„Tiefer Staat“ gegen Trump

Kommentar zum Streit um den US-Präsidenten und den Hoffnungen auf ein Impeachment

Einige Monate ist es schon her, da war Sigmar Gabriel noch SPD-Chef und wurde als glückloser Kanzlerkandidat seiner Partei gehandelt. Trump war gerade zum US-Präsidenten gewählt und alle Welt überbot sich mit Empörung und Überraschung. Auch Gabriel ließ sich mit der Einschätzung vernehmen[1], dass Trump der Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationale sei.

Mehr als 6 Monate später bereist dieser Präsident Europa und sagt über Deutschland einige Sätze, die viele denken, aber kaum mehr zu sagen wagen. Beispielsweise, dass Deutschlands Haushaltsüberschüsse gefährlich für viele andere Länder sind. Trump meinte vor allem die USA, die er ja schließlich wieder groß machen will. Und da ist Deutschland einfach ein Konkurrent auf dem Weltmarkt, der sich sehr schlecht benimmt. Das ungefähr dürfte der Sinn der Trump-Äußerungen sein, die nun aktuell für Aufregung sorgen.

Auf dem Kirchentag kannte man angesichts der Trump-Schelte keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche:

Ich bin zwar im Wahlkampf, aber man muss die deutsche Kanzlerin wirklich in Schutz nehmen, dass sie sich dem nicht beugt.
Sigmar Gabriel[2]

Martin Schulz, den das Merkel-Lob seines Parteifreunds und potentiellen Konkurrenten sicher getroffen hat, übertrug den Ärger auf Trump und nannte ihn einen „Autokraten“.


Deutsche Politiker haben andere Staaten schon oft so behandelt

Wenn nun das SPD-Spitzenpersonal sich so echauffiert, dann wird eines deutlich. Bisher haben immer deutsche Politiker, ob von Union oder SPD, Kollegen vor allem aus Ländern der europäischen Peripherie so von oben herab behandelt. Schlimmer noch, sie sind wie Autokraten aufgetreten, die gleich die Gesetzgebungen anderer Staaten außer Kraft setzten. Griechische Politiker hätten darüber sicher eine Menge zu erzählen.

Erst in den letzten Tagen verhinderte Bundeswirtschaftsminister Schäuble, dass Griechenland zumindest einige Schuldenerleichterungen gewährt werden. Anders als die Trump-Äußerungen sorgt das Verhalten von Schäuble nicht für Empörung, sondern erhöht seine Zustimmungswerte. Nur Eric Bonse brachte es auf den Punkt[3]: „Die Schuldenkrise wird in Griechenland noch Generationen plagen. Und das nur, weil Wolfgang Schäuble Finanzminister ist. Der CDU-Hardliner stoppte nicht nur die Auszahlung des nächsten Hilfskredits. Und das, obwohl Athen ein neues Austeritätsprogramm beschlossen hat, gegen das die Hartz-Reformen nur ‚ein mildes Lüftchen‘ waren, wie Schäubles Gegenspieler Sigmar Gabriel (SPD) zu Recht anmerkte.“

Was Schäubles Druck auf Griechenland bedeutet, formuliert Bonse auch sehr klar, nur mit den Zahlen hat er sich etwas vertan: „So soll die Schuldenlast gedrückt werden – wenigstens auf dem Papier. In der Praxis bedeutet dies aber eine 50-jährige Knechtschaft. Die Schuldenkrise, die 2010 begann, wird noch Generationen plagen. Und das nur, weil Schäuble Finanzminister ist. Höchste Zeit, dass er abdankt.“

Denn es sind eigentlich über 75 Jahre Knechtschaft. Die fing an, als die deutsche Wehrmacht Griechenland besetzte und ausplünderte, selbst die Kredite, die es dem Land abpresste, wurden nicht zurückbezahlt, von Reparationen für die Güter, die man außer Landes brachte, und den Menschen, die zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, gar nicht zu reden. Darüber wurde im kurzen europäischen Frühling 2015 geredet, als es die Mehrheit der griechischen Bevölkerung wagte, eine Partei zu wählen, die nicht die Interessen Deutschlands und seines europäischen Vorfelds bedienen wollte.

Der europäische Frühling endete, als die griechische Regierung gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung und ihrer Wähler, vor Deutsch-Europa kapitulierte und sich deren Austeritätsprogramm beugte. Seitdem ist die Frage nach Rückzahlung der deutschen Schulden in Griechenland und von Reparationen wieder ein Thema für kleine linke Zirkel, wie schon Jahre zuvor.

Die Kritik an Deutschland aber wird von der politischen Rechten formuliert, sei es Le Pen in Frankreich, Wilders in Holland oder von führenden Politikern der polnischen Nationalkonservativen und natürlich von Erdogan und Trump. Liberale und große Teile der Linken scharen sich dann umso bedingungsloser hinter Merkel und damit explizit auch hinter eine exponierte Stellung in der Bundesregierung hat. Nun kann man Trump nicht so schnell unter Druck setzen wie die griechische Regierung.

Notfalls muss Trump beseitigt werden

Doch noch hat Deutsch-Europa eine Hoffnung, dass die Trump-Ära eine Episode bleiben könnte. Anfangs hegten manche Kommentatoren noch die Hoffnung, Trump werde schnell die Lust am Präsidentenjob verlieren und selber aufgeben. Doch als sich abzeichnete, dass es hier um Wunschdenken handelt, schließlich hat der Mann ja zielbewusst auf dieses Amt hingearbeitet und auch Unterstützer in bestimmten Kapitalkreisen, wurde die Entmachtung durch ein Impeachment von fast allen Medien in aller Ausführlichkeit geschildert.

Nur am Rande wurde von einigen Kommentatoren angemerkt, dass für ein solches Verfahren eigentlich alle Grundlagen fehlen, weil die Voraussetzung wäre, dass relevante Teile der Republikanischen Partei sich gegen Trump stellen müssten. Und das nach den Erfahrungen im Vorwahl- und im Wahlkampf. Damals gab es den Aufruf, Trump die Nominierung zu verweigern, obwohl er genügend Wahlleute hatte. Das wäre theoretisch möglich gewesen, hätte aber die Republikaner in den Grundfesten erschüttert. Damals war nur einige kleine Zahl von Delegierten dazu bereit. Viele stimmten aus Parteiräson für Trump, obwohl sie befürchteten, er werde krachend verlieren und auch die Zahl ihrer Mandatsträger in Senat und Repräsentantenhaus dezimieren.

Nachdem es anders gekommen ist, sollen nun diese Republikaner einem Impeachment zustimmen, das ungleich schwerwiegendere Erschütterungen in Partei und den gesamten USA nach sich ziehen würde, als die Verweigerung der Nominierung vor der Wahl? Da muss man sich schon fragen, in welchen alternativen Welten diese Kommentatoren eigentlich leben.

Sollten Trump-Gegner auf ein Impeachment setzen?

Die technischen Details einmal beiseite gestellt könnten wir uns auch fragen, ob ein solches Impeachment von einem emanzipatorischen Standpunkt überhaupt sinnvoll wäre. Die Frage sollte klar verneint werden, schon weil als Alternative nur Vizepräsident Pence nachrücken würde, der für eine genauso reaktionäre Politik wie Trump steht und deshalb ja auch von ihm ernannt wurde. Wichtiger aber ist, dass mit dem Impeachment FBI und andere Geheimdienste einen Machtzuwachs erfahren würden, die von niemanden gewählt und damit noch weniger als der zwar nicht von der Mehrheit der Wähler, aber der Wahlleute bestätigte Trump legitimiert sind. Nun ist es in den USA keineswegs einmalig, dass der „tiefe Staat“, also demokratisch unlegitimierte Institutionen, Politiker stürzen oder aufsteigen lassen können. Das ist immer ein Zeichen für tiefgreifende Zerwürfnisse im herrschenden Machtapparat.

In den Zeiten des McCarthyismus wurden schließlich nicht nur vermeintliche oder tatsächliche Linke, sondern sogar führende Politiker und Minister beschuldigt, mit der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei der USA zu kooperieren. Damals gab es in der herrschenden Klasse einen Streit darum, ob die USA mit der Sowjetunion gute Beziehungen wie im Kampf gegen das Nazi-Deutschland haben sollten oder ob es darum geht, sie im Kalten Krieg zu besiegen. Beide Seiten gehörten zum politischen Etablissement der USA und reklamierten das nationale Interesse der USA für sich.

Auch der momentane Streit um den Umgang mit Russland findet innerhalb der herrschenden Kreise der USA statt. Auch hier stehen sich unterschiedliche Kapitalinteressen gegenüber. Auch die Verschwörungstheorien über die angeblich so große Macht Russlands erinnern an ähnliche Kampagnen gegen den angeblichen Weltkommunismus bzw. Bolschewismus. Auch die antisemitische Note darf dabei nicht fehlen, dass nun ausgerechnet Trumps Schwiegersohn Kushner in den Fokus des „tiefen Staates“ rückt, dem bisher nachgesagt wird, er versuche, Trump eine realpolitische Note zu geben. Mehr noch ist bekannt, dass er für die Beziehungen zwischen Trump und Israel zuständig war. Es ist sicher kein Zufall, dass er nun ebenfalls als zu russlandfreundlich gilt.

Da wird jeder Kontakt von US-Politikern mit russischen Kollegen in die Nähe des Geheimnisverrats gerückt. Da wird eine Unterredung zwischen Trump und dem russischen Außenminister skandalisiert. Dabei nehmen die, die sich am lautesten über den Geheimnisverrat echauffieren, in Kauf, dass durch die Fokussierung das Thema erst so richtig weltweit bekannt wird. Da wird endlos kommentiert, ob es bereits eine Behinderung der Justiz ist, wenn Trump Ermittlern gegenüber äußert, dass er hoffe, dass sie das Verfahren gegen seine engsten Mitarbeiter einstellen.

Wenn nun Vergleiche zur Watergate-Affäre gezogen werden, sollte daran erinnert werden, dass Nixon nicht abgesetzt werden sollte, weil er von Ermittlern eine Einstellung von Verfahren gefordert hat, sondern weil er Bespitzelungen von Gegnern und Einbrüche in die Zentrale der oppositionellen Demokraten zu verantworten hatte. Solange nicht ähnliche Vorwürfe gegen das Trump-Team laut werden, dürfte eigentlich jede Diskussion über ein Impeachment als das Wunschdenken von Menschen klassifiziert werden, die sich gegen einen Rechtspopulisten mit noch weniger legitimierten Institutionen des Tiefen Staats verbünden würden.


Geheimdienste trockenlegen und dann soll Trump verschwinden

Die Gründe sind unterschiedlich. Deutsch-Europa hofft, so schnell wie möglich einen US-Präsidenten los zu werden, der seine Politiker ähnlich behandelt, wie es sich gegen schwächere Staaten in der EU verhält.

In den USA hat ein Teil der Demokraten ihre Wahlniederlage noch immer nicht überwunden und will nun mit Hilfe des „Tiefen Staates“ Rache nehmen. Dabei hätte doch Clintons Umfeld als erstes den Rücktritt von FBI-Chef Comey fordern müssen. Er und nicht Russland hat mit seinen Ermittlungen in der Email-Affäre kurz vor den Präsidentenwahlen starken Einfluss auf deren Niederlage gehabt.

Die Oppositionellen in den USA sollten sich hüten, im Kampf gegen Trump auf die Institutionen des „Tiefen Staates“ setzen. Denn damit würden sie garantieren, dass in den USA selbst moderate Reformen nicht möglich sind. Das FBI und ähnliche Institutionen haben bisher immer nach der Devise gehandelt, dass es ihnen egal sei, wer unter ihnen Präsident ist. Eigentlich wäre es eine demokratische Aufgabe, diesen jahrzehntealten „Tiefen Staat“ endlich trockenzulegen. Das geht nach Lage der Dinge nur durch das Präsidentenamt. Soll doch Trump diese Aufgabe übernehmen und dann verschwinden, müsste die Forderung der Opposition lauten.

Peter Nowak
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[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article159356652/Tuerkei-gratuliert-Trump-und-fordert-Auslieferung-von-Guelen.html
[2] http://www.dw.com/de/gabriel-geht-auf-kirchentag-hart-mit-trump-ins-gericht/a-38991087
[3] http://www.taz.de/!5403119