Im Arbeitskampf wird’s konkret

Von Lesbian und Gays Support the Miners bis zur Unterstützung von Amazon: außerbetriebliche Solidarität hilft nicht nur den Arbeiter_innen

Pride – so heißt ein Film, der im Herbst 2014 in die deutschen Kinos kam. Er widmete sich einem weitgehend vergessenen Kapitel der Geschichte der internationalen Arbeiter_innenbewegung, und zwar der Solidarität mit dem Streik der britischen Bergarbeiter, der in den Jahren 1984 und 1985 in Großbritannien und vielen anderen Ländern auch von Menschen unterstützt wurde, die nicht in Großbetrieben arbeiteten, ja nicht einmal in gewerkschaftlichen Zusammenhängen engagiert waren.
Im Zentrum des Films:

die »Lesbians and Gays Support the Miners« (LGSM), eine Gruppe Schwuler und Lesben, die in London lebte, hauptsächlich aus Studierenden, Schüler_innen und Künstler_innen bestand, die kulturell also viel von den Bergarbeitern trennte. Bergarbeiter war ein Männerberuf, Frauen waren höchstens in der Verwaltung tätig. Die gewerkschaftsnahen Frauensolidaritätsstrukturen bestanden vor allem aus den Ehefrauen und den Verwandten der Bergarbeiter. In den Bergarbeiterdörfern galten Schwule und Lesben bestenfalls als Exoten aus den fernen Großstädten.
Die zentrale Figur in dem Film ist Mark Ashton, ein charismatischer Jungkommunist und Schwulenaktivist aus Irland, der in früher Jugend bei einem längeren Aufenthalt in Pakistan mit der dortigen Armut konfrontiert und dadurch politisiert wurde. Ashton fand bei seinem Vorhaben, die Bergleute zu unterstützen, nicht nur Zustimmung in der Lesben- und Gay-Community. »Was gehen uns die an, die unterstützen uns doch auch nicht«, bekam er an den Kopf geworfen, als er begann, Spenden für die Miners zu sammeln.

Als Subkultur und proletarische Politik zusammenkamen
Es gelang der kleinen Gruppe dennoch, Geld zu sammeln. Als sie aber in die Streikregion fuhren, um die gesammelten Spenden zu übergeben, wären sie fast gescheitert. Denn die Lesben und Schwulen aus London waren für die Mehrheit der Bevölkerung in den walisischen Bergbaugebieten wie Bewohner_innen eines anderen Sterns. Allerdings gerieten sie an einen Gewerkschafter, der den Anspruch der Bergleutegewerkschaft ernst nahm: dass alle Unterdrückten sich die Hände reichen und gemeinsam für die Befreiung kämpfen sollten. Die Londoner Subkultur war endgültig in den Kreis der Bergleute aufgenommen, als auf einer Versammlung im Gewerkschaftsbüro eine Frau die Gewerkschaftshymne anstimmte, die von der Solidarität aller Unterdrückten handelte. Mag der Film Pride auch etwas kitschig geraten sein, dieses Ereignis ist historisch ebenso verbürgt wie das große Engagement von Mark Ashton. Der Gründer der LGSM starb 1987 im Alter von 26 Jahren an AIDS. Die Solidaritätsarbeit mit dem Miners’ Strike war der Höhepunkt seines kurzen Lebens. Die LGSM ist ein wichtiges Beispiel einer Streiksolidarität, die von Menschen außerhalb von Betriebs- und Gewerkschaftszusammenhängen ausging, und sie ist ein Exempel dafür, dass kulturelle Differenzen im gemeinsamen Kampf an Bedeutung verlieren. Die Lesben und Schwulen und die Miners waren von verschiedenen Unterdrückungsformen betroffen, doch sie pflegten nicht ihre jeweiligen Identitäten und kulturellen Unterschiede, sondern reichten sich die Hände zur Solidarität, wie es im Refrain der Hymne der Bergarbeiter_innengewerkschaft hieß.
Das, was Pride erzählt, hat eine Vorgeschichte, die im Film ausgespart bleibt. In Großbritannien der späten 1970er Jahre gingen Subkultur und proletarische Politik schon einmal zusammen: Ein zentrales Moment war der Streik der Beschäftigten der Firma Grunwick Film Processing Laboratories in den Jahren 1976 bis 1978. Es war der längste Ausstand migrantischer Beschäftigter, den London je gesehen hatte, und die Streikenden waren überwiegend Frauen aus Asien, die eigentlich als schwer organisierbar galten. Mit dem Grunwick-Streik gelang es erstmals, die Gewerkschaften für die Belange von Frauen aus Asien zu interessieren. Solidarität erfuhren sie zudem aus verschiedenen Teilen außerparlamentarischen Linken, so auch von Gay-Aktivist_innen. Und auch Arthur Scargill, der militante Vorsitzende der Bergleutegewerkschaft, mobilisierte viele Miners, mit denen er sich am Solidaritätsstreik beteiligte. Diese gemeinsame Erfahrung von Gay-Aktivist_innen und Arbeitermilitanten schuf die Grundlage für die Solidaritätsaktion des LGSM sieben Jahre später.. Die breite Front der Solidarität aus Teilen der linken Subkultur, Gewerkschaften und verschiedenen marxistischen Strömungen setzte die Zusammenarbeit bis zum großen Bergarbeiterstreik fort, der Mitte der 1980er dann als letzte große Schlacht gegen den Neoliberalismus verloren ging.

Kritische Kund_innen machen dicht
Fast zeitgleich mit dem Streik der britischen Miners fand in der BRD eine große gesellschaftliche Auseinandersetzung statt: Der Kampf um die 35-Stunden- Woche wurde nicht nur in den Betrieben geführt, sondern war ein gesellschaftlicher Konflikt. Künstler_innen solidarisierten sich ebenso wie Studierende und Erwerbslose. Es ging um ein Modell für die Zukunft unter gründlich geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dieser Kampf war noch von dem Impetus geprägt, dass durch schrittweise Reformen die Arbeitszeit verkürzt und die Arbeitsbedingungen im Kapitalismus humanisiert werden könnten. Die Zeit, als der Begriff »Reform« für die Subalternen zu einem Schreckenswort wurde, sollte erst noch kommen.
In den folgenden Jahren nahm der gewerkschaftliche Organisierungsgrad stark ab. Zu den Branchen, in denen die DGB-Gewerkschaften bald nur noch eine Minderheit vertraten, gehört der Einzelhandel. Als die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di 2008 dort den Streik um die Durchsetzung eines Tarifvertrags begann, war klar, dass angesichts des niedrigen Organisationsgrads die Auseinandersetzung über den Betrieb hinaus ausgeweitet werden musste. Der Streik kam nur zustande, weil er von vielen engagierten Kolleg_innen getragen wurde, die es satt hatten, immer länger zu arbeiten und mit ihrem Lohn kaum über die Runden zu kommen. Zu dieser Zeit hatten verschiedene Gruppen der außerparlamentarischen und postautonomen Linken gewerkschaftliche Arbeit als wichtiges Kampffeld entdeckt. Dieses Interesse wurde dadurch grundiert, dass die Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse auch vor dem akademischen Mittelstand nicht haltmachte, dem viele Aktivist_innen der außerparlamentarischen Linken angehörten. Mit Mayday-Paraden wurde versucht, die Organisierung von Prekären neben den großen Gewerkschaften auszubauen. In Berlin war die Mayday-Parade 2008 ein Ort, an dem sich streikende Kolleg_innen aus dem Einzelhandel mit den jungen Aktivist_innen aus den sozialen Bewegungen trafen. Gemeinsam plante man die »Aktion Dichtmachen«: Im Juni 2008 blockierten außerparlamentarische Linke in Berlin eine Reichelt-Filiale in Kooperation mit und zur Unterstützung der streikenden Kassier_innen und Verkäufer_innen. Die Aktion erregte große mediale Aufmerksamkeit und machte den Arbeitskampf zu einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

Make Amazon Pay
An diese Erfahrung knüpft die außerbetriebliche Solidarität mit den Amazon- Beschäftigten an, die 2013 in Leipzig ihren Ausgang nahm. Bald bildeten sich auch Solidaritätsgruppen in anderen Städten, die in Kooperation mit den Kolleg_innen eigene Aktionen planten. Am 24. November 2017, dem Black Friday, blockierte das Bündnis »Make Amazon Pay« in der Berliner City ein Amazon-Auslieferungslager. Die Aktion mag symbolisch gewesen sein, zeigte aber, dass die Kolleg_innen beim Kampf für ihre Rechte nicht alleine sind. Auch auf einer anderen Ebene hat die außerbetriebliche Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten Spuren hinterlassen: Sie vermittelte Kontakte zwischen den Kolleg_innen von Amazon-Standorten in Deutschland und denen in der Amazon-Filiale im polnischen Poznań. Die Mehrheit von ihnen ist in der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft IP (Arbeiter-Initiative) organisiert, die eigentlich nicht zu den Bündnispartner_innen von ver.di gehört. Diese Vernetzungsarbeit durch Externe erweitert also das Aktionsfeld; zudem wird deutlich, dass außerbetriebliche Solidarität sich nicht in Zuarbeit für die DGB- Gewerkschaften erschöpft.
Eine Unterstützung von Betriebskämpfen kann auch für die beteiligten Gruppen der außerparlamentarischen Linken nur von Vorteil sein. Dann würde nämlich sichtbar, dass in theoretischen Debatten manchmal Scheingefechte geführt werden. In Arbeitskämpfen zeigt sich oft ganz konkret, wie rassistische und patriarchale Unterdrückung und kapitalistische Ausbeutung zusammenwirken.
Diese Erfahrung haben Unterstützer_innen des Charité-Streiks ebenso gemacht wie die Solidaritätsgruppen der Amazon-Beschäftigten. Die Belegschaften dort sind eben nicht ausschließlich weiß und männlich. Solche Klassifizierungen sind eher Projektionen einer postmodernen Linken, die sich von den realen Kämpfen möglichst fernhalten will. Sie hat auch den lange andauernden Kampfzyklus vornehmlich migrantischer Logistikarbeiter_innen in Norditalien fast völlig ignoriert. Unterstützt von der Basisgewerkschaft Cobas versuchen sie ab 2014 mit Streiks, Demonstrationen und Blockaden für ihre Rechte zu kämpfen. Sie hatten nicht nur Konzerne wie IKEA und andere Discounter gegen sich, sondern auch die Politiker_innen, die die Region zu einem Eldorado der internationalen Logistikindustrie machen wollten. Die Kolleg_innen hatten häufig Auseinandersetzung mit der Polizei, wurden verprügelt und kriminalisiert, aber haben auch immer wieder erfolgreiche Abschlüsse erzielen können. Es ist Bärbel Schönafinger von der Videoplattform labournet.tv zu verdanken, diesen Kampf mit dem Film Die Angst wegschmeißen in Deutschland bekannt gemacht zu haben.
2016 gab es mehrere Versuche, sich mit den Logistikarbeiter_innen zu solidarisieren, indem Kundgebungen und Proteste vor IKEA-Filialen in Berlin und Hamburg organisiert wurden, dessen Lagerstätten in Norditalien zu der Zeit bestreikt wurden. Doch die Resonanz blieb äußerst bescheiden. Eine vornehmlich migrantische Belegschaft in verschiedenen norditalienischen Logistikunternehmen kämpft gemeinsam mit einer linken Basisgewerkschaft in Italien für ihre Rechte. Doch ein Großteil der außerparlamentarischen Linken hat gerade keine Zeit für Solidarität. Sie diskutiert stattdessen darüber, ob man den Kampf gegen Rassismus und Patriarchat vernachlässigt, wenn man Arbeitskämpfe unterstützt.

Peter Nowak

Siehe das Buch und weitere Leseproben im LabourNet Germany unter:
[Buch] Neue Klassenpolitik. Linke Strategien gegen Rechtsruck und Neoliberalismus

und

http://www.sebastian-friedrich.net/neue-klassenpolitik/

Erstveröffentlichungsort:

Dieser Artikel erschien zuerst in:
Sebastian Friedrich / Redaktion analyse & kritik (Hg.):
Neue Klassenpolitik. Linke Strategien gegen Rechtsruck und Neoliberalismus
Bertz + Fischer: Berlin, 2018
220 Seiten, Paperback, 12,5 x 19,5 cm
ISBN 978-3-86505-752-5
14,- Euro.

sowie

als Leseprobe bei labournert:
http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2018/11/nowak_klassenpolitik.pdf