Bottrop und Amberg: „AfD-Sprech“ ist längst in der Gesellschaft angekommen

Die Diskussionen der letzten Tage zeigen, dass es falsch wäre, nur auf die AfD und nicht auf die Gesellschaft zu schauen

Eigentliche hätte dieser sachlich gehaltene kurze Text der Cottbuser Polizei [1] den Sachverhalt am besten zusammengefasst:

Am Neujahrstag kam es im Bereich des Stadtbrunnens in der Cottbuser Innenstadt zu einer gefährlichen Körperverletzung. Dabei wurde ein 28-jähriger Mann verletzt und ins CTK gebracht.
Die Polizei sucht dringend Zeugen, welche sich im Tatzeitraum von etwa 03:00 Uhr bis 04:00 Uhr am Stadtbrunnen aufgehalten haben.
Polizei Brandenburg [2]

Hier wird deutlich, dass es eine gefährliche Körperverletzung gab und der gesamte Vorgang noch der Aufklärung bedarf. Doch schon einen Tag vorher war auf der Homepage der Stadt Cottbus eine Pressemeldung [3] zu lesen, die eher als Vorlage für eine politische Rede, etwa der Union oder der AfD, tauglich ist denn für eine sachliche Information.

Sollte der oder die Täter hier noch ein Gastrecht genießen und kein unbeschriebenes Blatt sein, werden wir nicht zögern, ihm oder ihnen klarzumachen, dass er oder sie ein Ticket in die Heimat zu lösen haben. Wir hoffen, dass die rechtsstaatlichen Instanzen schnell und kompromisslos entscheiden. Wir lassen unsere Stadt nicht durch Typen beschädigen, die sich nicht benehmen können und denken, Konflikte auf diese Art lösen zu können.
Pressemeldung Stadt Cottbus

Dieser Text (mittlerweile „aktualisiert“ [4], Einf. d. Red.) provozierte mit Recht viel Kritik. Denn hier wird klar suggeriert, es könne sich hier nur um Täter ohne deutschen Pass oder Aufenthaltsrecht handelt. Die Grundlage war eine Pressemeldung der Polizei, die von einem Täter mit südländischem Aussehen sprach. Nur, wieso wird gleich geschlussfolgert, Personen mit südländischem Aussehen könnten keinen deutschen Pass oder keine deutsche Aufenthaltsgenehmigung haben?

Und selbst, wenn die Gesuchten Migranten wären, bleibt doch die Frage, wieso wird hier ohne ein vorliegendes Urteil, ohne eine genaue Ermittlung des Tathergangs bereits von Abschiebungen geredet? Eine solche Pressemitteilung auf einer zur Sachlichkeit verpflichteten Homepage zeigt, wie weit mittlerweile in Deutschland sich Vorstellungen durchgesetzt haben, die lange Zeit am rechten Rand angesiedelt waren.

Es war lange Zeit ein ungeschriebener Grundsatz, dass man die Nationalität oder das Aussehen von Tatverdächtigen nicht in den Mittelpunkt stellt. Einige Linke und linksliberale Medien erinnern sich noch diese Grundsätze, aber wie wenig sie heute noch in der Realität angewandt werden, zeigt die Pressemitteilung der Stadt Cottbus.

Sie ist vielleicht aussagekräftiger als die Debatte um weitere Verschärfungen bei den Flüchtlingsrechten und schnelleren Ausweisungen, die in den letzten Jahren immer um den Neujahrsbeginn zu hören waren. Der Grund ist simpel. Es ist die Zeit, in der die offizielle Politik Pause hat. Da nutzten dann die Selbstdarsteller aus allen politischen Parteien gerne die Bühne, um ihre Duftmarken zu setzen. Das Spiel ist so bekannt wie berechenbar.

Ritualisierte Law-and Order-Politik

So kann man in dutzenden Varianten lesen und hören, wie Bundesheimatminister Horst Seehofer fordert [5], weitere Hürden für schnellere Abschiebungen abzubauen. Sich hier als starker Mann zu profilieren, ist schließlich sein Job, und auch die Kritik, die ebenso berechenbar auf Seehofers Forderung folgt, ist von beiden Seiten „eingepreist“.

Seehofer kann dann wieder den Mann geben, der von den Linken und Liberalen angegriffen wird. Viele seiner Kritiker spielen auch nur die Rolle der Hüter der Liberalität. Denn: Was unterscheidet denn Seehofer und andere Unionspolitiker, die jetzt wieder schnellere Abschiebungen fordern, von der Vorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock?

Baerbock forderte [6] genau das Mitte Dezember in einem Interview [7] mit der Süddeutschen Zeitung. Vielleicht will Baerbock erst einmal die vorhandenen Gesetze konsequent anwenden, bevor sie über neue Verschärfungen redet?

Und trotzdem werden die Grünen die Gelegenheit nutzen, sich als flüchtlingsfreundlichere Alternative anzubieten, wenn Sahra Wagenknecht mal wieder ihren migrationskritischen Ansatz in eine Rede einfließen lässt. In ihrer eigenen Partei bringt das dann vor allem den realpolitischen Flügel auf die Palme, der sich mehr über eine Wagenknecht-Äußerung als über die tatsächlichen Abschiebungen aufregt, die auch dort vollstreckt werden, wo die Linke mitregiert oder sogar den Ministerpräsidenten stellt.

Nun wäre es aber eine Illusion diesen Politikern vorzuwerfen, sie könnten, wenn sie wollten, die Abschiebemaschine stoppen. Sollten sie es versuchen, wären sie nicht mehr lange im Amt. Genau da kommen wir zum Kern des Problems. Wer mitregieren will und das wollen grundsätzlich alle heute im Bundestag vertretenen Parteien, muss Abschiebungen unabhängig von der eigenen Position mittragen und umsetzen.

Das gehört zum Mitregieren heute dazu. Das hat auch nichts mit den realen Verhalten von Migranten zu tun. Deshalb sind die wechselnden Orte, die dann immer für die aktuellen Law-and Order-Kampagnen herangezogen werden, austauschbar. Seit der berühmt-berüchtigten Silvesternacht von Köln im Jahr 2015 wird in dieser Zeit besonders genau geguckt.

Was geschah wirklich im Amberg?

Tatsächlich sind in diesen Zeiten junge oft betrunkene Männer unterwegs, wie dieses Jahr in Amberg. Jetzt reden alle von Amberg und geben dazu ihre Meinung ab. Doch die erste Frage wäre, was geschah eigentlich zu Silvester in der Stadt? Warum konnten vier junge, zudem noch betrunkene Männern [8] über eine längere Zeit Menschen angreifen und verletzen? Silvester ist doch die Stadt in der Regel nicht menschenleer?

Warum taten sich die Menschen nicht zusammen und gingen gegen die Jugendlichen vor? War es Gleichgültigkeit oder Angst? Womit konnten vier Jugendliche eine solche Angst aber verbreiten? Wie gesagt, es ist hier nicht gemeint, dass ein oder zwei Personen in einer dunklen, leeren Stadt bedroht werden. Es geht um Gewalttaten über einen längeren Zeitraum und gegen ganz verschiedene Personen.

Wenn man unter dem Stichwort „Was geschah wirklich in Amberg zu Silvester?“ nach einer knappen sachlichen Wiedergabe der Vorfälle sucht, wird man kaum fündig. Selbst der Polizeibericht von Amberg [9] über die Silvesterereignisse lässt Fragen offen. Doch zumindest macht er deutlich, dass es sehr unterschiedliche Gewalttaten in Amberg zu Silvester gab und die vier Migranten waren nur an einigen beteiligt. Es ist erstaunlich, dass „Amberg“ mittlerweile zu einem Schlüsselwort wurde, obwohl wohl die wenigsten wissen, was genau dort passiert ist.

War der Täter von Bottrop zurechnungsfähig oder Rassist oder beides?

Was für die einen Amberg ist, ist für die anderen Bottrop, wo ein deutscher Staatsbürger absichtlich mit dem Auto mehrmals auf Personen, die „nicht deutsch aussahen“, zugerast war und mehrere Menschen angefahren und verletzt hat [10]. Nun wird vielfach gefordert, Gewalt von allen Seiten zu verurteilen [11]:

Eine mutmaßlich gegen Ausländer gerichtete Amokfahrt in Bottrop. Prügelnde Asylbewerber in Amberg – Wo medial bislang unterschiedlich gewichtet wurde, hat sich in der Berichterstattung Anfang 2019 offenbar etwas verändert: Gewalttaten werden thematisiert, egal von wem sie ausgehen.
Christoph Schwennike, Cicero

Dagegen kritisiert Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung [12], dass gerade die Gewalttaten von Bottrop und Amberg zeigen, wie mit unterschiedlichen Maß gemessen werden.

Wenn Flüchtlinge gewalttätig werden, wird das in Deutschland schnell zum Politikum. Doch die ausländerfeindliche Tat in Bottrop wird entpolitisiert. Das ist falsch und gefährlich.
Matthias Drobinski, Süddeutsche Zeitung

Tatsächlich fällt auf, dass bei dem Bottroper Amokfahrer sehr schnell betont wird, dass psychische Probleme im Spiel sind. Und das wird dann als Argument benutzt, dass es keine rassistische Tat gewesen sei. Dass jemand psychische Probleme haben und Rassist sein kann und sich deshalb seine psychischen Probleme auch rassistisch ausdrücken, wird dabei gerne ausgeblendet.

Bemerkenswert ist, dass freilich bei den Jugendlichen in Amberg kaum danach gefragt wurde, ob die vielleicht durch den hohen Alkoholkonsum unzurechnungsfähig waren. Oder ob der Konsum vielleicht nicht so hoch war, aber die Jugendlichen aus einem Milieu kommen, in dem Alkohol nicht so häufig konsumiert wird und daher die Verträglichkeit begrenzt ist.

Es wird sich zeigen, ob noch weitere Hintergründe der Taten sowohl in Amberg wie in Bottrop bekannt werden. Für diejenigen, die diese Vorkommnisse nur als Bestärkung der eigenen Weltsicht nutzen, mögen solche Informationen entbehrlich sein. Für die, die wirklich verstehen wollen, was die Grundlage sein kann, um solche Taten möglichst zu verhindern, sind sie aber wichtig.

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
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Links in diesem Artikel:
[1] https://polizei.brandenburg.de/fahndung/zeugen-einer-koerperverletzung-gesucht/1303173
[2] https://polizei.brandenburg.de/fahndung/zeugen-einer-koerperverletzung-gesucht/1303173
[3] https://www.cottbus.de/mitteilungen/2019-01/auseinandersetzung_in_der_neujahrsnacht_am_stadtbrunnen.html
[4] https://www.cottbus.de/mitteilungen/2019-01/auseinandersetzung_in_der_neujahrsnacht_am_stadtbrunnen.html
[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/article186510210/Vorfall-in-Amberg-GroKo-will-Abschiebe-Huerden-abbauen-Seehofer-plant-Gesetz.html
[6] https://www.tagesspiegel.de/politik/annalena-baerbock-gruenen-chefin-will-straffaellige-asylbewerber-schnell-abschieben/23776862.html
[7] https://www.sueddeutsche.de/politik/baerbock-interview-abschiebung-1.4257978
[8] https://www.welt.de/vermischtes/article186440242/Buergermeister-von-Amberg-Und-wieso-waren-sie-um-18-45-Uhr-so-betrunken.html
[9] https://www.mittelbayerische.de/polizei/amberg-nachrichten/schlaegereien-in-der-silvesternacht-23534-art1734629.html
[10] https://www.derwesten.de/region/bottrop-auto-amokfahrer-essen-anschlag-andreas-n-terror-id216114521.html
[11] https://www.cicero.de/innenpolitik/bottrop-amberg-amokfahrt-anschlag-asylbeweber-pruegelei/plushttps://www.mittelbayerische.de/polizei/amberg-nachrichten/schlaegereien-in-der-silvesternacht-23534-art1734629.html
[12] https://www.sueddeutsche.de/politik/tat-von-bottrop-der-fremdenhass-kriecht-aus-allen-ritzen-1.4272007

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