Markus End begrüßt die Einsetzung einer Expertenkommission zu Antiziganismus durch die Bundesregierung

»Es geht um etablierten Rassismus«

Markus End ist Politologe und forscht an der Technischen Universität Berlin. Zudem ist er Vorsitzender der Gesellschaft für Antiziganismusforschung. Ab Mittwoch wird sich nun auch eine von der Bundesregierung einberufene Expertenkommission mit dem Thema beschäftigen. Darüber sprach mit dem Wissenschaftler für nd Peter Nowak

Am Mittwoch konstituiert sich die unabhängige Expertenkommission Antiziganismus. Die Mitglieder werden von der Bundesregierung berufen. Wie kam es zur Einsetzung dieser Kommission?

Die Verbände fordern schon seit langem, das Thema auf höchster politischer Ebene zu behandeln. Nachdem es zwei Expertenkommissionen zum Themenfeld Antisemitismus gab und sich das Konzept …

… .weitgehend bewährt hat – wenn auch die Handlungsempfehlungen dieser Arbeitskreise bisher nur teilweise umgesetzt wurden – kam verstärkt die Forderung auf, ein solches Gremium auch für das Themenfeld Antiziganismus einzurichten. Die Große Koalition hatte das im Koalitionsvertrag bereits angekündigt und in Abstimmung mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Personen dafür angefragt.Sie forschen zu dem Thema Antiziganismus. Was versteht man wissenschaftlich unter diesem Begriff?

Da besteht natürlich keine Einigkeit, weder welcher Begriff verwendet werden soll, noch wie er definiert wird. Neben Antiziganismus wird derzeit der Begriff Gadjé-Rassismus diskutiert, der mir inhaltlich auch vielversprechend erscheint. Ich habe an der Arbeitsdefinition der internationalen Alliance against Antigypsyism mitgearbeitet, die ich immer noch für gelungen halte: »Antiziganismus ist ein historisch hergestellter stabiler Komplex eines gesellschaftlich etablierten Rassismus gegenüber sozialen Gruppen, die mit dem Stigma ›Zigeuner‹ oder anderen verwandten Bezeichnungen identifiziert werden. Er umfasst erstens eine homogenisierende und essentialisierende Wahrnehmung und Darstellung dieser Gruppen; zweitens die Zuschreibung spezifischer Eigenschaften an diese und drittens vor diesem Hintergrund entstehende diskriminierende soziale Strukturen und gewalttätige Praxen, die herabsetzend und ausschließend wirken und strukturelle Ungleichheit reproduzieren.« Das gesamte Grundlagenpapier kann unter antigypsyism.eu eingesehen werden.

Wo liegen die Parallelen und Unterschiede zu Antisemitismus und zu Kolonialrassismus?

Allgemein vertrete ich die These, dass es möglich ist, sowohl Kolonialrassismus als auch Antiziganismus und Antisemitismus mit den gleichen Begrifflichkeiten und Kategorien zu analysieren. Auch wenn sich die drei Phänomene in Bezug auf den Inhalt der Stereotype, die gesellschaftlichen Ursachen sowie in Hinsicht auf die konkreten historischen Ausformungen beträchtlich unterscheiden. Eine Kritik des Antiziganismus wie auch des Antisemitismus muss nach Auschwitz zudem immer auf diese historische Erfahrung reflektieren. Grob ließe sich die These aufstellen, dass auf der ideologischen Ebene im Kolonialrassismus Projektionen von »Natur« zentral sind, während der Antiziganismus von Projektionen von »Vormoderne« und Antisemitismus von Projektionen von »Übermoderne« geprägt ist.

Nach Schätzungen wurden im nationalsozialistisch besetzten Europa einst 500 000 Sinti und Roma von den deutschen Faschisten ermordet. Welche Rolle soll der Antiziganismus nach 1945 im Arbeitskreis spielen? Überlebende der Nazizeit wurden damals nach alten »Zigeunergesetzen« behandelt und bei der Polizei etwa als »Landfahrer« geführt.

Welche inhaltlichen Schwerpunkte gesetzt werden, muss natürlich der Kreis selbst entscheiden. Ich kann allerdings sagen, dass ich die historische Erforschung und Aufarbeitung der sogenannten zweiten Verfolgung – wie die fortwährende polizeiliche Erfassung, die fortwährende Arbeit mit NS-Akten von Betroffenen auch genannt wurde – für unverzichtbar halte. Es hat nach 1945 unfassbare ideologische, personelle und strukturelle Kontinuitäten gegeben.

Bundesinnenminister Horst Seehofer wird immer wieder für seine Aussagen kritisiert, wie beispielsweise die Migration sei »die Mutter aller politischen Probleme in Deutschland«. Gleichzeitig kommt es zur Einsetzung einer solchen Kommission, die sich mit Antiziganismus beschäftigen soll. Wie passt das zusammen?

Meiner Einschätzung nach lassen sich da extreme Ungleichzeitigkeiten beobachten. Während im breiten politischen Diskurs bis in höchste Ebenen und im permanenten Wechselspiel mit offen rechten Akteur*innen nationalistische und rassistische Statements wieder sagbar werden, hat sich bei jenen, die sich gegen Ressentiments und Diskriminierung einsetzen, das Bewusstsein für die Notwendigkeit, diese Phänomene in ihrer Komplexität zu verstehen und in der Breite auch in der Mitte der Gesellschaft zu bekämpfen, immer weiter durchgesetzt. Die Politik wird sich daran messen lassen müssen, wie sie mit den Ergebnissen und Handlungsempfehlungen des Expert*innenkreises umgeht.