Hilft Gabriels Rückzug der SPD?

Martin Schulz soll als Kanzlerkandidat und SPD-Vorsitzender für die SPD einen Neuanfang ermöglichen

Seit Wochen haben die Medien den Eindruck erweckt, der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel[1] werde als Kanzlerkandidat gegen Merkel antreten und sein Parteifreund Martin Schulz[2] müsse sich mit einer Funktion in der zweiten Reihe zufrieden geben. Es gab sogar schon Meldungen, dass Gabriel als Vizepräsident und Bundeswirtschaftsminister zurücktreten würde. Sogar über Nachfolger wurde schon spekuliert. Und nun sind all diese Meldungen Makulatur. Gabriel schlägt selber seinen Kontrahenten Schulz zum Kanzlerkandidaten und als seinen Nachfolger als SPD-Vorsitzenden vor.

Die offizielle Begründung ist mehr als fadenscheinig: So wird auf die schlechten Umfrageergebnisse Bezug genommen, die einen Erfolg der SPD unwahrscheinlich machen sollen. Es ist aber nichts Neues, dass die SPD um die 20 Prozent kreist. Bisher wurde dann immer betont, dass Umfrageergebnisse und Wahlergebnisse nicht dasselbe seien. Der Rückzug Gabriels zeigt hingegen, dass es einen parteiinternen Machtkampf gab und der Druck auf Gabriel wohl am Ende so stark war, dass er den Rückzug antrag. Jetzt will er ins Außenministerium wechseln, aber auch darüber müssen die Parteigremien noch befinden.

Auf dem SPD-Präsidium erklärte Schulz, dass er für die große Koalition für einen Neuanfang stehe. Auch dieser Befund ist fraglich. Schließlich stand Schulz für eine Koalition zwischen Sozial- und Christdemokraten im EU-Parlament, die von vielen als ein Grund für die EU-Kritik gesehen wurde. Zudem hat Gabriel in den letzten Wochen versucht, nach links zu blinken. So hat er sich nicht nur auf Treffen von Grünen, Sozialdemokraten und Linksparteipolitikern gezeigt, die dort eine mögliche Kooperation ausgelotet haben. Selbst mit Sahra Wagenknecht, die einer solchen Kooperation gegenüber nicht ablehnend, aber kritischer gegenübersteht, hatte sich Gabriel getroffen. Da war schon klar, dass Gabriels Machtanspruch in der Partei angegriffen wird.

Dass er letztlich vor der entscheidenden Parteisitzung, auf der es um die Kanzlerkandidatur ging, den Rückzug antrat, kann auch daran liegen, dass er nicht wie Beck und Rudolf Scharping enden wollte. Beide wurden von parteiinternen Konkurrenten abgesägt. Dieses demütigende Erlebnis wollte sich Gabriel ersparen. Auf die Treueschwüre von Schulz, dass er seinem Parteifreund den Vortritt lasse, wenn er denn wolle, wollte er sich nicht verlassen. Nun wird sich zeigen, ob sich die SPD unter Schulz stabilisiert oder ob Gabriels mit seinem scheinbar abrupten Rückzug die Partei noch mehr in Aufruhr bringt.

Schon gab es Kritik von Politikern, dass sie von Gabriels Rückzug aus der Presse erfahren hätten. So könnte sich bald eine Kluft zwischen den Anhängern von Schulz und von Gabriel noch vertiefen. Wenn der Konflikt bis zur Bundestagswahl notdürftig gekittet werden sollte, könnte Schulz mit seinem prononcierten Pro-EU-Wahlkampf einen Teil der Wähler aus dem eigenen Milieu von einer Stimmabgabe für Merkel abhalten, die sich ebenfalls als Kandidatin der EU geriert. Der Kampf um die Wähler würde dann innerhalb der Parteien der großen Koalition und der Grünen stattfinden.

Für die AfD und ihr Umfeld ist der Kandidat der EU schon lange ein Feindbild. Sie können nun neben Merkel auch Schulz als Angriffspunkt wählen. Für die Linke gäbe es eine Chance, sich gegenüber Schulz zu profilieren. Denn auch er hat außer der Beschwörung von Werten bislang wenig zu bieten.

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Peter Nowak


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