Gedenkort zu Wohnungen

KREUZBERG  Widerstand  gegen Baumaßnahmen  in der ehemaligen  NS-Dienststelle für  jüdische Zwangsarbeit

Mehr als 26.000 Berliner Jüdinnen und Juden wurden zwischen 1938 und 1945 in der „Zentralen Dienststelle für Juden“ in Fontanepromenade 15 in Kreuzberg für die Zwangsarbeit in verschiedenen Betrieben eingeteilt. Die Volkswirtin Elisabeth Freund war eine von ihnen. In ihren Aufzeichnungen „Als Zwangsarbeiterin in Berlin“ schrieb sie, dass die NS-Behörde in der Fontanepromenade von den Betroffenen „Schikanepromenade“ genannt wurde Die Historikerin Sieglinde Peters klassifizierte die „Zentrale Dienststelle für Juden“ bei der Einweihung des Gedenkzeichens 2013 als „eine zivile Behörde mit Handlangerdiensten zur Selektion, Ausbeutung und Vernichtung“. Doch die vor der Jahren eingeweihte Stele ist zurzeit verhüllt – und es ist nicht sicher, ob und wann sie wieder zugänglich sein wird. Denn im Frühjahr 2015 wurde das geschichtsträchtige Gebäude für knapp 800.000 Euro an die „Fontanepromenade 15 GbR“ verkauft. Und Ende August 2016 erteilte das Bezirk samt Friedrichshain-Kreuzberg der Gesellschaft eine Baugenehmigung. Vor einigen Wochen haben die Bauarbeiten an dem historischen Gebäude nun begonnen. Geplant ist der Umbau „in  Büros und Wohnungen“, wie auf einem Zettel vor Ort zu lesen ist.

Die vor drei Jahren eingeweihte Gedenkstele ist zurzeit verhüllt

Die Stadtteilinitiative „Wemgehört Kreuzberg“ fordert in einem Offenen Brief einen Baustopp und die Rücknahme der Baugenehmigung. „Wir halten es für einen absoluten Skandal, dass ein solcher Geschichtsort der Immobilienspekulation geopfert und nicht als Gedenkort zur jüdischen Zwangsarbeit und zum Holocaust öffentlich genutzt wird“, heißt es in dem Schreiben. Dort werden der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und das Land Berlin dafür kritisiert, dass sie die Chance nicht genutzt habe, durch einen Kauf des Gebäudes dafür zu sorgen, dass es als Geschichtsort erhalten bleibt. Die Stadtteilinitiative will sich nicht damit zufrieden geben, dass der einstige Bezirksamtssprecher Sascha Langenbach die Hoffnung äußerte, dass auch der private Investor das Gebäude seiner historischen Bedeutung entsprechend nutzen wird. Lothar Eberhardt, der seit Langem in der Geschichtsarbeit engagiert ist, nennt im Gespräch zwei Gebäude, die in letzter Zeit durch die Immobilienwirtschaft enthistorisiert worden seien: das ehemalige Berliner Arbeitshaus in Rummelsburg und das ehemalige NS-Kriegsgericht in Charlottenburg. Die kürzlich gegründete Initiative Gedenkort Fontanepromenade sieht noch eine Chance, eine solche Entwicklung in  Kreuzberg zu verhindern. Ihre Mitglieder haben Schreiben an die Berliner SenatorInnen für Kultur und Bauwesen gerichtet. Und warten nun auf die Antworten.

Taz 19.12.2016

PETER NOWAK

Zellenarrest, Fernsehverbot und Durchsuchung

Gefangengewerkschaft fordert, betroffene Häftlinge zu verlegen / Justizsenator soll Mindestlohn durchsetzen

Die Sanktionen gegen die Gefangenen, die in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vor einigen Wochen die Schmuggelpraktiken von Bediensteten bekannt gemacht haben, gehen weiter. Das zumindest sagt Dieter Wurm, der erst vor kurzen nach langer Haftstrafe freikam. Von seinen Erfahrungen in verschiedenen Gefängnissen erzählte er am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins Helle Panke. So dürfe Timo F., einer der Hinweisgeber, einen Monat lang die Zelle nicht verlassen, auch das Fernsehgerät sei ihm entzogen worden. Ihm werde vorgeworfen, das Gerät, das ihm von der Gefängnisverwaltung ausgehändigt worden war, manipuliert zu haben. Am Mittwoch sei zudem die Zelle von Benny L., einem weiteren Tippgeber, vom Sicherheitspersonal durchsucht worden.

»Fresse halten ist die Devise, wer sich nicht daran hält, wird bestraft«, sagt Wurm. Hinter Gittern habe er den Glauben an den Rechtsstaat schnell verloren, deshalb fürchte er um die Gesundheit der Hinweisgeber. Schließlich gäbe es auch Häftlinge, die solche Gefangene körperlich attackieren.

Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO), die sich 2014 in der JVA Tegel gründete, fordert den neuen Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) auf, die Hinweisgeber sofort in ein anderes Gefängnis zu verlegen. Der Druck auf die Männer sei extrem hoch. Zu den Sanktionen der Gefängnisverwaltung komme der Druck der Mitinsassen, die die Männer als Verräter brandmarkten. Spätestens nach seiner Einarbeitungszeit – nach 100 Tagen im Amt – müsse der neue Senator Weichen stellen. Diese sind laut Rast »die Bezahlung des Mindestlohns und die Einbeziehung in die komplette Sozialversicherung für inhaftierte Beschäftigte von deren Qualitätsarbeit sich Berliner Parlamentarier schließlich schon überzeugen konnten«. Bisher wird die Bestuhlung des Abgeordnetenhauses in der Polsterei der JVA Tegel zu einem Billiglohn und ohne Rentenversicherung produziert.

Die Erwartungen sind auch deshalb so hoch, weil Behrendt in der vergangenen Legislaturperiode wesentliche Eckpunkte für eine Reform mit formuliert hat, die im »Aufruf für ein progressives und liberales Strafvollzugsgesetz« festgehalten sind. Da auch der Vorstand der Linkspartei die zentralen Forderungen der GG/BO unterstütze, sei die Chance für Reformen gegeben, sagt Rast. Darauf werde man sich jedoch nicht verlassen.

In Thüringen ruft die GG/BO für die Silvesternacht vor der JVA Tonna bei Gera zu einer Kundgebung auf, weil in dem von der Linkspartei regierten Bundesland Gewerkschaftsmitglieder schikaniert worden seien. Auch in Berlin wird es vor der JVA für Frauen in der Alfredstraße am 21. Dezember ein Konzert geben. »Der Aufbau von Solidaritätsstrukturen drinnen und draußen ist ein wichtiges Ziel der GG/BO, egal, wer an der Regierung ist«, sagt Rast.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035731.zellenarrest-fernsehverbot-und-durchsuchung.html

Peter Nowak

Arbeitskampf per App

Das Symbol der aufgehenden Sonne stand Anfang der achtziger Jahre für den Kampf um die 35-Stundenwoche. Die Kampagne für Arbeitszeitverkürzung wurde über die DGB-Gewerkschaften hinaus auch von Jugendverbänden, Künstlern und Gruppen der außer­parlamentarischen Linken jener Zeit unterstützt. Das Symbol erinnert an eine Zeit, als Reformen noch eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Lohnabhängigen bedeuteten und es die weit verbreitete Überzeugung gab, dass der technische Fortschritt dazu beitragen könne.

Dieser Tage ist von Reformen hingegen nicht viel zu erwarten. So vage und unbestimmt die Begriffe aus dem Bereich »Arbeit 4.0« sind, so verbreitet ist auch die Überzeugung, dass intelligente Maschinen eine große Zahl der derzeitigen Arbeitsplätze überflüssig machen

werden und dass immer mehr Menschen deshalb immer öfter immer schlechter bezahlte Jobs annehmen müssen, um zu überleben. Nun hat das von Andrea Nahles (SPD) geleitete ­Bundesministerium für Arbeit und Soziales ein »Weißbuch Arbeiten 4.0« vorgelegt, das erste Ergebnisse einer Diskussion mit DGB-Gewerkschaftern, den Industrie- und Sozialverbänden und Wissenschaftlern zusammenfasst. »Wie können wir das Leitbild der ›guten Arbeit‹ auch im digitalen und gesellschaftlichen Wandel erhalten und sogar stärken?« lautet eine zentrale Frage. Mit dem Schlagwort »Arbeitsschutz 4.0« sollen die oft mit gewerkschaftlichen Kämpfen durchgesetzten Schutzbestimmungen für die Lohnabhängigen nicht nur »an den digitalen, sondern auch an den zunehmend spürbaren demographischen Wandel« angepasst werden. Die Kapitalvertreter haben schon lange die Gelegenheit erkannt, mit Verweis auf die Unwägbarkeiten der »Industrie 4.0« ihre Vorstellungen einer von sozialen Regulierungen befreiten Arbeitswelt zu propagieren. So warnte die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) in einem Papier, dass jede denkbare Regulierung »eine erfolgreiche Digitalisierung erschweren« könne. Daher müssten bestehende Regulierungen bei den Mitbestimmungs-, Arbeits- und Sozialrechten auf den Prüfstand gestellt werden. In Nahles’ »Weißbuch« wird nun versucht, Kompromisse für die divergierenden Interessen von Kapital und Arbeit zu finden. So werden ­Experimente zur Lockerung der Arbeitszeitregelungen ins Gespräch gebracht, die die Arbeitgeberseite gerne nutzen wird. Dabei kann sie auf die berechtigte Aversion gegen fordistische Managementmethoden zurückgreifen.

»Stechuhr und Kernarbeitszeit haben in vielen Jobs längst ausgedient, die ­Erwerbstätigen möchten zunehmend flexibel und selbstbestimmt arbeiten«, wird der Hauptgeschäftsführer von Bitkom, Bernhard Rohleder, in einer Pressemitteilung mit der Überschrift »Arbeit 4.0: Flexibel, selbstbestimmt, effizient« zitiert. Dort wird die im Weißbuch in Aussicht gestellte Flexibilisierung der Arbeitsgesetze begrüßt. Abweichungen von geltenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes seien allerdings noch an zu enge Voraus­setzungen gebunden. Nach den Vorstellungen von Bitkom soll die Digitalwirtschaft »grundsätzlich von den ­Einschränkungen bei Arbeitnehmer­überlassung und Werkverträgen aus­genommen werden« (siehe Interview S. 5). Ähnliche Forderungen kommen auch von den Interessenvertretern anderer Branchen, die von der Digitalisierung betroffen sind. Die Verunsicherung vieler Beschäftigter über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze kommt den Kapitalinteressen ebenso entgegen wie eine Kritik an diesen Entwicklungen, die noch immer den Eindruck erweckt, als sei in der Ära der fordistischen Arbeitsverhältnisse alles besser gewesen.

So ist es paradox, dass die Vertreter der Industrie Stechuhren als abschreckendes Beispiel des Fordismus anführen. Schließlich gehörten diese seit ­jeher zu den besonders verhassten Methoden der Kontrolle der Beschäftigten. Wer die Stechuhr eine Minute zu spät passierte, hatte mit Lohnabzug zu rechnen, kam die Verspätung öfter vor, drohten Abmahnungen bis zur Kündigung. In der flexiblen Welt der 2Arbeit 4.0« haben sich die Kontrollmethoden der Arbeitskraft nicht etwa ­gelockert, sondern eher verschärft. Heutzutage ist es technisch möglich, die letzten Nischen, die in der fordistischen Fabrikgesellschaft noch nicht erfasst werden konnten, zu überwachen. So können Gespräche der Beschäftigten von Callcentern ständig mitgehört werden. Dauern die Pausen zwischen den Gesprächen zu lange, wird abgemahnt.

Zu den ersten Leidtragenden der Flexibilisierung gehören Mitarbeiter der boomenden Branche von Lieferdiensten wie Deliveroo und Foodora. Dahinter stehen Start-up-Unternehmen, die gerne mit dem Image der Unabhängigkeit und Flexibilität der Beschäftigten werben. Auf einer Veranstaltung des Bildungsvereins »Helle Panke« Anfang Dezember in Berlin stellte die Journalistin Nina Scholz, die sich mit den Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten beschäftigt, dieses Image in Frage. »Unabhängig sind die Beschäftigten lediglich von sozialen Regelungen. Die Arbeit verschwindet nicht, wie häufig behauptet, sie wird nur immer schlechter bezahlt.« Auch Hendrik Lehmann, der für Tagesspiegel Digital Present zu den Lieferdiensten recherchiert hat, machte deutlich, dass die Unabhängigkeit schon bei der Wahl der Bekleidung der Beschäftigten endet. So sollen Arbeitnehmer in Berlin bis zu 150 Euro für eine Weste mit dem Emblem ihrer Firma aus eigener Tasche bezahlen. Fahrern, die sich weigerten, Geld zu zahlen, um mit dem Namen eines Unternehmens zu werben, bei dem sie gar nicht angestellt sind, sei mit der Sperrung ihrer App gedroht worden, was den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich zöge. Kontrolliert werden die Beschäftigten der Lieferdienste auf ihrer Fahrt ständig. Wenn sie sich nicht an die vorgegebene Route halten, gibt es Nachfragen und im ­Wiederholungsfall Sanktionen.

Auf der Veranstaltung, auf der viele Beschäftigte von Lieferdiensten anwesend waren, wurde schließlich die Frage nach der »Gewerkschaft 4.0« gestellt. Damit ist eine Interessenvertretung gemeint, in der sich die Beschäftigten ­organisieren können, ohne erst den Weg durch die DGB-Bürokratie gehen zu müssen. Die Frage richtete sich an Detlef Conrad, Sekretär von Verdi, der auf die Arbeitskämpfe im Einzelhandel und bei der Post verwies, bei denen seine Gewerkschaft mit Flashmobs und Apps experimentiert habe. Ob Verdi damit bereits die Anforderungen ­einer 2Gewerkschaft 4.0« erfüllt, ist fraglich. Ohnehin ist in Deutschland nur jeder siebte Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit einem Organisationsgrad von 15 Prozent nur im hinteren Mittelfeld. Und gerade bei der Organisierung prekär Beschäftigter mangelt es den etablierten Gewerkschaften an tragfähigen Konzepten.

In Großbritannien und Italien gab es hingegen bereits Arbeitskämpfe von Beschäftigten bei Lieferdiensten. Dabei wurde deutlich, dass diese Beschäftigten sehr wohl Durchsetzungsmacht besitzen, weil sie das Firmenimage beschädigen und das Versprechen von schneller Lieferung konterkarieren können. Gewerkschaftliche Selbstorganisation wäre auch in anderen Branchen nötig, um der Flexiblisierung der Arbeitswelt im Sinne des Kapitals Grenzen zu setzen. »Wer gute Arbeit für alle erreichen will, muss auch bereit sein, reale Konflikte auszutragen. Nicht nur in Wahlkampfreden und ­Parlamenten, sondern in Betrieben, vor Gerichten und auf der Straße«, erinnert der Publizist Wolfgang Michal an einen Grundsatz der Arbeiterbewegung aus einer Zeit, als noch unter dem Logo der aufgehenden Sonne für Arbeitszeitverkürzung gekämpft wurde. Dieser Kampf wäre heute, da Maschinen und Roboter angeblich die Menschen ersetzen, aktueller denn je.

http://jungle-world.com/artikel/2016/50/55391.html

Peter Nowak

DDR-Vergangenheit als Keule gegen Holm?

Der Druck auf den neuen Berliner Staatssekretär für Wohnungsfragen Andrej Holm wächst. Nun hat auch der erste SPD-Politiker Holm zum Rücktritt aufgefordert[1]. Es geht nun nicht mehr nur um Holms kurzzeitige Stasi-Mitgliedschaft[2] als junger Mann in der DDR, sondern um inkorrekte Angaben bei seinem Arbeitgeber an der Humboldt-Universität[3].

Dabei ist Holm durchaus zu glauben, dass es sich hier schlicht um Erinnerungslücken gehandelt hat. Schließlich hätte er kaum den Staatssekretärsposten angenommen, wenn er gewusst hätte, dass er an diesem Punkt angreifbar ist. Zumal sich Holm bereits im Jahr 2007 kritisch mit seiner DDR-Vergangenheit auseinandergesetzt[4] und dabei mit linken DDR-Oppositionellen gesprochen hat, die teilweise von der Stasi und den anderen DDR-Repressionsorganen verfolgt wurden.

Dass bei einem Verfahren wegen angeblicher Aktivitäten in der radikalen Linken im Jahr 2007 auch die BRD-Justiz auf Stasi-Akten zurückgegriffen hat, wurde damals kritisch reflektiert[5], spielt aber in der momentanen Debatte kaum eine Rolle.

Im Gegenteil: Von Holms Kritikern werden seine kapitalismuskritischen Aktivitäten belastend gegen ihn angeführt. Er habe sich auch nach 1989 nicht genügend zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt. Holms ist also kein Joseph Fischer geworden, dem 2001 seine militante Vergangenheit bei den Vorläufern der Autonomen nur verziehen wurde, weil er sich eben in seinem Amt als Bundesaußenminister nicht nur besonders rückhaltlos mit der BRD identifizierte, sondern die auch mit kriegsfähig gemacht hat.

Nur ein grüner Außenminister konnte die Bundeswehr gegen Jugoslawien in den Krieg führen, weil die Partei noch einige Jahre zuvor Teil der deutschen Friedensbewegung war. Was sind schon ein paar Steine auf Polizisten, wenn Fischer mithilft, dass deutsche Soldaten nach 1945 wieder in einem Krieg mitmachen können, werden sich viele gedacht haben. Das hat Fischer gerettet. Doch sollte man Andrej Holm angesichts dieser Perspektive raten, sich so etwas bloß nicht anzutun?

Bei einer nicht repräsentativen Umfrage der Berliner Zeitung[6] spricht sich eine große Mehrheit für seinen Verbleib im Amt aus. In einem Offenen Brief[7] haben auch zahlreiche außerparlamentarische Mieterinitiativen eindringlich an den Senat appelliert, an Andrej Holm festzuhalten.

„Andrej Holm steht nicht nur wegen seinen Stasivergangenheit in der Kritik, er wird vor allem so stark angegriffen weil er für mieten- und wohnungspolitische Positionen steht, die von einer breiten stadtpolitischen Bewegung geteilt werden“, heißt es dort.

Tatsächlich hoffen Mieterinitiativen, dass Holm auch die Investoren dazu zwingen könnte, sich an die Gesetze zu halten und den Politikern auf die Finger zu sehen, die für Investoren Sonderrechte schaffen. Mehr kann niemand von Holm verlangen, aber das wäre im kapitalistischen Alltag heute nicht wenig.

Was das aktuell heißt, zeigt sich gerade am Beispiel des Dragonergeländes[8] mitten in Kreuzberg. Während Stadtteil- und Mieterinitiativen dort ein Modellprojekt[9] für soziales Wohnen errichten wollten, hatten die bisherigen Verwalter nur das Ziel, das Gelände so gewinnbringend wie möglich zu verkaufen.

Weil sich mittlerweile in Berlin eine Mieterbewegung[10] Gehör verschafft hatte, stellte sich die SPD quer und im Bundesrat wurde die Rückabwicklung des schon an einen Investor verkauften Geländes beschlossen. Nachdem auch das Bundeswirtschaftsministerium seinen Widerstand dagegen scheinbar aufgegeben hatte, schien der Weg frei, dort ein soziales Projekt zu entwickeln.

Aber nun wurde bekannt, dass die Rückabwicklung doch nicht stattfinden kann, weil sich der Investor dagegen wehrt. Die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus[11] erklärte dazu:

Jetzt rächt sich, dass im Kaufvertrag für das Dragonerareal die Klausel zum Parlamentsvorbehalt gefehlt hat. Wenn im Vertrag gestanden hätte, dass der Bundesrat auch zustimmen muss, dann wäre der Verkauf gar nicht zustande gekommen. Warum die BImA in diesem Fall statt dem Parlamentsvorbehalt eine Rückabwicklungsklausel eingefügt hat, erschließt sich mir nicht. Ich hoffe, dass sich aus der Rückabwicklungsklausel jetzt nicht Schadenersatzzahlungen zu Ungunsten der Steuerzahlerinnen und -zahler ergeben. Das darf aber kein Hinderungsgrund sein, den Verkauf des Dragonerareals rückabzuwickeln.

Lisa Paus


Nun stellt sich die Frage, ob nicht die BImA[12], die ja das Grundstück an den Höchstbietenden verkauft hatte, die Klausel bewusst weggelassen hat, um den Investoren eine Brücke zu bauen.

Es stellt sich auch die Frage, ob die Berliner Medien, die so akribisch jetzt die Causa Andrej Holm begutachten, mit dem gleichen Eifer nachfragen, wer hier die Klausel weggelassen hat und womöglich Millionenzahlungen des Landes Berlin provoziert hat?

Nun sind solche Vorfälle in der Hauptstadt nicht die Ausnahme sondern der Alltag. Der Geschichtsverein Friedrichshain Hans Kohlhasse e.V.[13] hat eine ganze Liste von Beispielen veröffentlicht, wo das Denkmalrecht gebeugt wird, das nicht mit Investoreninteressen kollidiert[14]. Da wird ein Armenfriedhof schon mal zum Massengrab[15] und die ältesten Häuser in Friedrichshain werden trotz Denkmalschutz abgerissen und niemand weiß, wer die Genehmigung erteilt hat[16].

Soll Andrej Holm schon im Vorfeld angezählt oder gar ausgeschaltet werden, damit er solche und ähnliche gesetzwidrige Bevorteilungen von Eigentümerinteressen nicht unterbinden kann?

https://www.heise.de/tp/features/DDR-Vergangenheit-als-Keule-gegen-Holm-3573891.html

Peter Nowak


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http://www.heise.de/-3573891

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/stasi-vergangenheit-von-berliner-baustaatssekretaer-erster-spd-abgeordneter-fordert-andrej-holm-zum-ruecktritt-auf/14988788.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Andrej-Holm-und-die-Stasi-Vergangenheit-3569321.html
[3] https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/mitarbeiterinnen/copy_of_a-z/holm
[4] http://www.taz.de/Archiv-Suche/!5364759&s=&SuchRahmen=Print/
[5] http://taz.de/!5189906/
[6] http://www.berliner-zeitung.de/berlin/abstimmung-soll-andrej-holm-zuruecktreten-oder-nicht–25312130
[7] https://kottiundco.net/2016/12/16/offender-brief-an-den-berliner-senat-aus-spd-gruenen-und-linken-und-die-koalitionsfraktionen
[8] http://gleisdreieck-blog.de/locations/dragonergelande-2/
[9] http://stadtvonunten.de/hauptseiten-svu/modell
[10] http://mietrebellen.de/
[11] http://lisa-paus.de
[12] https://www.bundesimmobilien.de/
[13] http://www.friedrichshainer-geschichtsverein.de
[14] http://www.friedrichshainer-geschichtsverein.de/odenkmal.php

SPD-Politiker will Wohnungslose vom Hansaplatz verdrängen

Wenn man durch die Straßen Berlins geht, sieht man selbst im Winter immer mehr Menschen, die draußen übernachten müssen, weil sie keine Wohnung haben. Seit September 2013 versucht der Verein Berliner Obdachlosenhilfe e.V. diesen Menschen das Leben auf der Straße etwas erträglicher zu machen. An verschiedenen Plätzen in Berlin, an denen sich Obdachlose aufhalten, bieten ihnen die ehrenamtlich arbeitenden HelferInnen ein gesundes Essen, einen warmen Tee und saubere Kleidung an. Seit einigen Monaten gehört auch der Hansaplatz in Moabit zu diesen Orten. „Es kommen immer viele Menschen, die froh sind, sich zumindest einmal die Woche einmal satt zu Essen“, erzählt Falko Stein einer der Helfer gegenüber MieterEcho Online.

Doch ein Teil der BewohnerInnen rund um den Hansaplatz ist über dieses ehrenamtliche Engagement gar nicht erfreut. Sie werfen dem Verein vor, Wohnungslose anzulocken und damit den Kiez abzuwerten. Zum Sprachroher der KritikerInnen der Obdachlosenhilfe machte sich der SPD-Politiker Thomas Isenberg, der seinen Wahlkreis im Hansaviertel hat. Auf einer von ihm moderierten Veranstaltung „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“ am Dienstagabend machte Isenberg im Gymnasium Tiergarten mehrmals klar, dass der Hansaplatz in einem Jahr sauber sein soll und dazu sei er auch bereit, die Wohnungslosen von dort zu verdrängen.

Notfalls Anzeigen machen

Isenberg hatte Vertreter/innen der Polizei und des Ordnungsamtes sowie den Vorsitzenden des Bürgervereins Hansaviertel Matthias Rudolph  auf das Podium  eingeladen. Gleich am Beginn regte sich eine besorgte Bürgerin über „Osteuropäer“  auf, die bestimmt keine „syrische Flüchtlinge“ seien und vor dem  Eingang zu ihrem Abstellplatz für ihr Fahrrad sitzen würden. Andere störten sich daran, dass Obdachlose vor den Einkaufsmärkten stehen und auf Bänken rund um den Hansaplatz sitzen würden. Es war der anwesende Polizeikommissar Mario Kanisch, der entgegen den subjektiven Bedrohungsgefühlen einiger Anwesender klarstellte, dass die Kriminalität rund um den Hansaplatz zurückgegangen ist. Daher hätte das Verwaltungsgericht  entschieden, dass kein Kriminalitätsbelasteter Ort (KBO) ist, was die Rechte aller NutzerInnen am Platz stärkt und die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten reduziert. Das störte neben manchen Anwesenden auch Thomas Isenberg, der dazu aufrief, alles was stört zur Anzeige zu bringen, beispielsweise, wenn jemand auf einer Bank schläft oder in eine Hecke pinkelt. Doch die Hoffnung von Isenberg und einigen der Anwesenden mit vielen Anzeigen den Hansaplatz wieder zum kriminalitätsbelastenden Ort zu machen, dämpfte Polizeikommissar Kanisch, Das sei ein langes Prozedere und werde durch Gerichte entschieden. Isenberg ließ sich in einen seien Aktivismus allerdings nicht bremsen. So wolle er die Läden rund um den Hansaplatz anschreiben, damit sie den Wohnungslosen möglichst nichts verkaufen und ihnen keine Pfandflaschen mehr abnehmen. Lobend erwähnte er einen Dönerladen, der die Wohnungsläden nicht bediene. Heftig kritisiert wurde ein Spätkauf, der keinen Unterschied zwischen seinen Kund/innen macht und sich eigentlich nach den Maßstäben des Rechtsstaates vorbildlich verhält. Schließlich dürfte sich eine gezielte Nichtbedienung von Wohnungslosen wohl kaum mit den Antidiskriminierungsgrundsätze vereinbaren lassen. Doch davon ließen Isenberg und sein junger Mitarbeiter Marlon Bünck nicht beirren. Auf Einwände, dass eine Verdrängung der Obdachlosen das Problem nicht löst, entgegnete Bünck, dass sei Sozialromantik.  Wenn er redete, konnte man verstehen, warum ein Thilo Sarrazin die SPD noch als seine politische Heimat begreift. Isenberg und Bünk, der als Leiter der Projektgruppe Hansaviertel die Politik der Sauberkeit und Sicherheit umsetze sollen, haben mehrmals angekündigt, dass sie alle Schritte prüfen wollen, um der Berliner Obdachlosenhilfe die Ausgabe von Essen und Kleidung im Hansaviertel zu verbieten.

Man bekämpft die Armen nicht die Armut

Nur wenige BesucherInnen machten darauf aufmerksam, dass Obdachlose nicht verschwinden, wenn sie am Hansaplatz kein Essen mehr bekommen. Sie forderten sozialarbeiterische und gesundheitspolitische Maßnahmen, um die Obdachlosigkeit und nicht die Obdachlosen zu bekämpfen. Vage kündigte Isenberg an, damit werde sich eine weitere Veranstaltung im nächsten Jahr beschäftigen. Doch er ließ keinen Zweifel daran, dass zum 60ten Jubiläum des Weltkulturerbes Hansaviertel Arme dort keinen Platz haben.

MieterEcho online 16.12.3016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html

Peter Nowak

Der Artikel ist im Tagesspiegel hier verlinkt:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/hansaviertel-in-berlin-tiergarten-streit-um-essensausgabe-fuer-obdachlose/19240888.html

Grüne nehmen Artikel als Grundlage für große Anfrage:

http://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=7682

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
1. Große Anfrage Grüne vom 10.01.2017

Wir fragen das Bezirksamt:

Bezugnehmend auf http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/obdachlose-hansaplatz.html frage ich das Bezirksamt:

1. Haben Mitarbeiter des BA  an der im Artikel genannten Veranstaltung teilgenommen und welche Position des Bezirksamtes wurde dabei vertreten und gibt es hierzu eine Protokollnotiz oder einen Vermerk des betreffenden Mitarbeiters, die einsehbar ist?

2. Welche Position vertritt das Bezirksamt zu Bestrebungen, Obdachlose am Hansaplatz mit bedenklichen Methoden gezielt zu vertreiben?

3. Teilt das Bezirksamt das Ansinnen, Gewerbetreibende zur systematische n Nichtbedienung von Obdachlosen aufzufordern? Wenn nein, inwiefern gedenkt das Bezirksamt auf die Gewerbetreibenden zuzugehen mit dem Ziel, entsprechenden Aufforderungen Einzelner nicht nachzukommen?

4. Wie unterstützt das Bezirksamt die Arbeit der Berliner Obdachlosenhilfe?

5. Welche eigenen Anstrengungen unternimmt das Bezirksamt im Rahmen des Runden Tisches Hansaplatz, um Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum vor Ort diskriminierungsfrei zu regeln?


Artikel in Berliner Woche, der darauf Bezug nimmt:
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Nina Apin in der Taz vom 28.1.2017, S. 10:

Hier den Abschnitt in dem längeren text, der sich um Isenberg und den Hansaplatz dreht:
„Weil wir noch Joghurt brauchen, stieg ich erst mal am Hansaplatz aus. In dem modernistischen Hochhausquartier hat zwischen Läden und Imbissen der SPD-Abgeordnete Thomas Isenberg sein Wahlkreisbüro. Über Berlin-Mitte hinaus bekannt geworden ist der Gesundheitspolitiker dadurch, dass er Mitarbeitern einer Hilfsorganisation verbot, einmal die Woche auf dem Supermarktparkplatz warmes Essen an Obdachlose auszuteilen. Isenbergs Begründung: Die vielen Menschen, in der Mehrzahl aus Osteuropa stammende, die im angrenzen Tiergarten campieren, seien eine Belastung für Gewerbetreibende und AnwohnerInnen. Schon zuvor hatte der Sozialdemokrat unter dem Motto „Sicherheit und Sauberkeit am Hansaplatz“ zu einer AnwohnerInnenversammlung eingeladen. Der Tenor: Die Obdachlosen sollen da weg. Isenberg wollte Gewerbetreibende anschreiben und auffordern, den Obdachlosen keine Pfandflaschen mehr abzunehmen. Selbst die Polizei, die keinen Anlass sah, den Hanaplatz zum „gefährlichen Ort“ zu erklären, war da gelassener. Isenberg aber ist das anstehende 60. Jubiläum der Weltkultur erbe-Siedlung offenbar so wichtig, dass er eine Verdrängungspolitik befürwortet, die weder Anzahl noch Probleme der Obdachlosen vom Tiergarten vermindert. Zu Recht kriegt er dafür jetzt massiven Gegenwind.“

Aleppo: Warum gibt es in Deutschland kaum Erleichterung über ein Ende der Kämpfe…

… und die Niederlage der Islamisten? Das hat vielleicht weniger mit der Entwicklung in Syrien als mit der deutschen Geschichte zu tun

„Macht Euch keine Sorgen, bald werden keine Bilder aus Aleppo mehr kommen.“ Dieser Satz auf der Titelseite der Taz[1] über einem Bild von Menschen, die aus einem in diesen Tagen besonders umkämpften Stadtteil von Aleppo ins Nachbarviertel geflohen sind, soll Stimmung machen. „Mehr Macht für die UN-Vollversammlung“, forderte die Publizistin Kirsten Hilberg auf der gleichen Titelseite in einem Kommentar[2]:

Doch Aleppo ist mehr als eine Priorität Assads. Es symbolisiert das Ende einer Ära und sendet international ein fatales Signal. Ruanda, Srebrenica, Grosny – was „nie wieder“ geschehen sollte, wiederholt sich im Jahr 2016 in Echtzeit vor aller Augen und bestens dokumentiert. Der Massenmord in Syrien steht für das Versagen sämtlicher internationaler Institutionen und Mechanismen, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, um Kriege und Kriegsverbrechen zu verhindern. Vereinte Nationen, Internationaler Strafgerichtshof, Genfer Konvention? Lächerlich. Die Botschaft, die von Aleppo an die Machthaber dieser Welt ausgeht, lautet: Ihr könnt Zivilisten töten, so viele ihr wollt, solange ihr einen Freund im Weltsicherheitsrat habt. Aus dem moralischen Anspruch „Nie wieder!“ muss deshalb eine konkrete Anleitung zum Schutz von Zivilisten werden. Etwa so: Bei offensichtlichen Kriegsverbrechen würde man nicht mehr auf Einstimmigkeit im Weltsicherheitsrat warten, sondern die UN-Vollversammlung entscheiden lassen, was zu tun ist – zur Not auch militärisch.

Kristin Helberg

Bei diesen Argumentationslinien fühlt man sich an die 1990er Jahre zurückversetzt, als die einst pazifistischen Grünen kriegsfähig wurden. Wieder einmal geht es darum, einen „Massenmord“ zu verhindern. Nur etwas schlauer ist man in den letzten Jahren doch geworden. Ein neues Auschwitz, wie es damals Grüne herbei halluzinierten, will man in Aleppo nicht verhindern. Doch ansonsten sind alle Elemente vorhanden, um die Schwelle zur Kriegsfähigkeit weiter zu senken.

Dabei wird im Fall Aleppo oft mit Zitaten aus sozialen Netzwerken gearbeitet, die mehr auf das Gefühl als auf Analyse setzen. Das wird bei dem eingangs angeführten Zitat besonders deutlich. Es sagt erst einmal nur aus, dass sich Menschen im Kriegsgebiet nichts Sehnlicheres wünschen, als ein Ende der Kämpfe.

Das ist auch die Version der Journalistin Karin Leukefeld, eine der wenigen Pressevertreter, die bis zum Schluss in Syrien akkreditiert waren. Ihr wird aber sicherlich nicht zu Unrecht, eine gewisse politische Nähe zum Baathismus nachgesagt. Doch durch ihre Recherchen vor Ort gelang es ihr, ein Bild der syrischen Gesellschaft zu zeigen, dass sich den Gut-Böse-Einteilungen entzieht, die gerade in der letzten Zeit in den großen Teilen der Medien in Deutschland Konjunktur haben.

Daher sollte man bei allen Vorbehalten gegenüber Leukefelds recht unkritischer Haltung zur syrischen Regierung, ihre Schlussfolgerung, dass viele Einwohner Aleppos, unabhängig von ihrer Haltung zum Regime über ein Ende der Kämpfe froh sind, nicht vorschnell als einseitig abtun.

„Ob man für oder gegen die Regierung ist, spielt für viele Menschen in Aleppo schon lange keine Rolle mehr. Sie wollen vor allem den Kämpfen entkommen. Insofern gibt es im Gebiet unter Kontrolle der Regierung durchaus Personen, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, die aber noch viel weniger damit einverstanden sind, dass die Opposition sich von bewaffneten Gruppen unterstützen lässt“, so Leukefelds Einschätzung[3] der Situation in Aleppo.

Sie weist auch darauf hin, dass in Aleppo nicht eine wehrlose Zivilbevölkerung einem hochgerüsteten Regime gegenüberstand. Es gab bewaffnete islamistische Formationen, die gegen die Regierungstruppen gekämpft haben, und so gab es auch in allen Teilen Aleppos, in den Bereichen, die von der Regierung gehalten wurden, ebenso von den von der bewaffneten Opposition beherrschten Regionen, Verwüstung und Tod. Und dann gab es noch in den von der Opposition beherrschten Teilen Aleppos den islamistischen Terror, der merkwürdigerweise von vielen Kommentatoren der Ereignisse gar nicht erwähnt wird.

„Man darf nicht vergessen, dass Menschen auf der Straße hingerichtet wurden, dass die Frauen sich tief verschleiern mussten“, so Leukefeld. Man sollte auch nicht vergessen, dass viele Aktivisten der demokratischen Opposition, die einst gegen das Baath-Regime rebellierten, Opfer dieser Islamisten wurden. Doch nachdem Russland in den Konflikt eingriff und auch noch Erfolge zu verzeichnen hatte, schienen sich für manche diese Islamisten in Luft aufgelöst zu haben.

Zu den eifrigsten Leugnern des Islamismus in Syrien gehörte Bente Scheller[4], die das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut[5] leitet und vorher in Afghanistan war. Haben einst die Marketenderinnen die Kriegsplätze des Mittelalters abgegrast, so übernehmen diese Rolle heute Mitarbeiter von bestimmten Institutionen.

In einem Taz-Beitrag stellt sie die steile These auf, dass Assad mit Hilfe Russlands einen Massenmord verübt[6]. Besonders abstrus ist der Vorwurf an die Friedensbewegung, weitgehend tatenlos zuzusehen. Denn unabhängig davon, was man von deren Positionierung hält, ist die Friedensbewegung in Deutschland doch weitgehend marginalisiert und hat nun wirklich keinen Einfluss auf das was in Syrien passiert oder nicht passiert. Doch Scheller geht es um etwas Anderes. Sie will den Krieg in Syrien nicht beenden sondern verlängern:

An die Stelle einer Verantwortungsmoral ist die Gesinnungsmoral getreten. Lieber bleibt man seinem schlichten Weltverständnis treu, nachdem westliche Waffen keinen Frieden schaffen, als sich damit auseinanderzusetzen, dass nicht jeder Konflikt sich lösen lässt, ohne militärische Optionen auch nur zu erwägen. Das syrische Regime hat an keiner Stelle Konzessionen gemacht. Es nutzt das internationale Feigenblatt der Verhandlungen, um in seinem Schatten eine gnadenlose Militäroffensive gegen die eigene Bevölkerung zu vollstrecken – etwas, das gerade Pazifisten umtreiben sollte.

Bente Scheller

In ihrem Artikel ist von den verschiedenen islamistischen Banden, die in vielen Gebieten die Opposition vertrieben haben, nicht ein einziges Mal die Rede. Dafür wird viel Verständnis für die bewaffnete Opposition und nicht einmal verbal eine Distanz zu deren radikalislamistischen Fraktionen geäußert. Die Zitate aus sozialen Netzwerken, mit denen die Menschen, die in den Kampfgebieten wohnten, ihre Ohnmacht und Verzweiflung äußerten, werden instrumentalisiert.

Es wird nicht einmal die Überlegung angestellt, ob die Menschen nicht vor allem ein Ende der Kämpfe wollten. So könnte der Sieg der Regierung und ihrer Unterstützer tatsächlich auch für die Gegner des Regimes eine gute Nachricht sein. Jetzt können sie wieder Kraft schöpfen und sich auf den Widerstand gegen Assad konzentrierten, was in der Zeit viel schwieriger war, als die Bewaffneten die Szene beherrschten.

Warum gibt es in den Tagen, in denen in Aleppo vielleicht diese Bilder tatsächlich niemand mehr zu sehen bekommt, weil der Krieg vorerst zumindest dort beendet und die Islamisten vertrieben sind, kaum irgendwo eine Stimme, die darin eine Chance für die leidgeprüfte Bevölkerung sieht. Warum wird jetzt sogar in vielen Medien davor gewarnt, dass der künftige US-Präsident Trump in der Syrienfrage die Kooperation mit Russland sucht?

Die Erklärung sollte weniger in Syrien als in der deutschen Geschichte gesucht werden. Die fast durchweg negative Berichterstattung über die russische Intervention in Syrien noch verschärft durch einen möglichen Beistands Trumps wirkt wohl für manche in Deutschland so, als würde noch einmal eine Anti-Hitler-Koalition entstehen. Dieses Mal aber gegen den Islamismus, der in manchen Aspekten durchaus faschistische Züge hatte.

Der Begriff des Islamfaschismus kann durchaus auf einige der Formationen angewandt werden, die auch in Syrien ihr Unwesen trieben. Wenn jetzt in den deutschen Medien gar keine Erleichterung aufkommt, dass in der zweitgrößten Stadt Syriens diese Kräfte besiegt sind und die Bevölkerung jetzt zumindest keine Angst vor den Bomben und den Islamfaschisten mehr haben muss, könnte das durchaus daran liegen, dass im unterbewussten kollektiven Gedächtnis manche an Berlin 1945 dachten.

Für die meisten Deutschen waren die Soldaten der Roten Armee auch nur „die Russen“, und damals waren sie mit den USA verbündet. Man stelle sich nur vor, Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge[7] hätte aus ihrem toten Winkel[8] in der Reichskanzlei die Möglichkeit gehabt, die sozialen Netzwerke über die Situation im Berlin in den letzten Wochen vor dem Ende des NS zu füttern. Man hätte genügend Zitate über tote Kinder, über zerbombte Häuser, über Hunger und Not finden können und man hätte damit das sogenannte Gewissen der Welt überzeugen können, doch abzulassen von der Forderung der bedingungslosen Kapitulation des NS.

Diese Vorstellung war in Deutschland weit verbreitet und deswegen hat sich auch ein Großteil der Bevölkerung nicht befreit, sondern von fremden Truppen erobert gesehen. Kann nicht hier ein Grund liegen, dass so viele gar kein gutes Wort über den Sieg über die Islamisten in Aleppo finden können?

In den 1980er Jahren haben Publizisten wie Eike Geisel[9] und Wolfgang Pohrt[10] die Befindlichkeiten der damaligen deutschen Friedensbewegung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands abgeglichen[11]. Es wäre heute an der Zeit in ähnlicher Weise die aktuellen Befindlichkeiten deutscher Medien und Politiker im Syrienkonflikt zu hinterfragen. Sieht man nicht heute in den Russen und den fremden Truppen, die in Syrien die Islamisten besiegt haben, die Wiedergänger der Alliierten, die in Berlin für Deutschlands bedingungslose Kapitulation durchsetzten?

https://www.heise.de/tp/features/Aleppo-Warum-gibt-es-in-Deutschland-kaum-Erleichterung-ueber-ein-Ende-der-Kaempfe-3572873.html?view=print


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.taz.de/Katastrophale-Lage-in-Aleppo/!5362452/
[2] https://www.taz.de/Kommentar-Kaempfe-um-Aleppo/!5362341/
[3] http://www.n-tv.de/politik/Die-Syrer-wollen-ein-Ende-der-Kaempfe-article19323121.html
[4] https://www.boell.de/de/person/bente-scheller
[5] https://www.boell.de/de/navigation/naher-mittlerer-osten-5293.html
[6] https://www.boell.de/de/2016/12/12/beim-sterben-wegsehen
[7] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=12218257X
[8] http://www.imdb.com/title/tt0311320
[9] http://www.hagalil.com/archiv/98/06/geisel.htm
[10] https://www.perlentaucher.de/autor/wolfgang-pohrt.html
[11] http://www.zeit.de/1981/45/ein-volk-ein-reich-ein-frieden

Rebellisches Schlesien. Geschichte über soziale Kämpfe in Oberschlesien

DVD von Darius Zalega polnisch mit Untertiteln

Der Film stellt eine Region als Ort von Kämpfen und Streiks vor, die oft mit deutschnationalen Ansprüchen konnotiert ist

Der Titel mag manche Linke irritieren. Denn wenn es um Schlesien geht, sind oft die Vertriebenenverbände nicht weit und deren Rebellion gegen die Anerkennung von historischen Tatsachen nach der Niederlage des NS ist manches noch in schlechter Erinnerung. Doch darum geht in dem Film nicht. Er ist vielmehr eine einstündige Lektion in Geschichte von Unten in einer Region in Polen, die einmal Schlesien hieß. Der Film beginnt am Ende der Epoche, die die HistorikerInnen aus Verlegenheit Mittelalter genannt haben. Der Begriff soll nur dazu diesen, eine Brücke zwischen der Antike und der Neuzeit herzustellen. Was weniger bekannt ist: Mitte des 16. Jahrhunderts gab es wichtige Neuerungen im Bergbau –  und massive Kämpfe der Beschäftigten. Mit den blutig niedergeschlagenen Protesten der Bergleute beginnt der Film und endet in den 90er Jahren als sich erneut Lohnabhängige gegen die Abwicklung ihrer Arbeitsplätze wehren. Dazwischen finden sich fast 500 Jahre Geschichte von Unten am Beispiel einer Region, die ein Zentrum der ArbeiterInnenklasse war.

Abwechselnd auf Deutsch und Polnisch berichten die ChronistInnen von den unterschiedlichen Kämpfen. Was sich viele Jüngere vielleicht nicht vorstellen können. Es gab ein Leben vor dem Internet und auch damals verbreitete sich die Kunde von Streiks, Kundgebungen und Demonstrationen schnell. Dafür sorgten unter Anderem Lieder, in denen die Kämpfe besungen, AusbeuterInnen verspottet und Opfer der Repression des Staates und der Polizei besungen wurden. Wir lernen in dem Film auch davon einige dieser Lieder kennen.

Regisseur des Filmes, der bereits vor Wochen in Katowice Premiere hatte, ist Dariusz Zalega. Er stößt damit auch eine Diskussion über eine Gedenkpolitik an. Schließlich gibt es bis heute keinen Erinnerungsort für die 17 vom Militär während eines Streiks im Januar 1919 Ermordeten. Sie demonstrierten für Lohnerhöhungen im damaligen Königshütte, dem heutigen Chorzów, als das Militär schoss. Nun sollte sich in Deutschland bloß niemand über eine ungenügende Gedenkpolitik in Polen empören. Für die über 40 Toten, die vor Januar 1920 vor dem Reichstag erschossen wurden, als Berliner ArbeiterInnen gegen die Entmachtung der nach der Novemberrevolution gestärkten ArbeiterInnenräte protestieren, gibt es bis heute ebenfalls keinen Erinnerungsort. Es gäbe viele Beispiele mehr. Rebellisches Schlesischen macht an einen Landstrich deutlich, dass es eine Geschichte der Kämpfe und Revolte gab, die durchaus nicht abgeschlossen ist. Wenn wir uns mit ihr auseinandersetzen, sollten wir uns auch fragen, ob wir die unabgegoltenen Forderungen der damaligen Kämpfe heute nicht noch immer aktuell sind. So sollte eine aktuelle Beschäftigung mit der rebellischen Geschichte in Schlesien und anderswo nicht bei einer Diskussion über Gedenkorte stehen bleiben Am besten erinnern wir an die Kämpfe und die, die daran beteiligt waren, die in diesen Kämpfen verfolgt, verwundet und ermordet wurden, wenn wir die damaligen Forderungen heute wieder aufnehmen und dabei auf darauf verweisen, dass dafür schon lange vor uns Menschen auf den Barrikaden gestanden haben. Es ist die alte Frage, woher wir kommen, wohin wir gehen. Dafür ist es notwendig, dass wir die Kämpfe von damals kennen, dass wir mehr über die ProtagonistInnen erfahren, ihre Träume, ihre Utopien, ihre Erfolge und ihre Niederlagen. Daher sind Filme wie „Rebellisches Schlesien“ so wichtig.

Artikelübersicht Dezember 2016

Peter Nowak

Der Fall Rosenberg

»Es war ein verrückter, schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen.« So beginnt Silvia Plaths Roman »Die Glasglocke«. Sie erinnert an die jüdischen Kommunist_innen Ethel und Julius Rosenberg, die wegen Atomspionage für die Sowjetunion am 19. Juli 1953 in New York hingerichtet wurden. »Der Antisemitismus war in dem Verfahren gegen die Rosenberg untrennbar mit dem Antikommunismus verbunden«, schreiben die Antisemitismusforscherin Sina Arnold und der Historiker Olaf Kistenmacher in ihrem Buch über den »Fall Rosenberg«. Sie weisen nach, wie sich das Feindbild vom »jüdischen Bolschewismus« in den USA verbreitete, während zeitgleich die stalinistischen kommunistischen Parteien in Osteuropa gegen den jüdischen »Kosmopolitismus« mobil machten. In einem eigenen Kapitel widmen sich die Autor_innen der Hetze gegen Ethel Rosenberg. Ihr nahm der Großteil der Medien übel, dass sie als Mutter zweier Kinder nicht das Leben einer Hausfrau führte. »Im Tierreich spricht man davon, dass Weibchen die tödlicheren Spezies seien. Man kann das auf den Fall Ethel und Julius Rosenberg übertragen«, schrieb die Boulevardzeitung New York World Telegram. Arnold und Kistenmacher haben mit dem Buch einen neuen Zugang zum Fall Rosenberg gefunden. Die Literaturliste und das Verzeichnis der Theaterstücke und Filme zum Fall Rosenberg bieten denen Anregungen, die sich weiter informieren wollen.

Peter Nowak

https://www.akweb.de/ak_s/ak622/09.htm

Sina Arnold und Olaf Kistenmacher: Der Fall Ethel und Julius Rosenberg, Antikommunismus, Antisemitismus und Sexismus in den USA zu Beginn des Kalten Krieges. Edition Assemblage, 96 Seiten, 12,80 EUR.

Essen für Obdachlose unerwünscht

Seit zwei Jahren bietet der Verein Berliner Obdachlosenhilfe an verschiedenen Plätzen in Berlin gesundes Essen für Obdachlose an. Auch der Hansaplatz in Moabit gehört seit kurzem dazu. Doch ein Teil der Anwohner ist über dieses ehrenamtliche Engagement nicht erfreut. Sie werfen dem Verein vor, Wohnungslose anzulocken und damit den Bezirk abzuwerten. Schließlich soll das Areal zum 70. Jubiläum des Hansaviertels verschönert werden, und da passen arme Menschen offensichtlich nicht allen ins Bild.

Zum Sprachrohr der Kritiker der Obdachlosenhilfe machte sich der Abgeordnete Thomas Isenberg (SPD), der seinen Wahlkreis im Hansaviertel hat. Auf einer von ihm moderierten Veranstaltung sagte er am Dienstagabend, er wolle in einem Jahr einen sauberen Hansaplatz haben. Dazu sei er auch bereit, Obdachlose zu verdrängen. Er werde alle rechtlichen Schritte prüfen, um der Obdachlosenhilfe die Essensausgabe auf dem Hansaplatz zu verbieten.

Ein Teil der rund 100 Teilnehmer der Veranstaltung stimmten Isenberg zu. Nur wenige machten darauf aufmerksam, dass Obdachlose nicht verschwinden, wenn sie am Hansaplatz kein Essen mehr bekommen. Sie forderten sozialarbeiterische und gesundheitspolitische Maßnahmen, um die Obdachlosigkeit und nicht die Armen zu bekämpfen. »Wir würden uns gerne überflüssig machen, wenn der Staat ein besseres Betreuungsprogramm auflegen würde. Bis dahin werden wir weiter unsere Hilfe anbieten«, sagte Helferin Sabrina Wolter dem »nd«.

Peter Nowak

»Der Prozess ist eine Farce«

Aktivisten des Hamburger KoZe stehen vor Gericht

»Hiermit schließen wir das kollektive Zentrum in der Norderstraße 65 im Hamburger Münzviertel. Nicht weil wir nicht mehr wollen, sondern weil die hamburgweite Unterstützung nicht ausreicht.« Mit dieser Erklärung endete vor einigen Wochen der Versuch einiger außerparlamentarischer Linker, im Hamburger Münzviertel in der Nähe des Hauptbahnhofes einen selbstverwalteten Treffpunkt für und mit der Nachbarschaft zu etablieren. Das Kollektiv verließ das teilbesetzte Zentrum, nachdem der Räumungstitel vom Gericht bestätigt wurde.

Unterstützt wurde das Kollektive Zentrum »KoZe« von dem Quartiersmanagement und vielen Anwohnern. Aber auch die Liste der Gruppen aus der linken Szene in Hamburg ist lang. Nach dem Vorbild der erfolgreichen Initiative im Hamburger Gängeviertel, die sich im Zentrum selbstverwaltete Räume erkämpfte, nahmen auch die Aktivisten des »KoZe« schnell Kontakt mit der Politik auf und versuchten, die Räume zu legalisieren. Doch im Münzviertel setzte die Politik auf Härte, weil die Landesbetriebs Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) auf dem Gelände Studierendenwohnungen im höheren Preisniveau errichten will.

Am 27. Juli 2015 begann ein Polizeieinsatz auf dem Hof des »KoZe«, der in eine mehrwöchige Belagerung des Geländes mündete. Fünf der anwesenden Aktivisten erhielten Strafbefehle wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Sie werden beschuldigt, sich Polizeimaßnahmen widersetzt und die Vertreter der LIG am Betreten des Grundstücks gehindert zu haben. Alle Beschuldigten haben Widerspruch eingelegt. An diesem Mittwoch beginnt der erste Prozess vor dem Amtsgericht Sankt Georg. Das Verfahren wollen die Beschuldigten nutzen, um auf den ihrer Ansicht nach rechtswidrigen Polizeieinsatz hinzuweisen.

Patrick Wagner vom Unterstützerkreis nennt gegenüber »nd« gleich mehrere Punkte. So sei der Polizeieinsatz damit begründet worden, dass der Schulhof besetzt worden sei. Doch die eingeleiteten Verfahren wegen Hausfriedensbuch seien eingestellt worden. Es habe sich herausgestellt, dass der Hof mit Zustimmung der Eigentümer genutzt wurde. »Der ganze Prozess ist eine Farce«, so Wagner. Auch die angekündigten Arbeiten zur Asbestbeseitigung mit denen der Polizeieinsatz gerechtfertigt wurde, hätten nie stattgefunden. Wagner erhofft sich Unterstützung auch über die linke Szene hinaus. Einige Aktivisten sind nach dem Ende des Projekts auf einen Berg von Schulden sitzen geblieben.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1035283.der-prozess-ist-eine-farce.html

Peter Nowak

„Alle Wärme geht vom Menschen aus“

Aktionskunst Mit seinem Büro für ungewöhnliche Maßnahmen begleitete Kurt Jotter die Alternativbewegung. 2013 gab es ein Comeback des Büros – derzeit ist Jotter mit Performances vor allem beim Mietenthema aktiv

taz: Herr Jotter, Sie haben zuletzt zahlreiche Performances mit MietrebellInnen gemacht. Warum engagieren Sie sich in diesem Gebiet so stark?

Kurt Jotter: Es gehört zu den Grundstandards der Menschlichkeit, eine Wohnung zu haben. Sie ist gewissermaßen die dritte Haut des Menschen. 85 Prozent der MieterInnen in Berlin sind existenziell auf bezahlbare Wohnungen und die Mieterrechte angewiesen. Zu diesem gesellschaftlichen Bewusstsein möchte ich mit künstlerischen und medialen Mitteln beitragen.

Sie haben bereits vor fast 30 Jahren in Westberlin eine MieterInnenbewegung unterstützt. Was hat sich seitdem geändert?

Mit der Lichtkunstaktion „Berlin wird helle“ haben wir damals zum Frühjahrsbeginn 1987 mit dem Berliner Mieterverein gegen die Aufhebung der Mietpreisbindung in Westberlin protestiert. Wir projizierten auf Hunderte Häuserwände Protest-Dias der Mieter und Entwürfe eines großen Künstlerwettbewerbs. Das war im Rahmen einer Kampagne, die mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund und den Oppositionsparteien und allen Initiativen ein erfolgreiches Bürger-Mieter-Begehren startete. Das macht deutlich, dass die Aktionen von einer Massenbewegung unterstützt wurden, die es heute nicht gibt.

Wie würden Sie Ihre künstlerische Arbeit beschreiben?

Ich sehe mich als politischen Aktions-, Konzept- und Multi-Media-Künstler und arbeite interdisziplinär zwischen Print, Theater, Video und Performance – im Sinne von „Realmontagen“ im öffentlichen Raum. Meine frühkindliche Heimat liegt bei den dadaistischen Rebellen, John Heartfield, der frühe Meister der Fotomontage, war der erste Impulsgeber. Das Bild wird zur Gesamtmontage, als theatralische Inszenierung mit Humor, sodass das Lachen im Hals stecken bleibt. Dadurch entsteht der Anreiz, sich mit der Sache zu befassen. Es geht auch darum, ein Gefühl der Befreiung zu erzeugen im Sinne von Dario Fo: „Es wird ein Lachen sein, das sie beerdigt.“

Humor und Politik, das harmoniert ja nicht immer. Hatten Sie nicht manchmal Probleme mit Ihren Aktionen bei den linken AktivistInnen?

Wir agierten innerhalb der damals schnell wachsenden Bürgerinitiativ- und Alternativbewegung, die sich von der Realitätsferne und Humorlosigkeit der K-Gruppen frühzeitig abgesetzt hatte. Unsere damals entstandenen Plakate waren in dieser ständig wachsenden Bewegung sehr gefragt und finanzierten unsere Arbeit über Jahre. Gemeinsam mit der 2014 verstorbenen Kulturwissenschaftlerin Barbara Petersen gründete ich 1977 die Künstlergruppe „Foto, Design, Grafik, Öffentlichkeit“ (FDGÖ) – der Name spielte auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Berufsverbote an.

Mit dem 1987 gegründeten Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (BfM) bekamen Sie Preise, es wurde in Spiegel, „Tagesschau“ und vielen anderen Medien über verschiedene Aktionen berichtet. Was waren die Höhepunkt Ihrer Arbeit?

Am 11. Juni 1987 der Mauerbau auf der Kottbusser Brücke als „Anti-Kreuzberger-Schutzwall“ gegen die Abriegelung Kreuzbergs beim Berlinbesuch von Ronald Reagan, danach die Jubelparade als Abgesang auf die Berliner 750-Jahr-Feiern mit 5.000 ParodistInnen aus der gesamten Szene und vieles andere mehr, einiges ist auch auf Wikipedia zu lesen. Auch Soloaktionen erregten Aufsehen: zum Beispiel eine lebende Haider-Karikatur in Salzburg, die in blauem FPÖ-Schal als Exhibitionist mit einem Hakenkreuz vorm Geschlechtsteil dessen Salon-Faschismus demonstrierte – bis zur Festnahme.

Nach einer längeren Pause machte sich das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen seit 2013 mit Aktionen wieder an ein Comeback. Gerade eben waren Sie aber auch Mitorganisator des stadtpolitischen Hearings der Initiativen zu den Koalitionsverhandlungen. Geht es jetzt in die Realpolitik?

Bei mir gab es nie diese Trennung von Kunst und Politik oder Form und Inhalt. Ich bin froh, wieder in Berlin aktiv zu sein und hoffentlich wieder in der Heimstätte des „Büros“, der ehemals besetzten Fabrik „Kerngehäuse“. Hier denkt man wieder an den Druck und die Kraft der alten Zeiten und weiß, was alles möglich sein kann.

Was ist Ihr persönlicher Antrieb bei Ihren Aktivitäten?

Für mich waren immer zwei Faktoren entscheidend: Gerechtigkeit und Effektivität. Eine noch so gute künstlerische Public Relations nützt überhaupt nichts, wenn das zu stärkende Subjekt als Bewegung zersplittert und keine relevante Kraft mehr ist. Hier können Impulse zur Vernetzung und Vereinigung für die PR entscheidend sein. Was bleibt, ist auch die Rückbesinnung auf die Grundlagen der Menschlichkeit. Zum Schluss unseres Textes „Das Lachen im Halse“ heißt es: „Erster Vorschlag zur notwendigen Neuauflage der Energie-Debatte: Alle Wärme geht vom Menschen aus – der Rest kommt von der Sonne.“

1950 geboren, ist seit Ende der 1970er Jahre als Aktionskünstler im politischen Kontext aktiv. 1987 gründete er mit Barbara Petersen das Büro für ungewöhnliche Maßnahmen (BfM). Für seine Aktionen erhielt das Büro 1988 den Kulturpreis der Kulturpolitischen Gesellschaft zugesprochen. 2013 hat Jotter die aktionskünstlerische Arbeit des Büros wieder aufgenommen. Aktuell ist er vor allem in der MieterInnenbewegung aktiv

http://www.taz.de/!5362194/

Interview Peter Nowak

Andrej Holm und die Stasi-Vergangenheit

Die Stolpersteine auf dem Weg vom außerparlamentarischen Mieteraktivisten zum Staatssekretär

Normalerweise sorgen die Personalien von Staatssekretären nicht für Schlagzeilen. Doch im Fall des Stadtsoziologen Andrej Holm[1] ist das anders. Schon wenige Tage nach seiner Ernennung ist er Gegenstand von Schlagzeilen. Dass sich Holm als junger Mann kurz vor dem Ende der DDR noch bei der Stasi verpflichtet hat, sorgte noch nach mehr als einem Vierteljahrhundert für Beißreflexe.

Die üblichen Verdächtigten meldeten sich schnell zu Wort. Dazu gehört der Politologe Klaus Schröder, der einräumt[2], dass es ihm gar nicht um die kurze Stasi-Episode geht: „Er hat Berichte aus den verschiedenen Bereichen Ost-Berlins ausgewertet und an die Vorgesetzten weiter geliefert. Da hat er persönlich höchstwahrscheinlich niemandem geschadet.“

Was Schröder Holm eigentlich vorwirft, könnte ihm womöglich zur Ehre gereichen, so dass er noch 1989 in die SED eingetreten ist, als sich die Wendehälse schon nach anderen Betätigungsfeldern umgesehen haben. Tatsächlich kann man sagen, wer 1989 noch in die SED eingetreten ist, dem ging es vielleicht nicht in erster Linie um die Karriere, sondern tatsächlich um die Ideale, die die SED ja so gerne anführte. Gerade in den turbulenten Zeiten um 1989 sind Menschen mit Idealen in die SED eingetreten, in die sie zu anderen Zeiten wahrscheinlich nie aufgenommen wurden. Das war auch der Impuls, der den im Westen aufgewachsenen Ronald Schernikau noch ganz zum Schluss zur SED-Mitgliedschaft und DDR-Staatsbürgerschaft führte.

Dass Holm aber auch als parteiloser Wissenschaftler ein Linker geblieben ist, wirft ihm Schröder eigentlich vor:

„Er hat seinen Klassenstandpunkt beibehalten und den neuen Zeiten angepasst. Er wurde nicht bekehrt in dem Sinne, dass er den realen Sozialismus und die Stasi ablehnt. Das hat er nie öffentlich geäußert. Und er hat sich auch nie von gewaltbereiten Linksextremisten distanziert.

Er selber war ja verstrickt bis hin zum Linksterrorismus. Der Verdacht hat sich nicht belegen lassen. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof ihm ja attestiert, er habe eine linksextreme Gesinnung. Und das ist eben mehr, als nur gesellschaftliche Konflikte zu beschreiben, wie er selbst es jetzt darstellt. Andrej Holm steht symptomatisch dafür, dass große Teile der Linken – so wie auch bei den Grünen – die Trennlinie zu den gewaltbereiten Linksextremisten nicht ziehen.“

Von einer soziologischen oder polittheoretischen Warte ist diese Einschätzung eine wissenschaftliche Bankrotterklärung. Da werden der autoritäre Staatssozialismus und eine außerparlamentarische Linke, die in der DDR als kleinbürgerliche Linksradikale verfolgt worden wären, aus propagandistischen Gründen gleichgesetzt. Wenn Holm nach einer kurzen Verpflichtung für die Stasi zum treuen Diener des BRD-Staats geworden wäre, hätte Schröder keinen Grund gesehen, ihm die Jugendsünde vorzuhalten.

Hier wird auch klar, wie unsinnig die Rechts-Links-Gleichsetzung ist. Ein ehemaliger Nazi konnte eben nach 1945 ein überzeugter BRD-Bürger werden, ohne seine Überzeugung aufzugeben. Ein Linker konnte, wenn er kein Karrierist war, nach dem Ende der DDR eben eine emanzipative Bewegung jenseits von Staat und Partei kennenlernen. Dann musste er aber auch schnell die Erfahrung machen, dass es nicht nur in der DDR einen Staatsschutz gab und dass man als Oppositioneller auch in der bürgerlichen Demokratie schnell in deren Visier geriet (Andrej H., § 129a und die verdächtigen Begriffe[3]).

Seine Verhaftung und die von weiteren linken Aktivisten sorgten für eine internationale Solidaritätswelle[4], an der sich auch Wissenschaftler aus den USA und anderen Ländern beteiligten (Verdacht ist nicht genug[5]).

In dem Solidaritätsbrief wird auch auf die Umstände der Verhaftung von Holm und seinen Freunden und Kollegen eingegangen, die damals auch in der BRD für viel Kritik sorgen, aber vielleicht schon vergessen sind. Daher sollen sie hier noch mal zitiert werden:

  • „Dr. Matthias B. habe in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen „Phrasen und Schlagwörter“ verwendet, die auch die „mg“ verwende;
  • Dr. Matthias B. sei als promovierter Politologe intellektuell in der Lage, „die anspruchsvollen Texte der ‚militanten gruppe'“ zu verfassen. Darüber hinaus stünden ihm „als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der ‚militanten gruppe‘ erforderlichen Recherchen durchzuführen“;
  • Ein weiterer Beschuldigter habe sich mit Verdächtigen konspirativ getroffen: „So wurden regelmäßig Treffen vereinbart, ohne jedoch über Ort, Zeit und Inhalt der Zusammenkünfte zu sprechen“; er sei zudem in der „linksextremistischen Szene“ aktiv gewesen.
  • Bei einem dritten Beschuldigten sei eine Adressenliste gefunden worden, auf der auch die Namen und Anschriften der anderen drei standen;
  • Dr. Andrej Holm, der als Stadtsoziologe arbeitet, habe enge Kontakte zu allen drei in Freiheit befindlichen Beschuldigten,
  • Dr. Andrej Holm sei „in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten Widerstand gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv“ gewesen.
  • Als konspiratives Verhalten wird u.a. gewertet, dass er angeblich absichtlich sein Mobiltelefon nicht zu einem Treffen mitnahm.“

Es ist schon interessant, dass Schröder diese Verfolgung mit keinen Wort erwähnt und im Gegenteil den Verdacht gegen Holm weiter verbreitet und gar nicht erwähnt, dass mit ihm weitere außerparlamentarische Linke festgenommen wurden, darunter auch Aktivisten aus der linken DDR-Opposition.

Doch für Schröder und Co. wird die Verteidigung von Menschenrechten instrumentell gehandhabt. So wird auch seine kurze Stasi-Episode nur benutzt, um ihn als heutigen Linken zu diskreditieren. Falsch ist auch die Unterstellung, dass Holm seine Stasi-Episode verschwiegen hat. Darüber wurde schon vor zehn Jahren in der außerparlamentarischen Linken sehr kontrovers diskutiert.


Die Stasi-Debatte verdeckt eine Diskussion, die unmittelbar nach Holms Ernennung eine größere Rolle spielte. Es ging um die Frage, wie sinnvoll es ist, dass ein solch exponierter Aktivist der außerparlamentarischen Linken in die Politik wechselt. Die Frage müsste doch diskutiert wurden, ob er mit seiner Arbeit als demokratischer Wissenschaftler, als stetiger Berater von Mieter- und Stadtteilinitiativen [6]mehr für eine fortschrittliche Gesellschaft erreichen könnte als in seiner Rolle als Staatssekretär?

Dabei soll gar nicht in Abrede gestellt werden, dass Holm auch in seiner neuen Aufgabe die gleichen Ziele und Ideale verfolgt wie als außerparlamentarischer Aktivist. Das vor allem in Teilen des anarchistischen Milieus vorhandene Ressentiment, dass jeder, der einen solchen Posten annimmt, korrupt wird, ist eine verkürzte Kritik an Parlament und Politik, die gerade in Zeiten, wo auch von Rechts die Stimmen für einen starken Staat zunehmen, dringend überprüft werden müsste.

Eine emanzipative Kritik an der bürgerlichen Demokratie müsste gerade in dem Mittelpunkt stellen, dass es nicht um die Korruptheit und die schlechten Absichten von Politikern geht, sondern um die Tatsache, dass sie an der Regierung, nicht aber an der Macht sind. Genau das wird Andrej Holm noch oft genug erfahren, wenn er in seinen Posten tatsächlich umsetzen will, was er seit Jahren fordert. Denn dann muss er sich mit Kräften anlegen, die Macht und Privilegien haben. Die aber werden diese Privilegien mit allen Mitteln verteidigen.

Der Streit um die Stasi-Episode ist dann erst die Ouvertüre. Sollte er nicht schon hier aufgeben, werden ihm weitere Hindernisse in den Weg gelegt. Jede kleine Verfehlung wird zu Schlagzeilen führen und gerade ein Mensch, der mit dem Politikbetrieb und seinen Gepflogenheiten nicht so vertraut ist, wird diese Fehler machen.

Der ehemalige Brandenburgische Linksparteipolitiker Peer Jürgens[7] bekommt zurzeit die ganze Härte eines Rechtsstaats zu spüren, weil ihm vorgeworfen[8] wird, nicht lange genug in seinem Wahlkreis gewohnt und zu Unrecht Fahrtkosten und Mietzuschüsse kassiert zu haben. Der Verfolgungseifer, an dem sich auch eine grüne Parlamentskollegin von Jürgens beteiligte, erinnert an ähnliche Schnüffelaktionen gegen Erwerbslose, denen unterstellt wird, sie hätten nicht alle Angaben gemacht.

Es ist dann nur zu hoffen, dass Holm rechtzeitig erkennt, wenn es Zeit wird, seinen Posten zu verlassen und sich wieder mit einigen Erfahrungen reicher seiner außerparlamentarischen und wissenschaftlichen Arbeit zuzuwenden. Die größte Niederlage nicht nur für Holm wäre es, wenn er diesen Zeitpunkt nicht erkennt und glaubt, er müsse mitspielen im Politikbetrieb, um ein Schräubchen in die richtige Richtung zu bewegen, dabei aber das ganze Ziel aufgibt.

Daher sollte eine außerparlamentarische Linke Holm unterstützen, wo er von rechts angegriffen wird, egal, ob es sich um die Stasi-Beschuldigungen handelt oder um weitere Angriffe, die kommen werden. Doch diese Solidarität hat zwei Seiten. So sollte von Anfang klar sein, dass Kritik ein wichtiger Bestandteil dieser Solidarität ist. In dem Augenblick, in dem Holm das Amt höher stellt als seine eigenen Ideale, sollte das auch deutlich gesagt werden. Nur so ist zu verhindern, dass ein guter Wille zur Veränderung wieder einmal in der sozialdemokratischen Logik des kleineren Übels endet.

Holm hat erfreulicherweise sein Amt mit der Aufforderung angetreten, in ihm nicht jemanden zu sehen, der jetzt die Probleme für die Mieter löst. Die beste Unterstützung für seine Arbeit wären selbstbewusste Mietrebellen[9], die ihre eigenen Interessen jetzt erst recht vertreten. Das ist nicht nur eine Verantwortung für Holm, sondern für genauso für die Mieterbewegung in Berlin. Die nächsten Monate werden zeigen, ob beide diesen Herausforderungen gerecht werden können.

https://www.heise.de/tp/features/Andrej-Holm-und-die-Stasi-Vergangenheit-3569321.html


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/mitarbeiterinnen/copy_of_a-z/holm
[2] http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/12/interview-mit-klaus-schroeder-zu-andrej-holm.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Andrej-H-129a-und-die-verdaechtigen-Begriffe-3415116.html
[4] https://einstellung.so36.net/ps/1832
[5] https://www.heise.de/tp/features/Verdacht-ist-nicht-genug-3415866.html
[6] http://gentrificationblog.wordpress.com/
[7] http://peer-juergens.de/
[8] http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2016/11/potsdam-prozess-juergens-peer-fahrtkosten.html
[9] http://mietrebellen.de/

Die Mär von der liberalen Merkel-CDU und von Merkels Willkommenskultur

Union schließt sich rechter Kampagne gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung an, unter Merkels Willkommenskultur wurde das Asylrecht drastisch verschärft

„Wir Bayern müssen, wenn die Geschichte es erfordert, notfalls die letzten Preußen werden.“ Dieses wenig bekannte Bekenntnis von Franz Josef Strauß findet sich auf der Homepage der CSU-Bundesabgeordneten Iris Eberl[1]. Sie könnte dort auch an das Bonmot ihres politischen Lehrmeisters erinnern, dass rechts von der CSU nur die Wand sein soll.

Eberl praktiziert diesen Grundsatz sehr genau, wenn sie sich im CSU-Organ Bayernkurier unter der Überschrift: „Meinungsfreiheit – Wir können nicht den Bock zum Gärtner machen“[2] gegen eine Unterstützung der Amadeu-Antonio-Stiftung[3] ausspricht. Die hat sich mit ihrer Förderung einer demokratischen Gesellschaft den Hass aller Rechten auf sich gezogen[4]. Eberl ist da nur eine besonders eifrige Kämpferin gegen eine angeblich linke Meinungsdiktatur.

„Wie kann es sein, dass in unserem demokratischen Rechtsstaat die Definitionshoheit darüber, was im politischen Diskurs erlaubt ist und was daraus verschwinden muss, einer linken Aktivistengruppe überlassen wird?“ Schon die Fragestellung zeigt, dass Eberl wenig Berührungsängste mit dem rechten Rand hat. Daher lässt sie sich auch von der rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit mit der Forderung an Bundesinnenminister Heiko Maas zitieren[5], die Kooperation mit der Amadeu-Stiftung zu beenden und die finanzielle Förderung zu überprüfen.

Nun ist Eberl damit weder in der CSU noch in deren Schwesternpartei CDU isoliert. So wird im Bayernkurier beklagt, dass durch die Förderung der Amadeu Stiftung „Staatsknete an Linksextremisten“ fließe. Da brauchen die zahlreichen Pegida-Redner, die derlei in den letzten Monaten immer wieder behauptet haben, also nur aus einer den Regierungsparteien nahe stehenden Zeitung zitieren. Neben Eberl haben auch zahlreiche weitere Politiker von CSU und CDU in den letzten Monaten Stimmung gegen die Stiftung verschärft.

Aktueller Stichwortgeber ist der selbsternannte Anti-Stasi-Kämpfer aus Hamm, Hubertus Knabe, der sich wohl nicht zufällig Kahanes Stasi-Akte noch einmal angesehen hat. Sie hat allerdings ihre Tätigkeit für die Stasi nie verschwiegen, aber auch ihren Bruch mit der DDR deutlich gemacht. Wenn Knabe nun titelt „Stasi-IM als Netzspionin?“[6] erweist er sich als Stichwortgeber einer rechten Kampagne[7], die bereits seit Monaten im Gange ist und das Fragezeichen einfach weglässt.

Der Politologe Samuel Salzborn hat in einem wissenschaftlichen Gutachten[8] die rechte Kampagne gegen die Stiftung und dabei auch die Rolle der Union gut beschrieben. Dass nun auch die Junge Union auf dem CDU-Bundesparteigtag den Antrag „Staatliche Förderung der Amadeu-Antonio-Stiftung stoppen!“[9] einbrachte und dieser beschlossen[10] wurde, ist also nur konsequent. Es zeigt, dass die rechte Kampagne in der sogenannten Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Gefordert wird eine Überwachung durch den Verfassungsschutz und eine Wiedereinführung der Extremismusklausel.

Erstaunlich sind hingegen die Reaktionen aus Medien und Politik, die den Eindruck erwecken, da hätten einige Rechte den Parteitag gekapert. Größere Aufmerksamkeit bekam der Beschluss zur Ablehnung der Doppelten Staatsbürgerschaft, der schließlich auch eine knappe Mehrheit bekam. Auch hier zeugt die Reaktion zumindest von einem Kurzzeitgedächtnis. Ist schon vergessen, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch vor knapp 15 Jahren mit seiner Ablehnung gegen die damals von rot-grün geplante doppelte Staatsbürgerschaft Wahlkampf machte und gewann? Er initiierte eine rechtlich unverbindliche, aber politisch sehr wirksame Unterschriftenaktion, an der sich vom ersten Tag an auch die extreme Rechte beteiligte.

Dass der Beschluss auf dem CDU-Parteitag ein überraschender Rechtsruck ist, der die Union politisch isoliert, hat wenig mit der Realität zu tun. Es wird sich zeigen, ob sie mit solchen Beschlüssen nicht nach dem Vorbild von Koch Wahlen gewinnen kann. Dann würden auch die Stimmen der Vertreter von SPD und Grünen, die sich jetzt empört geben, ganz anders klingen. Wenn die dann überhaupt noch gebraucht werden zur Regierungsbildung.


Manche halten sogar eine absolute Mehrheit der Union bei den nächsten Bundestagswahlen für nicht unwahrscheinlich. Da könnte eine Arbeitsteilung gute Hilfestellung ergeben. Weil sich Merkel verbal von dem Beschluss zur Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft distanziert, bleibt sie weiterhin ein Bezugspunkt für manche Liberale und Linke. Um die Basis vor der Wahl der AfD abzuhalten, wird der Beschluss auch gegen Merkels Bekundungen im Wahlkampf eine Rolle spielen.

Doch wie die linksliberalen Merkel-Unterstützer beharrlich darüber hinweggesehen haben, dass die Kampagne gegen die Amadeu Stiftung von Unionspolitikern munitioniert wird, wollen sie sich auch eine andere Fama nicht ausreden lassen: Dass Deutschland unter Bundeskanzlerin Merkel das Land der Willkommenskultur für Geflüchtete ist. Diese Überzeugung haben nicht nur Rechte aller Couleur, die dagegen Sturm laufen und Merkel zum Feindbild erklären. Auch bis weit ins linke Milieu gilt Merkel als das freundliche Gesicht Deutschlands, die sich für die Rechte der Migranten einsetzt.

Ein ganz anderes Bild zeichnet die aktuelle Ausgabe der Publikation „Cilip – Bürgerrechte und Polizei“ mit dem Schwerpunktthema „Überwachung, Verdatung und Sanktionen. Die neuen Maßnahmen gegen Geflüchtete“[11]. Das Heft widmet sich in 10 Kapiteln den massiven Verschärfungen des Asylrechts, die die Regierungskoalition seit Herbst 2015 im Windschatten der Debatten über die Willkommenskultur durchgesetzt hat.

Der Cilip-Mitherausgeber Heiner Busch sieht in den Bedrohungsszenarien, die nicht nur von ultrarechten Kreisen verbreitet wurden, einen wichtigen Grund, dass diese Gesetzesverschärfungen ohne relevanten Widerstand möglich wurden. Busch zitierte den Staatsrechtler Udo Di Fabio, der in seinem im Januar 2016 für die bayerische Landesregierung erstellten Gutachten[12] schrieb: „Kann ein Staat die massenhafte Einreise von Menschen in sein Territorium nicht mehr kontrollieren, ist ebenfalls seine Staatlichkeit in Gefahr.“ Solche Sätze lieferten nicht nur der bayerischen Staatsregierung[13], sondern allen rechten Gegnern der Flüchtlinge die passenden Stichworte. Sie liefern auch die Rechtfertigung, für die verschärfte staatliche Gewalt gegen Geflüchtete und Migranten.

„Eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen mag verfassungswidrig sein, aber eine Obergrenze für symbolische Gesetzgebung mit habhaften, gar gewaltsamen Folgen für die davon Betroffenen ist vorerst nicht in Sicht“, lautet das ernüchternde Fazit[14] von Heiner Busch über die von vielen so hochgelobte Flüchtlingspolitik von Merkel.

Im aktuellen Cilip-Heft gibt es für diesen Befund zahlreiche Beispiele im Detail. So beschreibt das Vorstandsmitglied des Komitees für Grundrechte und Demokratie[15], Christoph Schröder, wie seit Sommer 2015 die Polizei zahlreiche Aufgaben der Asyl- und Sozialbehörden übernommen hat. Was als Ausnahmesituation angesichts des Andrangs der Geflüchteten gerechtfertigt wurde, ist längst zum Normalzustand geworden Die Folge der Verpolizeilichung der Flüchtlingsarbeit bedeutet auch eine Einschränkung der Rechte für die Menschen: „Die zahlreichen Polizisten übertrugen die Arbeitsstrukturen und Organisationsformen aus dem Polizeialltag auf das Flüchtlingsmanagement“, so Schröder.

Der Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats[16], Stefan Dünnwald, bezeichnet die in dem Bundesland eingerichteten Ankunfts- und Rückführungszentren[17] für Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten als Orte der Ausgrenzung und der Rechtlosigkeit.

Der Referent für Innenpolitik bei der Linksfraktion Dieter Burczyk zeigte am Beispiel von zwei neuen Gesetzen, wie die Geflüchteten zum riesigen Datenpool für viele Behörden werden. Der ebenfalls als Referent für die Linkspartei arbeitende Matthias Monroy beschreibt, wie mit Verweis auf angebliche Schleusertätigkeiten die Befugnisse von Polizei und V-Leuten in den letzten Monaten massiv ausgeweitet wurden. Dabei wird auf die Ermittlungen im Ausland besonderer Wert gelegt. Ein wichtiger Kooperationspartner für die verdeckten Ermittler ist nach wie vor die Türkei, wo der V-Leute Einsatz für Festnahmen sorge

Die Berliner Rechtsanwältin Anja Lederer ging in ihren Beitrag[18] auf die 2016 beschlossenen Verschärfungen im Ausweisungsrecht ein. Es diene der Disziplinierung der Menschen ohne deutschen Pass und sanktioniere Handlungen, die nach dem Strafrecht nicht verfolgt würden“, so ihr Fazit.

https://www.heise.de/tp/features/Die-Maer-von-der-liberalen-Merkel-CDU-und-von-Merkels-Willkommenskultur-3568067.html


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[4] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/2016/salzborn-gutachten
[5] https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/kahanes-stasi-vergangenheit-sorgt-weiter-fuer-kritik/)
[6] https://twitter.com/hubertus_knabe/status/805083398884757504
[7] http://www.tagesspiegel.de/politik/trotz-rechter-kampagne-weiter-staatsgeld-fuer-amadeu-antonio-stiftung/14940904.html
[8] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/salzborn-gutachten-aas-als-meinungsfreiheit-getarnter-hass.pdf
[9] https://data.junge-union.de/pdf/2016/10/26/4722-58107cbed18c4.pdf
[10] https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/cdupt16_ueberwiesene_antraege_0.pdf?file=1
[11] https://www.cilip.de/2016/10/04/111-oktober-2016-die-neue-fremdenpolizei/
[12] http://www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/01/Gutachten_Bay_DiFabio_formatiert.pdf
[13] http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/gutachten-udo-di-fabios-zur-grenzsicherung-14010809.html
[14] https://www.cilip.de/2016/11/02/neu-alte-fremdenpolizei-mit-staatlicher-gewalt-gegen-gefluechtete-und-migrantinnen/
[15] http://www.grundrechtekomitee.de/
[16] http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/
[17] http://mediendienst-integration.de/artikel/studie-hildegard-lagrenne-stiftung-kinderrechte-von-roma-asylbewerbern-in-aufnahme-und-rueckfuehrung.html
[18] http://www.cilip.de/2016/11/07/ausweisung-reloaded-gesetzgebung-unter-dem-vorwand-von-koeln/

Mutter nimmt Fahndung selbst in die Hand

Nach mutmaßlich rassistischem Vorfall Aufruf zu Demo

»Botschafter für eine Welt ohne Vorurteile« lautet die Devise des Berliner Vereins Global New Generation. Er widmet sich der pädagogischen und kulturellen Arbeit im Geiste des Antirassismus. Gegründet wurde er von der Musikproduzentin Sonja Prinz. Sie ist eine der Initiatorinnen einer Demonstration, die unter dem Motto »Gemeinsam gegen Rassismus« am kommenden Samstag um 14 Uhr an der Straßenbahnhaltestelle in der Husemannstraße in Prenzlauer Berg beginnen soll.

An dieser Stelle soll der 17-jährige afro-deutsche Sohn von Sonja Prinz in den frühen Morgenstunden des 26. November von vier Männern zusammengeschlagen worden sein. Zuvor sollen sie ihm und seinen beiden Begleitern den Weg versperrt haben. Einer der Männer habe den Hitler-Gruß gezeigt, hieß es (»nd« berichtete). Die Gruppe soll erst von ihrem Opfer abgelassen haben, nachdem Passanten aufmerksam wurden. Der 17-Jährige wurde am nächsten Tag von der Mutter ins Krankenhaus gebracht, weil er über starke Schmerzen klagte. Wegen einer schweren Schulterverletzung war er in stationärer Behandlung. Der Betroffene kann sich weder an den Überfall noch an die Stunden danach erinnern. Ob der Gedächtnisverlust des Jugendlichen eine Folge des Schocks oder Symptom der Kopfverletzung ist, wird noch untersucht.

Die beiden Begleiter des Opfers konnten jedoch detaillierte Beschreibungen der Schläger liefern. Darunter habe sich ein Mann befunden, der ihnen durch seine Körpergröße aufgefallen war, was sie auch dem LKA mitteilten. Das hat laut Sonja Prinz aber kein Phantombild erstellt, um nach den Tätern zu fahnden. Auch habe die Polizei nicht nach weiteren Zeugen des Überfalls gesucht. Im Polizeibericht vom 29. November heißt es: »Gestern Abend wurden bei einem Polizeiabschnitt mehrere Straftaten angezeigt, die sich bereits am vergangenen Samstag in Prenzlauer Berg ereignet haben sollen«. Michael Merkle von der Pressestelle der Berliner Polizei bestätigte dem »nd« den Eingang der Anzeige, wollte sich aber zu Details der Ermittlungen nicht äußern.

Sonja Prinz hat mit einigen Freunden die Fahndung nach den Schlägern nun in die eigenen Hände genommen. Dabei wird sie von der North East Antifa (NEA) unterstützt. Sie haben die Täterbeschreibung ins Netz gestellt und wollen auch die Demonstration nutzen, um weitere Tatzeugen zu Aussagen zu motivieren. Prinz will auch danach nicht locker lassen: »Ich möchte, dass die Männer, die meinen 17-jährigen Sohn auf Grund seiner Hautfarbe zusammengeschlagen und ins Krankenhaus getreten haben, bestraft werden.«

Peter Nowak

»Ausbeutung wieder ein Thema«

Seit mehr als zwei Jahren kämpfen die ehemaligen Bauarbeiter des Einkaufszentrums Mall of Berlin um ihren Lohn. Über den aktuellen Stand sprach die Jungle World mit Clemens Melzer und Tinet Ergazina von der Berliner Sektion der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU).

Small Talk mit Clemens Melzer und Tinet Ergazina (FAU) von Peter Nowak

Sie haben den Bauinvestor Harald Huth verklagt. Warum?

Clemens Melzer: Wir verklagen nicht Huth persönlich, sondern eines seiner zahlreichen Unternehmen, die HGHI Leipziger Platz GmbH. Laut dem ­Arbeitnehmerentsendegesetz haftet der Auftraggeber wie ein Bürge für die Zahlung des tariflichen Mindestlohns an die Arbeitnehmer seiner Subunternehmen.

Warum klagen Sie erst jetzt?

Melzer: Am Bauprojekt war ein ganzes Geflecht von Unternehmen beteiligt. Die HGHI Holding GmbH beauftragte als Generalunternehmerin die Fettchenhauer Controlling und Logistic GmbH. Diese beauftragte als Subunternehmen unter anderem die Openmallmaster GmbH und die Metatec Fundus GmbH & Co. KG, für die unsere Mitglieder gearbeitet haben. Wir haben stets alle Akteure als verantwortlich benannt und in einem offenen Brief an die damalige Arbeitssenatorin Dilek Kolat auch auf die Rolle von Staat und Politik hingewiesen. Die Arbeiter haben zuerst die Subunternehmen verklagt und in acht von zehn Fällen Recht bekommen. Jedoch hat Metatec direkt nach dem Urteil Insolvenz angemeldet und Openmallmaster ist für das Gericht nicht mehr auffindbar.

Warum klagt eigentlich nur ein Bauarbeiter?

Tinet Ergazina: Die erste Klage ist schon fertig, weitere sind in Vorbereitung. Zwei Kollegen befinden sich in Berlin, die anderen arbeiten in anderen Ländern. Aber alle bestehen auf der Zahlung ihres Lohns.

Dieser Lohnkampf sorgt für große Aufmerksamkeit, trotzdem bekamen die Arbeiter ihr Geld nicht. Zeigen sich hier die Grenzen einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik?

Melzer: Nicht das Konzept einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik stößt an seine Grenzen. Es ist der lange juristische Weg. Wenn sich in Zukunft Bauarbeiter in ­einem höheren Grad organisieren und es möglich wird, in Fällen von Lohnraub zu Arbeitskampfmaßnahmen zu greifen, dann wären langwierige Gerichtsprozesse gar nicht unbedingt notwendig. Die Frage ist doch, wie es sein kann, dass diese Arbeiter allen Widrigkeiten zum Trotz nicht aufgegeben haben? Auf der Baustelle wurden Hunderte Arbeiter extrem ausgebeutet. Die Arbeiter, die auf ihren Löhnen und schriftlichen Verträgen bestanden, wurden oft sofort gefeuert. Es gab einen fast unendlichen Nachschub an Arbeitern, die noch nichts über die Zustände wussten, und ein einzelner Arbeiter war leicht zu ersetzen. Das Beispiel der Arbeiter, die trotzdem nicht aufgegeben haben, zeigt, dass es auch unter diesen Umständen möglich ist, Widerstand zu leisten. Wenn andere daraus lernen, wird es in Zukunft einfacher sein.

Proteste vor der Mall of Berlin sind seltener geworden. Ist der Lohnkampf in der Linken kein Thema mehr?

Ergazina: Wo immer die FAU Berlin hingeht, werden unsere Mitglieder auf die »Mall of Shame« angesprochen. Es ist weiterhin ein großes Thema. Die große Unterstützung, die wir im Rahmen dieses Kampfes erfahren haben, zeigt, dass Lohnarbeit und Ausbeutung wieder ein Thema in der deutschsprachigen Linken sind. Gewerkschaftsneugründungen wie zuletzt die Basisgewerkschaft Unterbau an der Frankfurter Goethe-Universität und die Gefangenengewerkschaft GG/BO, aber auch der wilde Streik bei Daimler in Bremen und das Sick-out, die gezielten Krankmeldungen, bei mehreren Flug­gesellschaften dieses Jahr lassen darauf schließen, dass immer häufiger der Mut da ist, sich zu organisieren.

Small Talk von Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2016/49/55356.html