Wer sind die Feinde Israels?

Die Preisverleihung an die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden machte deutlich, wie divers jüdisches Leben in Deutschland ist

Ist die Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V. antisemitisch? Diese Frage beschäftigte einige Wochen die Medien. Der Anlass war die Verleihung des Göttinger Friedenspreises. Wohl kaum eine Auszeichnung hat eine solche Aufmerksamkeit erregt.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisierte die Preisverleihung. In einem Brief des Zentralratsvorsitzenden an den Göttinger Oberbürgermeister heißt es:

Mit Befremden haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Stiftung Dr. Roland Röhl am Sonnabend, den 09. März 2019, den Göttinger Friedenspreis 2019 an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.“ verleihen wird. Die Stadt Göttingen ist durch Ihre Person ebenso wie die Universität Göttingen Mitglied im Kuratorium der Dr. Roland Röhl-Stiftung und verantwortet diese Entscheidung daher mit.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, der Verein „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ ist ein aktiver Unterstützer von Veranstaltungen der gegen Israel gerichteten Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions; zu Deutsch: „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“). Ich muss sicherlich nicht erläutern, welche historischen Vorläufer Boykotte gegen jüdische Einrichtungen oder Juden in Deutschland haben und welche Assoziationen mit derartigen Aktionen erzeugt werden.Auszug aus dem Brief des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Josef Schuster an den Göttinger Oberbürgermeister

Obwohl sich die Stadt Göttingen, die Universität und andere Institutionen von der Preisverleihung zurückgezogen haben, blieb die Jury bei ihrer Entscheidung und die Preisverleihung fand im am 9. Janaur in Göttingen nun ganz im zivilrechtlichen Rahmen statt.

Diversität auch unter Jüdinnen und Juden anerkennen

Ein israelsolidarisches Bündnis protestierte dagegen unter der Parole „Kein Frieden mit den Feinden Israels“. In einem Offenen Brief forderte das Bündnis eine Aufarbeitung, warum die Jury die Organisation für preiswürdig erklärte und dann in einem Interview gleich die Neubesetzung der Jury.

Nun gibt es ja viele Staaten, die versuchen, in zivilgesellschaftliche Organisationen hineinzuregieren, und die dann eben die Jury austauschen, wenn die nicht staatliche Maßnahmen exekutiert. Aus diesem Blickwinkel ist es gut, dass die Preisverleihung stattgefunden hat. Aber auch die Diskussion darum einschließlich der Proteste zu begrüßen. Denn da könnte mal erkannt werden, dass eben sehr unterschiedliche Positionen unter Jüdinnen und Juden vertreten werden.

Diese Diversität kam in der Debatte um den Göttinger Friedenspreis deutlich zum Ausdruck. In einem Offenen Brief stellten sich 90 jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinter die Preisverleihung. In ihrer Begründung heißt es:

In den letzten Jahren haben die israelische Regierung und ihre Unterstützer versucht, die Debatte über die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung und die verheerenden Auswirkungen der seit 51 Jahren andauernden Besatzung zu unterbinden. Zivilgesellschaftliche Organisationen in Israel und weltweit, die sich für die Menschenrechte der Palästinenser einsetzen, werden von israelischen Offiziellen in zynischer Weise als Feinde des Staates, Verräter und zunehmend als Antisemiten abgestempelt. Für kritisches Engagement bleibt immer weniger Raum.

Diese besorgniserregenden Entwicklungen sind auch an Deutschland nicht vorübergegangen. Wir unterstützen voll und ganz die Bemühungen der deutschen Zivilgesellschaft und Politik, alle heutigen Formen des Antisemitismus zu bekämpfen – ein bitter nötiges Anliegen angesichts des Aufstiegs nationalistischer Parteien und Bewegungen gerade einmal 73 Jahren nach der Überwindung des NS-Staats. Unter dem Vorwand des Schutzes jüdischen Lebens sind jedoch in dem Kontext Angriffe auf Organisationen und Personen, die sich mit den palästinensischen Bestrebungen nach Gleichheit und Befreiung solidarisch zeigen, inzwischen Alltag geworden. Die freie Rede in Bezug auf palästinensische Menschenrechte wird durch Forderungen, Diskussionen im öffentlichen Raum zu verbieten, durch öffentliche Verleumdungskampagnen und entsprechende Beschlüsse eingeschränkt.Aus dem Brief von jüdischen Wissenschaftlern zur Unterstützung der Jüdischen Stimme für einen Gerechten Frieden.

Auffällig ist, dass diesen Brief nicht nur bekannte Antizionisten, sondern mit dem Sozialwissenschaftler Micha Brumlik auch Menschen unterschrieben haben, die man als Linkszionisten bezeichnen könnte. Er hat in einem Artikel noch mal seine kritische Haltung zur Boykott-Kampagne gegen Israel deutlich gemacht, aber darauf hingewiesen:

Aber auf all das kommt es von der Sache her auch gar nicht an: Schließlich soll der infrage stehende Preis, der Göttinger Friedenspreis, nicht der Organisation BDS verliehen werden – sondern der „Jüdischen Stimme“. Und die hat wieder und wieder erklärt, zwar einerseits BDS in menschenrechtlichen Angelegenheiten zu unterstützen, aber andererseits mindestens ebenso oft und nicht minder deutlich, dass sie an der Existenzberechtigung des Staates Israel nicht rüttelt.Micha Brumlik, Taz

Diese Klarstellung war notwendig. Denn bei manchen Kritikern der Preisverleihung hatte man den Eindruck, dass dem BDS und nicht einer Organisation der Preis verliehen würde, die nicht die Zerstörung Israels zum Ziel hat. Man fühlte sich an Diskussionen um die westdeutsche Friedensbewegung der 1980er Jahre erinnert. Da wurde immer von kommunistischen Einflüssen gesprochen, obwohl die überwiegende Mehrheit der dort aktiven Organisationen damit überhaupt nichts zu tun hatte, manche sogar explizit deutschnational waren.

Wer sind die Feinde Israels?

Das Motto der expliziten Kritiker des Preises „Kein Frieden mit den Feinden Israels“ bringt im Grunde auf dem Punkt, um was es bei der Auseinandersetzung geht. Es geht um die Haltung zu Israel in einer Zeit, in der dort eine Regierung der Rechten an der Macht ist, die von diversen Rechtsregierungen in aller Welt hofiert wird.

Dass es dabei eben nicht in erster Linie um Antisemitismus geht, zeigen die guten Beziehungen der israelischen Regierung mit dem Orban-Regime in Ungarn. Der auf den Kosmopoliten George Soros bezogene Antisemitismus der ungarischen Regierung stört dabei nicht.

Ein Bündnis, das sich dezidiert gegen jeden Antisemitismus wendet, sollte aber dazu nicht schweigen. Es sollte sich vielmehr die Frage stellen, wer die Feinde Israels und wer die falschen Freunde Israels sind? Es sollte sich fragen, warum Rechte in aller Welt die Nähe zur israelischen Regierung suchen und trotzdem Antisemiten sein können?

Viele Jüdinnen und Juden auch in Deutschland sehen die innenpolitische Entwicklung in Israel mit Sorge und warnen von einer Orbanisierung. Sie sind keinesfalls Feinde Israels und auch keine Antisemiten. Es wäre zu hoffen, dass diejenigen, die es mit dem Kampf gegen jeden Antisemitismus Ernst meinen, bei der Preisverleihung sich aber unterschiedlich positioniert haben, zusammenfinden, wenn es notwendig wird. Das kann bei Protesten gegen den islamistischen Al Quds-Tag sein oder bei Aktionen gegen rechten Antisemitismus, aber auch vermeintlich linken regressiven Antizionismus, der oft vom Antisemitismus kaum zu unterscheiden ist.

Peter Nowak