Unbekannte NS-Verbrechen

Barbaren waren die Deutschen

Alexandra Klei und Katrin Stoll erinnern an den Vernichtungskrieg im Osten

900 Tage währte die Belagerung Leningrads. Truppen der deutschen Wehrmacht und ihrer Verbündeten umschlossen in den Jahren 1941 bis 1944 die alte russische Hauptstadt und überließen Hunderttausende einem qualvollen Hungertod. Das Kriegsverbrechen ist jedoch im kollektiven Bewusstsein der Deutschen noch immer nicht verankert. Den Gründen für diese Ignoranz widmet sich …

….ein von Alexandra Klei und Katrin Stoll herausgegebenes Buch. Im Vorwort begründen die Herausgeberinnen, dass nicht nur die Blockade von Leningrad, sondern der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion insgesamt in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande nur eine marginale Rolle spielt. Das belegen auch die zehn Aufsätze in dem Buch. Das Fragezeichen im etwas sperrigen Titel wäre nicht nötig. Zumal über den Krieg im Osten eigentlich nicht geschwiegen wurde, wie Janine Fubel in ihrem Beitrag über die Unmenge von Fotos beweist, die deutsche Soldaten seinerzeit »schossen«. Sie zeigen jedoch überwiegend die Deutschen als »Herrenmenschen«, die Russen als »Untermenschen«, als »Barbaren«, als gesichtslose Herde.

Barbaren waren jedoch die deutschen Soldaten, die neben Leichen posierten. Solche Fotos fanden sich in Familienalben noch lange Zeit nach Kriegsende. Sie werden in den letzten Jahren verstärkt im Internet zum Kauf angeboten, wie die Autorin kritisch anmerkt. Sogar die Beschriftungen in NS-Diktion werden übernommen.

Johannes Spohr widmet sich der Vernichtung sowjetischer Dörfer durch die Wehrmacht und deren Verbündete. Zynisch war das NS-Wort »Sonderbehandlung« für die Massenerschießungen durch Sonderkommandos. Spohr fragt sich, warum nicht neben Distomo in Italien oder Lidice in Tschechien auch die Namen der von Deutschen ausgelöschten sowjetischen Dörfer bekannt sind. Andreas Hilger berichtet über das brutale Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen, das ebenfalls weitgehend aus der kollektiven Erinnerung getilgt ist. Noch vor wenigen Jahren hatte die damalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach gemeint, Russland solle sich um die ehemaligen Kriegsgefangenen kümmern. Was für ein Hohn! Erinnert wird hier natürlich auch an die jüdischen Opfer der deutschen Aggressoren in der Sowjetunion. In einer Zeit des Russland-Bashing ein ganz wichtiges Buch.

Alexandra Klei/Katrin Stoll (Hg.): Leerstelle(n)? Der deutsche Vernichtungskrieg 1941–1944 und die Vergegenwärtigungen des Geschehens nach 1989.
Neofelis, 266 S., br. 25 €.