Ermutigung in Zeiten der Niederlage

Ältere Linke werden sich vielleicht noch an Fritz Güde erinnern. Er beteiligte sich Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts an Aktivitäten der osthessischen Linken, engagierte sich gegen die damals starke Neonazibewegung und war auch in antimilitaristischen Zusammenhängen aktiv. Nur wenige Menschen wussten, dass er sich nicht ganz freiwillig die osthessische Region ausgesucht war. Güde gehörte zu den politisch Verfolgten in der BRD der 70er Jahre. Wegen seiner kurzen Mitgliedschaft im maoistischen KBW hatte er 1974 Berufsverbot bekommen. Weil er an staatlichen Schulen keine Chance auf eine Anstellung mehr hatte, bewarb er sich an der Hermann-Lietz-Schule in Hohenwerda, wo er viele Jahre unterrichte. Die kleine linke Szene in Fulda gab ihm dann die Möglichkeit, sich neben seinen Beruf auch noch politisch zu engagieren.

Güde wurde 1935 in Baden geboren, war also kein 68er. Doch er gehörte zu dem Kreis der politischen Opponenten des Adenauer-Staates, die die Aufbruchsbewegung jener Zeit als Befreiung aus einem Klima der Restauration wahrnahmen. In einen Gastbeitrag gibt der emeritierte Politologe Georg Fülberth einen kurzen Überblick die über die alte Linke der Adenauer-Ära und ihre Verbindung zur Neuen Linken, die sich jenseits von Parteikommunismus und Sozialdemokratie positionierte. Fülberth datiert ihre Entstehungszeit auf den Zeitraum zwischen 1956 und 1959.

Nach seinen kurzen KBW-Intermezzo schloss er sich Güde keiner Partei mehr an, blieb aber ein entschiedener Linker in Abgrenzung zur Sozialdemokratie und Nominalsozialismus. Andres als viele seiner MitkämpferInnen hielt er sich auch von den Grünen fern. Lediglich in der der Grünen Partei nahestehenden Zeitschrift Kommune, die einst noch mit KBW-Geldern gegründet worden war, publizierte er mehrere Jahre. Sie gehörte zu den unterschiedlichen Zeitschriften und in Internetmagazinen, in denen Güde seine Texte zu Themen aus Politik, Gesellschaft und Kunst veröffentlichte.
Auswahl von Texten aus Kultur und Politik

Eine Auswahl von 26 Texten sind einen Buch versammelt, das zu Güdes 80ten Geburtstag in der Edition Assemblage erschienen ist. Herausgeber ist der Publizist Sebastian Friedrich, der Güde seit Jahren aus der gemeinsamen politischen Arbeit kennen und schätzen gelernt hat.

Oft sind es Bücher, Filme oder Theaterstücke, die Güde nicht nur rezensiert sondern mit seinem profunden Wissen auch in gesellschaftliche Zusammenhänge einordnet. Der erste dokumentierte Text widmet sich einem Buch, in dem Henning Böke den Maoismus nicht, wie heute üblich, in Bauch und Bogen verdammt, sondern bei aller Kritik in seinen historischen Kontext analysiert. Dabei verweist Güde auf den antiautoritären Geist der Kulturrevolution, die auch keine Ehrfurcht vor Politbüros und Parteifunktionäre hatte.

Ausführlich beschäftigt sich Güde in seinen politischen Essay mit der Zeitschrift Weltbühne, einer linksbürgerlichen Stimme, die am Ende der Weimarer Republik vergeblich die Arbeiterparteien SPD und KPD zur Einheitsfront gegen die Nazis aufrief. Güde verschweigt aber auch nicht, dass es auch vereinzelt Beiträge in der Weltbühne gab, die den italienischen Faschistenführer Mussolini lobten. Güdes Fazit ist dann auch durchaus kritisch: „So scharfsinnig in den letzten Heften der „Weltbühne“ 1932/33 die parlamentarischen Wege und Umschwünge der Nazis erkannt und beobachtet wurden, so wenig drangen sämtliche Schreiber ein in die ungeheure Massenbewegung des Faschismus, der alle Mitarbeiter – auch Hiller – dann in KZ oder Exil zum Opfer fallen sollte“ (S.91). In einen Artikel analysiert Güde den Weltbühne-Jahrgang 1932 und zeigt auf, wie sich der Aufstieg der Nazis auf die Zeitung auswirkte.

Dass Güde auch interessiert die aktuellr Populärkultur verfolgt, zeigt ein Text, der sich mit der Wandlung des Familienbildes in Fernsehserien der USA befasst. Sehr kundig ist auch sein Nachruf auf Heinrich Böll, über den schreibt. „Eine Seekarte hat er uns nicht hinterlassen, wohl aber die Kunst im Wellengang oben zu bleiben“. In einem Aufsatz wendet sich Güde gegen Versuche, Bert Brecht als eigentlich unpolitischen Schriftsteller darzustellen, der nie Marx gelesen habe und von den Kommunisten manipuliert worden sei. Der belesene Schreiber weist den Protagonisten der Anpassung Brechts an den Zeitgeist Jan Knopf nach, dass er Brecht noch einige Jahre zuvor als sozialistischen Erneuerer gefeiert hat. Ausführlich beschäftigt sich Güde mit Kurt Tucholsky und Walter Benjamin.
Kampf im Geist von Walter Benjamin

Ganz Im Duktus von Benjamin formuliert Güde auch seine Motivation beim Verfassen dieser Schriften. „Es muss im Bewusstsein der Niederlagen der Kampf angetreten werden, im schärfsten Blick auf die Entstellungen, die bisherige Revolutionäre sich antaten, um ein Jahr oder fünf Jahre oder gar zehn weitermachen zu können.“ Güde plädiert dafür, die Kämpfe für eine neue Gesellschaft auch in der Gewissheit zu führen, „dass unsere Züge nicht weniger entstellt, unsere Hände nicht weniger schmutzig sein werden, als die jener, die uns vorangingen“. Damit wendet sich der Autor gegen alle Illusionen, die neuen Generationen von GenossIinnen werden keine Fehler beim Kampf um eine neue Gesellschaft machen. Damit warnt er auch vor Hochmut gegenüber den VorkämpferInnen. Güdes Buch liefert in den Zeiten der Reaktion viel Stoff zum Nachdenken.
Peter Nowak

aus:  Fulda-Wiki

http://fuldawiki.de/fd/index.php?title=Fritz_G%C3%BCde
Fritz Güde

Umwälzungen

Schriften zu Politik und Kultur

Edition Assemblage, Münster 2015,

220 Seiten, 20 Euro

ISBN 978-3-942885-97-3 | WG 973

Wissenschaftler als prekärer Beruf

Unverwüstlich friedensbewegt

FRIEDENSBEWEGUNG An den traditionellen Ostermärschen nahmen in diesem Jahr mehr als 10.000 Menschen teil. DemonstrantInnen bekundeten Solidarität mit Geflüchteten

Mit einer zentralen Abschlusskundgebung in Frankfurt am Main sind am Montag die diesjährigen Ostermärsche der Friedensbewegung zu Ende gegangen. Weitere Aktionen gab es am Ostermontag unter anderem in Hanau, Marburg, Kassel, Hamburg, München, Nürnberg
und im Ruhrgebiet. Eine Kundgebung fand auch in Büchel in der Eifel vor dem Haupttor des Fliegerhorsts statt, wo die letzten in Deutschland stationierten Atomwaffen der USA vermutet werden. Insgesamt fanden über Ostern in mehr als 80 Städten Demonstrationen, Kundgebungen und Mahnwachen statt. Nach Schätzung des Sprecher des Frankfurter Ostermarschbüros, Willi van Ooyen, beteiligten sich bundesweit mehr als 10.000 Menschen. Damit habe es eine stärkere Beteiligung als im Vorjahr gegeben. An der Frankfurter Kundgebung nahmen rund 2.000 Menschen teil. Im gemeinsamen Ostermarschaufruf, aber auch in vielen regionalen Erklärungen wurde die Solidarität mit den Geflüchteten betont. Auf den diversen Veranstaltungen forderten RednerInnen einen Stop
der Waffenlieferungen und zogen eine Verbindung zur aktuellen Flüchtlingsdebatte. „Die Regierung schickt Waffen und Flüchtlinge kommen zurück“, sagte Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative gegenüber der taz. „Daher wäre ein Stopp aller Waffenlieferungen ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Fluchtursachen.“ Neben dem Protest gegen bundesdeutsche Rüstungsexporte stand auch die Forderung nach einer Verhandlungslösung im syrischen Bürgerkrieg und der Abzug sämtlicher Atomwaffen bei vielen Aktionen im Zentrum „Mit militärischen Mitteln kann kein nachhaltiger Frieden geschaffen werden“, zeigte sich
Philipp Ingenlauf von der Friedenskooperative überzeugt. Kritik von AntifaschistInnen gab es am Berliner Ostermarsch vom Samstag, weil sich unter den rund 1.600 TeilnehmerInnen auch AktivistInnen der sogenannten Friedensmahnwachen befanden. Ihnen wird eine
Nähe zu verschwörungstheoretischen und antisemitischen Erklärungsansätzen vorgeworfen. An der Vorbereitung des Ostermarsches
waren sie allerdings nicht beteiligt.

aus Taz-Inland vom 29.03.2016

http://www.taz.de/Ostermaersche-der-Friedensbewegung/!5286992/

Peter Nowak

Bei lebendigem Leib – Widerstand gegen Isolationshaft in der Türkei

„Während physische Folter Kennzeichen von Diktaturen ist, charakterisiert Isolationshaft Staaten mit demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassungsgrundsätzen. Europäische und lateinamerikanische Länder haben die Praxis der Isolationshaft von der BRD übernommen“, schreibt der Publizist Niels Seibert.

Spanien baute bereits in den 1980er Jahren Isolationsgefängnisse à la Stammheim. Auch dort war die Einführung der Isolationshaft von teilweise heftigem Widerstand der Gefangenen begleitet. In Deutschland führten Gefangene der RAF, aber auch anderer linken Gruppen lange Hungerstreiks gegen die Isolationshaft durch. Daneben gab es außerhalb der Gefängnisse linke Bündnisse, die den Kampf gegen die „Isolationsfolter“ genannten Haftbedingungen führten. Staatliche Stellen begegneten diesen Initiativen mit massiver Repression. Es reichte in den 1970er und 1980er Jahren schon,…

„Bei lebendigem Leib – Widerstand gegen Isolationshaft in der Türkei“ weiterlesen

F-Typ-Zellen sind ein deutscher Repressionsexport

Seit die  türkische Regierung wiederr verstärkt mit Militär und schweren Waffen gegen die Bevölkerung in Kurdistan vorgeht, wächst auch unter Oppositionspolitiker*innen und bei zivilgesellschaftlichen Gruppen in Deutschland die Kritik an denWaffenexporten aus der BRD an das Land am Bosporus. So schreibt die antimilitaristische Initiative Aufschrei: „Die deutsche Bundesregierung genehmigte laut der CAAT-Datenbank zwischen 2001 und
2012 Rüstungsexporte in die Türkei im Wert von fast zwei Milliarden Euro.Deutschland lieferte damit in diesem Zeitraum von allen europäischen Ländern die meisten Kriegswaffen an die Türkei. “ Der Umfang der Waffenlieferungen hat sich seitdem nicht verringert. So wichtig es ist, den deutsch-türkischen Waffenexport zu thematisieren und zu kritisieren,so verwunderlich ist es, dass ein anderer Repressionsexport aus Deutschland in die Türkei kaum mehr erwähnt wird. Dabei können davon auch viele Oppositionelle betroffen sein, wenn sie, was häufig vorkommt, verhaftet werden und manchmal für längere Zeit in den Gefängnissen der Türkei verschwinden. Dann kann es ihnen passieren, dass sie mit einem besonderen deutschen Exportprodukt unfreiwillige Bekanntschaft machen: denIsolationsgefängnissen.
Stammheim am Bosporus
Vor mehr als 15 Jahren war das Thema dieses Isolationshaftexports in kleinerenTeilen der Linken in Deutschland ein  Thema. Es gab zahlreiche Delegationen in die Türkei, an denen auch ehemalige politische Gefangene aus der BRD sowie Jurist*innen teilnahmen. Es war die Zeit,als in der Türkei die so genanntenF-Typ-Zellen gegen den heftigen Widerstand Tausender politischer Gefangener eingeführt wurden. Die offizielle Begründung basierte darauf, dass in den altenGefängnistypen Mafiastrukturen entstanden seien, durch die Leib und Leben der Gefangenen akut gefährdet wären. Die neuen Isolationszellen sollten dagegen Schutz bieten. Die Gefangenen dagegen befürchteten, durch die Isolation mehr als bisher den Foltermethoden der Gefängnisaufsicht zu unterliegen. Der Berliner Rechtsanwalt Volker Gerloff, der vom 14. bis 17. September 2001 an einer Delegationsreise in die Türkei teilnahm,die sich über die F-Typ-Zellen informierte, hatte Gelegenheit, Einblick in das Handbuch der türkischen Gefängniswärter*innen zu nehmen. Dort ist zu lesen: „Terroristen [politische Gefangene] sollen nicht miteinander kommunizieren. Dennwenn ein Terrorist nicht kommuniziert,dann stirbt er wie ein Fisch an Land“. Die sinnliche Wahrnehmung der Häftlingewird auf ein Minimum begrenzt. Diemenschlichen Sinne liegen brach, wodurch eine enorme psychische und physische Belastung erzeugt wird. Genau diese Erfahrungen mussten politische Gefangene aus unterschiedlichen linken Zusammenhängen der BRD bereits in den1970er Jahren machen. Damals einte der Kampf gegen „Isolationsfolter“ weite Teile der breitgefächerten Linken.

aus.  Sonderausgabe der Roten Hilfe zum Tag des politischen Gefangenen 2016

http://rotehilfegreifswald.blogsport.de/images/Beilage18316.pdf
Peter Nowak

Lehrerjahre sind keine Herrenjahre

Ob Integrationslehrer oder studentische Hilfskraft – Bezahlung und Arbeitsbedingungen im Bildungsbereich sind oft miserabel. Gewerkschaften und Bildungsarbeiter wollen das ändern.

Zurzeit sind Deutschlehrerinnen und -lehrer sehr gefragt. Schließlich muss seit zehn Jahren jeder Geflüchtete in Deutschland obligatorisch einen Integrationskurs »Deutsch für Zuwanderer« belegen. Doch die Lehrenden klagen über geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen. Von einem Honorar von etwa 20 Euro pro Stunde müssen sie auch ihre Kranken- und Rentenversicherung vollständig selbst finanzieren. Urlaubsgeld erhalten sie nicht. Wenn sie krank sind, müssen sie einen Verdienstausfall hinnehmen. Bei befristeten Verträgen gibt es zudem keinen Kündigungsschutz.

»Integration nicht zum Hungerlohn« hieß deshalb das Motto einer Kundgebung von ungefähr 150 Integrationslehrern vor zwei Wochen vor dem Bundesinnenministerium, zu der die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gemeinsam aufgerufen hatten. Nicht nur in Berlin wächst der Unmut der Lehrenden, die häufig noch mit Hartz IV aufstocken müssen, weil sie zu wenig verdienen. Am 15. März gingen in Osnabrück ebenfalls Integrationslehrer auf die Straße.

Viele Deutschlehrer wollen den ihnen aufgezwungenen Status als Selbstständige loswerden und fordern tariflich bezahlte Arbeitsplätze. »Wir sind keine Unternehmertypen, sondern Lehrer und wollen auch so behandelt werden«, wurde Georg Niedermüller, Mitbegründer der »Initiative Bildung prekär«, im Herbst auf Spiegel Online zitiert. In dieser Initiative haben sich Lehrkräfte verschiedener Richtungen zusammengeschlossen, die sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und Niedriglöhne wehren wollen. Das ist auch das Anliegen des „Netzwerkes prekäres Wissen“ , die kürzlich eine Honorartabelle für Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen veröffentlicht. Dazu sammelte sie über 60 typische Beispiele von Honoraren, die Bildungsträger und wissenschaftliche Institutionen in den vergangenen Jahren gezahlt hatten. Sie ermittelte zudem, welcher häufig unbezahlte tatsächliche Arbeitsaufwand für die jeweiligen Aufträge nötig gewesen war, und errechnete so aus dem offiziellen Honorar den tatsächlichen Bruttostundenlohn der meist freiberuflich Tätigen. In über 20 Fällen lag dieser tatsächliche Stundenlohn unter dem Mindestlohn von 8,50 Euro. An der Leipziger Universität und der Freien Universität Berlin (FU) gab es sogar Lehraufträge ganz ohne Bezahlung.

Im Wissenschaftsbereich sind Niedriglohn und schlechte Arbeitsbedingungen, auch im Mittelbau, völlig üblich, wie die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) in einer Stellungnahme vom Februar 2016 feststellte. Sie sieht die prekären Arbeitsbedingungen als Folge eines »akademischen Kapitalismus«, der durch eine Unterfinanzierung der Hochschulen und einen verschärften Wettbewerb um Forschungsgelder gekennzeichnet ist.

Auf einer Fachtagung der DGS diskutierten Gewerkschafter und Wissenschaftler Ende Februar über das Thema »Wissenschaft als prekärer Beruf«. Die Bestandsaufnahme war niederschmetternd: So haben die ungefähr 6 000 wissenschaftlichen Hilfskräfte an Berliner Hochschulen seit 2001 keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Das Weihnachtsgeld hat der Berliner Senat 2004 gestrichen. 2011 mussten GEW und Verdi die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag ergebnislos abbrechen, weil es nicht gelungen war, den nötigen politischen Druck zu erzeugen. In nächster Zeit wollen beide Gewerkschaften gemeinsam mit politisch engagierten Studierenden aus sämtlichen Berliner Hochschulen einen neuen Anlauf für den Kampf um einen Tarifvertrag nehmen. Als erster Schritt wurde eine Umfrage begonnen, mit der ermittelt werden soll, welche tariflichen Forderungen den studentischen Hilfskräften wichtig sind. Zu Beginn des neuen Semesters sollen verstärkt neue Gewerkschaftsmitglieder geworben werden. Darin sehen beide Gewerkschaften die Voraussetzungen, um eine lange, vielleicht mit Streiks verbundene Tarifauseinandersetzung erfolgreich zu bestehen. Schließlich war es in den achtziger Jahren erst nach einem langen Arbeitskampf möglich, Tarifverträge für studentische Hilfskräfte abzuschließen. Beide Gewerkschaften und die Studierenden sind sich einig, dass die Selbstorganisierung der Hilfskräfte die Grundlage des Erfolgs ist. »Eine solche Kampagne steht und fällt mit der Bereitschaft der studentischen Beschäftigten, sich aktiv einzubringen und gewerkschaftlich zu organisieren«, heißt es auf der Homepage der GEW.

Derweil werden schon Bündnispartner unter den unterschiedlichen prekären Beschäftigtengruppen an den Hochschulen gesucht. Dass nicht nur wissenschaftliche Mitarbeiter von schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind, zeigt der Kampf der Beschäftigten des Botanischen Gartens Berlin gegen Dumpinglöhne und Outsourcing. Ein Teil der Belegschaft arbeitet für die FU, zu der der Garten gehört. Der andere Teil wurde beim Tochterunternehmen »Betriebsgesellschaft für die Zentraleinrichtung Botanischer Garten und Botanisches Museum« angestellt. Beide Gruppen machen die gleiche Arbeit, doch die Ausgegliederten erhalten bis zu 42 Prozent weniger Lohn. Seit über einem Jahr kämpfen Beschäftigte des Botanischen Gartens für das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit«. Mittlerweile haben sie zwei erfolgreiche Warnstreiks organisiert. Weil die Ankündigung so kurzfristig war, konnte die FU die Streikenden nicht ersetzen. So kamen Besucher während des ersten Streiktags in den Genuss des freien Eintritts.

Die Beschäftigten des Botanischen Gartens haben für ihren Widerstand gegen das von der Universitätsleitung favorisierte Outsourcing Unterstützung von einem Bündnis, das von linken Studierendengruppen über die Berliner Gruppe gegen Arbeitgeberunrecht bis zur antikapitalistischen Ini­tiative »Klassenkampfblock« reicht. Kürzlich hat sich ein Solidaritätskreis gegründet, an dem Studierende, studentische Hilfskräfte und Wissenschaftler aus mehreren Berliner Hochschulen beteiligt sind. Denn ein Erfolg im Botanischen Garten wäre auch eine Ermutigung für die prekären Wissenschaftler.

http://jungle-world.com/artikel/2016/12/53713.html

Peter Nowak

Leben im Belagerungszustand?

Schon wird diskutiert, ob islamistische Anschläge bald zu unserem Alltag gehören. Das würde allerdings auch das Ende von Datenschutz und Liberalisierungsbemühungen in der Innenpolitik bedeuten

Nur wenige Wochen liegen zwischen den islamistischen Anschlägen in Paris und Brüssel. Aber die öffentliche Aufnahme scheint sich zu verändern. Die Sondersendungen und Brennpunkte zu den Anschlägen in Brüssel waren im Vergleich zu Paris zurückgefahren. Man war sichtlich bemüht, eine Unterbrechung des Alltags gar nicht erst zuzulassen. Ob das an der im Vergleich zu Paris geringeren Opferzahlen lag? Oder wollte man kurz vor Ostern keine Einbrüche im Feiertagsgeschäft riskieren?

Wenn der Terror in den Alltag einzieht

Möglich wäre auch eine Gewöhnung, die nach einem perfiden Mechanismus funktioniert. Ein islamistischer Anschlag ist nur dann eine größere Aufmerksamkeit wert, wenn er mehr Opfer als der vorherige Anschlag verursachte oder das Objekt der Aktion besonders spektakulär  ist. Das würde wiederum die Islamisten herausfordern, Anschläge mit noch mehr Opfern zu inszenieren. Schließlich kommt es ihnen auf den öffentlichen Effekt an.

Die Frage der Gewöhnung an den islamistischen Terror stand dann auch im Fokus mehrerer Zeitungsbeiträge. In der linksliberalen Taz[1] stellte Jagoda Marinic die Frage:

Allmählich zieht der Terror ein in das alltägliche Leben Europas. Kann man sich daran gewöhnen? Und ist das vielleicht sogar gut?

Im Text beschreibt die Autorin, dass das einzig Gute in diesem Horrorszenario darin bestehe, nicht schon vor den Anschlägen an Angst zu sterben.

Das Ereignis ist der allmähliche Einzug des Terrors in das alltägliche Leben Europas zwischen den Terrorakten. Ein Prozess, der allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz, die Kampfzonen ausweitet: das Publizieren, das schöne Leben, das freie Bewegen, kurzum: das öffentliche Leben.

Regelmäßige Angriffe auf das Leben, das Europa lebenswert macht, bis alle Bürger vergiftet sind. Das ist der Plan. Kumulative Traumatisierung. Keine Zeiten mehr, in denen wir uns sicher genug fühlen können, um zu vergessen. Ein Anschlag, ein Trauma reiht sich an das andere.

Das Gute an der Regelmäßigkeit: Man entwickelt eine Strategie im Umgang damit. Das Schlechte daran: Die Überlebensstrategie ist meist nicht die beste Lebensstrategie. Und wenn wir irgendwann nicht mehr wissen, wie sich das Leben vorher angefühlt hat, dann wird es auch immer schwieriger, dieses Leben wiederherzustellen.

Während Marinic im Text viele Argumente aufzählt, warum eine Gewöhnung an den Terror eine Kapitulation vor den Islamisten wäre, reagiert ein Kommentator des rechtskonservativen Bielefelder Westfalenblattes ganz anders[2]: „Ja, weil uns nichts anderes übrig bleibt“, heißt es dort.

Warum konservativen Kreisen eine Gewöhnung an den alltäglichen Terror leichter als Liberalen fällt, ist nicht schwer zu erklären. Eine Gesellschaft, die im Alltag mit dem Terror konfrontiert ist, muss sich von Datenschutz und ganz vielen anderen Bestimmungen und Regelungen verabschieden, für die sich Liberale seit vielen Jahren stark gemacht haben.

Wo ständig und überall ein Anschlag befürchtet werden muss, stehen Sicherheitserwägungen an erster Stelle. Da wird schnell selber zum Sicherheitsrisiko, wer da noch auf dem Recht auf die eigenen Daten besteht. Erinnerungen an die 1970er Jahre werden bemüht[3], als linke Guerillagruppen aktiv waren.

Allerdings können die islamistischen Anschläge eher mit der Terrorkampagne von Faschisten beispielsweise in Italien verglichen werden, die wahllos Menschen vor einer Bank oder einen Bahnhof im Bologna tötete. Diese Anschläge werden oft mit einer Geheimdienststrategie der Spannung in Verbindung gebracht, mit der eine Regierungsbeteiligung der italienischen Kommunsten verhindert werden sollte. Dabei ist bis heute nicht restlos geklärt, was hierbei auf Fakten beruht und was in die Richtung von Verschwörungstheorien tendiert.

Bei den islamistischen Anschlägen hingegen wäre die Strategie der Spannung erreicht, wenn in europäischen Ländern der Kulturkampf erwidert wird und man sich so auf das Terrain der Islamisten begibt. Da sich in vielen Ländern konservative Kulturkämpfer schon mal warmlaufen und in den USA mit Trump sogar einer von ihnen Präsident werden könnte, ist es nicht so unwahrscheinlich, dass die Kriegserklärung der Islamisten gerne angenommen wird. Dann wäre die angebliche Gewöhnung an den Terror auch ein Einschwören auf den Sicherheitsstaat und den Krieg.

Modell Israel – die Zukunft Europas?

Seit den Anschlägen von Paris wird häufiger Israel als mögliches Modell für ein zukünftiges Europa angeführt. Tatsächlich ist das kleine Land seit Jahren mit Terrorattacken nicht nur aus der islamistischen Ecke konfrontiert. Der Publizist Alex Feuerherdt  rät[4], Israel auch deshalb zum Modell zu nehmen, weil sich die Gesellschaft trotz der ständigen Attacken ein öffentliches Leben und auch eine gewisse Liberalität bewahrt habe. Feuerherdt schreibt:

Doch aus Israel lässt man sich in Europa nur äußerst ungern etwas sagen. Dabei lohnt sich der Blick dorthin, auch in Bezug auf die Frage, wie man im jüdischen Staat mit dem Terror umgeht. Man weiß dort, dass er sich nicht besiegen lassen wird, weshalb es in erster Linie darum geht, die Probleme und Schwierigkeiten, die sich aus ihm ergeben, zu meistern und mit ihnen zu leben. Und das heißt nicht zuletzt, so viel Sicherheit wie möglich zu gewährleisten, ohne die Freizügigkeit allzu sehr einzuschränken und ohne die Bürgerrechte zu verstümmeln.

Tatsächlich funktioniert in Israel die bürgerliche Gesellschaft trotz der Terrorattacken noch. Allerdings sind die Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen groß und wären, auf Europa angewandt, ein Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik.

Die Reaktionen von Politikern fast aller Parteien auf die Anschläge gehen in diese Richtung. Pläne, die schon vor Jahren entwickelt wurden, aber wegen heftigen Widerstand nicht durchgesetzt werden konnte, wurden schon wenige Stunden nach den Anschlag wieder aus den Schubladen geholt. Vor allem die Vernetzung der europäischen Datenbanken steht auf der Tagesordnung der Sicherheitspolitiker. Die Pläne sind schon mehrere Jahre alt und nun wird ein günstiger Zeitrpunkt abgewartet.

Brüssel und das Versagen des autoritären Sicherheitsstaates

Dabei zeigt gerade das Beispiel Brüssel, wie alle Konzepte des starken Staates versagen. Die Stadt und ihre Stadtteile mit mehrheitlich moslemischer Bevölkerung standen nach den Pariser Anschlägen im Fokus des öffentlichen Interesses und der polizeilichen Ermittlungen. Für mehrere Tage war in den letzten Monaten das öffentliche Leben in Belgien wegen Terrorwarnungen lahmgelegt.

Dass die Anschläge trotzdem nicht verhindert werden konnten, zeigt das Versagen des autoritären Sicherheitsstaates, wie ihn der rechtskonservative belgische Innenminister vertritt. Dieses Versagen böte die Chance, den Fokus in dieser Debatte zu verändern. Das Narrativ von den islamistischen Anschlägen, die von außen in die europäischen Metropolen getragen werden, ist offensichtlich mangelhaft, vielleicht sogar falsch. Der Philosoph Alain Badiou will den islamischen Terror weniger mit alten Schriften und Ereignissen im Nahen und Fernen Osten, sondern mit der kapitalistischen Krise verkoppeln[5].Nach den Anschlägen von Paris erklärte[6] er:

Der 13. November 2015 hat seine Ursachen in der neoliberalen Entfesselung des Kapitalismus, die den Kapitalismus wieder das hat werden lassen, was er seinem innersten Wesen nach ist: eine Potenz der verheerenden totalen Destrukturierung von Gesellschaften und Menschen.

Badiou richtet den Blick auf die Stadtteile, in denen die Menschen lebten, die zu islamistischen Attentäter wurden. Das waren eben nicht Staaten des Nahen Ostens, sondern französische und belgische Vorstädte. Dieser Ansatz hat viele Momente der Wahrheit für sich. Statt einer Koranexegese sollte man vielleicht darüber nachdenken, wie die Krise der kapitalistischen Verwertung Schneisen der Verwüstung bei den Menschen hinterlässt.

Einige finden ihre politische Heimat in extrem rechten Gruppen, andere bei islamistischen Rackets. Gerade das Beispiel Belgien zeigt wieder einmal, dass es hierbei nicht um Religion und den Koran geht. Einige der Täter waren als Kriminelle bekannt, nicht aber als radikale Moslems.

Der Fokuswechsel könnte auch Hinweise auf eine Bekämpfung des Islamismus geben. Dann wäre es tatsächlich die wichtigste Aufgabe, in den betroffenen Stadtteilen, Strukturen aufzubauen, die eine emanzipatorische Lösung möglich machen.  Das wäre auch eine Alternative zum Akzeptieren des alltäglichen Terrors.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47795/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.taz.de/!5286625

[2]

http://www.westfalen-blatt.de/Ueberregional/Meinung/2311061-Kommentar-zur-Terrorgefahr-Muessen-wir-uns-an-den-Terror-gewoehnen-Ja

[3]

http://www.watson.ch/International/Wissen/165667908-Wir-sollten-uns-an-den-Terror-gew%C3%B6hnen–aber-das-k%C3%B6nnen-wir-nicht

[4]

http://www.achgut.com/artikel/wie_israel_mit_dem_terror_umgeht

[5]

http://www.taz.de/!5254955/

[6]

http://www.uisio.com/alain-badiou-on-terrorism-and-global-capitalism

Globales Filmfestival aktivierte

Ort politischer Diskussion und Vernetzung wird gebraucht

Widerstand gegen soziale und politische Unterdrückung, aber auch Handlungsmodelle für eine solidarische Welt waren der rote Fadender 47 Filme aus 27 Ländern, die dasGlobale Filmfestival vom 28. bis 31.Januar im Berliner Kino Moviemento präsentierte. Das Festival wurde 2004 von politisch engagierten Cineasten gegründet. Damals mobilisierte dieglobalisierungskritische Bewegung
viele Menschen gegen die Auswirkungen des Kapitalismus. Auch wennvon so spektakulären Widerstands­formen heute wenig zu hören ist,gibt es vielfältige Proteste, die sichauf der »Globale« nicht nur in Filmen, sondern auch in Diskussionen und einem Workshop zeigten. So thematisierte der Film »Miete essen Seeleauf« den Mieterwiderstand rund umdas Kottbuser Tor in Berlin­Kreuzberg. Die aufgebaute Protesthütte – nachtürkischem Vorbild Gececondo ge­nannt – wurde zur Anlaufstelle fü rMietrebellen aus ganz Berlin. Den Film drehte Regisseurin und Kotti­-Anwohnerin Angelika Levi. Nach der Vorführung berichtete Hans Georg Lindenau über die drohende Zwangsräumung seines Kreuzberger Ladens. Im Film „Rebellisches Schlesien« wurde die bewegte Geschichte der sozialen Kämpfe in der polnischenProvinz vorgestellt. Er soll nach sei­ner Polen­Tournee am 12.4. um  Berliner um 19 Uhr Kino Lichtblick  anlaufen.Um einen aktuellen Arbeitskampfging es im Workshop, den BärbelSchönafinger von der Onlineplatt­form Labournet.TV (de.labournet.tv/)vorbereitete. Beschäftigte von polnischen und deutschen Amazonstandorten sowie Streik­Aktivisten berichteten über die Perspektiven des langwierigen Arbeitskampfes. Betriebs­ratsmitglied Carsten Elmer aus Brie­selang gab Auskunft zu schwierigenOrganisationsversuchen in dem Werk.Erfolgreicher sind Kollegen in Poznan.Schon kurz nach Werkseröffnungwar dort eine Gruppe von Gewerk­schaftern entstanden, die bereits zweimal Solidaritätsaktionen orga­nisierten, als an Amazon­-Standorten in Deutschland gestreikt wurde.Gleich sieben Vertreter waren ausPolen gekommen, um mit den deutschen Amazon­-Kollegen über die bessere Koordination der Kämpfe zu beratschlagen. So hat sich das diesjährige Globale­Filmfestival einmal mehr als Ort politischer Diskussion und Vernetzung erwiesen, den wir weterhin brauchen.

aus Sprachrohr: 1/2016

http://dju-berlinbb.verdi.de/++file++56ded5a8890e9b3d6e001946/download/SPR_01_2016_neu.pdf
PETER NOWAK

Aufstand der Unsichtbaren?

Zum Aktionstag am 1. März

„Invisible  Care Work“ und „Migrants without Labour Rights“ ist auf den bunten Schirmen zu lesen, die Lucia aufgespannt hat. Sie gehört zu den „Migrant Strikers“, einer Gruppe von italienischen ArbeitsmigrantInnen in Berlin, die am  1. März, einen Internationalen Aktionstag gegen Grenzregieme und Prekarisierung einen Spaziergang durch das Berlin der migrantischen Arbeit organisierte.

Beschlossen  wurde  die diesjährige Aktion   auf einer Konferenz, die unter dem Motto  „Dem transnationalen Streik  entgegen“, im Oktober 2015 im polnischen Poznan  stattgefunden hat. An ihr haben BasisgewerkschafterInnen  und außerparlamentarische Linke aus verschiedenen europäischen Ländern teilgenommen (siehe Express 11/2015). Stattgefunden haben Aktionen in Österreich, Frankreich, Italien, Schweden, Großbritannien, Poleln, Schottland und Slowenien. In Deutschland    beteiligten sich Gruppen in Dresden und Berlin an den Aktionstag.

In Berlin wurde er neben den Migrants Strikers auch von dem Oficina Prekaria unterstützt, in dem spanische MigrantInnen organisiert sind. Auch polnische Gruppen und die Blockupy-Plattform waren an der Vorbereitung beteiligt.  Ca. 100 Menschen haben sich am Potsdamer Platz eingefunden, darunter auch eine Sambagruppe, die musikalisch für Stimmung sorgt. Einige AktivistInnen mit Clownsmasken fragen PassantInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Die meisten schweigen. Vor dem Eingang der Mall of Berlin wird in einem Beitrag der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) an die acht rumänischen Bauarbeiter erinnert, die nun seit mehr als 15 Monaten um den ihnen vorenthaltenen Lohn kämpfen. Trotz zahlreicher Protestveranstaltungen, juristischer Klagen und gewonnener Prozesse haben sie bis heute kein Geld erhalten. Denn das juristische Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Zudem hat eines der beteiligten Subunternehmen Metatec  mittlerweile Insolvenz angemeldet.  „Was in der letzten Zeit fehlt, ist eine kritische Öffentlichkeit, die solange vor dem Eingang der Mall of Berlin protestiert, bis die Kollegen ihren Lohn bekommen haben“, erläutern die KollegInnen der FAU.

An der zweiten Station vor einem Gebäude der HistorikerInnenfakultät der Humboldt-Universität sprechen KommilitonInnen über prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Sie  sind Teil einer von verdi und GEW unterstützten Initiative, die eine Kampange für einen neuen einen Tarifvertrag für die ca.6.000 studentisch Beschäftigen an allen  Berliner Hochschulen fordern. Der aktuelle Tarifvertrag ist seit mehr als 10 Jahren nicht mehr verändert worden. Seit 2001 gab es keine Lohnerhöhung mehr.  Vor dem Jobcenter in der Charlottenstraße sprechen dann VertreterInnen der Erwerbsloseninitiative „Basta“ über Widerstand gegen Sanktionen und Schikanen. Auf dem Weg nach Kreuzberg wird in Kurzbeiträgen an die Beschäftigten in den zahlreichen Restaurants erinnert: „Die Gastronomiebranche ist ein zentraler Motor der prekären migrantischen Arbeit in Berlin“, meint Nicola von den Migrant Strikers. Pablo vom „Oficina Precaria Berlin“, in dem sich ArbeitsmigrantInnen aus Spanien koordinieren, zeigt sich mit dem Ablauf des Spaziergangs zufrieden. „Wir hatten nur einen knappen Monat Vorbereitungszeit und haben unterschiedliche Gruppen prekär beschäftigter KollegInnen erreicht“. Dazu gehören auch die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der FU Berlin. Sie wehren sich gegen Outsourcing und haben mit einen Banner der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an dem Spaziergang teilgenommen. Erwin von der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren Krisenproteste organisiert hat, will aber erst von einem Erfolg sprechen, wenn „der Kampf gegen prekarisierte migrantische Arbeit auch über den 1. März hinaus fortgesetzt wird“.

Kampf um das Streikrecht und gegen Leiharbeitsfirmen

In Dresden organisierte die FAU am 1. März eine zentrale Diskussionsrunde zum Thema: Politischer Streik. Dabei ging es um Möglichkeiten der Verteidigung und Ausweitung  des Streikrechts, das derzeit  in verschiedenen europäischen Ländern eingeschränkt wird.

Größere Aktionen gingen am gleichen Tag von der anarchosyndikalistischen Arbeiterinitiative IP in Polen. In mehreren polnischen Städten prangerte sie vor Zeitarbeitsfirmen die dort üblichen prekären Arbeitsbedingungen an. „Wir fordern gleiche Löhne, gleiche Rechte und gleiche Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden“, heißt es in einem Aufruf der IP zum 1. März. Tatsächlich stellt die transnationale Initiative, die den Kampf gegen das europäische Grenzregime mit dem Kampf gegen Austerität und Prekarität verbindet und dabei das Korsett der Landesgrenzen überwindet, einen Ansatz dar, der ausgewertet und ausgebaut werden sollte.

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

2-3/2016

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2016/03/nowak_aktion1mrz.pdf

Peter Nowak

Das Kapern von „Political Correctness“ und „Gutmensch“

Wenn Begriffe von rechts besetzt werden und die gesellschaftliche Debatte mitbestimmen

Der Aufstieg der AFD, Blockadeaktionen vor Flüchtlingsunterkünften, Pegida- und „Nein-zum-Heim-Demonstrationen“ auch in kleinen Städten lassen keinen Zweifel, dass die rechte Bewegung in den letzten Monaten auch in Deutschland einen Aufschwung erlebt. Dabei ist ihr es gelungen, über ihre kleinen rechten Zirkel hinaus auch in Bevölkerungskreise einzuwirken, die sich nicht zur extremen Rechten zählen würden.

Das zeigt sich daran, dass Menschen sich mit Schildern wie „Wir sind besorgte Bürger und keine Nazis“ an Demonstrationen beteiligen, die von bekannten Exponenten der extremen Rechten organisiert werden. Doch der Einfluss der Rechten zeigt sich auch der Ebene der Gespräche und Debatten. So werden Formulierungen, die ursprünglich von der extremen Rechten verwendet wurden, auch in Kreisen übernommen, die mit dieser politischen Richtung nichts zu tun haben.

Auf diese bisher zu wenig beachteten rechten Erfolge auf der Ebene der Sprache und Diskurse macht das Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe[1] aufmerksam. Es ist als Kooperationsprojekt des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und des Forschungsschwerpunkts Rechtsextremismus/Neonazismus an der Hochschule Düsseldorf entstanden.

Beide wissenschaftlichen Institutionen forschen seit längerem zur Frage, wie rechte Kreise mit der Schaffung von Kampfbegriffen die gesellschaftliche Debatte bestimmen. 20 Autorinnen und Autoren stellen in informativen Aufsätzen 25 Begriffe vor, die in der rechten Debattenkultur aktuell eine Rolle spielen.

Unterschiedliche Typen von rechten Kampfbegriffen

Dabei unterscheidet Mitherausgeber Fabian Virchow[2] verschiedene Typen von rechten Kampfbegriffen, die unterschiedliche Funktionen haben, deren Abgrenzung aber nicht immer möglich ist. So gibt es Begriffe, die den politischen Standort markieren sollen.

Als Beispiel führt Virchow „Schuldkult“ an, ein Begriff, mit dem die extreme Rechte Gedenkveranstaltungen zu den NS-Verbrechen abwertet und verhöhnt. Andere Begriffe waren nach dem Nationalsozialismus in großen Teilen der Gesellschaft mit Recht tabuisiert und werden in letzter Zeit von den Rechten wieder reaktiviert. Dazu gehören Begriffe wie „deutsche Volksgemeinschaft“ oder der Verweis auf ein imaginiertes Tausendjähriges deutsches Reich.

Vor einiger Zeit waren sie Codes kleiner rechter Zirkel. In den letzten Monaten wurden sie von Rechtsaußenpolitikern der AfD wie Björn Höcke in Reden vor Tausenden Menschen verwendet.

Eine dritte Gruppe von Begriffen verweist eigentlich auf Politikvorstelllungen, die nichts mit rechtem Gedankengut zu tun haben. Doch im aktuellen rechten Diskurs werden Termini wie Freiheit und Demokratie immer dann verwendet, wenn es darum geht, „Volkes Stimme“ gegen die „abgehobenen Politiker“ oder die Eliten in Stellung zu bringen. Darauf gehen Bernhard Steinke und Fabian Virchow ein.

Von der linken Kritik zum rechten Kampfbegriff

Eine weitere Begriffsgruppe, die im Handbuch untersucht wird, ist ebenfalls außerhalb rechter Kreise entstanden, wurde aber mittlerweile von rechts gekapert. Dazu gehört „Political Correctness“ oder „Gutmensch“. Als letzterer Begriff vom Satiriker Wiglaf Droste vor 20 Jahren verwendet wurde, wollte er damit eine verspießerte Linke kritisieren[3].

Mittlerweile sind sie zu rechten Kampfbegriffen mutiert, mit denen alle belegt werden, die für eine egalitäre Gesellschaft eintreten und nicht der Meinung sind, dass Grundrechte eine Frage der Hautfarbe, des Geschlechts oder der Herkunft sind. Auch der Begriff der „Islamisierung“ machte eine Wandlung durch. Noch vor einem Jahrzehnt war er mit der Kritik säkularer Kräfte am religiösen Machtanspruch verbunden.

Eine solche Kritik ist eigentlich heute noch genau so aktuell.  Doch mittlerweile wurde Islamismus zu einem rechten Kampfbegriff. Deutlich wird in dem Handbuch auch herausgearbeitet, dass solche Kampfbegriffe oft auch in rechten Kreisen umstritten sind. So hat der Begriff des Abendlandes mit dem Aufkommen der Pegida-Bewegung und ihrer Ableger eine neue Renaissance erfahren.

Dabei sind sich die Teilnehmer dieser Aufmärsche nicht einig, wer eigentlich zu dem Abendland gehören soll, das sie retten wollen. Soll es ein rein christliches Abendland oder ein jüdisch-christliches Abendland sein?

Der letzte Begriff wird auch von Ultrarechten gerne angeführt, um sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus zu immunisieren. Der Wissenschaftler Wolfgang Benz betont, dass es historisch ein christlich-jüdisches Abendland nie gegeben hat. Lange Zeit wurde vielmehr der Begriff des Abendlandes zur Ausgrenzung von Jüdinnen und Juden benutzt.

Neonazikreise träumen sogar von einen vorchristlichen, heidnischen Abendland. Die Differenzen werden auf den Pegida-Aufmärschen nicht ausgetragen, weil der Begriff Abendland ein Platzhalter ist. Die einen kommen mit einem Christenkreuz, die anderen tragen T-Shirts mit dem Motto  „Odin statt Jesus“ und zwischendrin verirrt sich auch noch jemand mit einer Israelfahne in den Aufmarsch. Die Verbreitung des Abendland-Begriffs beschränkt sich nicht nur auf die extreme Rechte.

So titelte die FAZ im Jahr 2007 „Stehen Moscheen für eine neue byzantinische Gefahr?“ Im Text hieß es: „Sollte das Abendland also doch untergehen und jedes neue Minarett zum Wegweiser der Welt von morgen werden.“ Auch der in rechten Kreisen so populäre Begriff „der 68er“, die dort für alle Erscheinungen der Moderne verantwortlich gemacht werden, die sie hassen, hatte bereits vor 30 und 40 Jahren in großen Teilen der Unionsparteien eine ähnliche Funktion.

Besonders in den späten 1970er Jahren wurden die 68er und speziell auch die Theoretiker der Frankfurter Schule für linke Gewalt, für eine freche Jugend, die Libertinage und vermehrten Drogenkonsum verantwortlich gemacht. So kann auch an den Wandlungen und Kontinuitäten der rechten Begriffsbildung verdeutlicht werden, dass das Milieu, das heute AfD wählt oder zu Gida-Aufmärschen geht, durchaus nicht so weit weg von der Union ist, wie wir sie noch in der Kohl-Ära kannten.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47765/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.disskursiv.de/2015/10/26/neuerscheinung-handwoerterbuch-rechtsextremer-kampfbegriffe

[2]

http://soz-kult.hs-duesseldorf.de/virchow

[3]

http://www.deutschlandradiokultur.de/gutmenschen-eben-mal-die-welt-retten.976.de.html?dram:article_id=294305

Redknee will raus aus der Hauptstadt

WIRTSCHAFT Gereizte Stimmung bei Redknee in Spandau: Der kanadische Software-Anbieter will sein
Werk in Berlin schließen und trotz Standortsicherungsvereinbarung nach Brandenburg ausweichen
„Redknee gehört nach Spandau, und dafür kämpfen wir“, rief die Zweite Bevollmächtigte der Berliner IG Metall, Regina Katerndahl, den etwa 200 Menschen zu, die sich vor einigen Tagen mit Gewerkschaftsfahnen in Spandau versammelt hatten. Viele trugen eine Mütze mit dem IG-Metall-Emblem. Von den Trillerpfeifen wurde reichlich
Gebrauch gemacht. Die Anwesenden bei der Demonstration zeigten ihre Wut auf das kanadische Unternehmen Redknee: Das Management will das Unternehmen in Spandau schließen. Stattdessen soll eine neue Filiale
in Potsdam eröffnet werden. Dafür werden bereits MitarbeiterInnen gesucht. Von den 260 Beschäftigten des Spandauer Werks können sich höchstens 140 ArbeiterInnen Hoffnungen auf eine Übernahme machen. „Ich habe einem Unternehmen, das sich ausgerechnet nach einem kaputten Knie benennt, nie getraut“, ruft eine Frau auf der Kundgebung. Als Redknee-Vorstandschef Lukas Skoczkowski 2012 die Übernahme des Gemeinschaftsunternehmens
Nokia Siemens Networks (NSN) in Spandau bekannt gab, hieß es noch im Tagesspiegel: „Einer Sache kann sich Lucas Skoczkowski ganz sicher sein: Seine neuen Mitarbeiter sind hochmotiviert.“ Die Softwareentwickler und Ingenieure
hatten vorher für Siemens und dann für NSN gearbeitet. Doch die Hoffnung auf eine gesicherte Perspektive wurde bald
enttäuscht. „Redknee schockt Mitarbeiter“, titelte die Berliner Zeitung, als das kanadische Unternehmen 2014 einen
Stellenabbau ankündigte. Die IG Metall rechnete sich als Erfolg an, dass statt 101 nur 70 Arbeitsplätze verloren gingen. KollegInnen, die freiwillig gingen, erhielten eine großzügige Abfindung. Im Gegenzug willigte die Gewerkschaft in die Aufkündigung der alten Tarifverträge ein. Die Arbeitszeit und die Löhne der Beschäftigten wurden um zehn Prozent abgesenkt. Dafür sollte es bis 2017 keine weiteren Entlassungen in Spandau geben. Dass nun das Berliner Werk
entgegen der Vereinbarung doch geschlossen werden soll, begründet Redknee mit dem Verlust einiger wichtiger KundInnen. Der Erste Bevollmächtigte der Berliner IG Metall, Klaus Abel, wirft dem Unternehmen hingegen die Flucht aus der Mitbestimmung vor. Susanne Steinborn vom Projekt ITK-Betriebe der Berliner IG Metall bestätigte gegenüber der taz, dass Redknee-Anwälte klar signalisiert haben, dass das kanadische Unternehmen Probleme
mit den deutschen Mitbestimmungsregelungen und dem Tarifrecht habe. „Die Mitbestimmung ist ein Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft, die wir uns von dem kanadischen Unternehmen nicht wegnehmen lassen“, erklärte der Generalsekretär der Berliner CDU, Kai Wegner, der seinen Wahlkreis in Spandau hat, in einer kurzen Rede auf der
Kundgebung. „Ich werde an dieRedknee-Geschäftsführung mit der Forderung nach Einhaltung der Standortsicherungsvereinbarung herantreten“, bekräftigte Wegner gegenüber der taz. Auch die Spandauer SPD-Abgeordneten Burgunde Grosse und Daniel Buchholz verurteilten die Schließungspläne. Redknee wollte sich gegenüber der taz zu den Vorwürfen nicht äußern. Mittlerweile haben zwei Gesprächsrunden zwischen der IG
Metall und dem Unternehmen stattgefunden. Dabei hat die Geschäftsführerin von Redknee Deutschland, Sabine Domes, zugesichert, die von Gewerkschaftsseite eingebrachten Vorschläge für einen Verbleib des Unternehmens in Spandau an die Konzernzentrale in Kanada weiterzuleiten.
aus: taz  23.3.2016
Peter Nowak

Berliner Mieterprotest in Wien

Bewohner eines Neuköllner Hauses besuchten ihren Vermieter

Den Bewohnern der Friedelstraße 54 droht eine energetische Sanierung mit exorbitanten Mietsteigerungen. Dagegen wehren sie sich sei Jahren. Am Wochenende zogen sie vor die Firmenzentrale in Wien.

»Wir sind hier. Wir sind laut, weil Ihr uns die Friedel klaut«, riefen die rund 200 Demonstranten, die am Samstagmittag vom Wiener Arbeiterstadtteil Favoriten ins Zentrum der österreichischen Hauptstadt zogen. Am Parkring in der noblen Wiener Innenstadt hielten sie eine Kundgebung vor der Zentrale der Immobilienfirma Citec ab.

Unter den Demonstranten befanden sich 60 Mieter und Unterstützer der Friedelstraße 54 in Neukölln. Nachdem die Citec das Haus vor mehr als 18 Monaten gekauft hatte, begannen die Konflikte mit den Mietern (nd berichtete). Die Citec plant eine energetische Modernisierung, was es ihr ermöglichen soll, die Mieten zu erhöhen. Viele der Bewohner befürchten, dass sie sich dann die Miete nicht mehr leisten können. Die solle schließlich um bis zu 200 Prozent steigen, hieß es. Obwohl das Gebäude bereits vollständig eingerüstet ist, konnte die Sanierung noch nicht beginnen, weil sich die Mieter wehren.

Die Idee, der Citec in Wien einen Besuch abzustatten, war entstanden, nachdem dem Stadtteilladen in der Friedelstraße 54 zum 30. April gekündigt wurde. Durch den Besuch soll der Druck auf die Firma erhöht werden, mit den Bewohnern des Hauses in Verhandlungen zu treten. Schließlich haben sie schon vor einigen Wochen ein konkretes Angebot vorgelegt. Sie wollen das Gebäude über den Verein Mietshäusersyndikat kaufen.

Am vergangenen Donnerstag hat Citec reagiert. Ein Mitarbeiter des Vorstands erklärte gegenüber dem Mietshäusersyndikat die Bereitschaft, über das Angebot zu verhandeln. Die Bewohner wurden aufgefordert, einen konkreten, mit Zahlen untermauerten Vorschlag zu unterbreiten. »Am vergangenen Freitag wollten wir das Angebot übergeben, waren damit allerdings nicht erfolgreich«, erklärte Matthias Sander vom Stadtteilladen in der Friedelstraße 54 gegenüber »nd«. »Der Portier des Gebäudes ließ uns wissen, dass die Citec mit unserem Besuch gerechnet habe und deswegen niemand im Büro anzutreffen sei«, so Sander.

Er findet die mangelnde Kooperationsbereitschaft auch deshalb bedauerlich, weil die Hausbewohner Informationen von der Citec benötigen, bevor sie dem Unternehmen ein durchgerechnetes Kaufangebot unterbreiten können. So ist ihnen noch immer nicht der Betrag bekannt, zu dem die Citec das Haus erworben hat. Zudem fordern die Bewohner als Zeichen des guten Willens die Rücknahme der Kündigung des Stadtteilladens.

Auch wenn es nicht zu ersten Verhandlungen gekommen ist, zieht Sander ein positives Fazit der Reise in die österreichische Hauptstadt. »Besonders hat uns die große Unterstützung lokaler Gruppen in Wien gefreut.« So waren in mehreren Stadtteilen Plakate und Parolen zu sehen, die sich mit der Friedelstraße solidarisierten. Die Leute konnten sehen, wie ernst es den Berlinern sei, nach über zwei Jahren den Konflikt endlich zu beenden.

Auch in Berlin wollen die Neuköllner weiter Druck machen für den Erhalt des Hauses. Dabei soll der Widerstand über die Friedelstraße hinaus ausgeweitet werden. Kürzlich beteiligten sich Mieter von sieben Berliner Häusern, die von der Citec gekauft wurden, an einem Vernetzungstreffen. Auch die dortigen Bewohner wurden mit Ankündigung zur energetischen Sanierung konfrontiert und befürchten, die Miete bald nicht mehr zahlen zu können. »Ob es bei dieser einen Reise bleibt, hängt jetzt ganz von der Citec ab«, sagte Sander.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1005896.berliner-mieterprotest-in-wien.html

Peter Nowak

Siegt Merkel mit Grünen und SPD?

Mit spitzer Feder und einer Portion Spott

Liane Bednarz und Christoph Giesa berichten über gefährliche Bürger und wie die Neue Rechte zunehmend in die Mitte der Gesellschaft rückt

Der Aufstieg der AfD und die ständigen Pegida-Aufmärsche lassen kaum einen Zweifel, dass sich in Deutschland rechts von der Union eine neue politische Kraft herausbildet. Noch sind sich viele politische Analysten unsicher, ob dies nur ein Kurzzeitphänomen ist oder sich, wie in europäischen Nachbarländern, auch in Deutschland dauerhaft eine Rechte etabliert.

Liane Bednarz und Christoph Giesa befassen sich seit über zwei Jahren mit den gesellschaftlichen Unterströmungen, die zu Pegida und den AfD-Erfolgen führten. Schon damals stellten sie fest: »Die Protagonisten einer neuen rechten Denkschule haben ihre passive Haltung aufgegeben … Inzwischen treten sie zunehmend aus den weithin unbeleuchteten Nischen der Gilden, Burschenschaften, Salons und Gesprächszirkel, Bürgerinitiativen und Jugendorganisationen heraus. Mit dem Ziel eine aggressive Gegenideologie zu unserer offenen Gesellschaft ins Gespräch zu bringen.«

Ihre Prognose hat sich erfüllt. Sie sehen es daher als Pflicht an, sich den Populisten »mit der spitzen Feder, einer klaren, leicht verständlichen Sprache und einer Portion Spott« entgegenzustellen. »Wir wollen sie entlarven und Sie als Leser nicht nur informieren, sondern auch aufrütteln.«

Die beiden Autoren sind keine Linken. Bednarz ist CDU-Mitglied und Giesa gehört der FDP an. Sie sind erklärte Verteidiger der sozialen Marktwirtschaft und bekennende Atlantiker. Kapitalismuskritik wird man bei ihnen sowenig finden wie eine differenzierte Sicht auf den Sozialismus. Doch wenn sie mit den rechten Gegnern der »Offenen Gesellschaft« ins Gericht gehen, dann können auch manche Linke etwas von ihnen lernen, selbst wenn sie mit vielen Grundannahmen der beiden nicht übereinstimmen. Die Ablehnung der Autoren gegen alle rechten und rechtspopulistischen Anwandlungen ist ehrlich und ihre Kritik scharf und treffend. »Die AfD ist nur das sichtbarste Symptom einer nach rechts driftenden, sich radikalisierenden Mitte«, bemerken sie.

Im ersten Kapitel begleiten sie einen »zwangspensionierten älteren Herrn« beim Spaziergang durch den Berliner Stadtteil Kreuzberg. Es ist Thilo Sarrazin, der seine These belegen will, dass sich Deutschland abschafft. Im Erfolg des Sarrazin-Buches sieht das Autorenduo ein Indiz für das Driften der Gesellschaft nach rechts. Bednarz/Giesa nehmen rechte Christen sowie die sogenannten Reichsbürger unter die Lupe, die von einer Fortexistenz des »Deutschen Reiches« schwafeln. Ein Kapitel befasst sich mit rechten Wirtschaftsberatern, die einen angeblich bevorstehenden Euro-Crash beschwören und mit ihren Hiobs-Büchern und Broschüren mit Ratschlägen viel Geld machen. Ein weiteres Kapitel stellt die historischen Vorläufer der Neuen Rechten in der Weimarer Republik vor. In den letzten drei Kapiteln geht es um Gegenstrategien zur rechten, rassistischen Ideologie. Dazu gehört die Entlarvung von Hassmails. Deren Verfasser und Hintermänner müssen entlarvt werden, ebenso rechte Blogger. Sie arbeiten gern im Verborgenen, sind zu feige, Klarnamen anzugeben. Ihnen das Handwerk zu legen, ist zuvörderst Pflicht des Staates.

Liane Bednarz/Christoph Giesa: Gefährliche Bürger. Die Neue Rechte greift nach der Mitte.
Hanser. 255 S., geb., 17,90 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1005082.mit-spitzer-feder-und-einer-portion-spott.html

Peter Nowak

Wie Snowden zum russischen Agenten gestempelt werden soll

Der verschärfte Ton gegen Snowden zeigt, dass sich der Kalte Krieg zwischen den USA, Teilen der EU und Russland verschärft

Die Auseinandersetzung zwischen Pro-Atlantikern und der Prorussland-Fraktion wird in Deutschland schärfer. Das zeigte sich schon in der Überschrift eines langen Artikels, der am vergangenen Freitag in der FAZ zu finden war: „Russlands geheimer Feldzug gegen den Westen“[1]. Das klingt tatsächlich so, als wären wir wieder in den Zeiten des tiefsten Kalten Krieges der 50er Jahre.

Natürlich wurden dort einige Tatsachen über die bestimmt nicht besonders progressive russische Europapolitik erwähnt, die in den letzten Wochen in vielen Medien Erwähnung fanden. Dazu gehört die zumindest partielle Unterstützung und Förderung rechter Bewegungen in Europa durch Russland. Das ist Teil der russischen Interessenpolitik unter Putin. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass diese Bewegungen nicht von Russland geschaffen wurden, sondern sie sind in den jeweiligen Ländern entstanden. Zudem gibt es natürlich auch von den westlichen Staaten Unterstützung für rechte Bewegungen, wenn es ihren Interessen nützt. Das zeigte sich am Beispiel der Ukraine ebenso wie beim Zerfallsprozess von Jugoslawien in den 1990er Jahren.

Was aber beim FAZ-Artikel besonders auffällt, ist die Verknüpfung der Kritik an der russischen Politik mit dem NSA-Skandal. Der war in der letzten Zeit etwas in den Hintergrund des Interesses geraten. Dabei wird am kommenden Donnerstag in Berlin der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages[2] tagen und Außenminister Steinmeiner befragen. Das Gremium war vor fast zwei Jahren eingesetzt worden, weil Edward Snowden, der ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA, große Mengen interner Daten öffentlich gemacht und damit den Skandal ausgelöst hat. Dabei verhehlt die FAZ ihre Intention gar nicht, vor der erneuten NSA-Debatte neue Akzente setzen zu wollen.

Moskau war nicht Snowdens erste Wahl

Dass der russische Geheimdienst unter dem Schirm dieser öffentlichen Aufregung in Europa und eben auch in Deutschland höchst aktiv ist, dass seine Mitarbeiter nicht nur lauschen, sondern erhebliche Energie auf Propagandaarbeit verwenden, blieb derweil weitestgehend im Verborgenen. Erst allmählich, da die Aufregung über den sogenannten NSA-Skandal sich ein wenig legt, rückt Moskau mehr ins Visier. Und auch die Rolle Edward Snowdens, der schließlich nach einer abenteuerlichen Flucht über Hongkong vor knapp drei Jahren in der russischen Hauptstadt gelandet war. Dort lebt er seither. Es gibt seit langem Vermutungen, dass der russische Geheimdienst seinen Nutzen aus Snowden zieht. In deutschen Sicherheitskreisen gilt es inzwischen sogar als sicher, dass der ehemalige NSA-Mann vom russischen Geheimdienst wie ein Mitarbeiter geführt wird.FAZ

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Nun gibt es allerdings genügend Belege, dass Snowden durchaus nicht von Anfang an die Absicht hatte, in Russland ins Exil zu gehen. Sehr klar wurde in dem Film Citizenfour[3], dass sich der Whistleblower in verschiedenen anderen Ländern um Aufnahme bemühte (Snowden allein zu Haus im Flughafen?[4]). Doch diese Versuche scheiterten. Einige der von ihm favorisierten Länder lehnten ab. Ecuador und Venezuela waren bereit, Snowden aufzunehmen. Doch da stellte sich die Frage, wie er dorthin reisen sollte.

Als es für ihn immer schwieriger wurde, in Hongkong zu bleiben, entschied er sich, nach Moskau zu fliegen und musste dort für einige Zeit im Flughafen leben, nachdem die USA ihm den Pass entzogen hatte. Als es keinen anderen Ausweg mehr gab, nahm er das russische Asylangebot an (Snowden: Letzte Ausfahrt Russland[5]). Aber auch danach signalisiert er mehrmals, dass er weiter nach einem anderen Aufnahmeland suche. Die Angst, dass die US-Dienste auf dem Transitweg zugreifen könnten, hatte eine reale Grundlage. Im Juli 2013 wurde das Flugzeug des Präsidenten von Bolivien, Morales, zur Landung gezwungen (Morales durfte nach intensiven Verhandlungen weiter nach Bolivien zurückfliegen[6]). Zuvor waren ihm von verschiedenen europäischen Staaten die Überflugrechte verweigert worden, weil es Gerüchte gab, er schmuggle Snowden in der Maschine nach Bolivien. Der Vorfall war unter den Politikern Lateinamerikas als Warnung begriffen worden, auf keinen Fall Snowden dort Asyl zu gewähren.

Daher ist es schlicht falsch, wenn die FAZ jetzt den Eindruck erweckt, es wäre für Snowden von Anfang klar gewesen, in Moskau zu bleiben. Bei den unbewiesenen Spekulationen tut sich nach FAZ-Angaben besonders der CDU-Politiker Patrick Sensburg hervor:

Er frage sich, wieso Snowden nach Hongkong gereist sei und dort „intensiven“ Kontakt zur russischen Botschaft aufgenommen habe. Sensburg geht sogar weiter und vermutet, dass Moskau schon Jahre vor dessen Flucht an Snowden herangetreten sei. „Möglicherweise hat der russische Auslandsgeheimdienst bereits in Genf Kontakt zu Snowden aufgenommen. In die Schweiz war Snowden schon im Jahr 2007 entsandt worden.FAZ

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Damit wird ihm aber explizit eine geheimdienstliche Tätigkeit unterstellt, die in den USA strafrechtlich schwerer wiegt als die ihm bisher vorgeworfenen Delikte. So kann man die Versuche, Snowden in die Nähe einer Agententätigkeit für Russland zu rücken, auch als Versuch der Kriminalisierung sehen. Noch vor einigen Monaten haben zivilgesellschaftliche Gruppen gefordert, dass Snowden in Deutschland Asyl bekommt. Schon damals wurde davor gewarnt, weil es für ihn kein sicherer Ort ist. Die aktuellen Versuche, ihn als Agenten hinzustellen, zeigen, wie berechtigt diese Warnungen waren.

Opfer des neuen Kalten Krieges

Der verschärfte Ton gegen Snowden zeigt, dass sich der Kalte Krieg zwischen den USA, Teilen der EU und Russland verschärft. In solchen Situationen werden klare Feindbilder gebraucht und Menschen, die zwischen den Stühlen sitzen, haben es da besonders schwer.

Snowden bekam in Deutschland viel Verständnis von Kreisen, die sich für eine Lockerung des Verhältnisses zu den USA aussprechen. Die Pro-Atlantiker haben sein Agieren schon immer kritischer gesehen. Dass sich jetzt zwischen beiden Gruppen die Fronten verhärten, zeigt sich auch am Umgang mit Snowden. Da wird er für die einen schon fast zum Verräter.

Dabei könnte der Vorwurf, dass er als Preis für das Asyl in Russland bestimmte Vereinbarungen machen muss, zutreffen. Das könnte auch der Grund sein, warum in dem von Snowden präsentierten Material keine Dokumente zu finden sind, in denen es um China, Russland und Nordkorea geht. Diese Art von Interessenpolitik wäre naheliegend und auch der anderen Seite nicht fremd. Schließlich wurden beim Sturm auf die Zentralen der DDR-Geheimdienste auch vorher alle Dokumente abtransportiert[7], die die USA oder die BRD betreffen.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47681/1.html

Peter Nowak