Von wegen Faktencheck

Öffentlich-rechtliche Fernsehsender fallen auf eine alte antisemitische Fälschung, die »Laichinger Hungerchronik«, herein

Als ob es eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte des Antisemitismus nie gegeben hätte, reproduzieren die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender Arte und SWR in zwei Dokumentarfilmen längst widerlegte judenfeindliche Lügen über »Kornwucherer«.

Wenige Tage nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 erschien in einer ­Lokalzeitung auf der Schwäbischen Alb eine »Geschichtserinnerung an das große Hungerleiden im Jahr 1816/17«. Grundlage der Veröffentlichung, mit der die Zeitung gegen »Nörgler und Meckerer« Stimmung machte, war eine Quelle, die unter dem Namen »Laichinger Hungerchronik« bekannt geworden ist. Bei dieser soll es sich um zeitgenössische »Aufzeichnungen eines unbekannten Älblers« handeln. Publiziert hat sie der Lehrer Christian August Schnerring erstmals 1913, ­zwischen 1916 und 1937 hat er sie noch mehrfach in verschiedenen Fassungen heraus­gegeben.

Lange Zeit stellte niemand Schnerrings Behauptung in Frage, er habe die 40 Seiten umfassende Handschrift beim »volkskundlichen Suchen« auf der Alb selbst entdeckt. Schließlich ­befanden sich die Texte auf einem Konvolut vergilbter Blätter, das auf den ersten Blick authentisch wirkte. Doch 1987 schaute sich der Historiker Günter Randecker diese Papiere genauer an und stellten fest, dass es sich um eine plumpe Fälschung handelte, die schnell zu erkennen gewesen sei. Schnerring selbst habe die Chronik produziert und in Schrift und Papier Authentizität vorgetäuscht.

Der SWR-Film »Das Jahr ohne Sommer – wie das Cannstatter Volksfest entstand«, der Anfang Oktober ausgestrahlt wurde, gibt die Fälschung ebenfalls als historische Quelle aus.

Doch es ging nicht nur darum, dass sich hier ein kaum bekannter Lokal­forscher mit einer selbstproduzierten Fälschung profilieren wollte. Randecker wies auf den Antisemitismus hin, der sich durch den Text zieht. In der fingierten Chronik wird den Juden des Albdorfs Buttenhausen vorgeworfen, von der »Hunger- und Teuerungszeit« profitiert, ja diese erst verursacht zu ­haben. So steht in der gefälschten Chronik beispielsweise: »Das Korn ist im Preis schon wieder gestiegen. Viele Händler gehen um von Buttenhausen und der Abraham kauft alles ­Getreide zusammen. Sie treiben nichts als den Preis in die Höhe. Heute sind wieder vier Fuhren Getreide für den Abraham fortgekommen, sollen in die Schweiz gehen. Wäre besser, sie blieben da und der Jude fort.«

Es ist bezeichnend, aber nicht verwunderlich, dass die antisemitische Diktion des Textes auch nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht thema­tisiert wurde. Schließlich gab es nach 1945 wenig kritische Auseinander­setzung unter Historikern. Das änderte sich Ende der achtziger Jahre, als eine Generation kritischer Wissenschaftler begann, auch die braunen Flecken in der Regionalgeschichtsschreibung zu bearbeiten. In diesem Kontext steht auch die Aufdeckung der Fälschung von Laichingen.

1988 bestätigte ein wissenschaftliches Symposium Randeckers Befund. Im selben Jahr veröffentlichte Randecker den Aufsatz »Die Laichinger Hungerchronik – ein Lügengewebe« in dem vom Karl Corino herausgegebenen Buch »Gefälscht! Betrug in Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik«.
Damit hätte eigentlich die Geschichte dieser antisemitischen Fälschung zu Ende sein müssen. Doch weit gefehlt. Auch 30 Jahre nach der wissenschaft­lichen Entlarvung wird sie weiter verwendet. Ende 2017 zeigten der Sender Arte und im Februar 2018 das SWR-Fernsehen den Film »Der Vulkan, der die Welt veränderte«. Darin ging es um die Folgen eines Vulkanausbruchs in ­Indonesien im Jahr 1815 für das Weltklima und die damit zusammen­hängenden Hungerkatastrophen in verschiedenen Regionen der Welt. In dem Film werden mehrere Sequenzen aus der »Laichinger Hungerchronik« zitiert, einschließlich der antisemitischen Mär von den reichen jüdischen Kornwucherern, ohne zu erwähnen, dass sie bereits 30 Jahre zuvor als Fälschung entlarvt worden waren.

Der SWR-Film »Das Jahr ohne Sommer – wie das Cannstatter Volksfest entstand«, der Anfang Oktober ausgestrahlt wurde, gibt die Fälschung ebenfalls als historische Quelle aus.

Auch in neueren Büchern wird Schnerrings »Erstveröffentlichung der ›Hungerchronik‹ in den ›Württember­gischen Jahrbüchern für Statistik und Landeskunde‹« als angebliches Originaldokument herangezogen. »30 Jahre nach meiner Aufdeckung dieser Jahrhundertfälschung, mit der schuldlose Buttenhäuser Juden diffamiert werden (›zum Flecken hinauspeitschen sollte man die … ‹), ist das unkritische Zitieren von Schnerring-Texten nicht nach­vollziehbar und es ist unverantwortlich«, schrieb Randecker Anfang des Monats in einem Artikel in der Wochenzeitung Kontext über das »Judenschmäh-Revival«.

https://jungle.world/artikel/2018/43/von-wegen-faktencheck

Peter Nowak

Kein Kuscheln mit dem Gewaltapparat

Solidarität mit indymedia.linksunten

Seit mehr als einem Jahr ist ein linkspluralistisches Onlinemagazin verboten. Nicht in der Türkei, in Kuba, Russland oder Venezuela. In Deutschland ist die Online-Plattform Indymedia Linksunten seit Ende August 2017 abgeschaltet.

Die staatliche Maßnahme war erklärtermaßen eine Reaktion auf die teilweise militanten Proteste gegen den G20-Event in Hamburg im letzten Jahr. Danach wurden zahlreiche linke oder alternative Zentren und Einrichtungen von Medien und PolitikerInnen an den Pranger gestellt. Nur stellte sich heraus, dass die meisten rechtlich nicht so einfach abzuräumen sind. Daher war das Linksunten-Verbot auch ein Symbol der Politik, sie reden nicht nur über Repression, sie handeln auch. Im Übrigen würde ich auch nicht das Vorurteil bedienen, dass die Repression immer schlimmer wird. Das ist keine lineare Entwicklung. Es sei nur daran erinnert, dass während der Anti- AKW-Proteste immer wieder Publikationen dieser Bewegung beschlagnahmt und verboten wurden. Damals gab es auch Razzien in Infoläden und Asten, die die Publikationen ausgelegt und unterstützt haben, aber auch in Druckereien, wo sie hergestellt wurden. Heute wird eben für ein Onlinemagazin ein Verein konstruiert, der dann verboten wird. Endgültig über die Rechtmäßigkeit des Verbots ist noch nicht entschieden, die Prozesse stehen noch aus. Doch das Verbot war sofort vollziehbar und so ist in Deutschland seit über einem Jahr ein Organ des linken Medienpluralismus abgeschaltet, das in der Hochzeit der globalisierungskritischen Bewegung entstanden ist.
Bereits im Juli 2001 anlässlich des G8-Gipfels in Genua gab es einen massiven Repressionsschlag der italienischen Staatsapparate gegen Indymedia-AktivistInnen in der Diaz-Schule. Es gab Massenfestnahmen und zahlreiche Menschen wurden von der Polizei misshandelt und schwer verletzt. Damals solidarisierten sich weltweit viele Menschen und Organisationen mit Indymedia. In vielen Ländern gab es Proteste vor italienischen Botschaften und Konsulaten. Auf jeden Angriff auf Indymedia-Einrichtungen und AktivistInnen folgte damals eine transnationale Solidarität. Doch eine solche Solidarität blieb beim Indymedia-Linksunten-Verbot weitgehend aus, in Deutschland und international.

Das Schweigen der Prantls und Roths dieser Republik

Auch von den linksliberalen und gewerkschaftlichen Spektren in Deutschland gab es kaum Solidarität. Wäre eine kritische Online-Plattform in Venezuela, Russland oder Kuba abgeschaltet worden, wäre die Zahl der KritikerInnen hierzulande vermutlich groß, die Pressefreiheit anmahnen würden. Doch, wenn in Deutschland eine linke Onlineplattform abgeschaltet wird, schweigen die Heribert Prantls und Claudia Roths dieser Republik, die sonst dauerempört sind über all die Übel dieser Welt. Das liegt auch an die Einteilung in MedienaktivistInnen und „richtige JournalistInnen“. So mussten die KollegInnen, die bei den G20-Protesten in Hamburg die Akkreditierung verloren haben oder gar nicht bekamen, immer betonen, dass sie ‚richtige’ JournalistInnen sind, damit sie als Opfer von staatlicher Repression anerkannt wurden. Gerade die linksliberale Kritik verlangt „richtige“, d.h. durch Staatsapparate beglaubigte und durch Presseausweise legitimierte JournalistInnen. Wer dies nicht ist, hat oft wenige Chancen, Gegenstand linksliberaler Solidarität zu werden, wenn er nicht in Kuba, Venezuela oder Russland aktiv ist. Viele der in diesen Ländern verfolgten JournalistInnen sind MedienaktivisInnen. In die Kritik würde ich auch die Deutsche Journalist*innenunion (DJU) bei ver.di mit einbeziehen, die DGB-gewerkschaftlche Interessenvertretung von Journalist*innen. Dazu wurde auf dem letzten JournalistInnentag der DJU ein Kritikpapier unter dem Titel „Kein Kuscheln mit dem Gewaltapparat“ verteilt, das auf labournet.de nachlesbar ist (1). Es geht dort besonders um das Schweigen der Medien in Bezug auf das Linksunten-Verbot, aber auch in Bezug auf andere Staatsrepression nach dem G20-Gipfel. Es ist meines Wissens das einzige Kritikpapier, das diesen Aspekt ohne moralisierende Anklage beleuchtete.

Zum Indymedia-Verbot heißt es dort:

Schwer von Begriff ist der Großteil der deutschen Presse auch in Sachen Indymedia- Linksunten-Verbot. Das Innenministerium konstruiert einen inoffiziellen Verein hinter diesem Portal und verbietet den – das kann es mit jedem Internetauftritt machen, denn das Vereinsgesetz erlaubt das! Indymedia ist ein Medium. Es stellt eine Plattform zum Zweck der Publizistik zur Verfügung. Indymedia Linksunten hat im Lauf der Jahre schon mit Enthüllungen von sich reden gemacht. Für ein Online-Medium gilt das Telemediengesetz, das besagt, dass das Medium auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen werden muss, bevor sie ihm zur Last gelegt werden können. Das ist nicht geschehen.“

Die Staatsinstanzen sind im Fall von Indymedia-Linksunten gar nicht erst in Erklärungsnö- te gekommen, weil die Proteste gegen das Verbot so klein ge- blieben sind. Das ist kein gutes Zeichen, wenn man bedenkt, dass in Zukunft die Grenzen der Legalität noch enger gezogen werden könnten.

Peter Nowak

Anmerkung:
1) www.labournet.de/wp-content/ uploads/2018/01/dju_tag2018.pdf

Der Autor hat auf der Plattform Indymedia- Linksunten Texte namentlich veröffentlicht und sich gemeinsam mit Detlef Georgia Schulze und Joachim Schill nach dem Verbot dazu bekannt. Gegen uns hat die Justiz ein Ermitt- lungsverfahren eingeleitet. Der Aufruf, sich zu bekennen, richtet sich weiterhin an Gruppen und Einzelpersonen. Weitere Infos hier: http:// systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/ category/von-uns-bei-linksunten/nowakschill- schulze-bei-linksunten/

aus: Graswurzelrevolution 433/2018

Diskussion über rechte Geländegewinne

Eine Veranstaltung in Berlin vergaß allerdings, dass Rechten auch immer wieder Räume genommen wurden

In den 1990er Jahren machte der Begriff „national befreite Zone“ die Runde. Es ging um Orte, die Menschen, die nicht ins Weltbild der extrem rechten Bewohner passten, möglichst meiden sollen. Das Dorf Jamel in Mecklenburg-Vorpommern ist heute eine solche „national befreite Zone“.

Eine völkische Dorfgemeinschaft [1] prägt den Ort auch mit ihren Symbolen. „Dorfgemeinschaft Jamel – sozial -national -frei“ steht dort an einer Wand. Die national befreite Zone könnte sich jetzt noch vergrößern. Die Gemeinde hat ein weiteres Grundstück an rechte Investoren verkauft. Dann fehlen dem jährlichen Anti-Rechts-Festival [2] in Jamel die Parkplätze.

Es wird von einem Ehepaar organisiert, das in den Ort gekommen ist, um ihn nicht ganz den Rechten zu überlassen. Für ihre Courage hat es mehrere Preise bekommen. Dass die Rechten und nicht ihre Gegner noch immer Unterstützung von der Gemeinde bekommen, wenn dahinter solvente Investoren stehen, hat bundesweit bisher kaum Resonanz gefunden.

Über den rechten Geländegewinn in Mecklenburg-Vorpommern informierte die Journalistin und wohl beste Kennerin der rechten Szene, Andrea Röpke [3], am Samstag auf der gut besuchten, vom Philosophen Armen Avanessian [4] moderierten Veranstaltung „Rechte Räume“ [5] in der Berliner Volksbühne.

National befreite Zonen wie Jamel waren dabei aber nur ein Thema. Es ging vor allem um ideologische Geländegewinne auch auf Gebieten, wo es gemeinhin nicht vermutet wird.

Rechte Erfolge bei der Stadtrekonstruktion

Der Architekturprofessor Stephan Trüby [6] berichtete darüber, dass die historische Stadtrekonstruktion ein Thema für extrem Rechte ist. So ging die Initiative sowohl für die Rekonstruktion der historischen Innenstadt von Frankfurt/Main [7] als auch den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche von extrem Rechten [8] aus.

Trüby betont allerdings, dass die späteren Akteure nicht aus diesem Spektrum kommen. Deutlich wird hier, dass die Sehnsucht nach einer heilen deutschen Vergangenheit unter Ausblendung der NS-Zeit weite Teile des Bürgertums teilen. Die von Trüby vorgetragenen Thesen erinnern an Debatten einer Linken, die sich in den 1990er Jahren kritisch zur Gestaltung der Neuen Wache in Berlin [9] mit genau den gleichen Argumenten äußerte, die Trüby nun gegen die historische Stadtrekonstruktion vorbringt.

Er bezog sich allerdings nicht auf diese Debatte vor mehr als 25 Jahren. So blieb unklar, ob er davon beeinflusst war. Seine zentrale These, dass es keine rechte Architektur, aber sehr wohl rechte Konzepte für eine nationalistische Stadtentwicklung gibt, dokumentiert Trüby an zahlreichen Beispielen aus dem In- und Ausland.

Der Flügel am Kyffhäuser-Denkmal

Rechte Politiker, nicht nur der AfD, fordern wieder verstärkt, deutsche Denkmäler statt Mahnorte aufzustellen. Auch das zeichnete sich bereits vor mehr als 25 Jahren ab und wurde auch im Zusammenhang mit der Kritik an der Gestaltung der Neuen Wache thematisiert.

Diese Symbolpolitik zeigte Trüby an einem Treffen des völkischen AfD-Flügels, der sich demonstrativ vor dem Kyffhäuserdenkmal ablichten lässt, einer der historisch wirkungsmächtigsten völkischen Mythenorte in Deutschland.

Gefährlicher aber dürfen jene von Trüby gezeigten rechten Orte seins, in denen beispielsweise die faschistische italienische Organisation Casa Pound (https://de-de.facebook.com/casapounditalia/ [10] eine hippe rechte Postmoderne [11] zelebriert. Dort werden Menschen angesprochen, die für den muffigen Kyffhäuser-Kult wohl kaum zu begeistern sind.

Auch die rechte Initiative Kulturraum Land [12] die in den Dörfern „patriotische Zentren“ aufbauen will, könnte Zulauf bekommen. Zu Beginn der Veranstaltung wurde von Armen Avanessian angekündigt, auch die Gegenstrategien sollten nicht zu kurz kommen.

Doch da blieb nach knapp zwei Stunden neben den Jamelner Antirechts-Festival nur die bekannte und kontrovers diskutierte Aktion des Zentrums für politische Schönheit [13] übrig, in unmittelbarer Nachbarschaft von Höcke in Bornhagen ein Holocaust-Denkmal in Miniaturformat [14] nachzubauen.

Die bekannteste Persönlichkeit des Zentrums, Philipp Rucht, erläuterte noch einmal die Aktion, ohne auf die Kritik einzugehen, dass damit auch eine Banalisierung des Holocausts betrieben werde. Sehr anschaulich wurde das Agieren einer rechten Bürgerwehr gezeigt, die die Höcke-Kritiker sofort aus dem Dorf treiben wollten.

Auch auf Namensspielchen, wo aus Björn „Bernd Höcke“ wird [15], ging Rucht ein. Er verwies auf eine weitere Kulturaktion, in der Höcke mit dem Pseudonym Landolf Ladig [16] verbunden wird.

Nach Sprachvergleichen [17] des Münsteraner Sozialwissenschaftlers Andreas Kemper [18] soll Höcke für NPD-nahe Publikationen Artikel verfasst haben, bevor er in der AfD aktiv wurde.

Höckes Dementi wurde selbst von Teilen der AfD nicht geglaubt. Im Ausschlussantrag der AfD unter Frauke Petry wurde auf die Arbeit von Kemper verwiesen. Auch der Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes Kramer zitierte aus Artikel von Kemper zu Höcke in der libertären Wochenzeitung Graswurzelrevolution [19] und löste damit einen rechten Shitstorm [20] aus.

Kramer hatte zunächst Kemper nicht als Quelle angegeben, sich für das Versäumnis entschuldigt. Auch Rucht vergaß bei seinem Vortrag in der Volksbühne, die Quelle für seine Ladig-Höcke-Satire zu benennen. Allerdings sind im Internet Kempers Texte verlinkt.

Keine Erwähnung von linken Räumen

Egal, wie man zu den Aktionen des Zentrums für politische Schönheit steht, als Gegenstrategien zur Ausbreitung rechter Räume können sie nicht gelten. Dieser Punkt blieb am Samstag ausgespart, obwohl Armen Avanessian ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Punkt nicht zu kurz kommen solle.

Dabei hätte man doch Beispiele aus Berlin nehmen können, wie Rechte ihre Räume auch wieder verloren haben. Das in den früheren 1990er Jahren von Neonazis besetzte Haus in der Lichtenberger Weitlingstraße [21] wäre da ebenso zu nennen wie eine Straße in Oberschöneweide, wo zivilgesellschaftliche Gruppen die Etablierung einer nationalen Zone [22] eindämmten [23].

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4205757
https://www.heise.de/tp/features/Diskussion-ueber-rechte-Gelaendegewinne-4205757.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.facebook.com/events/753726978170928
[2] https://www.forstrock.de/
[3] https://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=6&autoren_id=289
[4] https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2018/geduld/armen-avanessian-interview-wir-haben-keinen-positiven-zukunftsbegriff-mehr
[5] https://www.volksbuehne.berlin/de/programm/5901/rechte-raeume
[6] https://www.ar.tum.de/aktuell/news-singleview/article/prof-stephan-trueby-wechselt-zur-universitaet-stuttgart/
[7] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/neue-frankfurter-altstadt-durch-rechtsradikalen-initiiert-15531133.html
[8] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2018/januar/sehnsuchtsort-der-neuen-rechten-die-potsdamer-garnisonkirche
[9] https://theculturetrip.com/europe/germany/articles/k-the-kollwitz-and-berlin-s-neue-wache/
[10] CasaPoundhttps://de-de.facebook.com/casapounditalia/
[11] https://www.antifainfoblatt.de/tags/casa-pound
[12] https://einprozent.de/blog/gegenkultur/kulturraum-land-fleissige-helfer-gesucht/2364
[13] https://www.politicalbeauty.de/
[14] https://www.politicalbeauty.de/mahnmal.html
[15] https://www.koelner-abendblatt.de/artikel/politik/warum-bernd-hoecke-afd-von-manchen-medien-bjoern-genannt-wird-22858186.html
[16] https://www.politicalbeauty.de/landolf/
[17] https://andreaskemper.org/2016/01/09/landolf-ladig-ns-verherrlicher/
[18] https://andreaskemper.org
[19] https://www.graswurzel.net/gwr/
[20] https://www.graswurzel.net/gwr/2018/10/linksextremes-schmierblatt/
[21] http://telegraph.cc/berliner-hausbesetzerinnen-geschichte-das-neo-nazi-haus-weitlingstrasse-122-in-berlin-lichtenberg/
[22] https://www.antifa-berlin.info/sites/default/files/dateien/artikel/Schoeneweide.pdf
[23] http://www.taz.de/!5291945/

Tee trinken und solidarisch sein

Die französische Kooperative Scop Ti produziert fairen Tee

Einst produzierten sie für Unilever, seit vier Jahren in eigener Regie – die Teerebell*innen im südfranzösischen Gémenos bei Marseille.

1336 – die Zahl steht auf allen Packungen der unterschiedlichen Teesorten der südfranzösischen Kooperative Scop Ti. Die Zahl hat eine besondere Bedeutung. Sie soll an die Fabrikbesetzung erinnern, die 1336 Tage dauerte. Nun will die Kooperative ein Vertriebssystem mit anderen Ländern aufbauen. Mehr als drei Jahre hatten die Beschäftigten in der Gemeinde Gémenos im Arrondissement Marseille gegen den Unilever-Konzern gekämpft und die Produktion schließlich selbst übernommen.

Im Jahr 2011 wollte Unilever die Produktionsstätte der bekannten Teemarke Lipton Elephant von Frankreich nach Polen verlagern. Aber der Konzern hatte die Rechnung ohne die Arbeiter*innen gemacht. Die besetzten die Fabrik und forderten die Rücknahme des Schließungsbeschlusses. Zunächst wurden sie vom Management und der französischen Politik belächelt. Doch nach 1336 Tagen waren es die Arbeiter*innen, die lachen konnten: Der Konzern gab nach – und zahlte den Rebell*innen mehrere Millionen Euro. »Nach fast vier Jahren Konflikt musste man einen Ausweg finden, damit beide Seiten ihren Weg unabhängig voneinander fortsetzen können«, begründete Unilever Frankreich die Einigung. Die Belegschaft konnte in Eigenregie weiter produzieren und bekam von Unilever eine Starthilfe von 20 Millionen Euro für die Gründung einer Genossenschaft.

Die neu gegründete Kooperative Scop Ti produziert verschiedene biologisch und regional angebaute Teesorten. Den alten Namen Lipton Elephant durften sie nicht mehr benutzen. Heute sehen das die Beschäftigten positiv. Denn die 1336 erinnert immer an die Kämpfe, die dafür sorgten, dass es den Tee heute überhaupt noch gibt.

Auch in der Fabrik ist die rebellische Vergangenheit gut dokumentiert. Ein großes Konterfei von Che Guevara fällt den Besucher*innen im Fabrikhof sofort ins Auge. An den Fenstern hängen Plakate, die zu aktuellen Arbeitskämpfen mobilisieren.

In den Betriebsräumen hat nach den aufreibenden Kämpfen und rauschenden Siegesfeiern der nicht immer einfache Alltag einer selbstverwalteten Fabrik in einem kapitalistischen Umfeld Einzug gehalten. Scop Ti muss sich auch ohne Chef am Markt behaupten. Für die Beschäftigten bedeutet das zuweilen Sonderschichten. Immer wieder mal gibt es auch technische Probleme. »Und die müssen wir selber lösen«, sagt Henri Soler mit Stolz in der Stimme. Der Fünfzigjährige hält auch nach dem Ende der Besetzung an seinen egalitären Idealen fest. Gern hätte er einen Einheitslohn für alle Beschäftigten eingeführt, doch der Antrag wurde von der Mehrheit der knapp 80-köpfigen Belegschaft abgelehnt. Es könne nicht sein, so das Gegenargument, dass ein junger Kollege, der gerade erst in der Fabrik angefangen hat und sich wenig für die Selbstverwaltung engagiert, genau so viel verdient wie ein Beschäftigter mit jahrelanger Erfahrung, der sich in verschiedenen Kommissionen an der Selbstverwaltung der Fabrik beteiligt. Soler bedauert die Entscheidung, doch sein Engagement ist ungebrochen. Schließlich hängt davon der Erfolg der gesamten Firma ab.

Seit knapp einem Jahr wird der Tee aus selbstverwalteter Produktion in Deutschland über die Union Coop vertrieben. Das ist ein Zusammenschluss von gewerkschaftlichen Kollektivbetrieben, die sich auf Grundlage einiger Prinzipien zusammengetan haben. Diese Prinzipien verpflichten jeden Union-Coop-Betrieb, jedem Belegschaftsmitglied die gleichen Rechte bei Entscheidungen und Entlohnung einzuräumen. Zudem muss sich der Betrieb um Transparenz und solidarisches Wirtschaften bemühen. Für Hans Oostinga, der in der Berliner Union Coop aktiv ist, war es darum selbstverständlich, den Tee aus Südfrankreich mit ins Sortiment aufzunehmen.

»Es ist nicht nur eine konkrete Solidarität für dieses beeindruckende Experiment eines von den Beschäftigen in Eigenregie verwalteten Betriebs, sondern auch ein praktischer Ansatzpunkt für eine wirtschaftliche Gegenmacht. Zumal die Belegschaft einen ähnlichen Ansatz vertritt und sich nicht nur während des langjährigen Kampfes, sondern auch heute noch als Teil einer breiteren sozialen Bewegung positioniert«, propagiert Oostinga das solidarische Teetrinken.

aus: nd-Commun, 27.10.2018

Von Peter Nowak

Die Bilderpolitik und die Polizei

Während ein Gerichtsurteil der Polizei verbietet, auf Demonstrationen sichtbar zu fotografieren, entwickelte das Peng-Kollektiv ein System, um die Polizei zu erkennen, bevor man sie sieht

Die Bilderpolitik der Polizei steht in der Kritik. Erst kürzlich urteilte [1] das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dass die Polizei auf Demonstrationen nicht zum Zwecke der Öffentlichkeit fotografieren dürfe.

Die Begründung ist aber mehrdeutig. Die Taz fasst sie so zusammen: „Die Richter urteilten, dass die Polizei für die Demonstrierenden wahrnehmbar fotografiert hatte und das sei rechtswidrig. Bei Kundgebungen dürfe nicht der Eindruck von staatlicher Überwachung entstehen.“

Daraus konnte man dann schließen, dass das Gericht das Fotografieren, wenn es die Demonstranten nicht bemerken, nicht beanstandet. Dann entstünde nicht mehr sofort der Eindruck der staatlichen Überwachung, die real trotzdem vorhanden wäre. So würde das Urteil das Konzept der Polizei als bürgernaher Dienstleister, der mit seinen Fotografenteam mit der Bezeichnung Social-Media-Team sogar Partner bei der Öffentlichkeitsarbeit der Demonstranten sein will, konterkarieren. Doch bei Demonstrationen mit nicht so kooperativen Teilnehmern ist das Konzept der nicht wahrnehmbaren Überwachung sowieso noch immer angesagt.

Öffentliche Fahndung in der Kritik

Dann praktiziert die Polizei eine ganz andere Art von Bilderpolitik und gerät auch damit in die Kritik. Vor einigen Tagen veröffentlichte die Berliner Polizei im Zusammenhang mit angeblichen Straftaten bei Demonstrationen am 1. Mai 2018, der nach Meinung von Presse und Polizei [2] der friedlichste seit Langem war, die Fotos von neun Verdächtigten. Mehrere konservative Medien und rechte Onlineplattformen haben die Fotos ebenfalls online gestellt.

Zunehmend werden Fahndungsfotos von Menschen veröffentlicht, die einer Straftat verdächtigt werden. Dass sie, weil nicht verurteilt, als unschuldig zu gelten haben und trotzdem an den Pranger gestellt werden, ist ein gewichtiger Einwand gegen diese Fahndungsmethoden, die daher hier auch nicht durch eine Verlinkung unterstützt werden sollen. Das ist auch ein Grund, warum manche Bevölkerungsteile über die Polizeipräsenz informiert werden wollen, bevor sie sie sehen. Ihnen kann jetzt geholfen werden.

„Cop Map – gegen drohende Gefahr vor wem?

Das Peng-Kollektiv [3], laut Eigenwerbung „ein explosives Gemisch aus Aktivismus, Hacking und Kunst im Kampf gegen die Barbarei unserer Zeit“, hat mit der Cop Map [4] ein Ortungsprogramm für Menschen entwickelt, die wissen wollen, wo sich in ihrer Nähe Polizisten aufhalten.

Nun ist die besondere Dienstleistung ja sehr vielfältig verwendbar. Vielleicht wünscht sich jemand Polizei in der Nähe, weil er oder sie bedroht oder verfolgt wird. Schließlich heißt es zu der Dienstleistung „Drohende Gefahr – Melde Cops in Deiner Nähe“. Doch die Peng-Zielgruppe sieht in der Polizei wohl eher eine Ursache und nicht einen Schutz vor dieser drohenden Gefahr. Der Text lässt da wenig Interpretationsspielraum:

Eine „drohende Gefahr“ ist, was die Polizei als potentiell gefährlich einstuft, auch ohne konkreten Anlass. Damit wird Polizeiwillkür noch mehr Tür und Tor geöffnet. Die Polizei wird selbst zu einer Gefahr für Grundrechte, für Freiheit und Demokratie. Für bestimmte Menschen war sie das schon immer, spätestens ab jetzt stellt sie aber für alle eine Bedrohung dar. Es ist Zeit für eine Solidarisierung! Darum starten wir die Cop Map. Hier kannst du Polizeipräsenz und Kontrollen in deiner Nähe melden, sehen und vermeiden. Du kannst einen Direktlink zu dieser Webseite auf deinem Smartphone speichern, so dass du die Seite immer schnell öffnen kannst.

Text von Cop Map

Es ist fast zu bedauern, dass das Peng-Kollectiv nicht mehr mit den Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen spielt und es den Nutzern überlässt, ob sie die Polizei als Ursache der Gewalt sehen oder nicht. Waren nicht auch schon mal erklärte Polizeigegner gezwungen, die Polizei zu rufen, weil sie ausgeraubt oder bedroht wurden? Zudem wäre auch ohne diese unmissverständliche Klarstellung wohl kaum jemand auf die Idee gekommen, die Cop Map sei ein Service der Polizei wie das Social-Media-Team.

Auch die Polizeiklasse [5], mit der Peng für die Erstellung der Cop Map kooperiert, ist nicht etwa ein Hort kritischer Polizistinnen und Polizisten, sondern ein Münchner Künstlerkollektiv. Sie wollen damit gegen das neue bayerische Polizeigesetz protestieren [6]. Gemeinsam haben sie die interaktive Map entwickelt, auf der Polizeistandorte in aller Welt markiert werden können.

Verwunderlich ist nicht, dass in als Gefahrengebieten deklarierten Räumen die Polizeidichte höher ist als in der Provinz von Brandenburg und Mecklenburg, wo alle Parteien damit Wahlkampf machen, dass sie mehr Polizei vor Ort fordern. So könnte die Cop Map hier auch denen Argumentationshilfen geben, die immer beklagen, dass irgendwo zu wenig Polizei positioniert wird. Nun können sie es sogar auf der Map beweisen. Denn, es ist ja nicht davon auszugehen, dass das Peng-Narrativ, dass die Polizei die Bedrohung ist. von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird.

Empörte Politiker und Polizisten machen Cop Map bekannt

Das scheint aber die Polizeigewerkschaft ebenso wenig zu beruhigen, wie konservative Politiker verschiedener Parteien. Die könnten sich schließlich bedanken, dass das Peng-Kollektiv den Menschen hilft, die die Polizei suchen. Stattdessen übten sie sich in der rituellen Empörung [7]. Sie sehen, wie die Polizeigewerkschaft, das Leben der Polizisten in Gefahr oder fordern wie Berliner Unionspolitiker sogar eine Löschung der Cop-Map.

Eine bessere Werbung für das Projekt kann man sich kaum vorstellen. Die Zugriffe schnellten in die Höhe. Dann gab es bald Stimmen zur Besonnenheit auch im bürgerlichen Lager. Schlauere sinnierten darüber, dass die Cop Map ja auch zu gesetzestreueren Verhalten führen könnte. Schließlich werden die meisten Nutzer die Information über Polizei in ihrer Nähe nicht zum Angriff auf diese nutzen, sondern beispielsweise bestimmte inkriminierte Gegenstände oder Rauchutensilien nicht mitzuführen oder zu nutzen. Schließlich führt eine Map, auf der der Standort von Kontrolleuren im Öffentlichen Nahverkehr verzeichnet wird, in der Regel dazu, dass mehr Passagiere ein Ticket kaufen, und die Information über verborgene Blitzer fördert regelangepasste Fahrweisen.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4205438
https://www.heise.de/tp/features/Die-Bilderpolitik-und-die-Polizei-4205438.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Gericht-Presseteam-der-Polizei-darf-bei-Demos-nicht-fotografieren-4199389.html
[2] http://www.taz.de/!5502314/
[3] https://pen.gg/de/
[4] https://www.cop-map.com/
[5] https://www.polizeiklasse.org/
[6] https://www.welt.de/politik/deutschland/article182732446/Polizei-Warnsystem-Warum-bayerische-Polizisten-von-der-Cop-Map-genervt-sind.html
[7] https://www.berliner-kurier.de/berlin/polizei-und-justiz/polizei-hasser-haben-die-von-peng-einen-knall–31488476

Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn

Schlecht, wenn der Job an die Nieren geht. Und ans Hirn

Die neoliberale Radikalisierung in der Arbeitswelt, sagt Wolfgang Hien, bürde Körper, Geist und Seele hohe Belastungen auf. Die Folge: Arbeitsbedingte Krankheiten nehmen zu. „Dieser Entwicklung sollte Einhalt geboten werden. Dafür möchte ich meine arbeits- und gesundheitswissenschaftliche Kompetenz einsetzen.“ Damit hat Hien, geboren 1949 im Saarland, sein lebenslanges Engagement für den Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt recht gut beschrieben. Warum das Thema zu seiner Lebensaufgabe wurde, kann man in dem langen Gespräch erfahren, das Hien mit dem Historiker Peter Birke geführt hat, und woraus „Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn“ besteht. Hien beginnt damit, wie ihn seine Erfahrungen als Auszubildender beim Chemieriesen BASF in Ludwigshafen geprägt haben. Dann klärt er auch die Verwirrung auf, die der Untertitel „68 und das Ringen um eine menschenwürdige Arbeit“ bei manchen auslösen mag. Schließlich schien Hien im BASF-Labor weit weg von den Unis, in denen Studierende Marx und Adorno zu lesen begannen.
Doch Hien beschreibt einprägsam, wie sehr ihn und einige BASF-Kollegen der gesellschaftliche Aufbruch Ende der 1960er Jahre beeinflusste. Wie er nach einigen Jahren die Fabrik verließ, das Abitur nachholte und ein Studium begann. Und wie er auch danach den Kampf um den Gesundheitsschutz in der Chemieindustrie fortsetzte.
Peter Birke, eine Generation jünger als sein Gesprächspartner, gelingt es, die Biographie Hiens auszuleuchten und zugleich Elemente einer Gegengeschichte der Industriearbeit in Deutschland aufzuzeichnen: Etwa wenn Hien von der Kooperation zwischen Umweltinitiativen und kritischen Gewerkschaftern erzählt, die es in den 1980er Jahren auch in der Chemiebranche gab. „Mitmischer“ nannte sich eine der Gruppen im Rhein-Main-Gebiet, in der Hien gemeinsam mit Chemiearbeitern organisiert war, „Mitmischer“ nannte sich auch eine Betriebszeitung, die in einer Auflage von 10 000 Exemplaren von den 1970er bis in die 1990er Jahre bei BASF Ludwigshafen verteilt wurde. Fast in jeder Nummer wurden die Kollegen über die giftigen Substanzen informiert, mit denen sie ständig in Berührung kamen.
Der gut besuchte Alternative Gesundheitstag 1980 in Berlin gab Hien Inspiration für sein Engagement, Betriebsbasisgruppen für Gesundheit aufzubauen. Mit den esoterischen Strömungen, in die Teile der Gesundheitsbewegung später abdrifteten, hatte er nichts im Sinn. Ihm ging es darum, den Bedingungen in der Arbeitswelt den Kampf anzusagen, die die Menschen krank machen. Zu seinen Kontrahenten gehörten dabei nicht nur Industrieverbände, sondern oft auch Betriebsräte und Gewerkschaften, die auf Sozialpartnerschaft setzten. Deshalb war es für viele eine Überraschung, dass Hien 2003 Referent für Gesundheitsschutz beim DGB-Vorstand wurde.
Doch schnell geriet er mit seinen Engagement für eine Arbeitswelt, in der auch die Langsamen und chronisch Kranken ihren Platz haben sollen, in Konflikt mit einer Gewerkschaftslogik, die Arbeitsplätze vor Gesundheitsschutz stellt. Hien beschäftigt vielmehr die Frage, wie Lohnarbeit so gestaltet werden kann, dass auch Alte, Kranke und Schwache darin ihren Platz finden.
In einer Zeit, in der Beschäftigte ständig erreichbar und flexibel sein sollen, hat diese Fragestellung nichts von ihrer Dringlichkeit verloren. So ist der Gesprächsband nicht nur Erinnerung an linke Geschichte, sondern auch ein sehr aktuelles Buch.

Peter Nowak

Gegen die Zerstörung von Herz und Hirn – „68“und das Ringen um Menschenwürde Arbeit, Wolfgang Hien, Peter Birke, VSA-Verlag 2018, 256 Seiten, 22,80 Euro,

aus Wochenzeitung Freitag, Nr. 43, 25.Oktober 2018,

Repression gegen linke Band

Repression gegen linke Band

Die Musiker_innen der türkischen Band singen gegen Rassismus und Nazis und werden dennoch wie eine Terrorgruppe behandelt. Auf der letzten Bundesinnenministerkonferenz wurde sogar ein Verbot Band diskutiert. Die 1985 gegründete Musikgruppe, die aus ihrer linken politischen Gesinnung nie ein Geheimnis machte, wird von den Ermittlungsbehörden als Bestandteil der linken türkischen DHKP-C betrachtet, die in Deutschland und der Türkei verboten ist. Doch auch ohne formelles Verbot werden Auftritte der Band in Deutschland seit Jahren massiv behindert. Bei einem Konzert Ende September in Frankfurt/Main gab es massive Auflagen durch di Polizei. So durfte die Band mehrere Songs nicht spielen. Es durften keine Spenden gesammelt und auch keine T-Shirts oder CDs der Band verkauft werden. Zu den Auflagen gehörte auch, das Verbot Bilder und Fotos des nach dem §129b in Hamburg inhaftierten Musa Asoglu auf dem Konzert zu zeigen. Auch in der Türkei hat am 3.10. ein Prozess gegen 10 Yorum-Musiker*innen begonnen. Rechtsrockbands hatten in Deutschland bisher kaum Probleme mit dem Auftritt, dürften hohe Eintrittspreise nehmen und Spenden sammeln.

ak 642 vom 16.10.2018

Peter Nowak

Kippt Italien die europäische Austeritätspolitik?

Ein von unten organisiertes, europäisches Referendum könnte eine Chance für die Linke sein

Muss die Linke jetzt die Hoffnung in eine ultrarechte italienische Regierung setzen? Diese Frage stellt sich, nachdem die italienische Regierung aus der ultrarechten Lega Nord und der Fünf-Sterne-Bewegung zumindest vorerst im EU-Haushaltsstreit nicht sofort einknickt. Die EU-Kommission hatte den Haushaltsentwurf Italiens zurückgewiesen, weil die Neuverschuldung für die EU zu hoch ist.

Die italienische Regierung hat einerseits erklärt, den Entwurf noch einmal durchrechnen, aber nichts Grundsätzliches ändern zu wollen. Nun sind da schon Zweifel angebracht. Schließlich kann ja beim erneuten Durchrechnen mit Haushaltstricks auch der Schuldensatz noch verkleinert werden. Zumal war es nicht die Lega Nord, sondern ihr Koalitionspartner mit seiner Investitions- und Sozialpolitik, der die EU-Kommission verärgerte.

Doch die Lega Nord beteiligt sich am „Krieg gegen die EU“, solange die Auseinandersetzung in großen Teilen der italienischen Bevölkerung populär ist. Sollte sich das ändern, dürfte der Streit die Koalition belasten. Da muss gleich mit dem Missverständnis aufgeräumt werden, dass eine Gegnerschaft zur Austeritätspolitik per se links ist.

Unterschiedliche Vertreter eines nationalen Kapitalismus sind auch dagegen, dass eine von niemandem gewählte Brüsseler Kommission sich anmaßt, über den Haushalt sämtlicher EU-Länder zu bestimmen. Dann gibt es keynsianistische Kritiker der Austeritätspolitik, die in einer begrenzten Verschuldung die Möglichkeit sehen, die Wirtschaft anzukurbeln.

Weiter gibt es verschiedene linke Gruppen, die das aktuelle EU-Projekt ablehnen, weil es eben ein kapitalistisches Projekt ist und in den EU-Erklärungen daraus auch kein Geheimnis gemacht wird. Die vier Grundfreiheiten der EU – freier Fluss von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften und freier Kapitalverkehr – machen das ganz klar deutlich. Es geht eben nicht um die freie Fluktuation aller Menschen, was manche linke Verteidiger der EU wohl gerne so missverstehen.

Deshalb geht auch die Verwunderung darüber fehl, dass die kapitalfreundliche italienische Regierung gegen EU-Vorgabe interveniert. Es geht hier darum, dass eine Regierung den nationalen Kapitalismus ankurbeln will und dabei in den Konflikt mit EU-Vorgaben kommt.

Segelt die Linke europapolitisch im Windschatten der Linksliberalen?

Bei der Auseinandersetzung um die Austeritätspolitik steckt die Linke in einem Dilemma. Als die griechische Syriza-Regierung gegen diese Politik Sturm lief, hätte ein Erfolg der europäischen Linken Auftrieb gegeben. Ihre wesentlich von Deutschland betriebene Niederlage schuf erst die Grundlagen für die Erstarkung der Rechtskräfte in ganz Europa.

Doch, da nun die italienische Regierung die EU-Austeritätspolitik insgesamt infrage stellt, fragen sich natürlich verschiedene Reformlinke wie Peter Wahl [1] von Attac [2], wie sie sich hier positionieren sollen [3].

Auf die Frage, ob die Linke das Geschäft der Rechten betreibt, wenn sie den Kampf der italienischen Regierung gegen das Spardiktat aus Brüssel unterstützt, verweist Wahl auf die Defizite einer Linken, die europolitisch oft im Wind segelt. Die Kritik ist größtenteils berechtigt. So wird in Deutschland die kleine linke Pro-Brexit-Fraktion [4] in Großbritannien meist ignoriert [5].

Mit dem Verweis auf nicht näher definierte europäische Werte wird gerechtfertigt, dass EU-Gerichte ein vom polnischen Parlament mit großer Mehrheit beschlossene Justizreform mal eben außer Kraft setzen. Mal abgesehen davon, dass die Herabsetzung des Rentenalters bei allen Berufsgruppen, auch bei Richtern, aus gewerkschaftlicher Sicht überfällig ist, geht es hier vor allem darum, dass EU-freundliche Richter protegiert werden.

In anderen EU-Ländern ist die EU-Justiz längst nicht so streng mit einer Justiz, die klar im Dienst der Politik steht. Oder erinnert sich niemand mehr, an den Umgang der spanischen Justiz, mit den Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung? Obwohl deren Entscheidungen so deutlich im Interesse der spanischen Regierungspolitik lagen, sah die EU-Justiz hier keine Verletzung europäischer Werte.

Das festzustellen, heißt weder im Fall von Spanien/Katalonien noch im Fall von Polen sich inhaltlich auf einer Seite zu positionieren. Es gilt nur festzustellen, dass die scheinbar neutrale Berufung auf europäische Werte schon eine Positionierung darstellt. Wenn nun manche Linke im Streit zwischen italienischer Regierung und EU Partei für Letztere ergreifen, sorgen sie dafür, dass sich die Rechte als einzige Kämpfer gegen die Austerität gerieren kann.

Nicht nur Italien im Visier

Dabei gilt es festzuhalten, dass die EU-Kommission auch an Frankreich, Slowenien, Belgien, Spanien und Portugal blaue Briefe geschickt hat, weil die alle gegen die Sparrichtlinien verstoßen würden. Nur machen die anderen Regierungen nicht ein solche großes Brimborium darum. Die italienische Regierung nutzt den Konflikt innenpolitisch.

Dabei zeigt sich an den insgesamt sechs blauen Briefen aus Brüssel, wie absurd die Austeritätspolitik geworden ist. So wird Portugal von vielen Ökonomen bescheinigt, dass das Nichteinhalten des Austeritätsdiktats zu seinem Wirtschaftswachstum beigetragen haben.

In Griechenland kann man dagegen sehen, wie die Austeritätspolitik zur Verelendung der Menschen kombiniert mit einem Niedergang der Wirtschaft geführt hat. Für eine europäische Linke wäre es an der Zeit, diese Fakten in den Mittelpunkt zu stellen und zu einer transnationalen Kampagne zu mobilisieren, die sich erklärtermaßen nicht an die Parteien richtet.

Warum ein Referendum über die EU-Austeritätspolitik an der Zeit wäre

Es wäre angebracht, parallel zu den EU-Wahlen im nächsten Jahr ein Referendum in den EU-Ländern zu organisieren, das alle Menschen, die in diesen Ländern leben, danach befragt, ob sie für eine Fortsetzung oder ob sie für ein Ende der Austeritätspolitik eintreten. Es sollen ganz bewusst alle in den EU-Ländern lebende Menschen befragt werden, weil sie alle von dieser Politik betroffen sind und Migranten oft besonders stark.

Das Referendum könnte von vielfältigen Aktionen und Demonstrationen begleitet werden. Wichtig wäre, dass es zeitgleich in allen EU-Ländern läuft. Ein solches Referendum wäre ein Zeichen, dass es das viel zitierte „andere Europa“ gibt.

Sollte die Linke zu einem solchen Schritt nicht in der Lage sein und es vorziehen, lieber weiter darüber nachzudenken, ob sie jetzt den Rechten zuarbeitet, wenn sie weiter gegen die Austerität der EU-Organe auftritt, gibt sie den Kampf schon verloren, bevor sie ihn überhaupt begonnen hat.

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4204525
https://www.heise.de/tp/features/Kippt-Italien-die-europaeische-Austeritaetspolitik-4204525.html

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.weed-online.org/about/personen/wahl.html
[2] https://www.attac.de/startseite/
[3] https://www.presseportal.de/pm/59019/4095643
[4] https://www.thefullbrexit.com/
[5] https://www.heise.de/tp/features/Die-Linke-war-in-der-Brexit-Debatte-nicht-praesent-3255724.html

Möglichkeiten von Befreiung

Karl Reitters »Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens«

Der 2011 verstorbene Heinz Steinert war ein Universalgelehrter. Er studierte Philosophie, Psychologie, Germanistik und Literaturwissenschaft, absolvierte eine psychoanalytische Ausbildung, wurde im Fach Psycho­logie promoviert und habilitierte sich in Soziologie. Er war Mitbegründer und bis 2000 wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Rechts- und ­Kriminalsoziologie in Wien und von 1978 bis 2007 Professor für Sozio­logie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Nun ist eine Einführung in das Denken Steinerts, der mit ­seiner Arbeit immer auch die gesellschaftliche Emanzipation vorantreiben wollte, erschienen. Verfasst hat sie der Wiener Philosoph Karl Reitter.

Mit Adorno und der Frankfurter Schule hatte sich Steinert jahrelang beschäftigt. Während er trotz aller Kritik im Detail die Frankfurter Schule zum widerständigen Denken zählte, hielt er Max ­Webers zentrales Werk »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« für unwissenschaftlich. Reitter zeichnet in einem Kapitel die gravierenden Fehler nach, die Steinert Weber nachwies. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Kriminalsoziologen Steinert, der sich wissenschaftlich begründet für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse einsetzte und die Sinnhaftigkeit von Haft­strafen hinterfragte.

Dabei formulierte er Thesen, die gerade in der derzeitigen Law-and-Order-Stimmung erstaunlich aktuell sind: »Zwischen der Strenge der Strafen, der Anzahl der Menschen in Gefängnissen und der Summe der verübten Strafen besteht ein erkennbarer Zusammenhang. Weder die Höhe der Strafen noch die Wahrscheinlichkeit, ein­gesperrt zu werden, selbst die Todesstrafe verhindern Verbrechen.« Reitter schließt das informative Buch mit der Hoffnung, dass es dazu beitrage, »widerständiges Denken ­bekannter zu machen«. Das ist ihm zu wünschen.

Karl Reitter: Heinz Steinert und die Widerständigkeit seines Denkens. Dampfboot-Verlag, Münster 2018, 213 Seiten

https://jungle.world/artikel/2018/43/moeglichkeiten-von-befreiung

Peter Nowak

Wenn die Medien Klischees verbreiten


Bei einer Berliner Fachtagung wurde die Berichterstattung über Sinti und Roma kritisiert

Sie sind nicht sesshaft, halten es wegen ihres Wandertriebs nie lange an einen Ort aus und sind deshalb zu einem Leben am Rande der Gesellschaft verdammt. Diesen Stereotypen über Sinti und Roma, die immer wieder in deutschen Medien zu lesen sind, widmete sich am Mittwoch eine Fachtagung von Amaro Foro in Berlin. Die »Jugendorganisation von Roma und Nichtroma« setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, dass Roma und Sinti in Deutschland nicht mehr Bürger*innen zweiter Klasse sind.

Dieser Anspruch wird auch von Medien oft nicht eingehalten, die sich klar gegen Rassismus positionieren. »Über Sinti und Roma werden in den Medien Dinge verbreitet, die man heute über andere Minderheiten nicht mehr sagen würde«, betonte auf der Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung die »Spiegel«-Kolumnistin Ferda Ataman. Sie ist Sprecherin der »Neuen Deutschen Medienmacher«, einem Zusammenschluss von Journalist*innen, die auch in der Berichterstattung deutlich machen wollen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Andrea Wierich, die Pressereferentin von Amaro Foro, verwies auf die Berichterstattung über als »Horrorhäuser« apostrophierte Gebäude im Ruhrgebiet und Berlin in den letzten Jahren. In den Häusern müssen Arbeitsmigrant*innen aus osteuropäischen Ländern unter beengten Bedingungen leben und dafür noch hohe Mieten bezahlen. Die Medien könnten die Wohnungskrise thematisieren, die Menschen zwingt, unter solch schlechten Bedingungen zu leben. Sie könnten skandalisieren, dass Hauseigentümer*innen hier mit dem Elend der Menschen Profite machen und auf die Verantwortung der Politik weisen. Doch in der Regel werden die Opfer verantwortlich gemacht und behauptet, die Zustände lägen an der Lebensweise der Roma und Sinti, kritisierte Wierich.

Wie wenig zahlreiche Medien an Berichten interessiert sind, in denen Roma und Sinti nicht mit Armut, Flucht und Kriminalität in Verbindung gebracht werden, wurde durch eine Stellungnahme deutlich, die sie zu der Fachtagung veröffentlicht wurde. Dort wurde noch einmal an die diesjährige Bundesjugendkonferenz der Sinti und Roma erinnert, die Anfang Oktober 2018 in Berlin stattgefunden hat. Dort diskutierten die Teilnehmer*innen über ihre Vorstellungen einer solidarischen Gesellschaft und den Kampf gegen den Aufstieg der Rechten. »Es gab ein Presseteam, um die Fragen der zahlreich eingeladenen Journalist*innen entgegenzunehmen. Doch keine einzige Pressevertreter*in ist gekommen«, kritisiert Anita Burchardt von Amaro Drom e.V. . Es sei nicht das erste Mal gewesen, dass die Medien Veranstaltungen ihrer Organisation ignoriert hätten.

Über engagierte junge Roma und Sinti, die nicht als Opfer auftreten, sondern klar ihre Vorstellungen haben und ihre Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen äußern, werde nicht berichtet, so das ernüchternde Fazit von Burchardt. Das auf der Tagung aufgeworfene Thema sollte auch Organisationen wie die Deutsch Journalist*Innenunion interessieren, die in Berlin vermisst wurden. Denn Antiziganismus ist wie alle Formen rassistischer Unterdrückung ein Problem der Mehrheitsgesellschaft und nicht der Opfer, betonte Wierich. Das scheint aber bisher bei vielen Medien noch nicht angekommen zu sein.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1104363.darstellung-von-minderheiten-wenn-die-medien-klischees-verbreiten.html

Peter Nowak

Mieter/innen machen Lärm vor Firmensitz von Padovicz

Proteste gegen das Gebaren der Berliner Immobilienfima Padovicz gibt es schon lange. Doch am 25.10. trugen Mieter/innen ihren Unmut direkt vor den Firmensitz von Padovicz am Kurfürstendamm 178/179. Wie viele andere Immobilienfirmen, hat auch Padovicz sein Domizil im noblen Berliner Westen, während er mit der Umstrukturierung von Stadtteilen Profit macht, in denen bisher einkommensschwache Mieter/innen lebten. Der Kampf um die Durchsetzung von Mieter/innenrechten gegen das Profitinteresse von Padovicz hat eine lange Geschichte. Padovicz macht schließlich bereits seit den 90er Jahren als Käufer und Modernisierer ganzer Wohnblöcke von sich reden. Immer wieder wurde auch im MieterEcho darüber berichtet. Dabei legte die Immobilienfirma immer Wert auf gute Kontakte mit Politiker/innen unterschiedlicher Parteien. Eng verknüpft mit dem Berliner Senat, war er einer der großen Profiteure der öffentlichen Sanierungsförderungen im Rahmen des Stadtumbaus der 2000er Jahre. Kommunale Wohnungsbaugesellschaften wie die WBF verkauften ihm für Spottpreise ihre Bestände. Immer wieder wehrten sich auch in der Vergangenheit Padovicz-Mieter/innen erfolgreich gegen ihre drohende Verdrängung. Es gab erfolgreiche juristische Urteile, die den Investorenträumen Grenzen setzten. Doch viele Mieter/innen ließen sich allein durch oft nicht gerichtsfeste Modernisierungsankündigungen abschrecken und zogen aus. Das lag auch an der Vereinzelung vieler Mieter/innen.

Gemeinsam den Entmietungsstrategien trotzen
Doch seit einigen Monaten haben sich Padovicz-Mieter/innen verschiedener Stadtteile vernetzt. Sie wollen gemeinsam den Entmietungsstrategien des Investors trotzen. Mit dem Blog „Padowatch“ haben sie sich ein Forum geschaffen, auf dem sie sich gegenseitig informieren und ihre Proteste koordinieren. Die Kundgebung vor dem Firmensitz ist eine Aktion, mit der Mieter/innen deutlich machen wollen, dass sie dem Investor auch direkt auf die Pelle rücken können. „Auf der Kundgebung soll all denen Raum und ein offenes Ohr geboten werden, die Erfahrungen mit diesem Vermieter sammeln mussten. Diese Geschichten werden öffentlich vorgetragen, damit niemand damit alleine bleibt“, heißt es im Aufruf. Doch beim Erzählen der gemeinsamen Geschichten von Verdrängung und Vertreibung wird es nicht bleiben. Dem Hausprojekt Liebigstraße 34 in Friedrichshain droht zum Jahresende die Kündigung. Der Eigentümer Padovicz weigert sich, die zum 31.12.2018 auslaufenden Verträge zu verlängern. Die Unterstützung für den Erhalt des Hausprojekts wächst. Auch der Zusammenschluss der Padovicz-Koordination ist daran beteiligt. Das ist erfreulich, weil es sich bei der Auseinandersetzung um einen Konflikt zwischen Mieter/innen und Investoren und nicht um den Kampf um ominöse Freiräume handelt. Am Sonntag, den 28.10., soll ab 17 Uhr in den Räumen des Widerstandsmuseums in der ehemaligen Galiläer Kirche in der Rigaer Straße 9/10 der Protest gegen die drohende Räumung der Liebigstraße 34 auf einer Kiezversammlung vorbereitet werden. In der Einladung heißt es: „Der Kampf gegen Gentrifizierung ist eine soziale Bewegung. Dabei geht es nicht nur um ein einzelnes Haus oder Projekt, es geht um Antworten, die kollektiv gefunden werden müssen. Eine nachbarschaftliche Vernetzung ist ein Schritt zu einer solidarischen Selbstorganisierung, die sich außerhalb von Staatlichkeit verortet“.

aus:
MieterEcho online 25.10.2018
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wut-kundgebung-gegen-padovicz.html
Peter Nowak

Ein Buch für die toten Flüchtlinge

Verlag veröffentlicht Liste mit Namen von verstorbenen Migranten

Zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2018 soll im Berliner Hirnkost-Verlag ein Buch erscheinen, in dem die bekannten Namen von 35.000 Menschen aufgelistet sind, die in den vergangenen 25 Jahren an den europäischen Außengrenzen bei der Flucht ums Leben kamen. Auf den mehr als 300 Buchseiten…

„Ein Buch für die toten Flüchtlinge“ weiterlesen

100 Jahre Sozialpartnerschaft und „Volksgemeinschaft“

… oder wie im Kampf gegen rechts jede Opposition infrage gestellt wird – Das Stinnes-Legien-Abkommen und die Absage an den Klassenkampf

Es ging etwas unter, dass am 16.10. 2018 der Gewerkschaftsbund DGB [1] und der Unternehmerverband BDA [2] das 100-jährige Jubiläum jenes Stinnes-Legien-Abkommens [3] feierten, das eine wesentliche Ursache für die Niederlage der Novemberrevolution war.

Mit dem Abkommen wurde nach Meinung der Befürworter die „Sozialpartnerschaft“ in die Wege geleitet. Man könnte aber polemisch auch von „100 Jahre Volksgemeinschaft“ reden. Denn in diesem Abkommen wurde dem Klassenkampf eine Absage erteilt und die Gewerkschaften stellten die Arbeiter zum Ausgleich für einige sozialpolitische Zugeständnisse unter das Kommando des Kapitals.

Die Gewerkschaften hatten ihr Hauptziel erreicht, vom Sozialpartner Kapital anerkannt zu werden. Dafür gehörten sie zu den größten Gegnern der Räte, die sich nach der Revolution am 9. November 1918 überall in Deutschland spontan bildeten. Kaum waren diese auch mit Unterstützung der Freikorps blutig niedergeschlagen worden, wollte das Kapital auch von den Zugeständnissen nichts mehr wissen, die sie im Stinnes-Legien-Abkommen der vorrevolutionären Situation geschuldet noch machen mussten.

Bald setzen führende Kapitalfraktionen auf den Nationalsozialismus, der die Volksgemeinschaft ganz ohne Zugeständnisse terroristisch gegen diejenigen durchsetzte, die wie die Juden nicht dazu gehören durften oder wie linke Oppositionelle nicht dazu gehören wollten. Doch die Wesensverwandtschaft zwischen Sozialpartnerschaft und Volksgemeinschaft konnte nie verdeckt werden.

Trotzdem hat der DGB-Vorstand 100 Jahre nach der Novemberrevolution nichts Dringlicheres zu tun, als mit dem BDA die eigene freiwillige Unterwerfung unter die Interessen von Staat und Nation zu feiern. Und es gab nicht einmal größere wahrnehmbare Proteste.

100 Jahre unvollendete Revolution

Am 8. November werden in Berlin auch einige Gewerkschafter unter dem Motto „Die unvollendete Revolution von 19181/19“ [4] an die Räte und an die Errungenschaften des Umsturzes erinnern, den die alten Mächte im Bündnis mit den durch den Stinnes-Legien-Pakt kooptierten Teile der Arbeiterbewegung verhindern wollten.

Heute gibt es keine starke Arbeiterbewegung, die integriert werden müsste und von Umsturz reden heute die Rechten und meinen eine noch stärkere Unterwerfung unter Staat und Nation. Doch der Kampf gegen rechts, der nun überall propagiert wird, setzt in der Regel einen völligen Verzicht auf grundsätzliche Kritik an den aktuellen Verhältnissen voraus. Der Schriftsteller Jonas Löscher, der am 13.10. eine europaweite Bewegung gegen Rechts organisieren wollte, bringt die Harmlosigkeit der Bewegung so auf den Punkt [5].

Ich bin aber überzeugt, dass eine Mehrheit sich ein Leben in einer liberalen Demokratie wünscht. Sicher, wir müssen aufmerksam sein, dass die Rechtspopulisten in der Minderheit bleiben. Aber gleichzeitig dürfen wir durchaus selbstbewusst unser Leben in einer freien Gesellschaft leben. Die Menschen merken auf Demos, dass es trotz aller Panik noch gute Gründe für ein positives Selbstbewusstsein gibt. Berlin war dafür ein gutes Beispiel.

Jonas Löscher, Taz [6]

Bei so viel staatstragender Servilität ist es nicht verwunderlich, dass die anvisierten fünf Millionen Demonstranten in ganz Europa nicht erreicht wurden. Der mit dem Status quo zufriedene Mittelstand, und der ist angesprochen, lässt sich eben schwer zu Demonstrationen motivieren. Und das ist durchaus positiv.

Denn eine solche Mobilisierung könnte auch schnell zu einer reaktionären Schwungmasse werden, wenn es Menschen hierzulande tatsächlich mal in Angriff nehmen sollten, die dank SPD und Stinnes-Legien-Abkommen unvollendete Revolution doch noch zu vollenden.

Der reaktionäre Appell an den Zusammenhang der Gesellschaft

Um das zu verhindern, sind vor allem die ideologischen Staatsapparate daran interessiert, aus dem Kampf gegen rechts einen Kampf um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu machen und jede Spaltung als schädlich und gefährlich zu verwerfen.

Dabei wird geflissentlich übersehen, dass die Spaltung in Klassen ein Strukturelement der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist und die Appelle an den Zusammenhalt schon Elemente von Sozialpartnerschaft und auch Volksgemeinschaft enthalten. Genau das propagiert die Rechte seit Jahren.

Daher müsste eine Gegenstrategie gerade umgekehrt sein, alle Formen der Volksgemeinschaft abzulehnen und den Klassenkampf zu verschärfen. Nur dann kann man die rechten Konzepte konterkarieren.

Mit dem freiwilligen Eingliedern zum Zwecke des Kapitals leistet man keinesfalls einen Kampf gegen rechts. Im Gegenteil können sich die Rechten als die letzten Oppositionellen gerieren, die noch von Umsturz reden und damit mehr Nationalismus wollen. Linke Gruppen, die grundsätzliche Kritik an der Verfasstheit der Gesellschaft äußern, werden schnell als Brüder der AfD abgekanzelt, wie es ein FAZ-Kommentator [7] exemplarisch vormachte.

Peter Nowak

URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4197830

https://www.heise.de/tp/features/100-Jahre-Sozialpartnerschaft-und-Volksgemeinschaft-4197830.html
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.dgb.de/termine/++co++c9ce97e8-cded-11e8-87db-52540088cada
[2] https://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/de_100-jahre-sozialpartnerschaft-erfolgreich-in-die-zukunft
[3] https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/industrie-und-wirtschaft/stinnes-legien-abkommen-1918.html
[4] http://1918unvollendet.blogsport.eu/
[5] http://www.taz.de/!5540688/
[6] http://www.taz.de/!5540688/
[7] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-und-globalisierungskritik-verachtung-fuer-die-demokratie-15841164.html

Das Feedback wirkt

Peter Nowak über einen Erfolg der Amazon-Beschäftigten in Polen

Der Online-Händler Amazon hat in Polen zum ersten Mal mit den beiden Gewerkschaften Arbeiterinitiative (IP) und Solidarność eine Vereinbarung unterzeichnet. Danach soll das einschüchternde Mitarbeiterbewertungssystem »Feedback« bis Ende Januar ausgesetzt werden. In dieser Zeit soll zusammen mit den beiden Gewerkschaften eine Nachfolgeregelung erarbeitet werden. Die Geschäftsleitung habe sich verpflichtet, mit der Betriebsgruppe in Poznań acht Gesprächsrunden zu führen, berichtet die syndikalistische Gewerkschaft IP. Die Vereinbarung ist der Beweis, dass auch ein weltweit agierender Konzern wie Amazon sehr wohl auf gewerkschaftlichen Kampf reagieren muss.

Das Feedback-System ist unter den Beschäftigten verhasst. Denn es bedeutet, dass ihre Arbeit durchgängig überwacht wird. Und das wird ihnen auch deutlich gemacht, etwa indem Vorgesetzte am Arbeitsplatz vorbeischauen und sich aufmerksam erkundigen, ob etwas nicht in Ordnung sei, man sei ja schon zum dritten Mal auf der Toilette gewesen. Beim freundlich-disziplinierenden Gespräch bleibt es aber nicht. Beschäftigte berichten, sie hätten schon eine Abmahnung erhalten, weil sie in fünf Minuten zweimal inaktiv waren
Der Zeitpunkt für das Entgegenkommen des Konzerns ist sicher kein Zufall. Schon bald beginnt das wichtige Weihnachtsgeschäft. Da will man keine Störung. In Deutschland nutzen Amazon-Beschäftigte die Adventszeit immer wieder, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bereits seit 2013 kämpfen sie für einen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels. Amazon bezahlt nach dem schlechteren Logistikvertrag und verweigert bis heute Gespräche mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Auch in Deutschland ist der Unmut über ein Bewertungssystem, das zur Arbeitshetze antreibt und Angst vor Fehlzeiten erzeugt, groß. Wenn zuletzt die Stimmen lauter wurden, die den Beschäftigten eine Niederlage prognostizierten, dann wurden sie durch den Erfolg der Proteste in Polen eines Besseren belehrt.

Dass der Konzern hier die Vereinbarung mit der im Vergleich zu ver.di kleinen linken IP getroffen hat, ist auch deren Kampfbereitschaft geschuldet. Die IP hat durch ihr Engagement in Poznań viele Unterstützer gewonnen, während am zweiten polnischen Amazon-Standort in Wrocław die konservative Gewerkschaft Solidarność bei den Beschäftigten dominiert. Im Kampf gegen das Bewertungssystem ziehen die beiden sehr unterschiedlichen Gewerkschaften aber an einem Strang.

Amazon hat seine Filialen in Polen auch aufgebaut, um dorthin auszuweichen, wenn in Deutschland gestreikt wird. Die Vereinbarung zeigt, dass sich die Manager*innen getäuscht haben, wenn sie glaubten, dort würden die Beschäftigten nicht für ihre Interessen kämpfen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1103864.das-feedback-wirkt.html

Peter Nowak

„Coral World“ heißt Verdrängung

Mieter/innen und Gewerbetreibende wehren sich gegen Kommerzprojekt an der Rummelsbucht. Dabei haben sie auch die Mehrheit der LINKEN zum Kontrahenten.

Rund um den Bahnhof Ostkreuz in Berlin wird viel gebaut. Auf der Lichtenberger Seite, in der Hauptstraße 1 g-i, konnten bisher einige über 80jährige Wohnhäuser der Abrissbirne trotzen. Doch wie lange noch? Investoren wie Padovicz haben ein Auge auf das Areal zwischen Ostkreuz und Rummelsburger Bucht geworfen. Er hat mehrere sanierungsbedürftige Häuser in der Hauptstraße 1 g – i erworben. Den angegrauten Wänden sieht man an, dass hier lange nicht mehr renoviert wurde. Die Mieter/innen sollen verschwinden. „Die Hausverwaltung kümmert sich schon lange nicht mehr um die Häuser. Selbst das kaputte Dach wird nicht repariert“, klagt Manuela Kaiser (Name auf Wunsch geändert). Sie wohnt seit vielen Jahren in einem der Häuser und will dort auch bleiben. Daher organisiert sie mit einigen Nachbar/innen nicht nur Widerstand gegen die Abrisspläne des Eigentümers, sondern gegen die Bebauungspläne an der Rummelsbucht insgesamt. „Hinter den blumigen Versprechen der Investoren versteckt sich nichts anderes als Verwertung: Hier wird billiger Wohnraum beseitigt und teurer geschaffen“, so ihre Kritik. Die Bewohner/innen haben sich bereits vor Monaten in den Häusern organisiert und auch mit Initiativen aus anderen Stadtteilen sowie dem berlinweiten Blog von Padovicz-Mieter/innen „Padowatch“ vernetzt. Seitdem mehreren sich auch rund um die Rummelsbucht die Proteste. Anfang September gab es eine Ortsbegehung zu Orten von Verdrängung und Protest. Am 18. Oktober richtet sich der Unmut gegen die Bezirksverordnetenversammlung von Lichtenberg. Denn dort soll der Bebauungsplan Ostkreuz beschlossen werden, der nach Meinung der Kritiker/innen einen „Ausverkauf wie in San Francisco“ bedeuten würde.

Tourismusprojekte in der Kritik
Kern des Bebauungsplans Ostkreuz ist die „Coral World“, ein Riesenaquarium. Dabei handelt es sich um einen kommerziellem Entertainment-Aqua-Park, der pro Jahr 500.000 Besucher/innen anziehen soll. Deshalb sollen auch neue Hotels an der Rummelsbucht entstehen. Sollten diese Pläne umgesetzt wären, droht eine Touristifizierung des Areals zwischen Rummelsbucht und Ostkreuz. Wie in anderen Stadtteilen, in denen der rote Teppich für den Tourismus ausgerollt wird, mögen dort neue prekäre Arbeitsplätze entstehen. Doch Menschen mit geringen Einkommen können sich die Wohnungen dort dann nicht mehr leisten. Daher findet das Motto „Bebauung heißt Verdrängung“ viel Zustimmung unter den Mieter/innen und Gewerbetreibenden an der Rummelsbucht. Dabei geht es gegen den Bau von Projekten wie „Coral World“ und Nobelhotels und nicht gegen den Bau von bezahlbaren Wohnungen. Gemeinsam will man den Lichtenberger Bezirksverordneten deutlich machen, dass das Areal um die Rummelsbucht kein Brachland ist, das durch Tourismusprojekte erschlossen werden muss. Besonders für die LINKE, die in der BVV-Lichtenberg stärkste Fraktion ist und mit Michael Grunst den Bezirksbürgermeister stellt, kann die Auseinandersetzung turbulent werden. Während Grunst das Projekt „Coral World“ als gut für den Bezirk lobt, unterstützen einige Mitglieder der Linksfraktion in der BVV die Kritiker/innen. Sie dürften allerdings in der BVV gemeinsam mit den Mitgliedern der Fraktion der Grünen, die den Bebauungsplan Ostkreuz in der bestehenden Form ablehnen, in der Minderheit bleiben. Nun muss sich zeigen, ob die Kritiker/innen mehr Druck von Außen aufbauen können, um eine neue Tourismuszone an der Rummelsbucht zu verhindern.

MieterEcho online 18.10.2018

https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/coral-world.html

Peter Nowak