Kampf im Knast

In der JVA Würzburg haben Gefangene nach elf Tagen ihren Hungerstreik abgebrochen

Im Juli haben sich 47 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg mit einem einen Hungerstreik für bessere Zustände im Gefängnis eingesetzt. Das Medieninteresse blieb allerdings erstaunlich gering. Dies hat dazu geführt, dass die Gefangenen ihre Aktion nach elf Tagen erfolglos abbrechen mussten. Wie die regionale Presse den Streik interpretierte, zeigt ein Bericht der Onlinezeitung infranken.de zum Streikabbruch. Der Anstaltsleiter Robert Hutter kam dort mit der Erklärung zu Wort, dass die Zahl der Hungerstreikenden »mit jeder Mahlzeit weniger geworden« seien, obwohl ihre Forderungen nicht erfüllt wurden.

Auf jene Forderungen der Hungerstreikenden, die in der Onlinezeitung als »drogenabhängige Strafttäter« diffamiert werden, wird genau so wenig eingegangen, wie auf die Repression der Gefängnisleitung, die auch zum Abbruch des Hungerstreiks beigetragen hat. Die Anstaltsleiter hatte »acht Rädelsführer« in andere Gefängnisse verlegen lassen, heißt es in der kurzen Meldung. Auch hier ist die diffamierende Diktion eindeutig erkennbar: Gefangene, die für ihre Rechte eintreten und auch Mitgefangene motivieren, werden mit als »Rädelsführer« bezeichnet. Dass Häftlinge Rechte haben, wird in dem Beitrag nicht einmal erwähnt.

Dass sich in den letzten Monaten mehr Gefangene für ihre Rechte einsetzen, hängt auch mit der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisierung (GG/BO) zusammen, die im Mai 2014 in der JVA-Tegel gegründet wurde. (ak 612) »Einige der am Würzburger Hungerstreik beteiligten Häftlinge sind Mitglieder der GG/BO. Wir standen mit ihnen Kontakt und haben den Hungerstreik insgesamt unterstützt, indem wir in einer Pressemitteilung die Forderungen publiziert und zur Solidarität aufgerufen haben«, erklärt Konstantin von der GG/BO Jena gegenüber ak.

Dass die Würzburger Gefangenen nicht für die drei Kernforderungen der GG/BO – Mindestlohn, Sozial- und Rentenversicherung und Anerkennung der Gewerkschaft – in den Hungerstreik gegangen sind, hält Konstantin nicht für eine Beliebigkeit. »Die GG/BO vertritt wie auch alle anderen Gewerkschaften die Interessen und Bedürfnisse der inhaftierten Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in ihr organisieren – in all ihrer Vielfalt.« Das können mehr Telefonate, bessere Ernährung, bessere medizinische Versorgung, frühere Haftentlassung, ein Ende der rassistischen Diskriminierung oder die Abschaffung der Postzensur sein.

Besonders restriktive Haftanstalt

Die Würzburger Häftlinge forderten unter anderem ein Methadonprogramm und die Lockerung der Arrestbedingungen für Gefangene, die sich im Drogenentzug befinden. Betroffene berichteten, dass in der JVA Würzburg auch diese Gefangene trotz ihrer körperlichen Beeinträchtigungen weiterhin zur Pflichtarbeit gezwungen werden. Von den extrem niedrigen Löhnen dieser Zwangsarbeit profitiert unter anderem der VW-Konzern, wie ein Mitglied der GG/BO Leipzig in einem Interview mit dem Freiburger Sender Radio Dreyeckland erklärte.

Für die Rechtsanwältin Christina Glück, die einen der Würzburger Häftlinge vertritt, verletzt die JVA Würzburg durch den erzwungenen kalten Entzug die Menschenwürde. Die Häftlinge litten vor allem am Anfang unter starken Entzugserscheinungen, klagten über schweren Durchfall und Erbrechen. Die in der Würzburger Justizvollzugsanstalt zuständigen Ärzte hielten trotzdem an dieser Form des Entzugs fest. Die Menschenwürde der Gefangenen wird in der JVA Würzburg auch dadurch verletzt, dass sie nur in ganz wenigen Ausnahmefällen telefonieren dürfen. Dann bleibt als einziges Kommunikationsmittel nach Draußen das in allen Gefängnissen verbotene Mobiltelefon. Wenn ein Handy bei einem Gefangenen gefunden wird, folgt als Sanktion eine 14-tägige Isolationshaft, der sogenannte Bunker. Wie die Antwort der bayerischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage des bayerischen Landtagsabgeordneten Florian Streibel (Freie Wähler) zeigt, hält die JVA Würzburg bei diesen Bunkerstrafen in Bayern den Rekord.

Eine weitere Verschärfung in der JVA Würzburg besteht darin, dass die Gefangenen ihre seltenen Telefonate nur mit dem Geld, das sie durch die Pflichtarbeit im Knast verdienen, begleichen dürfen. Telefonate durch Überweisungen von Außen hingegen sind nicht möglich.

Die Arbeitskraft zur Waffe machen

Wie verzweifelt die Situation der Gefangenen ist, zeigte sich daran, dass die zum Mittel des Hungerstreiks gegriffen haben. »Es gibt nicht viele Möglichkeiten, im Knast zu protestieren. Die Verweigerung von Nahrung – oft Hungerstreik oder Hungerfasten genannt, ist eine davon«, schreibt die Schweizer Journalistin Sabine Hunziker in der Einleitung ihres im März dieses Jahres erschienenen Buches »Protestrecht des Körpers«. Schon der Titel verdeutlicht, dass Menschen, die keine andere Möglichkeit zum Widerstand haben, ihren Körper als Waffe einsetzen. In dem Buch kommen auch Hungerstreikende aus verschiedenen Knastkämpfen zu Wort. Der politische Aktivist Fritz Teufel, der sich auch an mehreren Hungerstreiks beteiligte, suchte schon in den 1970er Jahren nach Alternativen zu einer Kampfform, in der es schnell um Leben und Tod geht.

Die Gefangenengewerkschaft könnte eine solche Alternative bieten. Nicht ihre Körper, sondern ihre Arbeitskraft, die sie hinter Gittern besonders billig verkaufen müssen, könnte dann zur Waffe werden. »Bis dahin braucht es aber sicher noch einiges an Organisierungsarbeit und gemeinsamen Erfahrungen«, erklärt Konstantin von der GG/BO Jena. Der Hungerstreik in der JVA Würzburg kann so auch nach ihren Abbruch zur Bewusstseinsbildung der Gefangenen beitragen. Selbst JVA-Leiter Hutter geht von weiteren Protesten in der JVA Würzburg aus. Es wäre zu wünschen, dass sich dann neben der GG/BO auch weitere Teiel der außerparlamentarischen Linken und zivilgesellschaftliche Gruppen für die Rechte der Gefangenen einsetzen würden. Von ihnen war in den elf Tagen des Hungerstreikes nicht zu hören.

Peter Nowak schrieb in ak 617 über die Zukunft der Freien Archive.

Zum Weiterlesen:

Sabine Hunziker: Protestrecht des Körpers. Einführung zum Hungerstreik in Haft. Unrast Verlag, Münster 2016. 108 Seiten, 9,80 EUR.

aus: ak 618 vom 16.8.2016

https://www.akweb.de/

Peter Nowak

M99 vor Räumung

REVOLUTIONSBEDARF Linker Laden soll im September geräumt werden. Besitzer HG bleibt hartnäckig

Am 22. September soll die Ladenwohnung von Hans Georg Lindenau (HG) in der Manteuffelstraße 99 zwangsgeräumt werden.
Der alte Räumungstermin am 9. August war ausgesetzt worden, nachdem sich die Anwälte von HG und dem Hauseigentümer
auf einen freiwilligen Auszug bis zum 20. September geeinigt hatten. Doch HG will sich daran nur halten, wenn er den Verkauf seines Warensortiments in einem anderen Laden in Kreuzberg fortsetzen kann. Der aber wurde bislang nicht gefunden. In Teilen der linken Szene war die Vereinbarung als „schlechter Deal“ kritisiert worden, der den Widerstand demobilisiert habe.
David Schuster vom Berliner Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ schließt sich der Kritik nicht an. „Wenn die eigene Existenz
auf dem Spiel steht, würde wahrscheinlich jeder nach dem Strohhalm der Verlängerung greifen, sagte er der taz. Das Bündnis unterstützt die Kundgebungen, die jeden Donnerstag vor dem M99 stattfinden und mobilisiert für den 22. September zur Verhinderung der Räumung. Der neue Termin ist der Jahrestag des Todes von Klaus-Jürgen Rattay, der am 22. September 1981 bei der Räumung besetzter Häuser von einem Wasserwerfer überrollt wurde. Eine Hoffnung bleibt HG noch: Seine Anwälte wollen einen gerichtlichen Räumungsschutz auf Grundlage eines Attests des Klinikums Neukölln beantragen, das HG eine psychische Gefährdung durch die Räumung diagnostiziert. „Einen alten Baum kann man nicht verpflanzen“, lautet das passende Motto eines von Kurt Jotter entworfenen neuen Plakats. Der Mitbegründer der Politkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“, die die Westberliner Protestkultur der 1980er Jahre revolutionierte, unterstützt MieteInnenproteste mit künstlerischen Interventionen.

aus Taz 18.8.2016

Peter Nowak

Nazis im Flüchtlingsheim

Ein veröffentlichter Mailverkehr offenbart die Vernichtungsphantasien von Mitarbeitern einer Betreibergesellschaft für Flüchtlingsunterkünfte. Von Peter Nowak

„Hallo zusammen, also die Guillotine finde ich jetzt persönlich einen total guten Vorschlag – bringt uns aber wieder in die Presse und das wollen wir ja nicht“. Die Verfasserin Birgit  konnte nicht ahnen, dass der Mailverkehr, zu dem dieses offenherzige Bekenntnis gehört, in der „BZ“ veröffentlicht wurde. Dort konnte man nachlesen, wie die Mitarbeiter der Professionellen Wohn- und Betreuungsgesellschaft (PeWoBe), die in Berlin zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte betrieben hat,  mit den Geflüchteten umzugehen gedächten, wenn sie nur könnten, wie sie wollen. Da finden sich die Vernichtungsphantasien der deutschen Hausfrau, deren größte Sorge sich in der Frage, wer hinterher das ganze Blut wegmacht, ausdrückt. So lesen wir bei Birgits Kollegin Peggy: “Der Darkroom ist zum spielen da und Enthauptungen machen Dreck weil es immer ein bissschen spritzt (ähnlich wie bei Kaffeeautomaten). Dann müsste ich wieder putzen und dass obwohl mir doch nachgesagt wird, dass ich pingelig bin“. Die eigenwillige Rechtschreibung der Verfasserinnen wurde beibehalten. In anderen Mails phantasieren Peggy, Birgit und ihre Kollegen über „ein großvolumiges  Krematorium“,  das ihnen auch ein Umweltzertifikat bescheren könnte,  weil sie „die Abwärme sinnvoll und zielführend“ einsetzen könnten. Die “maximal Pigmentierten“ sollten als erste die optimale „Funktionsfähigkeit“ der Krematorien testen.

Rassisten wollen die Verfasser solcher Texte natürlich nicht sein. Die Anwälte der Wohnraum-Koordinatorin Peggy M. erklärten: „Unsere Mandantin steht für eine freie, demokratische und multikulturelle Gesellschaft und lebt auch angesichts ihrer beruflichen Tätigkeit die Willkommenskultur“. Dass Peggy M. vor einigen Jahren für die  neonazistische Deutsche Volksunion (DVU) in Brandenburg kandidiert hat, war erst vor einigen Wochen bekannt geworden. Die PeWoBe wiederum erklärte, die Aussagen der Mitarbeiter seien aus dem Zusammenhang gerissen und zudem nicht ernst gemeint gewesen. Noch origineller war allerdings die Erklärung eines Anwaltsbüros: Die Mailkorrespondenz sei ein „durch das Rechtschreibprogramm T9 verursachter Korrekturfehler“.

Dabei hatten Birgit, Peggy und ihre Kollegen doch nur formuliert, was an vielen deutschen  Stammtischen tagtäglich geraunt wird. „Eine „riesige Schweinerei“ ist denn auch für eine PeWoBe-Mitarbeiterin nicht der Inhalt der bekannt gewordenen Mails ihrer Kollegen, sondern die kritische Reaktion der Medien. Nachdem Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) die Verträge mit der PeWoBe gekündigt hat, zweifelt Canan Bayram, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, daran, dass der Schritt juristisch Bestand haben wird. Die Senatsverwaltung wäre gut beraten, die Kündigung auf weitere Umstände, wie fehlerhafte Abrechnungen zu stützen.

von konkret

http://www.konkret-magazin.de/aktuelles/aus-aktuellem-anlass/aus-aktuellem-anlass-beitrag/items/nazis-im-fluechtlingsheim.html

Peter Nowak

Aufstand der Mitfahrer oder falsches Vertrauen in die Start-up-Ökonomie

Erneut führt eine Mitfahrerbörse Gebühren ein und stützt damit die These, dass es im Kapitalismus keine Räume jenseits des Wertgesetzes gibt

„Pendlerportal 100% kostenlos“, lautet der Hinweis, der wie ein Stempel auf der Onlinepräsenz[1] eines der Internetportale prangt, die in diesen Tagen so häufig besucht werden, dass sie Schwierigkeiten haben, ihre Angebote zeitnah aufzurufen. Diese Probleme hat die Onlinemitfahrbörse Fahrgemeinschaft.de[2] nicht. Allerdings sind die Suchergebnisse noch recht bescheiden.

Gerade mal 10 Angebote können dort für kommenden Freitag an der hochfrequentierten Strecke von Berlin nach Leipzig aufgerufen werden. Bei der Nummer eins der Mitfahrbörsen Blablacar[3] sind es am gleichen Tag auf der gleichen Strecke noch vier Mal so viel. Einstweilen hat das in Paris gegründete Start up, das längst zu einem finanzstarken Konzern geworden ist, noch die Nase vorn im Vermittlungsgeschäft.

Doch seit einigen Wochen steht es wegen der Einführung von Vermittlungsgebühren, die der Fahrer zu entrichten hat, verstärkt in der Kritik. Von einem „Aufstand der Mitfahrer“[4] spricht das Handelsblatt. Auf der Facebookseite von Blablacar werden heftige Vorwürfe gegen Blablacar erhoben.

Diskriminierung von Menschen ohne Konto

Dabei wurde die Einführung der Gebühren seit Monaten vorbereitet. Schon seit Wochen konnten die Nutzer der Mitfahrbörse ihre Fahrt nicht mehr bar bezahlen[5]. Fahrten können nur noch im Voraus per Kreditkarte, Paypal oder Sofort-Überweisung bezahlt werden. Das bedeutet, dass potentielle Mitfahrer eine Menge Daten abgeben müssen und machte das ganze Prozedere bürokratischer. Zudem diskriminiert das Verfahren Menschen, die aus welchen Gründen auch immer kein eigenes Konto haben.

Dieser Aspekt spielte in der bisherigen Kritik an Blablacar aber bisher kaum eine Rolle. Dafür monieren Nutzer auf Facebook, dass sie das Vertrauen in das Unternehmen verloren hätten[6], weil Blablacar schließlich noch vor nicht ganz so langer Zeit damit geworben habe, dass keine Gebühren erhoben würden.

2013 war das damals größte Mitfahrportal in Deutschland mitfahrgelegenheit.de mit dem Versuch gescheitert, Gebühren einzuführen. Die Nutzer wechselten zu Blablacar und mitfahrgelegenheit.de wurde bald von dem Konzern aufgekauft. Damals hieß es auf der Webseite des Unternehmens: „Kostenlos sind wir schon.“

Das haben einige Nutzer als Versprechen missverstanden, auch in Zukunft kostenlos zu bleiben. In einer Facebook-Kommunikation[7] mit einem unzufriedenen Nutzer der Internetbörse stellte man vor einigen Wochen klar:

Wir würden gerne wissen, wo wir das denn versprochen haben? Wir haben lediglich kommuniziert, dass wir kostenlos sind – was wir bis heute auch sind. Dass wir das immer bleiben werden, haben wir nicht kommuniziert, zur Qualitätssteigerung erheben wir aber bald Gebühren. Dies wird vor allem Dir als Nutzer zugute kommen.

Trotzdem wird in sozialen Netzwerken immer wieder auf das angebliche Vertrauen rekurriert, das Blablacar durch die Einführung der Gebühren verspielt habe. Dabei handelt das Unternehmen nur wie fast alle Startup-Unternehmen, die zunächst eine Dienstleistung kostenlos anbieten, damit werben, expandieren und Kontrahenten aufkaufen, bevor sie dann, wenn sie sich  am Mark stark genug fühlen, die Leistung kostenpflichtig machen.

ADAC statt Blablacar?

Mittlerweile sind auch einige Blablacar-Kritiker nachdenklich geworden[8]. So schreibt einer über den Konkurrenten: „Was mich an Fahrgemeinschaft.de so stört, ist, dass da mit dem ADAC wieder ein Unternehmen im Hintergrund steht. Sollten die es wirklich schaffen und Blablacar ablösen – wer weiß, was dann wieder passiert.“  Tatsächlich wirbt Fahrgemeinschaft.de[9] mit der ADAC- Kooperation und nennt sich eine der „größten kostenfreien Mitfahrzentralen in Deutschland“. Wie lange das gilt, bleibt offen.

Das sollten alle bedenken, die wieder einmal ein gebrochenes Versprechen beklagen, wenn vielleicht in einigen Jahren auch Fahrgemeinschaft.de Gebühren einführen will. Dazu muss sich der Onlinedienst allerdings erst einmal gegen Blablacar durchsetzen. Das Management gibt sich trotz des virtuellen Aufstands der Mitfahrer gelassen und verweist auf Länder wie Frankreich und Italien, wo es trotz Gebühren weiterhin zu den Marktführern gehört.

Allerdings wurden in diesen Ländern die Mitfahrgelegenheiten nie so stark genutzt wie in Deutschland. Das lag auch an den im europäischen Maßstab hohen Preisen der Deutschen Bahn. Doch seit die Ära der Fernbusse begann, können Reisende mittlerweile Fahrten zu Tarifen buchen, die selbst die Preise von Mitfahrbörsen noch unterbieten. Manche sprechen daher schon vom Ende der Mitfahrbörsen.

Allerdings sind die Dumpingpreise auf dem Fernbusmarkt, die durch Niedriglöhne erkauft sind, Teil eines Konkurrenzkampfes  der Busunternehmen. Die Preise werden also spätestens dann wieder steigen, wenn dieser entschieden ist. So bleibt immer Raum für Mitfahrbörsen.

Die Frage wäre eher, warum dahinter immer ein finanzkräftiges Unternehmen stehen muss. Hier könnten doch die Anhänger der These, dass es schon im Kapitalismus möglich ist, zumindest kleine Nischen aufzubauen, in denen das Wertgesetz zumindest nur beschränkt wirkt, diese Vorstellung mal in die Praxis umsetzen.

Die bisherige Geschichte der unterschiedlichen Mitfahrbörsen und ihrer kapitalkräftigen Sponsoren scheint eher denen Recht zu geben, die solche nichtkapitalistischen Nischen im Kapitalismus als Mythos bezeichnen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49145/1.html

Anhang

Links

[1]

http://www.pendlerportal.de

[2]

https://www.fahrgemeinschaft.de/

[3]

https://www.blablacar.de

[4]

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/dienstleister/blablacar-veraergert-kunden-nutzer-wittern-zensur-und-klickbetrug/13999936-2.html

[5]

http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mitfahrzentrale-blablacar-kunden-koennen-bald-nicht-mehr-bar-bezahlen-1.3022177

[6]

https://de-de.facebook.com/MitfahrgelegenheitdeBoykott/

[7]

https://de-de.facebook.com/notes/blablacar/blablacar-netiquette/742219402545822/

[8]

https://www.facebook.com/MitfahrgelegenheitdeBoykott

[9]

https://www.fahrgemeinschaft.de/

Das gierige Start-up

Mitfahrdienst Blablacar führt Gebühren in Deutschland ein – und erntet Kritik

Wer derzeit über das Onlineportal Blablacar eine Mitfahrgelegenheit buchen will, muss mehr Geduld aufbringen. In letzter Zeit ist die Anzahl der dort angebotenen Fahrten zurückgegangen. Grund ist das neue Bezahlsystem, das der Internetdienst kürzlich eingeführt hat. Fahrten können nur noch im Voraus per Kreditkarte, Paypal oder Sofort-Überweisung bezahlt werden. Kürzlich hat das 2006 in Paris gegründete Unternehmen, das seit 2013 auch in Deutschland aktiv ist, eine Vermittlungsgebühr eingeführt, die von der Länge der angebotenen Strecke abhängig ist. Für die Fahrt von Berlin nach Hamburg etwa fallen für Autobesitzer Zusatzkosten von drei Euro an. Reservierungsgebühren sind offenbar ebenfalls im Gespräch.

Das wollen viele Mitfahrer nicht akzeptieren. In einer Pressemitteilung erinnert die Internetplattform Fahrgemeinschaften.de daran, dass bereits 2013 der Onlinedienst mitfahrgelegenheit.de mit der Einführung von Gebühren gescheitert ist. Immer mehr Nutzer suchten nach Alternativen und kurze Zeit später wurde der Betreiber von Blablacar aufgekauft. »Kostenlos sind wir schon«, positionierte sich der französische Konzern damals gegen seinen Kontrahenten. Diese Aussage halten empörte Nutzer Blablacar jetzt Nutzern in sozialen Netzwerken vor. »Die haben schon vor der Einführung des Bezahlsystems Texte gestrichen oder verändert. Ich glaube denen kein Wort«, schreibt ein Kommentator.

Mit der Plattform fahrgemeinschaft.de steht eine vorerst gebührenfreie Alternative bereit. Das Unternehmen erklärt, die täglichen Nutzerzahlen hätten sich verdreifacht, seit Blablacar die Gebührenregelung einführte. Auf der Plattform von fahrgemeinschaft.de wird Blablacar zudem vorgeworfen mit Fake-Profilen, einen größeren Nutzererfolg vorzutäuschen. Der Kontrahent spricht indes von unwahren Behauptungen und prüft rechtliche Schritte.

Das französische Unternehmen, dessen Firmenwert von Investoren zuletzt auf rund 1,4 Milliarden Euro taxiert wurde, sieht sich auch nach der Einführung des Gebührenmodells in Deutschland weiter auf Wachstumskurs. Ein Sprecher verweist auf Frankreich, Italien und Spanien, wo Blablacar trotz Gebühren Marktführer bei den Mitfahrzentralen blieb. Allerdings werden in diesen Ländern Mitfahrgelegenheiten generell weniger genutzt als in Deutschland.

Auch am Konkurrenten fahrgemeinschaft.de gibt es Kritik – wegen seiner Kooperation mit dem Automobilclub ADAC. So schreibt ein Nutzer auf einer Facebook-Seite, auf der über einen Blablacar-Boykott diskutiert wird: »Sollten die es wirklich schaffen und Blablacar ablösen – wer weiß, was dann wieder passiert.« So könnte der »Aufstand der Mitfahrer«, von dem das »Handelsblatt« spricht, nur dazu führen, dass statt Blablacar ein anderes Unternehmen das Geschäft mit der Vermittlung macht. Schließlich gehört es zum Geschäftsmodell von Start-up-Unternehmen, zunächst mit Gratisdiensten zu expandieren und die Konkurrenz zu schlucken, um danach die Nutzer zur Kasse zu bitten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1022206.das-gierige-start-up.html

Peter Nowak

»Rigaer94«-Unterstützer weiter in Haft

Rund 70 Menschen demonstrierten am Samstagnachmittag vor der JVA Moabit für die Entlassung zweier Gefangener aus der Untersuchungshaft. »Freiheit für Aaron und Balu« lautete das Motto der Kundgebung. Der Student aus Münster und der Beschäftigte im IT-Bereich sitzen seit dem 9. Juli in Untersuchungshaft. Beide wurden an dem Tag am Rande einer großen Solidaritätsdemonstration für das Hausprojekt Rigaer Straße 94 in Friedrichshain festgenommen, weil sie Gegenstände geworfen haben sollen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen schweren Landfriedensbruch vor.

Vertreter der Antirepressionsorganisation Rote Hilfe und des Netzwerks »Freiheit für alle politischen Gefangenen« kritisierten, dass sich die beiden Männer trotz festen Wohnsitz schon mehr als einen Monat in Haft befinden. Auch der Berliner Rechtsanwalt Nils Spörkel hält das für unverhältnismäßig, wie er dem »nd« sagte. Er reichte Beschwerde ein. Scheitert er damit, müssen die beiden Männer bis zum nächsten Haftprüfungstermin Mitte Oktober im Gefängnis bleiben.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1022137.rigaer-unterstuetzer-weiter-in-u-haft.html

Peter Nowak

Innere Sicherheit: Musterhaft auf dem Weg zu mehr Repression

Wie der Fetisch Sicherheit von allen Parteien bedient wird

Da können Erdogan und Putin noch etwas lernen. In Frankreich wurde ein Internetnutzer zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er in letzter Zeit besonders häufig gewaltverherrlichende islamistische Internetseiten aufgerufen haben soll (Zwei Jahre Haft für den Besuch von Dschihad-Webseiten[1]). Als in der Türkei die islamistischen Behörden während der Geziproteste Twitter sperren ließen, war die Empörung auch hierzulande groß.

Wenn nun in Frankreich bereits das Aufrufen inkriminierter Seiten zu Haftstrafen führt, beschämt der sogenannte Westen in der Tat die Autokraten am Bosporus und wo auch immer, da man diesen einmal wieder ein Stück voraus ist bei der Repression. Die Grundlage für die Verurteilung war übrigens ein erst kürzlich verabschiedetes Gesetz (Frankreich: Zwei Jahre Freiheitsstrafe für Besucher von Terror-Webseiten[2]), das im Zuge des Ausnahmezustands ohne größere wahrnehmbare Proteste im In- und Ausland durch das Parlament gewinkt und schon kurz danach angewandt wurde.

Die Zeiten, in denen Notstandsgesetze noch wie in den 1960er Jahren in der BRD als Schubladengesetze bezeichnet wurden, die erst in zukünftigen Zeiten einer prekären Sicherheit zur Anwendung kommen, sind also offensichtlich vorbei.

Gleiche Muster

Doch auch in Deutschland überbieten sich in den letzten Tagen die Politiker wieder einmal in Vorschlägen für den Abbau der Demokratie. Die Stichworte sind nicht neu, sondern eigentlich so altbekannt und berechenbar, dass es doch erstaunlich ist, dass sie immer wieder präzise nach dem gleichen Muster ablaufen.

Die Unionspolitiker machen Vorschläge, die SPD sagt, im Grunde sind wir uns in der Zielrichtung einig, aber dies und jenes ist mit uns nicht zu machen. Nach einigen Tagen wird die Ablehnung dann schon abgeschwächt. Es wird betont, dass nichts übereilt werden muss, aber die SPD auf jeden Fall das Ohr ganz nah an den Sorgen und Nöten  der Bevölkerung habe. Einige Debattengefechte später scheint man sich auf einen Kompromiss geeinigt haben. Dabei kann sich die Union in vielen Punkten durchsetzen, nur einige wenige Punkte werden bis zur nächsten Sicherheitsdebatte zurückgestellt.

In den letzten Tagen konnte man gut beobachten, wie das Drehbuch abgespult wird. Zunächst machten die Unionsinnenminister den Aufschlag[3] und setzen mit ihren Forderungen vom Burka-Verbot, der Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht bis zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft die Akzente.

Die darauf folgende Kritik ist schon einberechnet, denn nur so kann sich die Union als die eigentliche Sicherheitspartei profilieren. Wenige Stunden später stellt Bundesinnenminister De Maiziere seinen Forderungskatalog zur Inneren Sicherheit vor, in dem einige besonders kontrovers diskutierte Vorstellungen der Unionsinnenminister fehlen. Auch seine Pläne werden kontrovers diskutiert.

Doch das für die Initiatoren zentrale Ziel wurde erreicht. Seitdem wird von „kriminelle Ausländer“, „ausländische Gefährder“, „Abschiebung und Schnellverfahren“ geredet.

Keine „Innere Logik“?

Aber nicht nur die Initiatoren der Sicherheitsdebatte, auch die Kritiker reagieren völlig berechenbar. So wird dem Innenminister vorgeworfen, seine Vorschläge entbehrten jeder Logik[4].

Andere Kritiker wollen nachweisen, dass die Vorschläge längst Gesetzestext seien. So müssen schon heute Ärzte ihre Schweigepflicht brechen, wenn sie von Plänen, die das Leib und Leben anderer Menschen gefährden, erfahren. Ebenso war auch die Reaktion zu erwarten, die dieses Mal von der innenpolitischen Sprecherin der Grünen, Irene Mihalic, kam. Sie erklärte[5] im Deutschlandfunk, die Vorschläge hätten mit Terrorbekämpfung gar nichts zu tun.

Ich frage mich allen Ernstes, was die Vorschläge, die uns heute präsentiert wurden und die ja in den kommenden Tagen auch noch konkretisiert werden sollen, tatsächlich mit den Anschlägen, die uns in der jüngsten Vergangenheit ereilt haben, unmittelbar zu tun haben. Denn ich kann von den vielen Maßnahmenpaketen, die dort genannt sind, keine einzige Maßnahme erkennen, die tatsächlich dazu beigetragen hätte, dass auch nur ein einziger dieser Anschläge hätte wirkungsvoll verhindert werden können.Irene Mihalic

Irene Mihalic

Mihalic hat im Detail mit ihrer Kritik sicher Recht. Doch bei allen Kritikern werden die gesellschaftlichen Bedingungen außer Acht gelassen, in die die Sicherheitsdiskurse eingebettet sind. Die Politologin Anna Kern, die in Marburg zum Wandel der Sicherheitsregime forscht[6] hat kürzlich im Dampfboot-Verlag das Buch Produktion von (Un-)Sicherheit – urbane Sicherheitsregime im Neoliberalismus[7] herausgegeben. Es ist theoretisch durchaus voraussetzungsvoll.

Der Vorteil ihres Ansatzes ist allerdings, dass hier ein Sicherheitsbegriff vorgestellt wird, der auch einige Plattitüden mancher linker Kritiker hinter sich lässt. Kern bedient weder die Vorstellung, dass der Staat immer repressiver wird, noch dass ein repressiver Staat einer Bevölkerung gegenübersteht, die sich gegen die Repression wehrt. Dabei wendet Kern das Marxsche Theorem vom Fetischcharakter der Ware auf den Sicherheitsdiskus an und spricht vom Sicherheitsfetisch als notwendig falsches Bewusstsein.

Den Ursprung des menschlichen Sicherheitsbedürfnisses verortet Kern nicht in der angeblich unveränderbaren menschlichen Natur, sondern vielmehr „in der gegenwärtigen Prekarität des Gelingens der sozialen Reproduktion“.  Das besondere Bedürfnis nach Sicherheit im Neoliberalismus kann sie dann auch gut aus den gesellschaftlichen Bedingungen erklären.

Repression wird als notwendiger Teil der Sozialarbeit betrachtet

Eine besondere Stärke in Kerns Ansatz liegt darin, dass die Politologin auf mehrere konkrete Beispiele eingeht, wo eine Kooperation zwischen Nichtregierungsorganisationen und Staatsapparaten entstanden ist, wie zum Beispiel in den letzten Jahrzehnten in Frankfurt/Main. Ein Stichwort ist das Problemfeld „häusliche Gewalt“, das erst in den letzten Jahrzehnten in Folge der 1960er entstanden ist und zu einer „Zusammenarbeit der originären staatlichen Apparate mit Institutionen der Zivilgesellschaft zur Entschärfung gesellschaftlicher Konflikte und Integration oppositioneller Bewegungen“ beigetragen hat.

Eine ähnliche Entwicklung gibt es im Bereich der Drogenprävention. Die Veränderungen, die in der Sozialarbeit in Frankfurt/Main zu beobachten waren, beschreibt Kern so, dass die Zusammenarbeit mit dem Staat und der Polizei die sozialarbeiterische Selbsteinschätzung insoweit verändert habe, „als Repression nun als notwendiger Teil der Arbeit erachtet wird und vormalige Skepsis und Abneigung durch Wertschätzung gegenüber den Partner/innen und deren Arbeit ersetzt wurde“.

Diese Veränderungen drücken sich auf der parlamentarischen Arbeit aus. Denn auch die größten Kritiker der Sicherheitspolitik der Unionsinnenminister im Allgemeinen und des Bundesinnenministers im Besonderen sind sich darin einig, dass die Polizei kräftig aufgestockt werden muss. So erklärte die grüne Sicherheitspolitikerin Irene Mihalic in besagtem Interview:

Ein guter Punkt ist ja in dem Papier auch enthalten, und zwar die Aufstockung des Personals bei der Polizei.Irene Mihalic

Irene Mihalic

Auch ihr Kollege von der Partei Die Linke, Frank Tempel, stößt ins gleiche Horn. Er schrieb nach den faschistischen Mordanschlag von München über das Agieren der Sicherheitsorgane[8]:

Die Polizei in Bayern hat das Möglichste getan, um dieses Prinzip umzusetzen. Sie musste nach den ersten Meldungen über Erschossene von einer Terrorlage ausgehen, bei der Tätergruppen unterwegs sind, die an verschiedenen Orten gleichzeitig zuschlagen. Das Heranführen von Unterstützungseinheiten und die Einstellung des Nahverkehrs sind dann logische Maßnahmen. Auch die Krisenkommunikation der Polizei war lehrbuchgemäß.

Der Einsatz zeigte weiterhin, dass in ausreichender Anzahl vorhandenes und gut ausgebildetes Personal für solch einen komplizierten Einsatz entscheidend sind. Bayern hat im Gegensatz zu vielen Ländern und dem Bund keine Stellen bei der Polizei gestrichen, sondern vermehrt Polizistinnen und Polizisten eingestellt. Dieses Vorgehen zahlte sich aus.Frank Tempel

Frank Tempel

Da wird zunächst ausgeblendet, dass die Polizei in München zu Panik und Verwirrung mit beigetragen hat. Mehrere Polizisten wurden für Attentäter gehalten, was die Panik steigerte. Zudem zeugt die parteiübergreifende Einigkeit bei der Forderung nach dem Ausbau der Polizei davon, dass polizeikritische Diskussionen, wie sie vor 30 Jahren nicht nur in der Linken, sondern auch in der bürgerrechtlichen Bewegung gang und gäbe war, heute kaum noch bekannt sind. Im Deutschen Herbst 1977 und danach in den Jahren der starken Bürgerinitiativen gegen den AKW-Bau wie auch bei ähnlichen Themen bildete sich für den aktiven Teil der Bevölkerung aus den gemachten Erfahrungen eine polizeikritische Position heraus.

Wo sich Widerstand regt, hat Polizeikritik noch eine Chance

Das ist in Zeiten der Bewegungsflaute schwieriger. Aber an den Punkten, wo sich noch sozialer Widerstand regt, hat Polizeikritik eine Chance. So wenden sich in Berlin-Friedrichshain Teile der Bevölkerung gegen einen massiven Polizeiansatz,  wie  er durch die Erklärung der Region zum Gefahrengebiet[9] möglich wurde.

Dort zirkulieren auch Aufrufe für polizeifreie Kieze und Anwohner kritisieren die Kosten für den Polizeieinsatz[10] in der Rigaer Straße, wo es mehrere linke Hausprojekte gibt.

Auch in den USA gibt es eine polizeikritische Bewegung vor allem im Umfeld der Black-Lives-Matter-Bewegung. In dem Buch Die Zukunft, die wir wollen – Radikale Ideen für eine neue Zeit[11] findet sich auch eine Diskussion zum Thema Polizeiarbeit in Amerika: Widerstand lernen[12], die in einer zentralen New Yorker Bibliothek stattgefunden hat.

Einer der Referenten, Mychal Denzel Smith[13] erklärte:

Wenn wir über eine Bewegung sprechen, die den gewaltsamen Übergriffen der Polizei ein Ende setzen will, müssen wir die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass die Polizei durch den Willen der Gesellschaft und der Politik notwendigerweise gewalttätig ist. Das ist der Zweck ihrer Arbeit, und daher sprechen wir, wenn wir über das Ende dieser Polizeigewalt sprechen, über das Ende der Polizei.Mychal Denzel Smith

Mychal Denzel Smith

Es ist schon erstaunlich, dass in den USA 15 Jahre nach den islamistischen Massakern radikale Staatskritik weiter verbreitet ist als bei uns.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49111/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Polizei.jpg

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49089/

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48234/

[3]

http://www.deutschlandfunk.de/papier-der-unions-innenminister-polizei-aufruesten-doppelte.1818.de.html?dram:article_id=362643

[4]

http://www.focus.de/politik/deutschland/so-kommentiert-deutschland-antiterror-paket-sicherheitspaket-von-thomas-de-maiziere-hat-anlass-zur-empoerung-gegeben_id_5817203.html

[5]

http://www.deutschlandfunk.de/papier-der-unions-innenminister-vorschlaege-haben-mit.694.de.html?dram:article_id=362676

[6]

http://www.tzm-marburg.de/gsw/web.cfm?schluessel=2070

[7]

http://www.dampfboot-verlag.de/shop/artikel/produktion-von-un-sicherheit-urbane-sicherheitsregime-im-neoliberalismus

[8]

http://linksfraktion.de/kolumne/wie-amoklaeufe-zu-verhindern-sind/

[9]

https://nordkiezlebt.noblogs.org/gefahrengebiet

[10]

https://nordkiezlebt.noblogs.org/post/2016/08/11/was-kostet-eigentlich-der-wahlkampf-von-herrn-henkel-die-steuerzahlerinnen-im-kontext-rigaer-strasse

[11]

http://www.europa-verlag.com/wp-content/uploads/WZ_Die-Zukunft-die-wir-wollen.pdf

[12]

https://www.nypl.org/events/programs/2015/02/18/american-policing-millennials-activism

[13]

https://www.thenation.com/authors/mychal-denzel-smith

Nicht freiwillig

Die Räumung des Szeneladens M99 in Kreuzberg ist verschoben

Der »M99 – Laden für Revolutionsbedarf« sollte diese Woche geräumt werden. Nach einer Vereinbarung mit dem Vermieter wurde der Räumungstitel nicht vollzogen. Es gibt eine Gnadenfrist bis Mitte September.

Für Dienstag war in Berlin-Kreuzberg die Zwangsräumung der Ladenwohnung des auf den Rollstuhl angewiesenen Hans-Georg »HG« Lindenau angekündigt, doch die Räumung fand nicht statt. Wochenlang hatten das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« und die Stadtteiliniaitive »Bizim Kiez« zu einer Blockade mobilisiert, um die Räumung des weit über Berlin hinaus bekannten Ladens »für Revolutionsbedarf« zu verhindern. Das M99 ist nicht nur Einkommensquelle, sondern auch Unterkunft seines Betreibers. Mittlerweile ist es selbst in Reiseführern aufgeführt. Der Laden und sein Betreiber stehen wie kaum etwas anderes für das rebellische Kreuzberg der achtziger Jahre. Unterstützung bekam Lindenau aber auch von jüngeren Nachbarn. In Kreuzberg ist die Furcht vor der Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen groß. »Wenn selbst ein so bekannter Laden wie das M99 nicht bleiben kann, droht uns allen die Verdrängung«, sagt eine Nachbarin der Jungle World. Umgekehrt zeige erfolgreicher Widerstand gegen eine geplante Räumung, dass diese Entwicklung verhindert werden kann.

Will bleiben: Hans-Georg »HG« Lindenau in seinem Laden, der ihm auch als Wohnung dient

Will bleiben: Hans-Georg »HG« Lindenau in seinem Laden, der ihm auch als Wohnung dient (Foto: Pa / dpa / Wolfram Kastl)

Nun wurde die für Dienstag anberaumte Räumung kurzfristig ausgesetzt, doch von einem Erfolg kann noch nicht die Rede sein. Nach dem Willen des Hauseigentümers, der den Räumungstitel aufrechterhält, soll Lindenau bis zum 20. September freiwillig ausziehen. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, heißt es denn auch in einer Erklärung, die die Stadtteilinitiative »Bizim Kiez« in Zusammenarbeit mit Lindenau verfasst hat. In dem Text wird betont, wie schwer der Druck gewesen sei, der auf Lindenau durch die drohende Räumung lastete. »Er hat seinen Anwalt den Deal in kürzester Zeit aushandeln lassen, mit dem Motiv, die Zwangsräumung über den 9. August hinaus zu verschieben«, heißt es in der Erklärung. Jede weitere Verzögerung der Räumung eröffne neue Möglichkeiten, sie zu verhindern. »So sehen auch wir das, weil wir sechs Wochen mehr Zeit haben, um weiter zu mobilisieren« – für Aktionen und für weitere Verhandlungen.

Doch bei einem Teil von Lindenaus Unterstützern sorgten die Umstände der Einigung in letzter Minute für Irritationen und Kritik. Schon wenige Stunden nach der Bekanntgabe wurde ihm auf dem Internetportal Indymedia vorgeworfen, einen schlechten Deal mit dem Eigentümer gemacht zu haben. Manche erklärten, sie seien von Lindenau enttäuscht, und drohten, die Solidaritätsarbeit einzustellen.

Für Davis Schuster ist das unverständlich. »Wir finden, dass Betroffene immer selbst über ihre Räumungsangelegenheiten entscheiden sollten«, sagte das Mitglied des Berliner Bündnisses »Zwangsräumung verhindern« der Jungle World. Schuster betonte, dass weiter die Räumung drohe und Lindenau daher auch in Zukunft Solidarität brauche. Die Aussetzung der Räumung sei auch eine Folge des Drucks von stadtpolitischen Initiativen. Tatsächlich ist es in letzter Zeit nicht nur im Fall von M99 gelungen, in großen Mieterauseinandersetzungen wenigstens Teilerfolge zu erzielen. So war die Wiener Immobiliengesellschaft Citec bereit, mit den Mietern des Haues Friedelstraße 54 in Berlin-Neukölln über einen Verkauf des Gebäudes zu verhandeln, nachdem die Mieter ihren Protest sogar in die österreichische Hauptstadt getragen und das Kaufangebot persönlich überbracht hatten. Doch nach mehrwöchigen Verhandlungen wurden die Hausbewohner per E-Mail darüber informiert, dass nicht sie, sondern eine andere Immobilienfirma den Zuschlag bekommen hätten. Beim ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 94 brachte eine Gerichtsentscheidung, die die mit einem großen Polizeiaufgebot durchgesetzte Teilräumung für rechtswidrig erklärte, zumindest kurzfristig Entspannung. Da aber neben den Mieterprotesten weitere starke soziale Bewegungen fehlen, sind bisher immer nur temporäre Erfolge erreicht worden.

Lindenau sieht für seinen Laden M99 zwei mögliche Szenarien, wie er der Jungle World sagte. »Entweder jemand ermöglicht mir, dass ich in einem anderen Laden den Verkauf fortsetzen kann. Dann würde ich das M99 verlassen.« Doch das sei unwahrscheinlich. Wenn er keinen gleichwertigen Ersatz in Kreuzberg finde, werde er den Laden »am 20. September nicht freiwillig verlassen«. Dann könnte der Räumungscountdown von Neuem beginnen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/32/54634.html

Peter Nowak

RACIAL PROFILING

Der antiziganistische Rassismus ist in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Von Peter Nowak

Seit Oktober 2003 werden Roma und Sinti von deutschen Polizeibehörden nicht mehr in den berüchtigten »Landfahrerdateien « gespeichert. Nach bundesweiten Protesten von Roma-Verbänden war auch der Freistaat Bayern bereit, auf den Namen (»Zigeuner«), der im Nationalsozialismus die Grundlage für die Deportation und Ermordung Zehntausender Sinti und Roma gewesen ist, zu verzichten.

Die NS-Diktion hatte ausgedient, doch die Erfassung ging weiter. Dafür kreierten Beamte Bezeichnungen wie »mobile ethnische Minderheit«, kurz MEM. Bei der sächsischen Polizei bleibt man näher an der Tradition. Durch eine Anfrage des sächsischen Landtagsabgeordneten der Grünen, Valentin Lippmann, wurde bekannt, dass die Polizei im Freistaat mehr als 2.000 Personen unter dem Hinweis »wechselt häufig Aufenthaltsort « speichert. Daneben sind dort in einer weiteren Datei 432 Personen als »Stadt- und Landstreicher« registriert. Das sächsische Innenministerium verweigerte aus Sicherheitsgründen Auskünfte über die Zusammensetzung des erfassten Personenkreises.

Die sächsischen Behörden liegen da im Trend. Längst wird in Deutschland der antiziganistische Rassismus ganz uncodiert nicht nur bei Pegida und Co., sondern auch in einem Berliner Jobcenter verbreitet. Dort weigerte sich eine Sachbearbeiterin, den Antrag einer Roma- Familie auf Leistungen nach ALG II anzunehmen. »Ich will deine Unterlagen nicht sehen. Ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben«, erklärte sie. Es ist das einer von zahlreichen antiziganistischen Vorfällen im letzten Jahr in Berlin gewesen, die die Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro vor einigen Wochen veröffentlicht hat (amaroforo.de/ sites/default/files/files/Dokumentation 2015.pdf). In diesem Bericht wird auch eine Polizistin zitiert, die bei der Aufnahme eines Fahrradverlusts nach Nennung der Anschrift sogleich erklärte: »Die Straße ist bekannt für die Rumänen, weshalb Sie sich fernhalten sollten.«

So zurückhaltend mag die Kleingartenkolonie »Frieden« in Berlin-Tempelhof nicht sein. Dort wurde einem in der Türkei geborenen Berliner die Mitgliedschaft in dem Kleingartenverein mit der Begründung verweigert, dass die Migrantenquote von 20 Prozent bereits überschritten sei. Den Garten könne er als »NDH« daher nicht bekommen – das Kürzel steht für »nichtdeutsche Herkunft «. »Sie sind kein reinrassiger Deutscher «, übersetzte der Vorsitzende des Kleingartenvereins »Frieden« das, was sich hinter Kürzeln wie MEM und NDH verbirgt, in eine Sprache, die auch der letzte Kamerad noch versteht.

aus: in konkret 8/2016

http://www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/heft-82016/articles/racial-profiling.html

Peter Nowak

Zwischen den Zäunen


GARTENKINO Im Sommer sind die Laubenkolonien in Berlin besonders einladend für Spaziergänge. In ihrem Film „Grenzgärtner“ erzählen Julia Mittwoch und Maite Bueno Clemente über Konflikte im Kleingarten

Gleich in der ersten Szene auf der Leinwand sehen wir Plastikstühle, Sonnenschirme und eine Menge Gartenzwerge. Doch eine
Eloge an ein Kleingartenidyll in Berlin ist der Dokumentarfilm „Grenzgärtner“ nicht geworden. Die Filmemacherinnen Julia
Mittwoch und Maite Bueno Clemente erzählen über die Treptower Gartenanlage Kreuztal und ihr Neuköllner Gegenstück Helmutstal und über die Mauer, die die beiden Gartenhälften 28 Jahre trennte. Am Ende wurde es ein Film über die Mauern in den Köpfen der KleingärnterInnen, die bis heute nicht gefallen sind.
Die Mauer im Garten

Julia Mittwoch ist in Treptow aufgewachsen und kennt das Gebiet seit frühester Kindheit. Bei ihren Spaziergängen entdeckte sie auf der Gartenanlage zwei denkbar unterschiedliche Welten, getrennt durch einen frisch errichteten Stacheldraht. Damals hatten sich in den Lauben, die wegen des Baus der A 100 abgerissen werden sollten, Romafamilien, KünstlerInnen und Obdachlose einquartiert. „Ich stand zwischen diesen kaputten Lauben inmitten des hohen Unkrauts und sah herüber auf die „andere Seite“ der noch bestehenden Kleingartensiedlung. Dort weht die Deutschlandfahne und der Rasen war auf drei Zentimeter getrimmt“, beschreibt die Regisseurin das Bild, das sie zu dem Film motivierte. Das Duo verbrachte viel Zeit in den Gartensiedlungen und vor allem in den Vereinskneipen, um an die Leute heranzukommen. Acht Personen haben sie in ihrem Alltag im Garten begleitet, fünf wurden zu HauptprotagonistInnen. Dazu gehört auch Wolfgang Noak, 80 Jahre alt, der sich stolz unter Schildern präsentiert, auf denen die Regeln verkündet werden, an die sich in der Gartenanlage alle zu halten haben.
Als die Mauer mitten durch die Gartenanlage lief, scheute er auch die Kontakte zur DDRStaatssicherheit nicht. Schließlich
waren die ja auch für klare Regeln. Den Vorwurf, er habe es an Distanz zur Stasi fehlen lassen, kontert Noak im Film mit
dem Bekenntnis, dass er doch als Nazi gelte. Als Beleidigung empfand er das genauso wenig wie seine MitgärtnerInnen.
Echauffiert haben sie sich alle über die Fremden, die sich in den Hütten auf der Nachbaranlage ihr Domizil errichtet hatten.
Gesprochen mit den neuen NachbarInnen hatte keine der GrenzgärtnerInnen. „Die sollen in ihrer Höhle bleiben und wir bleiben in unserer“, brachte eine Frau ihr Desinteresse an einen Kontakt auf den Punkt. Eine andere Gartenfreundin erklärte, sie sei nach der Maueröffnung noch nie im anderen Teil von Berlin gewesen: „Was soll ich dort?“ Im Film kommt auch Hassan K. zu Wort, der wegen seiner türkischen Herkunft von mehreren Siedlungen abgewiesen wurde, und als er endlich einen Garten gefunden hatte, mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert war. Dass der Film kein Randthema behandelt, zeigte sich Ende Juni 2016, als bekannt wurde, dass der Gartenverein „Frieden“ in Tempelhof eine MigrantInnenquote von 20 Prozent eingeführt hat. Wenn die erfüllt ist, werden nichtdeutsche BewerberInnen abgewiesen, auch wenn Parzellen frei sind. Doch
der Film könnte auch dazu motivieren, den Kampf um die Hegemonie im Kleingarten nicht den Grenzwächtern zu überlassen.
In einer Pankower Kleingartensiedlung kandidierten junge Leute für den Vorstand und versuchten gegen den Widerstand
der Alteingesessenen die Vereinsstrukturen aufzubrechen. Sollte das Beispiel Schule machen, könnte die deutsche Gartenkultur, wie sie einige ProtagonistInnen im Film vertreten, bald der Vergangenheit angehören.

■■Am 12. 8. läuft der Film um 19 Uhr im Kino Moviemento am Kottbusser Damm 22. Im Anschluss gibt es eine Diskussion mit den Regisseurinnen

DONNERSTAG, 1 1. AUGUST 2016  Taz Berlin Kultur

http://www.taz.de/!5324854/

Peter Nowak

Gudrun Gut rechnet nach

RIGAER94 Polizeieinsatz in Rigaer soll schon 30 Mio. Euro kosten, so eine Anwohnerinitiative

Mindestens 30 Millionen Euro soll der Polizeieinsatz in der Rigaer Straße seit Oktober 2015 gekostet haben. Auf diese Zahl kam
eine Arbeitsgruppe, die sich aus BewohnerInnen des Friedrichshainer Nordkiezes zusammensetzt. Sie sind aktiv geworden,
nachdem Mitte Januar 2016 ein großes Polizeiaufgebot das Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 durchsuchte. Auf monatlichen
Kiezplenen wird seitdem über die Probleme im Stadtteil diskutiert. Die massive Polizeipräsenz stellte sich schnell als ein Ärgernis heraus, von der alle Menschen im Nordkiez betroffen sind. Egal ob sie dort wohnen oder nur jemand besuchen
wollen. Seit die Gegend um die Rigaer Straße am 23. Oktober 2015 zum Gefahrengebiet erklärt wurde, kann die Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen und Platzverweise aussprechen.


Keine Zahlen von der Polizei

Die Arbeitsgruppe, die sich um die Kosten der Einsätze kümmerte, konnte nicht auf offizielle Zahlen zurückgreifen. „Die Polizei redet selbst dann nicht über die Kosten ihrer Einsätze in der Rigaer Straße, wenn sie im Abgeordnetenhaus dazu befragt
wird“, moniert AG-Mitarbeitern und Anwohnerin Gudrun Gut gegenüber der taz. Daher legten die RechercheurInnen
für die Kostenberechnung die Zahlen zugrunde, die die Polizei über den Einsatz an der von Geflüchteten besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule in Kreuzberg nannte. Nicht eingerechnet in die Summe von 30 Millionen Euro sind die Kosten für die Zivilpolizei. In ihrer Pressemitteilung macht die AG Vorschläge, wie das Geld für den Bau von Schulen und Wohnungen verwendet werden könnte. Doch das Gefahrengebiet im Friedrichshainer Nordkiez soll mindestens bis zu den Wahlen weiterbestehen und verursacht täglich weitere Kosten. Die Arbeit der AG zeigt, dass der Protest dagegen anhält. Auch gegen das geplante Nobelprojekt Carré Sama Riga in der Rigaer Straße 71–73 wird weiter mobilisiert. Am 18. August soll um 20 Uhr an der Baustelle der Film „Mietrebellen“ gezeigt werden. Danach wollen die StadtteilaktivistInnen mit dem Regisseur Matthias Coers über Proteste vor Ort diskutieren.

aus Taz-Berlin, 11.8.2016
Peter Nowak

Nach der Querfront gegen Erdogan endlich die Stunde der Vermittler?

Analysten hätten besseres zu tun, als einzig Thesen der Rechten zu übernehmen

In den letzten Tagen schien es die ganz große Querfront gegen Erdogan zu geben. Da musste man schon sehr genau zwischen den Zeilen lesen, um einen Unterschied zwischen den vielen Presseerklärungen von Politikern der Linkspartei, der Grünen oder der Union zu finden. Sie vermittelten alle den Eindruck,  als würden sich Erdogan und seine AKP anschicken, die Macht in Deutschland zu übernehmen.

Modell Österreich – oder wie sogenannte Mitte rechte Thesen übernimmt

Die Parteien rechts von der Union konnten sich angesichts der Anti-Erdogan-Front nicht profilieren. Besonders deutlich wurde das in diesen Tagen in Österreich, wo demnächst die Präsidentenwahl wiederholt werden muss. Um dem FPÖ-Kandidaten Hofer den Wind aus den Segeln zu nehmen, übernimmt die Front seiner Gegner die schrillen Töne gegen Erdogan und tut so, als stünden die Türken erneut vor Wien.

In der Presse wird offen das Ziel dieses Anti-Erdogan-Kurses angesprochen. Nicht um Menschenrechte geht es, sondern darum, der FPÖ möglichst wenig Betätigungsfelder zu lassen. Ob das Kalkül aufgeht, wird sich am Wahlabend zeigen. Immer aber siegt die rechte Politik. Entweder wählt die Mehrheit gleich das Original  und Hofer wird noch Präsident. Oder sein Gegenkandidat siegt erneut knapp und setzt dann die FPÖ-Politik light um.

Auch in Deutschland wird im Alltag schon längst ziemlich unwidersprochen die Türkei-Politik umgesetzt, die rechts von der Union immer gefordert wird.  Das wurde deutlich, als Tausende in Deutschland lebende Menschen mit türkischen Hintergrund eine Demonstration in Köln anmeldeten und es tatsächlich wagten, den gewählten Präsidenten, der gerade einen Putsch überstanden hatte, per Liveschaltung sprechen lassen zu wollen.

Da wurde ihnen von führenden Unionspolitikern unumwunden gesagt, dass sie doch gefällig in die Türkei zurückkehren sollen, wenn sie Erdogan hochleben lassen wollen. Die Rechtsaußenpartei Pro NRW und ihre Bündnispartner wurden für die Propagierung solcher Forderungen nicht gebraucht. Nach einer Kundgebung wurde ihnen die gerichtlich durchgesetzte Demonstration untersagt, weil einige Teilnehmer aggressiv und alkoholisiert gewesen sein sollen.

Aber für die Parole, wer Erdogan liebt, soll Deutschland verlassen, wurde der rechte Narrensaum nicht gebraucht. Das schien rund um die Demo in Köln der sogenannte demokratische Konsens zu sein. Gab es nicht einmal das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft, mit dem auch diskutiert wurde, dass Menschen durchaus zwei Staaten und ihren Regierungen gegenüber loyal sein können?

Wird hier nicht an zweifelhafte deutschnationale Traditionen angeknüpft, wenn Menschen aus anderen Ländern selbst nach einem überstandenen Putsch nicht einmal ihr gewähltes Staatsoberhaupt per Liveschaltung hören dürfen? Natürlich ist Erdogan kein lupenreiner Demokrat. Aber welcher andere Präsident ist das schon?

Man stelle sich vor, Expats aus den USA würde eine Liveschaltung zu den Präsidenten ihres Landes verweigert – vielleicht mit dem Argument, dass in den USA die Todesstrafe noch immer nicht abgeschafft ist und noch immer viele Menschen teilweise jahrelang in der Todeszelle sitzen?

Wie sieht es mit deutschen Politikern aus? Bei den Maidan-Protesten in der Ukraine begnügten sich der damalige Außenminister Westerwelle oder die grüne Bundestagsabgeordnete Rebecca Harms nicht mit Zuschaltungen per Bildschirm. Sie waren selber vor Ort, um die  Ukraine auf den Weg in Richtung Westen zu begleiten. Die innenpolitischen Folgen sind bekannt.

Welche Reaktionen es in Deutschland gegeben hätte, wenn die alte ukrainische Regierung Einreise- und Zuschaltverbote für diese deutschen Politiker durchgesetzt hätte, kann man sich vorstellen. Allerdings hätten die in deutschen Politstiftungen gebrieften Politiker wie Vitali Klitschko ein solches Szenario verhindert.

Wie wären die Reaktionen, wenn in Ländern mit einer sich als deutsch verstehenden Minderheit oder prodeutsch positionierenden Gruppierungen verboten wird, Politiker der Bundesregierung zu Kundgebungen zuzuschalten oder einzuladen? Gründe wurden sich genügend finden.

So könnten die Länder an der europäischen Peripherie, vor allem Griechenland, damit argumentieren, dass es wesentlich die Bundesregierung war, die 2015 das Austeritätsdiktat gegen den griechischen Wählerwillen durchzusetzte. Wie groß die Empörung war, als kurz nach den Wahlen im letzten Jahr die von der linkssozialdemokratischen Syriza dominierte Regierung Vertreter der Troika nur verbal für unerwünscht erklärte, dürfte manchen noch bekannt sein.

Es blieb nicht bei der Empörung, es wurden alle politischen und ökonomischen Instrumentarien angewandt, um Griechenland die Austeritätspolitik der EU aufzuzwingen.

Gülen – die gemäßigten Islamisten des Westens?

Nun also ist Erdogan ins Visier geraten. Es wird viel von westlichen Werten, von Demokratie und Menschenrechten geredet. Dass die meisten Politiker dabei aber betonen, bei ihrer Kritik an der türkischen Regierung soll das Flüchtlingsabkommen – das die Menschenrechte vieler Menschen stark einschränkt, – nicht in Frage gestellt werden, zeigt schon die instrumentelle Qualität des Menschenrechtsarguments gegen die Türkei.

Das Land ist für viele Außenpolitiker noch immer die Pforte, die das Tor nach Kerneuropa vor Migranten bewachen soll, aber es sich bloß nicht einbilden soll, es könne dort mitbestimmen. Weil die Türkei unter Erdogan sich aber mit seiner Rolle als Torwächter nicht zufrieden geben will, ist er vielen Politikern in Europa suspekt. Und die wären sicher auch gar nicht so traurig gewesen, wenn der Putsch  Erfolg gehabt hätte.

Dass aus den westlichen Staaten nach dem Scheitern des Coups eine Gratulation an den gewählten Präsidenten ausgeblieb, ist eine Formalie, die aber in der internationalen Diplomatie sehr ernst genommen wird. Putin ist gleich in die Bresche gesprungen und soll sehr früh die Unterstützung der gewählten Regierung bekundet haben.

Auch der Umgang mit der Gülen-Bewegung in den sogenannten westlichen Ländern nach dem Putsch ist bemerkenswert. Sicher wird ihre Rolle beim Putschversuch jetzt von der türkischen Regierung propagandistisch aufgewertet.

Es war wahrscheinlich ein loses Bündnis von Kemalisten und Gülen-Leuten, die sich nur in der Ablehnung Erdogans einig waren, dafür verantwortlich. Die Gülen-Leute haben aber bei der  Organisation des Putsches schon deshalb eine wichtige Rolle gespielt, weil sie in wichtigen türkischen Staatsapparaten Stellungen besetzten.

Schließlich haben sie jahrelang gemeinsam mit der Erdogan-AKP daran gearbeitet, kemalistische Kräfte dort auszuschalten und sie mit oft gefälschten Beschuldigungen ins Gefängnis gebracht. Die Gülen-Bewegung und die Erdogan-AKP teilen eine ähnliche islamistische Ideologie. Sie sind Feinde von Menschenrechten und eine Gefahr für politische Gegner und sexuelle und kulturelle Minderheiten.

Neben persönlichen Machtkonflikten dürfte der zentrale Grund für die Konfrontation zwischen beiden islamistischen Formationen ihre Haltung zum sogenannten Westen sein. Es ist sicher kein Zufall, dass Gülen schon lange unbehelligt in den USA lebt.

Die Gülen-Bewegung wird so zu einer Art „gemäßigter Islamisten“-Alternative zur Erdogan-AKP aufgebaut. Nur wenige Analysten erinnern in diesen Tagen an die islamistische Agenda der Gülen-Bewegung auch in Deutschland[1].

In der Regel wird diese Bewegung so dargestellt, als handele es sich um eine von der Erdogan-Bewegung verfolgte zivilgesellschaftliche Gruppe, der es um Menschenrechte geht. Nun ist es in der westlichen Politik nicht Besonderes, dass man schnell sogenannte gemäßigte Islamisten kreiert, die zumindest für säkulare Menschen gar nicht so gemäßigt sind.

Auch die AKP wurde lange Zeit als gemäßigte Islamisten und eine Art CDU der arabischen Welt gehandelt, als sie sich noch scheinbar im Einklang mit den Zielen des Westens befand.

Kretschmann hält die Hand über Gülen-Bewegung

Der grünkonservative Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich nun bei der Schönrednerei der Gülen-Islamisten besonders hervorgetan. Auf eine schriftliche Bitte des türkischen Generalkonsuls, die Gülen-Einrichtungen in Baden Württemberg zu überprüfen, blaffte er ganz undiplomatisch zurück[2]:

Selbstverständlich werde man genau das nicht machen. Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt oder diskriminiert werden.

Nun ging es dabei nicht um Forderungen nach Auslieferung und Bestrafung von Gülen-Mitgliedern, sondern um die Überprüfung der Einrichtungen. Warum Kretschmann ohne genaue Prüfung schon das Klagelied über die verfolgten Islamisten anstimmt, muss befremdlich stimmen Schließlich ist die islamistische Agenda dieser Bewegung bekannt.

Damit hat sie jahrelang mit der AKP übereingestimmt und die hat sich auch nach dem Zerwürfnis der Brothers in Crime nicht grundlegend geändert. Natürlich hat das türkische Konsulat Eigeninteressen, um die Gülen-Bewegung in schlechtem Licht darstellen zu können. Doch sie haben auch aus den Zeiten der Kooperation Spezialwissen. Es ist äußerst fahrlässig, wenn dies einfach ignoriert wird, weil man die Gülen-Bewegung als gemäßigte Islamisten hätscheln will.

Linke türkische Opposition wird weiterverfolgt

Während also die Gülen-Islamisten nun zur türkischen Zivilgesellschaft umfrisiert werden, kann die jahrelange linke türkische Opposition auch in Deutschland nicht mit so viel Milde rechnen. Die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem türkischen Justizapparat läuft vor und nach dem Putsch hervorragend. Sie baut auf eine lange Tradition, die in eine Zeit zurückreicht, als die AKP noch gar nicht gegründet war.

In der letzten Woche wurde erneut ein angeblicher Funktionär der kurdischen Arbeiterpartei PKK zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt[3]. Der deutsch-türkische Boxer Ismail Özen, der wegen seines Engagement für die türkisch-kurdische Zivilgesellschaft schon von türkischen Nationalisten Morddrohungen erhalten hatte[4], solidarisierte sich mit den Verurteilten[5].

Von Kretschmann und all denen, die jetzt so vehement für die Gülen-Bewegung eintreten, hörte man hingegen nichts. Auch im Münchner Prozess gegen 10 angebliche Mitglieder der kleinen kommunistischen Organisation TKP/ML[6] geht die Kooperation zwischen deutschen und türkischen Ermittlungsbehörden weiter. Viele der Angeklagten[7] waren bereits unter unterschiedlichen türkischen Regierungen in der Türkei verhaftet und wurden teilweise gefoltert.

Sie sind, wie die Ärztin Dilay Banu Büyükavci[8] seit Jahren in Deutschland integriert und die politische Organisation, der sie angehören sollen, ist hier auch nicht verboten. Die kritische Debatte über die Menschenrechtslage in der Türkei hat nicht dazu geführt, dass das Verfahren von einer größeren politischen Öffentlichkeit hinterfragt wird.

Auch die linke anatolische Band Grup Yorum[9] war bei einem Auftritt auf dem Fest der Kulturen im osthessischen Fulda mit ungewöhnlichen Auflagen konfrontiert[10].  So durften weder T-Shirts noch DVDs der Band verkauft oder durch Spenden weitergegeben werden. Auch eine Gage durfte der Band nicht gezahlt werden.

Solche Methoden kennt die Band bereits von Auftritten in Deutschland[11] und in ihrer türkischen Heimat. Nun ist diese Verfolgung gegen unterschiedliche Bestandteile der türkischen Opposition allerdings kein Einknicken vor Erdogan und der Türkei, wie es auch in Pressemitteilungen der Linken immer wieder behauptet wird.

Das Interesse an der Verfolgung dieser Gruppen und Personen teilt der deutsche Staat und seine Apparate mit den türkischen Behörden, egal welche Regierung gerade an der Macht ist.

Wenn eine Linke den Visumszwang verteidigt

Wie auch Politiker der Linken bei der Erdogan-Kritik die Menschenrechte instrumentell benutzen, zeigt eine Pressemitteilung der Bundestagsabgeordneten Sevin Dagdelen mit der markigen Überschrift Keine Visafreiheit für die Erdogan-Diktatur[12]. Wenn man über die inflationäre Verwendung des Diktaturbegriffs hinweg sieht, wäre es eine noch nachvollziehbare Forderung gewesen, Erdogan und seinen engsten Mitarbeitern kein Visum zu geben

Doch Dagdelen will die gesamte türkische Bevölkerung, also auch die Opposition bestrafen, in dem sie fordert, dass die nicht ohne Visa in die EU einreisen dürfen. Wäre es nicht für eine Partei, die die Bewegungsfreiheit hochhält, die logische Forderung, eine generelle Visafreiheit zu fordern?  Das würde auch den Oppositionellen eine Ausreise erleichtern, die nicht erst seit dem Putsch von Verfolgungen in der Türkei betroffen sind.

Dagdelen wird hier zum linken Feigenblatt all jener, die nicht Erdogan, sondern die türkische Bevölkerung als Gefahr für das europäische Abendland sehen. Wenn die Türken schon mal vor Wien gestoppt werden, können sie jetzt nicht einfach ohne Visa in die EU einreisen, lautet diese Logik.

Die Stunde der Realisten

Erdogan sucht sich derweil neue Bündnispartner und findet sie in Russland. Noch vor einigen Monaten, nach dem Abschuss eines russischen Militärflugzeugs, schien eine militärische  Auseinandersetzung zwischen den beiden Ländern nicht unwahrscheinlich. Die Position im Syrienkonflikt birgt noch immer Springstoff für das neue temporäre Bündnis.  Und die vereinigte Querfront gegen Erdogan gerät ins Wanken.

Während der CDU-Politiker Lamers mit weiteren Warnungen an Erdogan[13] eher das neue Bündnis beflügeln dürfte, scheint auch schon die Stunde der Vermittler gekommen zu sein, die davor warnen, dass der Westen es mit seinem Anti-Erdogan-Kurs übertreiben und sich selber schaden könnte.

Der Sozialdemokrat Gernot Erler sieht keine Gefahr eines neues Bündnisses Putin-Erdogan gegen die EU[14], ohne dass er diese Einschätzungen begründet. Er warnt vor Dramatisierungen und plädiert für realistische Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei.

Auch Erlers Parteifreund Bundesaußenminister Steinmeier mahnt zu Gelassenheit und umwirbt Erdogan mit dem zweifelhaften Kompliment, die Türkei sei ein wichtiger Nato-Partner[15]. Prompt schickte er seinen Staatssekretär als Vermittler nach Ankara[16].

Er soll verhindern, dass aus dem Streit zwischen dem Westen und der Türkei Putin-Russland als lachender Dritter hervorgeht. Denn, der Besuch Erdogans in Russland macht dem Westen eins klar. Die unipolare Welt existiert nicht und Erdogan und Co. haben so die Möglichkeit, aus der subalternen Rolle als Pforte also Torwächter der EU herauszukommen. Den Analysten wird klar, dass Erdogan durchaus Trümpfe in der Hand hat.

In die EU setzt die Mehrheit der türkischen Bevölkerung kaum Hoffnungen, sie ist auch schon lange nicht mehr Erdogans Ziel. Aber der Flüchtlingsdeal und die Nato sind den westlichen Eliten schon ein wenig Entspannung Richtung Erdogan wert.

Aus menschenrechtlicher Perspektive wäre der Kampf gegen den deutsch-türkischen Flüchtlingsdeal und für die Visafreiheit für die türkische Bevölkerung und natürlich die Unterstützung der demokratischen Oppositionellen aus der Türkei ein lohnendes Ziel. In die interessengeleitete Querfront gegen Erdogan, bei der es um Menschenrechte bestimmt nicht geht, muss sie sich dabei nicht einmischen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49082/2.html

Peter Nowak

Anhang

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Vorwurf „schwerer Landfriedensbruch“

JUSTIZ U-Haft nach Demonstration zur Rigaer Straße 94 – unverhältnismäßig, sagt Rechtsanwalt

„Freiheit für Aaron und Balu“ lautet eine Parole, die in den letzten Wochen vermehrt in Berlin auf Plakaten zu sehen ist. Bei den Namen handelt es sich um die Pseudonyme von zwei jungen Männern aus Wien und Münster, die seit knapp einem Monat in der Justizvollzugsanstalt Moabit in Untersuchungshaft sitzen. Aaron arbeitet im IT-Bereich und Balu ist Student. Verhaftet wurden sie am Rande einer Solidaritätsdemonstration Anfang Juli mit dem Hausprojekt Rigaer Straße 94 in Friedrichshain. Das Haus war damals teilweise geräumt worden. Ein Gericht hat die Maßnahme mittlerweile für rechtswidrig erklärt. BewohnerInnen und UnterstützerInnen hatten in der angespannten Situation unter der Parole „Investorenträume platzen lassen“ zu einer Demonstration durch Friedrichshain aufgerufen, an der sich etwa 4.000 Menschen beteiligt hatten. Dabei kam es an einigen Stellen zu  Auseinandersetzungen mit der Polizei. Am Rande der Demonstration wurden die beiden Männer festgenommen. Ihnen wird schwerer Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsrecht vorgeworfen. Belastet werden sie von PolizistInnen, die sie beim Werfen von Gegenständen gesehen haben wollen. Beim Haftprüfungstermin Ende Juli wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen möglicher Fluchtgefahr angeordnet. Doch Rechtsanwalt Nils Spörkel hat jetzt Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt, die er für unverhältnismäßig hält. „Es wäre wahrscheinlich keine U-Haft verhängt worden, wenn die beiden nicht bei einer Demonstration zur Rigaer  Straße 94 festgenommen worden wären, die in der Öffentlichkeit mit Randale verbunden wird“, meint Spörkel gegenüber der taz. Beide Beschuldigte sind nicht vorbestraft und haben einen festen Wohnsitz. Zudem würde nach der aktuellen Beweislage eine mögliche Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt, führt Spörkel Argumente für eine Freilassung von Aaron und Balu bis zum Gerichtsprozess an. Der soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft vor einem Schwurgericht stattfinden, was Spörkel als weitere juristische Verschärfung ablehnt. In einer gemeinsamen Erklärung haben die beiden Gefangenen die Fortdauer ihrer U-Haft als „Beweis für die politische Motivation unserer Inhaftierung“ bezeichnet. Eine Solidaritätsgruppe hat sich zur Unterstützung der beiden gegründet https://aaronbalu.blackblogs.org/.

aus Taz vom  9.8.2016

Peter Nowak

»Menschenrechte verletzt«

Jason Kirkpatrick im Gespräch über den Fall Mark Kennedy, der jahrelang die linke Szene ganz Europas ausspionierte.

Jason Kirkpatrick gehörte zum Freundeskreis eines linken Aktivisten namens Mark Stone. 2010 stellte sich heraus, dass Mark Stone in Wirklichkeit Mark Kennedy hieß und als Spitzel im Dienste der britischen Polizeibehörde Scotland Yard stand. Seitdem setzt sich Kirkpatrick mit anderen für die Aufarbeitung des Falls ein. Die Jungle World sprach mit ihm über den Stand des Verfahrens.

Warum planen Sie im Fall Mark Kennedy juristische Schritte, wie Sie kürzlich in einem Brief an das britische Innenministerium ankündigten?

Seit über einem Jahr untersucht in Großbritannien eine unabhängige Untersuchungskommission die Einsätze von Kennedy in der linken Szene. Allerdings soll die Kommission lediglich Kennedys Spitzeltätigkeit auf dem Gebiet von England und Wales untersuchen. Doch in meinem Fall fand der größte Teil der Ausforschungsarbeit des verdeckten Ermittlers in Schottland statt, während des dortigen G8-Gipfels 2005, sowie in Deutschland, bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. Ich habe die Ausweitung der Untersuchungen gefordert.

Bekommen Sie Unterstützung für diese Forderung?

Aus Deutschland setzen sich die Bundestagsgeordneten Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Andrej Hunko (Linkspartei) für die Ausweitung der Untersuchung ein. Auch das Bundesinnenministerium hat sich mit dieser Forderung an das britische Innenministerium gewandt. In Schottland und Nordirland wird ebenfalls die Ausweitung der Untersuchung gefordert – die Regierungen dieser beiden Landesteile des Vereinigten Königreichs haben sich dafür eingesetzt.

Gibt es Informationen über die Kontakte deutscher Geheimdienste oder Polizeibehörden zu Kennedy?

Durch eine Kleine Anfrage von Hunko wurde bekannt, dass es Verträge zwischen Kennedy und dem Landeskirminalamt (LKA) Baden-Württemberg anlässlich des Nato-Gipfels in Straßburg 2009 und dem LKA Mecklenburg-Vorpommern anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007 gegeben hat.

Ist das Ausmaß der Bespitzelung bekannt?

Demnächst wird eine Liste mit 460 Gruppen und Initiativen veröffentlicht, die im Fokus der Überwachung standen. Ich vermute, dass auch das deutsche Anti-G8-Netzwerk »Dissent!« darunter ist, wie auch Gruppen aus der Antiatom-, Antikriegs-, Antirassismus- und Klimaprotestbewegung in Deutschland.

Mehrere Frauen, mit denen Kennedy eine Beziehung eingegangen war, haben wegen sexueller Ausbeutung geklagt. Gibt es Ergebnisse?

Die Metropolitan Police erkannte an, dass er die Menschenrechte der Frauen verletzt hat, und entschuldigte sich. Außerdem bekamen die Klägerinnen Schmerzensgeld und Schadensersatzzahlungen, bis zu 500 000 Euro.

Gibt es Erkenntnisse über weitere britische Polizeispitzel?

Wir haben vor allem durch die Aussagen des Whistleblowers Peter Francis Informationen bekommen. Er war gemeinsam mit dem Spitzel Bob Lambert in den neunziger Jahren in der antifaschistischen Szene Bayerns unterwegs. Bekanntgeworden ist auch ein Polizeiagent mit dem Tarnnamen »Marco Jacobs«, der den Protest gegen das G8-Treffen in Heilgendamm infiltriert hat. Jacobs ist auch von mehreren Aktivistinnen verklagt worden.

Was werden Sie unternehmen, wenn Ihre Klage auf Ausweitung der Ermittlungen keinen Erfolg hat?

Eine Weigerung verstieße gegen mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention. Daher würde ich dann versuchen, bei einer höheren Instanz oder auf europäischer Ebene mein Recht durchzusetzen. Es gibt mehrere Mitglieder des Europäischen Parlaments, die sehr an unserem Fall interessiert sind.

http://jungle-world.com/artikel/2016/31/54580.html

Small Talk von Peter Nowak

Sollen Flüchtlinge aus Staatsraison in rechter Umgebung leben?