Gewalt gegen rechts und Twitterradikalität

Nach dem Angriff auf den Bremer AfD-Politiker Magnitz streiten Linke und Liberale. Ein Kommentar

Der linksliberalen taz [1] wurde vor 1989 öfter von Konservativen Probleme mit der Gewaltfrage nachgesagt. Sie habe sich von linker Militanz nicht genug distanziert. Längst ist die Zeitung im Staat angekommen. Die damit verbundenen Probleme mit der Gewaltfrage teilt sie mit ihren früheren Kritikern. Auch die taz verteidigt bestimmte Kriege, wenn vorgeblich der Schutz von Menschenrechten oder Minderheiten auf der Agenda stehen. Selbstverständlich werden in der taz Kriege verteidigt, wenn sich Grüne dabei exponieren. Doch kürzlich ging es in den Haus-Mitteilungen der Taz um die „alte Gewaltfrage“ [2].

„die freiberufliche journalistin veronika kracher, die in den vergangenen jahren auch der taz mehrere beiträge veröffentlicht hat, verschickte nach dem körperlichen angriff auf bremer afd-bundestagsabgeordneten frank magnitz… …von ihrem privatem Account [3]: „Dass #Magnitz zusammengelatzt wurde ist übrigens die konsequente Durchführung von #NazisRaus. Abhauen werden die nicht. Die werden sich bei der größten möglichen Bedrohungssituation aber zweimal überlegen ob sie offen faschistische Politik machen. Deshalb: mit ALLEN Mitteln.“​
Hausblog der taz

Dass Kracher mittlerweile massiven Drohungen [4] von rechts ausgesetzt ist, wird von taz-Chefredakteur Georg Löwisch natürlich verurteilt. Doch er schreibt dazu im Hausblog:

Wir wollen und wir werden uns nicht zu jeder Position äußern, die jemand einnimmt, der oder die schon Artikel in der taz geschrieben hat. Aber wir werden nie – niemals – die Androhung von körperlicher Gewalt akzeptieren. Weder gegenüber freiberuflichen Journalist_innen noch gegenüber Rechtsradikalen noch gegenüber Geflüchteten oder sonst irgendjemandem. Anders ausgedrückt: Wir möchten uns weder vereinnahmen lassen noch unsere Position relativieren. Das schaffen wir auch.“
Aus dem taz-Hausblog

Warum lädt die taz aber nicht Kracher dazu ein, ihre Position in einem Kommentar zu begründen? Dann kann, ja sollte es einen Beitrag geben, der ihre Position kritisiert. Wenn in der Taz über Menschenrechtskriege diskutiert werden kann, warum dann nicht auch über Veronika Krachers Tweet zum Umgang mit Rechten?

„Heutzutage bräuchte man sehr viele ‚Gruppen 43′“

Während Krachers privater Tweet zu einer Reaktion des Chefredakteurs führte, gab es bisher kaum Reaktionen auf einen Kommentar, den der Großbritannien-Korrespondent Ralf Sotschek Ende Dezember 2018 zur Debatte „Mit Rechten reden“ in der taz veröffentlichte [5]. Darin erinnerte er an eine „antifaschistische Praxis“ von vor über 70 Jahren in London. Zunächst wandte er sich gegen die Parole, man müsse mit Rechten reden:

Die „Gruppe 43“ hatte eine andere Taktik. Das waren 43 Männer, darunter der jüdische Friseur Vidal Sassoon, die ab 1946 gegen Oswald Mosleys Faschisten im Londoner East End vorgingen. Sie verprügelten Mosleys Leute, wann immer die öffentlich auftraten. Die Gruppe erhielt ständigen Zulauf, am Ende waren es 900 Mitglieder. Nach vier Jahren löste man sich auf, die Faschisten waren von der Straße vertrieben, Mosley hatte sich vorerst zur Ruhe gesetzt. Ende der Fünfziger meldete er sich wieder zu Wort, diesmal aus Brixton und Notting Hill, wo er nun gegen dunkelhäutige Einwanderer mobil machen wollte. Prompt entstand Anfang der sechziger Jahre die „62 Group“ mit vielen bekannten Gesichtern aus der „Gruppe 43“ und bot ihm Paroli. „Heute ist es viel schlimmer“, sagte ein Mitglied beim Jubiläumstreffen 1990, „heute bräuchte man zwei 43 Groups.“ Dabei waren die Rechtspopulisten damals noch kein großes Problem. Die Sowjetunion diente während des Kalten Krieges als gemeinsames Feindbild, die westlichen Regierungen bescherten der unteren Mittelschicht akzeptable Lebensbedingungen, der Neoliberalismus hatte noch ein einigermaßen menschliches Antlitz. Nach 1989 und besonders nach der globalen Finanzkrise war alles anders. Heutzutage bräuchte man sehr viele „Gruppen 43“.
Ralf Sotschek, Taz

 

Tatsächlich bestand die Gruppe 43 [6], die ein kleiner Verlag in Deutschland bekannt gemacht hat [7], vor allem aus jüdischen Nazigegnern, die mitgeholfen haben, dass in Deutschland die Konzentrations- und Vernichtungslager nicht weiter arbeiten.

Niemand hätte ihnen plausibel erklären könnten, sie müssten jetzt mit den britischen Naziadepten Tee trinken.

Dass die damalige Situation nicht einfach auf Deutschland 2018 übertragen werden kann, gehört zur Diskussion, wie das früher auch bereits in antifaschistischen Zusammenhängen gemacht wurde [8].

Schon daher wäre es begrüßenswert, wenn die Meinungen von Veronika Kracher und Ralf Sotschek zu kontroversen Diskussionen auf zwei Ebenen führen würde. Da geht es einmal um den Twitterradikalismus und seine Folgen.

Die wenigsten, die sich dort für Gewalt gegen Menschen aussprechen, würden sie auch selbst praktizieren, wäre eine Behauptung. Hier könnte man aber mit Robert Habeck sagen, dass Twitter die Hemmschwellen senkt, auch Gewalt gegen Personen mit einem Tweet zu begrüßen. Zumindest für solch komplexe Themen sollte man sich selbst eine Twitterabstinenz auferlegen.

Und es sollte über die Problematik antifaschistischer Militanz diskutiert werden.

Antifaschistische Militanz in der Wendezeit

Es gibt dazu gute Ansätze. „Von der aufgezwungenen Selbstverteidigung zur Gegenmacht“ lautet die Überschrift eines Interviews von aktiven Antifaschisten in den späten 1980ern und den frühen 1990er Jahren in der linken DDR-Opposition entstandenen Zeitschrift telegraph [9]. Es war die Grundlage für eine Tagung [10] und ein Buch [11] zum Thema „30 Jahre Antifa in Ostdeutschland“.

Dort wird von den Beteiligten sehr eindrücklich geschildert, wie schwer sich die meisten mit Gewalt gegen Menschen taten und wie viele dazu gegriffen haben, weil sie immer wieder von Neonazis angegriffen wurden. Für viele scheint es damals nur die Alternative gegeben haben, den Wohnort zu verlassen oder sich mit anderen zusammenschließen und auch körperlich zu wehren. Doch im Interview wurde auch die Problematik der Gewalt gegen Rechte nicht ausgespart.

So schilderten mehrere, dass sie in manchen Situationen nicht mehr hätten garantieren können, dass es zu schlimmsten Folgen kommt. Es wurde aufgepasst, um genau das zu verhindern. Aber nicht alle handelten so. Der Tod des „Deutsche Liga“-Funktionärs Kaindl 1992 in Berlin-Kreuzberg [12] war dann eine Zäsur in der Antifa-Bewegung.

Den Tod von Menschen wollten sie nicht in Kauf nehmen. Spätestens danach verlegte sich ein Großteil des Antifa-Spektrums in seinem Kampf gegen rechts auf Bündnisse und Blockaden von rechten Aufmärschen sowie auf den Versuch, die Rechten gesellschaftlich zu isolieren.

Das könnte die konsequentere Durchführung der Parole „Nazis raus“ sein. Darüber sollte man mit Kracher und anderen streiten.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4272645

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de
[2] https://blogs.taz.de/hausblog/die-gewaltfrage/
[3] https://twitter.com/sunny_mayhem?lang=de
[4] http://www.hagalil.com/2019/01/veronika-kracher/
[5] http://www.taz.de/Debatte-Mit-Rechten-reden/!5555657
[6] https://www.j-grit.com/resisters-the-43-group-british-antifascist-organization.php
[7] https://wizzwoo.com/download.php?q=the-43-group-antifaschistischer-kampf-in-grossbritannien-1946-1950
[8] https://www.nadir.org/nadir/initiativ/rotkaepchen/archiv/sites/fgruppe43.htm
[9] http://telegraph.cc/telegraph-133-134/
[10] https://afa-ost.de/
[11] https://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/30-jahre-antifa-in-ostdeutschland
[12] https://www.antifainfoblatt.de/artikel/zum-tod-eines-neonazis

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