunden, aber auch für die öffentliche Hand an. Der sächsische Online-Shop www.gitterladen.de sieht die Gefangenenarbeit „als verlängerte Werkbank des Handwerks und der Industrie“ um deren „Auftragsspitzen schnell und kompetent abfangen“ zu können.

Eine Kölner Jobberinitiative hat sich genauer mit den Lohnarbeitsverhältnissen in der JVA Rheinbach bei Köln befasst. Dort lässt beispielsweise die Firma Miele Kabeltrommeln für ihr Werk in Euskirchen vormontieren. Eine Million Teile habe Miele im letzten Jahr aus der JVA Rheinbach bezogen. Die Gefangenen, die für Miele arbeiten, erhalten im Schnitt 11 Euro am Tag. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall existiert natürlich nicht. Ein Unternehmenssprecher versuchte das Ganze in einem Interview mit dem Bonner General-Anzeiger auch noch als soziale Wohltat zu verkaufen:

„Es handelt sich um Tätigkeiten mit hohem Handarbeitsanteil, die wir in unseren eigenen deutschen Werken nicht wirtschaftlich darstellen könnten. Eine Alternative wäre, die Teile von Zulieferern mit Auslandsfertigung herstellen zu lassen. Wir haben uns aber bewusst dafür entschieden, solche Arbeiten auch an Justizvollzugsanstalten oder betreute Werkstätten zu vergeben.“

Unterstützung von Außen notwendig

Die Gewerkschafter_innen im Knast hätten also durchaus auch die Macht, Forderungen durchzusetzen. Eine solidarischer Unterstützung von draußen wäre die beste Starthilfe, die wir der Gefangenengewerkschaft geben können. Angesprochen sind Gewerkschafter_innen, Solidaritäts- und Antirepressionsgruppen und zvilgesellschaftliche Initiativen.

Kontakt zur Gefangenengewerkschaft:

Postadresse der Gefangenen-Gewerkschaft / BO
Gefangenen-Gewerkschaft / BO
c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
D 10405 Berlin

Homepage: http://www.gefangenengewerkschaft.de/

aus:  Contraste – Die Montagszeitung für Selbstorganisation

http://www.contraste.org/index.php?id=23