Das Jahr mit Schulz ist zu Ende

Mit Schulz ist auch eine Form der Politikinszenierung gescheitert, die glaubt, auf Inhalte verzichten zu können – Ein Kommentar

Kaum ist die politische Karriere von Martin Schulz zumindest vorerst zu Ende, kann man sich schon in Form von Bildern und Interviews die kurze Geschichte des inszenierten Schulz-Hypes angucken.

Anders als solche Hypes wie bei Willi Brandt beispielsweise war die Schulz-Kampagne Inszenierung von Anfang an. Wenn man die Reportage eines in die SPD-Wahlkampagne einbetteten Spiegel-Journalisten für bare Münze nimmt, müsste Schulz eigentlich froh sein, dass er jetzt wieder Privatmann ist. Doch wer garantiert, dass nicht auch diese Reportage Teil der Inszenierung war? Dass hier also ein Politiker gezeigt wird, der eigentlich so ganz anders ist als die Marketingstrategen, die ihn dann immer so präsentieren, wie er es angeblich nicht will. Können sich da nicht viele reinfühlen, die tagtäglich am viel schlechter bezahlten Arbeitsplatz auch immer so funktionieren sollen, wie sie eigentlich gar nicht wollen.

Mit Schulz ist auch eine Form der Politikinszenierung gescheitert, die glaubt, auf Inhalte verzichten zu können, und die das Publikum für dümmer verkaufte, als es ist. Nun ist allerdings nicht nur Schulz eine solche Inszenierung gewesen. Sein Vorgänger und Kontrahent Sigmar Gabriel war ebenso eine Inszenierung, immer bereit, neue Themen in die Öffentlichkeit zu bringen, nur um im Gespräch zu bleiben. Heute wird gerne vergessen, dass er einer der unbeliebtesten Politiker in Deutschland war, als er schließlich erklärte, er wolle nicht Kanzlerkandidat werden und Schulz den Vortritt ließ. Schon damals vermuteten nicht wenige, er wolle sich nicht mit der zu erwartenden Niederlage weiter beschädigen.

Wochenlang rätselten die Medien, wie Gabriel beizubringen sei, dass die SPD mit ihm keine Chancen haben würde. Nach den letzten Wahlen wissen wir, dass die SPD mit Schulz nicht besser abgeschnitten hat. Dass sich die letzten Tage diese beiden Männer nun offen bekriegten, mag einen kurzfristigen Unterhaltungswert haben, politisch ist es eher nebensächlich. Es handelt sich um zwei austauschbare Charaktermasken, die eigentlich nun beide reif für den Rücktritt ins Privatleben sind.

Zukunft Gabriels völlig unklar?

Tatsächlich ist überhaupt nicht klar, ob Gabriel auf den Posten bleibt, selbst wenn die SPD-Basis grünes Licht zum Bündnis mit der Union gibt. Gabriel hat seine Aufgabe schon erfüllt, einen Außenminister Schulz zu verhindern. Alles andere ist unklar .

Wenn jetzt auf die hohen Zustimmungsraten für Gabriel verwiesen wird, auf seinen Außenministerbonus, dann ist das trügerisch. Selbst ein Guido Westerwelle, der innenpolitisch zeitweise zu den Politikern mit der niedrigsten Popularität gehörte, hatte als Außenminister hohe Zustimmungswerte. Dieses Phänomen ist nicht schwer zu erklären. Viele Menschen haben eine Ahnung davon, dass der stumme Zwang der kapitalistischen Verhältnisse kaum noch Gestaltungspielraum für Politiker lässt. Ob auf dem Gebiet der Wirtschaft, der Landwirtschaft oder wo auch sonst werden in der Regel nur noch Verschlechterungen für einen großen Teil der Bevölkerung umgesetzt, die dann Reformen genannt werden.

Auch im Außenministerium geht es hauptsächlich um Repräsentation. Aber der Minister ist dann Repräsentant deutscher Interessen. So korrespondiert die Zustimmung zu den Außenministern mit der gewachsenen hegemonialen Stellung Deutschlands in der EU und auch weltweit. Die relative Popularität dieses Außenministers zeigt an, dass eben ein großer Teil der Bevölkerung deutsche Interessen in der EU und darüber hinaus gewahrt wissen will.

Und hier findet sich tatsächlich in der Kampagne gegen einen Außenminister Schulz auch eine politische Begründung. Ihm wurde unterstellt, zu EU-freundlich zu sein und deutsche Interessen nicht genügend zu vertreten. Nach seinem Verzicht auf das Amt schrieb jemand auf Twitter: „Wem es nur um Europa geht, dem ging es nie um die Bürger im eigenen Land.“

Es gab in den letzten Tagen viele ähnliche Stimmen, die warnten, dass ein Außenminister Schulz deutsche Interessen zu wenig vertreten und die EU in den Vordergrund rücken würde. Auch in Deutschland ist die Stimmung schon längst nicht mehr so Pro-EU und der Vorwurf, nicht deutsche, sondern EU-Interessen zu fördern, wird da durchaus ernst genommen.

Politik in der Deutsch-EU

Was heute auch in grünennahe Kreisen von einen deutschen Außenminister erwartet wird, dokumentiert Erich Rathfelder in einem Kommentar der Taz. Am Beispiel des Westbalkans schreibt er seine Erwartungen an die deutsche Politik auf:

Nein, ohne die Aufarbeitung der Vergangenheit gelingt es nicht, Rechtsstaatlichkeit auf dem Westbalkan aufzubauen. Anderenfalls droht der Zugriff von autoritären Regimen wie Russland, der Türkei und China. Um zu vermeiden, dass die europäischen Prinzipien ein zweites Mal in Vergessenheit geraten, müssen endlich auch gravierendere Maßnahmen in Erwägung gezogen werden.

Die von lokalen Thinktanks vorgeschlagene Idee, man könnte die Länder des Westbalkans schon jetzt in ein Europa der drei Geschwindigkeiten aufnehmen, wäre vielleicht eine Lösung. Neben dem Kerneuropa (Eurostaaten) könnten dann rechtsstaatlich fragwürdige Staaten wie Ungarn und Polen in der zweiten Schiene bleiben, der Westbalkan zunächst in der dritten – mit Aufstiegsmöglichkeiten. Dem Einfluss der Russen und Türken wäre aber erst einmal ein Riegel vorgeschoben.

Erich Rathfelder

Hier ist eine klare Agenda für die Durchsetzung einer deutschen Hegemonie am Balkan formuliert und auch die außenpolitischen Kontrahenten benannt, gegen die sich die Politik richten soll. Das ist eine Aufgabe, die man einen Martin Schulz wohl nicht zutraute. Nur gibt es in Deutschland aber auch nicht so viele Politiker, denen man eine solche Aufgabe überhaupt zutrauen würde. Allein, kaum jemand hinterfragt den Zweck des Ganzen.

Die Deutsch-EU muss sich am Weltmarkt behaupten und die Regierung soll die bestmöglichen Bedingungen dafür herstellen. Deshalb darf über die Wirtschaft kein kritisches Wort verloren gehen. Reformen sind heute Anpassungen der Gesetze und Verordnungen an diese Kapitalinteressen. Da bleibt kaum Raum mehr für sozialdemokratische Reformen und wären sie auch noch so minimal. Das ist ein weltweiter Prozess und hat zur viel beschworenen Kriese der Sozialdemokratie beigetragen, die in vielen europäischen Ländern wie Frankreich, Holland, Griechenland noch mehr dezimiert ist als die SPD. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das auch die Zukunft der SPD ist.

Das ist das eigentliche Dilemma der SPD, da sind die Personalquerelen nur Nebenschauplätze oder auch Ablenkungsmanöver. Wenn nun einige in der SPD beklagen, dass wieder mal nicht über Inhalte, sondern über Personen diskutiert wird, müssten sie selber erst einmal sagen, über welche Inhalte sie reden wollen. Denn die bestehen ja meistens darin, kapitalistische Sachzwänge zu exekutieren. Die Politikinszenierung, wie das Jahr mit Schulz zeigte, sollte dem Ganzen einen menschlichen Touch geben. Das ist im Fall von Schulz gründlich schiefgelaufen.

Peter Nowak
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[3] https://twitter.com/MartinSchulz/status/961961360199385089
[4] https://www.taz.de/!5480718/

Im Neuen Deutschland zitierte Robert D. Meyer in seiner Medienkritik aus dem Beitrag:

Peter Nowak bringt auf heise.de noch einen Aspekt ins Spiel, der das Problem solcher Personifizierungen im Wahlkampf offenbart: »Mit Schulz ist auch eine Form der Politikinszenierung gescheitert, die glaubt, auf Inhalte verzichten zu können, und die das Publikum für dümmer verkaufte, als es ist.«

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1079575.spd-in-der-krise-was-vom-schulz-drama-bleibt.html