„Beschissene Erfahrungen“

Anfang Juni ist Anstiften.net online gegangen – eine Plattform für die selbstorganisierte Vernetzung und den Erfahrungsaustausch von Auszubildenden im Bauhandwerk. Die Jungle World hat mit Michaela Weber gesprochen. Sie gehört zu den Organisatorinnen der Initiative.


Warum haben Sie die Initiative zu der Plattform ergriffen?

Wir, die Leute hinter der Website, sind oder waren selbst Auszubildende im Bauhandwerk. Wir alle haben beschissene Erfahrungen in unseren Betrieben gemacht, denen wir zu oft hilflos gegenüber standen. Als wir uns dagegen wehren wollten, mussten wir wie so viele Generationen von Auszubildenden vor uns bei null anfangen, weil es keinen Ort des Austauschs, keinen Ratgeber, keine parteiische Unterstützung gab. Also beschlossen wir, selbst all das zu schaffen, um endlich anzufangen, unsere eigene Geschichte zu schreiben – die Geschichte der Kämpfe von Dutzenden Auszubildenden im Bauhandwerk um Verbesserungen in ihrer Berufsausbildung. Herausgekommen ist eine Plattform von Auszubildenden für Auszubildende, zur Selbstorganisation und zum Empowern.


Inwieweit beziehen Sie sich auf Konzepte der sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts?

Die Lehrlingsbewegung der siebziger Jahre hat uns inspiriert und gezeigt, dass auch in Deutschland eine Selbstorganisation von Auszubildenden funktionieren kann. Damals wurden zum einen reale Verbesserungen erkämpft, etwa das Berufsbildungsgesetz, das bis heute die Berufsausbildung rechtlich strukturiert. Zum anderen wurde die Ausbildung auch in einem gesamtpolitischen Kontext verortet. Deshalb sammeln wir auf unserer Website auch Texte zum Thema Gewerkschaften, Geschichte der Lehrlingsbewegung, aber auch Sexismus auf dem Bau und anderen Themen, die die Ausbeutung in der Bauausbildung im Kapitalismus beleuchten.

Ist das Konzept der Lehrlingsbewegung heutzutage noch aktuell, schließlich ist die Bedeutung von Auszubildenden zurückgegangen?
Ihre Bedeutung ist nur insofern zurückgegangen, als sie sich in der Regel klein machen und nicht aufmucken, also auch keine Aufmerksamkeit auf ihre Situation ziehen. Das muss sich ändern. Ohne Auszubildende gibt es keinen Nachwuchs im Handwerk, darum haben wir ein Druckmittel.

Wie ist der Kontakt zur Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) und zum Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)?
Unsere Initiative arbeitet finanziell, strukturell und personell unabhängig von Parteien und Gewerkschaften. Selbstverständlich sind Kooperationen mit Gewerkschaften vorstellbar. Besonders mit der FAU gibt es aufgrund unseres syndikalistischen Ansatzes Gemeinsamkeiten.

Wie geht es mit der Initiative weiter?
Wir haben unsere Seite www.anstiften.net am 1. Juni gestartet und wollen sie jetzt bekannt machen. Gerade in der aktuellen Bewerbungsphase, in der viele junge Leute ihren Ausbildungsvertrag unterschreiben, wollen wir präsent sein und den künftigen Auszubildenden Mut machen, für ihre Rechte und überhaupt für Verbesserungen einzutreten. Dazu müssen sie aber erst mal diese Seite finden. Unser Ziel ist, die Seite beständig durch neuen Input und neue Erfahrungen weiterzuentwickeln. Aber wir möchten Auszubildende auch anregen, Stammtische in ihren Städten und Dörfern aufzubauen, in denen sie sich mit anderen Auszubildenden austauschen können. Außerdem haben wir auf der Seite eine große Rubrik zum Thema Kollektivbetriebe im Baugewerbe. Wir möchten den Blick der Auszubildenden auf andere Möglichkeiten des Arbeitens abseits der Lohnarbeit in einem normalen Betrieb mit Chefetage lenken.

Wie war bislang die Resonanz unter Auszubildenden?
Die Resonanz bei den Leuten, die wir interviewt haben und denen wir die Seite gezeigt haben, war positiv. Einigen hat sie schon ganz praktisch geholfen, anderen hat sie Mut gemacht. Inwiefern das Projekt wirklich ankommt, wird sich noch zeigen müssen. Aber wir sind guter Dinge.

aus: Jungle World, 25/2017

Interview: Peter Nowak


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