Die Linkspartei muss sich nach dem Aufstieg der AfD neue Strategien überlegen

Lager der Solidarität statt Bündnisse mit SPD und Grünen?

Wenn die beiden Vorsitzenden der Linkspartei Katja Kipping und Bernd Riexinger das Wort Revolution in die Debatte werfen, müsste das eigentlich die mediale Aufregung groß sein. Es ist schließlich erst einige Jahre her, dass die damalige Parteivorsitzende Gesine Lötzsch große Empörung auslöste, als sie über die Perspektive Kommunismus[1] auf einer öffentlichen Veranstaltung diskutierte (Der Weg zum Kommunismus wird weiter beschritten[2]).

Als Riexinger und Kipping unter dem Motto „Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie“[3] Vorschläge für die innerparteiliche Debatte vorlegten, dürften sie vielleicht sogar auf etwas Pressewirbel gehofft haben. Doch der hielt sich in engen Grenzen. Schließlich wird heute ja in Wirtschaft, Werbung und Kultur jedes Lüftchen zu einer Revolution hochgejazzt. Und auch Kipping und Riexinger wollten nun weder die Pariser Kommune noch den Roten Oktober 1917 wiederholen.

Allerdings wurde in der Erklärung deutlich hervorgehoben, dass die Linkspartei auf den Aufstieg der AfD nicht mit Anpassung an deren Programm reagieren darf, aber auch nicht deren Wähler pauschal als Rassisten abschreiben darf. In dem Text wird der sächsische Linksparteivorsitzende Rico Gebhardt[4] mit den Worten zitiert:

Den größten Beitrag, den wir als Linke gegenwärtig gegen den Rechtstrend leisten können, ist, wenn wir die Arbeiterschaft und die Arbeitslosen zurückgewinnen. Das ist eine soziale Herausforderung mit hohem antifaschistischem Effekt!Rico Gebhardt

Rico Gebhardt

Nun bestünde ja eigentlich die größte Frage darin, wie es der Linkspartei gelingen kann, Gewerkschaftsmitglieder, prekär Beschäftigte und Erwerbslose, die bei den letzten Wahlen für die AfD gestimmt haben, zurückzuholen, ohne deren Diskurse und Programmpunkte auch nur ansatzweise zu übernehmen. Zudem hat gerade Gebhardt in Sachsen bisher einen besonders ausgeprägten Mittekurs gefahren und seine letzte Wahlkampagne auf ein Bündnis mit SPD und Grünen ausgerichtet.

Dass diese Pläne an dem Wahlergebnis gescheitert sind, ist das eine. Damit ist kein Politikwechsel verbunden, wenn man nur die Tatsachen zur Kenntnis nimmt, dass es schlicht in noch mehr Bundesländern keine Grundlage mehr für ein sogenanntes rot-rot-grünes Bündnis, also die Koalition mit Linkspartei, SPD und Grünen, gibt.

Privatsphäre für Höcke oder auch für die Roma-Flüchtlinge?

Diese Tatsache zu benennen, ist für die Linkspartei sicher schmerzlich, weil sie ja erst im letzten Jahr ihren ersten Ministerpräsidenten Ramelow als Pilotprojekt ausgerufen hat. Wie die Grünen ihren Winfried Kretschmann zum politischen Rollenmodell aufbauen, wollten auch die Linken mit Bodo Ramelow ihren Kurs Richtung Mitte fortsetzen.

Dass Ramelow erst vor wenigen Tagen persönlich[5] eine geplante Demonstration[6] von Thüringer Antifaschisten vor dem Haus des AFD-Rechtsaußen Björn Höcke in die Nähe von Naziaktionen rückte[7], macht nur einmal mehr deutlich, dass Linken an der Regierung immer eine besondere Vorleistung an Anpassung abverlangt wird.

Wenn Ramelow sich um die Privatsphäre von Höcke mehr sorgt, als um die der Roma, die jahrelang in Thüringen lebten und abgeschoben[8] wurden, zeigt bei aller antirassistischen Rhetorik, dass auch der erste Ministerpräsident der Linkspartei die Rechte von Menschen, die in Deutschland leben, unterschiedlich gewichtet. Die durchaus diskutable Kritik, Proteste auch an die Privatadresse von Funktionsträgern aus Wirtschaft und Politik zu tragen, hätte nur dann Glaubwürdigkeit, wenn man den Menschen ohne deutschen Pass diese Privatsphäre auch ausdrücklich und explizit zubilligt. An solchen Fragen wird sich aber erweisen, ob die Bildung eines Lagers der Solidarität, das Kipping und Riexinger einfordern, mehr als ein Lippenbekenntnis ist.

Ein anderer zentraler Punkt ist der Umgang mit Grünen und SPD. Dazu werden in dem Papier Fakten benannt, die seit Jahren bekannt sind:

SPD und Grüne sind von sozialer Gerechtigkeit derzeit weiter entfernt als je zuvor, es gibt kein linkes Lager der Parteien mehr. Mehr noch: SPD und Grünen haben sich offenbar mit ihrer Rolle als Mehrheitsbeschaffer in einer „marktkonformen Demokratie“ (Merkel) abgefunden.Kipping/Riexinger

Kipping/Riexinger

Nur müsste dann die Frage kommen, hatte Rico Gebhardt in Sachsen und Wulff Gallert in Sachsen-Anhalt diese Rolle von SPD und Grünen vergessen, als sie unbedingt mit diesen Parteien die neue Regierung bilden wollten? Und wer sagt eigentlich dem Berliner Landesverband der Linkspartei, dass es kein linkes Lager gibt? Die will bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen nach den Wahlen in Berlin gerne wieder mitregieren, obwohl sie sich gerade erst von den Blessuren zu erholen beginnt, die sich die Partei beim Mitverwalten der kapitalistischen Krise in Berlin geholt hat. In der Erklärung aber, darüber darf das Gerede von einer Revolution nicht hinwegtäuschen, werden neue Regierungsbündnisse mit SPD und Grünen explizit nicht ausgeschlossen.

Von Sanders, Corbyn und Podemos lernen und Tsipras schon vergessen?

Dieser Kurs wird im letzten Abschnitt noch bekräftigt, wenn nun empfohlen wird, von Sanders und Corbyn zu lernen, die beide regieren wollen.

Podemos in Spanien hat zumindest zunächst eine totale Kapitulation abgelehnt, den die spanischen Sozialdemokraten ihr als Preis für eine Tolerierung abverlangen wollten. Nun muss sich zunächst zeigen, ob sie bei den Neuwahlen in Spanien gestärkt werden und so gegenüber den Sozialdemokraten legitimieren können. Werden diese doch wieder stärker oder gehen gar die spanischen Konservativen erfolgreich aus den Wahlen hervor, könnte der Druck auf Podemos wachsen, ihre Prinzipien über Bord zu werfen.

Hier kommen eben die Mechanismen einer Orientierung auf Wahlen zum Tragen, denen nur monolithische Parteien wie die Kommunistische Partei Griechenlands trotzen können. Die ist allerdings trotzdem nicht in der Lage, eine zeitgemäße linke Programmatik zu entwickeln und hat auch keine Strategie für einen außerparlamentarischen Kampf über Parteigrenzen hinweg. Podemos zumindest hat sich mit ihren Zugehen auf die alte Linke, der sie bei den letzten Wahlen noch die kalte Schulter gezeigt hat, als in bündnispolitischen Fragen flexibel erwiesen. Auffällig ist, dass Syriza und deren Vorsitzender nicht explizit als Vorbild die Linkspartei erwähnt wurden.

Schließlich waren er und seine Partei nach den Wahlen vom Januar 2015 für einige Monate der große Held. Hier greift eine Kritik des Publizisten Linkspartei-Politikers Dominik Heilig[9], der in einer Kolumne im Neuen Deutschland moniert[10];

Es ist ein wiederkehrendes Schauspiel, das die Linke in Europa von einer Euphorie zur nächsten Niederlage treibt. Mit großer Aufmerksamkeit werden emanzipatorische und progressive Phänomene wie die Indignados, Nuit debout oder die Regierungsübernahmen in Athen und Lissabon zur Kenntnis genommen und sogleich zu Vorbildern erklärt. „Man müsste“, „man sollte“, „so funktioniert es“, hallt es dann in vielen Papieren und auf Parteitagen. Selten aber gelingt die Übersetzungsleistung auf die eigenen gesellschaftlichen Problemstellungen.Dominik Heilig

Dominik Heilig

Wie organisiert man sich mit den Prekären?

Die zentrale Frage aber beantwortet auch er nicht. Wie kann sich eine Linkspartie mit Menschen organisieren, die in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen die AFD wählen? Schließlich ist nicht nur die Klassenlage und ihre soziale Situation entscheidend, sondern auch die Frage, wie die Menschen sich diese Lage erklären. Wer nun die AfD wählt, muss nicht zwangsläufig Rassist sein, aber doch zumindest Erklärungsansätze für akzeptabel halten, die auf Ausgrenzung und Hierarchisierung beruhen.

Wie aber passt das zu einer Linkspartei, die ihren Anspruch Ernst nimmt, soziale und politische Rechte nicht an Hautfarbe, Pass und Herkunft festzumachen? Das ist im Kern auch der Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, wenn man sie vom innerparteilichen Flügelstreit löst. Der drückt sich schon darin aus, dass Wagenknechts Äußerungen zur Obergrenze für Geflüchtete von Realpolitikern der Linkspartei heftig kritisiert werden, die sich nicht äußern, wenn in Thüringen Roma abgeschoben werden. Diese innerparteiliche Gemengelage hat der Publizist Raul Zelik im Neuen Deutschland so beschrieben[11]:

Parteilinke, die bisher v.a. für ihren Widerstand gegen falsche Kompromisse bekannt waren, pochen auf Realpolitik. Offene Grenzen seien unrealistisch, so sagen sie, wenn man nicht gleichzeitig den Kollaps des Sozialstaats in Kauf nehmen wolle. Ohne Umverteilung auf Kosten der Reichen werde die Zuwanderung nämlich die öffentlichen Haushalte überlasten und die Lebensverhältnisse der Unterschicht noch weiter verschlechtern. … Parteilinke, die bisher v.a. für ihren Widerstand gegen falsche Kompromisse bekannt waren, pochen auf Realpolitik. Offene Grenzen seien unrealistisch, so sagen sie, wenn man nicht gleichzeitig den Kollaps des Sozialstaats in Kauf nehmen wolle. Ohne Umverteilung auf Kosten der Reichen werde die Zuwanderung nämlich die öffentlichen Haushalte überlasten und die Lebensverhältnisse der Unterschicht noch weiter verschlechtern.Raul Zelik

Raul Zelik

Zuwanderung auch eine Klassenfrage

Zelik geht dann sowohl auf die Argumente derer ein, dass die Zuwanderung für unterschiedliche Menschen unterschiedliche Auswirkungen hat.

Für die Putzkraft oder den ungelernten Arbeiter auf dem Bau erhöht Zuwanderung den Druck auf das Lohnniveau – weswegen man in diesen Tagen auch so manche türkische Migrantin über die Einwanderung stöhnen hören kann. Für den urbanen Akademiker, der trotz seiner Projekt-Prekarität eigentlich ganz gut über die Runden kommt (falls der Hedonismus nicht zu teuer wird), stellt Migration hingegen sicher, dass die frisch zubereitete Kokos-Tofu-Suppe im Schnellrestaurant auch in Zukunft für fünf Euro zu haben ist. Im Segment der Medienkreativen wird die Konkurrenz durch ZuwandererInnen erst einmal überschaubar bleiben.Raul Zelik

Raul Zelik

Zudem warnt er auch vor manchen linken Romantisierungen, die in den Migranten das neue revolutionäre Subjekt erkennen wollen. Aber gerade daraus zieht Zelik nicht die Schlussfolgerung, dass nun auch Linke für Abgrenzung und Obergrenzen eintreten müssen.

Trotzdem bleibt richtig, dass die Vielen, die als „Schwarm“ der Migration ein besseres Leben suchen, Proletariat im Marxschen Sinne sind. Ihre Situation ist zu flüchtig und unsicher, als dass ein handlungsfähiges politisches Subjekt aus ihnen werden könnte, aber das ändert nichts dran, dass diese Vielen ein grundlegendes soziales Recht einfordern: die Teilhabe am längst global produzierten gesellschaftlichen Reichtum. Die einzige mögliche Antwort von links kann hier lauten: „Wir alle haben ein Recht auf ein gutes Leben und das können wir nur gemeinsam und organisiert erkämpfen.“Raul Zelik

Raul Zelik

Daraus zieht er aber auch sehr konkrete und praktische Schlussfolgerungen. Es gehe darum, sich mit den Migranten zu organisieren und mit ihnen für gleiche soziale und politische Rechte zu kämpfen. Das kann in einen Mietenbündnis ebenso passieren wie in Erwerbslosengruppen oder in einer Gewerkschaft. Am Ende bringt er ein sehr anschauliches Beispiel von einem Ortsverband der Linken: „Ein Ortsverband in einer kleinen, rechts dominierten Stadt wie Suhl (Thüringen) zum Beispiel: Die meisten hier sind ältere Frauen. Mit großen Zweifeln an sich selbst und ihrer Arbeit organisieren sie Erwerbslosenfrühstück, Ämterbegleitung, Flüchtlingssolidarität, Anti-Pegida-Proteste.“ Was Zelik hier andeutet, könnte die Leerstellen in den Parteierklärungen und Dokumenten füllen. Dort wird immer betont, die Partei müsse die Menschen im Alltag erreichen, müsse ihnen zeigen, dass die AfD keine Alternative ist. Das geht aber nur in konkreten Alltagskämpfen gegen Vertreibung und Zwangsräumung, gegen Dumpinglöhne, gegen Sanktionen in Jobcentern. In diesen Auseinandersetzungen agieren Betroffene unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Alter, ihrer Religion. Dort könnte auch ein AfD-Wähler erkennen, dass es solidarische Alternativen gibt, mit den Zumutungen des kapitalistischen Alltags umzugehen.

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48122/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2011/01-03/001.php

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/33/33986/

[3]

http://www.die-linke.de/nc/die-linke/nachrichten/detail/zurueck/nachrichten/artikel/revolution-fuer-soziale-gerechtigkeit-und-demokratie/

[4]

http://www.rico-gebhardt.de/

[5]

http://www.youtube.com/watch?v=ZEUPBjBVlJY

[6]

http://straighttohellbornhagen.wordpress.com/aufruf/

[7]

http://www.mdr.de/thueringen/ramelow-beschimpft-antifa-100.html

[8]

http://breakdeportation.blogsport.de/2016/01/17/pressemitteilung-von-roma-thueringen-zu-der-sammelabschiebung-vom-16-12-2015/

[9]

http://dominic.linkeblogs.de/

[10]

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1010099.man-muesste-reicht-nicht.html

[11] https://www.neues