HEUTE IN HAMBURG

Wenn auf die Beschwerde die Räumung folgt

Solidaritäts-Veranstaltung gegen die Zwangsräumung von Michael und seiner Tochter, 18 Uhr, im Glasbau der Christuskirche Hamm, Carl-Petersen-Straße 59

Michael und seine Tochter bleiben – Zwangsräumung am Chapeaurougeweg verhindern“, lautet das Motto einer heutigen Solidaritätsveranstaltung in Hamm. Dort geht es um Michael Klausner*, dem die Vereinigte Hamburger Wohnungsbaugesellschaft Hamburg (VHW)…

…zum 31. März die Wohnung gekündigt hat, in der er mit seiner achtjährigen Tochter lebt. Das Amtsgericht St. Georg hatte der VHW Ende November 2018 Recht gegeben und ihn zur Herausgabe der Wohnung verurteilt.

Der Konflikt begann im Sommer 2017 mit einem Streit um ein entferntes Namensschild an Klausners Briefkasten. Der beschwerte sich bei der VHW und kritisierte auch einen angeblich nicht besonders freundlichen Umgang der Genossenschaft mit MieterInnen. Bei einer Mail blieb es nicht und der Ton wurde rauer. „Mittlerweile stelle ich mir die Frage nach dem Sinn Ihrer Daseinsberechtigung“, hieß es etwa in einer Mail an einen VHW-Mitarbeiter. Klausner erhielt die erste Abmahnung.

Er entschuldigte sich. „Möglicherweise habe ich mich im ‚Schockzustand‘ durch den Eingriff in meine Privatsphäre durch VHW-Mitarbeiter ein wenig im Ton vergriffen“, schrieb Klausner an die Genossenschaft. Doch die Fronten waren verhärtet, es kam zu einem weiteren Schlagabtausch per Mail. Die Folge waren erneute Abmahnungen und schließlich die Kündigung.

Mittlerweile hat sich ein UnterstützerInnenkreis für Klausner gegründet. Dazu gehören die Stadtteilinitiativen „St. Pauli solidarisch“ und „Wilhelmsburg solidarisch“, die Erwerbslose bei Konflikten mit den Jobcentern ebenso unterstützen wie MieterInnen bei Konflikten mit den EigentümerInnen.

„Wir haben die VHW in einen Brief aufgefordert, sich mit Michael an einen Tisch zu setzen“, erklärt eine der UnterstützerInnen der taz. Es könne nicht sein, dass die beiden wegen eines Konflikts geräumt würde, der mit einem Gespräch hätte beigelegt werden können.

Die Genossenschaft bestätigte das Räumungsurteil. „Die VHW hat dem Mieter wiederholt ihre Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Wohnung angeboten. Dieses Angebot erhalten wir aufrecht“, erklärte eine Sprecherin. Auf die Frage, ob die VHW sich auf eine Verlängerung der Räumungsfrist einlassen würde, damit Klausner mit seiner Tochter nicht obdachlos wird, ging sie nicht ein.

*Name geändert:

Veranstaltungsbericht:

Viele Mieter, u.a. der Vereinigten Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft e.G., waren zur Info-Veranstaltung der Unterstützer in die gläserne Rotunde der Christuskirche Hamburg Hamm gekommen. Wieder sollte ein Mieter, ein alleinerziehender Vater mit seiner 9-jährigen Tochter, aus seiner VHW Genossenschaftswohnung, ohne Mietschulden, zwangsgeräumt werden. Hierüber Informierte zuvor der Vater und seine Unterstützer per Flyer im Viertel und luden gemeinsam zum 29.03. zu dieser Veranstaltung ein.
Neben dem betroffenen, inzwischen 61-jährigen Vater, der schon einmal wegen des Abrisses seiner Wohnung im ELISA Backsteinensemble „umgesiedelt“ wurde, kamen auch ein Jurist, Pädagoge und Diplom Psychologe sowie ein Journalist und Publizist zu Worte. Der Publizist, Peter Nowak, ist Autor des Buches „Zwangsräumungen verhindern“ und profunder Kenner des Stils, den Wohnungsunternehmen gegenüber ihren Mietern immer häufiger an den Tag legen. Umfangreich trug er mit seinem Wissen zum anschließenden Erfahrungsaustausch bei. Peer Gradenwitz ist als Diplom-Psychologe auch der Therapeut des betroffenen Mädchens. Eindringlich wies er auf die Gefahren der Maßnahme, die der Vorstand der VHW e.G. gegen diese kleine Familie plant, hin. Im Alter von 4 Jahren war die Tochter schon einmal ihres Zuhauses und Ihrer Heimat gewaltsam entrissen worden und leidet seit dem unter einem Trauma. Die Zwangsräumung würde unweigerlich eine Retraumatisierung bei dem Kinde hervorrufen. Dies war sowohl der VHW als auch dem Gericht durch 2 unabhängige Sachverständigen-Gutachten bekannt.
Die Familie wohnt allerdings auch sehr günstig in ihrer Wohnung, war zu erfahren. Als Alt-Elisa Mieter zahlt der Vater lt. Vertrag und Vereinbarung des Mietervereins zu Hamburg mit der VHW, nicht mehr als 5,90 EURO/qm für die Neubauwohnung im ELISA II Komplex, in der die beiden seit Juni 2017 ihr Zuhause gefunden haben. Der Neubau wurde durch die IFB gefördert. Die Förderrichtlinien lassen eine Neuvermietung zu 8,70 EURO/qm. zu. Finanziell käme eine Neuvermietung der Genossenschaft sehr gelegen.
Die Anwesenden der Veranstaltung erfuhren, der Gerichtstermin, in dem die Räumung der Beiden verhandelt und dann mit Urteil, im Namen des Volkes, beschlossen wurde, dauerte ganze 13 Minuten. Weder Gutachten, Zeugen noch sonstige Beweisangebote des Vaters und seiner Anwältin wurden gewürdigt oder berücksichtigt. Der Journalist, Peter Nowak, sprach dazu:  „Das Lebensumfeld der Richterinnen und Richter heutzutage ist näher den Entscheidern und Rechtsanwälten der Wohnungsunternehmen, als den Mietern, die über ALG II durch das Jobcenter ihre Wohnung finanzieren lassen müssen.“
Eine Ex-Mieterin der VHW e.G., die vor dem Verlust ihrer Wohnung durch Räumungsurteil im schriftlichen Verfahren, plötzlich von ihren Hausgenossenin und Genossen massiv gemobbt wurde berichtete: „Jemand hat vorsätzlich die Termins Ladung zu meinem Gerichtsverfahren aus meinem Briefkasten entfernt, damit ich die Frist verpasse.“ Der damalige Hausmeister soll sich auch zum Briefkasten des Vaters und seiner Tochter unerlaubt Zugang verschafft haben. Dies war auch der eigentliche Auslöser der Streitigkeiten mit der Genossenschaft, der dann zur fristlosen Kündigung und zum Räumungsurteil führte. Ihrer genossenschaftlichen Fürsorgepflicht für ihre Genossen und Mieter kam die VHW nicht nach und verweigerte stets jedes deeskalierende Gesprächsangebot, selbst solche, vermittelt durch den Mieterverein zu Hamburg.
Dieses Verhalten des VHW-Vorstandes ist widersprüchlich zu dessen Aussage über die Räumungsklage gegenüber den Vertretern auf der Vertreterversammlung v. 21.06.2018. „Herr Quasnitza wies die Vorwürfe zurück. Die Genossenschaft führe lediglich bei nachhaltigen Mietrückständen und bei Fehlverhalten von Mietern, insbesondere gegenüber Nachbarn, im Sinne aller Mieter und Mitglieder Kündigungen von Mietverhältnissen durch.“ Las der Vater aus der Niederschrift zur ordentlichen Vertreterversammlung vor.
Ebenfalls eingeladen hatte der betroffene Vater die Sozialsenatorin Dr. Leonhard und Mitglieder der Enquete-Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“. In der gesamten, über 600-Seiten starken Dokumentation der Kommission findet sich keine Regelung, kein Vorschlag, wie Kinder und deren Grundrecht auf körperliche (und seelische) Unversehrtheit, sowie auf Chancengleichheit bei Zwangsräumungen und gegen Vermieterinteressen zu schützen sind.
Die Richterin, Dr. Ira Koops, deren Räumungsbeschluss „im Namen des Volkes“ verfasst wurde, war ebenfalls geladen, um dem anwesenden Teil des Volkes und der Presse zu erklären, zu Gunsten welchen Teils des Volkes dieses Urteil erging.
Niemand dieser geladenen Gäste erschien bedauerlicherweise, sodaß von dort keine Stellungnahme zu erhalten war.
Am Ende der Veranstaltung mussten viele ihre rosarote Brille, durch die sie bisher offenbar Wohnungsbaugenossenschaften und unsere Justiz betrachtet haben, mit einem Grollen im Bauch, absetzen. Auf dem gemeinnützigen Portal Change.org findet sich eine Petition, Zwangsräumung am Chapeaurougeweg verhindern, auf der Unterstützer ihre Solidarität bekunden können.
Der Vater und seine Unterstützer informieren weiter über den Fortgang der, von der Genossenschaft gewünschten Zwangsräumung, denn z. Zt. befindet sich die Sache im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Hamburg.” Veranstaltungsbericht  – wir danken und drücken die Daumen!

http://www.labournet.de/interventionen/wipo-gegenwehr/antikap/commons/zwangsraeumung-chapeaurougeweg-hh-vhw-verhindern-michael-und-tochter-bleiben/

Erstveröffentlichungsort:
http://www.taz.de/!5581630/