Billiglohnland Knast

Im Gefängnis arbeitende Insassen werden von Justizbediensten oft noch zusätzlich ausgebeutet, wie im Zuge eines kürzlich auf­gedeckten Schmuggelskandals bekannt wurde. Doch auch die Grundrechte von drogen- und medikamentenabhängigen Gefangenen werden verletzt.

Im Gefängnis arbeitende Insassen werden von Justizbediensten oft noch zusätzlich ausgebeutet, wie im Zuge eines kürzlich auf­gedeckten Schmuggelskandals bekannt wurde. Doch auch die Grundrechte von drogen- und medikamentenabhängigen Gefangenen werden verletzt.

»Routine oder Einzelfall?« fragte die Gefangenenzeitung Lichtblick, nachdem Mitte September durch einen Bericht des ZDF-Magazins »Frontal 21« bekanntgeworden war, dass Bedienstete der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel im Gefängnis hergestellte Waren aus der Anstalt geschmuggelt und verkauft hatten. In einer Sonderausgabe berichtete die Gefangenenzeitung, dass die beiden Insassen, die in dem Fernsehbeitrag zitiert wurden, von Mithäftlingen als »Anscheißer« beschimpft worden seien.

Zudem würden sie von der Gefängnisleitung mit Repressalien belegt. »Heute konnten sie sich über Durchsuchungen ihrer Zellen und all ihrer Körperöffnungen freuen«, schrieb Lichtblick mit einem Anklang von Schadenfreude.

Die in Tegel gegründete Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) solidarisierte sich hingegen in einer Pressemeldung mit den »engagierten Inhaftierten in der JVA Tegel, die anstaltsintern einem zunehmenden Repressionsdruck seitens der JVA Tegel ausgesetzt sind«. GG/BO-Sprecher Oliver Rast bezeichnet es im Gespräch mit der Jungle World als absurd, dass die Gefangenen, die den Tegeler Schmuggel aufzudecken halfen, mit Zellenrazzien und Verhören konfrontiert sind. Er betont, dass es sich beim Schmuggel nicht um Einzelfälle handele, und widerspricht damit dem Berliner Justizsenator. »Die uns vorliegenden Ausführungen des Hauptbelastungszeugen Timo F. legen nahe, dass es sich um ein organisiertes Netzwerk von 20 bis 30 Bediensteten handelt«, so Rast.

Für ihn ist die Schmuggelwirtschaft keine Überraschung, sie gehört in allen Haftanstalten zum Alltag. »Es ist längst an der Zeit, die Selbstbedienungs- und Selbstbereicherungsmentalität der JVA-Bediensteten öffentlich zu skandalisieren«, sagt der Gewerkschafter. Er kritisiert, dass die Knastarbeiter in der teilweise reißerischen Berichterstattung kaum vorkämen. »Dabei handelt es sich um eine zusätzliche Entwertung der menschlichen Arbeitskraft Inhaftierter, wenn auf der Billiglohninsel Knast von Gefangenen gefertigte Produkte gratis von Bediensteten entgegengenommen und womöglich in Eigenregie weitervertrieben werden.«

Die Gefangenengewerkschaft, die vor zwei Jahren gegründet wurde, sieht sich außerdem häufig gezwungen, die Grundrechte von Gefangenen zu verteidigen, die von Drogen oder Medikamenten abhängig sind. Mitte September beispielsweise berichtete die »Gefangenensolidarität Jena« über den seit Monaten erfolglosen Kampf von Oliver Gresenz, dem stellvertretenden GG/BO-Sprecher in der JVA Untermaßfeld, in ein Haftkrankenhaus nach Leipzig verlegt zu werden. Dort will Gresenz, der seit zwei Jahren von verschiedenen Medikamenten abhängig ist, eine Entzugstherapie beginnen. Die Gefängnisleitung lehnt die Therapie mit der Begründung ab, es gebe im Gefängniskrankenhaus zu wenige Betten. »Anstatt die Menschen zu behandeln, werden sie von der Knastmedizin mit harten Medikamenten ruhiggestellt, die selbst zu Abhängigkeit führen«, kritisiert die Jenaer Solidaritätsgruppe.

Auch die JVA Würzburg zwingt drogen- oder medikamentenabhängige Gefangene zum kalten Entzug (Jungle World 30/16). Die Rechtsanwältin Christina Glück, die einen der betroffenen Würzburger Häftlinge vertritt, spricht von einer Verletzung der Menschenwürde. Die Häftlinge litten vor allem am Anfang unter starken Entzugserscheinungen, klagten über schweren Durchfall und Erbrechen. Die in der JVA zuständigen Ärzte hielten trotzdem an dieser Form des Entzugs fest. Im Juli 2016 waren in der JVA Würzburg aus Protest gegen diese Haftbedingungen 47 Insassen elf Tage lang in einen Hungerstreik getreten. Ein Methadonprogramm für Gefangene im Entzug gehörte zu den Forderungen. Der Hungerstreik musste jedoch erfolglos beendet werden.

http://jungle-world.com/artikel/2016/39/54920.html

Peter Nowak

Kampf im Knast

In der JVA Würzburg haben Gefangene nach elf Tagen ihren Hungerstreik abgebrochen

Im Juli haben sich 47 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg mit einem einen Hungerstreik für bessere Zustände im Gefängnis eingesetzt. Das Medieninteresse blieb allerdings erstaunlich gering. Dies hat dazu geführt, dass die Gefangenen ihre Aktion nach elf Tagen erfolglos abbrechen mussten. Wie die regionale Presse den Streik interpretierte, zeigt ein Bericht der Onlinezeitung infranken.de zum Streikabbruch. Der Anstaltsleiter Robert Hutter kam dort mit der Erklärung zu Wort, dass die Zahl der Hungerstreikenden »mit jeder Mahlzeit weniger geworden« seien, obwohl ihre Forderungen nicht erfüllt wurden.

Auf jene Forderungen der Hungerstreikenden, die in der Onlinezeitung als »drogenabhängige Strafttäter« diffamiert werden, wird genau so wenig eingegangen, wie auf die Repression der Gefängnisleitung, die auch zum Abbruch des Hungerstreiks beigetragen hat. Die Anstaltsleiter hatte »acht Rädelsführer« in andere Gefängnisse verlegen lassen, heißt es in der kurzen Meldung. Auch hier ist die diffamierende Diktion eindeutig erkennbar: Gefangene, die für ihre Rechte eintreten und auch Mitgefangene motivieren, werden mit als »Rädelsführer« bezeichnet. Dass Häftlinge Rechte haben, wird in dem Beitrag nicht einmal erwähnt.

Dass sich in den letzten Monaten mehr Gefangene für ihre Rechte einsetzen, hängt auch mit der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisierung (GG/BO) zusammen, die im Mai 2014 in der JVA-Tegel gegründet wurde. (ak 612) »Einige der am Würzburger Hungerstreik beteiligten Häftlinge sind Mitglieder der GG/BO. Wir standen mit ihnen Kontakt und haben den Hungerstreik insgesamt unterstützt, indem wir in einer Pressemitteilung die Forderungen publiziert und zur Solidarität aufgerufen haben«, erklärt Konstantin von der GG/BO Jena gegenüber ak.

Dass die Würzburger Gefangenen nicht für die drei Kernforderungen der GG/BO – Mindestlohn, Sozial- und Rentenversicherung und Anerkennung der Gewerkschaft – in den Hungerstreik gegangen sind, hält Konstantin nicht für eine Beliebigkeit. »Die GG/BO vertritt wie auch alle anderen Gewerkschaften die Interessen und Bedürfnisse der inhaftierten Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in ihr organisieren – in all ihrer Vielfalt.« Das können mehr Telefonate, bessere Ernährung, bessere medizinische Versorgung, frühere Haftentlassung, ein Ende der rassistischen Diskriminierung oder die Abschaffung der Postzensur sein.

Besonders restriktive Haftanstalt

Die Würzburger Häftlinge forderten unter anderem ein Methadonprogramm und die Lockerung der Arrestbedingungen für Gefangene, die sich im Drogenentzug befinden. Betroffene berichteten, dass in der JVA Würzburg auch diese Gefangene trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigungen weiterhin zur Pflichtarbeit gezwungen werden. Von den extrem niedrigen Löhnen dieser Zwangsarbeit profitiert unter anderem der VW-Konzern, wie ein Mitglied der GG/BO Leipzig in einem Interview mit dem Freiburger Sender Radio Dreyeckland erklärte.

Für die Rechtsanwältin Christina Glück, die einen der Würzburger Häftlinge vertritt, verletzt die JVA Würzburg durch den erzwungenen kalten Entzug die Menschenwürde. Die Häftlinge litten vor allem am Anfang unter starken Entzugserscheinungen, klagten über schweren Durchfall und Erbrechen. Die in der Würzburger Justizvollzugsanstalt zuständigen Ärzte hielten trotzdem an dieser Form des Entzugs fest. Die Menschenwürde der Gefangenen wird in der JVA Würzburg auch dadurch verletzt, dass sie nur in ganz wenigen Ausnahmefällen telefonieren dürfen. Dann bleibt als einziges Kommunikationsmittel nach Draußen das in allen Gefängnissen verbotene Mobiltelefon. Wenn ein Handy bei einem Gefangenen gefunden wird, folgt als Sanktion eine 14-tägige Isolationshaft, der sogenannte Bunker. Wie die Antwort der bayerischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des bayerischen Landtagsabgeordneten Florian Streibel (Freie Wähler) zeigt, hält die JVA Würzburg bei diesen Bunkerstrafen in Bayern den Rekord.

Eine weitere Verschärfung in der JVA Würzburg besteht darin, dass die Gefangenen ihre seltenen Telefonate nur mit dem Geld, das sie durch die Pflichtarbeit im Knast verdienen, begleichen dürfen. Telefonate durch Überweisungen von Außen hingegen sind nicht möglich.

Die Arbeitskraft zur Waffe machen

Wie verzweifelt die Situation der Gefangenen ist, zeigte sich daran, dass die zum Mittel des Hungerstreiks gegriffen haben. »Es gibt nicht viele Möglichkeiten, im Knast zu protestieren. Die Verweigerung von Nahrung – oft Hungerstreik oder Hungerfasten genannt, ist eine davon«, schreibt die Schweizer Journalistin Sabine Hunziker in der Einleitung ihres im März dieses Jahres erschienenen Buches »Protestrecht des Körpers«. Schon der Titel verdeutlicht, dass Menschen, die keine andere Möglichkeit zum Widerstand haben, ihren Körper als Waffe einsetzen. In dem Buch kommen auch Hungerstreikende aus verschiedenen Knastkämpfen zu Wort. Der politische Aktivist Fritz Teufel, der sich auch an mehreren Hungerstreiks beteiligte, suchte schon in den 1970er Jahren nach Alternativen zu einer Kampfform, in der es schnell um Leben und Tod geht.

Die Gefangenengewerkschaft könnte eine solche Alternative bieten. Nicht ihre Körper, sondern ihre Arbeitskraft, die sie hinter Gittern besonders billig verkaufen müssen, könnte dann zur Waffe werden. »Bis dahin braucht es aber sicher noch einiges an Organisierungsarbeit und gemeinsamen Erfahrungen«, erklärt Konstantin von der GG/BO Jena. Der Hungerstreik in der JVA Würzburg kann so auch nach ihren Abbruch zur Bewusstseinsbildung der Gefangenen beitragen. Selbst JVA-Leiter Hutter geht von weiteren Protesten in der JVA Würzburg aus. Es wäre zu wünschen, dass sich dann neben der GG/BO auch weitere Teiel der außerparlamentarischen Linken und zivilgesellschaftliche Gruppen für die Rechte der Gefangenen einsetzen würden. Von ihnen war in den elf Tagen des Hungerstreikes nicht zu hören.

Peter Nowak schrieb in ak 617 über die Zukunft der Freien Archive.

Zum Weiterlesen:

Sabine Hunziker: Protestrecht des Körpers. Einführung zum Hungerstreik in Haft. Unrast Verlag, Münster 2016. 108 Seiten, 9,80 EUR.

aus: ak 618 vom 16.8.2016

https://www.akweb.de/

Peter Nowak