Erst besetzt, dann gefördert

Erinnerungen an einen Jugendklub in Lichtenberg

Immer näher kam der Bürgermeister dem besetzten Jugendklub, dann klingelte er und sagte zu der Beamtin, die ihn begleitete: »Hier sehen wir ein Beispiel von Eigeninitiative, das wollen wir nicht zerstören.« Diese Szene spielte sich 1981 in der Ostberliner Pfarrstraße ab. Dort hatten junge Menschen eine leerstehende Apotheke besetzt und renoviert. Den staatlichen Stellen war das nicht lange verborgen geblieben. Doch der unverhoffte Besuch des Bürgermeisters im Rahmen einer Stadtteilbegehung hatte für die Besetzer günstige Konsequenzen. Der Klub wurde von staatlicher Seite geduldet und bekam finanzielle Unterstützung. Aus dem Jugendklub »Neues Arbeitszentrum Pfarrstraße« (N.A.Pf.) wurde der »Klub der Werktätigen« (KdW). Obwohl er von 1981 bis 1990 das Leben vor allem jüngerer und unangepasster Menschen im Kaskelkiez prägte, schien er keine Spuren hinterlassen zu haben.

Die in Mannheim geborene Künstlerin und Regisseurin Konstanze Schmitt hat die Geschichte des Klubs nun dem Vergessen entrissen. In den letzten Monaten führte sie Gespräche mit zahlreichen ehemaligen Protagonisten, mit Besetzern der ersten Stunde, mit ständigen und gelegentlichen Besuchern. Daraus hat Schmitt ein Skript entwickelt. Vier junge Schauspieler performen die unterschiedlichen Personen. Das 22-minütige Video mit dem Titel »KdW (Klub der Werktätigen)« ist Teil der Ausstellung »Agitate, Educate, Organize«, die sich der Arbeiterkultur widmet. Zu sehen ist sie in der Galerie »After the Butcher« in unmittelbarer Nachbarschaft zum KdW.

In den Gesprächen wird ein anderer Blick auf das Leben in der DDR geworfen. Es ist eine Geschichte vom Eigensinn der Menschen, die in einem Stadtteil lebten, in dem die Häuser verfallen waren. Als dann nach dem plötzlichen Tod des Parteisekretärs im Stadtteil einem der Besetzer des Jugendklubs diese Funktion angetragen wurde, war der nur dazu bereit, wenn sich im Stadtteil etwas ändert. Er hatte damit Erfolg. Kurzfristig wurden die schon beschlossenen Abrisspläne verändert und im Kaskelkiez wurden Häuser saniert und renoviert.

Das Video erzählt die Geschichte einer Initiative in der DDR, die auch durch die staatliche Förderung nicht vereinnahmt wurde. Dafür sorgten schon die Menschen, die den Klub betrieben haben. Kurz wird auf den Herbst 1989 eingegangen, als auch im KdW für wenige Wochen die Utopie einer anderen DDR geträumt wurde. Die Wende war für alle Beteiligten eine Zäsur. Die Menschen mussten sich beruflich neu organisieren und verließen ihren Kiez.

Doch es gibt einen weiteren Grund, warum die Geschichte des Klubs bisher so unbekannt blieb. Er wird in dem Video am Schluss angesprochen. Einer der Hauptorganisatoren hat als IM für die Stasi gearbeitet. Als das bekannt wurde, sind langjährige Freundschaften zerbrochen. Konstanze Schmitt gelang es, einen Teil der Klubbetreiber zum Sprechen zu bringen. Am 6. Mai werden einige von ihnen ab 19 Uhr in der Galerie »After the Butcher« über diese Geschichte einer Selbstorganisation in der DDR berichten.

»After the Butcher«, Spittastr. 25, Lichtenberg. Bis 20. Mai. Mi. 15 – 19 Uhr und nach Vereinbarung: ina@after-the-butcher.de

Peter Nowak

Arbeitskampf im Pflegedienst

Kündigung wegen Bildung eines Betriebsrats

«Wir sind nur ein kleiner Pflegedienst mit zehn Mitarbeitern. Fällt jemand durch Krankheit aus und einer ist im Urlaub, dann arbeite ich schon mal neun Tage am Stück. Das ist viel und es wäre gut, wenn das anders organisiert werden könnte.»

So äußerte sich Harald Stubbe im Juni 2015 auf dem Onlineportal «Pflegefibel» über die Arbeitsbedingungen in einem Pflegedienst in Frankfurt am Main. Es war klar, dass Stubbe sich an der Organisierung von Protesten beteiligen würde. Der kämpferische Gewerkschafter hatte schon für Aufsehen gesorgt, als er 2009 beim Caterer Eurest mit weiteren Kollegen aus der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in die Basisgewerkschaft IWW (Industrial Workers of the World) wechselte. Er wolle die Politik des Co-Managements der NGG nicht mehr mittragen; bei Eurest sorgte er dann für eine kämpferische Interessenvertretung.

Als er mit 58 Jahren arbeitslos wurde, bewarb er sich über eine Zeitarbeitsfirma bei einem Pflegedienst. In einem Bericht darüber beschreibt er, wie er in kurzer Zeit zum Pflegeexperten wurde.

«Als ich im März 2015 in dem Laden angefangen habe, hatte ich von Pflege keine Ahnung. Heute, fast zwei Jahre später, ist das weitestgehend noch immer so. ‹Kein Problem›, sagte die Chefin, ‹ich zeige ihnen das.› Ich bin also einen Tag mit ihr mitgefahren und hab zugesehen, was sie macht. Dann bin ich noch einen Tag mit einer Kollegin mitgefahren und hab auch selbst Hand angelegt. Damit war meine Ausbildung zu Ende. Ich war jetzt Pflegeexperte. Von da an habe ich alte und kranke Menschen betreut.»

Als sich die Arbeitsbedingungen weiter verschlechterten, initiierte Stubbe mit zwei Kollegen eine Betriebsratswahl, die trotz massiver Behinderungsversuche seitens der Firma am 16.1.2017 stattfand. Zur Betriebsrätin wurde eine Vertraute der Firma gewählt, Stubbe wurde zum Ersatzmitglied gekürt. «Damit hätte ich leben können. Sind ja 2018 schon wieder Wahlen», dachte er sich. Doch der Pflegedienst konnte damit nicht leben. Die Chefin überreichte ihm am 18.1.2017 persönlich die fristlose Kündigung.

Daraufhin organisierte die IWW eine Protestkampagne gegen die Firma, die nicht ohne Wirkung blieb. Bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht wurde vereinbart, dass Stubbe bis zum 31.3. weiterbeschäftigt ist und anschließend mit einer Abfindung den Pflegedienst verlässt. Dafür willigte Stubbe ein, die Protestkampagne gegen die Firma zu beenden. Dabei hatte sich gezeigt, dass sie durchaus nicht erfolglos war. Patienten waren abgesprungen, andere waren beunruhigt. Zudem stellte sich heraus, dass der Pflegedienst Wohnraum zweckentfremdet hat. Die Firmenchefin klagte über massive Einbußen, die sogar zur Schließung der Firma führen können.

Einmal mehr wird hier deutlich, dass Beschäftigte auch in so kleinen Firmen sehr wohl Druckmittel haben, um sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren. Negativ ist, dass mit Stubbe ein kämpferischer Gewerkschafter die Firma verlässt, der vielleicht mit den anderen Kolleginnen und Kollegen eine kämpferische Betriebsratsarbeit hätte entwickeln können.«Wir sind nur ein kleiner Pflegedienst mit zehn Mitarbeitern. Fällt jemand durch Krankheit aus und einer ist im Urlaub, dann arbeite ich schon mal neun Tage am Stück. Das ist viel und es wäre gut, wenn das anders organisiert werden könnte.»

So äußerte sich Harald Stubbe im Juni 2015 auf dem Onlineportal «Pflegefibel» über die Arbeitsbedingungen in einem Pflegedienst in Frankfurt am Main. Es war klar, dass Stubbe sich an der Organisierung von Protesten beteiligen würde. Der kämpferische Gewerkschafter hatte schon für Aufsehen gesorgt, als er 2009 beim Caterer Eurest mit weiteren Kollegen aus der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in die Basisgewerkschaft IWW (Industrial Workers of the World) wechselte. Er wolle die Politik des Co-Managements der NGG nicht mehr mittragen; bei Eurest sorgte er dann für eine kämpferische Interessenvertretung.

Als er mit 58 Jahren arbeitslos wurde, bewarb er sich über eine Zeitarbeitsfirma bei einem Pflegedienst. In einem Bericht darüber beschreibt er, wie er in kurzer Zeit zum Pflegeexperten wurde.

«Als ich im März 2015 in dem Laden angefangen habe, hatte ich von Pflege keine Ahnung. Heute, fast zwei Jahre später, ist das weitestgehend noch immer so. ‹Kein Problem›, sagte die Chefin, ‹ich zeige ihnen das.› Ich bin also einen Tag mit ihr mitgefahren und hab zugesehen, was sie macht. Dann bin ich noch einen Tag mit einer Kollegin mitgefahren und hab auch selbst Hand angelegt. Damit war meine Ausbildung zu Ende. Ich war jetzt Pflegeexperte. Von da an habe ich alte und kranke Menschen betreut.»

Als sich die Arbeitsbedingungen weiter verschlechterten, initiierte Stubbe mit zwei Kollegen eine Betriebsratswahl, die trotz massiver Behinderungsversuche seitens der Firma am 16.1.2017 stattfand. Zur Betriebsrätin wurde eine Vertraute der Firma gewählt, Stubbe wurde zum Ersatzmitglied gekürt. «Damit hätte ich leben können. Sind ja 2018 schon wieder Wahlen», dachte er sich. Doch der Pflegedienst konnte damit nicht leben. Die Chefin überreichte ihm am 18.1.2017 persönlich die fristlose Kündigung.

Daraufhin organisierte die IWW eine Protestkampagne gegen die Firma, die nicht ohne Wirkung blieb. Bei einem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht wurde vereinbart, dass Stubbe bis zum 31.3. weiterbeschäftigt ist und anschließend mit einer Abfindung den Pflegedienst verlässt. Dafür willigte Stubbe ein, die Protestkampagne gegen die Firma zu beenden. Dabei hatte sich gezeigt, dass sie durchaus nicht erfolglos war. Patienten waren abgesprungen, andere waren beunruhigt. Zudem stellte sich heraus, dass der Pflegedienst Wohnraum zweckentfremdet hat. Die Firmenchefin klagte über massive Einbußen, die sogar zur Schließung der Firma führen können.

Einmal mehr wird hier deutlich, dass Beschäftigte auch in so kleinen Firmen sehr wohl Druckmittel haben, um sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu wehren. Negativ ist, dass mit Stubbe ein kämpferischer Gewerkschafter die Firma verlässt, der vielleicht mit den anderen Kolleginnen und Kollegen eine kämpferische Betriebsratsarbeit hätte entwickeln können.

Arbeitskampf im Pflegedienst

aus:

Sozialistische Zeitung
April 2017

Peter Nowak

Das Wahlprogramm der Linken: „Absage an NATO und Hartz IV“?

Was ist es wert, wenn die Partei mitregieren kann?

Absage an Nato und Hartz IV“[1] – unter diesen Schlagworten wird in vielen Medien heute das am vergangenen Wochenende beschlossene Bundestagswahlprogramm der Linken zusammengefasst. Die Partei sollte sich teure Fachleute sparen und diese Parole zu ihrem zentralen Motto machen.

Denn damit würde sie nicht nur in einer guten Tradition stehen. Es war der linke Flügel der Arbeiterbewegung, der vor 100 Jahren mitten im 1. Weltkrieg den Zusammenhang von Militarismus und Verarmung großer Teile der Bevölkerung thematisiert hat. Heute mag sich vieles geändert haben. Aber das Grundprinzip ist erhalten geblieben.

Gerade haben sich die Nato-Staaten dazu entschlossen, mehr Geld für die Rüstung auszugeben. Die einzelnen Mitglieder streiten, wo Krieg geführt wird, und welche Rolle die USA dabei noch spielen soll. Eine von Deutschland dominierte EU will auch der USA zeigen, dass sie längst nicht mehr nur auf Gleichberechtigung drängt. Es geht sogar um die Führungsmacht der sogenannten Welt und da wird es noch viel Streit geben. Doch auch die Kräfte, die eine EU möglichst unabhängig von den USA favorisieren, wollen aufrüsten.

Zu den Kräften, die sich dafür besonders einsetzen, gehören die Grünen. Kaum noch jemand wird sich daran erinnern, dass die Partei vor 30 Jahren die Nato noch abschaffen wollte. Wenn nun eine Partei mit der Parole „Gegen Nato und Hartz IV“ in den Wahlkampf ziehen würde, würde sie also nicht nur an den besten Teil der Arbeiterbewegung, sondern auch an die Zeit der linken Grünen anknüpfen.

Mit der Verbindung zwischen Aufrüstung und Verarmungspolitik, die mit Hart IV gut beschrieben ist, würde der Brückenschlag zu den vielen Menschen hergestellt, die gerne als „abgehängt“ bezeichnet werden, die sich für Wahlen oft gar nicht mehr interessieren und in letzter Zeit auch zum Zielobjekt rechter Parteien wie der AfD geworden sind.

Es wäre also einen Versuch wert, mit einer klaren allgemein verständlichen Aussage genau diese Menschen anzusprechen. Zudem müsste dann aber auch dargelegt werden, dass Aufrüstung und Verarmung keine Frage der individuellen Bösartigkeit von Politikern oder Ökonomen sind, sondern zum Kapitalismus gehören.

Die Partei will sich mehrheitlich nicht vom Mitregieren verabschieden

Dann könnte die Partei auch aus einer Minderheitsposition heraus zur Aufklärung und Organisierung beitragen. Sie müsste sie sich aber von der Vorstellung verabschieden, den Kapitalismus durch Mitregieren mitverwalten zu wollen. Denn damit wird sie weder die Militarisierung noch die Austeritätspolitik verhindern können. Sie wird vielmehr Teil davon.

Doch, weil sich große Teile vom Mitregieren nicht verabschieden wollen, werden sie auch nicht mit dieser einfachen und prägnanten Parole in den Wahlkampf ziehen. Dafür ist auf der Homepage der Linken verschwurbelt vom „Wahlprogramm der Hoffnung“[2] die Rede. Das mag kirchentagskompatibel sein, dürfte aber die Abgehängten wenig beeindrucken.

Druck auf Grundsätze

Dafür sind es konservative Kreise, die mit der Parole „Gegen Nato und Hartz IV“ beweisen wollen, dass die Linke nicht koalitionsfähig ist. Ihr Kalkül ist klar, sie wollen verhindern, dass sich die SPD auch bundesweit mit der Linken eine neue Regierungsoption schafft. Damit steigt gleichzeitig innerhalb der Linken der Druck auf diejenigen, die ihre Grundsätze nicht für einige Regierungssitze aufgeben wollen.

Wenn man die Parteiengeschichte anschaut und da ist das Beispiel der Grünen noch besonders gegenwärtig, kann man fast sicher sein, dass die Kräfte, die erkannt haben, dass Regierungssitze kein Weg zur Gesellschaftsveränderung sind, in der Minderheit sein werden, wenn es darauf ankommt.

Das heißt, wenn die Mehrheitsverhältnisse eine Koalition von Linken, SPD und Grünen zulassen und die anderen Parteien dazu bereit sind, dann gibt es auch bei der Linken keine Haltelinien mehr. Daher ist überhaupt nicht entscheidend, was jetzt in einem Wahlprogramm geschrieben wird. Entscheidend wird sein, wie schnell die Grundsätze vergessen werden, nur damit man an der Macht beteiligt ist. Dabei ist natürlich die Präsentation des Programms im Wahlkampf nicht unwichtig.

Die Befürworter einer schnellen Regierungsbeteiligung werden natürlich alle Programmpunkte, die bei den Partnern in spe Anstoß erregen könnten möglichst verstecken. Diejenigen, denen das Programm nicht so unwichtig ist, werden hingegen diese Punkte herausstellen, schon um deutlich zu machen, wo die Linke gegenüber den anderen Parteien ein Alleinstellungsmerkmal hat. In der Ablehnung der Nato und von Hartz IV bestünde es auf jeden Fall.

Zu den innerparteilichen Kräften, die vor einem Einknicken der Linken beim Hartz IV-Komplex warnen, gehört die BAG Hartz IV[3]. Sie sieht im aktuellen Programmentwurf der Linken Verbesserungen gegenüber den vorherigen Verlautbarungen und fordert ein neues Konzept der Existenzsicherung.[4] Doch die BAG Hartz IV hat am Ende ihrer Erklärung eine aktuelle Warnung beigefügt:

War es bei den letzten Wahlprogrammen jeweils so, dass der erste Entwurf durch Änderungsanträge zumindest in die Nähe der Beschlusslage gebracht werden musste, so wird darauf zu achten sein, dass er dieses Mal nicht durch solche wieder aufgeweicht wird. Aus Kreisen der Bundestagsfraktion hört man, dass dies geplant ist. Gleiches gilt auch für die dieses Mal unmissverständliche Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro und die Kindergrundsicherung für alle Kinder, die bereits in unserem Grundsatzprogramm festgeschrieben ist, in Höhe von 564 Euro. Hier findet sich allerdings ein Ansatz für eine notwendige Änderung, da diese erst als zweiter Schritt geplant ist.
BAG Hartz IV[5]

Hier wird deutlich, dass parteiintern durchaus klar ist, dass Programmentwürfe schnell Makulatur werden, wenn es um Regierungsinteressen geht.

Dabei kommt der Druck gleich von mehreren Seiten, den Regierungsanhängern in der Linken, der SPD und ganz besonders von den Grünen und ihrem Umfeld. Ein prominent in der heutigen Taz auf der Titelseite platzierter Kommentar[6] macht das deutlich. Dabei wird das Ergebnis der Saarlandwahl herangezogen und die Kommentatorin versetzt sich vermeintlich in den Kopf der Wähler:

Die würden zwar gern Schwarz-Rot abwählen, einer sozialer gewordenen Schulz-SPD ihre Stimme geben oder einer in die Mitte gerückten grünen Partei. Aber sich auf keinen Fall auf eine ménage à trois mit der Hardcoresozialistin Wagenknecht einlassen – und als unsichtbarem Vierten auch noch mit deren Ehemann, dem Linkspopulisten Oskar Lafontaine.Taz[7]

Nun wollte im Saarland die Mehrheit der Wähler keineswegs die dortige große Koalition abwählen. Die CDU-Ministerpräsidentin hatte stabile Umfragewerte. Erst mit dem Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten wurde auf einmal über einen Regierungswechsel an der Saar diskutiert. Nun zeigte sich am Wahlabend, dass es eine mediale Debatte ohne Grundlage im Saarland war. Doch darüber redet die Taz-Kommentatorin nicht. Dafür macht sie deutlich, gegen wen sie sich in der Linken richtet und wen sie für koalitionsfähig hält.

Das Duo Wagenknecht/Lafontaine steht nicht nur personell für die unversöhnliche Feindschaft und das neurotische Konkurrenzverhältnis zwischen den linken Expartnerparteien. Auch inhaltlich stehen die beiden mit ihren Maximalforderungen (Spitzensteuersatz von 53 Prozent, Euro-Abschaffung) für eine Politik, die, wie unlängst im Saarland, WählerInnen an der Regierungsfähigkeit dieser Partei im Bund zweifeln lässt. Klar, in der Führungsspitze der Linkspartei sitzen mit Katja Kipping und Bernd Riexinger auch moderatere PolitikerInnen.
Taz[8]

Nun ist es schon frappierend, wie sich diese Einschätzung der des ehemaligen SPD-Kanzlers Schröder gleicht, der keine Regierungskoalition mit der Linken sieht, solange das „Ehepaar Lafontaine“ dort das Sagen hat[9].

Doch die Taz-Kommentatorin macht auch noch einmal deutlich, wo für einen Großteil der Grünen der absolute Knackpunkt liegt. Auf die Nato und eine Militärmacht EU wollen sie nichts kommen lassen.

Wenn Wagenknecht in Talkshows fordert, dass Deutschland und die EU sich aus sämtlichen Militäreinsätzen zurückziehen sollen, Deutschland die Nato verlassen und die Sanktionen gegen Russland aufheben soll, ist sie den Forderungen der AfD sehr nah und befindet sich gleichzeitig sogar im Einklang mit ihrer Fraktion und dem Parteiprogramm. Kommunismus ist das nicht. Aber eben auch keine verlockende Aussicht für alle, die sich Signale für eine soziale, linke Politik wünschen – aber keinen Systemsturz.
Taz[10]

Besser könnten die Positionen des grünen Mainstream nicht auf den Punkt gebracht werden. Dass manche in der Linken heute noch fordern, was einmal zu den Essentials ihrer eigenen Partei gehörte, ist ihnen heute Anlass, besonders vehement gegen diese Positionen zu schießen. Dabei geht es aber nicht nur um individuelle Befindlichkeiten.


Unbeliebte Positionen gegen Militarismus und Verarmungspolitik

Bei den Grünen ist die Vorstellung einer deutschzentrierten EU, die auch ein eigenes Militär haben muss, heute besonders groß. Dass wird dort als zivilisatorische Überwindung des Nationalstaats gehandelt. Dort sind daher Positionen, die sich gegen Militarismus und Verarmungspolitik wenden, nicht besonders beliebt.

Es wären also gute Zeiten für eine Linke, die nicht nach Regierungsposten zielt, den Grundstein einer antagonistisch Linken zu bilden. Sie müsste mit klaren Forderungen gegen Nato, Kapitalismus und ihre konkreten Auswirkungen im Alltag vieler Menschen gerade den Menschen eine Stimme geben, die sich seit Jahren von der etablierten Politik abgewendet haben.

Doch da in der Linken die Mehrheitsverhältnisse nicht so sind, wird sich in den nächsten Wochen in der Diskussion alles um die Frage drehen: „Wie schaffe ich Vertrauen bei SPD und Grünen?“ Dann wird schon im Vorfeld alles vermieden, was diese Parteien verärgern könnte. Dann aber haben alle noch so wortradikalen Formulierungen im Parteiprogramm nur eine begrenzte Halbwertzeit, bis zur nächsten Koalitionsrunde.

Die wenigen Anhänger einer konsequenten Oppositionspolitik können sich nur damit trösten, dass wohl auch nach den nächsten Bundestagswahlen die Linke nicht in Regierungsverantwortung stehen wird.
Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Das-Wahlprogramm-der-Linken-Absage-an-NATO-und-Hartz-IV-3675095.html

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http://www.heise.de/-3675095

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/inland/linkspartei-wahlprogramm-103.html
[2] https://www.die-linke.de/die-linke/wahlen/wahlprogramm-2017/
[3] http://www.bag-hartz-iv.de/nc/politik/aktuell/
[4] http://www.bag-hartz-iv.de/fileadmin/lcmsbaghartziv/pdf/111204_bag_hartz_iv_hoehe_existenzsicherung.pdf
[5] http://www.bag-hartz-iv.de/nc/presse/aktuell/detail/zurueck/aktuell-d0296deca8/artikel/programmentwurf-wird-dem-anspruch-gerecht/
[6] http://www.taz.de/!5393889/
[7] http://www.taz.de/!5393889/
[8] http://www.taz.de/!5393889/
[9] https://www.heise.de/tp/features/Wahlkampf-ohne-linke-Alternative-3673182.html
[10] http://www.taz.de/!5393889/

Raus aus dem Hamsterrad!


Die Gruppe Haus Bartleby predigt den Abschied vom Arbeitswahn – doch auch Müßiggang macht Mühe

Mit der Absageagentur machte das Haus Bartleby Furore. Zwischen 2010 und 2012 eröffnete die Gruppe in verschiedenen Städten Büros, in denen Interessierte den Personalbüros nicht etwa ihre besonderen Qualifikationen anpriesen. »Wir bieten Ihnen einen effizienten Service, wenn es darum geht, problematische Stellenangebote zu erkennen und dauerhafte Lösungen zu finden«, so bewarb die ungewöhnliche Einrichtung ihre Dienste. Die Kunden der Absageagentur teilten verschiedenen Personalbüros mit, warum sie eine miese Stelle lieber nicht antreten wollten.

»Ich möchte lieber nicht« wurde zum Leitmotiv des Haus Bartleby, einer Assoziation junger Wissenschaftler, Künstler und Autoren. Als Namensgeber hatten sie sich einen Romanhelden des US-Schriftstellers Hermann Melville ausgesucht. Der Held seiner Erzählung »Bartleby, der Schreiber« hat jahrelang unauffällig als Rechtsanwaltsgehilfe gearbeitet, bis er alle Tätigkeiten mit einem schlichten Satz ablehnte: »I would prefer not«. Der Satz kann mit »ich möchte lieber nicht« oder schlicht und prägnant mit »nein danke« übersetzt werden.

Es ist ein gutes Motto für eine Generation hochqualifizierter, prekärer Wissensproduzenten, die sich nicht mehr meistbietend verkaufen wollten. »Viele von uns waren KarrieristInnen, oder zumindest Leute, die mit den vielbeschworenen ›Chancen‹ ausgerüstet sind, die bei Anpassung ans Konkurrenzsystem ein Leben im Wohlstand der 20-Prozent-Gesellschaft ermöglichen würden«, beschreibt Alix Faßmann vom Haus Bartleby ihre Klientel. Sie ist Mitherausgeberin der Anthologie »Sag alles ab – Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik«. In dem Band fordern KünsterInnen und PublizistInnen die Absage an die »Ideologie des Arbeitswahns« und die »Rückeroberung der eigenen Besinnung« (Martin Nevoigt). Stattdessen möge man den Müßiggang, die Eleganz und die Liebe pflegen. »Hamster, halte das Rad an«, fordert das Herausgeberkollektiv.

»Linkssein ist heute die totale Karriereverweigerung«, dieses Motto fand Anklang bei vielen Prekären, die sich im Alltag ganz pragmatisch ihren Weg durch den Projekte- dschungel bahnen mussten.

Mit den Niederungen der Projektfinanzierung machten auch die Mitstreiter von Haus Bartleby Erfahrungen. »Die Arbeit von Parteistiftungen, die so schillernde Namen wie Rosa Luxemburg und Heinrich Böll tragen, hat sich leider weitgehend als dysfunktional erwiesen, was uns im größeren Maßstab nicht überrascht, jedoch uns persönlich vor Probleme in diesem Jahr stellt«, erklärt der Soziologe und Mitbegründer des Haus Bartleby Hendrik Sodenkamp gegenüber »nd«.

Das Kapitalismustribunal war das größte Projekt des Haus Bartleby. Die genannten Stiftungen hatten, so Sodenkamp, den ersten Teil des Spektakels finanziell unterstützt. Zwischen 1. und 12. Mai 2016 wurden in Wien rund 400 Anklagen aus aller Welt gegen das derzeitige ökonomische System und die Gesetze, die es tragen, verlesen und verhandelt. Dutzende bekannte Wissenschaftler nahmen an der – nach Manier einer Gerichtsverhandlung gestalteten – Performance teil, die Weltöffentlichkeit konnte dem mitunter etwas ermüdenden Verfahren zusehen.

Für die Fortführung des Tribunals gab es allerdings keine Anschlussförderung durch die Stiftungen mehr. Die Pressesprecherin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Jannine Hamilton wollte sich gegenüber »nd« im Detail nicht dazu äußern. »Die Förderung eines Projektes in einem Jahr begründet keinen Automatismus für die weitere Förderung im Folgejahr. Auch beim ›Kapitalismustribunal‹ gab es zu keiner Zeit eine Zusage zur Fortführung an die AntragstellerInnen«, betont Hamilton.

Nun wollen die Aktiven des Haus Bartleby neue Sponsoren für den zweiten Teil des Kapitalismustribunals finden. Zwischen Oktober 2017 und Juni 2018 sollen in sieben öffentlichen Verhandlungen im Berliner Haus der Demokratie exemplarisch 28 Anklagen präsentiert werden. Der Ablauf ist bereits minuziös vorgeplant: Zu jedem Generalfall werden von einem Experten der Kapitalismusanklage Beweise in Form von Urkunden präsentiert. Im Anschluss hat die Verteidigung zehn Minuten, um darauf zu reagieren. Später soll dann in einem Wiener Theater das Urteil über den Kapitalismus gesprochen werden.

Die filmische Dokumentation des Wiener Auftakttribunals wurde in einer eben zu Ende gegangen Ausstellung im Kulturverein Neukölln gezeigt und kann beim Videoportal Youtube betrachtet werden. Ein Großteil der Anklagen blieb leider recht abstrakt. So verklagte ein Antragssteller den Kapitalismus, weil er ihm durch den Zwang, seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Lebenszeit stehle. Ein anderer Kläger beschuldigte die Banken und die Geldwirtschaft des Verbrechens.

Das Haus Bartleby ist jetzt einmal wieder sehr praktisch mit den alltäglichen Sorgen im Kapitalismus konfrontiert. Es musste seine Arbeitsräume in Berlin-Neukölln aufgeben, weil die Miete zu teuer geworden ist.

Haus Bartleby (Hg.), Sag alles ab! – Plädoyers für den lebenslangen Generalstreik, Nautilus, broschiert, illustriert,

160 Seiten

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1047107.raus-aus-dem-hamsterrad.html

Peter Nowak

Wahlkampf ohne linke Alternative

Merkel und Seehofer üben den Schulterschluss und Schröder warnt davor, dass die SPD wieder sozialdemokratische Elemente aufnimmt

Gerade mal 15 Monate ist es her, dass der CSU-Vorsitzende Seehofer in den Medien verdächtigt[1] wurde, Bundeskanzlerin Merkel stürzen zu wollen. Nun werden ganz andere Töne vom CSU-Chef vernommen. Da wird Merkel als größter Trumpf der Union[2] bezeichnet. Ist das nun Schizophrenie oder hat Seehofer eine Sinneswandlung durchgemacht?

Wohl kaum, der Bundestagswahlkampf beginnt bald und da werden die Fronten begradigt. Da sortieren sich vorübergehende Kooperationspartner, das hat nun nichts mit Freund und Feind zu tun, sondern einfach mit Machtverhältnissen. Seehofer, der nie ernsthaft vorhatte, die CSU als eigenständige Partei aufzustellen, schließlich ist selbst der CSU-Übervater F.J. Strauß davor zurückgeschreckt, hat wenige Monate vor der Wahl einfach ganz rational gehandelt.

Da die Union nur als Einheit eine Chance hat, und Merkel als Kandidatin gesetzt ist, hat Seehofer genau diesem Fakt nun Rechnung getragen. Alles andere wäre ein Untergangsprogramm für die Union und besonders für die CSU. Nach den Wahlen wird dann die Auseinandersetzung zwischen CSU und CDU, die ja nicht auf die Personen Seehofer und Merkel begrenzt ist, weitergehen. Sollte die Union Stimmen verlieren und womöglich die nächste Regierung nicht mehr stellen, sind die Tage von Merkel sowieso gezählt.

Nischendasein der konservativen Merkel-Kritiker in der Union

Ihre konservativen Kritiker, die sich ja auch in der Union nicht erst in der letzten Zeit zu organisieren[3] beginnen, würden dann im innerparteilichen Kräftemessen an Bedeutung gewinnen. Aber auch wenn die Union mit Merkel noch einmal gewinnt, werden die Auseinandersetzungen weitergehen. Schließlich muss die Union sowohl die konservativen, christlichen, deutschnationalen als auch die liberalen Elemente bedienen.

Insofern gehört diese Auseinandersetzung, so zugespitzt sie auch manchmal zwischen Merkel und Seehofer geführt wurde, zum Politalltag. Es ist dann manchmal erstaunlich, wie politische Beobachter unterschiedlicher politischen Couleur hier immer gleich Gefahren für Regierung und Partei konstruieren wollen, wenn gestritten wird. Viel interessanter ist die Tatsache, dass die verschiedenen konservativen Aufbrüche, die zurück zu Zeiten von F.J. Strauß oder gleich zurück zu Adenauer wollen, nicht über ein Nischendasein in der Union hinauskommen, weil die politischen Verhältnisse einfach über ihre Vorstellungen hinweggegangen sind.

In der Nach-Merkel-Union dürfte sich daran wenig ändern. Allerdings ist deswegen die Union nicht sozialdemokratisiert, wie immer wieder behauptet wird. Es ist in der Realität ein Streit zwischen unterschiedlichen Varianten konservativer Politik. Merkel hat noch einmal mit ihrer Polemik gegenüber Rot-Grün in NRW deutlich gemacht, dass sie weiterhin Teil der Konservativen ist, was ihr ja manche abgesprochen haben.

Nun ist es nichts Besonderes, dass eine Partei die Koalition angreift, die sie ablösen will. Doch die Verknüpfung von Rot-Grün mit höherer Kriminalität und der Vorwurf, dass NRW dazu beigetragen hat, dass die Stimmung gegen Migranten gekippt ist, zeigt schon, dass die Union einen explizit rechten Wahlkampf führen will und Merkel ist Teil dieser Strategie.

Die Union macht sich Hoffnungen, in NRW nach der Wahl zumindest Teil einer Koalition mit der SPD zu sein, was für sie schon ein Erfolg wäre. Schließlich ist NRW ein schwieriges Terrain für die Konservativen. Es galt lange Zeit als Herzkammer der SPD. 2005 läutete die SPD-Niederlage in NRW bei Landtagswahl das Ende von Rot-Grün auf Bundesebene ein.

Schröder kämpft für seine SPD ohne sozialdemokratische Spurenlemente

Nun hat sich jener Schröder, der nach seiner Kanzlerschaft bald lukrative Posten im Ausland hatte, auch in der Vorwahlzeit wieder zu Wort gemeldet. Er empfiehlt[4] der SPD, bloß nicht abzuweichen von der von ihm federführend mit durchgesetzten Austreibung der letzten sozialdemokratischen Spurenelemente aus der SPD.

Dieser jahrzehntelange Prozess kam mit Schröder zu seinem Abschluss. Das Konzept von New Labour[5], das vor allem Schröder und sein britischer Pendant Tony Blair vor fast 15 Jahren entwickelt hatten, war einerseits ehrlich. Endlich wurde auch offiziell die Sozialdemokratie beerdigt, die man praktisch und theoretisch schon längst zu Grabe getragen hatte.

Doch nicht alle wollten es wahrhaben. Danach gab es keine Illusionen über den Charakter der SPD als einer Variante kapitalistischer Politik mehr. Die Agenda 2010 war dann nur die praktische Umsetzung dieser Politik. Anders als in Großbritannien, wo der Erfolg des Labour-Vorsitzenden Corbyn zumindest eine verbale Distanz zu diesem Konzept des New Labour bedeutete, blieb in der SPD der rechte Flügel hegemonial.

Die beiden letzten Kanzlerkandidaten der SPD hatten Schröders Zustimmung. Peer Steinbrück wurde sogar von ihm ins Gespräch gebracht[6]. Dass Schröder sich jetzt demonstrativ hinter Schulz stellt, ist eine vergiftete Unterstützung.

Damit will Schröder nämlich auch deutlichmachen, dass Schulz bei allem rhetorischen Getue ein würdiger Erbe seiner Politik ist. Alle, die da einen Einstieg in eine linkere SPD sahen, werden schnell enttäuscht sein. Der von manchen gefürchtete, von manchen erhoffte Linksruck der SPD hat unter Schulz nicht stattgefunden.

Kampfansage an die Familie Lafontaine

Wenn Schröder vor der Familie Lafontaine warnt und damit seinen zeitweiligen Kompagnon in der SPD Oskar Lafontaine und dessen Frau Sarah Wagenknecht meint, schießt er gegen den Parteiflügel, der der SPD am gefährlichsten ist. Denn nicht an die AfD docken beide mit ihren populistischen Sprüchen gegen Migranten an, sondern an die klassische SPD. Auch sonst ist ihr Programm klassisch sozialdemokratisch nach dem Verständnis der 1970er Jahre.

Genau dieses sozialdemokratische Gedankengut hat Schröder aus der SPD erfolgreich vertrieben. Lafontaines Abgang war dann nur konsequent. Schröder ist so der selbsternannte Wächter gegen jede Sozialdemokratisierung der SPD und hilft damit der Linken wider Willen. Denn solange die SPD auf Schröder-Kurs bleibt, kann sich die Linke als sozialdemokratische Alternative darstellen.

Je mehr die SPD rhetorisch wieder an anderes anknüpft, desto schwerer ist es für die Linke, sich als die eigentliche SPD zu verkaufen. Wenn nun Schröder noch erklärt, mit Bodo Ramelow könnte er sich ein Bündnis vorstellen, wobei klar sein muss, dass die SPD die Politik bestimmt, müsste doch selbst bei den vielen Koalitionsbefürwortern bei der Linken die Alarmglocken klingeln.

Hier soll die Linke gespalten, marginalisiert und dann überflüssig gemacht werden. Wenn Schröder nun schon solche Pläne so offen ausplaudert, und die Linke in der Mehrheit immer noch unter der SPD regieren will, ist ihr wirklich nicht zu helfen.

Auch auf europäischer Ebene keine sozialdemokratischen Tendenzen

Auch auf europäischer Ebene ist nicht von einer Rückkehr der Sozialdemokratie auszugehen. Die griechische Regierung hat beim Jubiläumsgipfel in Rom in der letzten Woche versucht, einige sozialdemokratische Duftmarken zu setzen[7] und war damit gescheitert.

Dabei ging es konkret um die Frage, ob die griechische Regierung von der Eurogruppe gezwungen werden darf, das Sozial- und Tarifrecht zu liberalisieren und damit auch die Tarifautonomie aufzuheben[8] und die Gewerkschaftsrechte weiter auszuhöhlen[9]. Die Gläubiger fordern, die Bindung von Tarifverträgen zu lockern und neue Möglichkeiten für Massenentlassungen zu schaffen.

„Die zentrale Frage ist, ob soziale und Arbeitnehmerrechte in der Europäischen Union künftig gleichberechtigt neben den Rechten der Unternehmen stehen – oder ob der Binnenmarkt weiter höchste Priorität hat“, bringt die Taz den Konflikt auf den Punkt.

Die erste Position wäre klassisch sozialdemokratisch, doch die hat nicht nur in Deutschland, sondern auch auf EU-Ebene einen schweren Stand. So ist es auch absurd, wenn jemand von einer Sozialdemokratisierung der Gesellschaft redet oder der Union nachsagt, sie hätte sich sozialdemokratisiert. Korrekt wäre zu sagen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Pragmatische sozialdemokratische Positionen gelten heute schon fast als revolutionär.
https://www.heise.de/tp/features/Wahlkampf-ohne-linke-Alternative-3673182.html?seite=2

Peter Nowak
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[1] http://www.focus.de/politik/videos/fluechtlingskrise-wenn-sich-nichts-aendert-seehofer-bringt-sturz-von-angela-merkel-ins-spiel_id_5235103.html
[2] http://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/seehofer-merkel-lob-51104336.bild.html
[3] http://konservativeraufbruch.de/
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/koalition-mit-linkspartei-altkanzler-schroeder-warnt-seine-partei-vor-rot-rot-gruen-14952604.html
[5] http://www.spiegel.de/politik/ausland/hintergrund-von-labour-zu-new-labour-a-267879.html
[6] https://www.welt.de/debatte/kommentare/article106294221/Gerhard-Schroeder-wuerde-Peer-Steinbrueck-nehmen.html
[7] http://www.taz.de/!5392600/
[8] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eurokrise/griechenland-troika-fordert-aufhebung-der-tarifautonomie-11487749.html
[9] http://weiterauszuhöhlen

Widerstand gegen Abschiebung

In der Schweiz gibt es Proteste gegen die Abschiebung des angeblichen Eta-Mitglieds Nekane Txapartegi nach Spanien
Widerstand gegen Abschiebung

Das Schweizer Bundesamt der Justiz hat entschieden, das angebliche Eta-Mitglied Nekane Txapartegi nach Spanien abzuschieben, obwohl sie dort wahrscheinlich gefoltert werde. Die Kritik daran wächst, Rechtsmittel sind offen.

In mehreren Schweizer Städten sind in den vergangenen Wochen Hunderte Menschen aus Solidarität mit Nekane Txapartegi auf die Straße gegangen. Das zuständige Bundesamt der Justiz (BJ) hatte entschieden, dass die 43jährige Baskin an Spanien ausgeliefert werden kann. Sie war am 6. April 2016 in Zürich festgenommen worden und saß seitdem in Auslieferungshaft. Das spanische Auslieferungsersuchen stützte sich ursprünglich auf ein Urteil des Obersten Spanischen Gerichtshofs, der sie am 22. Mai 2009 wegen Unterstützung der mittlerweile aufgelösten baskischen Untergrundorganisation Eta zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt hatte. In einem Revisionsverfahren hatte der Oberste Spanische Gerichtshof das Urteil auf drei Jahre und sechs Monate reduziert. Vor Haftantritt tauchte Txapartegi unter und lebte nach eigenen Angaben seit 2009 unter anderer Identität in der Schweiz. Im Auslieferungsverfahren machte sie insbesondere geltend, sie sei in Spanien auf der Grund­lage eines unter Folter abgelegten Geständnisses verurteilt worden.

Das Bundesamt für Justiz befand in einer Pressemitteilung, Txapartegi habe nicht glaubhaft darlegen können, dass sie gefoltert wurde. Dabei stützt sich die Schweizer Behörde ausschließlich auf spanische Quellen. »Die spa­nischen Behörden übermittelten alle verlangten Unterlagen (namentlich die Gerichtsurteile im Zusammenhang mit der Überprüfung der Foltervorwürfe und medizinische Unterlagen, Anm. d. Red.) und erklärten ausdrücklich, dass die Frau nicht gefoltert worden sei«, heißt es in der Pressemitteilung des BJ. Diese Lesart stieß auf hef­tigen Widerspruch der außerparlamentarischen Linken und auch von Schweizer Menschenrechtsgruppen, die in den vergangenen Monaten eine Kampagne gegen die Auslieferung Txapartegis initiiert hatten.

Unberücksichtigt ließ die Behörde Gutachten, die die Version der baskischen Aktivistin bestätigten. Ihre Anwälte hatten den Wiener Psychiater Thomas Wenzel und den türkischen Rechtsmediziner Önder Özkalıpçı mit Expertisen beauftragt. Nach der Begutachtung von Txapartegi im Gefängnis und dem Studium der medizinischen Dokumentation kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Frau gefoltert wurde. »Unsere Befunde bestätigten in den Schlussfolgerungen den Folter­bericht der Betroffenen«, schreibt Wenzel. Özkalıpçı kommt unter Betrachtung der psychologischen Diagnosen Txapartegis und den belegten Befunden zu dem Schluss, dass »sie in den zehn Tagen der Verhaftung in Kontaktsperre zwischen dem 9. und dem 19. März 1999 gefoltert wurde«.
Die beiden Experten untersuchten den Fall anhand des Istanbul-Protokolls. Dabei handelt es sich ein international anerkanntes Handbuch für die »wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung oder Strafe«. Es wurde von Ärzten, Psychologen, Menschenrechtlern und Juristen von 40 Organisationen und 15 Ländern verfasst, die auf Folter spezialisiert sind. Der im Genfer Exil lebende Özkalıpçı ist einer der Koautoren des Istanbul-Protokolls. Der Gutachter Wenzel ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Foltererkennung.

Die klaren Expertenaussagen hatten bei Unterstützern Txapartegis die Hoffnung genährt, dass sich die Schweiz an der belgischen Justiz orientieren würde. Die hatte bereits im Jahr 2013 die Auslieferung der angeblichen Eta-Angehörigen Maria Natividad Jauregui Espina verweigert, weil Foltervorwürfe von den spanischen Behörden nicht ordnungsgemäß untersucht worden waren. 2016 verweigerte Belgien ihre Auslieferung erneut, weil damit die Menschenrechte verletzt würden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den vergangenen Jahren Spanien acht Mal verurteilt, weil Foltervorwürfe nicht untersucht und die Verantwortlichen nicht an­geklagt worden seien. Bekannte spanische Richter wie Balthasar Garzón und José Ricardo de Prada haben mittlerweile die Folterpraktiken bestätigt.
Lilo König von der Schweizer Menschenrechtsorganisation Augenauf äußerte Unverständnis über das BJ im Fall von Txapartegi. »Der Entscheid hat uns überrascht, weil die Indizien für die Folter in diesem Fall außerordentlich stark sind. Offenbar war es für die Behörde wichtiger, am Prinzip festzuhalten, dass eine europäische Demokratie nicht foltere«, sagte sie der Jungle World. Sie betont auch, dass Txapartegi noch zahlreiche Möglichkeiten habe, um ihre Auslieferung zu verhindern.

Im Auslieferungsverfahren ist der Gang an das Bundesstrafgericht offen. »Im parallel laufenden Asylverfahren ist noch kein Entscheid erfolgt, wir rechnen jedoch aufgrund der Begründung des Auslieferungsentscheides mit der Ablehnung des Asylantrages. Hier ist noch ein Weiterzug ans Bundesverwaltungsgericht möglich«, so König. Danach könnte der Fall bei der obersten juristischen Instanz der Schweiz, dem Bundesgericht, landen. Sollte dort die Auslieferung Txapartegis bestätigt werden, könnte die Angelegenheit könnte entweder an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) oder dem CAT (Uno-Komitee gegen Folter) gehen.

https://jungle.world/artikel/2017/13/widerstand-gegen-abschiebung
Peter Nowak

Petition gegen einen Gruppenleiter

KNAST Insassen der JVA Tegel werfen einem Sozialarbeiter im Gefängnis vor, sie schlecht zu behandeln

Die Vorwürfe gegen einen Sozialarbeiter der JVA Tegel wiegen schwer. Eine Petition, die vor einigen Wochen von 18 Insassen
im Hafthaus V der JVA Tegel unterzeichnet wurde, beginnt so: „Wir bitten Sie um Hilfe bei der Erreichung unseres Vollzugs,
welcher leider durch den für unsere Behandlung und Unterstützung verantwortlichen Gruppenleiter nicht nur verhindert, sondern konterkariert wird.“ Die Insassen werfen ihm vor, sie „abwertend, verständnislos und überheblich“ zu behandeln. „Mit seiner mangelnden Empathie brüstet er sich bei Verkündung seiner vorrangigen Aufgabe, uns Inhaftierten unsere Fehler und Schwächen nachdrücklich vorzuhalten“, heißt es in der Petition. Die Unterzeichner betonen, dass auch etliche Stationsbedienstete den kritisierten Sozialarbeiter als „Punisher“ bezeichnen, und verweisen auf mehrere Urteile von Strafvollstreckungskammern gegen seine Maßnahmen. Zu den Unterzeichnern der Petition gehören auch mehrere Aktivisten der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), die in der JVA Tegel gegründet wurde. Deren Sprecher Oliver Rast machte jetzt öffentlich, dass mehrere Unterzeichner sanktioniert wurden. Der Stationssprecher Hauke Burmeister wurde in ein
anderes Hafthaus innerhalb der JVA verlegt. Zudem wurde ihm eine Zwangsverlegung in eine Haftanstalt in einem anderen
Bundesland angedroht. Den massiven Druck gegenüber den Unterzeichnern bestätigt auch ein Gefangener, der anonym
bleiben will. Mehr als die Hälfte seien vor das Gremium der Teilanstaltsleitung zitiert und eingeschüchtert worden, sagt er. Einige seien regelrecht in Panik geraten, als ihnen mit einer Anklage wegen Meuterei gedroht wurde. Eine solche Anklage könnte eine erneute Verurteilung bedeuten. Daraufhin hätten zwei der Unterzeichner ihre Unterschrift zurückgezogen. „Es kann nicht sein, dass Gefangene, die mittels einer Petition ein demokratisches Grundrecht ausüben, mit einem solchen Vorwurf unter Druck
gesetzt werden“, kritisiert GG/BO Sprecher Oliver Rast gegenüber der taz. Er erwartet vom Berliner Justizsenator Dirk Behrendt
(Grüne), dass die Vorwürfe überprüft und die Schikanen verurteilt werden. Der stellvertretende Pressesprecher der Senatsverwaltung für Justiz, Sebastian Brüx, erklärte, er könne erst im Laufe der Woche eine Stellungnahme abgeben, weil die Behördepersonell gerade schwach besetzt ist.

Taz, MONTAG, 3. APRI L 2017

PETER NOWAK

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Zensiert die JVA Tegel die „taz“?

Unseren Informationen zufolge wurden heute in der JVA Tegel keine Ausgaben der Tageszeitung „taz“ den Gefangenen ausgehändigt, was seit Jahren üblich ist. Die Ausgaben werden vor allem über den Verein „Freiabos“ verteilt bzw. ausgelegt.
Inhaftierte haben die Vermutung, dass dies eine Reaktion der JVA-Leitung auf den heutigen „taz“-Artikel von Peter Nowak zu den Schikanen gegen Inhaftierte aufgrund der Abfassung einer Protest-Petition sein könnte.
„Falls es sich bei der Nicht-Aushändigung der ´taz´ um faktische Zensurmaßnahmen der Tegeler JVA-Leitung handeln sollte, dann ist dies ein weiterer Beleg, dass die Berliner Vollzugsbehörden unter Senator Behrendt (Grüne) eine kritische Öffentlichkeit unterlaufen und Inhaftierte vom Pressezugang ausschließen“, so GG/BO-Sprecher Oliver Rast.

Berlin, 03. April 2017

Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation

https://ggbo.de/zensiert-die-jva-tegel-die-taz/