Sind eigentlich alles Populisten?

Der Europaparteitag der FDP zeigte noch einmal deutlich, dass es sich beim Streit zwischen vermeintlichen Populisten und ihren Kritikern um Scheingefechte handelt

Der Europawahlkampf wird noch mehr in der Form nationaler Wahlkämpfe inszeniert, die auf einen Richtungskampf zwischen Populismus versus Demokratie ausgerichtet werden. Damit soll jede grundsätzliche Alternative zum Kapitalismus ausgeblendet und eine Schimäre aufgebaut werden, die durchaus wirkungsmächtig ist. Schon sind viele Linke bereit, das liberale Feigenblatt für angeblich antipopulistische bürgerliche Demokraten zu geben. Wie wenig der angebliche Antipopulismus trägt, zeigte sich…

…beim FDP-Europa-Parteitag [1] am vergangenen Wochenende. Natürlich hielten dort alle Spitzenpolitiker glühende Reden gegen vermeintliche Populisten von links und rechts und wählten dann mit Nicola Beer [2] eine Spitzenkandidatin, die von verschiedener Seite selbst unter Populismusverdacht gestellt wurde.

Fidesz und FDP – eine liberale Familie

Kurz vor dem Parteitag [3] wurde kolportiert, Beer habe gute Kontakte zu ungarischen Fidesz-Politikern [4], die ja als Modellfall für rechten Populismus gelten. Beer dementierte halbherzig [5].

Nur wäre die Liaison ja gar nicht ungewöhnlich. Die Fidesz gründete sich als Bund Junger Demokraten, der sich als ultraliberale verstand. Sie waren glühende Antikommunisten und genau so glühende Verfechter des Kapitalismus. Als solche hatten sie keine Berührungsängste vor rechten Kräften.

Die hat die FDP bis heute in der amerikanischen Hemisphäre nicht. Dort sind in Honduras Putschisten Bündnispartner, die einen demokratisch gewählten Präsidenten abgesetzt hatten, weil er etwas zu weit nach links gegangen war (vgl. Unterstützung des Putschregimes in Honduras durch die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung [6]). Das war in der Zeit, als die bolivarische Revolution in Venezuela noch auf die Nachbarländer eine Ausstrahlungskraft hatte.

Die Bündnispartner der FDP waren in Venezuela immer die Todfeinde des bolivarischen Prozesses und in Brasilien waren darunter auch Unterstützer des neuen ultrarechten Präsidenten. Schließlich ist er ebenso fanatischer Antikommunist wie Prokapitalist. Das aber sind die liberalen Basics.

Deshalb koalieren in Andalusien die Ciuadanos, eine mit der FDP verbündete liberale Partei, mit den Ultrarechten von Vox, die noch rechts von der AfD steht [7]. Die Basics erfüllt auch die österreichische Regierungspartei FPÖ, die auch zur liberalen Familie [8] gehört. Genau wie die FDP war auch die FPÖ nach 1945 Auffangbecken von Ex- und Altnazis. Die Beziehungen zwischen FDP und FPÖ verschlechterten sich, doch noch immer gibt es in der FDP Kräfte, die in der FPÖ ihr Vorbild auf dem Weg zum Erfolg sehen.

FDP als AfD-light?

Ein Teil der Nationalliberalen dürfte mittlerweile den Weg zur AfD gefunden haben. Die Lindner-FDP präsentiert sich durchaus als eine „AfD-light“ [9], beispielsweise in der Migrations- und Klimapolitik. Auch hier wurde der Spitzenkandidatin Beer Nähe zu populistischen Positionen vorgeworfen [10]. Allerdings scheinen die Vorwürfe dafür dünn.

Man bezieht sich auf Beers Twitteraccount [11]. Sie habe sich – was für ein Vorwurf! – über „das angebliche Auftreten von mehr Extremwettereignissen lustig gemacht“ und Phänomene der Klimaveränderung anders als viele Wissenschaftler gesehen.

Nun dürften allerdings auch die Kritiker wissen, dass es in der Wissenschaft keine ewigen Wahrheiten, sondern gelegentliche Paradigmenwechsel gibt, wo das, was wissenschaftlich als unverrückbar galt, plötzlich verworfen wird, weil man den Blick geändert hat. Daher sollte man mit Zurückhaltung an alle Debatten über Wissenschaft und Klima herangehen.

Schließlich stehen hinter den unterschiedlichen Wissenschaftserkenntnissen unterschiedliche kapitalistische Akkumulationsmodelle. Diese Verquickung von Wissenschaft und Politik ist weder böse noch verwerflich. Sie sollte nur immer mitgedacht werden, wenn sich irgendwer zum Verteidiger der reinen Wissenschaft aufspielt und alle anderen Positionen als Fakes bezeichnet. Das gilt auch bei der aktuellen Schadstoffdebatte und sogar bei der Diskussion um den § 219a.

FDP und § 219a oder: „Mein Bauch gehört mir, aber mein Leben dem Kapital“

Gerade in dieser Frage kooperiert die FDP mit Grünen und Linken und tritt ganz im Gegensatz zur AfD für eine Entkriminalisierung der Werbung für die Abtreibung ein. So begrüßenswert die Umsetzung dieser Position im Interesse der betroffenen Ärzte und Frauen wäre, so klar sollte man aber auch darauf hinweisen, dass die Debatte um die Abtreibung heute vor einer anderen Kulisse verläuft als vor 100 Jahren.

Es waren damals große Teile der Arbeiterbewegung, die gemeinsam mit der proletarischen Frauenbewegung an der Spitze des Kampfes gegen den Paragraphen stand, der die Abtreibung verbot [12]. Denn das bedeutete Leiden und oft sogar den Tod von Frauen, die die Schwangerschaft abbrechen wollten, weil sie sich schlicht kein Kind leisten können.

Heute gibt es ganz andere Möglichkeiten der Verhütung als vor 100 Jahren und die Gründe für die Abtreibung haben sich geändert. Ein Kind passt oft nicht in die Job- und Berufspläne der Frauen. So könnte man auch die Parole der Frauenbewegung „Mein Bauch gehört mir“ gedanklich ergänzen mit: „aber mein Leben dem Kapitalismus“.

Das ist ganz im Sinne der FDP, bei, der alles im Takt des Kapitals laufen soll. Deshalb ist ein Ende des Abtreibungsverbots nicht falsch, wenn da nur nicht gleich die totale Autonomie der Frauen beschworen und die Zwänge des Kapitalismus verdrängt werden. Zudem gibt es Frauen, die sich bewusst für eine Schwangerschaft entscheiden, weil sie ihr Leben nicht den Bedürfnissen des Kapitals anpassen wollen. Auch diese Entscheidungen sollten akzeptiert werden.

Die Demokraten und ihre moderierten Dialoge

Natürlich spielte der Brexit auf dem FDP-Parteitag auch eine wichtige Rolle. Die EU wurde kritisiert, weil sie sich zu viel mit der Krise in Griechenland und zu wenig mit den Problemen Großbritanniens beschäftigt habe. Nun gehört die FDP zu den Parteien, die Griechenland im Rahmen der Troikapolitik besondere Daumenschraube anlegen wollten.

Die Debatte um den Brexit macht auch aus manchem Kritiker einen Verfechter moderierter Dialoge, bei denen man sich dann von ausgewählter Bevölkerung die Herrschaftsziele sichern lässt. Dazu gehört der grünennahe Sozialwissenschaftler Claus Leggewie [13], der in der Taz empfahl [14]:

Zur Überprüfung des Brexits oder zur Erörterung anderer Zukunftsfragen ruft man natürlich nicht Hundertschaften in Stadthallen und lässt bekannte Positionen nochmal aufeinanderprallen. Man eröffnet vielmehr moderierte Dialoge, an denen Berufspolitiker möglichst gar nicht und Experten nur bei Bedarf teilnehmen, sondern 50 bis 100 Bürgerinnen und Bürger, die per Losverfahren (repräsentativ für die Gesamtbevölkerung) ermittelt werden, Argumente austauschen und eine vorgefasste Meinung korrigieren können. Mit dem Ergebnis der Debatte müssen sich Legislative und Exekutive intensiv befassen. Und das geschieht nicht, wenn es schon brennt, sondern wird Bestandteil des politischen Systems, eine Art vierte Gewalt.
Claus Leggewie, Taz

Es ist klar, dass es dabei um die Verteidigung des kapitalistischen Status Quo geht und da sind Menschen hinderlich, die tatsächlich via Abstimmung das EU-Konstrukt verlassen wollen. Da wird ein FDP-Spitzenkandidat oder ein grünennaher Publizist zum illiberalen Demokraten. Denn die vermeintlichen Populisten und ihre Kritiker haben eines gemeinsam, sie wollen das kapitalistische Verwertungsinteresse verteidigen und nicht in Frage stellen.


Peter Nowak

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[1] https://www.fdp.de/termin/europaparteitag-2019-0
[2] https://www.nicola-beer.de/
[3] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/europawahl-beers-ungarn-verbindungen-ueberschatten-fdp-parteitag-aber-nicht-ihre-wahl/23915264.html
[4] http://www.spiegel.de/plus/nicola-beer-und-ihre-seltsame-verbindung-mit-viktor-orban-a-00000000-0002-0001-0000-000161911776
[5] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fdp-parteitag-nicola-beer-hat-die-delegierten-mit-worthuelsen-abgespeist-a-1250242.html
[6] https://www.heise.de/tp/news/Putsch-in-Honduras-beschaeftigt-den-Bundestag-2017372.html
[7] https://www.elmundo.es/andalucia/2018/12/30/5c27c3f721efa020258b45ee.html
[8] https://www.kai-arzheimer.com/fpoe/fpoe.pdf
[9] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/afd-light-lindners-neue-fdp
[10] http://www.taz.de/!5568038/
[11] https://twitter.com/nicolabeerfdp
[12] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/alltagsleben/abtreibungsparagraph-218.html
[13] http://www.kulturwissenschaften.de/home/profil-cleggewie.html
[14] http://www.taz.de/!5563835/