Soziales Zentrum in Halle

Halle. Das Anfang Januar von 20 Menschen besetzte Haus in der Hallenser Hafenstraße wird ein soziales Zentrum. Das Haus hatte mehrere Jahre lang leer gestanden und sollte abgerissen werden. Die Besetzer konnten mit der Eigentümerin, der Wohnungsbaugesellschaft HWG, eine Nutzung für 18 Monate ohne Miete und Nebenkosten vereinbaren. Strom- Gas- und Wasserleitungen werden von der HWG erneuert. Neben Infrastruktur für Geflüchtete sollen in dem ersten sozialen Zentrum von Halle Arbeits­ und Seminarräume für nichtkommerzielle Initiativen und ein Lesecafé entstehen. Derzeit planen die Aktivisten politische Vorträge, Workshops sowie Kunst- und Musikveranstaltungen für die nächsten Monate.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998636.erfolgreiche-besetzung-erstes-soziales-zentrum-in-halle.html

Peter Nowak

Ferienwohnung von Mieterinitiative beschlagnahmt

„Wie verhindere ich Zwangsräumungen?“  lautet die Überschrift auf  einigen   Informationsblättern, die auf einen Tisch im Wohnzimmer ausliegen. Im Flur und im Schlafzimmer finden sich Plakate zum Thema Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung. An Tischen sitzen kleine Gruppen und lassen sich über Probleme am Jobcenter beraten. In dem zweiten Raum  sind einige Ausschnitte aus den Ergebnissen einer Umfrage  aufgelistet, die die Berliner  Mietergemeinschaft 2011 zum Komplex   Ferienwohnungen geführt hat.
Für drei Tage wurde aus einer Dachgeschosswohnung in  der Soldiner Straße 26  im Wedding ein soziales Zentrum. Allerdings wurde die Wohnung nicht besetzt sondern aus politischen Gründen zweckentfremdet.  Über 200 Euro hat die Erwerbsloseninitiative Basta  für die 3 Tage bezahlt. Sie will damit auf einen Tatbestand hinweisen, der  in den letzten  Monaten von vielen Medien und Parteien verbal  beklagt wird, ohne dass sich was ändert.

„Allein  im Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten.  Für BezieherInnen von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind  in dem Stadtteil  dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben“, erklärt Basta-Aktivist Paul. Seine Mitstreiterin  Gitta betonte, dass es mit der Aktion nicht darum geht, BesitzerInnen von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. „Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen ein politisches Problem.“  Damit sind die MitstreiterInnen von Basta regelmäßig konfrontiert. Schließlich organisieren sie  wöchentlich eine Beratung für Hartz IV-BezieherInnen. „Immer wieder kommen  Menschen zu uns, die keine  bezahlbare Wohnung finden “, erklärt Paul.  Zwei wohnungslose Frauen haben sich der Aktion beteiligt.
Im Flur der beschlagnahmten Ferienwohnung ist eine Box eingerichtet, in die sich Wohnungssuchende eintragen können, die gerne in das Apartment einziehen würden. Allerdings geht es der Initiative nicht nur um die  eine Wohnung.

Viel Unterstützung von NachbarInnen

Daher begann die Aktion am Dienstagmittag mit einem Stadtteilspaziergang  durch die unmittelbare Umgebung der Soldiner Straße.  Dort finden sich mittlerweile zahlreiche Ferienwohnungen. Die Vermieter/innen setzen dabei auf Berlinbesucher/innen, die nicht nur  das historische  Stadtzentrum kennen lernen wollen.  „In der  Soldiner Straße  und der Umgebung wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen.  Wenn ausgerechnet in einer solchen Gegend immer mehr Ferienwohnungen entstehen, wird der günstige Wohnraum noch mehr verknappt“,  begründet  ein älterer  Anwohner, der bereits in den 80er Jahren im Wedding in einer Stadtteilgruppe aktiv war, seine Teilnahme an der Aktion.   Er hofft, dass die Beschlagnahme keine   einmalige Aktion ist und sich auch im Wedding wieder eine  MieterInnenbewegung etabliert.  Die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“, die die Beschlagnahme unterstützt, weist in ihrer Erklärung  auf die politische Dimension des Ferienwohnungsmarktes hin:
„Völlig unklar ist es, wie viele Wohnungen Geflüchteten, Wohnungslosen oder Prekarisierten entzogen sowie privat oder über Online-Portale wie Airbnb vermarktet werden. Stadtentwicklungs-Senator Andreas Geisel (SPD) kündigte im Dezember vollmundig an, fast alle Ferienwohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zurückführen zu wollen. An dem Prinzip der Wohnung als Ware, wird selbstverständlich nicht gerüttelt. Darum liegt es an solidarischen Menschen in dieser Stadt, Leerstand und Ferienwohnungen zu kollektivieren.“  Paul von Basta betont allerdings, dass die Ferienwohnungen nur ein  Teil des Problems sind.  „Es fehlen bezahlbare Wohnungen, weil der soziale Wohnungsbau abgewickelt wurde.  Das wird sich nur ändern, wenn  neben der Abschaffung des  Ferienwohnungsunwesen  neue Wohnungen gebaut werden.“
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/ferienwohnung-soldiner.html

aus: MieterEcho online 20.01.2015

Update: Zur vorzeitigen Beendigung der Aktion siehe hier:

http://basta.blogsport.eu/

Peter Nowak

Ohne Kriege kein Pop

Die Konferenz „Krieg singen“ am Haus der Kulturen der Welt machte deutlich, dass alle Arten von Musik töten können. Aber auch die totale Stille kann eine Waffe sein

Schon die Posaunen von Jericho machten deutlich, dass Musik seit Menschengedenken für Kriegszwecke eingesetzt wurde. Der Medientheoretiker Friedrich Kittler wurde mit der These bekannt, dass die Erzeugnisse von Musik und Popkultur ein Missbrauch der Produkte der Militär- und Heeresindustrie waren.

Andreas Ammer: Deutsche Krieger. Bild: © Stephan Sahm / Haus der Kulturen der Welt

Ein weites Feld hat also die Berliner Konferenz beackert und ein Blick in das viertägige Programm[1] macht deutlich, dass kaum ein Thema ausgelassen wurde. Da werden die Märtyrersongs erwähnt, mit denen der IS deutsche Mütter von bei Selbstmordattentaten umgekommenen Konvertiten ermahnt, nicht traurig zu sein, weil ihre Söhne den Heldentod gestorben seien und sie so einen Platz im Jenseits hätten. Wer nun in solchen Liedern eine besondere Perfide sieht, konnte in anderen Veranstaltungen erfahren, dass die Islamisten hier nur genau jene Methoden kopieren, mit denen eine mit den herrschenden Kreisen verbandelte Kulturindustrie schon immer Kanonenfutter in den Tod schickte und ihre Angehörigen dann damit ruhigstellte, dass es jetzt ihre patriotische Aufgabe sei, um ihre toten Helden zu betrauern.

Deutsche Krieger hieß das Live-Hörspiel[2], das FM Einheit und Andras Ammer aus zeitgenössischen Tondokumenten von Wilhelm II bis Adolf Hitler konzipiert haben. Doch nicht nur die Stimmen der Herrschenden wurden auf der Konferenz hörbar. Barbara Morgenstern, Ari Benjamin Meyers und Hauschka ließen auf einem Konzert die Stimmen von deutschen Kriegsgefangenen aus ganz Europa, Nordafrika, dem Kongo und Asien hörbar werden. Sie sind auf ca. 7500 Schellackplatten festgehalten, die in Kriegsgefangenenlagern während des 1. Weltkriegs aufgenommen wurden und im Lautarchiv der Berliner Humboldtuniversität[3] konserviert sind. Vor einigen Jahren hat Philip Scheffner dieses Thema in dem Film The Halfmoon Files[4] einer größeren Öffentlichkeit bekannt.

Soundcheck zum Massenmord war keine „böse Musik“

Im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt, in dem das Festival stattfand, war ein sehr modernes Radiostudio aufgebaut. Es war der Nachbau jener berüchtigten Radiostation RTLM, die der Schweizer Theatermacher Milo Rau[5] mit seinen Film und Theaterstück Hate-Radio[6] bekannt gemacht hat.

Der Film wurde gezeigt und in der Diskussionsrunde betonte Rau, dass die Radiostation RTLM im Wortsinne populäre Musik gemacht hat. Bekannte Songs aus den USA, Großbritannien und Frankreich wurden dort gespielt. Dazwischen wurde mit Hassreden auf die Tutsi der Genozid vorbereitet und begleitet. Sogar die Menschen, die im Sender zur Vernichtung freigegeben wurden, hörten den Sender wegen der guten Musik. Damit widerlegte Rau auch die viel strapazierten Reden von der bösen Musik, die von den Erziehern aller Länder und Zeiten mal in Blackmetal oder Hardcore, im Punk oder Hip Hop verortet wird.

Hate Radio (Aufführung von 2012) Bild: © Daniel Seiffert / International Institute of Political Murder

Es wurde in der Konferenz schnell klar, dass jede Musik, wenn sie nur oft genug und mit voller Lautstärke gespielt wird, zu körperlichen Schäden bis zum Tod führen kann. So wurden auch die Gefangenen in Guantanamo mit keiner bösen, sondern mit sehr populärer Musik beschallt. Rau machte am Beispiel Ruanda auch noch mal deutlich, wie nationalistische Erzählungen funktionieren und wirkungsmächtig werden. Nur haben sie nicht immer eine solch tödliche Wirkung wie in Zentralafrika. Die Erzählung von der Hutu-Power imaginierte alte Hutu-Königreiche, die real nie existiert haben. Doch sie wurden geglaubt und so wurde das Konstrukt wirkungsmächtig und entfaltete unter spezifischen Bedingungen seine mörderische Wirkung.

Nur ist die Imagination eben kein ruandisches Spezifikum. Alle ethnischen und nationalen Erzählungen basieren auf solchen Imaginationen und Konstruktionen. Aus dem Publikum wurde als Beispiel die Mär von dem tausendjährigen deutschen Reich als Beispiel genannt, die aktuell wieder ein AFD-Provinzpolitiker weiterspinnt[7].

Natürlich kommt eine Konferenz, die sich um Musik dreht, nicht ohne Konzerte aus. Laibach war natürlich für viele das absolute Highlight. Schließlich haben sie durch ihren Auftritt in Nordkorea[8] ihren Ruf des Extravaganten wieder aufpoliert. Auch hier wirken mediale Konstruktionen. Wie immer man die Regierung in Nordkorea beurteilen mag, warum gönnen denn viele Medien der dortigen Bevölkerung nicht, mal etwas anderes als die Parteihymen zu hören?

Wenn Laibach auch für einen vollen Saal sorgte, so waren doch auch die kleineren Konzerte sehr interessant. Konnte man doch ganz direkt erfahren, wie die Präsentation einer bestimmten Musik wirkt, welche Stimmung sie erzeugt. Da gab die Formation Zeitkratzer eine Darbietung historischer serbischer Trauerlieder, die jeden Ethnopluralisten erfreute. Von der Tracht, den Instrumenten bis auf die strenge Darbietung wurde hier ein nationales Kollektiv nachgestellt. Kein schräger Ton war zugelassen. Danach präsentierte das Trio Tri Minh, Gregor Sield, Lan Cao ihre Songs of Heroes. Dort wurden vietnamesische Revolutionsgesänge sowie Lieder gegen die US-Krieger verarbeitet und immer wieder ironisch gebrochen. Oft wurde der historische Song nur angespielt und mündete in moderne Avantgarde. Hier wurden Maßstäbe gesetzt, wie auch historische Kriegslieder heute noch hörbar sind.

Die beiden so unterschiedlichen Darbietungen machen auch deutlich, dass es keine bösen oder guten Lieder, sehr wohl aber eine regressive und reaktionäre oder eine fortschrittliche Darstellungsweise gibt. Dieser Aspekt hätte auf der Konferenz durchaus mehr theoretische Auseinandersetzungen verdient.

Wie klingt der Frieden?

Dafür kam aus dem Publikum bei den Diskussionsveranstaltungen öfter die Frage auf, warum nicht mehr Raum für Friedenslieder gegeben wurde. „Wie der Krieg klingt wissen wir. Doch wie klingt der Frieden?“, fragte eine Besucherin. Doch einige Friedenslieder waren auf der Konferenz durchaus sogar prominent vertreten.

Während der Festivaltage erklangen auf allen Toiletten im Haus der Kulturen der Welt Songs von Country Joe McDonald[9]. Damit wollten die Konferenzkuratoren verdeutlichen, dass vieles, was unter das Genre Friedensmusik fällt, allenfalls noch als Toilettenmusik taugt. Tatsächlich bekundete Kurator Holger Schulze, dass die meiste Friedensmusik schlicht Kitsch sei.

Allerdings wäre zu fragen, ob dieses Diktum historisch zutrifft. Schließlich haben viele Lieder der historischen Arbeiterbewegung, die bereits mit den Liedern der Pariser Kommune begannen, gegen den Krieg agiert, ohne eine Welt zu malen, in der Wolf und Schaf friedlich auf einer Wiese grasen. Schulze gab sich aber auch überzeugt, dass in einer Welt, in der der Krieg wieder zum Mittel der Politik wurde, auch neue Antikriegslieder entstehen werden. Das wäre sicher ein Thema für eine weitere Konferenz.

Dabei wurde auf der Konferenz durchaus Antikriegsmusik vorgestellt, die aber kaum etwas mit dem zu tun hat, dass wir uns oft darunter vorstellen. Da gab es Ausschnitte aus dem Film „Syrian Metal is War“[10] zu sehen. Dort berichten junge syrische Zivilisten, wie sie jeden Tag von einer Bombe der der Islamisten oder des Assad-Regimes sterben können und sie die Zeit, die ihnen auf Erden bleibt, in und für ihre Musik leben.

Zudem gab die Band Songhoy Blues[11] ein Gastspiel. Die malischen Musiker fanden sich auf der Flucht vor den Islamisten im Exil zusammen und zeigten damit, dass nicht nur in Paris, London oder New York die Klerikalfaschisten kulturaffinen Mensche, ihre Art zu leben mit Terror austreiben wollen. Sind das nicht gute Beispiele für eine zeitgemäße Antikriegsmusik ohne Kitsch?

Ganz am Rande kam auf der Konferenz auch zur Sprache, dass man auch mit totaler Stille Menschen verletzten und sogar töten kann. In einer Sendung mit dem Titel für den Bayerischen Rundfunk mit dem Titel „Krach Krieg Kunst“[12] erwähnte der Journalist Andreas Ammer, dass es bereits seit Jahrzehnten eine Forschung über die totale Isolation und Stille als Waffe gibt und diese auch an RAF-Gefangenen in der JVA Köln-Ossendorf ausprobiert[13] wurde.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47155/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://hkw.de/de/programm/projekte/2016/krieg_singen/krieg_singen_start.php

[2]

http://www.hkw.de/de/programm/projekte/veranstaltung/p_122739.php

[3]

http://www.lautarchiv.hu-berlin.de/

[4]

http://www.filmzentrale.com/rezis/halfmoonfileshf.htm

[5]

http://www.althussers-haende.org/

[6]

http://international-institute.de/wp-content/uploads/2012/07/Milo%20Rau_HATE%20RADIO.pdf

[7]

http://www.taz.de/!5242157/

[8]

http://www.rollingstone.com/culture/news/cannabis-and-the-sound-of-music-what-laibach-learned-in-north-korea-20150825

[9]

http://www.countryjoe.com/

[10]

https://www.facebook.com/SyrianMetalIsWar/photos/a.201629700032854.1073741827.201506403378517/202345003294657/?type=3&theater

[11]

http://songhoy-blues.com/

[12]

http://www.br.de/radio/bayern2/kultur/nachtstudio/ammer-krach-krieg-kunst-100.html

[13]

http://www.unrast-verlag.de/news/1342-isolationshaft-in-der-brd-entstehung-entwicklung-export

Diese Ferienwohnung ist besetzt

Gegen Zweckentfremdung: Initiative macht Touristenappartement zu sozialem Zentrum

Die Erwerbsloseninitiative Basta hat eine Ferienwohnung in der Weddinger Soldiner Straße zweckentfremdet, um gegen fehlende bezahlbare Wohnungen zu protestieren.
Am Dienstagmorgen zogen sie ein und luden Nachbarn ein, die Wohnung zu besuchen: Drei Tage lang sollen Wohnungssuchende die Möglichkeit haben, sich auf eine ausliegende Interessentenliste einzutragen, die Liste soll schließlich an den Vermieter übergeben werden. Mit dem (vorübergehenden) Einzug in eine Ferienwohnung in Wedding will die Initiative »Basta« am Dienstag auf die Problematik der Zweckentfremdung von Wohnraum aufmerksam machen und vor allem Nachbarn ansprechen.

»Wie verhindere ich Zwangsräumungen?« und »Wie ziehe ich Hartz IV-kompatibel um?« lauten die Überschriften einiger Informationsblätter, die auf einen Tisch im Wohnzimmerauslagen. Im Flur und im Schlafzimmer hängten Aktivisten Plakate zu den Themen Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung auf. An Tischen saßen kleine Gruppen und lassen sich über Probleme am Jobcenter beraten. Drei Tage soll die Dachgeschosswohnung in der Soldiner Straße 26 in Wedding ein soziales Zentrum sein. Über 200 Euro hat die Erwerbsloseninitiative dafür ausgegeben. Doch »Basta« verfolgt damit ein politisches Anliegen.

»Allein in Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten. Für Bezieher von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind in dem Stadtteil dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben«, erklärt Basta-Aktivist Paul. Mit der Beschlagnahme wolle man auf dieses »Missverhältnis« aufmerksam machen. Paul betonte auch, dass es mit der Aktion nicht darum gehe, Besitzer von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. »Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen das Problem.« Damit sind die Mitarbeiter von »Basta« regelmäßig konfrontiert. Schließlich organisieren sie jede Woche eine Beratung für Menschen, die Probleme mit dem Jobcenter haben. »Immer wieder kommen Menschen zu uns, die keine bezahlbare Wohnung finden«, erklärt Paul.

Zwei wohnungslose Frauen haben sich an der Aktion beteiligt. Am Donnerstag will Basta mit den Eigentümern über eine Vermietung verhandeln. Allerdings geht es der Initiative nicht nur um die eine Wohnung. Daher begann die Aktion am Dienstagmittag mit einem Stadtteilspaziergang durch die unmittelbare Umgebung der Soldiner Straße. Dort finden sich mittlerweile zahlreiche Ferienwohnungen. »Oft sind Ferienwohnungen von außen kaum zu erkennen. Nur die AnwohnerInnen selbst kennen die Wohnungen in ihren Häusern. Falsche Namen an Klingelschildern sollen den Schein einer ›normalen‹ Mietwohnung aufrecht erhalten«, erklärt Lisa von »Basta«.

Die Vermieter setzen dabei auf Berlinbesucher, die nicht nur das historische Stadtzentrum kennen lernen wollen. In den drei Tagen will die Initiative ein Verzeichnis von Ferienwohnungen zusammentragen und im Anschluss an die Aktion dem Bezirk zur Prüfung einer möglichen Zweckentfremdung vorgelegen.

»In der Soldiner Straße und der Umgebung wohnen viele Menschen mit geringen Einkommen. Wenn ausgerechnet in einer solchen Gegend immer mehr Ferienwohnungen entstehen, wird der günstige Wohnraum noch mehr verknappt«, begründet ein älterer Anwohner, der bereits in den 80er Jahren im Wedding in einer Stadtteilgruppe aktiv war, seine Teilnahme an der Aktion. Er hofft, dass die Beschlagnahme keine einmalige Aktion ist und sich auch im Wedding wieder eine Mieterbewegung etabliert.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/998733.diese-ferienwohnung-ist-besetzt.html

Peter Nowak

Urlaub vom Wohnungsmarkt


AKTION Initiative nutzt Ferienwohnung als soziales Zentrum und protestiert gegen Wohnungsnot
Für drei Tage ist aus einer Dachgeschosswohnung in der Soldiner Straße 26 im Wedding ein soziales Zentrum geworden: Im Wohnzimmer liegen Flyer, die über den Umgang mit drohender Zwangsräumung informieren; im Flur und Schlafzimmer finden sich Plakate zum Thema
Erwerbslosigkeit und Zwangsräumung. In einer kleinen Box  können Mieter ihr Interesse für die Wohnung bekunden. Denn eigentlich ist die Wohnung eine Ferienwohnung. Aktivisten der Erwerbslosen-Initiative Basta haben sie bezogen; sie wollen mit der Aktion auf den Mangel an bezahlbaren Wohnungen aufmerksam machen. Am Donnerstag will Basta mit den Eigentümer darüber verhandeln, dass die Wohnung dem Wohnungsmarkt wieder zu bezahlbaren Preisen zur Vergütung gestellt wird. Der Erfolg ist ungewiss, schließlich wird die Wohnung zurzeit für 63 Euro Miete pro Tag im Internet angeboten. Sie ist mittlerweile auch auf einer Internetseite aufgeführt, die illegale Ferienwohnungen auflistet. In Berlin soll es Schätzungen zufolge mittlerweile zwischen 12.000 und 17.000 solcher Wohnungen
geben. „Allein im Wedding werden aktuell mehrere hundert Ferienwohnungen angeboten. Für BezieherInnen von Arbeitslosengeld und Grundsicherung sind in dem Stadtteil dagegen nur zwei finanzierbare Wohnungen zu haben“, begründet Basta-Aktivist Paul die Aktion.

Ein politisches Problem

Dabei sei es nicht das Ziel, die EigentümerInnen von Ferienwohnungen als die Schuldigen an den Pranger zu stellen. „Für uns sind die fehlenden bezahlbaren Wohnungen ein politisches Problem“, betont Basta-Aktivisti Gitta. Die MitarbeiterInnen von Basta sind mit diesem Problem regelmäßig konfrontiert: Sie organisieren wöchentlich eine Beratung für Menschen, die Probleme mit dem Jobcenter haben.
aus Taz vom 20.01.2016
Peter Nowak

Abschiebung in die Fremde

Nachdem die Balkan-Länder zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt worden sind, werden nun massenhaft Roma dorthin abgeschoben. Viele Jüngere kennen die Länder nicht einmal, weil sie in Deutschland geboren wurden. Auf dem Balkan droht ihnen Diskriminierung.

Bis Mitte Dezember führten Gzim und Ramiz Berisha das Leben ganz normaler Teenager in Hannover. Sie gingen zur Schule und engagierten sich in der Freizeit in der Roma-Selbstorganisation »Amaro Drom«. Doch der 16. Dezember sollte ihr Leben grundlegend ändern. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die allein an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden. Sie haben von Anfang an die deutsche Sprache gelernt und erfüllten damit die Voraussetzung, die hierzulande von Politik und Öffentlichkeit an eine gelungene Integration gestellt wird. Wobei diese Forderung bei in Deutschland Geborenen wie Gzim und Ramiz Berisha ohnehin fragwürdig ist, die ja auf die dummdeutsche Frage, woher sie kommen, wahrheitsgemäß nur angeben können: Aus Deutschland.

Dass die Berishas jetzt in ein ihnen völlig fremdes Land deportiert wurden, ist die Folge einer Regelung, die vor einigen Monaten für eine kurze Zeit für Debatten sorgte. Damals wurden die Balkan-Länder Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien und Mazedonien zu »sicheren Herkunftsländern« erklärt. Bei den Grünen gab es deswegen einige innerparteiliche Auseinandersetzungen. Die Parteibasis war wohl mehrheitlich dagegen, weil bekannt ist, dass in diesen Ländern Roma noch immer auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden. Doch im Bundesrat stimmte der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, für diese Regelung. Bei ihrer Klausur im neuen Jahr haben sich die Grünen dafür nachträglich selbst gerühmt. Damit habe man in der Öffentlichkeit das Signal ausgesendet, dass man auch zu Abschiebungen bereit sei, lobte die FAZ.

Nachdem die Regelung den Bundesrat passiert hatte, konnte in allen Bundesländern die Abschiebemaschinerie anrollen. Allein in drei fränkischen Regierungsbezirken Bayerns erhielten nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrates Ende November 800 Geflüchtete vom Balkan die Aufforderung, sich in einer Kaserne in Bamberg einzufinden, von wo sie abgeschoben wurden. Auch ein junger Mann, der als Epileptiker auf ärztliche Versorgung angewiesen ist, war davon betroffen. In Nordrhein-Westfalen sitzt der Rapper Hikmet Prizreni alias Prince-H seit Oktober in Abschiebehaft. In den vergangenen Monaten hat er sich künstlerisch für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt. Während des Roma-Tages am 8. April 2015 trat er vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf. Weil er wegen eines Drogendelikts zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, soll der Künstler das Land verlassen, in dem er seit 27 Jahren lebt.

Die Öffentlichkeit reagiert auf die Massenabschiebungen kaum. Schließlich liegt der Fokus seit einigen Monaten auf der angeblich einmaligen deutschen Willkommenskultur. Während damit von Grünen ein neuer Patriotismus ausgerufen wurde, werden Menschen, die oder deren Eltern vor zwei Jahrzehnten aus den Balkanländern geflohen waren, weggeschoben wie ein lästiges Möbelstück. Hier wird eine klare Hierarchie unter Geflüchteten aufgebaut. Die Pressesprecherin von »Amaro Drom«, Anita Burchardt, bringt den Zynismus der deutschen Flüchtlingspolitik auf den Punkt: »Sie sind abgeschoben worden mit der Begründung, dass Deutschland Platz schaffen muss. Deutschland muss Platz schaffen, indem Menschen, die geduldet sind, abgeschoben werden in die Länder, welche von der Bundesregierung als ›sichere Herkunftsländer‹ eingestuft worden sind.«

Das Schicksal von Gzim und Ramiz Berisha wurde im Gegensatz zu vielen faktisch Namenlosen bekannt, weil die beiden Teenager sich in der Roma-Selbstorganisation engagiert hatten. Die versucht nun, die Teenager und ihre Eltern zurückzuholen, und hat eine Online-Petition gestartet. »Gzim und Ramiz Berisha wurden in ein Land abgeschoben, das sie noch nie zuvor gesehen haben – den Kosovo«, heißt es in der Begründung. Man wolle es nicht akzeptieren, dass in Deutschland aufgewachsene Jugendliche einfach aus ihrem Zuhause weggerissen und irgendwohin geschickt werden.

Lediglich glücklichen Zufällen ist es geschuldet, dass die im Kosovo geborene Nizaqete Bislimi nicht abgeschoben wurde. Wegen eines Formfehlers der zuständigen Ausländerbehörde konnte sie mit ihren Eltern und Geschwistern in Deutschland bleiben. Heute ist sie Anwältin und engagiert sich für die Rechte von Geflüchteten. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland beklagte sie die Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge: »Eine Mandantin vom Balkan berichtet, sie bekomme keine Beratung in der Gemeinschaftsunterkunft, weil man dort annehme, sie müsse ohnehin in Kürze ausreisen. Lieber wolle man den syrischen Flüchtlingen helfen.« Bislimi hält es nicht für unwahrscheinlich, dass diese Politik dazu führen könne, dass syrische Geflüchtete Roma aus den Balkan-Staaten vorwerfen, dass sie ihnen den Platz in Deutschland wegnähmen, wenn sie nicht freiwillig ausreisten.

Die Abschiebung von in Deutschland geborenen Menschen in »sichere Herkunftsländer«, aus denen sie gar nicht kommen, ist natürlich auch eine Drohung an Neuankömmlinge. Ihnen wird so mitgeteilt, dass der Staat sie ein- und aussortiert und nicht nur darüber entscheidet, wann sie zu verschwinden haben. Staatliche Instanzen entscheiden auch über das Leben von in Deutschland geborenen Kindern

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53306.html

Peter Nowak

Gemeinsam handlungsfähig sein gegen Rechts

Was können die emanzipatorischen sozialen Bewegungen der rechten Mobilisierung entgegensetzen?

Pegida-Demonstrationen, Gewalt gegen Flüchtlinge, Anschläge auf ihre Unterkünfte – die rechte Bedrohung wird stärker. Was tun?

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte (HDM) in Prenzlauer Berg zum sozialpolitischen und antifaschistischen Ratschlag versammelt. Eingeladen hatten Trägerkreis Vorstand der Stiftung des HDM Ende letzten Jahres.

Angesichts der massiven Mobilisierung von Rechts in unserem Land rufen wir alle emanzipatorischen Gruppen, Initiativen, Organisationen – allgemein Bewegte – auf, gemeinsam die sozialen Fragen der Zeit zu debattieren und unsere Kräfte zu bündeln«, wurde das zentrale Anliegen zusammengefasst. Die Vorstellung einer weltoffenen, sozialen und toleranten Gesellschaft müsse offensiv gegen Rechts vertreten werden.

Schon bei der Vorstellungsrunde bekundeten viele Teilnehmer das Erschrecken über eine wachsende rechte Tendenz in der Gesellschaft. Antifaschistische Gruppen waren ebenso beteiligt wie Erwerbslosengruppen, das »Bündnis gegen Zwangsräumungen«, die »Mobile Beratung gegen Rechtextremismus« und die Junge Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Ein älteres Ehepaar begründete ihr Engagement mit ihren Erlebnissen bei einem Dresden-Besuch, wo sie beobachten konnten, wie aus einer Pegida-Demonstration eine Gruppe ausländische Schüler beschimpft und bedroht wurden. Nachdem die unterschiedlichen Bündnisse und Gruppen ihre für die nächsten Monate geplanten Kongresse, Demonstrationen und Veranstaltungsreihen vorstellten, wuchs bei einigen Teilnehmern die Ungeduld. »Die Vorhaben der einzelnen Gruppen kann ich auch im Internet erfahren. Wir müssen hier darüber reden, warum die Linke in der Defensive ist und wie wir das ändern können«, meinte Michal Prütz von der Neuen Antikapitalistischen Organisation (NAO).

Doch in der Kleingruppenphase im zweiten Teil des Treffens konnte man sich auf einige gemeinsame Vorhaben für die nächsten Monate verständigen.

Die Interventionistische Linke (IL), zu der sich im letzten Jahr mehrere Gruppen der außerparlamentarischen Bewegung zusammengeschlossen hatten, stellte ihr Konzept einer sozialen Allianz unter dem Arbeitstitel »Berlin für Alle« vor. »Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei den Verteilungskämpfen nicht den Rechten die Deutungshoheit überlassen«, begründeten die IL-Vertreter ihren Vorschlag So sei die Forderung nach ausreichendem bezahlbaren Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge sondern generell für Menschen mit geringen Einkommen notwendig, um zu verhindern, dass sozial und gesellschaftlich Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von 32 obdachlosen Männern gegen ihre Kündigung in einen Moabiter Wohnheim angeführt, das zu einer Flüchtlingsunterkunft umgewandelt werden soll. Die Betroffenen wehren sich gegen ihren drohenden Rausschmiss, sind aber mit den Geflüchteten solidarisch und fordern Wohnraum für Alle unabhängig von ihrer Herkunft. Zudem soll noch in der ersten Jahreshälfte 2016 ein »Tag der sozialen Bewegungen« veranstaltet werden, zu dem noch weitere Gruppen aus dem gewerkschaftlichen, feministischen und Flüchtlingsspektrum eingeladen werden sollen.

Neben diesen Aktionen war bei vielen Teilnehmern der Wunsch nach stärkerer Kooperation im Alltag deutlich. Dabei wurde auch über eine Reaktivierung der Sozialforen gesprochen, die zwischen 2005 und 2010 in zahlreichen Städten Deutschlands, darunter auch in Berlin, aktiv waren. Eine Wiederbelebung der Sozialforen wäre auch ein internationalistisches Signal. Schließlich existierten in Teilen Afrikas und Lateinamerikas weiterhin aktive Sozialforen. Beim nächsten berlinweiten Treffen am 14. Februar soll über die Wiedereinrichtung diskutiert werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998414.gemeinsam-handlungsfaehig-sein-gegen-rechts.html

Peter Nowak

Soziale Frage neu gestellt

„Links“ „Ratschlag“ im Haus der Demokratie

Rund 150 Teilnehmer haben sich am Samstag im Haus der Demokratie und Menschenrechte an einem „sozialpolitischen und
antifaschistischen Ratschlag“ beteiligt. Das Bündnis gegen Zwangsräumungen und die Erwerbslosengruppe Basta waren ebenso vertreten wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus, die Junge GEW und die Interventionistische Linke (IL). Ein 88-jähriger Teilnehmer
erklärte, er wolle sich noch einmal engagieren, nachdem er in Dresden gesehen habe, wie aus einer Pegida-Demonstration heraus
ausländische SchülerInnen bedroht wurden. Angesichts der erstarkenden rechten und rassistischen Propaganda müsse die Linke wieder in der Öffentlichkeit wahrnehmbar werden, so der Konsens unter den Ratschlag-TeilnehmerInnen.  „Wir müssen die soziale Frage neu stellen und dürfen bei Verteilungskämpfen den Rechten nicht die Deutungshoheit überlassen“, begründeten die IL-VertreterInnen
ihren Vorschlag einer sozialen Allianz unter dem Motto „Berlin für Alle“. Zentraldabei ist die Forderung nach ausreichendem bezahlbarem Wohnraum nicht nur für die Neuankömmlinge, sondern für alle Menschen mit geringen Einkommen. S  könne verhindert
werden, dass Benachteiligte gegeneinander ausgespielt werden. Als positives Beispiel wurde der Widerstand von Obdachlosen gegen ihre Kündigung durch den Betreiber des „Gästehaus Moabit“ angeführt, das zur Flüchtlingsunterkunft werden  soll. Die von der Kündigung Betroffenen zeigten sich mit den Geflüchteten solidarisch. Verabredet wurde die Vorbereitung eines „Tages der sozialen Bewegungen“ in den kommenden Monaten. Dazu sollen auch Flüchtlingsinitiativen sowie gewerkschaftliche und feministische Gruppen eingeladen werden. Am 14. 2. wird die Diskussion im Haus der Demokratie fortgesetzt.
aus Taz 18.01.2016
Peter Nowak

Druck auf Merkel in der Flüchtlingsfrage wächst

In der EU ist Merkel isoliert, in Österreich wird eine Großoffensive gegen Migranten geplant, die Linke steckt im Moralisieren fest

Vor einigen Wochen noch wurde Angela Merkel wieder einmal als große Siegerin in den Medien gefeiert. Schließlich wurde sie am CDU-Parteitag mit viel Applaus bedacht und ihre Kritiker in der Flüchtlingsfrage gaben sich mit Formelkompromissen zufrieden. Vor allem Grüne und Zivilgesellschafter, ja sogar Campino von den Toten Hosen[1] sehen in Merkel die große Flüchtlingsfreundin.

Dass damals schon Tausende Menschen aus den Balkanländern, darunter Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden, in ihre sogenannten sicheren Herkunftsländer abgeschoben wurden, ging dabei weitgehend unter. Die Willkommenskultur galt wohl nicht für Roma aus Kosovo. Doch der innerparteiliche Burgfrieden währte nur kurz. Schon wieder melden sich Unionspolitiker zu Wort, die gegen die Merkelsche Flüchtlingspolitik opponieren. Dieses Mal geht es nicht um die Obergrenze, sondern um die Durchsetzung des Dublin-Systems. Einer der Initiatoren dieser Bewegung, der Unionsabgeordnete Christian von Stetten[2], wird in der Zeit zitiert[3]: „Bei einer solch entscheidenden Frage muss sich die Fraktion eine Meinung bilden.“

Zeit Online zitiert aus dem Antrag, dass dort eine „verlässliche Sicherung der deutschen Staatsgrenzen“ gefordert werde, solange internationale Maßnahmen wie die Sicherung der EU-Außengrenze noch keine Wirkung zeigten: „Notwendig sei eine ‚vollständige grenzpolizeiliche Kontrolle und Registrierung aller nach Deutschland Einreisender‘. Diese Maßnahmen müssten auch auf die Grüne Grenze übertragen werden. „Zurückweisungen (…) sind zumindest bei denjenigen vorzunehmen, bei denen keine offenkundigen, zwingenden humanitären Gründe für eine Einreise sprechen“, heißt es weiter.

Dies treffe vor allem auf allein reisende junge Männer zu. Aber auch Menschen, denen eine Wiedereinreisesperre auferlegt wurde, bereits einen Folgeantrag gestellt haben oder bei der Feststellung ihrer Identität nicht mitwirken, soll die Einreise verweigert werden. Nun sind diese Forderungen nicht besonders spektakulär. Ein Großteil ist bereits heute Gesetz. Allerdings können oder wollen die Initiatoren die Frage nicht beantworten, woher beispielsweise das Personal kommen soll, dass nicht nur die offizielle, sondern auch die Grüne Grenze vollständig überwachen soll.

So scheint hinter den Antrag eher die Panik von Unionspolitikern zu liegen, die bei den nächsten Landtagswahlen eine empfindliche Schlappe der Union und den Aufstieg der AfD befürchten. Es sind nicht nur Unionspolitiker, die sich Sorgen machen. Wenn vor einigen Wochen SPD-Politiker Merkel gerügt haben, sie lasse es mit ihrer Politik zu, dass die Konservativen in der Union heimatlos werden, dann kommt dort natürlich die Angst zum Ausdruck, dass die Union der SPD die Wähler wegnimmt.

Wenn man wahrnimmt, wer sich in den letzten Wochen mehr oder weniger verschämt alles als Merkel-Fan geoutet hat, dann ist diese Befürchtung sicher nicht unberechtigt. Wenn dann in der Folge die Union allerdings noch mehr Wähler an die AFD verliert, stehen die sogenannten Parteien der Mitte vor einem Dilemma. Es könnte die Zeit kommen, wo sie selber zusammen in einem Landtag keine absolute Mehrheit mehr haben.

Machtmenschen wie der Merkel-Vorgänger Schröder nutzen nun gleich die Gelegenheit, um Merkel noch zu bescheinigen[4], in der Flüchtlingspolitik keinen Plan gehabt zu haben. Seine Kritik ist teilweise verständlich, wenn er die Weigerung der Union, ein Einwanderungsgesetz zu verabschieden, kritisiert, was dazu führt, dass Migranten, die in Deutschland bessere Lebensbedingungen suchen, aber nicht politisch verfolgt werden, unter die Asylgesetzgebung gepresst werden, die für diese Menschen gar nicht passt. Wenn Schröder konsequente Abschiebung von straffälligen Migranten fordert, ohne auch nur mal die rechtliche Grundlage zu erörtern, betreibt er natürlich gnadenlosen Populismus.

Es ist aber weniger Merkel als vielmehr Sigmar Gabriel, der durch die Schröder-Attacken aufgeschreckt werden müsste. Vielleicht plant er doch noch mal eine Rückkehr in die Politik? Schließlich darf der Begriff vom Altkanzler nicht täuschen. Es gab Kanzler, die waren schon beim Amtsantritt älter als Schröder heute. Wenn sich der Abwärtstrend der SPD bei den nächsten Wahlen nicht aufhalten lässt, könnte es gut sein, dass Schröder als Retter in der Not gerufen wird. Er kann sogar glaubwürdig Merkel in der Flüchtlingsfrage von rechts kritisieren.

Landrat schickt Geflüchtete vor das Bundeskanzleramt

Wie groß die Ablehnung der Merkelschen Flüchtlingspolitik schon ist, zeigte auch die Aktion[5] eines bayerischen Landrats, der 31 syrische Geflüchtete mit dem Bus nach Berlin schickte, um gegen die Flüchtlingspolitik zu protestieren. Da der Landrat zu den Freien Wählern gehört, fanden vor allem die CSU und auch viele Medien keine guten Worte für die Aktion.

Tatsächlich macht der Landrat deutlich, dass er für eine Flüchtlingsbegrenzung eintritt, also die Aktion zur Umsetzung einer politischen Agenda nutzt. Allerdings könnte sie gegen seinen Willen auch den Geflüchteten entgegen gekommen sein. Vielleicht sehen sie in der Großstadt Berlin mehr Chancen für sich als in der bayerischen Provinz. Wenn sie schlau sind, haben sie Vorkehrungen getroffen und nutzen die Aktion des Landrats, um in Berlin zu bleiben. Dann stünde der Politiker blamiert da und einige Menschen wären zufriedener.

In der EU ist Merkel völlig isoliert

Doch nicht nur in Deutschland mehr noch in der EU wächst der Druck auf Merkel. Das wurde beim gestrigen Besuch von EU-Kommissionspräsident Juncker in Berlin deutlich. Der favorisierte EU-Verteilungsplan geht nicht auf. Ob Dänemark, Schweden, Tschechien. Polen oder die Slowakei, von Ungarn gar nicht zu reden, alle Länder mit ihren unterschiedlichen Regierungen fordern eine Verminderung von Migranten in ihren Ländern oder zumindest ein geordnetes Prozedere.

In einem Interview[6] des Deutschlandfunks mit dem Direktor des Europaprogramms der Bertelsmann-Stiftung Joachim Fritz-Vonnahme[7] wird auch deutlich, wie gespalten die EU in der Flüchtlingsfrage ist. Auf die Frage, ob es noch eine europäische Lösung geben wird, antwortet Fritz-Vonnahme:

Ich glaube nicht mehr, dass es in absehbarer Zeit eine europäische Lösung geben wird, und zwar, weil die Probleme inzwischen zu einem wahren Gestrüpp von nationalen Egoismen herangewachsen sind. Ich will mal nur ein oder zwei Beispiele nennen. Da wird beschlossen, dass man die Grenzschutztruppe Frontex auf 1.500 Mann bis Mitte dieses Jahres aufstocken soll. Die aktuelle Ratspräsidentschaft der Niederländer sagt, das kann aber noch ein bisschen warten. Die Slowaken, die anschließend übernehmen, sagen, nein, nein, wir können überhaupt nicht bis Mitte des Jahres warten, das muss sofort geschehen.

Zweites Beispiel ist die Quote von 160.000 Flüchtlingen, die verteilt werden sollen. Da sind einige wenige Hundert nach Monaten inzwischen verteilt. Oder ein weiteres Beispiel die Überlegung der niederländischen Ratspräsidentschaft, ausgerechnet in dem Augenblick, in dem sie Vorsitz haben, ein Mini-Schengen zwischen vier, fünf, sechs Mitgliedsstaaten aus der Taufe zu heben. Das ist die Spaltung der EU von unten her, von innen her. Das ist wie gesagt alles nur Gestrüpp, in dem keiner so richtig weiß, welchen Weg er eigentlich einschlagen will.Joachim Fritz-Vonnahme

Joachim Fritz-Vonnahme

Großoffensive gegen Migranten in Österreich

Derweil meldet[8] die österreichische Kronenzeitung, sie haben einen eigentlich noch geheimen Plan enthüllt, nach dem das österreichische Bundesheer schon in den nächsten Tagen gegen Migranten an der Grenze vorgehen will und dabei mit der deutschen und slowenischen Regierung in Gesprächen sei. Hier würde nur nachvollzogen, was bereits an vielen anderen Grenzen Praxis ist.

Man vertraut also nicht mehr darauf, dass die türkische Regierung die potentiellen europäischen Einwanderer schon zurückhält und sie teilweise sogar gleich nach Syrien zurückschickt. Denn auch das gehörte zur Flüchtlingspolitik à la Merkel. Doch vor allem ihre neuen Freunde, die wie die Taz gleich einen neuen deutschen Willkommenspatriotismus ausgerufen hatten, ignorierten solche unschönen Details ebenso wie die seit Wochen laufenden Massenabschiebungen in den Kosovo und andere Balkanländer.

Moral statt Analyse in der linken Flüchtlingsdebatte

Gerade die letzten Monate der Flüchtlingspolitik haben die völlige Konzeptlosigkeit einer Linken entlarvt, die in der Flüchtlingsfrage nicht über moralische Bekenntnisse hinauskam. Dabei stand weniger das Interesse der Migranten, sondern das Bedürfnis, sich mit einem angeblich so humanen Deutschland zu solidarisieren, im Mittelpunkt.

Das merkt man allein schon daran, dass in den meisten Publikationen ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die Mirganten n Deutschland für immer leben wollen. Dabei haben viele Flüchtlingsorganisationen immer wieder betont, dass sie gerne wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen, wenn sich die Bedingungen in ihren Ländern verbessert haben. So betonen in einer Publikation[9] der zivilgesellschaftlichen Organisation Adopt the Revolution[10], die für eine demokratische Entwicklung ohne die Islamisten und das Assad-Regime in Syrien eintritt, mehrere Interviewpartner, dass sie keinesfalls dauerhaft in Europa bleiben wollen.

Die Initiative Afrique-europe-Interact[11] redet in ihrer jüngsten Publikation vom Recht zu gehen und vom Recht zu bleiben. Dort werden anders als in der moralischen deutschen Flüchtlingsdebatte auch die Folgen für die Länder beschrieben, aus denen viele meist junge Menschen migrieren.

Es wäre zu wünschen, wenn mehr solche Initiativen, in denen Geflüchtete selber zu Wort kommen, gehört werden. Der Mainstream der deutschen Willkommenskultur macht das genau nicht. Ihnen geht es vor allem um die großen Chancen für eine alternde Gesellschaft in Deutschland, die Zuwanderung mit sich bringen sollen. Dabei sind sie sich auch mit führenden Wirtschaftsverbänden einig. Das war auch der Motor der Willkommenskultur im Spätsommer 2015. Die Linke spielte dabei in der Regel die Rolle des humanitären Feigenblattes.

http://www.heise.de/tp/artikel/47/47130/1.html

Peter Nowak 15.01.2016

Anhang

Links

[1]

http://www.express.de/duesseldorf/lob-fuer-die-kanzlerin-campino—merkel–ich-koennte-sie-umarmen—23106736

[2]

http://www.christian-von-stetten.de/

[3]

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-01/angela-merke-cdu-fluechtlinge-streit

[4]

http://www.focus.de/politik/deutschland/altkanzler-zur-fluechtlingskrise-da-wurde-schlicht-die-realitaet-ignoriert-schroeder-kritisiert-merkel_id_5212643.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/landrat-peter-dreier-schickt-fluechtlinge-per-bus-zu-angela-merkel-a-1072011.html

[6]

http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-keine-europaeische-loesung-in.694.de.html?dram:article_id=342465

[7]

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/ueber-uns/wer-wir-sind/ansprechpartner/mitarbeiter/cid/joachim-fritz-vannahme/

[8]

http://www.krone.at/Oesterreich/Grossoffensive_gegen_illegale_Einwanderer-Heeres-Geheimplan-Story-491105

[9]

http://www.adoptrevolution.org/ich-will-syrerin-bleiben/).

[10]

http://www.adoptrevolution.org/

[11]

http://afrique-europe-interact.net/

In die Ferne fuchteln

Eine fortschrittliche Linke muss sich jeder Nation verweigern und jedem Krieg eine Absage erteilen.

Anfang der neunziger Jahren wurde in antideutschen Kreisen für Linke, die ohne jeglichen gesellschaftlichen Einfluss immer ein Repertoire an Vorschlägen für die Lösung der Konflikte in aller Welt parat hatten, der schöne Begriff des Fernfuchtlers geprägt. Nach den islamistischen Anschlägen vom 11. September 2001 wurden einige vormalige Antideutsche selbst Fernfuchtler. Spätestens als die Zeitschrift Bahamas im April 2003 den US-Präsidenten zum »Man of Peace« kürte und die schnelle Niederlage des Ba’ath-Regimes nicht nur feierte, sondern damit die Hoffnung auf ein Ende der antisemitischen Internationale verband, war klar, dass ein Teil dieser Strömung es nicht mehr bei Ideologiekritik belassen wollte. Nach den Anschlägen von Paris schwingt sich die Fernfuchtler-Fraktion zu neuen Höhenflügen auf. Bereits im Dossier der Jungle World 48/2015 blies Matthias Küntzel zum großen Krieg und unterschied sich in seinen Argumentationen kaum vom rechten Flügel der US-Republikaner. So warf er US-Präsident Obama eine Politik der »Selbstentmachtung« und der »Selbstdemütigung« vor. Ausgeblendet hat er dabei, dass Obama mit seiner Politik auf das völlige Scheitern der Außenpolitik seines Vorgängers reagierte und nachvollzog, was große Teile der US-Bevölkerung nach der Ende der Bush-Ära einforderten. Bushs außenpolitische Bilanz war geprägt von einer wachsenden Zahl toter US-Soldatinnen und -Soldaten. Die toten Zivilisten vor Ort spielten für den Kurswechsel eine geringere Rolle. Die größte Selbstdemütigung der USA, zumindest für die Menschen, für die ihre Gründungsdokumente noch eine Bedeutung hat, waren sicherlich die Foltermethoden von Guantánamo bis Abu ­Ghraib. Hier wurde übrigens auch auf vielfältige Art und Weise gesät, was die unterschiedliche ­Islamistenfraktionen später ernten konnten. Der sogenannte Islamische Staat (IS) ist nur die zurzeit bekannteste dieser islamfaschistischen Bewegungen.

Es sind ganz konkrete Maßnahmen, wie die Auflösung der irakischen Armee nach dem Sturz des Ba’ath-Regimes, die erklärbar machen, wie eine Gruppierung wie der IS so stark werden konnte. Und die Bilder von Abu Ghraib und Guantánamo haben dazu beigetragen, dass in vielen arabischen Ländern und längst nicht nur in islamistischen Kreisen jegliches Vertrauen in die US-Politik verloren ging. Ist schon vergessen, dass nach 2001 nicht wenige tatsächliche oder vermeintliche Islamisten für die Schmutzarbeit an die Häscher des syrischen Regimes übergeben wurden? So bediente sich der Westen genau der Terrormethoden des syrischen Regimes, die heute so wortreich beklagt werden. Von alldem lesen wir bei Küntzel nichts, der den Westen zum ganz großen Kampf gegen die von ihm so bezeichnete »Koalition der Wahnsinnigen« aufruft. Diese umfasst die Hamas, die Hizbollah, al-Qaida, den IS und den Iran. All diesen Akteuren wird niemand eine Träne nachweinen.

Die Leidtragenden einer Intervention in Syrien wären neben den vielen Zivilisten auch die Israelis. Es ist ein Glück für Israel, dass die islamistischen Kräfte untereinander zerstritten sind. Eine vereinigte islamistische Front würde erst geschmiedet, wenn jemand mit Macht, vielleicht ein US-Präsident Donald Trump, Küntzels Vorschlag umsetzen wollte. Für Israel wäre das eine große Gefahr. Es ist auffallend, dass in Küntzels Aufzählung der Wahnsinnigen Saudi-Arabien nicht auftaucht. Dabei hat das Regime bei der Praktizierung von Terror nach innen und Islamismusexport nach außen den Iran längst eingeholt. Gehört das Land jetzt nach Küntzels Meinung zu den wesentlichen Verbündeten des Westens?

Auch Gerhard Scheit erweist sich in seinem Beitrag in der Jungle World 49/2015 als Fernfuchtler mit globalem Anspruch. Allein der Vorwurf des Appeasements gegen Politiker, die nicht überall Bomber hinschicken wollen, macht deutlich, wie sehr er in militärstrategischen Kategorien denkt. Da ist für zivilgesellschaftliche, geschweige denn herrschaftskritische Gedanken kein Platz mehr. Das wird deutlich, wenn Scheit es begrüßt, dass »der NSA-Skandal« nach den Anschlägen von Paris »von deutschen Moralaposteln und grünen Politikern natürlich abgesehen, kaum noch jemanden interessiert«. Nun kann man mit Recht an dem Mainstream der deutschen NSA-Debatte kritisieren, dass sie die Überwachungsmethoden deutscher Dienste bagatellisierte, von Antiame­rikanismus geprägt war und die angeblich nicht vorhandene deutsche Souveränität beklagte. Wenn aber der Protest gegen die NSA-Überwachung für nebensächlich gehalten wird, zeigt dies doch vor allem, dass die individuellen Grundrechte – und dazu gehört das Recht, nicht abgehört zu werden – auf der Strecke bleiben, wenn das Fernfuchteln beginnt.

Und nicht nur das. Nach den Anschlägen von Paris wollten plötzlich von einer Kritik an der omnipräsenten französischen Fahne auch solche Menschen nichts mehr hören, die eigentlich immer eine klare Kritik an Staat und Nation geübt haben. Dabei entscheidet sich gerade dann, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen wird, was diese Kritik wert ist. Denn dann werden von der Herrschaft die Toleranzgrenzen eng gezogen, und es kann sogar strafrechtlich sanktioniert werden, wenn man an der alten Staatskritik festhält. Da wird historisch argumentiert, dass es die Fahne der französischen Revolution ist. Doch die französische Fahne bedeutet einen nationalen Schulterschluss, bei dem dann zumindest kurzfristig die innergesellschaftlichen Widersprüche, wie den Kampf gegen die Rechte in Gestalt des Front National (FN), aber auch Arbeitskämpfe an Bedeutung verlieren.

Die französische Fahne zu zeigen, bedeutet auch zu schweigen über ein anderes Pariser Massaker, bei den am 17. Oktober 1962 Hunderte Teilnehmer einer von der französischen Regierung verbotenen Demonstration für die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN ermordet und wurden. An solche und andere Verbrechen der Nation gerade in Zeiten zu erinnern, in denen zum na­tionalen Schulterschluss aufgerufen wird, gehört zu der wichtigsten Aufgabe einer Linken, die ihre Kritik an Staat, Nation und Kapitalismus ernst nimmt. Sie erkennt als erstes ihre völlige Machtlosigkeit und unterlässt jedes Fernfuchteln.

Nur eine Linke, die sich in Zeiten des Notstands und des Ausnahmezustands verweigert, wenn zur Vereinigung unter den unterschiedlichen Nationalfahnen aufgerufen wird, wird in der Lage sein, einen widerständigen Block zu bilden, der die Barbarisierungspotentiale im Zerfallsprozess des Kapitalismus analysiert und bekämpft. Dazu gehört der Klerikalfaschismus, wovon die unterschiedlichen islamistischen Gruppen nur die Speerspitze bilden. Dazu gehören aber auch die unterschiedlichen faschistischen oder nationalistischen Gruppierungen, die in ganz Europa anwachsen.

Eine Linke, für die die Kritik an Staat, Kapital und Nation kein Schönwettergeschwätz ist, sollte dazu beitragen, dass diese Zusammenhänge erkannt und der Widerstand gegen die beiden Formen der extremen Krisenreaktionen des Kapitalismus in den Stadtteilen organisiert wird, in denen die Menschen leben, die heute oft nicht einmal mehr vom Kapitalismus ausgebeutet werden. Es sind die Stadtteile, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr zum Wählerpotential rechter Bewegungen wurde. Es sind auch Quartiere, in denen die überwiegende Mehrheit der islamfaschistischen Attentäter leben. Man braucht also nicht Bomber in den Nahen Osten zu schicken, wenn man die unterschiedlichen Spielarten des Faschismus bekämpfen will. Diese Klärungs- und Organisationsprozesse sollten in den europäischen Kernländern geführt werden. Doch dazu braucht es eine antagonistische Linke, die nicht durch die Zusammenarbeit mit der Macht diskreditiert ist. Historische Reminiszenzen sollten sicher nicht überstrapaziert werden. Doch diese antagonistische Fraktion der Linken kann sich ein historisches Vorbild an der Zimmerwalder Linken nehmen, sich mitten im Ersten Weltkrieg in einem Meer von Nationalismus, Chauvinismus und Kriegsbegeisterung die entschiedenen Kriegsgegner sammelten. Bei allen zeitbedingten Unterschieden sind zwei Grundsätze der Zimmerwalder heute aktueller denn je: die Absage an die Kriege der Herrschenden nach außen und an die Politik des Burgfriedens nach innen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53320.html

Peter Nowak

Rosa, Karl & die Räte

Axel Weipert
erinnert an die Zweite Revolution

Sie erhielten kein Rederecht auf dem Reichsrätekongress vom 16. bis zum 20. Dezember 1918 in Berlin: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und so entschied sich die Mehrheit der Delegierten wider das Rätesystem für Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung, also die parlamentarische Demokratie. „Rosa, Karl & die Räte“ weiterlesen

Staatsräson oder Solidarität?

Ver.di: Justizbeamte und Gefangene nicht der gleichen Gewerkschaft

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen, hat auch in Österreich Mitglieder gewonnen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat allerdings Probleme mit den KollegInnen hinter Gittern. In einer Radiosendung über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als ver.di nicht leisten können. Wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen.«

In einer Replik warf der Pressesprecher der GG/BO, Oliver Rast, Schürholz »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« vor. Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandards auch für Gefangene einzufordern, sehe der ver.di-Mann seine Rolle darin, »den Staat in der Gestalt als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten, sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen«.

Auf Nachfrage wollte Barbara Wederhake von der Fachgruppe Justiz in der ver.di-Bundesverwaltung Schürholz’ Äußerungen nicht kommentieren. Es gebe allerdings keinen Beschluss von ver.di zur GG/BO. Die zuständigen Gremien hätten sich mit der Frage nicht beschäftigt. Dass Schürholz erklärt hatte, dass Justizangestellte und Gefangene nicht in einer Gewerkschaft organisiert sein können, findet Wederhake allerdings verständlich. Es könne zu dieser Frage allerdings in ihrer Gewerkschaft unterschiedliche Meinungen geben. Tatsächlich haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche ver.di-Gliederungen und soziale Verbände mit der GG/BO solidarisch erklärt. Dazu gehört der ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin und die verr.di-Jugend, aber auch der Rat der Paritätischen Verbände.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998085.staatsraeson-oder-solidaritaet.html

Peter Nowak

Überfall auf Linksparteiaktivist erfunden?

Von Brüsewitz bis Lanzmann

Die neue Ausgabe des »Telegraph« überzeugt mit Tiefgang und Witz

Kurz vor Jahresende ist die neue Ausgabe der Zeitschrift »telegraph« erschienen, gegründet als Sprachrohr der linken DDR-Opposition, die 1989 nicht auf die Straße gegangen ist, um in der BRD anzukommen. Auch in der aktuellen Doppelnummer werden den Lesern auf 184 Seiten viele Argumente gegen die herrschenden Verhältnisse geboten. Statt einer Einleitung wird ein Ausschnitt aus dem Kommunistischen Manifest abgedruckt, in dem beschrieben wird, wie die zur Macht gelangte Bourgeoisie sämtliche feudalen, patriarchalen Verhältnisse zerstört. Thomas Konicz ist mit einem Vorabdruck seines in den nächsten Monaten erscheinenden Buches »Kapitalkollaps« vertreten. Dort klassifiziert er den Islamismus und die nationalistischen Bewegungen in vielen europäischen Ländern als »zwei gleichermaßen irre Ideologien, die auf den unverstandenen Krisenprozess mit verstärkter Identitätsproduktion, mit einer erzreaktionären Sehnsucht nach der herbei halluzinierten heilen Vergangenheit und dem eliminatorischem Hass auf alles Andersartige reagieren«.

Obwohl die »telegraph«-Herausgeber mittlerweile auf den Zusatz »ostdeutsche Zeitschrift« verzichten, behandeln viele Beiträge Themen aus Ostdeutschland und Osteuropa. So gibt es ein Interview mit Aktivisten der Interventionistischen Linken (IL), die ihre Kindheit und Jugend in der späten DDR verbrachten. Der Mitgründer der Ostberliner Antifa, Dietmar Wolf, geht auf die Räumung der besetzten Mainzer Straße vor 25 Jahren ein und beschreibt die Konflikte in der linken DDR-Opposition, die sich am Umgang mit militantem Widerstand entzündeten. Der auch als nd-Autor bekannte Karsten Krampitz widmet sich Pfarrer Oskar Brüsewitz aus Zeitz, dessen Selbstverbrennung sich am 18. August 2016 zum 40. Mal jährt. Dabei legt Krampitz bisher wenig bekannte Quellen offen, die Brüsewitz als christlichen Fundamentalisten und Antisemiten zeigen, der die NS-Judenvernichtung als Gottes Wille begrüßte. Krampitz zeigt, wie ein anonymer ND-Kommentar, in dem Brüsewitz als Pfarrer bezeichnet wurde, »der nicht alle fünf Sinne beisammen hatte« nicht nur wütende Leserbriefe, sondern auch Redaktionsbesuche und eine Anzeige empörter Christen in der DDR zur Folge hatte.

Weitere Artikel widmen sich dem Balkan und Transnistrien. Unter den zahlreichen Kulturbeiträgen verdient die Würdigung des jüdischen Regisseurs Claude Lanzmann zu seinem 90. Geburtstag durch die Filmemacherin Angelika Nguyen besondere Erwähnung. Die Taxigeschichten von Yok und die Fußballgeschichte von Florian Ludwig sind Beispiele für gut geschriebene Unterhaltung mit Witz und Tiefgang.

telegraph 131/132, 184 Seiten, 9 Euro, beziehbar über

http://telegraph.cc/telegraph-131132-erschienen/

https://www.neues-deutschland.de/artikel/997817.von-bruesewitz-bis-lanzmann.html

Von Peter Nowak

„Pogida“ mit Startschwierigkeiten

Am gestrigen Monat sind Pegida-Anhänger in Berlin und Potsdam – mit wenig Erfolg – auf die Straße gegangen.

Noch bevor der Bärgida-Aufmarsch vor dem Berliner Hauptbahnhof am Montag begonnen hatte, schallten  die  Parolen der Gegendemonstraten  von „NoBärgida  über den Platz. Bald stellte sich heraus, dass die Gegner mit über 200 Demonstrierenden gegenüber den knapp 120 „Bärgida“-Teilnehmern in der Mehrheit waren.

Einziger „Bärgida“-Redner war  der „pro Deutschland“-Funktionär Karl Schmitt, der seit Monaten die Aufmärsche anmeldet und eröffnet. Im Mittelpunkt seiner Rede standen die Kölner Ereignisse in der Silvesternacht. Dabei  erging sich  Schmitt in verschwörungstheoretischen  Vermutungen, dass die „Globalisten“  solche Ereignisse gezielt planten, um eine „braune Menschenrasse“ zu erzeugen, über die angeblich schon vor Jahrzehnten in den USA geschrieben worden sei. Zudem würden, so Schmitt, die Globalisten  gezielt die „Abschaffung der Völker“ betreiben, um ihren sozialistischen Zielen näher zu kommen. Das Interesse der Zuhörer hielt sich in bei solchen Ausführungen allerdings in Grenzen. Größeren Applaus erhielt Schmitt nur, als  er das  Hochziehung der Grenzen und die schnelle Abschiebung von Flüchtlingen forderte und  seine Rede mit dem Bekenntnis beendete, solange wieder auf die Straße zu  gehen, bis Deutschland wieder den Deutschen gehöre.

Nach knapp 30 Minuten war die Kundgebung beendet und ein Großteil der Teilnehmer stieg in zwei Busse nach Potsdam. Damit sollte der erste „Spaziergang gegen die Islamisierung des Abendlandes“ von Pogida am 11. Januar in der Brandenburger Landeshauptstadt unterstützt werden. Doch der erste öffentliche Auftritt des neuen Pegida-Ablegers hatte große Startschwierigkeiten. Zunächst wurden die Busse aus Berlin  durch Blockaden eines Gegenbündnisses behindert. Danach wurde auch  die geplante Demonstrationsroute blockiert. So beschränkte sich die erste  Pogida-Aktion auf langes Stehen auf dem Potsdamer Bassinplatz. Gegen 22.15 Uhr drängte die Polizei  auf die Auflösung der Kundgebung und geleitete die Teilnehmer zum Hauptbahnhof.  Nach Angaben der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) wurde erstmals bei einem NPD-gesteuerten Protest gegen eine  Flüchtlingsunterkunft  in der vergangenen Woche öffentlich zu Pogida aufgerufen. Der Anmelder Christian M. aus Potsdam  habe auf seiner Facebook-Seite offen mit der NPD sympathisiert.

aus:

http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/pogida-mit-startschwierigkeiten

Peter Nowak