Die Möglichkeit des radikal Anderen

100 Jahre nach der brutalen Niederschlagung: Autor Simon Schaupp über die Bedeutung und Erforschung der Bayerischen Räterepublik

Zur Person

Simon Schaupp ist Soziologe und in der Technischen Universität München als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Er hat kürzlich im Unrast-Verlag »Der kurze Frühling der Räterepublik – ein Tagebuch der bayerischen Revolution« herausgeben. Am 26.1. stellt Schaupp das Buch im Berliner FAU-Lokal in der Grüntaler Straße 24 vor.

Mit dem Wissenschaftler sprach Peter Nowak.

Demnächst jährt sich der 100. Jahrestag der Bayerischen Räterepublik. Sie haben ein Tagebuch jener Ereignisse verfasst. Warum diese Form und warum die drei zentralen Figuren Ernst Toller, Erich Mühsam und Hilde Kramer?

Das Anliegen des Buches ist es, die Hoffnungen und Strategien, aber auch die Fehlschläge und die Verzweiflung der RevolutionärInnen in den Vordergrund zu rücken. Dafür scheint mir eine Erzählform angemessen, die einen direkten Bezug zum persönlichen Erleben der Personen herstellt. Die drei Hauptpersonen habe ich ausgewählt, weil sie die drei wichtigen Strömungen der bayerischen Linken zu jener Zeit repräsentieren: Ernst Toller für den radikalen Sozialismus der USPD, die bisher weitgehend unbekannte Hilde Kramer für die neu gegründete KPD und Erich Mühsam für den Anarchismus. Tatsächlich kannten sich die drei und standen in regem Austausch. Das »Tagebuch« basiert zu großen Teilen auf Briefen, Notizen und Tagebucheinträgen der drei.

Warum halten Sie es für wichtig, sich an die Bayerische Räterepublik zu erinnern?

Durch die bayerische Revolution wurde die über 700 Jahre regierende Wittelsbacher Monarchen-Dynastie gestürzt und die Demokratie eingeführt. Dass diese nicht notwendigerweise die Form des Parlamentarismus annehmen muss, sondern sich auch in radikaldemokratischen Rätestrukturen ausdrücken kann, wird aber weitgehend verdrängt. Die bayerische Räterepublik steht historisch für die Möglichkeit des radikal Anderen, die es allemal wert ist, erinnert zu werden.

Selbst die CSU hat nach 100 Jahren die lange Zeit gelebte Feindschaft gegen die Räterepublik relativiert. Wie soll die Linke mit dieser Vereinnahmung umgehen?

Davon ist hier in Bayern nicht viel zu merken. Dass der bayerische Freistaat auf die Räterepublik zurückgeht, ist kaum jemandem bewusst. Auch in der Gedenkkultur wird diese Phase ausgeblendet. Vor allem die SPD scheint die Räterepublik nun für sich zu entdecken. Das ist etwas skurril, angesichts der Tatsache, dass sie damals die treibende Kraft bei ihrer Niederschlagung war und damit schon besiegt geglaubte rechtsnationale Kräfte wieder in den Sattel gehoben hat.

Warum widersprechen Sie der These, dass es sich um ein Konstrukt von »Bohemiens« ohne große Unterstützung in der Bevölkerung handelte?

Diese These lässt sich direkt zur rechtsliberalen Propaganda gegen die Räterepublik zurückführen. Bis heute wird sie gebetsmühlenartig wiederholt, wenn das Thema besprochen wird, jüngst beispielsweise in einem Buch von Volker Weidermann. Es ist aber abwegig zu glauben, eine Handvoll Schriftsteller hätte die Revolution herbeischreiben können. Es gab in ganz Bayern lebendige Rätestrukturen. Sie waren die eigentlichen Träger der Revolution.

Sie haben auch die Niederschlagung der Räterepublik ausführlich behandelt, bei der Hass auf Linke und Antisemitismus eine große Rolle spielten. War dies die Ouvertüre für den Nationalsozialismus?

Ja. Sowohl organisatorisch als auch personell lässt sich der NS auf die gegenrevolutionäre Bewegung jener Zeit zurückverfolgen. Dabei sind erstens die präfaschistischen Freikorps zu nennen. Allein schon die Offiziere des besonders brutal vorgehenden Freikorps Epp, unter ihnen Röhm, Heß und Strasser, finden sich später fast alle unter der NS-Prominenz wieder. Zweitens hat die antisemitische Thulegesellschaft eine wichtige Rolle gespielt. Ihr Zeitungsorgan »Münchner Beobachter« wurde später der »Völkische Beobachter«, und ihre Agenten haben die Gründung der DAP vorangetrieben, die später in NSDAP umbenannt wurde.

Sie haben auch die Rolle der Frauen und Erwerbslosen thematisiert. Wie ist hier die Quellenlage? Welche Forschungslücken gibt es darübeaus?

Frauen haben insbesondere in der Frür hinhphase der Revolution eine zentrale Rolle gespielt. Damals tobte ja noch der 1. Weltkrieg und viele Männer waren an der Front. Die Frauen haben revolutionäre Organisationen aufgebaut, wurden aber später von den heimkehrenden Männern systematisch verdrängt. Die Erwerbslosen hatten eigene Rätestrukturen und haben sich durch besonders radikale revolutionäre Aktionen hervorgetan. Da bleibt noch viel Raum für Forschung.

Interview: Peter Nowak