Peter Nowak über ein Treffen der Amazon-Solidaritätsgruppen
Das osthessische Städtchen Bad Hersfeld nicht nur für FreundInnen der Theaterfestspiele an der Stiftsruine eine Reise Wert. Auch politische AktivistInnen steigen dort schon einmal ab. Dafür sorgt das Amazon-Werk am Rande der Stadt, dessen Ansiedlung von der örtlichen Politik wegen der Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region vehement begrüßt worden war. Wenn in der letzten Zeit bei Amazon für die Einführung eines Tarifvertrags gestreikt wurde, waren die KollegInnen vom Standort Bad Hersfeld immer mit dabei.
Am letzten November-Wochenende war nun Bad Hersfeld der Ort, in dem sich die Amazon-Streiksolidaritätsgruppen zu einem bundesweiten Seminar im Tagungshaus der Falken gleich neben der Stiftsruine trafen. Ca. 20 solidarische UnterstützerInnen aus Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, Leipzig und Kassel waren anwesend. AktivistInnen es Netzwerkes Soziale Arbeit aus Frankfurt/Main berichteten über Erfahrungen in den betrieblichen Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfen des Caresektors.
Amazon-Beschäftige kamen aus den Werken Brieselang, Leipzig und Bad Hersfeld. Durch die Wahl des Ortes war so gewährleistet, dass die KollegInnen besser einbezogen wurden als bei den vorherigen Treffen in Leipzig und Frankfurt/Main.
Solidaritätsstrukturen sind keine Ersatzgewerkschaft
Ausführlich wurde über das Verhältnis der Solidaritätsstrukturen zu den Gewerkschaften diskutiert. Dabei gab es auch von einigen aktiven KollegInnen viel Kritik an ver.di, wenn es um konkretes Agieren während des Arbeitskampfes geht. Konsens war aber auch, dass die Solidaritätsstrukturen weder alternative Gewerkschaften noch als „unbezahlte OrganizerInnen für ver.di tätig sein sollen, wie es ein Seminarteilnehmer ausdrückte. Als gute Beispiele für eine eigenständige Rolle der Solidaritätsstrukturen wurden die Kontakte zu der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas oder der polnischen Inicjatywa Pracownicza (IP) genannt. Beide Gewerkschaften gehören nicht zu den gesellschaftlichen BündnispartnerInnen von Ver.di, sind aber in ihren Ländern sehr Logistiksektor aktiv. Die IP hat in den letzten Monaten bei Amazon-Poznań KollegInnen organisiert und auch schon Solidaritätsaktionen mit den Streik in den bei deutschen Amazon-Werken durchgeführt. Aus den heraus entstanden Kontakte zu Bündnissen der außerparlamentarischen Linken, die z.Beispie im Rahmen der Blockupy-Aktionstage zu gemeinsamen Aktivitäten führten.
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Geflüchtete als KollegInnen?
Ein weiterer Diskussionspunkt in Bad Hersfeld war der Umgang mit migrantischen Beschäftigten. Das Thema war kurzfristig aufgenommen wurden, nachdem bekannt wurde, dass zum 1. Dezember bei Amazon Bad Hersfeld und Leipzig Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft eingesetzt wurden. In Bad Hersfeld werden jeden Tag 40 Geflüchtete mit Bussen zum Werk gefahren. Mehrere Beschäftigte berichteten, dass in der letzten Zeit in der Umgebung des Werks vermehrt Hakenkreuzschmierereien aufgetaucht seien. Die Diskussionen unter den KollegInnen bewegen sich „auf schlimmsten Pegida-Niveau“ , erklärte ein Beschäftigter aus Bad Hersfeld. Auch KollegInnen, die sich aktiv an den letzten Streiks beteiligt hätten, würden teilweise die MigrantInnen nicht als gleichwertige KollegInnen betrachten. Ver.di würde sich überhaupt nicht dazu äußern, so die Kritik. Die anwesenden KollegInnen erklärten allerdings auch, es sei schwierig, mit den Geflüchteten in Kontakt zu treten, weil sie mit Bussen zum Werk gebracht und wieder abgeholt werden. Sie berichteten allerdings über vereinzelte Kontaktmöglichkeiten. So hätten zwei der neuen KollegInnen den Bus verpasst und wussten nicht, wie sie zu ihrer Unterkunft kommen sollen. Dabei sei ein Kollege eingesprungen. Auch bei der Arbeit gäbe es Kontaktmöglichkeiten, die aber bisher nur wenig genutzt würden. Über die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes von alten und neuen KollegInnen gab es unter den anwesenden KollegInnen Differenzen. Manche hielten das für ausgeschlossen und sprachen von „einen Kampf gegen Windmühlen“. Andere sahen eine solche Kooperation nicht so pessimistisch.
KonsumentInnen solidarisieren sich
Auf dem Sonntag wurde ein Aufruf zum KonsumentInnenstreik verabschiedet. In einen Flugblatt werden vier Schritte aufgelistet, die dabei beachtet werden müssen. Zunächst muss bei Amazon eine Ware für mindestens 40 Euro bestellt werden. Anschließend sollen die kritischen KundInnen von der großzügigen Umtauschregelung Gebrauch machen, die für diese Einkäufe gelten. Innerhalb von zeri Wochen nach Empfang können die Waren zurück geschickt werden: ab 40 Euro fallen dafür keine Versandkosten an. Auf dem Retourpaket können z.B. Grußbotschaften oder Aufkleber angebracht werden, die sich mit den streikenden Beschäftigten solidarisch erklären und die Forderungen nach Kunden einem Tarifvertrag unterstützen. Das Streiksolibündnis ruft auch dazu auf, dass Fotos davon zu senden, die dann auf Facebook veröffentlicht werden sollen. Die InitiatorInnen betonen, dass es dabei nicht um einen Boykottaufruf gegen Amazon handelt. „Beschäftigte haben uns gesagt, wenn das Wort Boykott auftaucht, würden sich viele Beschäftigte persönlich angegriffen fühlen. Damit könnte das Amazon-Management einen Teil der Belegschaft gegen die Streikenden aufhetzen“, begründete ein Mitarbeiter der Leipziger Solidaritätsgruppe den ausdrücklichen Hinweis, dass sie nicht zum Boykott aufrufen.
Eine kritische Konsumentenaktion hingegen könnte ein Signal sein, dass die Forderungen nach einem Tarifvertrag gesellschaftliche Unterstützung findet. Bereits bei den beiden letzen beiden Arbeitskämpfen im Einzelhandel haben sich kritische KundInnen mit den Streikenden solidarisiert. Dabei wurde im Juni 2008 für mehrere Stunden ein Discounter in Berlin blockiert. Als 2012 die schlechten Arbeitsbedingungen beim Internetschuhversand Zalando bekannt wurden, schnellten dort die Retoursendungen ebenfalls in die Höhe. In machen Paketen lagen Grüße an die Beschäftigten. Zalando ist direkter Nachbar von Amazon und Brieslang. Seit einiger Zeit versucht die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in beiden Unternehmen Mitglieder zu gewinnen.
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Ausgabe: Heft 12/2015
http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak