Schöner Leben ohne CG im Friedrichshainer Nordkiez

Beforschung durch Sozialpädagogisches Institut stößt auf Widerstand

„Miteinander leben im Samariterkiez“ heißt es auf einem gelben Plakat, das in der letzten Woche im Friedrichshainer Nordkiez geklebt wurde. Dort erfahren die Anwohner/innen, dass noch bis zum 2. Dezember täglich von 10 – 20 Uhr in einem Ladenlokal in der Rathaus-Passage in der Frankfurter Allee 35 – 37 ein Team des Sozialpädagogischen Instituts Berlin (SPI) darauf wartet, dass Anwohner/innen ihnen ihre Wünsche über die Gestaltung des Stadtteils übermitteln. Das SPI hat vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg den Auftrag bekommen, Anwohner/innen, Gewerbetreibende, Bildungseinrichtungen und die Polizei über die Probleme im Stadtteil zu befragen. „Gestalten Sie Ihr Viertel mit! Nutzen Sie die Chance, Ihren Traditionskiez neu zu definieren“, werden die Bewohner/innen animiert, dem SPI-Team einen Besuch abzustatten.

Eher eine Provokation als ein Angebot

Doch für Erika Schmidt (Name geändert) ist diese Einladung eher eine Provokation als ein Angebot. Sie engagiert sich in der Aktionsgruppe Rigaer Straße 71-73 gegen den Bau eines Nobelprojekts der CG- Gruppe. Trotz zahlreicher Kundgebungen, Kiezspaziergänge und anderer Proteste hat der Bauprozess inzwischen begonnen. Auch auf dem gegenüberliegenden Grundstück ist der Bau von Eigentumswohnungen schon weit fortgeschritten. Dort baut die W Development. „Seit Monaten haben wir mit unterschiedlichen Aktionen deutlich gemacht, dass die CG Gruppe und die KW Development und ihre Projekte im Kiez keine Akzeptanz haben“, erklärt Erika Schmidt. Sie hält es eine Frechheit, nun vom SPI zum Mitgestalten des Kiezes aufgefordert zu werden. „Sie sprechen vom Traditionskiez und haben im letzten Jahr grünes Licht für den Abriss denkmalgeschützter Häuser auf dem Gelände der Rigaer Straße 71-73 gegeben“, ärgert sich auch Michael Benkert (Name geändert), der ebenfalls in der Aktionsgruppe aktiv ist. Für ihn ist die Befragung durch das SPI Teil der von der Politik geförderten Aufwertung des Stadtteils. Immobilienfirmen wie die CG-Gruppe haben schließlich den Anspruch formuliert, ganze Stadtviertel zu verändern. Die wohlhabende, neu in den Stadtteil ziehende Klientel soll durch solche Mitmachprojekte angesprochen werden und kann dann über den Standort von Bänken und Baumscheiben entscheiden.


Mieter/innen und Gewerbetreibende bekommen die Aufwertung schon zu spüren

Gewerbetreibende und Mieter/innen mit geringen Einkommen haben andere Probleme. Sie bekommen schon heute die Folgen der von der Politik gewollten Aufwertung des Stadtteils zu spüren. So sind die Mieten im Friedrichshainer Nordkiez seit 2009 um 62 % gestiegen. Seit 1. August 2017 ist die Rigaer Straße an den beiden Baustellen der CG-Gruppe und des die KW Development gesperrt. Die Gewerbetreibenden in der Umgebung klagen über massive Umsatzeinbußen. Einige Betriebe haben schon MitarbeiterInnen entlassen. Solche Probleme aber interessiert aber weder die Bezirkspolitik noch das in ihren Auftrag forschende SPI. Das sind aber die Themen, über die die Anwohner/innen auf einer Kundgebung sprechen wollen, die am 2. Dezember 2017 ab 15 Uhr vor dem Eingang der Rathaus -Passage in der Frankfurter Allee 35/37 beginnt. „Schöner leben ohne CG und Politik“ lautet das Motto.

aus: MieterEcho 30.11.2017
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/cg-im-friedrichshainer-nordkiez.html

Peter Nowak

Glyphosat-Streit: Profit gegen Gesundheit

vom 26. September 2023

In einer Gesellschaft, in der der Profit das Maß aller Dinge ist, stehen eben nicht Gesundheitsfragen an erster Stelle

Ein CSU-Minister macht in Brüssel einen Alleingang und sorgt so dafür, dass Unkrautmittel Glyphosat erst einmal weiter verwendet werden kann. Nun blicken alle politischen Beobachter auf die Folgen für die neuen Sondierungsgespräche zwischen der SPD und der Union. „Glyphosat-Streit: Profit gegen Gesundheit“ weiterlesen

Erwerbslose können kämpfen

Autor Harald Rein sieht entgegen verbreiteter Vorurteile bei Armen Selbstbewusstsein

Wenn von »armen Leuten« die Rede ist, schwingt schnell ein Klang von Bedauern und Mitleid in den Worten mit. Doch wenn der Sozialwissenschaftler und Erwerbslosenaktivist Harald Rein seinem neuesten Buch den Titel »Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen« gibt, knüpft er damit an die Debatte über eine selbstbewusste politische Bewegung an. Er meint Aktivisten, die weitgehend außerhalb der Lohnarbeitsprozesse stehen.

In einem zentralen Kapitel setzt sich Rein kritisch mit der – auch von manchen von linken – Wissenschaftlern vertretenen Meinung auseinander, dass arme Leute nicht in der Lage wären, sich politisch zu artikulieren. Der Autor beschäftigt sich speziell mit der »Marienthal-Studie« von Anfang der 1930er Jahre, auf die sich viele dieser Intellektuellen in ihrer Argumentation berufen.

Marienthal war ein österreichisches Dorf, in dem nach der Schließung einer großen Textilfabrik ein Großteil der Bewohner erwerbslos wurde. Der Jobverlust führte laut der Studie bei einem Großteil der Bewohner zu Resignation und Apathie. Ein Ergebnis, das Rein auch nicht bestreitet. Er kritisiert allerdings, dass die Befunde unzulässig verallgemeinert worden seien.

Vor allen in Großstädten und bei jüngeren Menschen hätte Erwerbslosigkeit laut dem Sozialwissenschaftler auch zu Lebensperspektiven jenseits der Lohnarbeit geführt. Kenntnisreich beschreibt Rein etwa, wie sich Erwerbslose nach der Novemberrevolution von 1918 in eigenen Räten organisiert und von den Gewerkschaften selbstbewusst Unterstützung eingefordert hatten. Rein zeigt zeitgleich aber auch auf, wie die Spitzen der Gewerkschaften und SPD schon früh auf Distanz zu Erwerbslosenorganisationen gegangen sind, weil diese ihre Autonomie nicht aufgeben wollten.

Der Aktivist geht ebenfalls auf die Erwerbslosenpolitik der KPD und ihr nahestehender Organisationen in der Weimarer Republik ein. Er lehnt die häufig von Historikern bemühte These ab, dass die KPD die Erwerbslosen nur für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert habe. Rein zeigt an Hand von Dokumenten viel mehr auf, dass kommunistische Kommunalpolitiker sehr konkrete Maßnahmen für Erwerbslose erkämpft hatten.

Der Sozialwissenschaftler widmet sich in seinem Buch detailliert der libertären Strömung der Erwerbslosenbewegung, auf die sich die autonome Erwerbslosenbewegung der 1980er Jahre berief. Im Unterschied zu den gewerkschaftsnahen Strömungen sehen diese nicht die fehlende Erwerbsarbeit, sondern das fehlende finanzielle Einkommen als Hauptproblem.

In einem Überblick listet Rein auch die unterschiedlichen Themenfelder der jüngeren Erwerbslosenbewegung auf, die 2004 im Kampf gegen die Agenda 2010 für einige Wochen sogar noch einmal zu einer Massenbewegung angeschwollen war.

Letztlich richtet der Autor den Blick auf den aktuellen Alltagswiderstand von Erwerbslosen, der sich rund um die Jobcenter abspielt. Dieser könne kurzeitige »Hausbesuche« wie auch die Begleitung von Betroffenen umfassen. Es wäre zu hoffen, dass sich manche durch die Lektüre des Buches ermutigt fühlen, solche Schritte der Selbstermächtigung zu unterstützen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071608.erwerbslose-koennen-kaempfen.html

Peter Nowak

Harald Rein:
Wenn arme Leute sich nicht mehr fügen…!
Bemerkungen über den Zusammenhang von Alltag und Protest

http://www.agspak-buecher.de/Harald-Rein-Wenn-arme-Leute-sich-nicht-mehr-fuegen
ISBN 978-3-945959-25-1 / 2017 / 184 Seiten / 14,80 Euro

Gesicht zeigen für das Recht auf Abtreibung

Befürworter eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs melden sich wieder zu Wort. Es sollte aber auch über eine Gesellschaft diskutiert werden, in der Schwangerschaftsabbrüche überflüssig werden

„Wir machen Schwangerschaftsabbrüche“, lautete in der letzten Woche die Schlagzeile auf der Titelseite der linksliberalen Taz[1]. Daneben standen die Fotos von 27 Ärztinnen und Ärzten, die sich mit ihrer Kollegin Kristina Hänel solidarisierten, die in der letzten Woche zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.

„Gesicht zeigen für das Recht auf Abtreibung“ weiterlesen

Keine Päckchen für die »Volksgemeinschaft«

Zusteller GLS reagierte umgehend auf Hinweise zum extrem rechten Hintergrund eines Erfurter Nachbarschaftstreffpunktes

»Sollte ihr GLS-Bote sie nicht zuhause antreffen, können sie Ihr Paket in unserem Objekt der Volksgemeinschaft abholen«, heißt es auf der Homepage des Vereins »Volksgemeinschaft e.V.«, der im Erfurter Stadtteil Herrenberg einen Nachbarschaftstreffpunkt errichtet hat. Der Hinweis auf den Paketdienst dürfte dort allerdings schon längst nicht mehr zu finden sein. Denn das Unternehmen GLS hat die Zusammenarbeit aus guten Gründen bereits wieder beendet.

Der Volksgemeinschaft e.V. wurde im August 2015 von Mitgliedern der rechten Kameradschaftsszene gegründet, die teilweise Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte« hatten. Im Verfassungsschutzbericht 2016 fand der Verein erstmals Erwähnung. In dem Vereinstreffpunkt traten bereits Sänger aus der Neonaziszene auf. Zudem gab es mehrere Veranstaltungen mit ReferentInnen aus der extrem rechten Szene. Zum selbsterklärten Anspruch der Volksgemeinschaft gehört es, die Akzeptanz im Stadtteil zu erhöhen und AnwohnerInnen für die rechte Sache zu gewinnen.

Dazu mache die Volksgemeinschaft verschiedene Angebote. Auf der Homepage werden Freizeitaktivitäten für Jung und alt angeboten. Der Dartautomat gehört ebenso dazu wie der Fitnessraum, der besonders Jugendliche aus der Umgebung anlockt.

Daher war die Empörung bei vielen AntifaschistInnen groß, als bekannt wurde, dass ausgerechnet in diesen Räumen ein GLS-Paketshop eingerichtet werden sollte. Das Unternehmen reagierte schnell und bedankte sich bei den KritikerInnen für die Hinweise auf den politischen Hintergrund des Ladens,

»GLS Germany hat der Volksgemeinschaft Erfurt e.V. sofort nach Bekanntwerden des Sachverhaltes Ende Oktober gekündigt. Jegliche GLS-Technik und -Werbemittel wurden unverzüglich abgeholt, der Standort ist auch nicht mehr in der GLS PaketShop-Suche gelistet«, erklärt Friederike Scholz von der GLS-Presseabteilung gegenüber »nd«. Als europäisches Unternehmen stehe die GLS Gruppe und GLS Germany für Vielfalt, Offenheit und Toleranz. Rassismus habe daher in dem Unternehmen keinen Platz.

Das Unternehmen will aus dem Vorfall Konsequenzen ziehen. Scholz kündigte an, dass die Aufnahmekriterien für die Einrichtung der GLS-Shops überprüft und die MitarbeiterInnen besonders sensibilisiert werden sollen.

Doch noch ist für GLS die Sache nicht ausgestanden. Der rechte Verein dürfte das GLS-Logo seit einigen Tagen nicht mehr verwenden. Doch im Internet wirbt er noch immer mit dem Abholservice des Paketdienstes. Daher könnte nun die Angelegenheit ein Fall für die Justiz werden. »Da die Frist der Unterlassungsaufforderung nun abgelaufen ist, wird die GLS weitere Schritte beraten«, kündigte Scholz an.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071438.extreme-rechte-in-erfurt-keine-paeckchen-fuer-die-volksgemeinschaft.html

Peter Nowak

Europäisch streiken?

FahrradkurierInnen beginnen sich international gewerkschaftlich zu organisieren. Auch mit der Transnationalen Strike Plattform wird versucht, in verschiedenen europäischen Ländern die Arbeitskämpfe zu verbinden.

«Wir haben genug!», skandierten etwa 30 Menschen am 10. November vor der Berliner Zentrale des Lieferdienstes Foodora. Dort haben sich Beschäftigte in der Gewerkschaft Deliverunion zusammengeschlossen und kämpfen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Die Parole der Beschäftigten lautet «Riders united». In der vor einigen Monaten gegründeten Deliverunion sind auch FahrradkurierInnen aus verschiedenen anderen europäischen Ländern vertreten, darunter aus Italien und Grossbritannien.

Der transnationale Erfahrungsaustausch läuft grösstenteils über das Internet. Doch vom 10. bis 12. November trafen sich BasisgewerkschafterInnen aus 12 europäischen Ländern in Berlin. Die kleine Kundgebung war ein guter Auftakt. Es war die mittlerweile fünfte Konferenz der Transnationalen Strike Plattform (TNS). Nach dem ersten Treffen in Poznan gab es weitere Meetings in Paris, London und der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Zu den Grundforderungen der TNS-Plattform gehören das Recht auf Migration, der Kampf gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen und der Kampf um ein europäisches Grundeinkommen und einen europäischen Mindestlohn. Ein Arbeiter der besetzten griechischen Fabrik Viome kritisierte die Forderung nach einem Grundeinkommen als neoliberales Instrument zur Stilllegung der Arbeitskämpfe. Allerdings wurden diese wie auch andere Kontroversen auf dem Treffen nicht ausdiskutiert. So gab es auch den Einwand, warum die migrantische Arbeit auf dem Treffen so in den Vordergrund gerückt wird. Es wurde betont, dass das Proletariat schon immer transnational organisiert gewesen sei. In Deutschland waren bereits vor mehr als 100 Jahren viele polnische Arbeitskräfte in der damaligen industriellen Herzkammer, dem Ruhrgebiet, beschäftigt.

Amazon und Deliverunion
Doch jenseits der inhaltlichen Debatten geht es natürlich um die Frage, welche Relevanz die Plattform in den realen Arbeitskämpfen hat. Schliesslich gab es in den letzten 20 Jahren schon einige Ansätze einer transnationalen Organisierung von Beschäftigten und Prekären. Erinnert sei an die Euromärsche gegen Erwerbslosigkeit und Prekarisierung, an die Euromayday-Bewegung, in der sich von Italien ausgehend Prekäre kurzzeitig rund um den 1. Mai unabhängig von den grossen Gewerkschaften Gehör verschafften und dann wieder von der Bildfläche verschwanden. Während der Krisenproteste der Jahre 2012 und 2013 gab es einen Diskussionszusammenhang, der sich über die Unterstützung eines europäischen Generalstreiks Gedanken machte, einen Aufruf und eine Webseite verfasste und wieder verschwand. Das TNS wird nur länger bestehen, wenn es aus den Erfahrungen dieser Kämpfe und ihrem Scheitern lernt.

Blockade geplant
In mehreren Referaten wurde auf die Kämpfe in der europäischen Logistikbranche eingegangen. Auf diesem Sektor gab es in verschiedenen europäischen Ländern Arbeitskämpfe, beispielsweise im slowenischen Koper und in Norditalien. Auch die immer wieder aufflammenden Streiks beim Internetkonzern Amazon fallen in den Bereich. Im Rahmen des TNS-Meetings stellte sich die Kampagne «Make Amazon Pay» (Lässt Amazon zahlen) vor. Ausserbetriebliche linke Gruppen wollen rund um den «Black Friday», am 24. November, die Beschäftigten im Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen unterstützen. Denn der «Black Friday» ist bei Amazon ein Schnäppchentag, an dem das Weihnachtsgeschäft eingeläutet wird. Für die Beschäftigten sind solche Termine gut geeignet, um Druck für ihre Forderungen zu machen. Die ausserbetrieblichen UnterstützerInnen wollen am 24. November ein Verteilzentrum in Berlin blockieren. Auch in Frankreich und Polen sollen an dem Tag Unterstützungsaktionen laufen.
Auf der Veranstaltung berichteten Beschäftigte aus Frankreich, Polen und Deutschland, dass sie nicht nur für mehr Lohn, sondern gegen ein System der Überwachung kämpfen. Der Arbeitskampf in der digitalen Fabrik Amazon und die Auseinandersetzungen der Deliverunion haben viele Unterschiede. Aber in beiden Fällen ist eine transnationale Vernetzung zumindest in Ansätzen gelungen.

aus: Vorwärts 24.11.2017

Europäisch streiken?


Peter Nowak

Befristete Projektarbeit


Beschäftigte des Lesben- und Schwulenverbands fordern bessere Verträge

„Stellen Sie sich vor: Jedes Jahr zu Weihnachten wissen Sie noch nicht, ob Sie im neuen Jahr Ihren Job noch haben werden“, klagt Mika Peters*. Seit fünf Jahren arbeitet sie beim Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin- Brandenburg (LSVD) – immer mit einem auf ein Jahr befriste- ten Vertrag.
„Jedes Jahr muss ich mich neu bewerben und immer wie- der entsteht die Unsicherheit, ob ich weiterbeschäftigt werde“, erklärt auch ihre Kollegin Kerstin Kronert*. Deshalb haben die etwa 20 Beschäftigten des Bildungswerks vor mehreren Monaten eine Betriebsgruppe der Basisgewerkschaft Freie ArbeiterInnenunion (FAU) gegründet. Zentrale Forderung ist die Entfristung der Arbeitsverträge. Daneben fordern sie die Anerkennung der FAU-Betriebsgruppe als Mitbestimmungsorgan und die Einrichtung einer betriebsinternen Beschwerdestelle. Für FAU-Pressesekretär Daniel Pfeiffer moderate Forderungen – trotzdem sind die Verhandlungen zwischen FAU und Bildungswerk vergangene Woche gescheitert. Selbst über die Gründe dafür ist man sich nicht einig. Mitte November habe der LSVD die zweite Runde der Tarifverhandlungen platzen lassen, indem er sich weigerte, einem Kündigungsmoratorium für die MitarbeiterInnen zuzustimmen, so Pfeiffers Version. „Die FAU hat die Gespräche abgebrochen. Daher sehen wir keinen Anlass, zu deren Forderungen oder Behauptungen Stellung zu nehmen“, erklärt hingegen LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert. Er begründet die befristeten Tarifverträge mit den Geldflüssen der Projektförderung. *Namen geändert

aus Taz-Berlin, 27.11.2017
Peter Nowak

Zimbabwe nach dem Elitentausch – wenig Hoffnung auf Demokratie für die Massen

Nach Mugabe droht die Herrschaft des Krokodils und Kolonisten, der IWF erhofft sich spannende Zeiten

Nun ist der Langzeitherrscher Robert Mugabe in Zimbabwe mit tatkräftiger Hilfe des Militärs abgetreten. Große Teile der Bevölkerung jubeln, was man angesichts der autoritären Herrschaft des Mugabe-Clans gut verstehen kann. Doch ob das Ende der Herrschaft von Mugabe wirklich mehr Demokratie und Freiheit in Zimbabwe bedeutet, muss bezweifelt werden. Es handelt sich schließlich um einen Machtkampf der herrschenden Eliten und in der langjährigen Regierungspartei.

Dabei haben sich, was in der Berichterstattung selten erwähnt wird, die in allen Beziehungen reaktionärsten Kräfte durchgesetzt. Denn als Nachfolger von Mugabe soll mit Emmerson Mnangagwa jener Mann an die Macht gebracht werden, der federführend für den Terror der Mugabe-Ära verantwortlich war. „Mnangagwa war vieles, aber nie Hoffnungsträger“, beschreibt Spiegel Online treffend Mugabes Nachfolger und Mann für Grobe und listet auf, welche Blutspur er in der Geschichte seines Landes zu verantworten hat. In Zimbabwe wird er nur das Krokodil genannt. Seine Anhänger sehen das durchaus als Kompliment und schwenken Plastikkrokodile auf den Unterstützerdemos.


Skrupelloser Unterdrücker setzt sich gegen Frau aus Elite durch

Es ist schon erstaunlich, dass die Übernahme der Macht durch einen Vertreter der besonders reaktionären Fraktion des Regimes auch in den meisten Medien als Revolution gefeiert wird. Völlig unhinterfragt wird es als Fortschritt angesehen, dass er damit auch die Machtambitionen von Mugabes Frau Grace durchkreuzte.

Selbst in Medien, die sich sonst immer sehr dafür einsetzen, dass Frauen mehr öffentliche Posten bekommen, wie die Taz, wurde nicht einmal kritisch nachgefragt, dass hier ein Exponent der Repression und Unterdrückung eine Frau ausbremste, der bisher nur nachgesagt wird, dass sie viel und gerne einkauft. Dass jetzt häufig ausführlich geschildert wurde, wie sie andere parteiinterne Konkurrentinnen und Konkurrenten ausgestochen hat, ist insofern heuchlerisch, weil sie sich da nicht anders verhielt als andere Personen aus der Machtelite. Nur im Unterschied zu ihnen konnte man ihr dabei keine blutige Unterdrückung nachweisen. Es scheint ihr eher besonders angekreidet zu werden, dass sie als Frau die gleichen Praktiken anwandte wie die anderen Exponenten der Elite.

IWF mahnt „Strukturreformen“ an

Sofort hat sich auch der IWF zur Situation in Zimbabwe zu Wort gemeldet und mahnt „Strukturreformen“ an. Das ist ein Synonym für eine Politik im Interesse des transnationalen Kapitals.

Und noch eine Forderung stellt der IWF-Sprecher an die künftige Herrschaft in Zimbabwe: Es müsse Zahlungsrückstände bei der Weltbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank und der Europäischen Investitionsbank (EIB) begleichen. Da wird seit Langem viel über die schlechte Situation für große Teile der Bevölkerung im Land geschrieben und dem IWF-Sprecher fällt nur dazu ein, dass das Land seine Schulden zurückzahlen müsse, dann könnte über neue Kredite geredet werden. Das ist die übliche IWF-Politik, nur kaum jemand kritisiert sie noch.

Vor allem erhofft man sich dort von den neuen Machthabern, dass sie die IWF-kritische Rhetorik fallen lässt, die für Mugabe und seine Umgebung typisch war. Es war natürlich auch vor allem ein Mittel, um von den selbstgemachten Problemen im Land abzulenken. Doch ein Kotau vor dem IWF würde die Probleme in dem afrikanischen Land nicht verbessern, sondern verschlimmern. Auch der Kampf gegen die Erben des europäischen Kolonialismus hat das Mugabe-Regime für den eigenen Machterhalt genutzt und damit seine Klientel bedient. Deshalb war allerdings der Kampf gegen den massiven Landbesitz in den Händen der alten Kolonialisten nicht falsch, was auch Institutionen immer wieder bestätigten, die die Art und Weise kritisierten, wie unter Mugabe die Landreform bewerkstelligt wurde.

Kolonialerben wittern Morgenluft

Zu den wenigen deutschsprachigen Journalisten, die sich immer wieder sachkundig mit den Problemen befassten, gehörte der früh verstorbene Experte für das südliche Afrika Ruben Eberlein. Mit dem Ende des Mugabe-Regime wittern die alten Vertreter des weißen Kolonialismus wieder Morgenluft und bekommen sogar für ihre Klagen und Wünsche viel Platz in der sozialistischen Tageszeitung „Neues Deutschland (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071012.simbabwe-alles-ist-besser-als-mugabe.html). Dort kann sich mit Heinrich von Pezold als „habsburgischer Landadliger mit deutschem, österreichischem und schweizerischem Pass“ darüber ausbreiten, welche Opfer er für die Verteidigung seines Kolonialbesitzes brachte.

Wie er und seinesgleichen den Sturz Mugabes bewerten, wurde er vom Interviewer gefragt:

Es ist der Tag, auf den wir seit mindestens 20 Jahren sehnsüchtig gewartet haben. Der Grund, warum wir uns trotz aller Probleme und Anfeindungen entschieden haben, in Simbabwe zu bleiben, war ja nicht die Gegenwart, sondern die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ob diese Aufbruchzeit wirklich die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen wird, wird jedoch erst die Zukunft zeigen. Umbrüche sind ja immer auch mit einer erhöhten Unsicherheit verbunden. Die nächsten Monate und Jahre werden sicher ruckelig werden.

Heinrich von Pezold

So darf sich der Kolonialspross in der sozialistischen Zeitung darüber ausweinen, dass Mugabe eine rassistische Gesellschaft geschaffen habe. Der Interviewer erinnern ihn mit keinen Wort an den Kolonialrassismus, der das Land über lange Zeit prägte und gegen den eine Befreiungsbewegung angetreten ist, an der sich auch Weiße beteiligt haben. Der Interviewpartner natürlich nicht.

Immerhin gesteht er zu, dass das Land im Kolonialismus ungerecht verteilt war. „Aber mit der gewaltsamen und entschädigungslosen Enteignung hat Mugabe den Rechtsstaat aufgegeben. Das war Raub.“ Und der Journalist kommt nicht auf die Idee nachzufragen, wie die Vorfahren von Pezold sich das Land angeeignet haben. Mit Mugabes brutalen Nachfolger hat der Kolonialspross weniger Probleme:

Ich denke, alles ist besser als Mugabe. Mnangagwa ist schlau. Aber mit der Absetzung Mugabes handelte er zusammen mit dem Militär nicht aus persönlicher Überzeugung, sondern sogar gegen seine politischen Instinkte. Er gehörte bis vor Kurzem zu Mugabes innerem Machtzirkel – und das seit den 80er-Jahren. Er war der Mann fürs Grobe, der auch vor Gräueltaten nicht zurückschreckte. Aber jetzt hat er offenbar erkannt, dass Mugabe zu weit gegangen ist. Mnangagwa zog quasi die Notbremse. Er wollte immer schon an die Macht. Jetzt ist er dort angekommen. Ich hoffe, er nutzt sie nicht zu seinem persönlichen Vorteil, sondern zum Wohl des Landes und seiner Bewohner.

Heinrich von Pezold

Was die Kolonialisten von einer Nach-Mugabe-Herrschaft erwarten, hat Pezold schon deutlich gemacht: „Damit die neue Regierung internationale Legitimität gewinnt, müssen die Farmer angemessen entschädigt werden. Und es muss Rechtssicherheit hergestellt werden, die es ausländischen Investoren ermöglicht, sich zu engagieren. Ich freue mich auf die spannenden Zeiten und die Möglichkeiten, die sich jetzt hoffentlich ergeben werden.“

So könnte die Zukunft von Zimbabwe aussehen. Nach der autoritären Mugabe-Herrschaft kommt sein Mann fürs Grobe an die Macht und einigt sich mit IWF und Kolonialerben. Die spannenden Zeiten, die Pezold und der IWF erhoffen, würden für die Mehrheit der Bevölkerung weitere Entrechtung und Verelendung bedeuten. Die Medien werden jubeln, dass die westlichen Werte nun langsam auch in Zimbabwe wieder zur Geltung kommen. Wer dann noch opponiert, ist bestimmt ein Mugabe-Nostalgiker.

https://www.heise.de/tp/features/Zimbabwe-nach-dem-Elitentausch-wenig-Hoffnung-auf-Demokratie-fuer-die-Massen-3901509.html

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.zim.gov.zw/president-resigns
[2] http://www.dw.com/de/emmerson-mnangagwa-simbabwes-neuer-starker-mann/a-41509435
[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/emmerson-mnangagwa-das-krokodil-schnappt-nach-simbabwe-a-1178264.html
[4] http://de.reuters.com/article/simbabwe-iwf-idDEKBN1DN110
[5] https://rubeneberlein.wordpress.com/
[6] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071012.simbabwe-alles-ist-besser-als-mugabe.html).

Die Jour Fixe Initiative entlarvt Antikommunismus und Antisemitismus

Erst kürzlich hat die rechtskonservative polnische Regierung die Umbenennung zahlreicher Straßen und Plätze beschlossen. Darunter solche, die Namen jüdischer Widerstandskämpfer tragen, die von den Nazis ermordet wurden. Die öffentliche Erinnerung an sie soll ausgelöscht werden, weil sie KommunistInnen waren. Aber nicht nur in Polen gehört der Antikommunismus bis heute zur wirkungsmächtigen Ideologie. Antikommunismus gab es lange vor der Oktoberrevolution von 1917. Und er hat auch das Ende der Sowjetunion überdauert.

Einen soliden theoretischen Einblick in die unterschiedlichen Aspekte der antikommunistischen Ideologie liefert ein von der Jour Fixe Initiative Berlin herausgegebenes Buch. Seit Jahren widmet sich dieser Kreis mit Veranstaltungen und Buchveröffentlichungen der Weiterentwicklung linker Theorie. Diesem Anspruch wird auch das neue Buch gerecht.

Im ersten Aufsatz begründen Elfriede Müller, Margot Kampmann und Krunoslav Stojakovic, wieso das Ende der Sowjetunion und der anderen nominalsozialistischen Staaten eine neue Welle des Antikommunismus ausgelöst hat und überwunden geglaubte totalitarismustheoretische Konzepte wieder aus den Schubläden geholt wurden. Die Autoren und Autorinnen sehen in der neoliberalen Ideologie einen Antikommunismus, der leugnet, dass es eine Gesellschaft gibt. Doch ihr Aufsatz endet optimistisch: »Darum ist es wichtiger denn je, die Idee des Kommunismus mit konkretem Inhalt zu füllen: als Versprechen einer Zukunft, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt«.

Michael Koltan zeigt auf, dass Liberalismus historisch immer mit Antikommunismus, nicht aber mit Freiheit verknüpft war. Er begründet das mit einem historischen Exkurs, der ins Frankreich des 19. Jahrhunderts führt, wo der liberale Politiker Francois Guizot federführend an der Niederschlagung des Lyoner Weberaufstandes und einige Jahrzehnte später der Pariser Kommune beteiligt war. Marx hat ihn im Kommunistischen Manifest namentlich als einen derjenigen erwähnt, die das Gespenst des Kommunismus jagen.

Michael Brie beschäftigt sich mit der Philosophie von Thomas Hobbes. Dessen Held war der Besitzbürger, der sein Eigentum verteidigt. Im Gegensatz dazu benennt Brie die frühsozialistische Bewegung der Digger, die sich für ein Kollektiveigentum an Land und Boden einsetzten und massiver staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.

Klaus Holz befasst sich mit der unheilvollen Symbiose Antisemitismus und Antikommunismus in der NS-Ideologie. Er verweist zudem auf die Versuche des Theologen Adolf Stoecker, der schon in den 1870er Jahren eine antisemitische Partei mit Anhang unter den Arbeitern zu gründen versuchte. Die Berliner Sozialdemokratie sorgte dafür, dass dieses Projekt scheiterte. Holz geht auch auf den Konflikt zwischen Stoecker und dem ebenfalls antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke ein, ein Nationalliberaler, der im Gegensatz zu Stoecker kein Interesse daran hatte, die Arbeiterschichten in seine Auseinandersetzung mit den Juden einzubeziehen. Doch gerade die Gruppe um Stoecker wurde zum Vorbild für die völkische Bewegung, zu der die NSDAP gehörte. Am Schluss seines Aufsatzes geht Holz auf die aktuellen rechtspopulistischen Strömungen ein, die sich als Verteidiger Israels im Kampf gegen den Islam aufspielen und trotzdem weiterhin zentrale Elemente des historischen Antisemitismus tradieren. »Der Rechtspopulismus nutzt das herkömmliche Arsenal, d. h. er kritisiert den Wirtschaftsliberalismus nicht, sondern nutzt ihn nur als Beleg für seine antiliberalen Feindbilder: Universalismus, Individualismus, Antinationalismus.«

Im letzten Kapitel widmet sich der Sozialwissenschaftler Enzo Traverso differenziert dem Stalinismus, der mehr war als eine bloße Negierung der Ideen der Oktoberrevolution. Ähnlich wie Napoleon Elemente der Französischen Revolution übernommen hat, führte Stalin Zeichen und Symbole der Revolution fort, ihres Inhalts jedoch beraubt. Die Nomenklatura rekrutierte sich aus ehemaligen Bauern und Arbeitern, die durch die Revolution in diese Position kamen. Traverso würdigt die Rolle der Kommunisten für den antikolonialen Kampf, der ihnen bei vielen Menschen des Trikonts hohe Anerkennung einbrachte. Wie alle Autoren dieses Buches erteilt auch er allen autoritären Sozialismusmodellen eine Absage. Die Perspektive erblickt er in Modellen des Anarchismus und der dezentralen Organisierung der I. Internationale.


• Jour Fixe Initiative (Hg.): Anti!Kommunismus. Struktur einer Ideologie.
Edition Assemblage, 135 S., br., 12,80 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071193.buecher-zum-verschenken-unheilvolle-symbiose.htm

Peter Nowak

»Verhöhnung der DDR-Opposition«

Rechte Blogs wie »Politically Incorrect« und »Journalistenwatch« sowie der Berliner Landesverband der AfD betreiben seit Wochen eine Kampagne gegen den Silvio-Meier-Preis, der dieses Jahr vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zum zweiten Mal verliehen wird. Dabei werden sowohl der Preisträger, die Initiative »Aufstehen gegen Rassismus«, als auch der am 21. November 1992 von einem Neonazi erstochene Namensgeber heftig angegriffen. Die Jungle World sprach mit Christoph Kopke. Der Berliner Politikwissenschaftler forscht unter anderem über die Opfer rechtsextremer Gewalt.

Wie würden Sie Silvio Meier charakterisieren?

„»Verhöhnung der DDR-Opposition«“ weiterlesen

Kontrolle und BEFREIuNG

Was lesen die freien Mitarbeiter_innen des Augustin?

•Nein, es ist nicht das nächste Buch über die böse Überwachung, der wir doch alle hilflos ausgeliefert sind. Markus Metz und Georg Seeßlen nutzen ihr profundes Wissen in Historie, Kunst und Philosophie für ihre Geschichte von Freiheit und Kontrolle. Sie zeigen auf, wie wir alle in unterschiedlichem Maße Anteil an den Kontrollregimen haben. «Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven ist ja in Wirklichkeit noch nicht zu ENDE», lautet der gar nicht so pessimistische Schlusssatz.

Markus Metz, Georg Seeßlen, Freiheit und Kontrolle – Die Geschichte des nicht zu Ende befreiten Sklaven, Suhrkamp 2017, 461 S., 20,60 Euro,

Peter Nowak, Autor Tun & Lassen

aus: literaturherbst der österreichischen Zeitung Augustin

„Make Amazon-Pay“ oder den Schnäppchentag zum Zahltag machen

Länderübergreifende Solidarisierung und Protestaktionen gegen den Konzern, der stilprägend für ein neues Produktionsmodell steht

Es gehört zur Regression im weltweit herrschenden Kapitalismus, dass große Teile der Massen nicht mehr auf die eine vernünftige Welt hinarbeiten, sondern sich über die Krümel freuen, die die herrschenden Gewalten ihnen von Zeit zu Zeit zuwerfen. Davon zeugen die überall mit großem Tamtam beworben Schnäppchendays.

Das ist die Weiterentwicklung der Wühltische, an denen sich die Menschen um die Sonderangebote balgten, auf der Höhe der technischen Entwicklung. Wenn wer noch Zweifel hatte, ob in China unter der nominalsozialistischen Nomenklatura etwa nicht längst der Kapitalismus herrsche, wird durch den Schnäppchenday made in China eines Besseren belehrt.

Natürlich sind die kapitalistischen Player wie Amazon die Pioniere bei den Schnäppchendays. Höhepunkt ist der Black Friday, bei dem Amazon weltweilt das Weihnachtsgeschäft einläutet. An einem solchen Tag, wo besonders viele Kunden bedient werden wollen, ist Amazon besonders druckempfindlich.

Das hat ein Protestbündnis gut erkannt, das den Schnäppchenday zum Zahltag machen will: Make Amazon Pay will die Amazon-Beschäftigten bei ihrem Kampf für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen unterstützen.

Es geht um mehr als Lohn

Seit 2013 kommt es in verschiedenen Amazon-Versandzentren wie Graben, Leipzig, Bad Hersfeld, Werne immer wieder zu Arbeitsniederlegungen. Die Beschäftigten forderten die Anwendung des Tarifvertrags des Einzel- und Versandhandels.

Der Amazon-Konzern hat sich bisher geweigert, über diese Forderungen zu verhandeln. In den letzten Jahren war die Vorweihnachtszeit besonders vom Arbeitskampf geprägt, weil eben der Konzern dann besonders druckempfindlich ist. Doch der Konzern ließ es sich viel kosten und verteilte Prämien, wenn vor Weihnachten nicht gestreikt wird. Das macht deutlich, dass es dem Konzern darum geht, die Gewerkschaften aus dem Betrieb rauszuhalten, und nicht um die zusätzlichen Kosten, die für das Management nur Peanuts sind.

Auch die Amazon-Kritiker betonen, dass es ihnen bei der Kampagne um mehr als einen höheren Lohn geht. So gehört zum Bündnis „Make Amazon Pay“ auch das datenkritische Bündnis Capulcu, das kürzlich im Unrast-Verlag ein Buch unter dem programmatischen Titel Widerstand gegen den technologischen Angriff herausgeben hat.

„Amazon ist stilprägend für ein neues Produktionsmodell, in dem intelligente Informationstechnologie zur effektiveren Unterwerfung menschlicher Arbeit genutzt wird“, sagte ein Capulcu-Vertreter auf einem Berliner Vorbereitungstreffen zur Aktionswoche in Berlin. Amazon binde die Nutzer nicht nur beim Online-Shopping in den Prozess permanenter Bemessung und Bewertung ein. Ein Beispiel dafür sei die Auswertung sämtlicher verfügbarer Nutzerdaten.

Die Amazon-Beschäftigten seien bereits vom Einsatz intelligenter Informationstechnologie betroffen. So gebe bei dem Konzern eine lernende Lager-Software das Tempo und die Abfolge der Arbeitsschritte vor. Diesen Aspekt betonten auch Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen deutschen Standorten, aber auch aus dem polnischen Poznań und Frankreich.

Da wird davon gesprochen, dass die Beschäftigten von Vorgesetzten angesprochen werden, wenn der Scanner signalisiert, dass sie mal keine Handgriffe machen. Selbst Zeit für den Toilettengang müsse erkämpft werden. In Polen sollen krankgeschriebene Beschäftigte sogar von Amazon-Mitarbeitern zu Hause aufgesucht werden.

Vornehmlich soll es den Teamgeist stärken, wie es vom Amazon-Management immer wieder beteuert wird. In der Realität aber fühlen sich viele Mitarbeiter nicht nur im Betrieb, sondern auch zu Hause kontrolliert.

Vorbild für grenzübergreifende Arbeitskämpfe

Der Arbeitskampf bei Amazon hat eine besondere Bedeutung über die unmittelbar Beteiligten hinaus. Zumindest in Ansätzen ist dort eine transnationale Organisierung entstanden. So gab es mehrere Treffen von Amazon-Beschäftigten aus Polen und Deutschland.

Besonders die in der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft Arbeiterinitiative organisierten Kollegen in Poznań solidarisierten sich gegen ihre ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und verhinderten durch Dienst nach Vorschrift, dass sie faktisch zu Streikbrechern werden, wenn an Standorten in Deutschland gestreikt wird.

Solche länderübergreifenden Solidarisierungen sind noch Neuland. Verdi kooperiert zudem in Polen mit der eher konservativen Gewerkschaft Solidarność, nicht aber mit der kämpferischen IP. Anfang November traf sich die Transnationale-Strike-Plattform in Berlin.

Es ist ein Versuch, Arbeitskämpfe länderübergreifend zu führen. Bei dem Treffen merkte man, dass es noch ein Suchprozess ist. Es kommt immer darauf an, was in den jeweiligen Branchen an Vorarbeit geleistet wurde. In diesem Sinne sind die Amazon-Solibündnisse Vorreiter eines solchen transnationalen Bündnisses. Dass es zu einer Kooperation der Beschäftigten kam, ist auch der Arbeit eines außergewerkschaftlichen Solidaritätsbündnisses zu verdanken.

Besonders in Leipzig hat sich seit 3 Jahren enger Kontakt mit dem Teil der Belegschaft entwickelt, der sich regelmäßig an Streiks beteiligt. Es gab mittlerweile drei bundesweite Treffen des außerbetrieblichen Amazon-Solidaritätsbündnisses. Das schuf die Grundlage für das Bündnis „Make Amazon Pay“.

Es kann auf ähnliche Unterstützungsaktionen im Einzelhandelskampf vor fast 10 Jahren zurückgreifen. 2009 blockierten außerbetriebliche Unterstützer während dieses Arbeitskampfes Filialen von Discountern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter applaudierten. Aus arbeitsrechtlichen Gründen konnten sie selbst nicht zur Blockade aufrufen.

Ob am kommenden Freitag auch vor dem Amazon-Verteilzentrum in Berlin solche Bilder zu sehen sein werden, das als Höhepunkt der Aktion „Make Amazon Pay“ ab 10 Uhr blockiert werden soll, wird sich zeigen. Die streikbereiten kampferfahrenen Teile der Belegschaft sind auf jeden Fall auf der Seite der Aktivisten.

Streiken im digitalen Konzern

Aber es gibt bei Amazon auch einen nicht geringen Teil der Belegschaft, der sich als Teil des Teams Amazon begreift und von Gewerkschaften und betrieblicher Interessenvertretung nichts wissen will. Die werden auch über die außerbetrieblichen Aktionsformen nicht begeistert sind.

Die Sozialwissenschaftlerin Sabrina Apicella hat in einer Studie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Amazon-Beschäftigten gesprochen, die die Arbeitskämpfe ablehnen. Sie sehen sich als Teil des weltweit erfolgreichen Teams Amazon und wer sich da für bessere Arbeitsbedingungen und weniger Überwachung einsetzt, gilt dann schnell als Nestbeschmutzer, der einen erfolgreichen Weltkonzern ans Bein pinkeln will.

Eine solche Ideologie ist mit dem digitalen Kapitalismus kompatibel, wo neue Managermethoden propagiert werden, um den deutschen Standort im internationalen Konkurrenzkapitalismus voranzubringen. Der FDP-Politiker und langjährige Konzernchef Thomas Sattelberger gehört zu den Exponenten einer solchen neuen Managementstrategie. Sein Hauptziel ist es, die Gewerkschaften möglichst aus den Betrieb zu halten und den Beschäftigten das Gefühl zu geben, sie sind ein Team und können stolz sein, in einem Weltklasseteam mitzuarbeiten.

Wer wird dann da von Löhnen reden. In dieser Situation müssen auch Gewerkschaften und Unterstützer von Arbeitskämpfen neue Wege gehen und experimentieren. Die Kampagne „Make Amazon Pay“ kann dazu einen Beitrag leisten. Die zahlreichen Veranstaltungen während der Aktionstage unter Anderem vom Cinema Klassenkampf gehören genauso dazu wie die Blockade des Verteilzentrums am 24.11. in Berlin.

Kurz vor dem Beginn der Aktionstage wurde die Kampagnenseite von „Make Amazon Pay“ gehackt. Das zeigt auch, dass der Klassenkampf im Internet angekommen ist. Der wird ja bekanntlich auch in der Realwelt immer von zwei Seiten geführt und oft war der Klassenkampf von oben viel stärker als der der Lohnabhängigen.

https://www.heise.de/tp/features/Make-Amazon-Pay-oder-den-Schnaeppchentag-zum-Zahltag-machen-3894364.html

Peter Nowak

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.taz.de/!5459289/
[2] https://www.amazon.de/Prime-Day/b?ie=UTF8&node=10157707031
[3] https://www.amazon.de/Black-Friday/b/ref=s9_acss_bw_cg_PD17LO03_md3_w?ie=UTF8&node=7361369031&pf_rd_m=A3JWKAKR8XB7XF&pf_rd_s=merchandised-search-3&pf_rd_r=TSQ2AJ2BEH1HX1K96SQF&pf_rd_t=101&pf_rd_p=16a5659e-97b3-4098-87f9-ab149cfe1c62&pf_rd_i=10157707031
[4] https://makeamazonpay.org
[5] https://capulcu.blackblogs.org
[6] https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/disrupt-detail
[7] http://www.labournet.de/category/internationales/polen/arbeitsbedingungen-polen/
[8] https://amworkers.wordpress.com
[9] https://www.transnational-strike.info
[10] http://streiksoli.blogsport.de
[11] https://dichtmachen.wordpress.com
[12] https://www.rosalux.de/profil/es_detail/AR61ZOKNY2/sabrina-apicella/
[13] https://www.rosalux.de/publikation/id/8801/
[14] http://politik.thomas-sattelberger.de
[15] http://de.labournet.tv/cinema-klassenkampf
[16] http://www.labournet.de/politik/gw/zielgruppen/prekaere/kampagne-make-amazon-pay-block-blackfriday-24-11-17-aktionswoche-zur-unterstuetzung-der-streikenden-bei-amazon/

„Oury Jalloh, das war Mord!“

Ein beispielloser deutscher Justizskandal: Ein Mann wird in einer Polizeizelle verbrannt und niemanden interessiert es

Es war ein massiver Polizeieinsatz im Januar 2012, der aber nur in einer kleinen politischen Szene wahrgenommen wurde. Es waren vor allem Migranten aus Afrika, die wie jedes Jahr am 7. Januar auf die Straße gegangen sind, um am Todestag ihres Freundes und Bekannten Oury Jalloh zu gedenken. Jalloh war am 7.Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt.

Für die Polizei stand sofort fest, der Tote hat die Zelle selbst in Brand gesetzt. Ein kleiner Kreis von Jallohs Freunden und Bekannten wollte sich damit aber nicht zufriedengeben. Immer zum Todestag gingen sie in Dessau auf die Straße. Was 2012 geschehen ist, beschrieb die Initiative so:

Anlässlich des 7.Todestags von Oury Jalloh gab es am Sonnabend, den 7. Januar 2012, eine Gedenkdemonstration in Dessau. Im Laufe dieses Tages gab es vielfache, von der Polizei strategisch im Voraus geplante Übergriffe – explizit auf afrikanische Aktivistinnen der Initiative und ihre Unterstützer. Zwei Tage zuvor hatten Polizeibeamte Mouctar Bah in seinem Laden in Dessau aufgesucht und verkündet, die Initiative habe Meinungen wie „Oury Jalloh, das war Mord!“ zu unterlassen, sie unterstellten einen Straftatbestand. Mouctar Bah weigerte sich, sich der Drohung zu beugen.

Am Gedenktag selbst, und noch bevor die Demonstration von den 250 Teilnehmenden eröffnet wurde, kam es zu Übergriffen seitens der Polizeibeamten, die Aktivisten aus der Menge herausgriffen, Pfefferspray sprühten und mehrere Menschen stark verletzten. Einige Transparente und Schilder wurden den Demonstrierenden gewaltsam entrissen. Als die Demonstration schließlich los gehen sollte, haben die Versammlungsbehörde und die Polizei die Teilnehmenden über eine Stunde davon abgehalten, ihr Versammlungsrecht wahrzunehmen und das Recht auf freie Meinungsäußerung rechtswidrig unterbunden. All dies wurde mit damit begründet, die Parole „Oury Jalloh, das war Mord!“ stelle einen Straftatbestand dar.

Initiative Oury Jalloh

Es sollte noch häufiger vorkommen, dass Demonstrationen wegen Transparenten mit der Parole „Oury Jalloh, das war Mord“ angehalten wurden und es gab häufiger Strafbefehle gegen Menschen, die sie getragen oder gerufen haben. Und nun haben sich den Inhalt dieser inkriminierten und kriminalisierten Parolen nicht nur zahlreiche Feuer- und Brandexperten zu eigen gemacht.

Auch der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann geht mittlerweile von einem begründeten Mordverdacht im Fall Oury Jalloh aus. Das ist besonders brisant, weil Bittmann seit Jahren den ungeklärten Todesfall bearbeitet und lange Zeit ein Anhänger der offiziellen Version war, wonach Oury Jalloh die Zelle selber in Brand gesetzt hat. Von daher ist die Schlagzeile von ARD-Monitor berechtigt, wo von einer „dramatischen Wende im Fall Oury Jalloh“ berichtet wurde.

Aufklärung über Spendensammlungen für Gutachten

Eigentlich ist der Fall ein beispielloser Justizskandal. Denn schon im April 2017 hatte der Dessauer Staatsanwalt in einem Brief geschrieben, dass er nun mehr nicht mehr von einer Selbsttötung Jallohs ausgeht. Dazu gebracht haben ihn die Ergebnisse von Gutachten, die internationale Brandexperten erstellt haben.

Die wurden aber nicht etwa von den zuständigen Ermittlungsbehörden beauftragt, die ja eigentlich dazu verpflichtet wären zu ermitteln, warum Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrennen konnte. Doch für die Behörden war ja längst klar, dass nur der Getötete selber schuld sein kann.

Es war die schon erwähnte Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh, die durch Spendensammlungen das Geld aufbrachte, um diese Gutachten erstellen zu lassen, und sie mussten dann auch dafür sorgen, dass die Ergebnisse in einer größeren Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wurden.

Es waren die Freunde und Bekannten Oury Jallohs sowie seine Angehörigen, die die offizielle Version anzweifelten. Ihnen zur Seite stand ein kleiner Kreis von Unterstützern aus Deutschland. Sie wurden angefeindet, nicht nur, weil sie die kriminalisierte Parole „Oury Jalloh, das war Mord“ verwendeten. Sie wurden wahrheitswidrig mit Drogenhandel in Verbindung gebracht.

Einem engen Freund von Oury Jalloh, der sich von Anfang in der Initiative zur Aufklärung seines Todes engagierte, wurde unter falschen Behauptungen die Lizenz zur Betreibung eines Internetcafés entzogen. Der Laden war in Dessau der wichtige Treffpunkt für den kleinen Kreis von Leuten geworden, die sich nicht mit der offiziellen Version zum Tod von Oury Jalloh zufriedengeben wollten.

Nun könnte man denken, am Ende wurde ja alles gut. Die Initiative hat unter widrigen Umständen ihren Kampf nicht aufgegeben und konnte sogar den leitenden Ermittler überzeugen.

Leitender Ermittler abgezogen, als er offizielle Version in Frage stellte

Doch hier setzt sich der Justizskandal fort und selbst langjährige Kritiker der deutschen Verhältnisse müssen feststellen, dass die Realität meistens noch die pessimistischen Szenarien übertrifft. Denn der Dessauer Staatsanwalt wurde just dann von dem Fall abgezogen, als er sich davon überzeugt hatte, dass die offizielle Version der Todesumstände von Oury Jalloh nicht zu halten ist.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft von Halle und die sieht in den neuen Gutachten keine neuen Erkenntnisse und will den Fall endgültig zu den Akten legen. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass unterschiedliche Staatsanwaltschaften zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, sagte eine Sprecherin der Justiz in Halle. Diese Aussage ist an Perfidie schwerlich zu toppen. Da wird die Frage, ob ein wehrloser Mann in einer Polizeizelle verbrannt wurde, zur Frage von unterschiedlichen Wertungen.

Untersuchung unter internationaler Beteiligung

Das Vorgehen der Justiz in diesem Fall müsste eigentlich zu einem massiven Aufruhr der zivilgesellschaftlichen Kräfte in Deutschland führen. Diejenigen, denen Menschenrechte über Sonntagsreden hinaus wichtig sind, müssten eine Untersuchungskommission mit internationaler Beteiligung fordern, die sämtliche für den Fall relevanten Gutachten auswerten und weitere Expertisen in Auftrag geben kann, wenn weitere Fragen geklärt werden müssen.

Die Rolle der deutschen Justiz und Politik sollte untersucht werden. Es wäre zu fragen, warum über Jahre versucht wurde, alle Indizien zu negieren, die gegen die offizielle Version der Todesumstände von Oury Jalloh vorgebracht wurden. Dazu gehört der Umstand, dass schon einige Jahre vor dem Tod von Oury Jalloh, ein wohnungsloser Mann in der gleichen Zelle unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen ist.

Auch bei dessen Tod waren Polizisten und der Polizeiarzt anwesend, der auch am Todestag von Oury Jalloh präsent war. Da sind die offen rassistischen Äußerungen des Arztes, die auf einem Mitschnitt zu hören sind, bevor er Oury Jalloh Blut abnimmt. Da ist der von den Polizisten abgestellte Lautsprecher, über den Oury Jalloh um Hilfe rief und da ist vor allem das Feuerzeug, mit dem der Tote den Brand selber gelegt haben soll.

Doch zuvor war es gründlich untersucht wurden und die Gutachter erklären, es wurde erst nachträglich in die Zelle gebracht. Das ist nur ein Teil der offenen Fragen, die die Justiz ignorierte und die durch die Gedenkinitiative weiterhin gestellt wurden.

Vom NSU zu Oury Jalloh

Die noch bestehende Zivilgesellschaft sollte die Vorstellung, dass in einer Polizeizelle in Deutschland ein Mensch getötet werden kann, nicht als Verschwörungstheorie abtun, sondern sich fragen, wie sie darauf reagiert.

Wenn nun der Fall Oury Jalloh tatsächlich zu den Akten gelegt wird, und sich höchstens ein paar tausend Menschen aufregen, während die Aufmerksamkeit sonst beim Geplänkel der künftigen Koalitionen liegt, dann ist das ein Signal, dass in Deutschland auch unter Polizeiaufsicht kriminelle Taten begangen werden können, denen nicht nachgegangen wird.

Soll das zur Gewohnheit werden? Schließlich haben wir ja beim NSU-Komplex erlebt, wie die Angehörigen der Opfer verzweifelt forderten: Ermittelt im rechten Milieu! „Kein 10. Opfer!“, lautete ihre Parole auf Demonstrationen im Jahr 2006.

Stattdessen wurden sie verdächtigt, verleumdet und überwacht – genau wie die Freunde von Oury Jalloh. Und nachdem sich der NSU vier Jahre später selber aufdeckte, wird bis heute verhindert, dass die Frage, wieviel Staat steckt im NSU, aufgearbeitet wird. Das lässt sich besonders gut an der Personalie des Verfassungsschützers Andreas Temme ablesen.

Zurzeit kann man im Rahmen der Kunstausstellung Herbstsalon in Berlin einige Installationen zum NSU-Komplex zu sehen. Darunter auch eine Arbeit der Gruppe Forensic Architecture von der Londoner Goldsmith University, die nachgeforscht haben, was in den entscheidenden 9 Minuten und 26 Sekunden geschehen ist, als in einem Kasseler Internetcafé Halit Özgat am 6.April 2006 erschossen wurde, während Temme Gast in dem Café war.

Das Resultat der Forscher lautet, Temme muss den Mord bemerkt haben. Die aufwendige Untersuchung erfolgte ebenfalls nicht durch die Justiz, sondern durch die Initiative NSU-Komplex auflösen und die Ergebnisse werden von der deutschen Justiz weiter ignoriert.

https://www.heise.de/tp/features/Oury-Jalloh-das-war-Mord-3893511.html

Peter Nowak

http://www.heise.de/-3893511

Links in diesem Artikel:
[1] https://initiativeouryjalloh.wordpress.com
[2] http://www.sozonline.de/2012/02/oury-jalloh-das-war-mord
[3] http://www1.wdr.de/daserste/monitor/extras/pressemeldung-oury-jalloh-100.html
[4] http://www.sueddeutsche.de/panorama/zehn-jahre-nach-verbrennungstod-in-dessau-ich-vertraue-der-justiz-nicht-mehr-1.22922
[5] https://www.nsu-watch.info/2014/01/kein-10-opfer-kurzfilm-ueber-die-schweigemaersche-in-kassel-und-dortmund-im-maijuni-2006
[6] http://www.taz.de/!420305/
[7] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-04/nsu-mord-kassel-andreas-temme-verfassungsschutz-halit-yozgat/seite-2)
[8] http://www.berliner-herbstsalon.de/dritter-berliner-herbstsalon
[9] http://www.forensic-architecture.org
[10] http://www.forensic-architecture.org
[11] http://www.forensic-architecture.org/case/77sqm_926min/
[12] http://www.nsu-tribunal.de

Neue Mietenproteste

Gegen Mieterhöhungen und die Verdrängung von zwei Jugendzentren

Am kommenden Samstag gibt es in Berlin gleich mehrere Proteste gegen Verdrängung. Unter dem Motto „Mietobergrenze ausgetrickst?! – Neue Sozialmietenbombe tickt“ laden MieterInnen vom Maybachufer 40– 42 und der Manitiusstraße 17– 19 in Neukölln zu einem Umzug der Verdrängten ein. Er beginnt vor den betroffenen Häusern am Maybachufer. Die BewohnerInnen der knapp 100 Sozialwohnungen sollen ab dem 1. Dezember bis zu 30 Prozent mehr Miete zah- len und sprechen von Entmietung. „Unsere unsanierten und asbestbelasteten Wohnungen gehören zum Bestand des Sozialen Wohnungsbaus“, sagt eine betroffene Mieterin. „Berlin hat unseren Eigentümern jede er denkliche Förderung gewährt. Jetzt werden unsere Wohnungen in den freien Wohnungsmarkt entlassen.“ Unterstützt wird die Protestaktion vom Büro für Ungewöhnliche Maßnahmen, das bereits in den Achtzigerjahren mit satirischen Aktionen MieterInnen unterstützt hat. Darüber wird der Mitbegründer des Büros, Kurt Jotter, am Samstagabend im K.O.B. in der Potsdamer Straße unter dem Motto „Kann denn Lachen Sünde sein?“ berichten. Dabei wird er auch Videos mit den Theatereinlagen, Performance und Happening zeigen, die damals Teil der Protestkultur waren. Nach der Veranstaltung wollen sich die TeilnehmerInnen der „Frei(T)räume-Demonstration“ anschließen, die an den Standorten der selbstverwalteten Jugendzentren Drugstore und Potse an der Potsdamer Straße endet. Sie sollen zum Jahresende ihre Räume verlieren. Die Demo beginnt um 18 Uhr am ehemaligen Post- Tower an der Möckernbrücke. Dort will die CG-Gruppe Lofts für Wohlhabende bauen, was Stadtteilinitiativen kritisieren.

aus Taz vom 17.11.2017
Peter Nowak