„Sehen Sie, wir sollten mehr miteinander reden“

Das Gespräch zwischen Sahra Wagenknecht und Frauke Petry: Missverständnisse überwiegen

In der Weimarer Republik waren sich Kommunisten und Nazis nicht nur verfeindet. Immer wieder kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Doch es gab eine Praxis, die heute kaum mehr vorstellbar ist. Kommunisten und Nazis stritten in Versammlungen gegeneinander, jede Seite hatte ihre auch schlagkräftigen Mitglieder und Sympathisanten dabei und nach der Schlacht der Argumente gab es dann oft die Saalschlacht.

Das muss man wissen, wenn heute darum gestritten wird, ob die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, ein Streitgespräch mit der Vorsitzenden der AfD, Frauke Petry,  führen darf. Es war in der letzten Ausgabe der FAS veröffentlicht und ist auf Wagenknechts Homepage[1] dokumentiert.

Die Bewertung ist denkbar unterschiedlich und hängt wohl vor allem davon ab, wie man Wagenknechts Versuche beurteilt, die AfD-Wähler, die mal die Linke oder die PDS gewählt haben, wieder auf ihre Seite zu ziehen. Das kann man für eine kluge Politik oder eine Anbiederung an die Rechten halten. Die Reaktionen könnten gegensätzlicher nicht sein.

Die Süddeutsche Zeitung holt die Totalitarismuskeule hervor

Für die Süddeutsche Zeitung ist das Gespräch ein Anlass, wieder einmal die Totalitarismuskeule aus der Schublade zu holen[2]:

Ein Doppelinterview mit Rechtspopulistin Petry und Linken-Fraktionschefin Wagenknecht zeigt, wie sehr sich linker und rechter Rand angenähert haben. Die Gemeinsamkeiten sind groß – und gefährlich.Constanze von Bullion

Constanze von Bullion

Dabei zieht die Journalistin den ganz großen Bogen über angebliche Schnittmengen zwischen Kommunisten und Nazis in der Weimarer Zeit bis zum angeblichen „ultralinken Labour-Chef“ Corbyn, der wegen seiner EU-Skepsis mit für den Brexit verantwortlich sein soll. Die Autorin schreibt, dass Petry und Wagenknecht  wie ein altes Ehepaar in dem Streitgespräch aufgetreten seien.

Man mäkelt zwar aneinander herum, aber im Kern, na ja, man kann miteinander leben.

Da müsste die SZ eigentlich zufrieden sein, denn dass Politiker unterschiedlicher Parteien miteinander leben können sollen, gehört ja wohl zum Einmaleins bürgerlicher Politik. Auch die Taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Hermann schreibt von Konsensgesprächen[3] zwischen Wagenknecht und Petry.

Die „Junge Welt“, die Wagenknecht politisch lange sehr nahe stand und die sie heute noch weitgehend unterstützt, rechtfertigt das Streitgespräch mit dem Argument: „Wahlkampf heißt auch, sich ins Gespräch zu bringen“[4] und sieht die Linksparteipolitikerin gar als Aufklärerin.

Dort gibt es keine Fraternisiererei; Wagenknecht entlarvt Petry als aalglatte Opportunistin. Gegen das beständige Einfordern sozialer Antworten kann die AfD-Frau nur die Unkenntnis ihres eigenen Parteiprogrammes setzen. Und da von Hetze gegen noch Ärmere auf Dauer auch niemand satt wird, muss die Rechte gelegentlich linken Positionen beipflichten. So ’seltsam nah beieinander‘, wie Frau Bullion das zusammenleimt, war es nicht.Junge Welt[5]

Wenn man das Interview liest, findet man genügend Stellen, wo Wagenknecht klar den Dissens zu Petry nicht nur in der Sozial- , sondern auch in der Wirtschaftspolitik benennt. So heißt es schon ziemlich am Anfang des Streitgesprächs:

Es gibt keine Überschneidungen, Frau Petry. Sie hätten im Gegensatz zu mir jeder Verschärfung des Asylrechts zugestimmt. Laut Programm will die AfD, dass Deutschland sich in der Einwanderungspolitik an Kanada und an den Vereinigten Staaten von Amerika orientiert. Sie wollen also gezielt Hochqualifizierte aus ärmeren Ländern abwerben. Das ist das genaue Gegenteil von Hilfe. Dass Sie den Menschen in ihren Herkunftsländern helfen wollen, habe ich bislang auch nicht als AfD-Position wahrgenommen. Ebenso wenig, dass Sie die Bedingungen in den Flüchtlingslagern verbessern wollen. Stattdessen lese ich, dass Ihr Parteifreund Alexander Gauland die „menschliche Überflutung“ bei uns eindämmen will. Solche Worte finde ich menschenverachtend.Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht

Allerdings verweist Wagenknecht die Forderung nach offenen Grenzen, die im Parteiprogramm der Linkspartei steht, in eine ferne Zukunft, hält sie also für nicht aktuell. Damit stellt sie sich in Widerspruch zu vielen Menschen, denen auch klar ist, dass die Forderung nicht hier und heute umgesetzt werden wird. Für sie ist diese Forderung aber Richtschnur für ihre Unterstützung und Solidarität mit Migranten.

Wagenknecht hat in dem Streitgespräch auch an mehreren Stellen die wirtschaftsliberale Grundorientierung der AfD deutlich benannt, sich dabei aber selber in Widersprüche verstrickt, wenn sie sich später einen wirtschaftsliberalen Vordenker beruft:

Das Hauptargument gegen die Konzerne können Sie bei Walter Eucken nachlesen, einem der Väter der Sozialen Marktwirtschaft: Es ist deren wirtschaftliche Macht.Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht

Das ist aber kein Versehen. Schließlich hat sich Wagenknecht schon länger auf Ludwig Erhard berufen und versucht damit, liberale und konservative Wähler für ihre Wirtschafskritik zu gewinnen. Dass sie damit aber den Anspruch einer grundsätzlichen Kritik an Staat und Kapital aufgibt, nimmt sie in Kauf.

Es geht schließlich um Wählerstimmen. Im Streitgespräch hat Petry die angeblichen Gemeinsamkeiten mit der Linken in ihrer EU-Kritik oder im Freihandel in den Mittelpunkt gerückt, um die Wähler, die von der Linken zur AfD gewechselt sind, zu halten bzw. weitere zu gewinnen. Daher auch Petrys Avancen an Wagenknecht zur Fortsetzung des Gesprächs.

Wir sollten mehr miteinander reden.

Das ist im Grunde eine Aufforderung, die an die Wähler der Linkspartei gerichtet ist. Dass Petry damit linken Positionen beipflichtet, wie die junge Welt mutmaßt, ist eine Taktik, die mittlerweile alle erfolgreichen Rechtsparteien in Europa verfolgen. Pionier war dabei der Front National, der manchmal eine sozialistisch klingende Rhetorik anwendet, um seine Stellung als neue Wahlpartei der französischen Arbeiter zu halten.

Nur hat ein solches soziales Bekenntnis von Rechts nichts mit dem Sozialismus der emanzipatorischen Teile der Arbeiterbewegung zu tun. Was hinter den nationalen Phrasen von Rechts steckt, ist ein nationalstaatlicher Protektionismus, der einer kleinen Gruppe besondere Vorrechte und Privilegien bringen soll. Es ist also eine zutiefst anti-egalitäre und ausgrenzende Sozialstaatsvorstellung, die hinter der rechten Sozialstaatsrhetorik steckt.

Universelle Werte statt nationalstaatliche Sozialstaatsvorstellungen

Daher greift es in der Tat zu kurz, wenn Wagenknecht Petry nur vorhält, sei würden die sozialen Phrasen gar nicht ernst nehmen. Die Position von Wagenknecht zeigt das Dilemma derer auf, die immer noch den keynsianistischen Wohlfahrtsstaat wieder beleben wollen. Das aber ist in der heutigen Phase des Kapitalismus nicht mehr möglich.

Wer es trotzdem versucht, landet schnell bei protektionistischen Vorstellungen, wie sie bei den skandinavischen Rechtsparteien besonders virulent sind. Ihre Utopie ist ein soziales Volksheim ohne die Zugewanderten. Dagegen gilt es Gleichheit, Solidarität und ein schönes Leben für alle Menschen stark zu machen, was Wagenknecht bei aller Kritik am Rassismus der AfD nicht getan hat.

Jenseits der Themenkomplexe Soziales und Flüchtlingspolitik bleiben wichtige Topics in dem Streitgespräch unerwähnt, die sich um Minderheitenrechte  drehen. In der Programmatik sind da Linke und AfD denkbar weit entfernt. Doch an der Basis der Linken ist die Trennung oft nicht so scharf. Nicht nur am Beispiel des Streitgesprächs zwischen Wagenknecht und Petry wird über die Gefahr diskutiert, Minderheitenrechte gegen Arbeiterinteressen zu stellen.

Das wird dem slowenischen Soziologen rgeworfen, der in einem Newsweek-Beitrag[6] den Hillary-Konsens angriff, mit dem sich angeblich gesellschaftliche Minderheiten gegen die Reste der alten US-Arbeiterklasse positionieren würden.

Sie gestehen allen Minderheitenforderungen höchste Legitimität zu, sie unterstützen den Kampf um Frauen- und Homosexuellenrechte – aber um den Preis eines ungehinderten Funktionierens des Kapitalismus.Slavoj Žižek

Slavoj Žižek

Ihm wirft die Publizistin Isolde Charim vor, einem linken Konservatismus zu huldigen[7]. Damit übernimmt sie eine Klassifizierung des französischen Soziologen Dider Eribon, der mit seinen Bestseller Rückkehr nach Reims[8] auch in Deutschland bekannt wurde.

Das Buch setzt sich mit der Frage auseinander, warum das Band zwischen den Lohnabhängigen und der politischen Linken, das in Frankreich bis in die 1970er Jahre gehalten hat, gerissen ist und viele Arbeiter jetzt rechts wählen. Eribon formuliert zwei einfache Forderungen[9], um dieses Band wieder zu knüpfen.

Als Erstes muss die Linke aufhören, soziale Forderungen wie ordentliche Gehälter, gute Wohnungen, anständige Arbeitsbedingungen, Pensionen, Sozialversicherung und ein anständiges Gesundheitssystem zu ignorieren. Wir müssen gegen die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates in Europa kämpfen. Also müssen wir soziale Bewegungen unterstützen und Teil davon sein.Dider Eribon

Dider Eribon

Zudem betont er, dass eine Linke für die Minderheitenrechte eintreten muss:

Na ja, ich denke, die Linke muss lernen, dass der Kampf gegen neoliberale Politik die individuellen Rechte von allen Menschen stärken muss. Das sind kollektive und internationale Rechte, kollektiv und international erkämpft. LGBT-Rechte sind ein wichtiger und legitimer Teil des Kampfes, eine bessere Welt aufzubauen.Dider Eribon

Dider Eribon

Es geht also nicht darum, die Rechte der Arbeiter gegen die LGBT-Rechte auszuspielen, wie es bei Žižek anklingt, sondern ein politisches Projekt zu entwerfen, das sie einschließt.

Gemeinsam streiken, statt mit Karl Popper die offene Gesellschaft hoch leben zu lassen

Das muss sich aber nicht immer um realpolitische Forderungen drehen, wie die Frage, ob Clinton als kleineres Übel gegen Trump oder die EU gegen den Nationalstaat unterstützt werden sollen.  In den 1970er und 1980er Jahren unterstützten Schwule und Lesben aus London den britischen Bergarbeiterstreik, woran im letzten Jahr der Film Pride[10] erinnerte.

Das hatte eine Vorgeschichte. Zuvor beteiligten sich Bergarbeitergewerkschafter als Streikposten für einen Streik indischer Frauen in London beim [11].  Damals wurde nicht so abstrakt über Arbeiter- versus Minderheitenrechte diskutiert und es trafen sich keine Parteienvertreter zum Streitgespräch. Es kamen soziale Bewegungen miteinander in Kontakt und schrieben Geschichte.

Heute wird hingegen die gegen jede Veränderung abgeschottete offene Gesellschaft des Karl Popper als Antidot gegen die AfD aufgeboten[12], und man wundert sich, dass dabei nur die mitmachen, die in der Gesellschaft so privilegiert sind, dass sie diese so erhalten wollen, wie sie ist.

Anhang

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49627/2.html

Links

[1]

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2432.streitgespr%C3%A4ch-zwischen-sahra-wagenknecht-und-frauke-petry.html

[2]

http://www.sueddeutsche.de/politik/populismus-die-heimliche-klammer-zwischen-ganz-rechts-und-ganz-links-1.3188307

[3]

http://www.taz.de/!5340887/

[4]

https://www.jungewelt.de/2016/10-05/040.php

[5]

https://www.jungewelt.de/2016/10-05/040.php

[6]

http://europe.newsweek.com/slavoj-zizek-hillary-clinton-donald-trump-us-presidential-election-bernie-489993?

[7]

http://www.taz.de/Kolumne-Knapp-ueberm-Boulevard/!5339428/

[8]

http://www.suhrkamp.de/buecher/rueckkehr_nach_reims-didier_eribon_7252.html

[9]

http://www.taz.de/!5340042/

[10]

http://www.wildbunch-germany.de/movie/pride

[11]

https://socialistworker.co.uk/art/43226/Here+to+stay,+here+to+fight+-+how+the+Grunwick+strike+changed+everything

[12]

http://www.taz.de/!5339061


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