Kein Kampf ohne Begriffe

Entwickeln, kapern, umdeuten – wie sich die extreme Rechte ihre Begrifflichkeiten zurechtlegt

Keine Zusammenarbeit mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) – das scheint zurzeit bis hin zum rechten Flügel der Union der öffentliche Konsens zu sein. Mit einer Abgrenzung von der Politik der AfD hat das aber wenig zu tun. Schließlich gab Franz-Josef Strauß, der Übervater der CSU, einst die Devise aus, rechts von seiner Partei solle »nur noch die Wand« sein. Das Entstehen einer rechten Konkurrenzpartei war Strauß zufolge am besten zu verhindern, indem man deren Positionen selbst vertrat.

Die Abgrenzung zur AfD und die Übernahme politischer Forderungen aus ihrem Programm sind also keines­wegs ein Widerspruch. Wer erkunden will, wie es um das Verhältnis zwischen AfD und Union steht, sollte sich daher nicht an den Abgrenzungsbekundungen der vergangenen Wochen orientieren. Aufschluss­rei­cher ist es, Überschneidungen zwischen den Äußerungen aus der AfD und der Union zu suchen.

Diesem Unterfangen widmen sich 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im »Handwörterbuch rechts­extremer Kampfbegriffe«, das im Wochenschauverlag veröffentlicht wurde. Das Buch ist Ergebnis einer Kooperation des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf. Beide Institutionen analysieren seit Jahren, wie Rechtsextreme Begriffe kapern und umdeuten, aber auch eigenständig entwickeln.

Anhand mancher Begriffe wird deutlich, dass die Schnittmengen von Teilen der Unionsparteien, aber auch der SPD mit der AfD größer sind, als die Abgrenzungen nach den jüngsten Wahlen vermuten lassen. Das wird schon angesichts des ersten in dem Buch behandelten Kampfbegriffs deutlich. Den in rechten Kreisen so populären Begriff der Achtundsechziger hat kei­nes­wegs die AfD erfunden. Bereits in den siebziger Jahren wurden die sogenannten Achtundsechziger von Konservativen für linke Gewalt, die freche, ungehorsame Jugend, Libertinage und vermehrten Drogenkonsum verantwortlich gemacht. Wenn sich heutzutage die AfD und rechtsextreme Websites wie Politically Incorrect des Feindbilds des Achtundsechzigers mit großer Freude bedienen, dann gibt es nur einen Unterschied: Mittlerweile wird den Unionsparteien vorgeworfen, vor den Achtundsechzigern kapituliert zu haben.

Auch auf den Begriff der »Deutschenfeindlichkeit«, mit dem suggeriert werden soll, die eigentlichen Opfer von Rassismus seien Deutsche, haben rechtsextreme Krei­se keineswegs das Copyright. Es war die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU), die in einem Interview mit der Welt im Juni 2010 sagte: »Auch Deutschenfeindlichkeit ist fremdenfeindlich, ja Rassismus.« Bereits 2009 hatte die Berliner Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) einen Artikel mit ähnlichem Tenor veröffentlicht, der in der Gewerkschaft für heftige Kritik sorgte. In dem Text, der sich mit Konflikten zwischen Schülern unterschiedlicher Herkunft befasste, wurde nichtdeutschen Jugendlichen unterstellt, sie betrachteten Deutschland als Beutegesellschaft und verachteten Deutsche. Der Politikwissenschaftler Bernhard Steinke, der den Beitrag zum Kampfbegriff Deutschenfeindlichkeit im »Handwörterbuch« verfasst hat, kritisiert hier vor allem, dass Mobbing und Diskriminierung mit Rassismus gleichgesetzt werden.

Zudem gehen die Autoren auch auf Begriffe ein, die von rechts gekapert und in ihrer Bedeutung verändert wurden. Dazu gehören die »Political Correctness« und der »Gutmensch«. Linke Satiriker bedienten sich der Begriffe vor zwei Jahrzehnten, um arrivierte und verbürgerlichte Linke zu verspotten. Mittlerweile sind die Worte zu recht­en Kampfbegriffen mutiert, mit denen alle belegt werden, die nicht der Meinung sind, dass Rechte eine Frage der Hautfarbe, des Geschlechts und der Herkunft sein sollten.

Der Begriff der Islamisierung diente säkularen Kräften ursprünglich zur Kritik an einem religiösen Macht­an­spruch. Erst im rechten Diskurs wurde die Islamisierung zu einer Bedrohung des Abendlands umgedeutet. Der Begriff des Abendlands selbst hat mit Pegida eine neue Renaissance erfahren. Dabei sind sich die Teilnehmer nicht einmal einig darüber, wer eigentlich zum Abendland gehört. Soll es etwa ein rein christliches oder ein jüdisch-christliches Abendland sein?

Der Verweis auf das jüdisch-christliche Erbe wird derzeit auch von manchen Rechtsextremen benutzt, um sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu immunisieren. Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz hingegen betont, der Begriff des Abendlandes sei lange zur Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden benutzt worden. Eine dritte Version des Abendlandes wird ausschließlich in neonazistischen Kreisen beschworen. Sie setzen sich für ein vorchristliches germanisches Abendland ein. Auf den Pegida-Aufmärschen drücken sich diese unterschiedlichen Vorstellungen vom Abendland darin aus, dass manche Teilnehmer mit christlichen Symbolen und andere mit dem Motto »Odin statt Jesus« aufmarschieren. Dazwischen tummeln sich manchmal noch einige Versprengte mit Israel-Fahnen.

Ausführlich setzen sich die Autoren auch mit antisemitisch codierten Begriffen auseinander. Besonders in den Beiträgen über rechte Kampfbegriffe zum Kapitalismus und zu den USA gehen sie darauf ein. So ist die »US-Ostküste« ein weit verbreiteter Code für die jüdische Weltverschwörung. Doch dieser Terminus wird auch in linken Kreisen unkritisch verwendet. So wurde im Neuen Deutschland Mitte März ein Buch des Autors Norbert Häring rezensiert, in dem dieser sich gegen die Abschaffung des Bargelds wendet. Der Rezensent schreibt: »Hinter der Verschwörung gegen das Bargeld sieht Häring ein Netzwerk, dessen Zentrum an der Ostküste der USA liegt, zu deren zentralen Figuren Summers, der US-Ökonom Ken Rogoff und EZB-Präsident Mario Draghi gehören. Diese seien in engen Seilschaften verbunden, wozu die Harvard-Gesellschaft, das MIT, die Group of Thirty, eine private Lobby­organisation der Finanzwirtschaft, die Bilderberg-Konferenz, Goldman Sachs, der Währungsfond und die Weltbank gehören.« Der Rezensent tadelt zwar milde, Häring hätte seine Behauptungen besser belegen sollen. Dass in dem kurzen Absatz gleich mehrere antisemitische Codes zu finden sind, scheint ihm aber nicht aufgefallen zu sein.

Ein solches Beispiel bestätigt die Autoren. Sie bemängeln, dass linke Kritik an Kapitalismus, Globalisierung und den USA häufig die Trennschärfe nach rechts vermissen lasse. Angesichts dessen ist es auch keinesfalls rätselhaft, dass ehemalige Wähler der Linkspartei zur AfD wechseln. Sie müssen dazu weder ihre Begrifflichkeiten noch ihre Vorstellungen ändern. Sie wählen die Partei, von der sie annehmen, dass sie ihre Ansichten am besten vertritt.

Peter Nowak