DGB scheut den Knast

Die 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft hat heute über 900 Mitglieder

Welche Mittel zur Selbstverteidigung und zum Erhalt der Menschenwürde gibt es hinter Gittern? Die junge Gefangenenorganisation schlägt neue Wege ein.

Eigentlich könnte das zweijährige Jubiläum der Gefangenengewerkschaft (GG) als Erfolgsgeschichte erzählt werden. Schließlich hat die im Mai 2014 von drei Insassen der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel gegründete Gewerkschaft heute über 900 Mitglieder in 80 Haftanstalten. Die zwei zentralen Forderungen nach einem Mindestlohn auch hinter Gittern und nach Einbeziehung der inhaftierten Beschäftigten in die Rentenversicherung hat in den letzten zwei Jahren viele Gefangene mobilisiert. Doch der GG-Sprecher Oliver Rast stellt eher die Schwachpunkte beim Gewerkschaftsaufbau in den Mittelpunkt.

Ein Problem für die GG sei die mangelnde Unterstützung aus dem Bereich des DGB. Dabei hielt Rast kürzlich einen Vortrag in der Hauptverwaltung des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg. Eingeladen wurde er vom Stipendiatenkreis der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung. Das Publikum bestand daher größtenteils aus Studierenden. Vom DGB-Vorstand war niemand anwesend. Das spiegelt nach Oliver Rast das Verhältnis der GG zum DGB gut wieder. »An der Basis mehrerer Einzelgewerkschaften hat es Unterstützung gegeben. Doch schon beim DGB-Mittelbau herrsche Funkstille. Als großes Problem benennt Rast die noch nicht gefestigten Strukturen der GG. Daher will Rast auch keine Prognose aufstellen, ob es die GG auch in drei Jahren noch geben wird.

Doch gelohnt hat sich die Arbeit für ihn schon heute. »Die GG hat in ihren zwei Jahren dazu beigetragen, dass Haftanstalten keine gewerkschaftsfreien Zonen mehr sind.« Sie habe zudem das Selbstbewusstsein der Mitglieder gestärkt, die sich als gefangene Gewerkschafter bezeichnen. Rast hielt einen bunten Gewerkschaftsausweis in die Höhe, der jedes Jahr neu gestaltet an alle Mitglieder geschickt wird. »Das Dokument ist für sie ein Zeichen, dass auch hinter Gittern eine selbstständige Interessenvertretung möglich ist«, hob Rast einen außerhalb des Knastes wenig beachteten Aspekt hervor.

Im Dezember 2015 kombinierten Gefangene der JVA Butzbach in Hessen erstmals einen Bummel- und Hungerstreik. Sie bezeichneten sich als gefangene Gewerkschafter und forderten von der hessischen Politik Verhandlungen über ihre Forderungen. Anfang März 2016 trat der Sprecher der Butzbacher Sektion der GG, Jürgen Rösner  erneut in einen Hungerstreik, um sich gegen schikanöse Haftbedingungen zu wehren.

»Es gibt nicht viele Möglichkeiten, im Knast zu protestieren. Die Verweigerung von Nahrung – oft Hungerstreik oder Hungerfasten genannt, ist eine davon«, schreibt die Schweizer Journalistin Sabine Hunziker in ihrem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch. Der Buchtitel »Protestrecht des Körpers« verdeutlicht, dass Menschen, die keine andere Möglichkeit zum Widerstand haben, ihren Körper zur Waffe machen.

In dem Buch sammelt sie Zeugnisse von Hungerstreikenden aus unterschiedlichen sozialen und politischen Kontexten. Aktivisten aus Kurdistan, Nordirland und der Schweiz kommen ebenso zu Wort, wie ehemalige Gefangene aus militanten Gruppen in der BRD. Sie führen einen Kampf um die Menschenwürde. »Wir machen hier einen Hungerstreik, um zu zeigen, dass wir nicht jede Schweinerei hinnehmen werden ohne zu mucken«, schrieb eine Gruppe weiblicher Gefangener aus der RAF und der »Bewegung 2. Juni« im Jahr 1973.

Der Wiener Mathematiker Martin Balluch begründete seinen 39-tägigen Hungerstreik nach seiner Verhaftung wegen seiner Aktivitäten in der Tierrechtsbewegung im Jahr 2008: »Der unmittelbare Anlass war meine Hilflosigkeit, in der ich dieser Ungerechtigkeit gegenüberstand.« Er habe damit ein Zeichen setzten wollen, dass auch hinter Gittern politische Arbeit möglich ist, betonte aber, wie wichtig eine Unterstützerszene draußen ist. Sie begleitete seinen Hungerstreik mit einer intensiven Pressearbeit und täglichen Kundgebungen vor dem Gefängnis.

Der APO-Aktivist Fritz Teufel beteiligte sich in den 70er Jahren an mehreren Hungerstreiks. Er hatte schon damals nach Alternativen zu dieser Kampfform gesucht, in der es schnell um Leben und Tod geht. Für ihn war der Aufwand eines Hungerstreiks größer als der politische Nutzen. Konkrete Alternativen benannte er allerdings in seinen Kritikpapier nicht. Könnte die Gefangenengewerkschaft eine solche Alternative bieten?

Realistische Alternativen zum »Protest des Körpers« kann die GG wohl erst entwickeln, wenn es ihr möglich ist in einen regulären Arbeitskampf zu treten. Erst dann würden die Gefangenen nicht mehr ihren Körper sondern ihre Arbeitskraft, die sie hinter Gittern besonders billig verkaufen müssen, zur Waffe machen.

Sabine Hunziker  Protestrecht des Körpers, Einführung zum Hungerstreik in Haft, ISBN 978-3-89771-585-1  März 2016, 106 Seiten, Unrast-Verlag,  9,80 Euro,

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1013673.dgb-scheut-den-knast.html

Von Peter Nowak

Arbeitskampf hinter Gittern vorläufig beendet

Gefangene in Hessen erreichen mit ihrem Protest für Mindestlohn und Rentenversicherung einen Teilerfolg

Ihr Ziel haben die Häftlinge nicht durchsetzen können. Doch mit der Streikaktion hievten sie ihr Anliegen in die Öffentlichkeit.

Nach zehn Tagen haben mehrere Dutzend Insassen der hessischen Justizvollzugsanstalt Butzbach ihren Hunger- und Bummelstreik beendet. Auf einer Sitzung der Interessenvertretung der Gefangenen und der Butzbacher Sektion der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) mit Vertretern der hessischen Linksfraktion kündigten die Gefangenen am Donnerstag das vorläufige Ende ihrer Aktion an.

Der Widerstand hatte große Aufmerksamkeit erregt, weil erstmals Gefangene die Nahrung verweigert haben, um einen Mindestlohn für ihre Arbeit im Gefängnis sowie Zugang zur Rentenversicherung durchzusetzen. Zudem forderten sie, ihre Rechte als Gewerkschaftsmitglieder auch im Gefängnis wahrnehmen zu können. Bisher bekommen sie im Gefängnis einen Stundenlohn von 1,87 Euro.

Die Gefangenen hatten wochenlang vergeblich versucht, mit der zuständigen hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) in Verhandlungen zu treten. Auch auf ein Schreiben des Komitees für Grundrechte und Demokratie, in dem die Einbeziehung von Gefängnisinsassen in die Rentenversicherung gefordert wird, verweigerte Kühne-Hörmann konkrete Auskünfte. Im November erklärten die Butzbacher Gefangenen in einem Offenen Brief, sollte Eva Kühne-Hörmann bis zum 1. Dezember »keine Bemühungen zeigen, die festgefahrenen Verhandlungen mit der JVA über die Anliegen der Inhaftierten wieder in Bewegung zu bringen, wollen mehrere Dutzend Inhaftierte in einen unbefristeten Hungerstreik treten«. Zu Monatsbeginn starteten sie dann die jetzt beendete Aktion.

Der Sprecher der bundesweiten Gefangengewerkschaft, Oliver Rast, spricht nach dem Ende der Aktion von einem Teilerfolg. »Mindestlohn, Sozialversicherung und Gewerkschaftsfreiheit für inhaftierte Menschen sind dadurch für eine viel breitere Öffentlichkeit zu einem Thema geworden«, betont Rast gegenüber »nd«. Die Auseinandersetzung sei ausgesetzt, aber nicht beendet. Ein vor einigen Wochen gegründetes »Netzwerk für die Rechte inhaftierter ArbeiterInnen« will sich auch nach dem Ende des Hungerstreiks weiter engagieren. »Wir unterstützen die Forderungen, die in diesen Kämpfen vertreten werden und meinen, dass sie im besten Interesse aller Lohnarbeitenden sind, die gegenseitige Konkurrenz zu minimieren«, erklärt Netzwerk-Mitbegründer Gregor Zattler gegenüber »nd«. Eine vom Netzwerk verfasste Solidaritätserklärung für die Gefangenen wurde von über 150 Wissenschaftlern, Gewerkschaftern und Aktivisten aus sozialen Bewegungen unterzeichnet.

Auch in der hessischen Politik wird die Auseinandersetzung mittlerweile nicht nur von der Linkspartei wahrgenommen. So haben sich die justizpolitische Sprecherin der hessischen SPD-Landtagsfraktion, Heike Hofmann, und eine Delegation grüner Landtagsparlamentarier zu Besuch bei den Gefangenen in Butzbach angekündigt. Besonders die Grünen waren als Teil der hessischen Regierungskoalition in die Kritik geraten, weil sie zur ignoranten Haltung der Justizministerin geschwiegen hatten. Ein Mitbegründer der Grünen kann sich noch an die Zeiten erinnern, als die Partei Gruppen in hessischen Gefängnissen hatte. »Wir hatten durchgesetzt, dass wir uns auch hinter Gittern monatlich treffen und uns so an der politischen Debatte beteiligen konnten. Das wäre doch auch ein Modell für die Arbeit der Gefangenengewerkschaft«, erklärte ein ehemaliges Mitglied einer grünen Knastgruppe, das anonym bleiben möchte.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/994525.arbeitskampf-hinter-gittern-vorlaeufig-beendet.html

Peter Nowak

»Wir machen uns Sorgen«

Am ersten Dezembertag traten Mitglieder der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) in der Justizvollzugsanstalt Butzbach für ihre Forderungen nach Mindestlohn, Sozialversicherung, Gewerkschaftsfreiheit und einem Ende der Arbeitspflicht in Hungerstreik. Die GG/BO hat nach eigenen Angaben über 800 Mitglieder (Jungle World 48/2015). Gregor Zattler hat mit der Jungle World gesprochen. Er ist Mitbegründer des Netzwerks für die Rechte der Inhaftierten.

Welche Schwierigkeiten beobachten Sie bei dem Streik im Gefängnis?

Der Sprecher der GG/BO-Sektion in Butzbach hat 23 Stunden Einzeleinschluss, so kann man einen Arbeitskampf kaum organisieren. Die Gefangenen können ihre Forderungen und ihren Arbeitskampf nur sehr beschränkt nach außen tragen. Wir wissen derzeit nicht, was in der JVA Butzbach passiert, auf welche Weise die Anstaltsleitung und die Wächter auf die Streikenden reagieren. Wir machen uns Sorgen.

Gab es schon Reaktionen aus der Politik?

Nein. Bislang waren nur zynische Sprüche zu hören, etwa, dass die Gefangenen nun eben ein paar Tage fasten müssten. Für die Gefangenen wäre es schon ein Erfolg, wenn die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) mit ihnen reden würde, statt ihre Forderungen zu beschweigen.

Wie ist das Netzwerk für die Rechte der Inhaftieren entstanden und wie steht es in Beziehung zur Gefangenengewerkschaft?

Das Netzwerk besteht aus Menschen, die sich aus anderen arbeitspolitischen Auseinandersetzungen kennen und eher zufällig von der anstehenden Auseinandersetzung in Butzbach gehört hatten. Es unterstützt die gewerkschaftlichen Forderungen der Gefangenen aus dem Grundsatz heraus, dass Mindeststandards nur dann welche sind, wenn sie für alle gelten, auch für Gefangene und für Firmen, die Gefangene für sich arbeiten lassen. Es handelt sich um einen Kampf unter anderem für die Möglichkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Wir sind keine Gefangenen, insofern sind das nicht unsere Kämpfe. Aber wir unterstützen die Forderungen, die in diesen Kämpfen vertreten werden, da es im besten Interesse aller Lohnarbeitenden ist, die gegenseitige Konkurrenz zu minimieren.

Sind in der nächsten Zeit weitere Solidaritätsaktionen geplant?

Mittlerweile hat es zwei Kundgebungen vor dem Knast in Butzbach gegeben sowie Informations- und Solidaritätsveranstaltungen in anderen Städten, darunter Jena. Weitere sind in Planung.

http://jungle-world.com/artikel/2015/50/53153.html

Small Talk von Peter Nowak