Sozialstaatssimulation und Flüchtlingsabwehr

Mit Klausuren bereiten sich SPD und CDU/CSU auf die nächsten Wahlkämpfe vor

Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld, einige „sinn- und unwürdige Sanktionen“ sollen abgeschafft werden, insgesamt sollen die Sanktionen aber nicht verschwinden. Einführen will man eine Kindergrundsicherung und der Mindestlohn soll auf 12 Euro angehoben werden. Das sind einige Kernpunkte…

„Sozialstaatssimulation und Flüchtlingsabwehr“ weiterlesen

Mobilmachung für den Cyberwar

Mit völlig übertriebenen Bedrohungsszenarien soll eine Gefahr suggeriert werden. Vergessen scheint, dass Hacking und Leaking auch Mittel der Subversion gegen die Macht sein können - Ein Kommentar

„Hackerangriff mit Opfern in Berlin“ [1], Dieser Angriff gilt der ganzen Gesellschaft [2] oder „Ein schwerer Anschlag auf die Demokratie“ [3]. Solche Überschriften in den aktuellen Medien lassen nicht zufällig an einen Terrorangriff mit Toten und Verletzten denken. Es wird mobil gemacht für die Verschärfung im Cyberkrieg.

So rückt auch mal wieder ins Bewusstsein, dass….

„Mobilmachung für den Cyberwar“ weiterlesen

Sarrazin und SPD: Der 3. Trennungsversuch

Egal, wie er ausgeht, die SPD hat den Schaden

„Warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann“, lautete das Plädoyer von Sigmar Gabriel [1] für einen schnellen Rausschmiss des Bankdirektors in Ruhestand und Hobby-Eugenikers Thilo Sarrazin aus der Partei. Es ist acht Jahre alt, stammt vom September 2010.

Gabriel ist als Parteichef schon längst Geschichte und Sarrazin noch immer Parteimitglied. Nachdem auch die jetzige Parteivorsitzende Nahles schon mal mit einem Rausschmiss von Sarrazin gescheitert ist, startet sie nun den dritten Anlauf. Eine Kommission hat nämlich in einem nicht öffentlichen Bericht die nicht sehr überraschende Entdeckung gemacht, dass auch Sarrazins neuestes Buch Feindliche Übernahme [2] nicht den Grundsätzen der SPD entspricht.

Dort vertritt der Autor die Thesen, dass eine Einwanderung aus islamischen Staaten eine Gefahr sei und gestoppt werden müsse. Damit füge er nach Meinung der Verfasser des Gutachtens der SPD Schaden zu.

Was sagen die Buschkowskys der SPD dazu?

Doch das dürften nicht alle SPD-Genossen so sehen. Der Typus Heinz Buschkowsky, gegen den auch schon Ausschlussanträge gestellt wurden [3] ist dort schließlich an der Basis zahlreich vertreten. Der hat wie der ehemalige Neuköllner Bürgermeister seinen Sarrazin im Bücherregal, würde sicher nicht alle seine Formulierungen unterschreiben, ist aber davon überzeugt, dass Sarrazin eher zur SPD gehört als der Islam zu Deutschland. Wenn Buschkowsky Sarrazin kritisiert, hört sich das so an [4]: „Das ist eine These, lieber Thilo, der ich nicht beitreten möchte.“

Noch ist nicht klar, wie der 3. Ausschlussversuch ausgeht. Doch klar ist, die SPD hat schon jetzt den Schaden. Zunächst erinnert sie die Öffentlichkeit daran, dass der Autor von Büchern wie „Deutschland schafft sich ab“ und eben „Feindlicher Übernahme“ noch SPD-Mitglied ist. Darauf legt Sarrazin auch viel Wert, denn seine Aufmerksamkeit bekommt er dadurch, dass er eben als rechter Stichwortgeber fungiert und nicht bei der AfD, sondern in der SPD ist. So jemand wird schnell mit dem Begriff Querdenker belegt und das ist dann noch als Lob gemeint. So titelt das Hamburger Abendblatt und nicht etwa die Junge Freiheit: „Ein Rauswurf des Querdenkers macht die SPD zu einer Sekte der Rechtgläubigen“ [5].

Es ist nicht die einzige Pressereaktion, die die SPD nicht etwa dafür kritisiert, dass sie es noch immer nicht geschafft hat, Sarrazin los zu werden, sondern dass sie es zum dritten Mal versucht. Die Presseschau zeigt, der Mann hat in der bürgerlichen Presselandschaft seine Fans. Die ihm nicht so wohlgesonnen sind, kritisieren die SPD, dass die ihm wieder Aufmerksamkeit und neue Leser beschert. Sarrazin hat die von ihm erwartete Rolle schon eingenommen und sieht den Ausschlussantrag als Angriff auf die parteiinterne Meinungsfreiheit.

In den 1970er Jahren reichte es bereits [6], einen Aufruf für Frieden und Abrüstung zu unterzeichnen, unter dem auch DKP-Mitglieder standen, um bereits beim ersten Mal aus der SPD ausgeschlossen [7] zu werden.

Auch die AfD will wieder ausschließen

Auch die AFD will wieder mal bekannte Rechte ausschließen. Es handelt sich um die ultrarechte Juristin Doris von Sayn-Wittgenstein [8], die sogar fast in den Parteivorstand gewählt worden wäre und Landesvorsitzende der AfD Schleswig-Holstein war.

Sie soll 2014 für einen revanchistischen, von einer verurteilten Holocaustleugnerin mit gegründeten Verein geworben haben. Doch der Hintergrund des Ausschlusses sind persönliche Intrigen und Machtkämpfe, die es bei der AfD immer wieder gibt. So dürfte das Verfahren wie das von Björn Höcke eingestellt werden. In den 1970er Jahren haben manche gewitzelt, Linksintellektuelle könnten sich mit einen Parteiausschlußverfahren ehrenhalber aus der SPD ihre politische Biographie interessanter gestalten. Das könnte von rechts auch Schule machen.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4254196
https://www.heise.de/tp/features/Sarrazin-und-SPD-Der-3-Trennungsversuch-4254196.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.zeit.de/2010/38/SPD-Sigmar-Gabriel/komplettansicht
[2] https://www.zeit.de/2018/36/feindliche-uebernahme-thilo-sarrazin-islam-buch
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/ex-buergermeister-von-neukoelln-buschkowsky-ausschluss-aus-der-spd-nahezu-ausgeschlossen/23136408.html
[4] http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Buschkowsky-knoepft-sich-Sarrazin-vor-Vergleich-mit-Trump
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/so-kommentiert-deutschland-spd-will-parteiausschluss-von-thilo-sarrazin-ankuendigung-von-ausschlussversuch-ist-fuer-sarrazin-verfruehtes-weihnachtsgeschenk_id_10082077.html
[6] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40859265.html
[7] https://www.tagesspiegel.de/politik/spd-ausschlussverfahren-sarrazin-bleibt-nur-links-gehts-raus/4153102.html
[8] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/doris-von-sayn-wittgenstein-afd-spitze-will-politikern-aus-partei-ausschliessen-a-1244190.html

Nach Merz: Viel Lärm um nichts bei CDU und SPD

Hoffnungen, die mit dem Kandidaten Friedrich Merz verbunden wurden, übersehen wesentliche Probleme beider Parteien

Der Bedeutungsverlust der politischen Parteien kann von niemandem mehr bestritten werden. Doch je deutlicher das wird, desto mehr versuchen die Parteien mit Showelementen die Aufmerksamkeit der verdrossenen Bevölkerung auf sich zu lenken. Die USA haben es schon lange vorgemacht, wie man mit einer Show, die sich Vorwahlen nennt, Gelder und Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die CDU hat nun eine Art Vorwahlen hinter sich und heraus kam AKK. Schon in dem Kürzel wird die Beliebigkeit deutlich, die hinter einer Charaktermaske steckt, die für alles und nichts steht. Es soll hier auch nicht weiter verwendet werden, weil damit einer Banalisierung von Herrschaftsverhältnissen Vorschub geleistet wird. Genau wie der erste grüne Außenminister Joseph Fischer bleibt, heißt die neue CDU-Vorsitzende hier Kramp-Karrenbauer. In ihrer Beliebigkeit ähneln sich die alte und die neue CDU-Vorsitzende. Mit ihrer Beliebigkeit und ihrem Opportunismus sind sie die idealen Verwalter des aktuellen Spätkapitalismus.

Kein Zurück in die 1980er Jahren

Da mögen in der Union sich manche Altkonservative noch mal Inspiration vom Kandidaten Friedrich Merz versprochen haben. Sie erhoffen sich von ihm ein Zurück in das Westdeutschland der 1980er Jahre, als die Union noch Wahlergebnisse über 40 % einheimste. Doch Merz hätte damit nur scheitern können, weil sich weder der Stand des Kapitalismus noch die Gesellschaft zurückdrehen lassen.

Da entschied sich die knappe Mehrheit der Union dann doch für die unverbindliche Kramp-Karrrenbauer, weil sie wegen ihrer Biegsamkeit nicht so hart scheitern kann wie ein Friedrich Merz. Hatten sich bis vor der Wahl alle Kandidaten selbst übertroffen in Eigenlob, welch gute Show sie in den letzen Wochen in der Partei geboten haben, so wurden aus Partnern wieder Konkurrenten, kaum waren die Stimmen ausgezählt.

Vor allem die Ostverbände der Union mosern, weil sie sich von Friedrich Merz mehr Rückenwind bei den Wahlen versprochen hätten. Dann sind sie auch noch bei der Wahl des Generalsekretärs leer ausgegangen. Aber das ganze Gejammer der rechten CDUler aus dem Osten, viele sind selbst Westimporte, wurde von der Mehrheit der Delegierten überhört, weil Umfragen zeigen, dass in den Großstädten Kramp-Karrenbauer beliebter als Merz war.

Und warum im Osten ausgerechnet der westdeutsche Ultrakapitalist Merz der Union Stimmen gebracht hatte, bleibt das Geheimnis seiner Fans. Auf diesen Widerspruch wies der linksliberale Publizist Albrecht von Lucke in einer Diskussionsrunde [1] im Deutschlandfunk hin unter der Fragestellung „Wohin steuert Annegret-Kramp-Karrenbauer die CDU?“. Doch er problematisiert nicht, was die Merz-Fans im Osten eigentlich umtreibt.

Sie träumen von einer Union, die die Oberhoheit über den rechten Stammtischen hat. Sie trauern Zeiten nach, als im Wendeherbst 1989 rechte Demonstranten gegen Linke und Nichtdeutsche hetzten und gleichzeitig Helmut Kohl hochleben ließen [2]. Dass auch Exponenten des Wendeherbstes 1989, die sich gegen die Ultrarechten heute positionieren, den Anteil der Rechten vor 19 Jahren kleinreden wollen, zeigt ein Interview [3] des DDR-Oppositionellen Martin Böttger in der taz.

Frage: Sie haben die Friedliche Revolution 1989 mitgestaltet. Es gibt Stimmen, die sagen, dass damals schon Rechtsextreme Anteil am Sturz der SED-Herrschaft hatten. Zu Recht?
Dafür hätte ich gerne Belege. Ich kenne auch keine solchen Akteure. Die, die ich kenne, kamen aus dem linken Milieu.

Martin Böttger, Interview mit der taz

Als ihm der Verfasser die vermissten Belege mit Quellen zusandte, kam keine Reaktion. Daraus kann eigentlich nur der Schluss gezogen werden, dass er sich bloßgestellt fühlt, weil er schon vorher wusste, dass seine Aussagen nicht stimmen. Es wäre zu wünschen, dass eine Initiative junger Menschen aus dem Umfeld der Linkspartei, die sich eine Aufarbeitung der Wendezeit vorgenommen haben, sich auch mit der Frage befasst, welche Rolle die Rechte im Herbst 1989 hatte und wieweit sie auch von Westparteien unterstützt wurde.

Allerdings wird sich erst zeigen, ob ihr merkwürdiger Name Aufschwung Ost [4] und ihre Forderung nach einer „Ossi-Quote“ nicht doch Satire sind. Sollte sich darin ihre Politik erschöpfen, ist ihr Emanzipationsgehalt eher gering. Dabei wäre eine kritische Aufarbeitung der Wendeereignisse ein wichtiges linkes Politfeld.

SPD hoffte vergeblich auf Merz

Auf die SPD wird man darauf, wie bei allen linken Themen, keine Hoffnungen zu setzen brauchen. Sicher wird es zum Wendejubiläum auch aus der SPD die eine oder andere Mäkelei geben. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Übernahme der DDR nach dem Modell Kohl, wie sie die SPD 1989 äußerte, wird sie schon deshalb nicht wiederholen, weil sie vom damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine kam.

Der ist noch immer Sozialdemokrat, aber bekanntlich nicht mehr in der SPD. Mit ihm haben fast alle, die noch klassisch sozialdemokratische Politik machen, das heißt, den Kapitalismus nationalstaatlich einhegen wollen, die Partei verlassen. Einige Nachzügler verließen die Partei erst kürzlich, darunter der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow [5] und die sozialdemokratische Gewerkschaftlerin Susanne Neumann [6], die dadurch bekannt wurde, dass sie sich als prekär Beschäftigte noch die Mühe machte, der SPD ihre Politik um die Ohren zu hauen.

Beide wären sicher Bündnispartner der Linken. Dass sie erstmal auf Distanz bleiben, ist deren internen Konflikten geschuldet. Sowohl Bülow als auch Neumann sind in der linksparteiintern umstrittenen Bewegung „Aufstehen“ aktiv. Sollten sich die Wege zwischen der Linken und „Aufstehen“ endgültig trennen, woran in beiden Lagern einige hinarbeiten, könnten beide noch eine Rolle in neuen Formationen spielen.

Die hausgemachte Krise der SPD

Doch die SPD kann weder von dem internen Zwist in der Linken noch von der auch nach dem Parteitag ungeklärten Lage in der CDU profitieren. Ihre Krise ist hausgemacht. Nicht nur immer mehr Wähler fragen sich, wozu die SPD noch gebraucht wird. Auch viele Mitglieder können es nicht wirklich erklären. So begründet [7] die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose in der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland, warum es sich lohnt, in der SPD so bleiben, wie folgt:

Die SPD vereinigt Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Anschauungen. Ihnen gemeinsam ist die Identifikation mit den sozialdemokratischen Grundwerten „Freiheit, Gleichheit und Solidarität“, welche wichtige Referenzpunkte für linke Politik sind.

Annika Klose, Neues Deutschland

Hundert Jahre nachdem die SPD-Führung in Berlin und anderen Städten auf Menschen, die für Freiheit, Gleichheit und Solidarität auf die Straße gingen, schießen ließ, hätte man sich von einer SPD-Linken ein kritischeres Bild von der eigenen Partei erwartet.

Doch die Jusos von heute sind die Führungsfiguren der Partei in den nächsten Jahren. Daher haben die Jusos von heute gar keine Zeit mehr, sich in jugendlicher Opposition zu üben. Schon wird Kevin Kühnert als möglicher SPD-Vorsitzender gehandelt, wenn vielleicht nach einem desaströsen Ausgang der Europawahlen Nahles gehen muss. Das bringt der SPD genau so wenig eine neue Perspektive, wie für sie die Wahl von Merz auf dem CDU-Vorsitz eine Rettung gewesen wäre.

Nach Außen hätte die SPD etwas Klassenkampf zelebriert. Wie das Verhältnis wirklich steht, hat der DGB-Vorsitzende mit SPD-Parteibuch, Reiner Hoffmann, der Neuen Ruhr Zeitung verraten [8]:

Frage: Ist Merz der Arbeitnehmerschreck, als der er oft dargestellt wird? Er wollte vor 15 Jahren den Kündigungsschutz extrem lockern und die 42-Stunden-Woche einführen.
Ich bin kein schreckhafter Mensch und treffe Friedrich Merz regelmäßig in der „Atlantikbrücke“. Merz hat dazugelernt und weiß, dass die neoliberalen Zeiten der CDU vorbei sind. Wenn er Nachhilfe braucht bei der Mitbestimmung oder bei der Tarifautonomie, dann stehe ich gern zur Verfügung.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, NRZ

Noch einige Streitpunkte

Nun kann die SPD-Führung hoffen, dass die Union bei der Frage um die Strafbarkeit der Werbung für Abtreibung einige Profilierungsmöglichkeiten [9] lässt. Kramp-Karrenbauer hat sich bereits gegen eine Reform des Paragrafen 219a [10] ausgesprochen.

Es wird sich zeigen, ob die SPD zumindest in dieser Frage den Druck einer starken außerparlamentarischen Bewegung [11] nachkommt.

Der UN-Migrationspakt und die Linke des Kapitals

Natürlich sind die SPD wie auch ein Großteil der Linkspartei treue Verteidiger des kürzlich abgenickten UN-Migrationspakts. An diesem Fall zeigt sich das Elend einer Linken, die nur das Wort Migration hört und schon alle, die die diesen Pakt kritisieren, in die rechte Ecke stellen. Damit geht sie den Interessen des Kapitals ebenso auf dem Leim wie der Kampagne der AfD und anderer rechter Kräfte.

Dabei hat der UN-Migrationspakt nichts mit Geflüchteten zu tun. Er soll die Migration im Interesse des Kapitals regulieren. Merkel sagte deutlich, dass damit „illegale Migration“ bekämpft werden soll. Es geht um Migration unter Kontrolle des Staates und im Interesse des Kapitals. Wenn Merkel dann noch erklärt, nicht Schleuser und Schlepper, sondern der Staat müsse entscheiden, wer einwandern darf, hätte es die AfD auch nicht anders ausdrücken könne. Für solch einen Pakt treten Linke in vielen Ländern ein. Der Journalist Pepe Egger hat in der Wochenzeitung Freitag gut begründet, was ihn bei der Debatte um den Migrationspakt nervt [12]:

Ich glaube, ich weiß jetzt, woher mein Puls rührt: Weil wir so etwas wie den UN-Migrationspakt noch bis vor wenigen Jahren kritisiert hätten. Aber von links. Wir hätten die Abschottungspolitik angeprangert, die Militarisierung der Grenzen, die erzwungenen Rückführungen und die Abschiebungen. Wir hätten Allianzen gebildet, nicht die einen gegen die anderen ausgespielt.

Pepe Egger, Wochenzeitung Freitag

Von der SPD erwartet jeder, dass sie im Interesse von Staat und Kapital handelt. Aber gibt es auch außerhalb dieser Partei fast nur noch Linke des Kapitals?

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4247105
https://www.heise.de/tp/features/Nach-Merz-Viel-Laerm-um-nichts-bei-CDU-und-SPD-4247105.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.deutschlandfunk.de/nach-merkel-wohin-steuert-annegret-kramp-karrenbauer-die-cdu.1784.de.html?dram:article_id=435306
[2] https://www.heise.de/tp/features/Der-blinde-Fleck-in-der-Debatte-4180355.html
[3] http://www.taz.de/!5542009/
[4] https://www.facebook.com/pages/category/Political-Organization/Aufbruch-Ost-3291890190836053/
[5] https://www.marco-buelow.de/
[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/schlagfertige-gewerkschafterin-fruehere-putzfrau-susanne-neumann-verlaesst-die-spd/23720420.html
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1107021.linke-in-der-spd-es-lohnt-sich-zu-kaempfen.html
[8] https://www.nrz.de/politik/dgb-chef-hoffmann-lehnt-gruenen-plaene-fuer-hartz-iv-ab-id215815093.html
[9] https://www.tagesschau.de/inland/abtreibungen-werbeverbot-koalition-101.html
[10] https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html
[11] https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/
[12] https://www.freitag.de/autoren/pep/grosse-aufregung

Die SPD will weiter strafen

Politiker von SPD und Grünen behaupten, Hartz IV beenden zu wollen. Die meisten von ihnen möchten die bestehende Form der Grundsicherung jedoch lediglich reformieren.

»Weg mit Hartz IV« lautete jahrelang die Parole von Erwerbslosengruppen und sozialen Initiativen. Ausgerechnet Politiker der beiden Parteien, die das meist nur Hartz IV genannte Arbeits­losengeld II (ALG II) einst beschlossen, machen sich diese Forderung nun zu eigen. In den vergangenen Wochen versuchten vor allem Spitzenpolitiker von SPD und Grünen, sich als Kritiker des bestehenden Systems der Grundsicherung zu profilieren. »Die neue Grundsicherung muss ein Bürgergeld sein«, schrieb Andrea Nahles in einem Gastbeitrag für die FAZ. Auf einem ­sozialdemokratischen »Debattencamp« in Berlin hatte die Partei- und Frak­tionsvorsitzende der SPD zuvor bereits behauptet, ihre Partei wolle Hartz IV »hinter sich lassen«.

Wodurch das von ihr geforderte Bürgergeld sich von der bisherigen Form der Grundsicherung unterscheiden würde, sagte Nahles jedoch nicht.

Der sozialdemokratische Bundes­arbeitsminister Hubertus Heil weigert sich indes weiterhin, ein Reformprojekt seines Parteifreunds Michael Müller finanziell zu unterstützen. Der Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters von Berlin sieht vor, dass Langzeit­arbeitslose 1 200 Euro bekommen, wenn sie bereit sind, gemeinnützige Arbeiten zu übernehmen, etwa für Gemeinden den Park zu pflegen. Als langzeit­arbeitslos gilt dem Konzept zufolge, wer ein Jahr oder länger arbeitslos gemeldet ist. Würde Müllers Vorschlag realisiert, könnte einigen Menschen, die ­arbeitslos werden, der Hartz-IV-Bezug erspart bleiben. Wer sich erwerbslos meldet, erhält schließlich zunächst bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld I (ALG I), sofern er in den vorangegangenen Jahren in einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis gestanden hat. Anders als das ALG II orientiert sich das ALG I nicht am »Existenzminimum«, sondern am vorigen Einkommen des Leistungsbeziehers. Der Bundesarbeitsminister will Erwerbslosen zwar gemäß dem im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten Programm »Teilhabe am Arbeitsmarkt« durch die staatliche Bezuschussung von Stellen in der privaten Wirtschaft, in sozialen Einrichtungen oder bei den Kommunen wieder einen Arbeitsplatz ver­mitteln. Das Programm soll aber nur für Erwerbslose gelten, die in den ­vergangenen sieben Jahren mindestens sechs Jahre lang Hartz IV bezogen ­haben.

Sieht man sich genauer an, wie die neuen Hartz-IV-Kritiker argumentieren, wird deutlich, dass die meisten von ­ihnen die Grundsicherung lediglich ­reformieren wollen. Hartz IV soll nicht abgeschafft, sondern den veränderten ökonomischen und politischen Bedingungen angepasst werden. So schrieb der Wirtschaftsjournalist Mark Schieritz in der Wochenzeitung Die Zeit über die »fast 15 Jahre«, die seit der Einführung von Hartz IV vergangen sind: »In diesen 15 Jahren ist in Deutschland ziemlich viel passiert. Statt Massenarbeitslosigkeit herrscht zumindest in einigen Regionen fast Vollbeschäftigung. Die Staatskassen sind nicht mehr leer, sondern quellen über. Die Industriegesellschaft verwandelt sich in eine Digitalgesellschaft. Es gibt eine rechtspopulistische Partei, die die Ängste der Menschen für ihre dunklen Zwecke ausnutzt.« Angesichts dieser Situation, so Schieritz weiter, klinge es »nicht ­un­bedingt nach einer einleuchtenden These«, dass »ausgerechnet bei der Grundsicherung alles beim Alten bleiben soll«.

»Wenn jemand zum zehnten Mal nicht zu einem Termin beim Amt erscheint, sollte das Konsequenzen haben.« Hubertus Heil, Bundesarbeitsminister

Schieritz benennt nicht, welche beabsichtigten Folgen Hartz IV für den ­Arbeitsmarkt hatte. Durch diese neue Form der Grundsicherung nahm die Angst vor Erwerbslosigkeit bei Menschen mit geringen Einkommen stark zu. Viele Geringverdiener nehmen Lohnarbeit zu fast jeder Bedingung an. Mit Hartz IV wurde ein Niedriglohnsektor etabliert – ganz im ­Sinne des deutschen Kapitals, das sich davon eine gute Position in der Weltmarktkonkurrenz verspricht. Eine tiefgreifende Entsolidarisierung bei den Lohnabhängigen, die es rechten Parteien wie der AfD erleichterte, auch unter prekär Beschäftigten und Arbeitslosen Unterstützung zu finden, war die Konsequenz. Dies sind die Veränderungen, die auch den Bundesvorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, zu einer zumindest programmatischen Abkehr von Hartz IV veranlasst haben dürften. In einem internen Strategiepapier plädiert Habeck einem Bericht der Zeit zufolge dafür, Hartz IV durch eine »Garantiesicherung« zu ersetzen. Diese soll dem Papier zufolge höher als der Hartz-IV-Regelsatz von 416 Euro ausfallen. Eine konkrete Zahl nennt Habeck jedoch nicht. Sanktionen soll es Habecks Plänen zufolge zukünftig nicht mehr geben. Dass Erwerbslose weiterhin Beratungs- und Weiterbildungsangebote wahrnehmen, will Habeck durch ein System von ­Anreizen und Belohnungen erreichen. Welche Anreize und Belohnungen dies sein könnten, sagte der Grünen-Vorsitzende nicht.

Bundesarbeitsminister Heil lehnt es dagegen ab, die Hartz-IV-Sanktionen vollständig abzuschaffen. »Ich bin dagegen, jede Mitwirkungspflicht auf­zuheben. Wenn jemand zum zehnten Mal nicht zu einem Termin beim Amt erscheint, sollte das Konsequenzen haben«, sagte Heil dem Tagesspiegel. ­Anders der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann: Er sprach sich für eine sanktionsfreie Mindestsicherung aus. Dies beteuerte Hoffmann zumindest bei einem Pressetermin am Donnerstag voriger Woche. In einem am vorvergangenen Samstag in der Berliner Morgenpost erschienenen Interview hatte er auf die Frage, ob es gutgehen könne, wenn die Grünen das Hartz-IV-System reformieren würden, »indem sie Arbeitslose nicht mehr zwingen wollen, ­Arbeit aufzunehmen«, noch geantwortet, dies sei »keine gute Idee«.

Hätte Hoffmann seine Antwort nicht revidiert, wäre er der bisherigen Linie des DGB, Hartz IV konstruktiv zu begleiten, treu geblieben. So saßen in der von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingerichteten »Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«, die Hartz IV konzipierte, auch Vertreter von DGB-Gewerkschaften. Deren Erwerbslosenausschüsse und einzelne Gewerkschaftsgruppen äußerten immer wieder Kritik an dieser Linie. Die DGB-internen Kritiker wiesen vor allem darauf hin, dass sich durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors, die mit Hartz IV einherging, auch die gewerkschaftlichen Kampfbedingungen verschlechterten. Denn gerade in ­jenem Sektor ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad oft sehr gering. Wer gezwungen ist, Lohnarbeit zu fast ­jedem Preis anzunehmen, beteiligt sich seltener an Streiks.

Der außerparlamentarische Widerstand gegen das Hartz-IV-System war nie besonders groß und ist in den vergangenen Jahren noch kleiner geworden. Einige Jahre lang hatten Erwerbslosengruppen mit Aktionen vor und in den Jobcentern die Institution ins Zentrum ihres Protests gerückt, die für die Sanktionen zuständig ist. Solidarische Aktionen wie die Zahltage, an denen Erwerbslose gemeinsam Jobcenter aufsuchten, um die Bearbeitung von teilweise monatelang ignorierten Anträgen oder die Auszahlung von zurückgehaltenen Geldern zu fordern, sollten der Vereinzelung der Leistungsempfänger entgegenwirken. Solche Aktionen sind selten geworden. Im Oktober 2010 hatte die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO) unter dem Motto »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« zu einer bundesweiten Demonstration von Erwerbslosen aufgerufen. Dass man von Lohnarbeit leben können müsse, ohne aber auch, war damals eine der wichtigsten Forderungen. Seit rechte Gruppen wieder vermehrt auf der Straße präsent sind, hört man solche ­Parolen nur noch selten. Gesellschaftliche Durchschlagskraft hatten sie nie. Allenfalls die Forderung nach einem »Sanktionsmoratorium«, die Politiker von SPD, Linkspartei und Grünen sowie Gewerkschafter vor fast zehn Jahren ­erhoben, schaffte es in die »Tagesschau«. Würden die Politiker, die derzeit über eine Reform der Grund­sicherung diskutieren, die Sanktionspraxis der Jobcenter aussetzen, könnten sie dem Hartz-IV-System zumindest ­etwas von seinem Schrecken nehmen.

https://jungle.world/artikel/2018/48/die-spd-will-weiter-strafen

Peter Nowak

»Wegen der SPD-Gegenstimmen gescheitert«

Am 21. November wurde in Halle in letzter Minute die Räumung des linken Hausprojekts Hafenstraße 7, auch bekannt als »Hasi« abgebrochen. Die Jungle World hat mit ­Claudia Werning gesprochen, die sich in der »Hasi« engagiert.

Small Talk von Peter Nowak

Was war der Grund für den Abbruch der Räumung?
Die Polizei hat der Gerichtsvollzieherin keine Vollzugshilfe geleistet, da sich auf dem Gelände Personen befanden, gegen die kein Räumungstitel besteht.

„»Wegen der SPD-Gegenstimmen gescheitert«“ weiterlesen

Der blinde Fleck in der Debatte

Die ersten rechten Großdemos gab es in Ostdeutschland im Wendeherbst 1989

„Plötzlich weiß ich, wie Adolf-Hitler-Wähler aussehen. Es riecht förmlich nach Pogrom. Einer hält beschwörend sein Schild ‚keine Gewalt‘ hoch. Wir antworten mit ‚Nazis raus‘.“ Diese Beschreibung einer rechten Demonstration in Ostdeutschland ist fast 30 Jahre alt [1]. Verfasst wurde sie von Aktivisten der linken DDR-Opposition, veröffentlicht wurde sie am 29. November 1989 im telegraph [2], der auch im Jahr 2018 noch immer eine Publikation für linke Kritik ist.

Die Beschreibung der Demoszenen vor 29 Jahren weist auf einen blinden Fleck in der Debatte um die Frage hin, warum in Ostdeutschland die Rechten so stark sind. Da wird auf die Verantwortung der DDR hingewiesen, aber die Wendemonate im Herbst ’89 und Frühjahr 1990 oft völlig ausgeblendet.

Die Festnahme einer angeblichen rechten Terrorzelle in Chemnitz war nur das jüngste Beispiel. Nun soll nicht behauptet werden, das Erstarken der Rechten sei ein lediglich ostdeutsches oder auch nur deutsches Problem. Schließlich sind in mehreren EU-Ländern die Ultrarechten an der Regierung.

Rechte Ordnungszelle Sachsen

Was aber feststellbar ist: Vor allem Sachsen hat sich innerhalb Deutschlands zur rechten Ordnungszelle entwickelt so wie in der Weimarer Republik Bayern. Und so wie in Bayern hatten staatliche Institutionen eine wesentliche Mitverantwortung dafür. Da wird auf die Verantwortung der DDR hingewiesen, aber die Wendemonate im Herbst 1989 und Frühjahr 1990 werden oft völlig ausgeblendet.

Die Berichte im telegraph und in anderen zeitgenössischen Dokumenten zeigen jedoch: Die ersten rechten Massendemonstrationen nach der Niederlage des NS fanden im Wendeherbst 1989 statt. Organisiert wurden sie nicht von der SED und ihren nahestehenden Organisationen, sondern von einer sich nach Rechts radikalisierenden Bevölkerung, die aus der gegen den autoritären SED-Staat gerichteten Parole „Wir sind das Volk“ den nationalistischen Slogan „Wir sind ein Volk“ machten.

Im telegraph werden die Veränderungen sehr gut beschrieben und auch die Verantwortung der DDR-Verantwortlichen genannt [3]:

Aber es ist nicht mehr die gewohnte Leipziger Demo: überall Deutschlandfahnen, Transparente wie „Wiedervereinigung jetzt“, „Weizsäcker – Präsident aller Deutschen“, „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Während der Ansprachen verdichtet sich das Gefühl, unter die REPs geraten zu sein. Auf die wenigen klaren Absagen an die Wiedervereinigung (SDP, Vereinigte Linke, ein Mensch aus Heidelberg) folgen Pfiffe und der Schlachtruf „Deutschland einig Vaterland“ in Fußballstadionmanier. Selbst als ein Redner notwendige gute Nachbarschaft mit unseren polnischen und tschechischen Freunden fordert, wird er ausgepfiffen – diese Ausländerfeindlichkeit bekam Nahrung durch staatliche Stimmungsmache in der DDR in den letzten Tagen.

Aus telegraph, November 1989

Ja, autoritäre Staatssozialsten nutzten häufig „volksdümmlich“ Nationalismus und auch Antisemitismus, wie sich in der Geschichte des Stalinismus und seiner Nachfolger zeigte. So wurde in der DDR von der SED Stimmung gegen Polen gemacht, als dort die Opposition erstarkte, die wiederum durchaus ebenfalls reaktionäre und klerikale Untertönte hatte.

Doch im Wendeherbst waren nicht die SED und ihre Unterorganisationen die Schrittmacher der Restentwicklung; sondern der BRD-Staat. Die Regierung unter Kohl wollte die „Wir sind ein-Volk-Stimmung“ nutzen für eine schnelle Einverleibung der DDR. Die Grünen waren damals ebenso dagegen wie die SPD mit dem Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine.

Diese Kritiker wurden von der Union in die Nähe des Vaterlandsverrats gerückt. Aber auch ein Großteil der DDR-Opposition war für den Erhalt einer demokratischen DDR und keinesfalls für die Wiedervereinigung. Gegen sie richteten sich die nationalistischen Aufmärsche im Herbst 1989.

Der Runde Tisch, an dem die unterschiedlichen Oppositionsgruppen eine wichtige Rolle spielten, untersagte einen Eingriff der BRD in die Wahlen zur Volkskammer der DDR im März 1990. Doch dieser Beschluss war Makulatur, weil er von sämtlichen Parteien Westdeutschlands ignoriert wurde.

Massenhaft wurden Deutschlandfahnen und Publikationen in die DDR geliefert, die mit nationalistischen Parolen die schnelle Wiedervereinigung propagierten. Linke Kritiker wurden schon im November 1989 als Rote und „Wandlitzkinder“ beschimpft und oft auch tätlich angegriffen.

Neue Rechtspartei mit Unterstützung der CSU

Aber nicht nur auf der Straße wurde die Rechte von der BRD aus unterstützt. Zu dem für die Volkskammerwahlen geschmiedeten Wahlbündnis der Unionsparteien gehört mit der Deutschen Sozialen Union [4] auch eine stramm rechte Partei. Sie wurde bis 1992 von der CSU unterstützt, die mit der DSU die Etablierung einer eigenen Rechtspartei außerhalb Bayerns doch noch umzusetzen hoffte.

Solche Pläne, die sogenannte Vierte Partei [5] rechts von der Union, scheiterten bereits in der Ära Franz Joseph Strauß. Danach war die DSU eine von vielen rechten Kleinparteien, die vor allem in Sachsen in den letzten zwei Jahrzehnten kamen und verschwanden.

Ab und an machten DSU-Mitglieder durch ultrarechte Aktionen beispielsweise gegen die Oder-Neiße-Grenze Schlagzeilen.

Es ist deutsch im Kaltland

Bereits im Herbst 1989 transportierte die rechte Partei „Die Republikaner“ Tonnen an Materialien von Frankfurt/Main in die DDR, wie ein daran beteiligter Kurier später enthüllte. Hier wurden die Grundlagen für die rechte Ordnungszelle Sachsen gelegt, in der antifaschistische Aktivitäten wie beispielsweise gegen die rechten Aufmärsche zum Jahrestag der Dresden-Bombardierung kriminalisiert wurden.

Im Wendeherbst 1989 wurden die Grundlagen für jene rechte Alltagskultur gelegt, die Manja Präkels [6] in Kaltland [7] gut beschreibt. Sie könnte ebenso wie die telegraph-Autoren als Zeitzeuge bei der Aufklärung zur Rolle der BRD bei der Genese einer Rechten in den Wendmonaten beitragen. Schließlich forderten SPD-Politiker kürzlich eine Wahrheits- bzw. eine Aufarbeitungskommission für die Wendezeit.

„Wir sollten aber die Gelegenheit nutzen, im Rahmen einer solchen Kommission nicht nur die Arbeit der Treuhand, sondern die gesamte Nachwendezeit umfassend aufzuarbeiten. 28 Jahre nach dem Sturz des SED-Regimes durch die Friedliche Revolution ist ein guter Zeitpunkt dazu: Die Menschen und Zeitzeugen, die den Übergang der Systeme und seine Auswirkungen miterlebt haben, können sich noch aktiv und lebendig an den Diskussionen beteiligen“, fordert [8] der Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller.

Eine Arbeitsgruppe Rechtsentwicklung und Wendemonate sollte dabei mit an erster Stelle stehen. Wenn die Politik da nicht mitmacht, sollte eine außerparlamentarische Initiative aktiv werden. Das könnte die Fortsetzung der Tagung [9] über 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland [10] im letzten Dezember in Potsdam sein.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4180355
https://www.heise.de/tp/features/Der-blinde-Fleck-in-der-Debatte-4180355.html

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/
[2] http://telegraph.cc/
[3] http://www.antifa-nazis-ddr.de/schoenhuber-pfeift-die-ratten-kommen/
[4] https://www.dsu-deutschland.de/
[5] https://books.google.de/books?id=sywaxlKl0a0C&hl=de
[6] http://manjapräkels.de/
[7] https://kritisch-lesen.de/rezension/es-ist-deutsch-in-kaltland
[8] https://www.spd-mueller.de/die-aufarbeitung-muss-noch-viel-weiter-gehen/
[9] https://afa-ost.de/
[10] https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/30-jahre-antifa-in-ostdeutschland

Die SPD will Maaßen schlagen, um Seehofer zu treffen

Doch mit ihren Vorwurf, der BfV-Chef sei gegenüber Merkel illoyal, argumentiert sie konservativ und inkonsequent

Scheitert die Bundesregierung am Dienstagabend? Morgen treffen sich die Spitzen von SPD und Union, um vordergründig über die Zukunft des VS-Präsidenten Georg Maaßen zu reden. Führende SPD- Politiker haben in den letzten Tagen den Eindruck erweckt, dass es ihnen wirklich um die Alternative geht, entweder Maaßen geht oder die Koalition platzt.

Nicht nur der Juso-Vorsitzende Keven Kühnert, der sich in seiner zukünftigen Rolle als Schulz-Nachfolger in rasendem Tempo übt und nicht, wie Schröder und Nahles, erst einige Jahre seine linksoppositionelle Jusozeit ausleben kann, stellt die Koalition infrage, falls Maaßen nicht zurücktritt.

Kühnert war bekanntlich Gegner des Bündnisses mit der Union. Das war nun keine linke Position innerhalb der SPD, damit blieb er vielmehr ganz auf der Linie des ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten Schulz. Der hat schließlich nach der verlorenen Bundestagswahl klar den Gang in die Opposition propagiert.

Doch das galt nur, bis die SPD wieder als Mehrheitsbeschafferin gefragt war. Fast alle, die eben noch Schulz für seinen Mut gefeiert hatten, in die Opposition zu gehen, vollzogen die neuesten Wendungen mit, Kühnert aber nicht. Das machte ihn bekannt und mittlerweile agiert er schon, als wäre er bereits Parteivorsitzender. Aber auch Sozialdemokraten, die schneller umschalteten, wagen jetzt im Fall Maaßen den Streit mit dem konservativen Teil des Koalitionspartners.

SPD verteidigt Merkel gegen Maaßen

Denn bei der Auseinandersetzung um Maaßen geht es eben nicht nur um den Posten des VS-Präsidenten. Eigentlich will die SPD Bundesinnenminister Seehofer treffen, der schließlich unmittelbarer Vorgesetzter von Maaßen ist und diesem mehrmals das Vertrauen ausgesprochen hat. Und mit Seehofer will sie auch den konservativen Teil der Union treffen, der große Teile der CSU und auch die Merkel-Kritiker in der Union umfasst.

Es muss offen bleiben, wie stark dieser Flügel in der Union ist. Doch es ist schon bemerkenswert, dass es die SPD und nicht die CDU ist, die Maaßen vorwirft, dass er mit seinen Äußerungen über das „Zeckenbiss-Video“ [1] von den rechten Demonstrationen in Chemnitz Merkel widersprochen und sich damit illoyal ihr gegenüber verhalten hat. Während Merkel von rechten Hetzjagden in Chemnitz sprach, hat Maaßen dem widersprochen.

Nun hat aber auch der SPD-Vorwurf gelinde gesagt, ein Geschmäckle. Denn mit dem Vorwurf der Illoyalität wird aus einem Streit über das Video der Konflikt über ein Dienstverhältnis, und hier propagiert die SPD eher konservatives Beamtenrecht.

Maaßen hätte Merkel nicht widersprechen dürfen, weil sie Bundeskanzlerin ist. Dabei müsste doch die Frage sein, wer von beiden kommt mit ihrer oder seiner Interpretation des Videos der Realität näher. Rechtfertigen die dort gezeigten Szenen, von rechten Hetzjagden zu sprechen, oder wurde das Video durch die Art der Präsentation und dem Titel so zubereitet, dass der Eindrück fälschlicherweise entstehen konnte?

Wenn man diese Frage bejaht, müsste dann nicht jemand wie Maaßen auch in seiner Funktion als VS-Präsident Merkel sogar widersprechen?

Illoyalität gegen Trump wird in Deutschland gefeiert

Oder wäre das auch illoyal? Die SPD-Kritik an der Illoyalität ist auch deshalb problematisch, weil in den USA alle FBI- und CIA-Beamten, die Trump widersprechen, in Deutschland als musterhafte Demokraten hochgelobt werden. Man braucht nur den Streit zwischen dem ehemaligen FBI-Chef Comey und Trump [2] als Beispiel nehmen, um deutlich zu machen, dass der llloyalitätsvorwurf auch nur instrumentell benutzt wird.

Comey war gegen Trump auf jeden Fall wesentlich illoyaler als Maaßen gegen Merkel. Er hat ihm nicht nur bei der Beurteilung eines Videos über einen rechten Aufmarsch widersprochen, sondern ihn als ungeeignet für das Amt als Präsidenten erklärt. Er hat also gegenüber Trump so agiert, wie viele AfD-Politiker gegenüber Merkel. Von Maaßen hingegen sind keine despektierlichen Äußerungen gegenüber Merkel öffentlich bekannt.

Comey wird aber für seine Trump-Schelte in Deutschland von vielen als Hoffnung für die Demokratie gefeiert, die jetzt Maaßen gegenüber Merkel Illoyalität vorwerfen. Wie wenig es bei der Beurteilung der Trump-Kritiker in den USA um die Sache geht, wurde kürzlich anlässlich der Buchveröffentlichung von Bob Woodward [3] über das Chaos im Weißen Haus [4] deutlich.

Da wird im Deutschlandfunk-Interview als Beweis für die Unfähigkeit Trumps angeführt, dass er seine Mitarbeiter doch ernsthaft gefragt habe, warum die USA in der ganzen Welt Truppen stationiert haben. Diese sind dann ob der Frage so konsterniert wie der Journalist des Deutschlandfunk und antworten: „Wir machen das, um den 3. Weltkrieg zu verhindern.“ [5]

Nun wäre doch eigentlich die Frage berechtigt, ob in der Antwort, wenn man sie ernst nimmt, nicht mehr Irrsinn liegt als in der Frage, die sich nicht nur Trump und Millionen Menschen in aller Welt stellen. Die Antwort darauf müsste sehr differenziert ausfallen.

Das ist nur ein weiteres Beispiel, wie wenig es auch vielen Trump-Kritikern um Inhalte geht – genauso wenig wie vielen Maaßen-Kritikern.

Doch ein Kalkül hat die SPD mit ihrer Merkel-Verteidigung gegenüber Maaßen.

Kann die SPD Merkel von Seehofer trennen?

Die SPD setzt darauf, dass nicht nur Grüne und Linke dabei auf ihrer Seite stehen, sondern auch der liberale Flügel der Union. Tatsächlich gab es auch aus der als liberal geltenden CDU von Schleswig-Holstein [6] Stimmen, die Maaßen zum Rücktritt auffordern. Sollten sie in der Union stärker werden, könnte es eng für Maaßen werden.

Dann könnte aber auch die Unionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU wieder infrage gestellt werden. Denn ein auf diese Weise erzwungener Rücktritt von Maaßen wäre auch ein Affront gegen Seehofer und die Mehrheit der CSU kurz von der bayerischen Landtagswahl. Die AfD kann sich dort nichts Besseres wünschen als einen auf diese Weise gestutzten Seehofer.

Aber auch der FDP-Landtagskandidat und ehemalige Fokus-Herausgeber Helmut Markwort [7] sieht in einem Interview [8] mit der rechten Plattform PI-News ein Bündnis aus Teilen der CDU, den Grünen und den Linken, die nicht nur in der Causa Maaßen Merkel den Rücken freihalten. Dabei handelt es sich tatsächlich nicht nur um rechte Propaganda.

Es gibt seit dem Herbst 2015 Merkel-Lob bis in große Teile der Linken, die ihr zugutehalten, sie habe angesichts der Migration ein menschliches Gesicht gezeigt. Dass damit die Flüchtlingsabwehr ebenso verschärft wurde, wird dabei gerne ausgeblendet.

Da die Causa Maaßen nun derart politisch überladen ist, scheint es besonders schwer, am Dienstag eine Übereinkunft zu finden, bei der sich sowohl der Seehofer-Flügel der Union als auch die SPD gegenüber ihrer Klientel als Gewinner feiern lassen können.

Auf diese Schwierigkeit, einen Kompromiss zu finden, wies der Politologe Ulrich von Alemann [9] in einem Deutschlandfunk-Interview [10] hin. Er prognostiziert, dass sich die CSU in dem Streit durchsetzt und die SPD trotzdem in der Regierung bleibt:

Meine Prognose ist, es wird keine wirkliche Lösung dieses Problems geben. Maaßen wird nicht zurücktreten. Die CSU wird triumphieren, weil sie sich durchsetzt. Das wird ihr bei den bayerischen Landtagswahlen allerdings auch nicht viel nützen, wie die Lage da ist. Und sowohl die Kanzlerin ist beschädigt als auch der größere Oppositionspartner, die SPD.

Ulrich von Alemann, Deutschlandfunk

Für ein solches Szenario spricht einiges. Aber vielleicht tritt Maaßen, versehen mit genügend Abfindung, vorher noch selber zurück. Der Koalitionsfriede wäre aber auch dann nur oberflächlich bis zu den bayerischen Landtagswahlen wiederhergestellt.

Denn die zwei Varianten bürgerlicher Herrschaft gehen mitten durch die Union und es ist noch unklar, welche sich durchsetzt. Ein linker Block kann sich solange nicht ausbilden, solange die „Merkel-Linke“ mit der altbekannten Politik des kleineren Übels Erfolg hat.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4166142
https://www.heise.de/tp/features/Die-SPD-will-Maassen-schlagen-um-Seehofer-zu-treffen-4166142.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Zeckenbiss-oder-Verfassungsschutz-4163625.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trump-wehrt-sich-gegen-james-comey-15540478.html
[3] https://www.nzz.ch/international/donald-trump-das-chaos-wird-zur-methode-ld.1420044
[4] https://www.heise.de/tp/news/Betreutes-Regieren-4155559.html
[5] https://www.deutschlandfunkkultur.de/bob-woodward-fear-trump-in-the-white-house-das-weisse-haus.2165.de.html?dram:article_id=427760
[6] https://www.mmnews.de/aktuelle-presse/90078-schleswig-holsteins-bildungsministerin-fordert-ruecktritt-von-maassen
[7] https://www.helmut-markwort.de
[8] http://www.pi-news.net/2018/09/video-pi-news-interview-mit-markwort-ueber-chemnitz-merkel-maassen-afd/
[9] https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/pw-alemann/
[10] https://www.deutschlandfunk.de/streit-ueber-verfassungsschutzpraesident-maassen-ist.694.de.html?dram:article_id=428135

Die SPD will zur Migrationsdebatte etwas Senf geben

Aber daran wird die Regierung nicht scheitern und Seehofers Pläne könnten eher von seinen politischen Freunde in Österreich und Italien konterkariert werden

Nach dem tagelangen Streit zwischen Merkel und Seehofer über den Umgang von in anderen EU-Ländern registrierten Migranten muss nun die SPD zeigen, dass sie auch noch ein politischer Faktor in der Regierungskoalition ist und nicht einfach abnickt, was die Unionsparteien nach viel Gepolter beschlossen haben. Doch auch in diesem Streit gilt: Auch dieses Mal wird die Koalition an der SPD nicht scheitern. Es wird daher noch manches Geplänkel geben.

Nicht geschlossen, doch niemand darf raus

So will die SPD die an der deutsch-österreichischen Grenze entstehenden Lager nicht „Transitzentren“ nennen und geschlossen sollen die Einrichtungen auch nicht sein. Der der CSU angehörende Staatssekretär im Bundesinnenministerium Stephan Mayer hat eine originelle Lösung für das Problem vorgeschlagen. Er erklärte: „Transitzentren sind keine Gefängnisse. In den Zentren kann sich jeder frei bewegen, raus darf aber niemand.“

Kanzlerin Merkel hat nun erklärt, dass die Migranten maximal zwei Tage in den Transitzentren bleiben sollen und berief sich auf das Grundgesetz. Doch in den letzten Jahren wurde das Grundgesetz nun wirklich oft genug neu formuliert, wenn es darum ging, Gesetze zu verschärfen, um beispielsweise Migranten besser von Deutschland wegzuhalten.

Dass es im aktuellen Fall zwischen der Union und der SPD zu Formelkompromissen kommen wird, liegt einfach daran, dass die SPD-Führung aus verschiedenen Gründen kein Interesse hat, an der Flüchtlingsfrage den Streit in der Regierung weiter zu eskalieren. Schließlich hat sie Angst, damit einen Teil ihrer noch verbliebenen Basis zu verlieren. Die SPD-Ortsgruppen im Ruhrgebiet beispielsweise wären kaum dafür zu gewinnen.

Der Dissens ist einkalkuliert

Dort versucht die AfD einen Teil ehemaliger SPD-Wähler zu gewinnen. Andererseits gibt sich die SPD vor allem in den Großstädten eher offen und liberal. Dort kommt es gut an, wenn die SPD-Vorsitzende Nahles erklärt, dass ihre Partei nicht alles abnickt, was die Unionsparteien beschließen. Deshalb ist auch der momentane Dissens schon einkalkuliert.

Nur ist eben klar, dass er die Regierung nicht in Gefahr bringt. Hätte die SPD wirklich vorgehabt, eine andere Flüchtingspolitik durchzusetzen, hätte sie sich auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen CSU und CDU nicht weggeduckt und immer nur die beiden Unionsparteien gemahnt, doch bitte beim Streit an Deutschland zu denken. „Wir erwarten von CDU und CSU, dass sie die Streitereien endgültig beenden und dass sie sich zu dieser Koalition bekennen“, erklärte Nahles mehrmals.

Wer so argumentiert, will natürlich keine grundsätzliche politische Debatte. Das gilt übrigens auch für die Parteien links von der SPD.

Die Redner der Linken in der aktuellen Parlamentsdebatte hatten auch nur das reibungslose Funktionieren des Landes im Blick. Sie beklagten das „Chaos“ auf Seiten der Regierung und sahen die Regierungsfähigkeit gefährdet, wie es Dietmar Bartsch für die Linkspartei monierte.

Allein dass hier der Begriff „Chaos“ wie bei allen Freunden von Recht und Ordnung wieder einmal negativ belegt wurde, zeigt wie staatstragend diese Position in Berlin ist.

Der 5-Punkte-Plan der SPD

Auch der von der SPD-Führung verabschiedete 5-Punkte-Plan[1] in der Flüchtlingsfrage wird da kein Stein des Anstoßes in der Regierung werden. Nach einen allgemeinen Bekenntnis zum Asylrecht heißt es in dem Programm:

Sozialdemokratische Asylpolitik folgt klaren Regeln, wer zu uns kommen kann, bei uns bleiben darf – und wer nicht.“ Diejenigen, die Schutz benötigen, brauchen Sicherheit, Perspektiven und eine schnelle Integration. Wer keinen Schutzanspruch hat, muss wieder in seine Heimat oder in einen sicheren Drittstaat zurückkehren. Zügige und rechtsstaatliche Verfahren und der uneingeschränkte Zugang zu diesen Verfahren sind der unverzichtbare Rahmen. Diese klaren Regeln sind die Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz. Sie müssen verständlich und transparent sein. Und sie müssen konsequent angewandt und durchgesetzt werden. Genauso konsequent treffen Ressentiment und Schikane gegen Flüchtlinge auf unseren Widerstand.

Aus dem 5-Punke-Programm des SPD-Vorstands zur Flüchtlingsfrage

Diesem allgemeinen Statement werden weder Merkel noch Seehofer widersprechen, auch wenn es im Detail vielleicht Unterschiede gibt. Auch sie wollen klare Regeln und werden sich immer dagegen verwahren, dass sie Flüchtlinge schikanieren, auch dann nicht, wenn sie sie in Krisengebiete abschieben.

Dann haben sie eben die klaren Regeln umgesetzt. Weil sich da eben CSU, CDU und SPD im Grundsatz einig sind, gibt es auch keinen Grund für größere Konflikte. Während der Auseinandersetzung innerhalb der Unionsparteien wurde immer gesagt, dass die SPD Merkel unterstütze. Nachdem sich diese mit Seehofer geeinigt hatte, gibt es für die SPD nur das Problem: Sie will auch noch gefragt werden.
Die Pläne von Seehofer und Co. können nur noch von deren politischen Freunden konterkariert werden. Denn sowohl die österreichische[2] als auch die italienische Regierung hat bisher wenig Bereitschaft zur Rücknahme von Migranten nach dem Willen der CSU gezeigt.

Schon gibt es Drohungen gegen Italien[3]. Am Wochenende will auch die Initiative Seebrücke[4] mit einer Demonstration für sichere Häfen für Migranten und gegen die Abschottungspolitik auf die Straße gehen.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Die-SPD-will-zur-Migrationsdebatte-etwas-Senf-geben-4100205.html

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4100205

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.spd.de/fileadmin/user_upload/180702_SPD_Fluchtmigration_FinaloAE.pdf
[2] https://www.welt.de/newsticker/news1/article178650700/Fluechtlinge-Wien-lehnt-Fluechtlingsabkommen-zulasten-Oesterreichs-ab.html
[3] https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.oesterreich-csu-generalsekretaer-droht-italien-abkommen-oder-rueckweisungen.17128d4d-8730-46de-9f26-dfcc6c674310.html
[4] https://www.facebook.com/SeebrueckeSchafftsichereHaefen/

Vor Gericht für den »wahren Martin«

Wegen einer Satireaktion mit einem Schulz-Double verklagte die SPD die »Aktion Arbeitsunrecht«

Ungewöhnliche Töne kamen am 16.12.2017 vom ehemaligen SPD-Bundestagskanzlerkandidaten Martin Schulz auf einer Kundgebung in seiner Heimatstadt Würselen in Nordrhein-Westfalen. »Hartz IV – das waren wir. Aber ich verspreche Euch, wir haben uns geändert«, rief er. 15 Minuten versuchte er das Publikum von der neuen, sozialen SPD zu überzeugen. Es gab viel Gelächter. Denn schnell war klar, dass hinter dem »wahren Martin« der Kölner Mietrebell und Kandidat der LINKEN bei der NRW-Landtagswahl, Karl Gerigk, steckte, der wegen seines Widerstands gegen seine Zwangsräumung bundesweite Bekanntheit erlangte. 

Der Sketch könnte jetzt juristische Folgen für das Bündnis »Aktion Arbeitsunrecht« haben, das die Veranstaltung organisierte. Es setzt sich für Gewerkschafter*innen und Beschäftigte ein, die gemobbt werden. Dazu gehörte Mona E, Betriebsrätin bei der Spielwarenkette Toys R US. Am dritten Advent letzten Jahres organisierte die »Aktion Arbeitsunrecht« vor der Würselener Filiale des Einzelhändlers eine Solidaritätskundgebung für die Betriebsrätin mit dem »Wahren Martin« als Überraschungsgast. 

Zuvor hatte Werner Rügemer vom Bündnis »Aktion Arbeitsunrecht« den SPD-Mann persönlich zu der Kundgebung eingeladen. Dessen Referent antwortete, dass Schulz die Einladung aus Termingründen nicht annehmen könne. Daraufhin verschickte die Initiative eine satirische Pressemitteilung mit einem angeblichen Brief von Schulz, in dem er ankündigte, er werde auf der Veranstaltung eine Würseler Erklärung verlesen, die einen Kurswechsel der SPD und eine Abschaffung der Hartz-IV-Gesetze beinhalte. Der WDR hatte diese Pressemeldung damals ernst genommen und mit einem Großaufgebot zum Schulz-Auftritt nach Würselen fahren wollen. Das wurde erst abgeblasen, nachdem auf telefonische Nachfrage auf den Charakter der Veranstaltung hingewiesen wurde.
Wegen des satirischen Schreibens hat der SPD-Bundesvorstand bereits am 17. Dezember 2017 eine Anzeige wegen Urkundenfälschung gegen Rügemer erstattet. Seitdem ermitteln das LKA Berlin und die Kölner Kripo. Der Pressesprecher der Initiative, Elmar Wigand, beklagt nicht nur die Humorlosigkeit der SPD-Führung. »Es geht um die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung – hier der Satire. Es geht auch um den Schutz vor Schnüffeleien und Überwachung«, erklärte Wigand gegenüber dem »nd«. Das LKA hatte sich im Rahmen der Ermittlungen Zugang zum E-Mail-Konto von Werner Rügemer verschafft. Für Wigand ist die Anzeige ein weiteres Beispiel für eine »SPD im Selbstzerstörungsmodus«. 

Die Kundgebung vor der Filiale zeigte auch bei Toys R US Wirkung. Ein Vorgesetzter, der von den Aktivisten als hauptsächlich verantwortlich für das Mobbing von Mona E. benannt wurde, soll inzwischen in eine andere Filiale versetzt worden sein. Doch die juristischen Auseinandersetzungen gehen weiter. Am 5. Juli findet vor dem Aachener Arbeitsgericht der nächste Prozess statt. Dann kehrt auch der »wahre Martin« zurück. Karl Gerigk hat angekündigt, dass er dort seine Schulz-Satire ebenso aufführen wird wie am 13. Juli vor einer Real-Filiale in Düsseldorf. Dort protestieren die Aktivisten erneut gegen das Mobbing von Betriebsrät*innen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1093024.vor-gericht-fuer-den-wahren-martin.html

Peter Nowak

Armut bekämpfen, statt Arme auszuspielen

Ein Bündnis von sozialen Initiativen fordert offensive Sozialpolitik

Nach dem vorläufigen Aufnahmestopp von Menschen ohne deutschen Pass bei der Essener Tafel (Wenn die „deutsche Oma“ gegen Arme ohne deutschen Pass ausgespielt wird) gab es viel Kritik aber auch Verständnis für die Maßnahme. Selbst Merkel meinte, sich dazu äußern müssen, und auch der Faschismusvorwurf wurde erhoben.

Bevor Ermüdungserscheinungen eintreten, bekam die Diskussion jetzt noch mal eine erfreuliche neue Richtung. Ein Bündnis von sozialen Initiativen initiierte einen Aufruf für einen Wandel der Sozialpolitik.

Dass Menschen, egal welcher Herkunft, überhaupt Leistungen der Tafeln in Anspruch nehmen müssten, sei Ausdruck politischen und sozialstaatlichen Versagens in diesem reichen Land, heißt es in der Erklärung, die u.a. vom DGB, der Nationalen Armutskonferenz, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Sozialverband VdK Deutschland, dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter, dem Deutschen Kinderschutzbund, der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und PRO ASYL unterzeichnet wurde.

„Sozialstaatliche Leistungen müssen dafür sorgen, dass für alle hier lebenden Menschen, gleich welcher Herkunft, das Existenzminimum sichergestellt ist. Es ist ein Skandal, dass die politisch Verantwortlichen das seit Jahren bestehende gravierende Armutsproblem verharmlosen und keine Maßnahmen zur Lösung einleiten. Damit drohen neue Verteilungskämpfe“, heißt es in dem Aufruf.

Damit werden die Verantwortlichen für die Misere genannt und dabei weder die unterschiedlichen Nutzer der Tafeln noch die Initiatoren der Tafeln verurteilt, sondern eine Politik, welche die Verarmung großer Teile der Bevölkerung in Kauf nimmt, was die „Vertafelung der Gesellschaft“ überhaupt nötig macht.

„Sozialpolitische Reformen der vergangenen Jahre hatten immer das Ziel, Mittel einzusparen“, erklärte Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz. Reichen seien Steuergeschenke gemacht worden, gleichzeitig habe man die Leistungen für Bedürftige zusammengekürzt. In der Folge sei die Konkurrenz der Menschen um die Mittel verschärft worden.

Heute beklagt die Politik, die den Sozialabbau herbeigeführt hat, die Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Barbara Eschen

Die Verarmungspolitik hat einen Namen: Hartz-IV

Die Organisatoren machen auch deutlich, dass die politisch gewollte Verarmungspolitik einen langen Vorlauf hat, aber in dem Hartz IV-Programm kulminiert.

Um überleben zu können, waren immer mehr Menschen auf die Tafeln angewiesen. Da ist es besonders zynisch, dass der Alt-Sozialdemokrat und Lobbyist Claus Schmiedel in einem Interview in der Wochenzeitung Kontext erklärt.

Mit der Agenda und Gerhard Schröder haben wir 2005 noch einmal ein prächtiges Ergebnis bei der Bundestagswahl eingefahren.

Claus Schmiedel

So wie Schmiedel denken wahrscheinlich viele in der SPD, nur nicht alle werden es so offen aussprechen. Wenn eine Spätfolge der Essener Tafeldebatte dazu führt, diese Verarmungspolitik und die dafür Verantwortlichen in den Fokus zu nehmen, dann wäre das sehr positiv. Es gäbe viele Gründe weiterhin gegen die Vertafelung der Gesellschaft zu protestieren.

Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der Essener Tafel wurde immer wieder betont, man dürfe die Menschen, die ehrenamtlich helfen wollen, nicht kritisieren. Natürlich geht es nicht darum, ihren guten Willen infrage zu stellen. Was aber sehr wohl not tut, ist die Kritik an einem bürgerlichen Philanthropismus, der von den gesellschaftlichen Ursachen der Verarmung und Verelendung nicht reden will und die Betroffenen nur als Bittsteller ansieht, die für jeden Bissen dankbar sein soll.

Wie schon Karl Marx den bürgerlichen Philanthropismus scharf kritisierte, so ist das heute auch wichtig. Nur noch wenige Organisationen wie Medico International kritisieren einen solch paternalistischen Ansatz von Hilfe und propagieren dagegen eine Unterstützung, die Menschen zu Selbstbewusstsein und Widerstand ermutigt.

Warum nicht die Tafeln nutzen, um mit den Menschen gemeinsame „Zahltage“ in Jobcentern zu machen, um ihre Rechte einzufordern, damit sie genug Geld haben, um Produkte ihrer Wahl zu kaufen? So würden sich die Tafeln selber überflüssig machen und das müsste ihre vornehmste Aufgabe für alle Menschen sein, wenn die Arbeit bei der Tafel wirklich gesellschaftlich etwas bewirken und nicht nur Armut verwalten und regulieren will.

https://www.heise.de/tp/features/Armut-bekaempfen-statt-Armut-auszuspielen-3988098.html

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3988098

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Wenn-die-deutsche-Oma-gegen-Arme-ohne-deutschen-Pass-ausgespielt-wird-3977708.html
[2] http://www.der-paritaetische.de/presse/buendnis-fordert-offensive-sozialpolitik-
armut-jetzt-bekaempfen
[3] http://infothek.paritaet.org/pid/fachinfos.nsf/0/
9ef8993719d83ff7c1258248002ebedd/$FILE/180306_pk_erklaerung.pdf
[4] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/361/gottes-segen-haelt-4945.html
[5] http://www.aktionsbuendnis20.de/
[6] https://www.medico.de
[7] http://de.labournet.tv/video/5879/zahltag-jobcenter-neukolln

Ist nur Merkel ein Auslaufmodell oder die gesamte CDU?

Die Frage ist nicht, warum sich nun Unionspolitiker, die Merkel in die zweite Reihe verbannt hat, zu Wort melden. Die Frage ist, warum sie so lange geschwiegen haben

Die politischen Aschermittwochreden sind längst ein Ritual geworden. Doch sie sind auch ein Seismograph für die politische Großwetterlage in Deutschland. Und die stand 2018 im Zeichen des Endes der Ära Merkel. Nun wurde das schon seit Jahren prognostiziert.

Doch dass es nun soweit ist, zeigt sich auch daran, dass sich die Merkel-Gegner in der Union aus der Deckung wagen. Dazu gehört der langjährige CDU-Rechtsaußen Roland Koch, der in der FAZ eine Nachfolgeregelung von Merkel forderte. Seine Ansage war eindeutig: „Sie schulden den Wählern eine Antwort auf die Frage, welches die nächste Generation ist, die Verantwortung übernimmt.“

Interessant ist auch, wie Koch begründet, warum er sich nun doch zu Wort meldet, nachdem er jahrelang zu dem unionsinternen Zwist geschwiegen hat:

Wir sind in einer sehr wichtigen Zeit sowohl für Deutschland als auch für die Partei, der ich mich wie eh und je verbunden fühle, also für die CDU. Wir laufen Gefahr, dass die beiden großen Volksparteien zu stark an Einfluss verlieren.

Roland Koch, FAZ

„Die CDU hat alles mit sich machen lassen“

Nun ist Koch nicht der einzige, der in der Merkel-Ära abserviert und dann lange geschwiegen haben. Dass sich Roland Koch nun zu Wort meldet, dürfte ein Indiz sein, dass die Zeit vorbei ist, wo die „CDU hat alles mit sich machen lassen“. Diese Überschrift über dem Koch-Interview in der FAZ kann durchaus auch eine Selbstkritik sein. Warum hat die CDU seit fast 20 Jahren das mit sich machen lassen?

Wie konnte eine ehemalige FDJ-Sekretärin aus Mecklenburg, die nichts mit der DDR-Opposition zu tun hatte, eine solche Macht erlangen, dass sie reihenweise Unionspolitiker von Helmut Kohl über Friedrich Merz und viele andere in die Versenkung verbannen konnte? In den Wendewirren sind viele Politiker aus der DDR kurzzeitig hochgespült worden. Heute kennt ihre Namen niemand mehr.

Warum gehörte Merkel zu den wenigen, die es geschafft haben, oben zu bleiben? Warum spielte selbst bei der notorisch antikommunistischen Union die ungeklärte DDR-Vita von Merkel keine Rolle? Eine Politikerin mit ähnlicher Vita bei der SPD oder der LINKEN hätte sich viel kritischere Fragen gefallen lassen müssen.

Bündnis Schäuble -Merkel zahlte sich politisch aus

Gerade, weil solche Fragen öffentlich kaum gestellt wurden, haben sich Rechte und Verschwörungstheoretiker aller Couleur damit beschäftigt. Dabei ist der Aufstieg Merkels und ihre lange Hegemonie in der Union recht einfach zu erklären. Das Ende der Kohl-Ära hat die Partei verunsichert.

Damals wurde ihr eine lange Zeit der Opposition prognostiziert, nachdem die Affäre der Geheimkonten bekannt geworden war. So war Kohl schon längst ein Auslaufmodell, bevor er von Merkel beiseite geschubst wurde. Mit dem designierten Kohl-Nachfolger Wolfgang Schäuble ging sie ein Bündnis ein, das beiden eine lange Herrschaft garantierte.

Die Bedingung war, dass niemand so genau nachfragt, was noch an Ungesetzlichen in der Kohl-Ära geschehen ist und welche führenden CDU-Politiker darin verwickelt waren. Dafür wollte auch niemand so genau die Vita der Angela Merkel in der DDR eruieren. Weil beide Seiten ein Interesse daran hatten, die Vergangenheit ruhen zu lassen, konnte aus diesem Bündnis Merkel-Schäuble zeitweise eine stabile Hegemonie über die Partei entstehen.

Politisch zahlte sich das für die Union aus. Während Schäuble als strenger Kassenwart den EU-Staaten das Troika-Diktat beherrschte, konnte Merkel als ideologiefreie Liberale selbst bei Sympathisanten der Grünen und mancher Ex-Linker durchgehen. Dabei kam ihr zugute, dass sich der Mitte-Mythos auch bei ihnen längst durchgesetzt hat.

Spätestens mit dem Aufstieg rechtspopulistischenr Bewegungen auch in Deutschland wuchs die Zahl der Merkel-Sympathisanten an. Selbst schlauere Linke meinten, Merkel loben zu müssen, weil sie im „Herbst der Migration“ die Grenzen für einige Wochen nicht komplett dichtmachte. Nicht die Zähigkeit und der Widerstandsgeist der Migranten wurden herausgestellt, sondern die Politikerin, die in der Folge die schärften Flüchtlingsabwehrgesetze zu verantworten hat, wurde so endgültig zur Kanzlerin der deutschen Mitte gemacht und die schwenkte nach rechts.

Merkel-Ende im Zeichen des Rechtsrucks

Das Bündnis Merkel-Schäuble ist zu Ende, Schäuble hat sein Ministeramt verloren und in der Union melden sich alte und neue Merkel-Kritiker zu Wort. So steht auch das sich ankündigende Ende der Ära Merkel im Zeichen dieses Rechtsrucks.

Denn egal, wer sie in der Union beerben sollte, er oder sie wird wieder stärker auf die konservativen und deutschnationalen und christlichen Wurzeln der Union rekurrieren, schon um sich gegenüber der AfD als seriösere Rechtsformation verkaufen zu können.

Als Roland Koch noch aktiv in der Politik mitmischte, gewann er in Hessen Landtagswahlen, indem er eine Unterschriftenkampagne gegen die damals von Rot-Grün favorisierte doppelt Staatsbürgerschaft initiierte. Vieler derer, die damals unterschrieben haben, werden später die AFD gewählt oder wie Erika Steinbach für sie geworben haben.

In einer von Roland Koch geprägten Union hätten sie sich sicher gut aufgehoben gefühlt. Dass heute die Merkel-Dämmerung eher eine Verschiebung nach rechts bedeutet, lag auch am Versagen von linken Kräften in Deutschland. „Merkel muss weg“ wurde zu einer rechten Parole.

Einem großen Teil der Linken fiel nichts Dümmeres ein, als Merkel zu verteidigen, statt mit der Parole „Alle müssen weg“ deutlich zu machen, dass keiner der sogenannten Repräsentanten der Macht es wert ist, verteidigt zu werden.

Umgruppierungen im Parteiensystem für den autoritären Kapitalismus

Dabei haben schon andere parlamentarische und außerparlamentarische Gruppen die Erfahrung gemacht, dass sie nur verlieren, wenn sie sich an eine Fraktion des Ancien Regime binden. Schließlich ist die Schwäche von sozial- und christdemokratisch/konservativen Parteien kein deutsches Spezifikum. Im Gegenteil.

Deutschland ist in dieser Hinsicht eher Nachhut. In Italien ist das Parteiensystem bereits vor 2 Jahrzehnten implodiert und profitieren konnte der Berlusconismus, eine moderne Form des Rechtspopulismus, der bis heute die politische Hegemonie in Italien prägt. In Frankreich konnte ein Macron vom Ende des alten Parteiensystems profitieren, weil er sich als letztes Bollwerk gegen den Front National inszenieren konnte.

Nun könnte auch in Deutschland eine solche Umstrukturierung des Parteiensystems anstehen. Natürlich gibt es dafür immer spezielle länderspezifische Gründe, die den Verlauf und das Ausmaß der Krise bestimmen. Daher wäre es auch verfehlt, nun auch in Deutschland schon das Ende von Union und SPD einzuläuten.

Doch etwas Gemeinsames gibt es bei dem Verfall der Parteien in all diesen Ländern. Es ist der Umbau der Gesellschaft in einen autoritären Kapitalismus. Anders als im Fordismus gibt es innerstaatlich kaum noch etwas zu verteilen. Reformen sind immer mehr Zumutungen für die Subalternen.

Der Staat ist immer mehr nur der Standort für die jeweiligen Konzerne, die als Industriestandorte gegen andere Konzerne in den Krieg ziehen, vorerst nur in den Wirtschaftskrieg, aber dabei muss es nicht bleiben. Für diesen weltweiten Wirtschaftskrieg wird auch das Parteiensystem umgestaltet. Ein Symptom der Krise des fordistischen Parteiensystems ist die Hegemoniekrise.

Die Personalstreitereien in der SPD-Führung sind dafür ein beredtes Beispiel. Weil keine der streitenden Fraktionen eine innerparteiliche Hegemonie erlangen und den Konflikt beheben kann, wird der Vorschlag eingebracht, nun müsse die Basis über die neue Führung entscheiden. Nun ist das wahrlich nicht neu. Erinnert sich noch jemand, dass 1993 bei einer Urwahl der SPD-Mitglieder ein Rudolf Scharping zum Parteivorsitzenden gekürt wurde?

Der ist so vergessen, dass es kaum einen Vergleich zwischen Martin Schulz und ihn gab, obwohl da Ähnlichkeiten offensichtlich sind. Die Flucht zur Basiswahl ist Ausdruck einer Hegemoniekrise und hat wenig mit Liebe zur Basisdemokratie zu tun.

Das Duo Merkel-Schäuble hatte über eine längere Zeit die Hegemonie in der Union gesichert. Es muss sich nun zeigen, ob ihren Nachfolgern dies auch gelingt. Wenn nicht, könnte auch die Union ein Auslaufmodell werden.

https://www.heise.de/tp/features/Ist-nur-Merkel-ein-Auslaufmodell-oder-die-gesamte-CDU-3969961.html

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3969961
Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/roland-koch-im-interview-merkel-muss-nachfolge-regeln-15443510.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/faz-interview-mit-ex-ministerpraesident-roland-koch-15443521.html
[3] http://www.faz.net/aktuell/faz-interview-mit-ex-ministerpraesident-roland-koch-15443521.html
[4] http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?cPath=21_48&products_id=511
[5] http://www.faz.net/aktuell/politik/rueckblick-unterschriften-brachten-koch-wahlsieg-in-hessen-140326.html
[6] https://www.kleinerbuchladen.de/shop/rainer-balcerowiak-die-heuchelei-von-der-reform/

Die SPD gewinnt Mitglieder

Und der Vorstand streitet, ob er sie überhaupt will

Was ein deutscher Juso ist, der geht für die SPD durch dick und dünn. Eben noch haben sie ihre Kampagne gegen ein Bündnis mit der Union am Sonderparteitag knapp verloren und nun machen sie der SPD ein besonders Geschenk.

Sie organisieren eine Eintrittskampagne[1]. Was Besseres könnte der doch nun wahrlich nicht erfolgsverwöhnten Partei gar nicht passieren.

Da treten womöglich noch junge Leute in die SPD und was macht die? Sie sagt, nicht mit uns. Wer womöglich nur in die SPD eintreten wolle, um bei den Regierungsoptionen mit zu bestimmen, der soll möglichst draußen bleiben. Schon ist von einem Stichtag die Rede, wer danach eintrete, habe erst einmal nicht mit zu entscheiden.

Diese Stichtagsregelung kann aber auch als Signal an die Jusos verstanden werden, dass man über die Mitgliederbefragung so sauer denn doch nicht ist. Sonst hätte man ja die Mitwirkungsmöglichkeiten sofort beendet.

Die Stichtagsregelung dagegen könnte ja zunächst eine neue Eintrittswelle provozieren. Zumal sich ja auch der Juso-Chef Keven Kühnert wieder einmal besonders staatstragend gibt und erklärt, er wolle auch keine Kurzzeitmitglieder. Damit distanziert er sich von den flotten Sprüchen anderer Jusos, die mit einem Zehner gegen die Groko[2] antreten wollte. Prompt monierte die FAZ eine unlautere Mitgliederwerbung[3].

Juso-Kampagne und Kritik unpolitisch

Diese Kritik ist genauso unpolitisch wie die Juso-Kampagne selber. Zunächst haben die sie nicht erfunden. In Großbritannien haben Masseneintritte mit dafür gesorgt, dass die wirtschaftsliberalen Blair-Anhänger gegenüber dem Sozialdemokraten Corbyn in die Defensive gerieten.

Auch sie wurden vom Parteietablishement vielfältig behindert. Nicht anders geschah es jungen Anhängern von Bernie Sanders innerhalb der Wahlmaschinerie der Demokratischen Partei in den USA, die ganz auf Clinton eingeschworen war und mit ihr verlor. Auch in Deutschland ist es nichts Neues, dass Masseneintritte in eine Partei propagiert wurden, um ein politisches Ziel zu erreichen. Idealerweise eignen sich dafür kleinere Parteien besonders.

So kamen 1998 nach einen Studierendenstreik Kommilitonen auf die Idee, die FDP, die sich damals gerade in der Opposition befand, zu kapern und in ihrem Sinne zu verändern[4]. Die Reaktion der Liberalen schwankte von Unmut bis Existenzangst. Die hatte sich aber bald gelegt. Drei Jahre später meldete der Spiegel, dass einige der Sponti-Studierenden in der Partei Karriere machten[5].

So war die angebliche Sponti-Aktion eigentlich eine etwas coolere Form, sich der FDP anzunähern. Nun ausgerechnet die bürokratische und unbewegliche SPD durch Masseneintritte in eine bestimmte politische Richtung drängen zu wollen, ist eine besondere Schnaps-Idee und soll wohl nur dazu dienen, der SPD einige Neumitglieder zu bescheren. Der poltische Inhalt ist fragwürdig, vage und wenig durchdacht.

Das beginnt schon damit, dass hier das gedankenlose Geschwätz von der großen Koalition tradiert wird, die eine Koalition zwischen Union und SPD nicht mehr ist. Die hätte weniger Sitze als die sogenannte kleine Koalition von SPD und FDP in den 1970er Jahren. Nun könnte man sagen, dass sind eher Details. Doch es zeigt, wie wenig die ganze Eintrittsaktion durchdacht ist.

Was wollen die Neumitglieder in der SPD?

Die Probleme mit dem Konzept gehen tiefer. Was wollen die Neumitglieder außer, das Bündnis mit der Union zu verhindern?

Dazu müsste zumindest ein Minimum an politscher Debatte laufen, die aber unterbleibt. Die Neueintritte bei der Laborpartei sagen, dass sie sich die Partei von den Wirtschaftsliberalen zurückholen wollen und verweisen auf die sozialistische Pateirhetorik der 1970er Jahre.

Die aber hatte die SPD in ihrer Mehrheit nie, so kann sich dort niemand zurückholen, was es nie gab: Und so politisch, die Rücknahme der Agenda 2010 zu fordern oder einen Stopp aller Waffenlieferungen an die Türkei, sind die Jusos nicht. Damit aber könnten sie deutlich machen, dass es um mehr als Symbolpolitik geht. Dazu aber ist der Jusovorstand nicht bereit.

Das inhaltsleere Gerede über einen SPD-Eintritt, um dort eine Entscheidung mit zu bestimmen, verdeckt die inhaltlichen Leerstellen der Kampagne gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der Union. Man will sich ideologisch nicht festlegen, weil ja viele durchaus eine Minderheitsregierung der Union mittragen würden.

Warum sollen die Neumitglieder der SPD nicht über Hartz IV und Waffenlieferungen entscheiden?

Dabei gäbe es genügend inhaltliche Positionen, die für SPD-Neumitglieder interessant sein können. Warum sollen sie die SPD nicht auf eine Revision der Agenda 2010 festlegen, die schließlich wie auch SPD-nahe Institute mittlerweile zugestehen, zu einer Verarmung großer Teile der Bevölkerung in Deutschland und zum Lohndumping führte. Und was ist mit einem Stop aller Waffenlieferungen in Staaten, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind?

Das wäre doch eine sehr aktuelle Forderung, nach dem bekannt wurde, dass unter rot-schwarz die Geschäfte der deutschen Rüstungsindustrie besser florierten als unter schwarz-gelb. Verantwortlich war der Außenminister Gabriel, der in Sonntagsreden so wortreich für eine Regulierung der deutschen Rüstungsexporte eintritt.

Diese Frage wurde noch aktueller, als Fotos zeigten, dass deutsche Panzer beim Krieg der Türkei gegen die kurdischen Enklaven in Syrien mit dabei sind. Gäbe es eine Kampagne, in die SPD einzutreten, um gegen Waffenlieferungen in die Türkei oder für die Revision von Hartz IV zu votieren, wäre die Reaktion der Parteiführung wahrscheinlich viel vehementer.

Denn dann stünde die Rolle der SPD als Stütze des Kapitalismus in Frage. Die Kampagne der Jusos und einiger SPD-Linker gegen die weitere Kooperation mit der Union hingegen ist für die SPD-Führung harmlos. Einen großen Einfluss auf die Abstimmung werden die Neueintritte nicht haben. Um so viele Menschen zu einen Parteieintritt zu motivieren, müssten sie schon mit lukrativen Prämien locken. Eine verminderte Eintrittsgebühr reicht da sicher nicht.

Zudem werden manche, von denen, die tatsächlich eintreten, auch bleiben und so bekommt die SPD einige dringend benötigte Mitglieder. Bleiben sie drin oder wollen gar in der Partei aufsteigen, werden sie genauso stromlinienförmig die Parteiraison unterstützen, wie es heute Andrea Nahles und Co. tun, die schließlich auch mal als linke Jusos galten. Johanna Ueckermann, eine der Nahles-Nachfolgerin bei den Jusos, muss sich noch in Anpassung üben, das war die Botschaft der SPD, die ihr bei den letzten Wahlen keinen aussichtsreichen Listenplatz gab[6].

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/tp/features/Die-SPD-gewinnt-Mitglieder-3951390.html?seite=2

http://www.heise.de/-3951390

Links in diesem Artikel:

[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-mitgliederentscheid-wie-die-jusos-die-groko-noch-verhindern-wollen-a-1189420.html
[2] http://www.zeit.de/news/2018-01/22/deutschland-jusos-kuendigen-kampagne-einen-zehner-gegen-die-groko-an-22083602
[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/jusos-in-der-spd-der-unlautere-kampf-um-neue-genossen-15412651.html
[4] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7809500.html
[5] http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/fdp-unterwanderung-sponti-studenten-machen-karriere-a-150985.html
[6] http://www.taz.de/Juso-Chefin-bekommt-kein-Mandat/!5362147/

SPD will an der Regierung bleiben

Nur Merkel-Gegner in der Union könnten Regierung mit der SPD noch sabotieren

362 Delegierte haben am Sonntagnachmittag beim SPD-Sonderparteitag in Bonn für die Aufnahme der Koalitionsgespräche mit der Union gestimmt. Das ist wahrlich kein überraschendes Ereignis. Bemerkenswert ist, dass immer noch 279 Delegierte mit Nein gestimmt haben. Insgesamt ist sich die SPD treu geblieben.

Seit über 100 Jahren drängt sie sich immer an die Regierung, obwohl niemand mehr die Illusion hat, dass sie damit an der Macht wäre. Heute reicht es der SPD schon, wenn sie ihre Posten behält und das Ende der Ära Merkel noch etwas herausschieben kann. Deshalb hat auch ein Großteil der liberalen Medien die Entscheidung auf dem SPD-Parteitag mit der Aura einer Schicksalswahl umgeben.

Seit Tagen wurde der Eindruck erweckt, als hinge das Schicksal der Republik daran, dass sich die Wahlverlierer Union und SPD gegenseitig stützen. Die grünennahe Taz hatte sogar den nun wahrlich nicht linken SPD-Landesverband NRW dafür kritisiert, dass der die auch wahrlich nicht radikale Forderung stellte, die sachgrundlose Job-Befristung zur Bedingung für eine Koalition der Union zu machen.

Das Ende der sachgrundlosen Befristungen könnte eine Brücke für zweifelnde Delegierte sein. Aber diese Brücke führt ins Nirwana. Denn wenn die SPD eine neue Bedingung stellt, wird das auch die Union tun. Die Koalitionsverhandlungen würden mit einer Hypothek starten.

Ulrich Schulte, Taz

Der Schulterschluss der grünennahen Zeitung verwundert nicht. Schließlich nehmen die Grünen der FDP noch immer übel, dass sie die gemeinsame Regierung verhindert haben. Seitdem machen sie der Union immer wieder Avancen.

Keine Mehrheit links von der Union

Das ganze Gerede von einer angeblichen Mehrheit links von der Union, das es bis zu den letzten Bundestagswahlen unter Einschluss der Grünen im Parlament gegeben habe, wird so einmal mehr als Schimäre entlarvt. Daher war es nur konsequent, dass selbst die Gegner des Bündnisses mit der Union davon nicht mehr reden wollten. Und hier wird auch ihr größtes innerparteiliches Manko deutlich: Sie haben kein alternatives Konzept.

Wenn Martin Schulz daran erinnerte, dass bei einer Neuwahl die SPD mit dem gleichen Programm antreten würde, auf das sie sich bei den Sondierungen mit der Union geeinigt hat, hat er Recht. Das Elend der Sozialdemokratie zeigt sich darin, dass diese Tatsache nicht zum Gegenstand der Kritik gemacht wird.

Nun soll niemand von der SPD irgendwelche revolutionären Anwandlungen erwarten, die sie nun seit über 100 Jahren scheut wie der Teufel das Weihwasser. In den nächsten Monaten jähren sich einige blutige Ereignisse zum 100ten Mal, als die SPD den republikfeindlichen Freikorps den Auftrag gab, revolutionäre Arbeiter und Räte niederschießen zu lassen.

Doch man könnte von der SPD erwarten, dass sie sozialdemokratische Politik macht wie der Vorsitzende der Labourparty in Großbritannien Jeremy Corbyn. Doch es waren nicht nur Sozialdemokraten vom rechten Seeheimer Kreis, die unter dem Slogan „Corbyn auf dem Parteitag – No Way“ gegen eine Rede des britischen Sozialdemokraten auf den SPD-Parteitag mobil machten, sondern Jusos.

Vordergründig ging es ihnen um in der Tat kritikwürde Positionen Corbyns zum Nahostkonflikt, die man als „regressiven Antizionismus“ bezeichnen kann. Doch den Laborvorsitzenden auf diese Position zu reduzieren und seine Initiativen gegen weitere wirtschaftsliberale Maßnahmen und gegen weitere Privatisierungen unerwähnt zu lassen, zeigt doch eher, dass den Nachwuchssozialdemokraten nicht an einem Linksruck in ihrer Partei gelegen ist.

Vor Jahrzehnten gebärdeten sich die Jusos noch als sozialistisch und schreckten die Mutterpartei mit Unterschriften unter verbalradikalen Aufrufen. Als dann die Schröders, Nahles und Scholz den Marsch durch die Parteiinstanzen starteten, waren solche Positionen schnell vergessen. Heute kürzen die jungen Sozialdemokraten diesen Prozess ab, in dem sie sich von Anfang realpolitisch geben und die deutsche Staatsraison zu jeder Tages- und Nachtzeit verteidigen können.

Das ist nicht verwunderlich, weil es heute kaum noch kritische Jugendliche gibt, die es gilt, mit radikalem Gestus an die SPD zu binden. Wer heute grundsätzliche Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus übt, wird nicht auf die Idee kommen, mit der SPD oder ihrem Jugendverband anzubandeln.

Also gibt man sich von Anfang staats- und parteifromm wie der aktuelle Jusochef Kevin Kühnert, der seine Kampagne NoGroko nur zum Besten der Partei und ihrer Traditionen verstanden haben will. Schon der Name der Initiative ist falsch, weil gedankenlos das Gerede von der großen Koalition tradiert wird, während das Bündnis zwischen SPD und Union weniger Abgeordnete auf sich vereinen würde, als die als „kleine Koalition“ apostrophierte Kooperation zwischen SPD und FDP in den 1970er Jahren.

Über das aktuelle geistige und politische Klima auch im universitären Milieu geben sich unpolitisch gebende Zeitungen wie die UnAufgefordert bestens Aufschluss, die eine Kampagne gegen die letzten linken Asten begonnen haben, die nun von der AfD aufgegriffen wird. In einen solchen Klima kann sich nun wahrlich keine linke Alternative bilden und schon gar nicht in der SPD.

Gegen die SPD schießen und Merkel meinen

Da ist es nicht verwunderlich, dass die SPD für Koalitionsgespräche mit der Union ausgesprochen hat, sondern dass eine relevante Minderheit dagegen stimmte. Dabei hatten auch sogenannte linke Sozialdemokraten in den letzten Tagen noch im Namen der Basisdemokratie vehement für die Linie von Schulz ausgesprochen.

Wenn auf dem SPD-Parteitag das Aus für eine Kooperation mit der Union beschlossen würde, wäre das eine Entmündigung der Basis. Schließlich sollen nach den Koalitionsverhandlungen alle SPD-Mitglieder über das Ergebnis abstimmen.

Da werden wir von manchen Medien noch einmal vor eine vermeintliche Schicksalsentscheidung gestellt und wieder dürfte die zugunsten des Verbleibs der SPD in der Regierung ausgehen. Es sei denn, bei den Koalitionsverhandlungen brüskieren die Merkel-Gegner in der Union die SPD so, dass eine Stimmung entsteht, sich das nicht mehr gefallen zu lassen. Schließlich wäre ein Scheitern des erneuten Bündnisses eine Schwächung von Merkel. Es gibt in der CSU und in der CDU genügend Leute, die das wünschen. Sie müssen dann nur gegen die SPD schießen und Merkel meinen.

Doch auch hier dürfte die Parteiraison siegen und man ist bereit, Merkel noch einige Jahre zu dulden. Ob es in der SPD noch vernehmliche Forderungen nach Nachverhandlungen beim Schutz von Flüchtlingen oder bei sozialen Themen gibt, ist offen. Die veröffentliche Meinung von der grünennahen Taz bis zur konservativen Welt ist auf Seiten der Union, drängt zur Eile und lehnt weitere Forderungen der SPD daher ab.

Egal wie die SPD letztlich entscheidet, in der Partei dürfte die Personaldebatte weitergehen. Dass Martin Schulz Parteichef auf Abruf ist, wurde in den letzten Wochen immer deutlicher. Nun wird ihm angelastet, dass er nach der Bundestagswahl angeblich ohne Not eine Koalition mit der Union ausgeschlossen habe und dieses Bekenntnis noch einmal wiederholte, als die FDP ein Bündnis mit Union und Grünen platzen ließ.

Schon ist vergessen, dass Schulz für seine Erklärung in die Opposition zu gehen, weil seine Partei starke Verluste einstecken musste, an der SPD-Basis viel Zustimmung bekam und damals auch von vielen Medien gelobt wurde. Damals setzten viele auf eine Koalition ohne die SPD.

Als diese ohne die AfD nicht mehr möglich war, wuchs der Druck auf die SPD und sie entschied sich, an der Regierung zu bleiben. Dass nach dem SPD-Parteitag Andrea Nahles für ihr völlig inhaltsleeres Schreien gelobt wurde und schon als Nachfolger von Schulz gehandelt wird macht nur eins deutlich, besser wird es für die SPD nicht.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/SPD-will-an-der-Regierung-bleiben-3947430.html

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3947430

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/!5475453/
[2] https://www.facebook.com/jusosnn/posts/1735243083199282
[3] https://nogroko.de/
[4] http://www.unauf.de
[5] http://www.unauf.de/2017/solange-keiner-hinschaut/

An der SPD wird die GroKo nicht scheitern

Die SPD wird wieder mitregieren, wenn es die Merkel-Gegner in der Union nicht verhindern

Verantwortung für Deutschland, das ist das Leitmotiv der SPD seit über 100 Jahren. Die Floskel wurde beim gestern zu Ende gegangenen SPD-Parteitag wieder strapaziert. Dabei ging es doch nur darum, dass der alte und neue SPD-Vorsitzende Schulz nun plötzlich das Gegenteil von dem verkündete, was er noch nach dem letzten Parteitag erklärte.

„Wir beenden die Kooperation mit der Merkel-Union und gehen in die Opposition“ – für diese Ankündigung bekam Schulz damals viel Lob von großen Teilen seiner Partei und Anerkennung von den Medien. Manche Beobachter hatten den Eindruck, dass diese Ankündigung, in die Opposition zu gehen, von vielen in der SPD als Befreiung aufgenommen wurde, die sogar das desaströse Wahlergebnis erträglich machte.

Das zeigte die Reaktion im Willi Brandt-Haus. Die Anwesenden applaudierten und man hatte nicht den Eindruck, man stehe einer Partei gegenüber, die gerade noch mal ihr schon schlechtes Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl unterboten hatte. Da fühlten sich manche an die Wochen erinnert, nachdem Schulz von seinen Vorgänger Gabriel zum Kanzlerkandidaten ernannt wurde.

Die Phrase vom Schulz-Zug, der nie abfuhr

Damals wurde die Phrase vom Schulz-Zug geboren, der nie abfuhr. Was tatsächlich geschehen ist: Einige Tausend junge Menschen sind in die SPD eingetreten, die wenig bis nichts mit der alten SPD-Tradition zu tun hatten. Selbst ein langjähriger Unterstützer der gewaltfrei-anarchistischen Zeitschrift Graswurzelrevolution gehörte dazu.

Nur war es schon ein Irrtum zu glauben, dass sie wegen Schulz und nicht trotz Schulz in die SPD eingetreten waren, weil sie darin ein Signal gegen den Rechtsruck im Zeichen von Trump und AFD erblickten. Andere treten deswegen bei den Linken und manche auch bei den Grünen ein. Sie jubelten dann Schulz zu, weil sie glauben wollen, er sei in der realexistierenden SPD der Hoffnungsträger.

Der hatte sich aber schnell entzaubert und spätestens nach der Veröffentlichung der Spiegel-Reportage über Schulz und das SPD-Wahlkampfteam wurde klar, wie stark der Parteiapparat nur auf öffentliche und veröffentlichte Meinung reagierte, wie er jeder Umfrage entgegenfieberte und später immer mehr davor zitterte und wie Schulz von diesem Apparat an der kurzen Leine geführt wurde.

Das war sicher für manche eine gute Lektion in Sachen real existierender Demokratie. Denn dass die Reportage des im Wahlkampfteam eingebetteten Journalisten eine gewisse Aufmerksamkeit bekam, lag nicht daran, dass diese Art der Wahlkampfführung so ungewöhnlich war, sondern dass sie in dem Text so gut auf den Punkt gebracht wurde. Wenn Schulz ein Hoffnungsträger für irgendjemand war, so ist das längst vorbei.

Wenn er auf dem SPD-Parteitag wieder gewählt wurde, dann nur deshalb, weil niemand bereit war, die Partei in der aktuellen Situation zu übernehmen.

Nun auch noch Verantwortung für Europa

Seine Berater aus dem Apparat haben wohl Schulz geraten, sich wieder auf ein Gebiet zu besinnen, auf dem er sich auskennen müsste. Als langjähriger EU-Bürokrat, der auch schon mal dem italienischen Rechtspopulisten Berlusconi Paroli geboten hat, war Schulz schließlich in Deutschland bekannt.

Seine Berater vom Parteiapparat haben es wohl nicht für opportun gehalten, im Wahlkampf zu stark dieses Thema zu strapazieren. Die EU ist schließlich zurzeit auch in Deutschland nicht so populär, dass sie Stimmen bringt. Nun, wenn es gilt, die SPD wieder in Regierungsverantwortung zu bringen und von anderen Festlegungen abzubringen, muss nun die Partei nicht nur wie seit 100 Jahren für Deutschland, sondern gleich für Europa Verantwortung übernehmen.

Wie üblich, wenn im hiesigen Politikersprech dieses Wort genutzt wird, ist damit die von Deutschland dominierte EU gemeint. Schulz und die Sozialdemokraten wollen nun dazu beitragen, dass die Hegemonie, die durch Schäubles Austeritätskurs brüchig geworden war, wieder zu festigen. Dabei geht es natürlich nicht darum, dass nun in Europa eine keynisiastische Politik gemacht werden soll.

Vielmehr orientiert sich die SPD am französischen Präsidenten Macron, einen erklärten Wirtschaftsliberalen, der im letzten Jahr von den Grünen und der Taz zum Hoffnungsträger ausgerufen wurde. Auch die SPD will nun von Macrons Wahlerfolg in Frankreich profitieren und Schulz will damit rechtfertigen, wieder in eine große Koalition einzutreten.

Dabei kann er sich sogar auf Griechenlands Premierminister Tsipras berufen, der Schulz davor warnte, aus Gründen der politischen Reinheit in die Opposition zu gehen.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass der Vorsitzende einer Partei, der als linke Alternative mit dafür sorgte, dass die sozialdemokratische Schwesternpartei in der Versenkung verschwand, eine SPD darum bittet, Regierungsverantwortung zu übernehmen, die mit dafür gesorgt hat, dass im Jahr 2015 die Daumenschrauben gegen die Syriza-Regierung vor der Kapitulation angezogen wurde. Schulz und auch sein Vorgänger Gabriel haben sich damals eindeutig gegen die damals noch linke griechische Regierung gestellt.


Zusammenbruch der europäischen Sozialdemokratie

Aber Tsipras und seine Syriza sind mittlerweile der rechten Sozialdemokratie in Europa so ähnlich, dass sei auch wie diese bei den nächsten Wahlen ebenso abgestraft werden könnten. In einer Taz-Reportage dazu heißt es:

Die Sozialdemokratie in Europa ist nicht mehr nur im Krisenmodus, sie nähert sich mancherorts dem Zusammenbruch. Nicht nur in den Niederlanden, auch in Frankreich und Griechenland wurden die altehrwürdigen Parteien pulverisiert. Die Symptome sind überall ähnlich: Die Aufsteigergeneration hat die Verbindungen zu ihrer Herkunft gekappt.

Wo es ärmlich und ungemütlich zugeht, im Mannheimer Norden, den Vororten von Rotterdam oder den Randbezirken von Wien, laufen frühere Stammwähler zu den Rechtspopulisten über. Die Parteiapparate schauen hilflos zu. Die Abgehängten und das Dienstleistungsproletariat setzen nicht mehr auf die saturierten Sozialdemokraten. Und die erfolgreichen, jungen Globalisierungsgewinner finden Sozialdemokratie voll 20. Jahrhundert.“

Taz

Nicht vom europäischen Abwärtstrend betroffen sind die portugiesischen und britischen Sozialdemokraten. Beide haben sich in den letzten Jahren zu moderaten Linkspositionen durchgerungen und die Austeritätspolitik etwas modifiziert, in Portugal mit Unterstützung der Linksopposition. In Großbritannien ist noch klar, ob die Labour Party den linkspopulistischen Kurs ihres aktuellen Vorsitzenden Corbyn beibehalten kann und wird.

Manche linken Sozialdemokraten sehen in ihm genau einen Hoffnungsträger wie vorher in Bernie Sanders und auch vor einigen Jahren Tsipras. Die Namen wechseln, aber sie waren bisher nie erfolgreich, und die SPD hat daran wie bei Tsipras aktiv mitgearbeitet.

Die SPD wird diese Tradition fortsetzen, ob als Teil der Regierung oder als loyale Opposition. Die durch die unterschiedliche Position bedingte Rhetorik sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Darum ist es für die Politik letztlich irrelevant, ob die SPD Teil einer Regierung ist.

In Fragen der Inneren Sicherheit, der Flüchtlingsabwehr, der Innenpolitik wird sie da weitermachen, wo die alte Regierung aufgehört hat. Schließlich amtieren die Minister sogar noch. Und die Gegner der großen Koalition, die wie der linksliberale Publizist Jakob Augstein die SPD ebenfalls aus gesamtdeutscher Verantwortung auffordern, in der Opposition zu bleiben, werden am Ende keine Rolle spielen.

Schon vor den letzten Koalitionen mit der Union haben Linke in der SPD gegen die Groko mobilisiert. Damals war gab es sogar rechnerisch eine Mehrheit links von der Union. Doch jedesmal haben die Groko-Gegner Niederlagen erlitten. Das wird jetzt, wo es eine strukturell rechte Mehrheit im Parlament gibt, nicht anders sein.

Sogar die Jungsozialisten sind keineswegs so klar gegen eine Groko, wie es suggeriert wird. In der Wochenzeitung Kontext wurde über Jungsozialisten in Baden Württemberg berichtet, die auch bei der FDP anheuern könnten.

Und die Jusos im Südwesten sehen sich an der Spitze der Bewegung. Sie wollen den Landesverband wieder zum Motor der Bundespartei machen. So wie er das einst schon war in den Siebziger Jahren, als der legendär gewordene „Tübinger Kreis“ Furore machte als linker Talentschuppen und Ideenwerkstatt der 68er. Gefolgt von Erhard Eppler und seinem Aufbruch zu einer neuen Orientierung der SPD in der Umwelt- und Friedenspolitik. Diesmal aber geht es dem Nachwuchs nicht um progressive Inhalte, sondern darum, das Erbe der Schröder-Ära mit ihrer Annäherung an neoliberale Denke vor kritischer Rückschau zu bewahren. Sie wolle keine „endlosen Debatten“ über die Vergangenheit führen, sagte Bernickel auf dem Landesparteitag am vergangenen Samstag in Donaueschingen. Vielleicht doch in der falschen Partei? Jedenfalls verlangt die Betriebswirtin, Studienrichtung Finanzdienstleistungen, nach einer „ganzheitlichen Erzählung“.

Johanna Henkel-Waidhofer, Kontext

Wenn die Groko scheitert, dann an der Union

Solche Detailberichte sagen mehr über die Situation der angeblichen SPD-Linken als markige Worte des aktuellen Juso-Vorsitzenden. Die SPD wird in die Regierung gehen, eine Groko kann nur an Kräften in der Union scheitern, die die Merkel-Ära beenden und Neuwahlen wollen. Merkel und ihr Umfeld hat genau deshalb kein Interesse an diesen Neuwahlen.

Die Diskussion um die Verlängerung des Nachzugsstops von syrischen Migranten, der demnächst ausläuft, könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Union hat schon deutlich gemacht, dass sie auch mit den Stimmen der AfD eine weitere Verlängerung durchsetzen würde. Schon haben in der letzten Woche einige Unionspolitiker davon geredet, dass Abschiebungen nach Syrien wieder möglich werden sollen.

Das hat die AfD im Wahlkampf auch immer gesagt und schon einen Antrag im Parlament eingebracht. Hier könnten Gemeinsamkeiten einer Nach-Merkel-Ära ausgelotet werden.

Für die SPD könnte das ein Ansporn sein, mit der Union schnell zu einem Ergebnis zu kommen. Sie könnte damit der Union signalisieren, dass sie nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen ist, um Migranten abzuwehren, genau so wie beim Sozialabbau und der Abbau von Datenschutz. Die SPD wird also noch gebraucht.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/An-der-SPD-wird-die-GroKo-nicht-scheitern-3914945.html?seite=all

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3914945

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html
[2] http://www.graswurzel.net/
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/martin-schulz-on-the-road-mit-dem-spd-kanzlerkandidaten-spiegel-titelgeschichte-a-1170992.html
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/signale-von-macron-und-tsipras-euro-partner-draengen-spd-zur-groko-100.html
[5] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/signale-von-macron-und-tsipras-euro-partner-draengen-spd-zur-groko-100.html
[6] http://www.taz.de/!5464728/
[7] http://www.taz.de/!5464728/
[8] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-und-grosse-koalition-angela-merkels-bettvorleger-kolumne-a-1180483.html
[9] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/347/junge-rechte-rote-4729.html
[10] https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/347/junge-rechte-rote-4729.html
[11] https://afd.saarland/afd-bundestagsfraktion/2017/11/antrag-der-afd-bundestagsfraktion-rueckfuehrung-syrischer-fluechtlinge-einleiten