Sich sicher fühlen im Neoliberalismus

Die Politologin Anna Kern stellt in punkto Sicherheitspolitik und Repression linke Gemeinplätze in Frage

Die Politologin Anna Kern forscht zum Wandel von staatlichen Sicherheitspolitiken. Sie hinterfragt die These, dass der Staat immer repressiver werde.

In den letzten Wochen präsentierten Unionspolitiker Vorschläge zum weiteren Abbau der Demokratie und ein Ritual begann: Die SPD erklärte zunächst, so etwas sei mit ihr nicht zu machen, um wenige Tage später zu beteuern, sich realistischen Vorschlägen in der Sicherheitspolitik nicht verschließen zu wollen.

Auch die Grünen machen in Berlin Wahlkampf mit dem Thema Innere Sicherheit, fordern mehr Polizei auf den Straßen, lehnen Videokameras und den finalen Rettungsschuss nicht mehr generell ab.

Die Politologin Anna Kern, die in Marburg zum Wandel der Sicherheitsregime forscht, hat kürzlich im Dampfboot-Verlag  unter dem Titel »Produktion von (Un-) Sicherheit – urbane Sicherheitsregime im Neoliberalismus« ein Buch herausgegeben, das solche regelmäßig wiederkehrenden Diskussionen um die Sicherheit in einen größeren gesellschaftlichen Kontext stellt.

Im ersten Kapitel stellt die Autorin verschiedene wissenschaftliche Ansätze zur Sicherheitspolitik kritisch vor. So verwirft sie Erklärungsmuster, die von einem quasi naturgegebenen Sicherheitsbedürfnis bei allen Menschen ausgehen und eine Quelle von Unsicherheit in einer mangelnden staatlichen Ordnung ausmachen wollen. Kern hingegen sieht in der kapitalistischen Produktionsweise einen ständigen Quell von Unsicherheit. Angelehnt an das Marx’sche Theorem vom Fetischcharakter der Ware spricht sie von einem Sicherheitsfetisch. »Demnach bezieht sich der Staat auf soziale Ängste, um nationale Politiken zu legitimieren, während die Sicherheitsdienste deren profitorientierte Kommodifizierung zum Ziel haben«, schreibt Kern über die Entwicklung, Sicherheit zur Ware zu machen.

Die Autorin unterzieht auch manche vermeintlichen linken Gewissheiten zum Thema Sicherheitspolitik einer fundierten Kritik. So hinterfragt sie die These, dass der Staat immer repressiver werde, ebenso wie die schematische Vorstellung, nach der ein repressiver Staat große Teile der Bevölkerung unterdrücke. Die Politologin stellt hingegen die These auf, dass relevante Teile der Bevölkerung in den Sicherheitsdiskurs einbezogen werden.

Als Beispiel führt sie eine im letzten Jahrzehnt entstandene Kooperation zwischen Nichtregierungsorganisationen und Staatsapparaten bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt und bei der Drogenprävention in Frankfurt am Main  an. Diese Kooperation zwischen der Polizei und zivilgesellschaftlichen Gruppen hat dazu geführt, dass auch in der Sozialarbeit »Repression nun als notwendiger Teil der Arbeit erachtet wird und vormalige Skepsis und Abneigung durch Wertschätzung gegenüber den Partner/innen und deren Arbeit ersetzt wurde«. Allerdings konstatiert Kern auch, dass nach umstrittenen Polizeieinsätzen wie der stundenlangen Einkesselung der Blockupy-Demonstranten in Frankfurt/Main 2014 schnell eine kritische Öffentlichkeit entsteht, welche die Legitimität des Polizeihandelns in Frage stellt. Dadurch könne auch das Agieren der Polizei verändert werden. Auch bei den linken Kritikern konnte Kern keine langfristigen Projekte finden, die herrschende Sicherheitsdiskurse infrage stellen.

Ihre fundierte Analyse des aktuellen Sicherheitsdiskurses beendet Kern mit Gedanken über eine alternative Sicherheitspolitik im internationalen Maßstab. Sie stellt dafür das Beispiel Rojava vor, wo kurdische Aktivisten ein Rätesystem aufgebaut haben, das auch für die Sicherheitsfragen zuständig ist.

Kern, Anna,  Produktion von (Un-)Sicherheit – Urbane Sicherheitsregime im Neoliberalismus,  Verlag Westfälisches Dampfboot, 296 Seiten, 29,90 €

aus Neues Deutschland vom 14.9.2016,

Von Peter Nowak

Kampagne für US-Whistleblowerin

Trotz Chelsea Mannings Selbstmordversuch drohen verschärfte Haftbedingungen

Nach dem Selbstmordversuch der Whistleblowerin Chelsea Manning gibt es internationale Kampagnen für ihre Freilassung.

»Bis mir ein Mindestmaß an Würde, Respekt und Menschlichkeit entgegengebracht wird, weigere ich mich, freiwillig meine Haare zu schneiden und Nahrung oder Getränke zu mir zu nehmen, mit Ausnahme von Wasser und verschriebenen Medikamenten.« Mit diesem Satz war die in den USA inhaftierte Whistleblowerin Chelsea Manning am Freitag in einen unbefristeten Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen getreten. Es handele sich um einen Protest gegen die schlechte Behandlung im US-Militärgefängnis in Fort Leavenworth und die Verweigerung von Medikamenten, die sie aufgrund ihrer Transsexualität benötige.

Die IT-Spezialistin war wegen Spionage und Verrats von Militärgeheimnissen zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt worden. Sie hatte Dokumente und Videos, die Kriegsverbrechen von US-Militärs während ihres Engagements in Irak dokumentieren, an die Internetplattform Wikileaks weitergeleitet.

Seit einigen Wochen wächst weltweit die Sorge um das Leben der Whistleblowerin, die als Transgender ihre Haftstrafe in dem Militärgefängnis für Männer Fort Leavenworth verbüßen muss. Dort verübte Manning in den Morgenstunden des 6. Juli einen Selbstmordversuch. Entsprechende Gerüchte wurden von Mannings Anwälten mittlerweile bestätigt. »Ich bin okay. Ich bin froh, am Leben zu sein. Vielen Dank für Eure Liebe. Ich komme da durch«, ließ Manning über Twitter ihren Unterstützern mitteilen.

Doch jetzt drohen der Whistleblowerin neue Anklagen. Manning werden bedrohliches Verhalten, der Besitz verbotener Gegenstände und Widerstand gegen Gefängnispersonal vorgeworfen. Kommt es zu einer Verurteilung, befürchtet die US-Menschenrechtsorganisation unbefristete Einzelhaft, Wiedereinstufung in die höchste Sicherheitsstufe sowie neun zusätzliche Haftjahre ohne die Möglichkeit der Haftaussetzung. Dabei kritisierte ein Berichterstatter der Vereinten Nationen bereits 2012 Mannings Haftbedingungen als Folter.

Solidaritätsgruppen befürchten, dass die drohenden Restriktionen das Leben der psychisch angeschlagenen Gefangenen gefährden könnten. Mit einer Petition wollen die Unterstützergruppen die Öffentlichkeit auf die erschwerten Haftbedingungen von Manning aufmerksam machen. »Chelsea braucht unsere Solidarität«, lautet das Motto, mit dem sie Aufmerksamkeit auf die Whistleblowerin lenken wollen. Zumindest in Deutschland ging das Interesse am Schicksal Mannings nach ihrer Verurteilung zurück.

Doch nach ihrem Selbstmordversuch forderte der Chaos Computer Club, dessen Ehrenmitglied Mannings ist, ihre Begnadigung und kritisierte die US-Behörden: »Die unmenschlichen Haftbedingungen haben Chelsea Manning an den Rand des Selbstmords getrieben. Als Strafe für ihren Versuch sollen sie noch verschärft werden.« Mit anderen Solidaritätsgruppen fordert die Organisation, dass US-Präsident Barack Obama Manning begnadigen solle.

In den USA sehen das Unterstützergruppen jedoch als illusorisch an. Nur internationaler Druck könne eine Verschärfung der Haftbedingungen verhindern. Manche hoffen darauf, dass Manning für die Enthüllung von US-Kriegsverbrechen der Friedensnobelpreis verliehen wird. Bereits seit drei Jahren gilt sie als potentielle Anwärterin.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1025279.kampagne-fuer-us-whistleblowerin.html

Von Peter Nowak

Unter Schutz gestellt – und abgerissen

GENTRIFZIERUNG Friedrichshainer Geschichtsverein kritisiert Abriss von zwei denkmalgeschützten Häusern in der Rigaer Straße

Die Zukunft des sozial-, industrie-und baugeschichtlich interessanten Bauobjektes ist immer noch ungewiss“: So wird, ein wenig umständlich, im Programmheft des Landesdenkmalsamts (LDA) zum Tag des Offenen Denkmals eine Exkursion zu den Eckert’schen Häusern in der Rigaer Straße 71–73 beworben. Wanja Abramowski vom Friedrichshainer Geschichtsverein
Hans Kohlhase e. V. leitet die Tour – und spricht von einer bewussten Irreführung durch das Landesdenkmalamt. „Zu dieser Führung hat das Landesdenkmalamt in seinem Programmheft einen Text veröffentlicht, in dem entgegen den Tatsachen behauptet wird, die Zukunft des Denkmalobjektes sei ungewiss, obwohl es bereits vor Redaktionsschluss des Programmhefts abgerissen wurde“, kritisiert Abramowski. Tatsächlich ist von den 1875 errichteten Eckert’schen Häusern nur noch ein Trümmerhaufen zu sehen. Am 30. Juni sind die Häuser überraschend abgerissen worden. Nachdem der 2008 vom Friedrichshainer Geschichtsverein beantragte Denkmalschutz von der damals im Bezirk regierenden SPD abgelehnt wurde, hatten die Grünen die ältesten Häuser im Friedrichshainer Nordkiez vor zwei Jahren dann doch noch unter Denkmalschutz
gestellt. Für Abramowski war das aber nur ein taktisches Manöver des Bezirks im Zuge der Verhandlungen mit dem neuen Investor für das Grundstück:  Abramowski spricht von Denkmalschutz für den Abriss. Auf dem Areal plant die CGGruppe
ein Nobelobjekt, das sie als Carree Sama Riga bewirbt. In den letzten Wochen hatte die Stadtteilinitiative „Keine Rendite
mit der Miete“ mehrere Protestaktionen gegen den geplanten Neubau organisiert, durch den die AnwohnerInnen Mietsteigerungen im Kiez befürchten. Am kommenden Samstag organisieren die AnwohnerInnen ein Straßenfest in der Rigaer
Straße, auch der Widerstand gegen den Neubau soll dort thematisiert werden.

aus taz vom 12.9.2016
PETER NOWAK

Hartzen statt helfen

Ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit arbeitet die Bundesregierung an der Reform der Kinder- und Jugendhilfe. Mehr als einer Million Kindern und Jugendlichen drohen erhebliche Folgen.

»Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit«, heißt es im achten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII), das sich mit Kinder- und Jugendhilfe befasst. Demnächst ist in diesem Bereich eine größere Gesetzesreform geplant. Ein erster Entwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt seit Anfang Juni vor.

In der Öffentlichkeit wird über die geplante Novellierung kaum diskutiert. Doch manche Sozialarbeiter und Sozialpädagogen aus der Kinder- und Jugendarbeit sind alarmiert. Sie befürchten, dass der Gesetzgeber ohne große öffentliche Debatte erhebliche Einschnitte bei der Kinder- und Jugendhilfe vornimmt. Oliver Conraths von der Systematischen Erziehungshilfe Siegen (SES) sagt im Gespräch mit der Jungle World, der Ausschluss der Öffentlichkeit von der Reform der Kinder- und Jugendhilfe sei mit den Geheimverhandlungen über TTIP vergleichbar. Er betont, es liege nicht an der vielleicht trockenen Materie, dass über die geplante Novellierung so wenig gesprochen werde. »Bei der letzten Reform des SGB VIII im Jahr 1990 wurde eine offene und fachlich fundierte Diskussion geführt. Im Ergebnis wurde ein Gesetz verabschiedet, das von vielen Fachkräften angenommen wurde. Diesmal sind die geplanten Änderungen von Intransparenz und Geheimhaltung gekennzeichnet«, moniert Conraths. Dabei seien bundesweit über eine Million Kinder und Jugendliche von ihnen betroffen.

Auch inhaltlich übt Conraths heftige Kritik an dem Reformentwurf. Das bisher geltende SGB VIII habe in einer auch für viele andere Länder vorbildlichen Weise Rechte auf Hilfen für Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern festgeschrieben, die mit dem vorliegenden Entwurf unter dem Deckmantel einer »großen Lösung« aus finanziellen Gründen erheblich gekürzt würden, so der Sozialpädagoge und Therapeut. So sollen Eltern künftig keinen Anspruch auf »Hilfen zur Erziehung«, sondern die Kinder und Jugendlichen einen Anspruch auf »Hilfe zur Entwicklung« haben. Was auf den ersten Blick als Stärkung der Kinderrechte erscheinen mag, hält Conraths für fatal. Den Eltern werde so die Möglichkeit genommen, eine kindeswohlorientierte Erziehung zu verfolgen.

Kritisch sieht Conraths auch die vom Bundesfinanzministerium forcierten Bestrebungen einer »Regionalisierung der Sozialgesetzgebung«. Den Bundesländern soll es ermöglicht werden, von bundesrechtlichen Standards in der Kinder- und Jugendarbeit abzuweichen. Als Folge drohe eine »Regionalisierung von Armut und sozialer Benachteiligung, die auf keinen Fall mit dem Grundgesetz vereinbar ist«, befürchtet nicht nur er.

Auch Florian Gerlach, Professor für Kinder- und Jugendhilferecht an der Evangelischen Fachhochschule Bochum, und Knut Hinrichs, sein Fachkollege von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg, teilen die Kritik. »Wie man mit schönen Worten den Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung zurechtstutzt«, haben sie ihre erste Analyse des Gesetzentwurfs überschrieben. »Im Ergebnis öffnet der Gesetzentwurf der haushaltspolitischen Einflussnahme auf die soziale Arbeit Tür und Tor«, so die Einschätzung der beiden Professoren. In ihrer Analyse setzen sie sich mit der in der Diktion kinderfreundlichen Ausrichtung des Reformentwurfs kritisch auseinander. Die Eltern seien nicht mehr Bezugspunkt für eine anzustrebende Verbesserung der erzieherischen Situation, sondern würden tendenziell als Störenfriede für die Ansprüche der Kinder und Jugendlichen wahrgenommen. »So gesehen stellten dann Kinderrechte ein Vehikel dar, um das staatliche Wächteramt in den familialen Bereich auszudehnen; denn es ist klar, dass dann, wenn die Eltern die Rechte ihrer Kinder nicht wahrnehmen, die Frage im Raum steht, wer es dann statt ihrer tut«, schreiben Gerlach und Hinrichs.

Den Jugendämtern werde in dem Reformentwurf ein größerer Ermessensspielraum bei der Kinder- und Jugendhilfe gegeben. Die Professoren befürchten, dass so juristische Klagen auf Leistungen aus der Kinder- und Jugendhilfe weiter erschwert werden könnten. Schon derzeit würden gewonnene Prozesse nicht dazu führen, dass die Jugendämter die vorenthaltene Hilfe gewähren müssen. Sie würden nur veranlasst, ihre ablehnenden Bescheide besser zu begründen. Der drohende Machtzuwachs und die verringerten Kontrollmöglichkeiten durch die geplante Novellierung sind aus Sicht von Hinrichs und Gerlach fatal. »Es ist das Signal an die Verwaltungsgerichte und die Berechtigten, dass die Kinder- und Jugendhilfe der Garantie des Sozialrechts überdrüssig geworden ist«, so ihr Fazit.

Die Diplompädagogin Marie-Luise Conen spart in einer Stellungnahme, die der Jungle World vorliegt, ebenfalls nicht mit Kritik an der angestrebten Novellierung des SGB VIII. Deutschland sei zwar auf dem Gebiet der Inklusion von Behinderten anderen Ländern voraus, doch die Art und Weise, wie sie in Deutschland betrieben werde, sei ein Jammer, so Conen. »Unter dem Deckmäntelchen der Inklusion werden aller Orten die Ansprüche an die Mitarbeiter zwar hochgeschraubt bis an die immer weiter ausdehnbare ›Belastungsgrenze‹, jedoch werden die dafür erforderlichen Mittel, vor allem die Personalmittel, nicht zur Verfügung gestellt.«

Auch das Bündnis Kinder- und Jugendhilfe hat in einem offenen Brief an die jüngste Jugend- und Familienministerkonferenz deutliche Kritik an der Tendenz der Reformpläne geäußert: »Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesregierung hinter verschlossenen Türen eine Novellierung beziehungsweise die grundsätzliche Veränderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes vorbereitet, die die seit 20 Jahren Schritt für Schritt immer weiter ausgedehnte Ökonomisierung dieses gesellschaftlichen Bereichs weiter forciert und fortschreibt.« Das Bündnis befürchtet, dass mit der Novellierung eine »Hartz-IV-Kinder- und Jugendhilfe« eingeführt wird. Hilfe und Unterstützung stünden immer nur dann zur Verfügung, wenn die erforderlichen Mittel verfügbar und entsprechende Gegenleistungen erbracht worden seien. Kontrolle und Sanktionen herrschten dann vor, so das Bündnis.

http://jungle-world.com/artikel/2016/36/54794.html

Peter Nowak

»Wir waren die ersten Mitstreiter«

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Der Umsetzer, Westberlin 1976, 75 Min.

Antonia Lerch und Benno Trautmann drehten vor 40 Jahren den Film »Der Umsetzer«. Er behandelt die Vertreibung von Mietern aus den Westberliner Stadtteilen Wedding und Kreuzberg. 1976 hatte er Premiere, erregte einiges Aufsehen und gewann diverse Preise. 40 Jahre später wurde er wiederentdeckt.

Sie haben 1976 mit Ihrem Film »Der Umsetzer« Furore gemacht. Was war der Gegenstand des Films?

Lerch: Es ging um die Stadtzerstörung in Westberlin, um die Zerstörung von Stadtvierteln und alten Häusern, die man nur hätte renovieren müssen. Diese Zerstörung hat dann auch die alten Nachbarschaften, das ganze soziale Gefüge kaputtgemacht.

In vielen Filmrezensionen wird erwähnt, dass Sie den Film ohne finanzielle Förderung gedreht haben. Wie haben Sie ihn finanziert?

Lerch: Wir haben Mama, Papa, Bruder, Schwester, den Onkel und die Tante angepumpt. Außerdem haben wir Film­aktien für 100 Mark an Verwandte und Freunde verkauft. Es war aber eine Lachnummer, weil unsere Reisekosten und die Kosten für den Druck ungefähr so hoch waren wie die Einnahmen aus dem Verkauf der Filmaktie. Die Schauspieler haben umsonst gearbeitet, weil sie das Thema wichtig fanden. Alle Leute hinter der Kamera haben auf einen Teil ihrer Gage verzichtet.

Antonia Lerch und Benno Trautmann

Antonia Lerch und Benno Trautmann (Foto: privat)

Trautmann: Das Kopierwerk, der Kameraverleih und andere Firmen haben uns unterstützt. Am Ende hatten wir aber trotzdem 100 000 Mark Schulden. Diese Schulden konnten wir ein Jahr später durch den Verkauf des Films wieder zurückzahlen.

Wie haben die Wohnungsbaugesellschaften und die Politik auf den Film reagiert?

Lerch: Der Berliner Wohnungsbausenator und die Wohnungsbaugesellschaften haben mit einstweiligen Verfügungen reagiert. Sie wollten die Ausstrahlung des Films im ZDF verbieten. Aber der Intendant des ZDF war so mutig, die einstweiligen Verfügungen zurückzuweisen und den Film zu zeigen.

Im Märkischen Viertel, wohin viele Mieter aus dem Wedding umgesiedelt wurden, hat sich in den siebziger Jahren ein über Jahre währender Mieterwiderstand entwickelt. Hatten Sie Kontakt zu rebellischen Mietern?

Lerch: Ja, von Anfang an bis zum Ende der Dreharbeiten. Die Pointe des Films: Ein alter Nachtwächter rebellierte gegen seine Umsetzung, solange es ging. Schlussendlich wurde das Haus doch abgerissen. Er war der letzte Mieter im Haus. Alle anderen hatten schon aufgegeben. Er hielt durch, obwohl Gas und Strom abgestellt wurden. Er wurde schließlich von Polizei und Feuerwehr aus seiner Wohnung geholt. Auch in Kreuzberg gab es Mieter, die rebellierten. Aber auch sie wurden letztlich exmittiert und die Häuser wurden gesprengt.

Im Film stehen die Ohnmacht und die Resignation der Mieter vor der Allmacht der Wohnungsbaugesellschaften und ihres Umsetzers im Mittelpunkt. Erst ganz am Ende zeigt sich widerspenstiges Verhalten von Mietern. Wollten Sie damit deutlich machen, dass Mieterprotest vor 40 Jahren eher die Ausnahme war?

Lerch: Es gab sehr viel Widerstand. Wir waren Teil dieses Widerstands und wir haben zusammen mit anderen Aktionen und mit diesem Film politisch etwas erreicht. »Der Umsetzer«, der erfolgreich wochenlang in zwei Kinos in Berlin und auch in anderen Städten gezeigt wurde, hat sogar die ganze Politik der sogenannten Stadtsanierung, die wir Zerstörung nennen, verändert. Aber leider war es fast schon zu spät, zu viele Häuser waren ja schon zerstört. Immerhin haben wir, zusammen mit anderen Aktionen, den Abriss von drei Häusern in der Kohlfurter Straße in Kreuzberg verhindert. Das wurde damals groß gefeiert.

Ihr Film gewann zahlreiche Preise und wurde in vielen Zeitungen besprochen. Gab es auch Interesse von Mieterinitiativen und sozialen Bewegungen?

Lerch: Ja. Das Interesse besteht ja bis heute.

Die Jury der Evangelischen Filmarbeit schrieb bei ihrer Preisverleihung, dass der Film eine Kritik an der Verplanung von Menschen und einer wachsenden Bürokratie leiste. Ist das auch eine Kritik am sozialen Wohnungsbau, der mit dem Anspruch antrat, moderne gesunde Wohnungen für alle zu bauen, während manche Menschen lieber in ihren unsanierten Altbauwohnungen mit Außenklo bleiben wollten?

Lerch: Das ist eine Kritik an den Wohnungsbaugesellschaften. Sie haben Propaganda gemacht. Es war reine Lügenpropaganda. Die Wohnungsbaugesellschaften haben nur die Interessen der Bauindustrie vertreten, niemals die Interessen der Mieter. Man hat ihnen Badezimmer und größere Wohnungen versprochen, bekommen haben sie aber viel kleinere und teurere Wohnungen. Ein Kind bekam ein sieben Quadratmeter großes Kinderzimmer. So viel ist auch für einen Hund vorgeschrieben. Und dazu hat man die Menschen aus ihrem sozialem Umfeld, ihrem Kiez, an den Stadtrand vertrieben. Das war besonders für alte Menschen ein Desaster.

Aber war das Leben in den Altbauten die Alternative?

Lerch: Ihre Wohnungen hätten nur saniert werden müssen, dann hätten sie auch ein Badezimmer mit Klo bekommen, und sie hätten ihr soziales Umfeld behalten. Aber sie wurden, wie es auch heute wieder passiert, an den Stadtrand vertrieben.

Vier Jahrzehnte nach der Premiere wird »Der Umsetzer« auf Mieterveranstaltungen und in Programmkinos wiederentdeckt. Verwundert Sie diese Wiederentdeckung?

Lerch: Wir sind nicht verwundert. Es freut uns, das ist ein Revival des Films. Er weckt auch das Interesse der Mieter, die jetzt ähnliche Probleme haben. Sie fliegen auch aus ihren Wohnungen, nur aus anderen Gründen. Sie fliegen aus ihren Wohnungen, weil sie zu Eigentumswohnungen gemacht werden, was damals nicht der Fall war. Unser Haus ist saniert worden mit Geldern der Stadt, wir sagten: kaputtsaniert. Nach Ablauf von zehn Jahren hat der Eigentümer das Recht, die sanierten Wohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. Der Film trifft den Nerv der Zeit. Es ist auch eine Wiederholung der Desaster von 1975. Jetzt geht es um Kapitalvermehrung und Privatinteressen von Eigentümern: Investoren aus China, Dänemark, Italien, Griechenland, Großbritannien, den USA, aber auch Deutschland wollen Wohnungen kaufen und die Miete erhöhen.

In den vergangenen beiden Jahren wurden Filme wie »Mietrebellen« und »Verdrängung hat viele Gesichter« vor einem großen Publikum gezeigt. Sehen Sie sich da nicht in der Rolle der Pioniere des Mieterfilms in Berlin?

Lerch: Wir waren die ersten Mitstreiter, ganz am Anfang der Geschichte. Wir haben unsere Wohnung verteidigt. Wir wohnen in Kreuzberg, damals wie heute. Damals wurde in unserer Nachbarschaft ein Haus nach dem anderen gesprengt. Tag für Tag.

Wie haben Sie das Material für den Film zusammengetragen?

Trautmann: Wir lebten mittendrin. So ist unser Erstlingsfilm entstanden. Wir waren Studenten. Rechts und links fielen die Häuser. Wir haben uns plötzlich konfrontiert gesehen mit dieser Geschichte. Wir haben Soziologen, Stadtplaner, Architekten und Mieter bei den Mieterversammlungen kennengelernt. Sie haben uns ihre Geschichten erzählt und wir haben uns engagiert. Wir sind 1974 in unsere Wohnung eingezogen, jeden Tag wurden Häuser gesprengt. Wir sind Filmemacher, und wenn man über diese Geschichte keinen Film macht, muss man schon saublöd sein. Ich schrieb dann ein Drehbuch. Wir haben bei verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften recherchiert, wir haben mit den sogenannten Umsetzern geredet, um herauszufinden, wie sie arbeiten. Irgendwann rief irgendeine Wohnungsbaugesellschaft an und machte uns ein Angebot, das wir ablehnen mussten: Sie wollten uns für 10 000 Mark kaufen.

Könnten Sie sich vorstellen, einen aktuellen Mieterfilm zu drehen?

Lerch: Ja.

Interview: Peter Nowak

Im Rahmen der Filmreihe »Wohnraum Berlin – Mieterkämpfe, Spekulation, Verdrängung« ist der Film »Der Umsetzer« am Montag, dem 26. September, und Mittwoch, dem 28. September, jeweils um 17 Uhr in Berlin im Lichtblickkino in der Kastanienallee 77 zu sehen. Am 14. September wird er um 20 Uhr in der Kollekivbar in der Pflügerstraße 52 in Neukölln gezeigt.

http://jungle-world.com/artikel/2016/36/54819.htm

Interview: Peter Nowak

Kinder- und Jugendhilfe im Zeitalter der Schuldenbremse

Sozialpädagogen befürchten Verschlechterung nach Novellierung

„Junge Menschen haben ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und der Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“, heißt es im Buch 8 des Sozialgesetzbuches[1], das sich mit Kinder- und Jugendhilfe befasst. Demnächst ist eine größere Gesetzesreform geplant, von der bundesweit über 1.000.000 Kinder und Jugendliche betroffen sind.

Ein erster Entwurf[2] des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend[3] liegt seit einigen Wochen vor. Doch in der Öffentlichkeit wird über die geplante Novellierung kaum diskutiert. Engagierte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen aus der Kinder- und Jugendarbeit sind alarmiert. Sie befürchten, dass der Gesetzgeber ohne große öffentliche Debatte massive Einschnitte bei der Kinder- und Jugendhilfe vornimmt.

Geheimverhandlungen wie beim TTIP

Der Sozialpädagoge Oliver Conraths[4] von der Systematischen Erziehungshilfe Siegen[5] spricht von einen Ausschluss der Öffentlichkeit, der mit den Geheimverhandlungen zu TTIP vergleichbar sei. Conraths betont im Gespräch mit Telepolis, es liege nicht an der vielleicht trockenen Materie, dass über die geplante Novellierung der Kinder- und Jugendhilfe so wenig gesprochen werde. „Bei der letzten Reform des SGB VIII im Jahre 1990 wurde eine offene und fachlich fundierte Diskussion geführt. Im Ergebnis wurde ein Gesetz verabschiedet, welches von vielen Fachkräften angenommen wurde. Diesmal sind die geplanten Änderungen von Intransparenz und Geheimhaltung gekennzeichnet“, moniert Conraths.

Auch inhaltlich hat Conraths massive Kritik an dem Reformentwurf. Das bisher geltende SGB VIII hat in einer für viele andere Länder vorbildlichen Weise Rechte für Kinder und Jugendliche und deren Eltern auf Hilfen ermöglicht, die mit dem vorliegenden Entwurf unter dem Deckmantel „Große Lösung“ aus finanziellen Gründen zurechtgestutzt werden, kritisiert Conraths und führt ein Beispiel an. So sollen Eltern künftig keinen Anspruch auf „Hilfen zur Erziehung“, sondern die Kinder und Jugendlichen einen Anspruch auf „Hilfe zur Entwicklung“ haben. Was auf den ersten Blick als Stärkung der Kinderrechte erscheinen mag, hält der Sozialpädagoge für fatal. Den Eltern werde so die Möglichkeit genommenen, eine kinderwohlorientierte Erziehung zu unterstützen. Kritisch sieht Conraths auch die vom Bundesfinanzministerium forcierten Bestrebungen einer „Regionalisierung der Sozialgesetzgebung“. Dadurch soll des den Bundesländern ermöglicht werden, von bundesrechtlichen Standards in der Kinder- und Jugendarbeit abzuweichen. Die Folge sei eine „Regionalisierung von Armut und sozialer Benachteiligung, die auf keinen Fall mit dem Grundgesetz vereinbar ist“.

Wie man mit schönen Worten den Rechtsanspruch auf Hilfe zurechtstutzt

Auch der Professor für Kinder- und Jugendhilferecht an der Evangelischen Fachhochschule Bochum Florian Gerlach[6] und sein Fachkollege von der Hochschule für angewandte Wissenschaften[7] in Hamburg, Knut Hinrichs[8] teilen die Kritik.

„Wie man mit schönen Worten den Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung zurecht stutzt“ haben sie ihre erste Analyse[9] des Entwurfes eines Reformgesetzes zum SGB VIII überschrieben. „Im Ergebnis öffnet der Gesetzentwurf der haushaltspolitischen Einflussnahme auf die Soziale Arbeit Tür und Tor“, so die Einschätzung der beiden Professoren.

In ihrer Analyse setzen sie sich mit der in der Diktion kinderfreundlichen Ausrichtung des Reformentwurfs kritisch auseinander. Die Eltern seien nicht mehr Bezugspunkt für eine anzustrebende Verbesserung der erzieherischen Situation, sondern würden tendenziell als Störenfriede der eigenen Ansprüche der Kinder und Jugendlichen wahrgenommen. „So gesehen stellten dann Kinderrechte ein Vehikel dar, um das staatliche Wächteramt in den familialen Bereich auszudehnen; denn es ist klar, dass dann, wenn die Eltern die Rechte ihrer Kinder nicht wahrnehmen, die Frage im Raum steht, wer es dann statt ihrer tut“, kritisieren Gerlach und Hinrichs.

Den Jugendämtern werde in dem Reformentwurf ein größerer Ermessensspielraum bei der Kinder- und Jugendhilfe gegeben. Die Professoren befürchten, dass die Kontrollmöglichkeiten der Jugendämter weiter reduziert werden und juristische Klagen auf Leistungen der Kinder -und Jugendhilfe weiter erschwert würden. Schon heute würden gewonnene Prozesse nicht dazu führen, dass die Jugendämter die vorenthaltene Hilfe gewähren müssen. Die Jugendämter würden nur veranlasst, ihre ablehnenden Bescheide besser zu begründen.

Der Machtzuwachs und die reduzierten Kontrollmöglichkeiten der Jugendämter nach der geplanten Novellierung sind für Hinrichs und Gerlach fatal. „Es ist das Signal an die Verwaltungsgerichte und die Berechtigten, dass die Kinder- und Jugendhilfe der Garantie des Sozialrechts überdrüssig geworden ist“, so ihr Fazit.

Auch die Diplompädagogin Marie-Luise Conen[10] spart in ihrer Stellungnahme zur angestrebten Novellierung des SGB VIII[11] nicht mit deutlicher Kritik. Deutschland sei zwar auf dem Gebiet der Inklusion von Behinderten anderen Ländern voraus, doch die Art und Weise, wie sie in Deutschland betrieben wird, sei ein Jammer, so Conen. „Unter dem Deckmäntelchen der Inklusion werden aller Orten die Ansprüche an die Mitarbeiter zwar hochgeschraubt, bis an die immer weiter ausdehnbare ‚Belastungsgrenze‘, jedoch die dafür erforderlichen Mittel, vor allem die Personalmittel werden nicht zur Verfügung gestellt.“

Kinder und Jugendarbeit unter Sparzwang

Dabei benennt Conen auch die Hintergründe für die von ihr kritisierten Tendenzen. „In dem Text ist übrigens immer wieder zu entdecken, wie in einzelnen Textpassagen die Logiken der ‚Behindertenlobby‘ bzw. ‚Medizinisierung‘ so durchschlägt, dass von den Grundprämissen der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik nichts übrig bleibt und an anderen Stellen, zaghaft und rudimentär diese andere Denkweise der Jugendhilfe durchscheint.“

Auch das Bündnis Kinder- und Jugendhilfe[12] hat in einem Offenen Brief[13] an die Jugend- und Familienministerkonferenz in Dresden bereits am 2.6.2016 deutliche Kritik an der Tendenz der Reformpläne formuliert: „Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die Bundesregierung hinter verschlossenen Türen eine Novellierung bzw. die grundsätzliche Veränderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes vorbereitet, die die seit 20 Jahren Schritt für Schritt immer weiter ausgedehnte Ökonomisierung dieses gesellschaftlichen Bereichs weiter forciert und fortschreibt.“

Sie befürchten, dass mit der Novellierung eine „Hartz IV-Kinder- und Jugendhilfe“ eingeführt wird, wo Hilfe und Unterstützung immer nur dann zur Verfügung gestellt werden, wenn die erforderlichen Mittel verfügbar sind, entsprechende Gegenleistungen erbracht wurden und in dem Kontrolle und Sanktionen vorherrschen. „Eine Beziehungsarbeit, die ein entscheidendes fachliches Merkmal Sozialer Arbeit ist, kann unter diesen Bedingungen nicht mehr geleistet werden“, schreibt das Bündnis.

Wesentlich vorsichtiger äußert[14] sich die Dienstleistungsgewerkschaft verdi zur geplanten Reform der Kinder- und Jugendarbeit. Doch auch sie kommt zu dem Fazit: „Die konstatierte Kostenneutralität des Gesetzes entspricht nicht den Anforderungen aus der Praxis. Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif.“ Das Bündnis Kinder- und Jugendhilfe zeigte sich über die zahlreichen kritischen Stellungnahmen zum Entwurf der Kinder- und Jugendhilfe zufrieden, will sich damit aber nicht zufrieden geben: „Ein Aufschrei der Praxis – unseres Erachtens mehr als angebracht – ist bisher nicht zu vernehmen.“

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49365/1.html

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49365/1.html

Anhang

Links

[0]

https://www.flickr.com/photos/sozialdemokratie/22720056548/in/photostream/

[1]

http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbviii/1.html

[2]

http://www.ijosblog.de/wp-content/uploads/2016/06/2016.04.22_SGB-VIII-Reform.pdf

[3]

http://www.bmfsfj.de/

[4]

http://www.geb-siegen.de/Oliver_Conraths.63.0.html

[5]

http://www.se-siegen.de/

[6]

http://florian-gerlach.net/

[7]

http://www.haw-hamburg.de/startseite.html

[8]

http://www.haw-hamburg.de/beschaeftigte/detailansicht.html?bdb_id=1641

[9]

http://www.afet-ev.de/aktuell/SGB-VIII-Reform/PDF-SGB-VIII-Reform/GerlachHinrichsE-SGBVIII22.04.2016-WiemanmitschnenWortendenRechtsanspruchaufHilfezurErziehungzurechtstutzt-mitNacht.pdf

[10]

http://www.context-conen.de/publish/

[11]

http://buendnis-jugendhilfe.de/wp-content/uploads/2016/08/Stellungnahme-ML-Conen-zur-Begr%C3%BCndung-der-angestrebten-SGB-.pdf

[12]

http://buendnis-jugendhilfe.de/

[13]

http://buendnis-jugendhilfe.de/2016/05/26/offener-brief-die-jugendministerkonferenz-2016/

[14]

http://buendnis-jugendhilfe.de/wp-content/uploads/2016/08/verdi-Stellungnahme-KJHG-Juli-2016-1.pdf

Mehr als nur ein »Zimmermädchen«

Eine langjährige Reinigungskraft wehrt sich erfolgreich gegen den unzulässigen Rauswurf nach mehreren ungültigen Abmahnungen

Meistens sind die schlecht bezahlten Hotelreinigungskräfte, die täglich für frische Wäsche und aufgeräumte Zimmer sorgen, unsichtbar. Doch jetzt hat sich eine dieser prekär beschäftigten Schwerarbeiterinnen erfolgreich gewehrt: Mit Rechtsschutz des DGB klagte die 41-jährige Frau aus dem baden-württembergischen Pfäffingen erfolgreich vor dem Reutlinger Arbeitsgericht gegen ihre Entlassung und erhielt immerhin 2000 Euro Entschädigung.

Das Hotel »Stadt Tübingen« hatte die Frau an die Hotelservice GmbH von Karl Zingsheim outgesourct. Diese hatte ihr bis Anfang April 2012 insgesamt sechs Abmahnungen geschickt: Sie habe ihre Arbeitsleistung nicht erfüllt, lautete der Vorwurf. Die für das Zimmer eines Vier-Sterne-Hotel vorgesehene Reinigungszeit von 20 Minuten pro Zimmer sei gar nicht zu schaffen gewesen, argumentierte dagegen die aus Brasilien stammende Reinigungskraft. Silermone N. konnte nachweisen, dass sie mehrmals unbezahlte Überstunden machten musste, um die Arbeit überhaupt zu schaffen. Arbeitsrichter Wolfram Haid gab ihr nun Recht, wenn auch aus formalen Gründen: Weil zwischen den Abmahnungen und der Kündigung kein neuerlicher Verstoß gemeldet wurde, war die Entlassung rechtswidrig, die Betroffene muss entschädigt werden.

Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf die Ausbeutungspraktiken im Hotelreinigungsgewerbe – für die nun die Zingsheim Hotel – Service GmbH stellvertretend steht. Die im vergangenen Jahr gegründete aktion./.arbeitsunrecht e.V. nimmt das Urteil nun zum Anlass der Kampagne »Putzfrauen-Power«. Unter dem Motto »Reinigungskräfte wehren sich gegen Lohnraub« werden Betroffene dazu aufgefordert, Fälle von Überausbeutung, Mobbing und Schikanen im Hotelreinigungsgewerbe zu melden.

Bisher wehren sich nur wenige, der weit überwiegend weiblichen, Beschäftigten in diesem Bereich gegen solche Zustände. Das liegt auch an einem gesellschaftlichen Klima, in dem Lohnabhängige im Dienstleistungssektor zunehmend zu Dienern degradiert werden – wie nicht zuletzt die Anzeigenkampagnen für den boomenden Sektor des Reinigungsservice oder der Essenlieferdienste verdeutlichen.

Die Aktion Putzfrauen-Power will nicht nur auf die materielle Ausbeutung, sondern auch die ideologische Abwertung in dieser Branche aufmerksam machen. Was eine solche Mobilisierung bewirken kann, zeigte sich vor einigen Jahren in Frankreich, als über einen längeren Zeitraum Reinigungskräfte die Foyers der Hotelkette Arcor zum Forum ihres Protests umfunktionierten – und dabei von zumindest Teilen der Hotelgäste unterstützt wurden. Der Dokumentarfilm »Großer Abwasch im Subunternehmen« zeichnet ein Bild davon. Zu wünschen wäre, dass die Kampagne nun auch in Deutschland das Bewusstsein dafür schärft, dass es sich beim Hotelpersonal nicht um Zimmermädchen oder Dienstbotinnen handelt – sondern um hart arbeitende Lohnabhängige in oft prekären Verhältnissen, die Rechte haben und Solidarität verdienen. Dafür sollte man auch in Kauf nehmen, dass das Hotelzimmer vielleicht auch einmal unaufgeräumt bleibt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1024821.mehr-als-nur-ein-zimmermaedchen.html

Peter Nowak

Wann wird es erste Bündnisse zwischen AfD und Union geben?

Auswirkungen der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Auf der rechten Seite erkennt man Schnittmengen, links hält man an Illusionen fest

„Ich hoffe Merkel wird bald verschwinden und nimmt ihre Flüchtlinge mit.“  Solche Statements hat man in den letzten  Monaten zur Genüge in den sozialen Netzwerken und auf PI-News gehört. Dass ein solcher Satz zur besten Sendezeit über den Deutschlandfunk zu hören war, ist doch etwas überraschend. Schließlich wird dort genau ausgewählt, wer zu Wort kommt und wer nicht. Und die Frau, die sich  so wie oben beschrieben äußerte, wurde auch nicht live in die Sendung geschaltet. Sie hat ihr Statement vorab telefonisch auf Band mitgeteilt.

Dann gab es einen Hörer, der die AfD als Quittung für die antideutsche Politik der letzten Jahre bezeichnete. Schon die Fragestellung des Senders dürfte sehr zur Zufriedenheit aller Rechten ausgefallen sein. Wahlerfolg der AfD – die Folge von Merkels Flüchtlingspolitik?[1], lautete das Diskussionsthema, zu dem der niedersächsische AfD-Landesvorsitzende Armin-Paul Hampel, Mike Möhring von der CDU Thüringen und Martina Renner von der Linkspartei geladen waren. Möhring und Hampel spielten sich praktisch die Bälle zu und wetteiferten darum, wer deutsche Interessenpolitik besser vertreten kann.

Der CDU- und der AfD-Vertreter waren sich darin einig, dass Flüchtlinge ein Problem sind, dass die Ängste der deutschen Bevölkerung keineswegs als Rassismus bezeichnet werden können und dass die Zeit für linke und grüne Politikmodelle vorüber ist. Würde man diese Diskussion zum Gradmesser nehmen, dürfte eine Kooperation zwischen Teilen der Union und der AfD nur noch eine Frage der Zeit sein.

Nun hat ja der CDU-Politiker Möhring in Thüringen zur Verhinderung eines Ministerpräsidenten Ramelow von der Linken durchaus eine Kooperation mit der AfD in Erwägung gezogen. Es gab auch Verhandlungen mit Björn Höcke, bei denen sogar schon Ministerposten im Gespräch gewesen sein sollen. Die Kooperation scheiterte einmal daran, dass die thüringische AfD, das schnelle Ende der Schill-Partei in Hamburg vor Augen, gar nicht auf das Mitregieren erpicht war und dass der Führung der CDU eine solche Kooperation zu dem damaligen Zeitpunkt unpassend erschien.

Diese Positionierung war aus Sicht der Union vernünftig. Schließlich besteht ihr erstes Interesse darin, eine Partei rechts von ihr gar nicht erst entstehen zu lassen. Doch was ist, wenn sie sich sogar etabliert? Da mögen jetzt führende Unionspolitiker unisono betonen, die AfD sei kein Bündnispartner, so muss man immer ein „einstweilig“ dazu denken.

Frage des Machterhalts

Bereits 2014 haben Unionspolitiker aus der zweiten Reihe von Schnittmengen zwischen beiden Parteien gesprochen und sich für eine Kooperation ausgesprochen[2]. Nach dem, mit der Entmachtung des Lucke-Flügels verbundenen, Rechtsruck innerhalb der AfD war es zunächst ruhig um solche Kooperationen geworden.

Doch je mehr die AfD an Stimmen gewinnt und je mehr sich abzeichnet, dass es womöglich kein kurzlebiges Projekt ist, das in vier Jahren wieder verschwunden ist, desto zahlreicher werden in der Union die Stimmen derjenigen werden, die schon aus Fragen des Machterhalts eine Kooperation mit der AfD nicht mehr ausschließen wollen.

Mit dem Ex-CDU-Wahlkampfmanager und Berliner Senator Peter Radunski hat sich erst vor wenigen Tagen ein weiterer Konservativer aus der zweiten Reihe für eine Koalition mit der AfD ausgesprochen[3]. „Die alte Hoffnung trügt, dass die AfD wieder von allein verschwindet“, sagte Radunski. Er machte auch deutlich, dass er längerfristig denkt und nach der Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18.September nicht gleich eine Kooperation mit der AfD für möglich hält. Es geht bei solchen Äußerungen um Lockerungsübungen, die das Tabuisierte denkbar machen sollen.

Am Anfang werden viele vehement widersprechen, doch bald werden erste prominente Befürworter einer Kooperation zwischen den beiden rechten Parteien auftreten, die damit argumentieren werden, dass schließlich die SPD auch ihr anfängliches Kooperationsverbot mit der PDS bzw. Linkspartei  aufgegeben hat. An diesem Punkt können dann auch vermeintlich moderne Unionspolitiker wie der Generalsekretär Peter Tauber mitgehen. Der lehnt aktuell noch eine Kooperation mit der AfD ab und betont sofort, dass er auch aus Prinzip keine Kooperation mit der Linken will.

Da das aber auch keine realistische Perspektive für die Partei ist, könnte die Gleichsetzung von AfD und Linkspartei dazu führen, dass auch Tauber seine Berührungsängste zur AfD aufgibt. Denn, wie eben die SPD mit der Linken eine besondere Koalitionsoption habe, gelte das dann für das Verhältnis zwischen Union und AfD ebenso, könnte dann argumentiert werden.

Dass die Befürworter einer Kooperation mit der AfD in der Union sich noch zurückhalten, liegt an der Unsicherheit über die Perspektive der rechten Newcomer. Von einer Spaltung mit anschließendem Fall in die Bedeutungslosigkeit bis zur Etablierung als neue Partei rechts von Union sind die Möglichkeiten groß.  Bevor es zu formalen Kooperationen kommt, können die Gemeinsamkeiten und Schnittmengen schon mal festgestellt werden – so wie beim Talk im Deutschlandfunk.

Die „Restlinke“

Wenn in einer solchen Situation der „Restlinken“ von der Taz geraten wurde, auf lieb gewonnene Abgrenzungen zu verzichten und sich einem pro-europäischen bürgerlichen Lager zur Verteidigung Merkels und ihrer Flüchtlingspolitik zusammen zu schließen, so würde das Befolgen dieses Ratschlags dazu führen, daß die Niederlage der Linken besiegelt würde.

Im Gegenteil müsste eine Linke dann einen eigenen wahrnehmbaren Pool bilden, der sich weder von den alten und neuen Rechten noch von den modernen Neoliberalen vereinnahmen lässt. Er sollte die Menschen, die im wahrsten Sinne abgehängt von der Gesellschaft, sind zu ihrer Zielgruppe machen. Es gibt natürlich keine Garantie, dass diese Strategie Erfolg hat.

Als Feigenblatt im Bündnis mit modernen Wirtschaftsliberalen wird die Restlinke aber mit Sicherheit scheitern. Spätestens, wenn sich die Befürworter eines Bündnisses mit der AfD in der Union aus Deckung wagen, wird man erkennen, welche Illusionen viele Linke noch immer über Parlamentarismus und Realpolitik haben.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49339/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.deutschlandfunk.de/wahlerfolg-fuer-die-afd-die-folge-von-merkels.1784.de.html?dram:article_id=364951

[2]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/alternative-fuer-deutschland-unionspolitiker-will-koalition-mit-afd-a-971616.htm

[3]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-der-berlin-wahl-cdu-stratege-radunski-raet-zu-koalitionen-mit-der-afd/14482032.html

Gegen Verdrängung, Verarmung und Ausverkauf

DEMO Mehrere Initiativen rufen dazu auf, gegen Gentrifizierung auf die Straße zu gehen

Wenige Tage vor der Berlinwahl signalisieren viele Parteien auf ihren Plakaten, dass sie die Sorgen der MieterInnen verstehenund Menschen mit geringen Einkommen vor Vertreibung schützen wollen. Für Kurt Jotter ist das unglaubwürdig. Der Gründer der Politkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ gehört zu den OrganisatorInnen einer Demonstration, die unter dem Motto „Gemeinsam gegen Verdrängung, Verarmung und Ausverkauf der Stadt“ am kommenden Samstag um 14 Uhr am Platz der Luftbrücke beginnen soll. Vorbereitet wird diese Demo  nicht nur vom „Büro für  ungewöhnliche Maßnahmen“, sondern auch von zahlreichen Initiativen, die sich in der letzten Zeit gegen hohe Mieten in unterschiedlichen Berliner Stadtteilen gegründet haben. Die MieterInneninitiative „Kotti und Co.“ aus Kreuzberg ist ebenso vertreten wie das Bündnis „Hände weg vom Wedding“. Zum Auftakt der Demo wollen Initiativen mit einer „Tour der Entmietung“ auf Häuser hinweisen, aus denen MieterInnen vertrieben werden. Sie soll um 11 Uhr vor der Grunewaldstraße 87 beginnen, nach Neukölln und Kreuzberg ziehen und dann mit einem „Wall of Shame“-Block an der Demonstration teilnehmen.
Diese „Mauer der Schande“ soll aus großen Tafeln bestehen, auf denen Gebäude zu sehen sind, die entmietet werden. Embleme von Parteien sind auf der Demonstration nicht erwünscht, betont Jotter. Dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller wirft der Aktivist vor, die WählerInnen zu täuschen, indem er behauptet, die MieterInnen von Sozialwohnungen seien gesichert. Müller sei bisher nicht bereit, den Paragraf 5 des Berliner Wohnraumgesetzes zu ändern, moniert Jotter. Dieser gibt NeueigentümerInnen von ehemals Sozialem Wohnungsbau die gesetzliche Handhabe, nicht mehr an das Kostenmietrecht des Sozialen Wohnungsbaus gebunden zu sein. Massive Mieterhöhungen sind die Folge.

aus Taz vom 6.9.2016
Peter Nowak

FPÖ verliert in erster Instanz gegen Filmpiraten

Einen ersten juristischen Erfolg erzielte das Erfurter Kollektiv Filmpiratinnen und Filmpiraten e.V. gegen die Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ). Das Wiener Handelsgericht wies eine Klage der FPÖ zurück, die die Existenz des linken Medienkollektivs gefährdet hätte. Die rechte Partei hatte die Videoaktivist_innen vor dem Handelsgericht wegen falscher Anschuldigungen und Behinderung der Meinungsfreiheit verklagt. Dabei hatten die Filmpiraten nur ihr Urheberrecht verteidigt. Auf dem Kanal FPÖ-TV wurden ohne ihre Zustimmung und ohne Nennung der Quellen Ausschnitte eines Videoberichts der Filmpiraten zum Fall des Jenaer Antifaschisten Josef F. verwendet.Der Student wurde 2013 bei einer Demonstration gegen den von der FPÖ organisierten Wiener Akademikerball unter der Beschuldigung des schweren Landfriedensbruchs festgenommen und saß trotz unklarer Beweislage monatelang in Untersuchungshaft. Die Filmpiraten forderten von der FPÖ eine Unterlassungserklärung, ihr Videomaterial nicht mehr zu verwenden.

Die nun vom Handelsgericht abgewiesene Anzeige war eine Retourkutsche der rechten Partei. „Bei der Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material ist in aller Regel davon auszugehen, dass dies nicht unbeschränkt und frei von jeglichen Restriktionen geschehen kann“, belehrt Richter Heinz-Peter Schinzel in der Urteilsbegründung die FPÖ-Juristen. Der Richter teilt auch die Befürchtung der Filmpiraten, dass die Verwendung ihres Materials durch die FPÖ den falschen Eindruck entstehen lassen könne, das antifaschistische Videokollektiv billige die Berichterstattung der rechten Partei. Jan Smendek vom Verein Filmpiraten bezeichnet die Abweisung der FPÖ-Klage gegenüber „M“ als ersten Schritt in die richtige Richtung. Weil die FPÖ Berufung gegen das Urteil eingelegt hat, sei es aber noch zu früh, von einem endgültigen Erfolg zu sprechen.

FPÖ verliert in erster Instanz gegen Filmpiraten

M-Logo Menschen Machen Medien Schriftzug

von Peter Nowak

Juristische Schlappe für FPÖ

Erster Erfolg für Erfurter Filmpiraten im Streit mit österreichischer Rechtspartei

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Demonstranten protestieren in Wien gegen den Akademikerball der FPÖ
Foto: dpa/Herbert P. Oczeret

Einen ersten juristischen Erfolg hat das Erfurter Kollektiv Filmpiraten gegen die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) erzielt. Das Wiener Handelsgericht wies eine Klage der FPÖ zurück, die womöglich die Existenz des Medienkollektivs gefährdet hätte, das der außerparlamentarischen Linken nahesteht. Die rechte Partei hatte die Filmaktivisten vor dem Handelsgericht wegen falscher Anschuldigungen und Behinderung der Meinungsfreiheit verklagt. Dabei hatten die Filmpiraten lediglich ihr Urheberrecht verteidigt.

In dem Fall ging es um ein Verfahren gegen den Jenaer Antifaschisten Josef S. in Wien. Die österreichische Justiz hatte dem Studenten schweren Landfriedensbruch bei Protesten gegen den Akademikerball im Jahr 2013 vorgeworfen. Dazu lädt die rechtspopulistische FPÖ alljährlich Ende Januar Politiker der rechten Szene Europas ein. Wegen der monatelangen Untersuchungshaft trotz unklarer Beweislage sprachen Menschenrechtsorganisationen von einer Kriminalisierung des Antifaschisten. Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröder (SPD) verlieh S. einen Preis für Zivilcourage.

Die FPÖ stellte Ausschnitte eines Videoberichts der Filmpiraten über den Prozess gegen Josef S. und die Preisverleihung auf ihren Kanal FPÖ-TV. »Sie haben die Aufnahmen in einen neuen Kontext gesetzt und gleichzeitig gegen die CC-Lizenz verstoßen, die nicht-kommerzielle Nutzung und Weitergabe unter gleichen Bedingungen voraussetzt«, sagte der Videojournalist Jan Smendek vom Verein der Filmpiraten dem »neuen deutschland«.

Die nun vom Handelsgericht abgewiesene Anzeige war eine Retourkutsche der rechten Partei. Bei der Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material sei in aller Regel davon auszugehen, dass dies nicht unbeschränkt und frei von jeglichen Restriktionen geschehe, erklärte Richter Heinz-Peter Schinzel in der Urteilsbegründung. Der Richter äußerte auch Verständnis dafür, dass durch die Verwendung des Materials durch die FPÖ der falsche Verdacht entstehen könnte, dass die antifaschistischen Filmpiraten die Berichterstattung der rechten Partei billige.

Jan Smendek nannte die Abweisung der FPÖ-Klage einen kleinen Schritt in die richtige Richtung. Doch noch sei es zu früh, von einem Erfolg zu sprechen. Denn die FPÖ hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Der juristische Streit geht also weiter. Die Filmpiraten seien ein kleiner Verein, für den ein teures und zeitaufwendiges Verfahren schwierig sei, erklärt Smendek. »Wahrscheinlich ist dies genau die Intention der FPÖ.«

Er verweist auf die hohen Gerichtskosten, die den Filmpiraten durch das Verfahren bereits entstanden seien. »Nur durch eine Spendenkampagne konnten wir das durchstehen«, so der Videojournalist.

Auch in Österreich überzieht die FPÖ linke Kritiker mit Klagen, beispielsweise die »Initiative Heimat ohne Hass«, die Zeitschrift »Linkswende« und den österreichischen Datenforensiker Uwe Sailer, der sich seit Jahren gegen die FPÖ engagiere. »Die durch die österreichische Parteienfinanzierung solvente Partei versucht, ihre Kritiker mit den Klagen finanziell unter Druck zu setzen«, vermutet ein Autor in der »Linkswende«.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1024373.juristische-schlappe-fuer-fpoe.html

Peter Nowak

Erst herrscht Ruhe im Land

Die Probleme bei Blockupy sind auch die Probleme der Krisenproteste auf europäischer Ebene

„Gemeinsam kämpfen gegen Rassismus und Soziabbau“ lautete das Motto eines Transparents, das zwei Aktivsten am 2. September an der Fassade des Berliner Hauptbahnhofs angebracht hatten. Sie wurden dafür kurzzeitig festgenommen[1].

„Erst herrscht Ruhe im Land“ weiterlesen

CG-Gruppe- Immobilien als Weltanschauung

„Vom jungen Bauunternehmer zum kapitalmarktfähigen Projektentwickler und er hat große Pläne für Berlin“. So beschrieb  der Tagesspiegel Anfang April die Karriere des Bauunternehmers Christoph Gröner, dessen CG-Group seine Initialen trägt.  Immobilien sind für uns eine Weltanschauung“, lautet der Unternehmens.

In welche Richtung diese Entwicklung geht, wird in dem firmeneigenen CG-Magazin auf fast jeder Seite deutlich. Die Hochglanzbroschüre  verbreitet eine Unternehmerideologie mit leicht esoterischem Einschlag. Da  wird eine vierte Dimension der Immobilie beschrieben, die „spürbar wird,  indem sie Mehrwerte  für  Immobilien schafft,  die heutige Bedürfnisse erfüllen, aber darüber hinaus  schon morgen Nutzen schaffen“.  Doch wenn es um die Zielgruppe geht, die in den von der CG-Group gebauten Häusern wohnen sollen, wird weniger kryptisch formuliert. „Wer in Tokio arbeitet und in zwei Wochen einen neuen Job in Berlin antreten soll, hat gar keine Zeit, sich vorher Wohnungen anzuschauen. Die Vermarktungs- und Vermietungsprozesse müssen  also so gestaltet sein,  dass alle Schritte von der Suche bis zum Einzug komplett abgewickelt werden können“ erklärt Oliver Wolf aus dem CG-Group-Management.  Die in dem Unternehmen für die Projektentwicklung zuständige  Heike Lentfer präzisiert: „Unser Vertical  Village-Konzept richtet sich an leistungsorientierte Menschen.   Also an Freiberufler, Manager, oder Fachkräfte, die nur für einen begrenzten Zeitraum in einer Stadt arbeiten.“ Die Zielgruppe der CG-Group ist also vor allen die junge, flexible Schickt von  Managern aus dem Bereichen  Wirtschaft, Politik und Kunst. Auf den  Fotos und den Videos der CG-Group sind Loft zu sehen, die ganz auf die Bedürfnisse einer Schicht zugeschnitten sind, die in Berlin von Wirtschaft und Politik umworben wird.
So  ist es nicht verwunderlich, dass die CG-Group ein boomendes Unternehmen ist, das vor allem in Leipzig,  Dresden und Berlin gleich mehrere lukrative Bauprojekte  bereibt. Am Halleschen Ufer 40-60  soll auf dem Areal der ehemaligen  Postbank das  XBerg Quartier entstehen, das  als „durchmischtes Quartier für Arbeit, Wohnen und Freizeit“ beworben wird.  In der Frauenhofstraße 29  in Berlin-Charlottenburg will die CG-Group die „Residenz am Ernst-Reuter Platz“ entwickeln und den ehemaligen Steglitzer Kreisel in der Schloßstraße  70-80 will die CG-Group „in einen lichtdurchfluteten City Tower mit hochwertigen Eigentumswohnungen“ verwandeln“.  Im Juli 2016 hatte die CG-Group die Immobilie für 20 Millionen Euro gekauft. Allerdings hatte das Land vorher für die Asbestsanierung 18 Millionen Euro ausgegeben.  Sozial- oder Familienwohnungen würden  sich an dem Standort eher nicht anbieten, sagte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz Ahnen. Das gilt für alle Projekte der CG-Group. In  ihren  Werbevideos  sind einkommensschwache Menschen genauso wenig   zu sehen, wie auf den Fotos der Bauprojekte. Es ist die Welt der Erfolgsmenschen, bei denen sich alles um Flexibilität, Investitionen und Rendite dreht. Aus dieser Perspektive wird  selbst die  zahnlose Mietpreisbremse  im CG Magazin als »ein ebenso überflüssiges wie rechtlich bedenkliches Instrument staatlicher Regulierung«, die „eine unverhältnismäßige und damit  unzumutbare Belastung für diese Eigentümergruppen“ darstellt, klassifiziert.  Auch Widerstand von AnwohnerInnen  ist im Weltbild der CG-Group nicht vorgesehen. Doch das hat sich in den letzten Monaten in Leipzig und Berlin geändert. Gegen das  in der Rigaer Straße 71-73 in Berlin-Friedrichshain von der CG-Group geplante  Carré Sama-Riga  protestieren AnwohnerInnen mit der Parole „Wer hier kauft, kauft Ärger“. Wenn die  CG-Group in ihren Broschüren für die zahlungskräftige Kundschaft propagiert, es gehe  bei ihren Projekten  nicht nur um die Entwicklung eines Grundstücks sondern um die Veränderung ganzer Stadtteil, verstehen das viele  BewohnerInnen im Friedrichshainer Nordkiez als Drohung.

aus:

MieterEcho online:

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/cg-gruppe.html
Peter Nowak

Berlin-Blockade, zweiter Versuch


Manche verfassen bereits Nachrufe auf das »Blockupy«-Bündnis. Dieses ruft indessen zu einem Aktionswochenende in Berlin auf.

Ende Juli machte eine merkwürdige Reisegruppe mit Koffern und Kartons kurzzeitig Halt vor dem Bundesarbeitsministerium. »Blockupy zieht nach Berlin« hieß das Motto der Veranstaltung, die bei einigen Linken jedoch für Spott sorgte. Schließlich war das »Blockupy«-Bündnis hauptsächlich für drei politische Großdemonstrationen und -blockaden in Frankfurt am Main bekannt, die die Polizei mit Großeinsätzen be­endete, und nicht für Polittheater. Die »Blockupy«-Aktion 2015 war mit einer in den vergangenen Jahren in Deutschland eher ungewöhnlichen linken Militanz verbunden. Deshalb waren manche überaus verwundert, dass die Organi­satoren des Bündnisses mit einem im Vergleich zu den Ereignissen des vergangenen Jahres harmlosen Auftritt ihren Einstand in Berlin gaben.

Ob »Blockupy« auch in Berlin für Protest mit so viel Herz sorgen wird wie hier in Frankfurt im März 2015?

Ob »Blockupy« auch in Berlin für Protest mit so viel Herz sorgen wird wie hier in Frankfurt im März 2015? (Foto: Action Press / NurPhoto / Rex / Markus Heine)

Für den 27. August hatten sich einige Unterstützer von »Blockupy« anlässlich des Tags der offenen Tür der Bundes­regierung erneut das Bundesarbeitsministerium für eine Protestaktion ausgesucht. Sie entrollten ein Transparent mit der Parole »Exit Fortress Europe, Austerity, Capitalism – Blockupy 2.9. Berlin«. Damit machten sie auf den bundesweiten Aktionstag am Freitag aufmerksam. Wie schon anlässlich der Demonstrationen und Blockaden in Frankfurt müssen die Teilnehmer auch in Berlin früh aufstehen. Bereits ab 7.30 Uhr wollen sie vom Potsdamer Platz und vom Gendarmenmarkt aus zur Blockade des Arbeitsministeriums aufbrechen.

Mit der Wahl dieses Ziels richtet das Bündnis seine Kritik unter anderem auf die Austeritätspolitik, die im Wesentlichen von Deutschland ausgeht. »Wir glauben, es ist dringend an der Zeit, das Lager der Solidarität im Zentrum des europäischen Kapitalismus sichtbar werden zu lassen und hier gemeinsam die vermeintliche Alternativlosigkeit der neoliberalen Mitte anzugreifen – bevor nationale ›Lösungen‹ in Gesetzen, in Parlamenten und auf der Straße überhand nehmen«, heißt es in dem zentralen Aufruf. In einem Text zur »Feministischen Intervention« wird an den Druck erinnert, der durch die in Deutschland vorangetriebenen Hartz-Reformen auch europaweit auf die ­Bereiche der sozialen Reproduktion ausgeübt wird. »Was im politischen Labo­ratorium Deutschland erfolgreich getestet wurde, soll nun als Exportschlager allen anderen europäischen Ländern aufgezwungen und in Deutschland weiter verschärft werden«, heißt es dort. Die Verfasserinnen und Verfasser erinnern daran, dass besonders alleiner­ziehende Frauen von Armut betroffen sind.

Die geplante Blockade ist dabei nur der Auftakt eines Aktionswochenendes. Am 3. September ruft ein Bündnis unter dem Motto »Aufstehen gegen rechts« zum Protest gegen den Aufstieg der AfD auf. Die Beteiligung von Grünen und SPD an dieser Demonstration ruft nicht nur Freude hervor. »Vom pragmatischen Antihumanismus von SPD, Grünen und CDU zur authentischen Menschenfeindlichkeit einer Frauke Petry und eines Björn Höcke ist es nur ein kleiner Schritt«, heißt es in einem Aufruf des Blocks »Nationalismus ist keine Alternative«, der vom kommunistischen Bündnis »Ums Ganze« getragen wird. Dort wird auch »Sahra Obergrenze Wagenknecht« als ein Beispiel dafür benannt, wie parlamentarische Linke den Rassismus entschuldigen oder sogar forcieren.

»Mit der geplanten Blockade des Bundesarbeitsministeriums wollen wir deutlich machen, dass die jüngsten Hartz-IV-Verschärfungen von den Intentionen her das umsetzen, was auch die AfD fordert«, sagt Klaus Steinle von der Berliner »Blockupy«-Plattform der Jungle World. »Denn mit den Arbeitsmigranten aus EU-Ländern und den Alleinerziehenden werden genau die Gruppen noch einmal schlechter gestellt, die auch im Visier der Rechtspopulisten stehen«, betont Steinle. Er erwartet eine dreistellige Teilnehmerzahl. Hannah Schuster, Pressesprecherin von »Blockupy«, sieht in dem Aktionswochenende mehr als ein Event. »Es geht um den Versuch, ein linkes Projekt, einen linken Pol zu bilden, der die soziale Frage und Antirassismus offensiv zusammenführt«, sagt sie. Darüber soll am 4. September auch auf einem bundesweiten Aktionstreffen in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Berliner Mehringplatz beraten werden.

Das »Blockupy«-Bündnis muss derzeit auch gegen seine mediale Dar­stellung ankämpfen. Denn stellenweise werden schon Nachrufe verfasst. So sieht der Taz-Redakteur Martin Kaul in dem Aktionswochenende den »Abschluss eines einst erfolgreichen Bündnisses«, das seinen Glanz verloren habe. Dass selbst die rechte Boulevardpresse vor der geplanten Ministeriumsblockade keine Schreckensmeldungen über drohende Gewalt verbreitet, zeigt, dass das Bündnis auf der Gegenseite nicht mehr ernst genommen wird. Niemand scheint zu erwarten, dass am kommenden Wochenende Berlin lahmgelegt wird wie Frankfurt die drei Jahre zuvor. Das liegt vor allem an der Rat­losigkeit der Krisenprotestbewegung auf europäischer Ebene. »Bisher gibt es keine wirksame emanzipatorische Antwort auf die europäische Krise«, heißt es im Aufruf von »Nationalismus ist keine Alternative«.

Der Politologe Nikolai Huke hat kürzlich im Verlag Edition Assemblage unter dem Titel »Krisenproteste in Spanien« ein Buch veröffentlicht, in dem er detailliert aufzeigt, wie die verschiedenen gewerkschaftlichen und sozialen Protestbewegungen in den vergangenen fünf Jahren an ihre Grenzen gestoßen sind. Dabei weist Huke auch nach, dass es nicht Parteien wie Podemos waren, die den sozialen Protestbewegungen ihre politische Kraft genommen haben. Vielmehr profitierten solche neuen Parteien von der Erschöpfung des außerparlamentarischen Protestzyklus. Podemos brauchte Huke zufolge gar nicht an die Regierung zu kommen, um zu verdeutlichen, dass der Anspruch einer ganz anderen Politik bereits gescheitert ist. Trotzdem kommt der Autor zu dem gar nicht so pessimistischen Schluss, dass es den unterschiedlichen Bewegungen, aber auch der neuen linken Partei in Spanien gelang, »in diesem Prozess kleine Erfolge zu erzielen, die durch ihr erfolgreiches Scheitern die spanische Gesellschaft grundlegend veränderten«. Huke hat diese These auch am Beispiel der Bewegung gegen die Zwangsräumungen und der jahrelangen Kämpfe im Bildungs- und Gesundheitsbereich gut belegt. In diesen Sektoren führten Beschäftigte teilweise lang anhaltende Arbeitskämpfe, aber meist ohne die bisher dominierenden Gewerkschaften.

Auch das »Blockupy«-Netzwerk hat in den vergangenen Monaten verstärkt das Augenmerk auf Arbeitskämpfe in Bereichen gerichtet, die bisher kaum gewerkschaftlich organisierbar waren. Anfang Oktober 2015 fand in Poznan unter dem Motto »Dem transnationalen Streik entgegen« eine europaweite Konferenz statt (Jungle World 42/15). Im Oktober wird es in Paris erneut eine Konferenz zum selben Thema geben, auf der auch die jüngsten Erfahrungen mit den Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen in Frankreich einfließen sollen. Am 1. März 2016 gab es erstmals in mehreren europäischen Ländern zugleich Aktionen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse (Jungle World 8/16). Wenn das Protestbündnis diese Orientierung weiterverfolgt, könnte der Begriff Krisenproteste eine neue Bedeutung bekommen: Es ginge dann nicht mehr um die Banken und die Börse, sondern um die alltägliche Krise der prekär Beschäftigten im Kapitalismus.

http://jungle-world.com/artikel/2016/35/54762.html

von Peter Nowak

Die vergessene Whistleblowerin Chelsea Manning

Ihr Selbstmordversuch und ihre verschärften Haftbedingungen wurden in Deutschland kaum wahrgenommen

In der letzten Woche wurde in manchen Medien kurz vermeldet, dass die Fraktionen der Linken und der Grünen einen neuen Anlauf nehmen, um den US-Whistleblower Snowden doch noch die Möglichkeit zu geben, in Deutschland vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen zu können[1].

In einem Brief an den Bundesgerichtshof fordern beide Fraktionen, dass die Blockade der Bundesregierung gegen eine Vernehmung von Snowden in Deutschland beendet werden soll. Allerdings dürfte das Ansinnen, Snowden nach Deutschland zu bringen, genau so wenig Chancen auf Verwirklichung haben wie bisher. Die mit antiamerikanischem Furor geführte Debatte über die NSA hat in Deutschland merklich an Bedeutung verloren. Im Zuge der internationalen Terrorgefahr betonen Politiker und Geheimdienstexperten wieder die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Dienste.

So würde Chelsea Manning angeblich gerne aussehen. Bild: Save Manning

Zudem dürfte es sich Snowden zweimal überlegen, ob er nach Deutschland reist, wo nicht ausgeschlossen werden kann, dass er in die USA ausgeliefert wird. Zudem haben Medien[2] und Politiker[3] in Deutschland Snowden mehrmals beschuldigt, mit dem russischen Geheimdienst zu kooperieren. Das könnte sogar in Deutschland juristische Folgerungen haben. Das Schicksal der Whistleblowerin Chelsea Manning deutet die Gefahr an, die Snowden droht, sollte er an die USA ausgeliefert werden.

Selbstmordversuch bestätigt

Die Gerüchte, wonach Manning im  Militärgefängnis von Fort Leavenworth einen Selbstmordversuch unternommen hat, bestätigen sich[4] laut der Anwälte von Manning. Ihnen zufolge hat ihre Mandantin in den Morgenstunden des 6. Juli einen Suizidversuch unternommen. Auf ihrer Twitterseite[5] hinterließ Manning die Botschaft: „Ich bin okay. Ich bin froh, am Leben zu sein. Vielen Dank für Eure Liebe. Ich komme da durch.“

Auf der Internetseite der Kampagne für Mannings Freilassung[6] wird der Selbstmordversuch mit den erschwerten Haftbedingungen von Manning in Verbindung gebracht[7].  Erschwerend kommt hinzu, dass der Transgender Manning die 25jährige Haftstrafe wegen Spionage und Verrat in einem Militärgefängnis für Männer verbüßen muss. Chelsea Manning hatte wichtige Dokumente und Videos an die Plattform Wikileaks geschickt, die Kriegsverbrechen von US-Militärs während ihres Engagements im Irak  dokumentieren.

Nach Suizidversuch verschärfte Repression im Gefängnis

Nach ihrem Suizidversuch versuchen Solidaritätsgruppen mit einer Petition gegen die erschwerten Haftbedingungen vorzugehen[8]. Die US-Behörden versuchen hingegen, die Haftbedingungen gegen Manning noch zu erschweren[9].

Manning droht eine erneute Anklage. Vorgeworfen werden ihr bedrohendes Verhalten, der Besitz verbotener Gegenstände und der Widerstand gegen Gefängnispersonal. Kommt es zu einer Verurteilung, befürchten US-Menschenrechtsorganisationen[10] unbefristete Einzelhaft, Wiedereinstufung auf die höchste Sicherheitsstufe sowie neun zusätzliche Haftjahre ohne die Möglichkeit der Haftaussetzung.

Der Chaos Computer Club, dessen Ehrenmitglied Mannings ist[11] fordert eine Begnadigung von Mannings und kritisiert ihre Haftbedingungen. In der Erklärung heißt es:

Die unmenschlichen Haftbedingungen haben Chelsea Manning an den Rand des Selbstmords getrieben. Als Strafe für ihren Versuch sollen diese nun noch verschärft werden. Mannings Haftbedingungen wurden schon 2012 vom UN-Berichterstatter als Folter kritisiert. Wir fordern den scheidenden US-Präsidenten Barack Obama auf, Manning zu begnadigen und so den grausamen Bedingungen ein Ende zu bereiten. Das wäre endlich das langersehnte Zeichen für Whistleblower, auf das viele hoffen.

Die Erklärungen von Netzpolitik und dem CCC sind eine der wenigen Stimmen, die in Deutschland Solidarität mit Mannings fordern. Der Suizidversuch wurde kaum wahrgenommen. Der deutschsprachige Wikileaks-Eintrag zu Manning[12] wurde seit längerem nicht mehr aktualisiert.

Das harte Vorgehen der US-Behörden gegen die Whistleblowerin demonstriert, dass Menschen, die es wagen, Kriegsverbrechen bekannt zu machen, mit den Folgen bis zur Vernichtung rechnen müssen- Dass sich die deutschen Repressionsorgane nicht anders verhalten würden, ist klar. In Zeiten, in denen der Krieg wieder häufiger als Möglichkeit der Politik ins Spiel gebracht wird, gehören harte Sanktionen gegen Menschen, die die Folgen des Krieges nicht einfach als Kollateralschaden  hinnehmen wollen, zum Politikgeschäft.

Eine internationale Plattform für die Freiheit von Manning wäre dringend notwendig. Das Desinteresse in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit zeigt einmal mehr, der Hype um Snowden galt und gilt weniger der Informationsfreiheit und der Solidarität mit den Whistleblowern, er war vielmehr darauf ausgerichtet, moralisch Punkte im Kampf zwischen Deutschland und den USA zu machen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49295/1.html

Anhang

Links

[0]

https://twitter.com/SaveManning/status/476438342867763200

[1]

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-08/nsa-edward-snowden-gruene-linke-untersuchungsausschuss-deutschland

[2]

http://www.bild.de/politik/ausland/edward-snowden/von-russen-als-spion-angeworben-46601344.bild.html

[3]

http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/hans-georg-maassen-edward-snowden-ein-russischer-agent-a-1096833.html

[4]

http://de.euronews.com/2016/07/12/chelsea-manning-nach-suizidversuch-ich-bin-okay

[5]

https://pbs.twimg.com/profile_images/643848486010638336/OmQvY0Rl.png

[6]

https://www.chelseamanning.org

[7]

https://www.chelseamanning.org/featured/chelsea-manning-could-face-punishment-for-suicide-attempt

[8]

https://www.freemanning.de

[9]

https://netzpolitik.org/2016/whistleblowerin-chelsea-manning-droht-unbefristete-einzelhaft

[10]

https://www.aclu.org/news/chelsea-manning-faces-new-charges-indefinite-solitary-confinement-related-suicide-attempt

[11]

https://ccc.de/de/updates/2016/begnadigung-fur-chelsea-manning

[12]

https://de.wikipedia.org/wiki/Chelsea_Manning