„Gelobt sei, was das Fliegen teuer macht“

Wenn
das Umweltbewusstsein zur Klassenfrage wird

Da hat der Freund des Taz-Umweltredakteurs Bernhard Pötter noch einmal Glück gehabt. Er musste doch nicht unter der Brücke schlafen, sondern in Pötters Wohnung, obwohl er sich eines in manchen Kreisen ganz schweren Verbrechens schuldig gemacht hat.

Er ist mit einem Inlandflug und nicht mit der Bahn nach Berlin gekommen. Am Ende gibt Pötter die Parole aus: „Gelobt sei, was das Fliegen teuer macht.“ [1] Dabei spricht er ganz offen aus, dass es hier um eine Klassenpolitik geht:

Das sollte reichen, um Fliegen wieder zu einem Privileg der Oberschicht im Sinne von Friedrich Merz zu machen.
Bernhard Pötter, Taz

Umweltbilanz ist keine Bewusstseins-, sondern eine Einkommensfrage

Nun hätte man gerne noch gewusst, ob für Pötter die global agierenden Umweltaktivisten, die natürlich auch Vielflieger sind, dieses Privileg auch genießen sollen. Denn längst ist bekannt, dass gerade das grüne Milieu auf das Fliegen nicht verzichten will. Das hat eine Umfrage [2] des Umweltbundesamt noch mal bestätigt:

Wer mehr Geld hat, verbraucht meist mehr Energie und Ressourcen – und zwar unabhängig davon, ob sich jemand als umweltbewusst einschätzt oder nicht. Das zeigt eine neue Studie des Umweltbundesamts (UBA). UBA-Präsidentin Maria Krautzberger: „Mehr Einkommen fließt allzu oft in schwerere Autos, größere Wohnungen und häufigere Flugreisen – auch wenn die Menschen sich ansonsten im Alltag umweltbewusst verhalten. Aber gerade diese ‚Big Points‘ beeinflussen die Ökobilanz des Menschen am stärksten. Der Kauf von Bio-Lebensmitteln oder eine gute Mülltrennung wiegen das nicht auf.“ Vor allem Fernflüge, das Auto, der Dämmstandard der Wohnung und deren Größe und der Konsum von Fleisch entscheiden darüber, ob jemand über oder unter dem CO2-Durchschnittsverbrauch liegt. Daher haben Menschen mit hohem Umweltbewusstsein laut Studie nicht zwangsläufig eine gute persönliche Ökobilanz. Menschen aus einfacheren Milieus, die sich selbst am wenigsten sparsam beim Ressourcenschutz einschätzen und die ein eher geringeres Umweltbewusstsein haben, belasten die Umwelt hingegen am wenigsten.
Umweltbundesamt

Daher bedeutet die Forderung von Pötter, dass Fliegen ein Privileg der Reichen sein soll, dass die Minderheit, die es sich leisten kann, die Umwelt noch stärker belasten kann. Sie zahlt schließlich dafür. Wer kein Geld hat, soll zu Hause bleiben. Der in Ökoreformkreisen beliebte Begriff von der imperialen Lebensweise erweist sich hier als Nebelkerze. Es sind die bekannten kapitalistischen Mechanismen, die hier wirken.

Bewegung und Klasse

Pötter hat allerdings mit seinem Bekenntnis, nur die Oberschicht soll sich das Fliegen leisten können, offen ausgesprochen, dass der hegemoniale Klimadiskurs ein Klassenkampf von oben ist. Es war schon immer das Bestreben der herrschenden Klassen, dafür zu sorgen, dass die Subalternen sich nicht schneller fortbewegen sollen als sie. Daher verdammten sie auch die ersten Eisenbahnen, die – so behäbig sie auch nach unseren Vorstellungen waren – den Pferdekutschen der Adeligen mühelos davon fuhren. Die Eisenbahnen wurden auch von den Kanzeln der Pfaffen als Teufelszeug verdammt und herrschaftliche Kopflanger versuchten zu beweisen, wie schädlich das Fahren mit der Eisenbahn für Leib und Seele der Menschen sei. Auch die Umwelt wurde schon in Anschlag gebracht, die vor dem Massenfortbewegungsmittel Eisenbahn geschützt werden sollte.

Als mit der ersten Klasse die Rangordnung auch im Zug hergestellt wurde, wurde der auch von der Oberschicht genutzt. Sie waren jetzt nicht mehr schneller als ihre Untertanen, aber sie reisten standesgemäß. Doch die Angst vor der Mobilität vor der den Massen setzt sich fort im aktuell im Ressentiment gegen das Fliegen. Wie vieles aus dem grünökologischen Milieu wurde es zum hegemonialen Diskurs. Dass es dabei vor allem um Moralattacken geht, zeigen schon die Namen wie Flugscham [3] eine aus Skandinavien in andere Länder exportierte Methode der ökologisch bewussten Mittelschichten [4], anderen Menschen ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen, wenn sie einen Flug buchen.

Schon am Namen erkennt man den regressiven Charakter des Unterfangens. Die Menschen sollen Scham empfinden oder beschämt werden, wenn sie das Flugzeug benutzen. Das sind die alten Methoden der Staatsapparate, um die Menschen von einem selbstbestimmten Leben abzuhalten. Wenn die Methoden der Beschämung bei den meisten Menschen nicht ziehen, kommt der finanzielle Druck. Das ist die Methode Pötter, den Flug so teuer zu machen, dass er wieder nur für die Reichen erschwinglich ist. Auch die Verbotsschiene wird dann noch folgen.

Kampf um das Recht an Mobilität für Alle

So steht der Kampf gegen das Fliegen mit welchen ökologischen Argumenten auch immer gegen den Kampf um Mobilität für Alle. Schon die Eisenbahnen begeisterten die Massen, mehr noch, wenn sie von Fürsten und Klerus verketzert wurden.

Die Arbeiterbewegung schuf sich Organisatoren wie die Naturfreundebewegung, die Mobilität nicht gegen Umwelt [5] setzten. Sie haben auch kein religiöses Naturverständnis, wie es auch im Umfeld der Waldbesetzer im Hambacher Forst zu hören war. Dort wurde in manchen Statements die Besetzungsaktion nicht nur als Kampfmittel gegen die Pläne des RWE-Konzerns erklärt, sondern das Leben auf Bäumen als Wert an sich bezeichnet. Da wird auch viel Verständnis gezeigt, wenn irgendwo in der Welt indigene Sektenverantwortliche Waldstücke oder ganze Regionen für unantastbar erklären. Dann darf dort kein Baum gefällt werden und Bodenschätze dürfen nicht gefördert werden. Dass damit die Verarmung und Verelendung der Bevölkerung einhergehen kann, wird in Kauf genommen.

Solche religiösen Formen des Naturverständnisses wurden von Linken lange Zeit mit Recht kritisiert. Heute werden sie oft kritiklos übernommen. Demgegenüber solle wieder ein Mensch-Umwelt-Verhältnis Platz greifen, wo es als zivilisatorische Errungenschaft gesehen wird, wenn sich der Mensch aus den Naturverhältnissen zumindest teilweise befreit. Der menschliche Fußabdruck in der Welt ist ein Zeichen von Zivilisation. Wer heute so darauf drängt, den menschlichen Fußabdruck immer mehr zu verkleinern, sorgt sicher nicht für eine Welt, in der alle Menschen auf den Stand der gegenwärtigen Produktivkräfte leben können. Erst dann ist es möglich, über ein vernünftiges Mensch-Umwelt-Verhältnis zu diskutieren. Denn natürlich gibt es auch in einer vernünftig eingerichteten Welt Interesse, beispielsweise Bäume und Wälder nicht sinnlos abzuholzen.

Konsumkritik als Klassenkampf

Doch die Unterwerfung der Linken unter die Ratschlüsse von Stammesältesten stößt erfreulicherweise noch auf Kritik. So veröffentlichte die Rosa-Luxemburg-Initiative Bremen und die Associazione dell talpe [6] unter dem Titel Maulwurfsarbeit IV [7] einen Aufsatz von Theo Schuster unter dem Titel „Konsumkritik als Klassenkampf“, der dem aktuell hegemonialen Umweltdiskurs an vielen Beispielen kritisch unter die Lupe nimmt. So schreibt Schuster über die Konjunktur des Begriffs von der imperialen Lebensweise:

Die dahinterstehende Bigotterie wird deutlich, wenn die beiden Autoren von Imperiale Lebensweise, bewegungsjunggebliebene Hochschulprofessoren aus Berlin und Wien, ohne eine erkennbare Spur von Selbstironie ihr bevorzugtes Fortbewegungsmittel Fahrrad zur „praktischen Kritik an der ebenso imperialen wie antiquierten Form von Fortbewegung namens Automobilität“ erheben. Der eigene Status als gesundheitsbewusster Akademiker, mit überdurchschnittlich gut bezahltem und zentral gelegenem Arbeitsplatz wird hier unausgesprochen zum Ausgangspunkt einer Normsetzung, die dem Automobilitätsbedürfnis von Pendlern, Rentnern, Bewegungsmuffeln und vernunftbegabten Gegnern des freien Hauens und Stechens auf urbanen Radwegen nicht entspricht.
Theo Schuster, Konsumkritik als Klassenkampf

Nun könnte man das Bild von überdurchschnittlich gut bezahlten Professoren in Zeiten von prekären Wissensarbeitern ebenfalls als Ressentiment bezeichnen und sich fragen, ob Schuster gegen die beiden Wissenschaftler ebenso mit moralischen Argumenten hantiert, was Kennzeichen des hegemonialen Ökodiskurses geworden ist.

Zudem durchzieht Schusters Text eine Dichotomie: auf der einen Seite die mittelständischen Ökologen, auf der anderen Seite die Gewerkschaften und Arbeiter, die sich für Umweltbelange nicht interessieren. Unterschlagen wird dabei, dass es bei Lohnabhängigen und auch in Gewerkschaften immer wieder Initiativen um eine lebenswerte Umwelt gab. Die aber fängt am Arbeitsplatz an.

Wolfgang Hien erinnert in mehreren Büchern [8] an den Kampf um einen gesunden Arbeitsplatz [9], was bis heute sein Anliegen ist. In den USA gibt es Gewerkschaften, die eng mit einer, keinen Mittelstandsdiskurs pflegenden Umweltbewegung kooperieren. Auch am Kampf um den Erhalt des Hambacher Forst beteiligten sich Gewerkschafter [10], weil sie es richtig finden, den Plänen von RWE Paroli zu bieten und nicht, weil für sie ein Baum oder der Wald heilig ist. Hier finden sich Ansätze für ein Ökologieverständnis, das sowohl in Frontstellung zum kapitalistischen Verwertungsinteresse als auch zum hegemonialen Umweltdiskurs steht.

Wie kompatibel der zum Kapitalismus ist, zeigen die Pläne, des ökologischen Stromanbieters Lichtblick [11]mit Shell zu kooperieren [12]. Da kommt zusammen, was zusammen gehört. Der auf den umweltbewussten Mittelstand ausgerichtete Stromanbieter und ein Ölkonzern, der schon in den 1980er Jahren Ziel ökologischer Kampagnen [13] wegen seiner Umweltverbrechen [14] in aller Welt [15] war.

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http://www.heise.de/-4282628

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/!5566316/
[2] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/wer-mehr-verdient-lebt-meist-umweltschaedlicher
[3] https://twitter.com/hashtag/flugscham?lang=de)
[4] https://www.deutschlandfunkkultur.de/alles-wissen-nichts-aendern-flugscham-und-andere.1005.de.html?dram:article_id=434553
[5] https://www.naturfreunde-berlin.de/geschichte
[6] https://associazione.wordpress.com/
[7] https://associazione.files.wordpress.com/2018/11/maulwurfsarbeitiv.pdf
[8] https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/gegen-die-zerstoerung-von-herz-und-hirn/
[9] https://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/kranke-arbeitswelt/
[10] https://www.klimareporter.de/protest/gewerkschaft-verlangt-rodungsstopp
[11] https://www.lichtblick.de/
[12] http://www.klimareporter.de/strom/shell-auf-gruener-einkaufstour
[13] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/buch-manuskript-brent-spar-1995.pdf
[14] https://www.amnesty.ch/de/themen/wirtschaft-und-menschenrechte/fallbeispiele/nigeria/dok/2017/shell-ein-kriminelles-unternehmen
[15] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/oelkatastrophe-in-nigeria-shells-schande-1.2293186