Wahljahr 2017: Alles auf die AfD ausgerichtet?

Christian Lindner[1] ist Vorsitzender einer Partei, der es in diesem Jahr um viel geht. Entweder die FDP schafft es bei den Bundestagswahlen wieder über die Fünfprozenthürde und wird womöglich wieder an einer Bundesregierung beteiligt sein oder die FDP geht den Weg der Piratenpartei, über die bald niemand mehr reden wird.

Nun hat die FDP grundsätzlich zwei Möglichkeiten, sich politisch zu profilieren. Sie kann wie in den frühen 1970er Jahren als Bürgerrechtspartei – mit den Grünen und den Piraten – um Wählerstimmen konkurrieren oder sie geht einen Weg des Nationalliberalismus, also eines Kurses rechts von der Union. Es gab in den vergangenen 20 Jahren schon mehrere Versuche, das erfolgreiche Konzept der österreichischen FPÖ zu kopieren. Sie sind alle gescheitert.

Am Spektakulärsten war das Scheitern bei Jürgen W. Möllemann. Lindner will nun wie auch andere FDP-Politiker ihre Partei rechts von der Union positionieren, aber sich natürlich keineswegs eine mögliche Koalition mit dieser Partei verbauen. Im Grunde knüpft das aktuelle FDP-Team damit an Westerwelle an, der ja zunächst Möllemann bei der Rechtswende und dem Projekt 18 assistierte, dann aber frühzeitig die Reißlinie zog.

Wenn Westerwelle gegen die angebliche Sozialdemokratisierung der Union und Deutschlands polemisierte oder dem weiteren Sozialabbau das Wort redete und vor spätrömischer Dekadenz warnte, dann sprach daraus der Exponent einer radial antisozialen Partei.

Da wollen Lindner und Kubicki[2], das gegenwärtige FDP-Team, das den Bruderkrieg schon ins sich trägt, die FDP wieder hinbringen. Da erstaunt es schon, dass der CDU-Generalsekretär Tauber gleich die AfD-Keule herausholt und Lindner als Gauland im Maßanzug bezeichnet.

Der AfD-Rechtsaußen fällt immer wieder mit rechtspopulistischen Positionen auf. Nun wirft die FDP der Merkel-Union schwere Fehler bei der Flüchtlingspolitik vor und warnt vor der Isolation Deutschlands in der EU in der Frage der Migrationslenkung.

Allerdings ist in dieser Frage die offizielle FDP-Position weniger strikt als beispielsweise die von Seehofer und anderer CSU-Politiker. Wenn Tauber denen AFD-Positionen vorwerfen würde, wäre wohl der Friede innerhalb der größten Regierungspartei endgültig in Gefahr.

Die Ausfälle des Merkel-Vertrauen Tauber zeigen natürlich auch, wie blank die Nerven bei der Regierungspartei liegen. Sollte es noch mehr islamfaschistische Anschläge geben, könnte die Union noch weiter an Stimmen verlieren. Für die Merkel-Union ist weniger die AfD das Problem.

Im Gegenteil, nur wenn sich Merkel als Bollwerk gegen die AfD und den Rechtspopulismus inszeniert und dabei möglichst Stimmen aus den Reihen der ehemaligen Wähler von SPD und den Grünen bekommt, kann sie mit einen Erfolg rechnen. Doch Parteien wie die FDP sind für Unionswähler, die mit dem Merkelkurs nichts anfangen können und trotzdem nie AfD wählen würden, eine reale Alternative.

Diese direkte Konkurrenz erklärt auch die Verbalattacke auf Lindner. Den aber wird sie freuen. Schließlich wird jetzt erst so richtig wahrgenommen, dass Lindner seine Partei unbedingt wieder ins Parlament bringen will. Freuen werden sich auch Gauland und die AfD.

Sie bestimmen schon soweit die politische Agenda, wenn jetzt schon der Streit entbrannt ist, wie weit denn dieser oder jene Politiker die AfD kopiert. Die braucht solche Auseinandersetzungen gar nicht kommentieren, sondern nur darauf setzen, dass sich dann noch mehr Wähler für das Original interessieren. Und es ist ja nicht nur Lindner, dem eine Nähe zur AfD vorgeworfen.


Auch die Spitzenkandidatin der Linkspartei Sahra Wagenknecht steht wieder einmal in der Kritik von Grünen, SPD und auch Teilen ihrer eigenen Partei, weil sie im Interview mit dem Deutschlandfunk[3] erklärt hat, dass sie den Teil der AfD-Wähler gewinnen will, die aus Unzufriedenheit und nicht aus Überzeugung die Rechtspartei wählen.

Sie wolle denen signalisieren, dass es eine sozialere Gesellschaft nicht mit der AfD, sondern nur mit der Linken geben kann. Nun kann Wagenknecht mit Recht darauf verweisen, dass die Analysen der Wählerwanderungen deutlich machen, dass ein Teil der heutigen AfD-Wähler noch vor knapp 10 Jahren die Linke gewählt hat, weil es in ihnen in erster Linie darum ging, ihre Unzufriedenheit auszudrücken.

Doch die Frage, ob es einem Großteil von ihnen wirklich darum geht, soziale Unzufriedenheit auszudrücken , oder ob sich nicht in dem Wahlverhalten auch ein tendenziell rassistischer Erklärungsansatz ausdrückt, ist auf jeden Fall ein berechtigter Gegeneinwand. Das würde Wagenknecht nun aber noch nicht in AfD-Nähe bringen, wenn sie sich nach dem von ihr selber vorgestellten Drehbuch hält.

Es gehe darum, diesen Wählern aufzuzeigen, dass es mit der Linken eine sozialere Alternative gibt. Wenn die aber nicht angenommen wird, müsste auch klar sein, dass es gar nicht um einen sozialen Protest, sondern schlicht um die Ablehnung von Migranten geht.

Wenn dann aber mit dem Argument, wir müssten die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen, auch da noch weitere Angebote nachgeschoben werden, wäre die Kritik an Wagenknecht auf jeden Fall berechtigt. Tatsächlich wird sie bei aller Kritik diesen Wahlkampf der Linken weitgehend bestimmen. Das Ergebnis wird auch etwas darüber aussagen, welchen Einfluss sie nach den Wahlen noch in der Partei haben wird.

Erlangt die Linke ein deutlich zweistelliges Ergebnis, wie Wagenknecht im Deutschlandfunk-Interview als Zielmarge nannte, wird der Erfolg ihrer Strategie angerechnet werden. Stagniert die Linke oder verliert gar, wird auch dieser Malus ihr angerechnet. Die innerparteilichen Kritiker, die dann auf eine Entmachtung Wagenknechts drängen, warten auf jeden Fall auf ihre Chance.

Denn hier geht es auch um zwei unterschiedliche Politikentwürfe für die Linkspartei, die beide den Anspruch haben, für eine moderne linke Reformpolitik zu stehen .Wagenknecht gibt da eher die Traditionssozialdemokratin, die ihre Partei links von der SPD positioniert und sich vor allem auf Fragen von sozialer Gerechtigkeit konzentriert.

Den Kapitalismus stellt sie schon lange nicht mehr in Frage. Da waren die Jusos und selbst die IG-Metall vor 40 Jahren noch deutlich systemkritischer. Der andere Flügel will die Linke eher als Teil der ominösen offenen Gesellschaft nah bei den Grünen positionieren. Dort geht es eher um Teilhabe und um den Abbau von Diskriminierungen. Soziale Gerechtigkeit ist dort eher ein Thema von vorgestern.

Die Vorstellung, dass man auch in einem Reformprojekt, unabhängig davon, wie realistisch die Umsetzungschancen sind, Fragen von sozialer Gerechtigkeit und von Minderheitenrechten nicht konträr, sondern zusammendenken muss, scheint sich in der Praxis schwerer durchzusetzen, als das große Interesse an Didier Eribon, dessen Bestseller Rückkehr nach Reims[4] ja genau das zum Thema hat, vermuten lässt.

Solchen Diskussionen lässt sich natürlich gut aus dem Weg gehen, wenn man lieber die Kontrahenten zu Epigonen der AfD erklärt. Die AfD kann sich über diese Vergleiche freuen, zeigen sie doch, wie stark sie schon die Innenpolitik im Wahljahr 2017 bestimmt.


Ansonsten läuft für die Partei solange alles rund, solange die Islamfaschisten aktiv bleiben. Die haben ja schließlich auch das erklärte Ziel, die Rechte möglichst stark zu machen, damit die Lebensbedingungen für die Moslems, die sich in die Gesellschaft integrieren wollen, schlechter werden.

Solange aber die Mordtaten der unterschiedlichen Islamisten die Gesellschaft bestimmen, wird sich der Wahlkampf eher um Sicherheitsfragen, als um die Fragen von sozialer Gerechtigkeit drehen. Das ist das größte Risiko für die Strategie von Wagenknecht und anderen sozialdemokratischen Politikern, die sich auf soziale Themen stützen wollen.

Schon werfen sich SPD und Union gegenseitig vor, nicht genug für die Sicherheit getan zu haben. Dabei wird aber – wie meist, wenn es um die Sicherheitspolitik geht – über Placebos diskutiert. Ob es um die Videoüberwachung, die deutsche Leitkultur oder die weitere Einschränkung von Rechten von Geflüchteten und Migranten geht, solche Maßnahmen werden keine islamfaschistischen Anschläge verhindern, aber sie sollen den Wählern suggerieren, dass die Parteien etwas tun.

Auch hier kann sich die AfD freuen, weil ihre Forderungen immer ein Stück restriktiver sein werden als die von Union und SPD. So haben wir bereits in den ersten Tagen einen Vorgeschmack auf das Wahljahr 2017 bekommen. Die AfD hat schon viel Einfluss auf die Politik, obwohl sie noch nicht einmal im Bundestag sitzt.

Dabei hätte die vielzitierte Mehrheit links von der Union im Dezember einen sozialpolitischen Coup nur richtig verarbeiten müssen. Als in Berlin der parteilose Stadtforscher Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnungsfragen ernannt wurde, wurde auch für wenige Tage über die Möglichkeiten und Grenzen einer linken Reformpolitik diskutiert.

Allen war klar, ein Staatssekretär Holm würde keine Revolution auf dem Wohnungsmarkt auslösen, aber kann vielleicht dafür sorgen, dass sich auch Investoren an die eigenen Gesetze halten müssen. Aber bereits nach wenigen Tagen wurde nicht mehr darüber sondern über die Frage diskutiert, ob Holm als 18jähriger DDR-Bürger für die Stasi arbeiten durfte[5] und ob er sich danach an alle Details erinnern musste.

Es dauerte nicht lange und selbst in der Taz, die Holm erst einmal verteidigte, wurde kritisiert, dass das Vorleben des Kandidaten nicht ausreichend eruiert worden sei. Dabei brauchte man den Holm-Kritikern nur eine Frage stellen. Würden sie einen Politiker, egal welcher Partei, genauso kritisieren, wenn er sich irgendwann zur Mitarbeit für den BRD-Verfassungsschutz bereit erklärt hat?

Müsste dann auch bei allen künftigen Bewerbungen danach gefragt und eine falsche oder unvollständige Antwort sanktioniert werden? Und müssten alle, die dazu bereit waren, genau erklären, warum sie die BRD sogar durch Mitarbeit bei den Geheimdiensten verteidigen wollten. Genau das hatte damals Andrej Holm im Fall der DDR getan und das wird ihm schließlich vorgeworfen.


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[3] http://www.deutschlandfunk.de/interview-der-woche.867.de.html
[4] http://www.suhrkamp.de/buecher/rueckkehr_nach_reims-didier_eribon_7252.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Andrej-Holm-und-die-Stasi-Vergangenheit-3569321.html


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