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Monat: Oktober 2015
Willkommenskultur mit Schlag
Hussein Adi M. wurde von den Sicherheitsmännern vor dem LAGeSO geprügelt. Peter Nowak hat ihn getroffen.
Eigentlich wollte der holländische Kameramann Jeffry Ruigendijk am 1. Oktober am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in Berlin-Moabit Deutschkurse für Geflüchtete mit der Kamera aufnehmen. Doch was er dann filmte, passte nicht zu der so viel propagierten Willkommenskultur. Zu sehen ist, wie Sicherheitsmänner Geflüchtete, die dort dicht gedrängt auf ihre Termine warten, zunächst anbrüllen. Dann werden zwei Geflüchtete vom Sicherheitspersonal zu Boden geschlagen.
Nachdem die »BZ« das Video vor einigen Tagen auf ihrer Webseite veröffentlichte, war die Aufregung groß. Hussein Adi M. ist einer der beiden Männer, die von den Sicherheitsmännern geschlagen und verletzt worden sind. Er wusste nicht, dass die Szene gefilmt wurde. Niemand hatte mit ihm Kontakt aufgenommen. Sauer ist Muhamed darüber nicht. Doch es ist ihm wichtig, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen.
»Ich stand ganz vorne in der ersten Reihe den Sicherheitsleuten gegenüber. Erst schrien sie mich an und drückten mir gegen den Bauch. Dann hob einer der Wachmänner die Fast und schlug mich auf die Nase und das Auge«, schildert M. den Tathergang. Er hat die Wachleute wegen Körperverletzung angezeigt. Allerdings konnte er sich seine Verletzung nicht ärztlich attestieren lassen. Denn das Amt hatte ihm nur bis zum 30. September zugesagt, seine Arztkosten zu übernehmen. Am 1. Oktober, als der Angriff stattgefunden hat, war er praktisch ohne Krankenversicherung. »Ich hätte also für den Arztbesuch bezahlen müssen, habe aber kein Geld«, so M.
Er geht auch an die Öffentlichkeit, weil er dem Eindruck entgegentreten will, der Ausraster der Sicherheitsmänner sei eine absolute Ausnahme. »Es gehört zu unseren Alltag, dass wir angeschrien und oft wie Tiere behandelt werden«, fasst er gegenüber »nd« seine Erfahrungen der letzten fünf Monate in Berlin zusammen. Seit dieser Zeit befindet sich Muhamed in Berlin im Asylverfahren. »Die Stunden, die ich schon vor irgendwelchen Ämtern gewartet habe, kann ich nicht mehr zählen«, meint M.
Schlimmer noch: Nun muss das ganze Prozedere wiederholt werden. Denn seine Akte mit sämtlichen Unterlagen ist im Behördenalltag verschwunden. Die zuständigen Sachbearbeiter hätten sie stundenlang gesucht und nicht mehr gefunden. Bald muss sich M. erneut in die langen Warteschlangen vorm LAGeSo einreihen. Anfang November hat er dort wieder einen Termin. Dann kann es auch sein, dass er den Männern wieder begegnet, die ihn am 1. Oktober geschlagen und verletzt haben. Denn obwohl er sofort Anzeige erstattet hat, weiß er nicht, ob die Männer noch im Dienst sind.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/989576.willkommenskultur-mit-schlag.html
Peter Nowak
»Träume brauchen Räume«
In der Nacht zum 10. Oktober wurde in Münster das ehemalige Hauptzollamt in der Sonnenstraße besetzt. Am Montag wurde es nach einer Strafanzeige der Eigentümerin, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), von der Polizei geräumt. Die Jungle World sprach mit Manuela Stein von der Besetzergruppe.
Gab es Widerstand gegen die Räumung des ehemaligen Hauptzollamts?
Sowohl vor dem Eingang des Hauses als auch in der ersten Etage wurde versucht, die Räumung mit Sitzblockaden zu verzögern. Auch vor dem Polizeipräsidium gab es eine Sitzblockade. Dort wurden die bei der Räumung festgenommenen Personen erkennungsdienstlich behandelt und dann freigelassen. Wir fordern selbstverständlich die Rücknahme sämtlicher Anzeigen.
Was war der Grund für die Besetzung?
Überall und immer wieder ist es dasselbe Spiel: Einkaufszentren statt nichtkommerzieller Räume, Eigentumswohnungen und Bürokomplexe verdrängen selbstverwaltete Orte. Das ist für uns keine Perspektive. Schon seit langem versuchen Menschen in Münster unter diesen untragbaren Umständen ein selbstverwaltetes soziales Zentrum zu erkämpfen. Träume brauchen Räume. Seit dem 10. Oktober wurde dies im Zollamt verwirklicht.
In letzter Zeit war die BIMA in der Kritik. War das auch ein Grund für die Wahl des Hauses?
In erster Linie ging es uns darum, einen optimalen Ort für unser soziales Zentrum zu finden. Das ehemalige Hauptzollamt liegt zentral, bietet Raum für zahllose Projekte und hat einen wunderschönen Garten. Die BIMA lässt dieses Gebäude seit drei Jahren leerstehen und spekuliert auf Millionengewinne. Mit der Besetzung machten wir den Raum, der per Definition kein Privateigentum ist, wieder öffentlich nutz- und gestaltbar.
Habt Ihr Euch um Verhandlungen bemüht?
Ja. Wir haben seit der Besetzung jeden Tag im Plenum mit allen Aktiven und Interessierten verhandelt, standen in ständigem Kontakt mit Anwohnerinnen und Anwohnern sowie mit den Schülerinnen und Schülern der gegenüberliegenden Schule. Zudem haben wir unabhängig von Stadt und BIMA ein Konzept zur Nutzung des Zollamts erarbeitet.
Wie geht es nach der Räumung weiter?
Wir kämpfen weiter um ein soziales Zentrum in Münster. Über die nächsten Schritte dazu werden wir in den nächsten Tagen diskutieren.
http://jungle-world.com/artikel/2015/44/52908.html
Interview: Peter Nowak
Notstand und Notwehr
In der Flüchtlingskrise werden in der sogenannten Mitte der Gesellschaft Konzepte diskutiert, auf die die Pegidaredner erst mal kommen müssten
Die grünennahe Taz stand in den letzten Wochen besonders treu zu Merkel. Seit die Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage die Devise „Wir schaffen das“ ausgegeben hatte, hätte man denken können, dass hier schon mal publizistisch das grün-schwarze Bündnis geprobt wird. Mehrere Autoren wollten gleich einen neuen Grund für den deutschen Patriotismus gefunden haben.
Doch längst ist auch bei der Taz die Stimmung umgeschlagen. Noch immer widmet man dort täglich gleich mehrere Seiten unter der Rubrik „Fluchthilfe“ dem Thema. Aber gegenwärtig ist von Optimismus und Willkommenskultur wenig zu lesen. Dafür wird unter der genannten Rubrik ein Europa in der Krise [1] und „ein völliger Kontrollverlust“ beschworen.
„Hunderttausende Flüchtlinge: Das könnte der Anfang vom Ende der Europäischen Union sein“, wird da eine Untergangsrhetorik strapaziert. Zudem wird das Ende der EU durch die verwendete Wortwahl den Flüchtlingen zugeschoben und nicht der Reaktion der vielen europäischen Politiker, die alles tun, um die Flüchtlingskrise zu verlängern, um die Festung Europa noch besser auszubauen.
„Wir müssen an einer Festung Europa bauen“
Wenn man sich fragt, was sich zwischen Ende August und Ende Oktober eigentlich verändert hat, dann fällt zunächst auf, dass es nicht mehr nur Orbán und seine Fans sind, die die Festung Europa sichern wollen gegen alle, die kommen wollen. So hat sich die konservative österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner in einem FAZ-Gespräch [2] offensiv dazu bekennt, die Festung Europas schnell bauen und Europa abschotten zu wollen.
Aber die Ministerin mag den Vorwurf der österreichischen Grünen nicht gerne hören, die von einer Orbanisierung der konservativen ÖVP sprechen. Dabei müssten aber manche amtierende Politiker der Grünen in diese Gemeinde mit einbezogen werden. So hat der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer nicht nur Merkel mit dem Spruch „Wir schaffen es nicht“ gekontert, sondern er beklagte [3] gleich noch im Deutschlandfunk ein Diskursverbot. Menschen, die Sorgen und Ängste äußern, würden in die rechte Ecke gestellt.
Dabei müsse nach Palmer die Diskussion in die Mitte der Gesellschaft zurückgeführt werden. Nicht verwunderlich, dass die neurechte Junge Freiheit, die seit ihrer Gründung Sprechverbote beklagt, Palmers Interview gleich aufgriff [4]. Es ist nun mal eine jahrzehntelang geübte rechte Praxis, darüber zu klagen, dass über ein Thema nicht diskutiert werden darf, um den Raum nach Rechts weiter zu öffnen. Über die Geflüchteten und meistens gegen ihr Hiersein wird nun seit Monaten heftig diskutiert. Es ist also offensichtlicher Unsinn von einem Diskursverbot zu reden.
Damit soll in Wirklichkeit der Boden dafür bereitet werden, dass auch in der vielbemühten „Mitte der Gesellschaft“ Vorschläge zur Schleifung des Asylrechts, respektive dem, was davon noch übrig ist, Gehör finden. Das wäre eindeutig von der Verfassung nicht gedeckt, wäre aber sicher kein Hinderungsgrund. So schafft man es dann tatsächlich, die Diskurse aus der Pegida-Ecke in die Mitte der Gesellschaft zu holen.
Die CSU hat bekanntlich seit Jahrzehnten mit Erfolg die Devise, rechts von uns darf es keine weitere demokratische Partei mehr geben, so ausgelegt, dass sie eben so weit nach rechts gehen muss, um das Spektrum auch abzudecken und eine weitere rechte Partei überflüssig zu machen.
Bayerisches Notstandsrecht
Wenn der bayerische Ministerpräsident Seehofer die bayerische Notwehr [5] ausrufen will, dann sind die Anklänge an den Notstand beabsichtigt. Schon geistert der Begriff von Kreuth II durch die Diskussionen, Bei einer Klausurtagung wollte bekanntlich F.J. Strauß in den 1970er Jahren die Trennung der CSU von der Union vorantreiben und eine neue rechte Partei bundesweit etablieren. Nach kurzer Zeit knickte Strauß ein und gab die Pläne auf.
Nun werden solche Szenarien wieder aus der Schublade geholt. Wie realistisch sie sind, ist unklar. Es zeigt sich auf jeden Fall, dass die CSU die Konkurrenz der AfD fürchtet und wenn der Aufstieg einer neuen Rechtspartei nur durch eine bundesweit auftretende CSU verhindert werden kann, dürften in der CSU solche Pläne durchaus auf Zustimmung stoßen.
Nicht nur in den Parteien wird in diesen Tagen mit dem Notstand liebäugelt. So hat der pensionierte BND-Präsident August Hanning ein 10-Punkte-Programm [6] vorgestellt, dass tatsächlich eine Orbanisierung der Republik bedeuten würde. Merkel soll demnach verkünden, dass Deutschland bis auf weiteres keine Geflüchteten mehr aufnehmen wird, zudem soll die Grenze geschlossen und die Rechte von Geflüchteten massiv beschnitten werden.
Hannings 10-Punkte lesen sich wie das Programm einer Regierung, nachdem Pegida die Macht übernommen hat. Doch er ist kein Einzelfall. Die Welt zitiert weitere anonyme Sicherheitsexperten [7], die Merkel im Grunde vorwerfen, sie habe die deutschen Interessen verraten, als sie die Grenzen nicht geschlossen hat.
Dass sich hier Teile der Elite mit dem Notstand spielen, ein amtierender Ministerpräsident und Vorsitzender einer Regierungspartei das Notwehrrecht ausrufen will, ohne dass es einen Aufschrei der Zivilgesellschaft gibt, ist ein Alarmsignal. Wenn sich zur Pegida auf den Straßen eine Rechtsverschiebung bei den Eliten gesellt, dann sind schon mal bestimmte Faktoren im Aggregatzustand für eine autoritäre Lösung der Flüchtlingskrise vorhanden.
http://www.heise.de/tp/news/Notstand-und-Notwehr-2863304.html
Peter Nowak
Links:
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Nazis müssen Stinkefinger ertragen
JUSTIZ Gericht stellt Verfahren gegen bekannte Anti-Nazi-Aktivistin wegen Beleidigung ein
Mensah-Schramm erhielt wegen Beleidigung einen Strafbefehl über 450 Euro. Dagegen legte sie Widerspruch ein. Eigentlich
sollte an diesem Donnerstag vor dem Amtsgericht Zossen darüber verhandelt werden, ob das Strecken eines Mittelfingers – sprich des Stinkefingers – in Richtung einer rechten Kundgebung strafbar ist. Doch einen Tag vorher stellte die Richterin das Verfahren ein und sagte den Termin ab. Man habe dies „wegen geringem Verschulden und fehlendem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung entschieden, teilte eine Sprecherin des Gerichts am Mittwoch mit. Martin Vesely vom Verein Opferperspektive aus Potsdam sieht die Einstellung als Erfolg. Er kann nicht verstehen, warum es überhaupt zum Strafbefehl gekommen ist. Es sei klar, dass nach einer Anzeige ermittelt werden muss. Dass aber das Verfahren nicht bereits in der Anfangsphase eingestellt wurde, sei ein Rätsel. „Betroffene rechter Gewalt müssen teilweise jahrelang auf die prozessuale Verfolgung der Gewaltstraftaten warten. Eine Frau, die für ihr langjähriges zivilgesellschaftliches
Engagement gegen rechte Propaganda sogar mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet wurde, sollte dagegen wegen einer Lappalie einer Strafverfolgung ausgesetzt werden“, sagte Vesely der taz. Die seit 1969 in Berlin lebende Irmela Mensah-Schramm entfernt
seit Mitte der 80er Jahre in der gesamten Republik Neonaziaufkleber. Dafür wurde sie vielfach gelobt und ausgezeichnet, geriet aber immer wieder ins Visier von Neonazis, die sie bedrohten und auch körperlich attackierten.
Radikale Kritik in Zeiten von Pegida
Der Rückzug eines Mitbegründers der kritischen Webseite NachDenkseiten wirft die Frage auf, wie radikal Kritik in Zeiten von Pegida sein kann und darf
Ein längerer Streit bei der kritischen Webseite NachDenkSeiten [1] hat nun zu personellen Konsequenzen geführt. Der Mitbegründer Wolfgang Lieb erklärte seinen Rückzug [2]. Als Grund gab er ein Zerwürfnis mit seinem Mitstreiter Albrecht Müller an.
„Seit nahezu 12 Jahren habe ich viel Kraft und Leidenschaft in die NachDenkSeiten gesteckt. Es war nicht immer einfach, aber über gut 10 Jahre konnten Albrecht Müller und ich als Herausgeber fruchtbar zusammenarbeiten. Seit geraumer Zeit haben sich die NachDenkSeiten mit einem zunehmenden Anteil von Beiträgen meines Mitherausgebers nach und nach verändert und verengt: thematisch, in der Methode der Kritik und in der Art der Auseinandersetzung mit Menschen anderer Meinung“, begründet Lieb seinen Rückzug. Die politischen Differenzen werden von Lieb so benannt:
Hier wird eindeutig ein Bezug zu Bewegungen wie den Montagsmahnwachen oder gar Pegida gezogen, die fundamentale Kritik an den Medien üben, was Lieb in den folgenden Absatz noch konkretisiert.
„NachDenkSeiten auch in Zukunft verlässliche Informationsquelle“
In einer Stellungnahme [3] zu Liebs Rückzug schreiben die verbliebenen Redakteure der NachDenkSeiten und Mitglieder des Fördervereins [4] zur „Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung e.V.“ Albrecht Müller, Jens Berger und Lars Bauer: „Die NachDenkseiten werden auch künftig eine zuverlässige Informationsquelle sein.“ Mit Verweis auf den Gründungskonsens der NachDenkseiten weisen sie Liebs Vorwurf der Zielveränderung zurück:
Der neoliberale Angriff auf das Gesundheitssystem [5] oder die Rüster-Rürup-Täuschung [6], so lauten zwei der Themen, wegen derer die NachDenkSeiten von vielen Lesern geschätzt werden. Gegründet wurden sie 2003 vom langjährigen Sozialdemokraten Albrecht Müller und Wolfgang Lieb. Sie wollten damit gegen ein wirtschaftsliberales Dogma vorgehen, nach dem die Politik der Privatisierungen und der Schuldenbremse als scheinbares Naturgesetz medial dargestellt wird, das man genau so wenig kritisieren oder gar ändern kann wie ein Gewitter oder eine Sturmflut.
Das Gründungsdatum fiel in eine Zeit, als die letzten Illusionen über die rot-grüne Regierung verflogen waren. Spätestens der Abgang des Finanzministers Oskar Lafontaine und seiner Berater machte deutlich, dass das Kabinett Schröder/Fischer nicht nur Deutschland in den ersten Krieg nach dem 2. Weltkrieg führte, sondern auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik einen Kurs einschlug, der, was die Unterwürfigkeit gegenüber Konzerninteressen angeht, die Unionsparteien noch überbot. Die Agenda 2010 wurde vorbereitet, und ein Teil der Sozialdemokraten der Brandt-Ära erkannten ihre eigene Partei nicht mehr wieder.
Die Gründung der NachDenkSeiten war auch die erste organisatorische Manifestation der Entfremdung gestandener Sozialdemokraten von ihrer eigenen Partei, die sich mit der Agenda-Politik rasant verschärfte. Dass sich dann unter maßgeblicher Beteiligung von Lafontaine die Linkspartei gründete, kann durchaus als Nebeneffekt der beharrlichen Arbeit der NachDenkSeiten aufgefasst werden. Dabei haben sich die Gründer immer direkter parteipolitischer Aktivitäten enthalten und das neoliberale Dogma in allen Parteien und Medien heftig angegriffen.
2009 erklärte Albrecht Müller in einem Gespräch mit der FAZ, warum er sich noch einmal politisch und publizistisch engagiert:
Die beharrliche Widerlegung der wirtschaftsliberalen Ideologie rief natürlich viele Kritiker [7] auf den Plan.
Von „Don’t believe the hype“ zur „Lügenpresse“
Schon in der Diktion, in der die NachDenkSeiten als „prorussischer Watchblog“ bezeichnet werden, wird klar, dass es weniger um eine kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten der NachDenkSeiten, sondern um Diffamierung geht. Die politischen Koordinaten haben sich in den letzten Jahren verändert.
Anders als noch vor 10 Jahren profitiert von einer Kritik am wirtschaftsliberalen Dogma nicht nur die alte Sozialdemokratie, die teilweise in der Linkspartei Zuspruch gefunden hat. Mit der Mahnwachenbewegung und Pegida wurde erstmals offen eine rechte Bewegung zu einem gesellschaftlichen Faktor, die auch Elemente der Kritik übernommen hat, wie sie von Teilen der Linken formuliert wurden.
Das machen sich auch gesellschaftliche Eliten zunutze, die nun jegliche fundamentalere Kritik an den herrschenden Verhältnissen in die Nähe der rechten Bewegungen rücken. Das bringt emanzipative Bewegungen in ein Dilemma. Sollen sie sich nur in sogenannter konstruktiver Kritik üben, nur um nicht in die Nähe rechter Bewegungen zu geraten? Oder sollen sie nicht vielmehr ihre Kritik zuspitzen, um zu verhindern, dass sich rechte und regressive Bewegungen als Monopol auf die Kritik durchsetzen?
Ein gutes Beispiel ist die Kritik an den Medien, die in der linken Bewegung immer eine große Rolle spielte. „Don’t believe the hype“ war ein beliebtes Motto linker Bewegungen. Über die Anti-Springer-Kampagne bis zu „Taz lügt“ reichen die linke Kritik und Skepsis gegenüber der Presse. All das scheint vergessen, seit die Mahnwachen und Pegida mit ihrer Lügenpresse-Kampagne den Anschein erweckten, es gäbe nur eine rechte Medienkritik.
So erweist sich für die etablierten Medien und Thinkthanks Pegida als Geschenk und mittelbarer Unterstützer. Schließlich muss sich jetzt jeder, der eine radikale Kritik äußert, in die Nähe der Rechten rücken lassen, auch wenn klar erkennbar ist, dass die Kritik aus ganz anderen Beweggründen geleistet wird. So soll die linke Kritik zu einer zahnlosen konstruktiven Mitmachrhetorik werden, damit sich die Rechte umso mehr etablieren kann.
Mit der aber, das zeigte sich in der Geschichte immer wieder, können sich die etablierten Gewalten schon arrangieren. Denn die Rechte an der Macht war aller Rhetorik zum Trotz für den Kapitalismus nie eine Gefahr. Auch aktuell kommt es schon einer kollektiven Amnesie gleich zu vergessen, dass die AfD als eine Partei gegründet wurde, die mit ihren Wirtschaftsliberalismus die FDP übertrumpfen wollte.
Die NachDenkSeiten wollen allerdings auch in Zeiten von Pegida nicht den Part des konstruktiven Kritikers übernehmen. Gegenüber Telepolis erklärte Albrecht Müller, dass sich die Kritik seit der Gründung wenig verändert hat. Nur die politische Situation habe sich angesichts eines Krieges um die Ukraine und der weltweit eskalierenden Konflikten dramatisch verschärft.
Mit dieser Dramatik sei auch der härtere Ton in manchen seiner Beiträge zu erklären, so Müller. Die NachDenkSeiten würden auch weiterhin keine Kampagnen betreiben, sondern sich der Kritik an den bestehenden Verhältnissen widmen.Von ihm werde jeder kritische Beitrag in den Medien, sei es zur Wirtschaftspolitik oder zur Griechenlandfrage, besonders gewürdigt.
http://www.heise.de/tp/news/Radikale-Kritik-in-Zeiten-von-Pegida-2857971.html
Peter Nowak
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Der eigene Tee
Einst produzierten sie für Unilever, seit einem Jahr für sich. Besuch bei den Teerebellen im südfranzösischen Gémenos
Der alte Wärter überzeugt sich gewissenhaft, dass die Einlass begehrende Gruppe angemeldet ist und alle ein Besucherformular ausgefüllt haben. Erst dann öffnet er das Tor. Die Besucher müssen sich weiße Kittel und Überschuhe anziehen, bevor sie das Gelände der Teebeutelfabrik Fralib in Gémenos am Rande von Marseille betreten dürfen. Seit dort die Belegschaft gegen den Mutterkonzern Unilever gewonnen hat, ist die kleine Fabrik zum Symbol dafür geworden, dass man auch einen Weltkonzern in die Knie zwingen kann.
Im Jahr 2011 wollte Unilever die Produktionsstätte der bekannten Teemarke Lipton Elephant von Frankreich nach Polen verlagern. Doch er hatte die Rechnung ohne die Arbeiter gemacht. Die besetzten die Fabrik und forderten die Rücknahme des Schließungsbeschlusses. Zunächst wurden sie vom Management und der französischen Politik belächelt. Doch nach 1336 Tagen waren es die Arbeiter, die lachen konnten. Der Konzern gab nach – und zahlte den Rebellen mehrere Millionen Euro. »Nach fast vier Jahren Konflikt musste man einen Ausweg finden, damit beide Seiten ihren Weg unabhängig voneinander fortsetzen können«, begründete Unilever Frankreich die Einigung. Die Belegschaft konnte in Eigenregie weiter produzieren und bekam von Unilever eine Starthilfe von 20 Millionen Euro für die Gründung einer Genossenschaft.
Nach den aufreibenden Kämpfen und rauschenden Siegesfeiern hat der nicht immer einfache Alltag einer selbstverwalteten Fabrik in einem kapitalistischen Umfeld Einzug gehalten. Die Firma, die heute Scop Ti heißt, muss sich auch ohne Chef am Markt behaupten. Für die Beschäftigten bedeutet das zuweilen Sonderschichten. Ein Dutzend Kollegen stehen um eine Maschine und lassen Kartons mit Teebeuteln immer wieder über das Fließband laufen. Konzentriert versuchen sie, den Fehler zu finden, der dafür sorgt, dass die Verpackungen von der Maschine eingedrückt werden. »Solche Probleme haben wir häufig und wir müssen die selber lösen«, sagt Henri Soler mit Stolz in der Stimme. Der Endvierziger hält auch nach dem Ende der Besetzung an seinen egalitären Idealen fest. Gern hätte er einen Einheitslohn für alle Beschäftigten eingeführt, doch der Antrag wurde von der Mehrheit der knapp 80köpfigen Belegschaft abgelehnt. Es könne nicht sein, so das Gegenargument, dass ein junger Kollege, der gerade erst in der Fabrik angefangen hat und sich wenig für die Selbstverwaltung engagiert, genau so viel verdient wie ein Beschäftigter mit jahrelanger Erfahrung, der sich in verschiedenen Kommissionen an der Selbstverwaltung der Fabrik beteiligt. Soler bedauert die Entscheidung, doch sein Engagement ist ungebrochen. Schließlich hängt davon der Erfolg der gesamten Firma ab.
Scop Ti will europaweit Großmärkte mit Tee beliefern, auch in Deutschland. Dafür mussten die Arbeiter Abstriche an ihren Vorstellungen machen. Eigentlich sollten die Tees ohne Aromastoffe auskommen, weil sie bei Unilever erlebt hatten, wie die Qualität darunter leidet. Doch schnell merkten sie, dass sie vor allem im Bereich der Supermärkte Kunden verlieren würden. Daher wird ein Teil des Sortiments weiter mit Zusatzstoffen geliefert.
Auf dem Fabrikgelände sind die Jahre der Besetzung heute noch gegenwärtig. Che Guevara prangt an der Wand gegenüber dem Eingang, eine Ausstellung am Eingang des Betriebs informiert über die Geschichte des Arbeitskampfes. Dort sind auch einige Teekartons mit den Aufdrucken aus den Besetzungstagen zu sehen, die Kunden darüber aufklärten, dass die Teebeutel in einer selbstverwalteten Fabrik hergestellt werden.
Die Zukunft sieht nicht schlecht aus für die widerständigen Arbeiter. Der französische Präsident stattete der Kooperative im Sommer einen Besuch ab, seit wenigen Monaten ist ihre eigene Marke auf dem Markt. Der Name: 1336.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/989363.der-eigene-tee.html
Peter Nowak
„Die Angst wegschmeißen“
Labournet.tv erinnert in ihrem jüngsten Film an den Zyklus der Arbeitskämpfe in der norditalienischen Logistikbranche.
Seit 2011 kämpfen in Italien meist migrantische ArbeiterInnen in der Logistikbranche für reguläre Arbeitsbedingungen. In vielen großen Unternehmen ist es ihnen gelungen, durch entschlossenes Vorgehen die Einhaltung der nationalen Standards zu erzwingen und sich gegen die VorarbeiterInnen, die Leiharbeitsfirmen, die Polizei, die großen Gewerkschaften und die großen Medien durchzusetzen. Sie waren auch deshalb erfolgreich, weil sie auf die eigene Kraft vertrauten und auch in scheinbar aussichtslosen Situationen die Konfrontation mit den Bossen nicht scheuten. Durch ihre entschlossene Haltung erreichten sie es, dass sich große Teile der radikalen Linken aus Mailand und anderen norditalienischen Städten mit ihnen solidarisieren und ihre Aktionen unterstützen. Der Arbeitskampf hat die bisher rechtlosen ArbeiterInnen mobilisiert. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Basisgewerkschaft Sindicato Intercateoriale Cobas (S.I. Cobas).
„Vor zwei Jahren hatte unsere Gewerkschaft in Rom drei Mitglieder. Heute sind es dreitausend“, erklärt Karim Facchino. Er ist Lagerarbeiter und Mitglied der italienischen Basisgewerkschaft S.I. Cobas. Der rasante Mitgliederzuwachs der Basisgewerkschaft ist auch eine Folge der Selbstorganisation der Beschäftigten. „Wir haben keine bezahlten Funktionäre, nur einen Koordinator, doch sein Platz ist nicht am Schreibtisch eines Büros, sondern auf der Straße und vor der Fabrik“, betont Facchino. Er war im Mai 2014 Teilnehmer einer Delegation italienischer GewerkschafterInnen und UnterstützerInnen aus der außerparlamentarischen italienischen Linken, die hierzulande über den erbittert geführten Arbeitskampf informierte, der fast vier Jahre andauerte. Zwei Monate vorher hatte eine Delegation von S.I. Cobas auf einem Treffen europäischer BasisgewerkschafterInnen über den Kampf der LogistikarbeiterInnen in Italien berichtet. Bei dem kleinen Team von labournet.tv hatte er dort deren Interesse geweckt. Die VideoaktivistInnen fuhren mehrmals nach Norditalien, führten zahlreiche Interviews mit den Beschäftigten und stellten sich auch die Frage, wie es dazu kam, dass sie so lange und kompromisslos ihren Arbeitskampf führten. So ist ein Film entstanden, der zeigt, wie Menschen sich verändern, wenn sie zu kämpfen beginnen. „Wir haben die Angst weggeschmissen“, erklärte ein Beschäftigter, der dem Film den Titel gab.„Die Angst wegschmeißen – Die Bewegung der LogistikarbeiterInnen in Italien“ liefert Dokumente eines Arbeitskampfs in Norditalien, der bisher in Deutschland kaum bekannt war.„Mafia verschwinde“, rufen die Jugendlichen und schwenken Fahnen der Antifaschistischen Aktion und der Gewerkschaft S.I. Cobas. Es ist eine Szene des mehrjährigen Arbeitskampfes. Eine Stärke des Films besteht darin, dass die unterschiedlichen Beteiligten am Arbeitskampf zu Wort kommen. Junge Männer aus Nordafrika, die durch den Arbeitskampf erstmals für ihre Rechte kämpften, berichten mit Stolz in der Stimme, dass sie diese Erfahrung für ihr Leben geprägt habe. Nüchterner formulieren mehrere Frauen, wie der Streik ihr Leben verändert hat. Sie sind nicht mehr bereit, die Verhältnisse einfach hinzunehmen, sondern erwehren sich auch der patriarchalen Zustände, denen sie ausgesetzt sind. Im Film kommt immer wieder die Rolle der Gewerkschaft S.I. Cobas zur Sprache, ohne die der Kampf nie hätte begonnen werden können. „Hier sind die Erfahrungen von langjährigen linken Aktivisten und die Wut der Logistikarbeiter zusammengekommen,“ formulierte es eine am Streik beteiligte Kollegin.Der langjährige S.I. Cobas-Aktivist Roberto Luzzi spricht im Film auch über die Grenzen der gewerkschaftlichen Kämpfe. „Hier können wohl Erfahrungen gesammelt werden, aber für eine Veränderung der Gesellschaft sind auch politische Organisationen notwendig“, erklärte er. Besonders die Jugend, die in ihren Leben oft noch keine Arbeitskämpfe kennengelernt habe, mache durch die Beteiligung am Arbeitskampf die Erfahrung, dass die kämpfende Arbeiterbewegung noch existiert, betont Luzzi. Die KollegInnen mussten Ende August auch wieder die Erfahrung machen, dass die Kapitalseite entschlossen ist, die Errungenschaften rückgängig zu machen. Mehrere der Beschäftigten, die im Film Interviews gegeben haben, wurden entlassen, einem migrantischen Gewerkschafter droht die Abschiebung.Der Film ist von einer Grundsympathie für die Streikenden geprägt und am Ende denkt man an den Amazon-Streik. Roberto Luzzi war Ende März und Anfang April 2015 für einige Tage in Deutschland und berichtete über den Arbeitskampf in Italien. Dabei besuchte er auch streikende Amazon-KollegInnen in Leipzig. Bei vielen von ihnen setzt sich nach den monatelangen Kämpfen die Erkenntnis durch, dass ein Arbeitskampf gegen einen multinationalen Konzern wie Amazon nur durch die transnationale Solidarität der Beschäftigten gewonnen werden kann. Der Film kann dadurch, dass er einen bisher weitgehend unbekannten Arbeitskampf in der europäischen Nachbarschaft bekannt macht, dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Er könnte auch Argumente für die KollegInnen liefern, die auch für undokumentierte Beschäftigte das Recht auf Mitgliedschaft in einer DGB-Gewerkschaft durchsetzen wollen. Bei S.I. Cobas ist diese Praxis selbstverständlich. Dem Film1 ist eine weitere Verbreitung zu wünschen.
[1] ↑ Der Film kann kostenlos heruntergeladen werden auf der Onlineplattform de.labournet.tv/video/6796/die-angst-wegschmeissen
Erschienen in: Direkte Aktion 231 – Sept/Okt 2015
https://www.direkteaktion.org/231/die-angst-wegschmeissen
Peter Nowak
Autonome Theorien – Theorien der Autonomen?
Sie gelten als der militante Flügel sozialer Bewegungen und als Subkultur. Es existiert aber auch eine lebendige Theorieproduktion, die mehr bietet als die blosse Befürwortung von Militanz. In Robert Foltins Buch werden jene Theorien vorgestellt, die in autonomen Szenen diskutiert werden und am Beispiel konkreter sozialer Kämpfe wird das Spannungsverhältnis von selbstbezüglicher Subkultur und Massenwirksamkeit ebenso angesprochen wie jenes von Spontanität und Organisation.
Die Zeiten sind vorbei, als die Autonomen zumindest in den deutschsprachigen Ländern die Medien bestimmten und diverse Polizei- und Verfassungsschutzbeamte auf Trapp hielten. Als militanter Arm der sozialen Bewegung verschiedener Länder wurden sie besonders vor bestimmten Grossdemonstrationen zum Popanz aufgebaut. Doch in der letzten Zeit ist es ruhig um die Autonomen geworden. Selbst die revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in Berlin, die als letztes autonomes Grossereignis gelten, sind in der letzten Zeit scheinbar befriedet. Zumindest ist das die Einstellung der meisten MedienbeobachterInnen. Sie haben Autonome fast ausschliesslich mit Strassenmilitanz gleichgesetzt. Politische Inhalte, gar Theorien der autonomen Bewegung, waren für einen Grossteil der MedienvertreterInnen nie von Interesse. Das konnte auch im Vorfeld der revolutionären 1. Mai-Demonstrationen in Berlin immer gut beobachtet werden. Bei den immer sehr gut besuchten Pressekonferenzen bemühten sich die an der Demo beteiligten Organisationen immer wieder politische Inhalte zu vermitteln, die JournalistInnen interessierte jedoch nur die Frage, ob und wann es wieder zur Randale kommt.
Zwischen Subkultur und Revolution
Der Wiener Journalist und langjährige politische Aktivist Robert Foltin hingegen beschäftigt sich in dem im Mandelbaum-Verlag herausgegebenen Buch nun im Schnelldurchgang mit den Theorien der Autonomen. Bereits im Vorwort beschreibt Foltin in der ersten Person das Theoriefeld in dem es im Buch geht. «In der Zeit, in der ich politisiert wurde, ab Mitte der 70er Jahre, ging das Intermezzo der neoleninistischen Dominanz der linksradikalen Szene zu Ende. Unsere Theorie war geprägt von der Abgrenzung zum Marxismus-Leninismus. Wir bewegten uns in einer Subkultur, als Markenzeichen trugen wir damals lange Haare und kifften, wollten aber ebenso eine soziale und politische Revolution. Wir interessierten uns für den Feminismus und die Schwulen-/Lesbenbewegung und kritisierten den Fetisch Proletariat». In den folgenden Kapiteln widmete sich Foltin in Kurzform den verschiedenen historischen und theoretischen Strängen, die auf die autonome Theorieproduktion auf unterschiedliche Weise Einfluss hatte. Der Anarchismus in den verschiedenen Fassungen spielt dabei natürlich eine entscheidende Rolle, aber auch der Operaismus und der Rätekommunismus hatten einen wichtigen Einfluss auf die autonome Theorieproduktion. So erinnert der historisch bewanderte Foltin an die kurze Geschichte der «Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschland» (KAPD) in den frühen Jahren der Weimarer Republik, die eine Art autonome Fraktion der kommunistischen Bewegung gewesen war und zeitweise sogar die KPD an Mitgliedern überflügelte. Dass kommunistische Theorien durchaus auch Einfluss in der autonomen Bewegung hatten, schrieb der anarchistische Autor Horst Stowasser bereits 2007: «Inhaltich vertritt die autonome Bewegung ein Gemisch aus alt-kommunistischen Avantgardeanspruch und einem anarcho-spontanistischen Kult der direkten Aktion».
Autonome und Kommunismus
Foltins Verdienst ist es, dass er in seinem Buch den Anteil vor allem dissidenter kommunistischer Theorien für die autonome Bewegung sehr ausführlich darlegt. Er tritt damit der häufigen Vorstellung entgegen, dass die Autonomen nur eine besondere Spielart des Anarchismus sind und waren. Foltin erinnert ausführlich an operaistische Ansätze, aber auch an die breite Rezeption, die historische Schriften wie «Die andere Arbeiterbewegung» hatten, die von Karl Heinz Roth und Elisabeth Behrens 1974 herausgegeben wurde. Foltin kommentiert die Schrift so: «Die andere Arbeiterbewegung ist trotz vieler Schwächen ein Meilenstein in der Geschichtsschreibung der autonomen Kämpfe und wurde in den 70er Jahren viel diskutiert. Die Beschreibung ist zwar etwas schematisch – auf der einen Seite stehen die sozialdemokratischen FacharbeiterInnen und als Kontrast dazu die rebellischen unteren Segmente der Klasse». Foltin versucht die Thesen des Buches auf die Frühphase der Weimar Republik anzuwenden, indem er schreibt, dass die zweite Welle der Kämpfe 1920 und 1921 von dieser anderen ArbeiterInnenbewegung getragen wurden, während die erste Welle von den in Rätebewegungen organisierten FachbarbieterInnen dominiert wurde.
Doch Historiker der Rätebewegung wie Axel Weipert und Rolf Hoffrogge widersprechen dieser Sicht und sehen in den historischen Quellen keinen Unterschied zwischen den Trägern der ersten und zweiten Revolutionsphase. Die Theorien der anderen ArbeiterInnenbewegung könnten gerade in einer Zeit wieder eine grössere Rolle spielen, in der es Streiks auch in Bereichen gibt, die von den grossen Gewerkschaften nicht erreicht werden. Zunehmend sind es gerade die ExponentInnen dieser anderen ArbeiterInnenbewegung, die heute Arbeitskämpfe führen.
Die Autonomen heute
Foltin geht auch auf die kleinen Erfolge von Basisgewerkschaften wie der «Freien Arbeiter Union» (FAU) ein, die durchaus zum autonomen Politikfeld gehört. Der Feminismus und der Antirassismus kommen in Foltins Buch vor, doch es wird nicht recht der Stellenwert ersichtlich, den diese Ansätze in der autonomen Theorie und Praxis hatten. Foltin geht auch kritisch auf den Antiimperialismus ein, verwirft ihn aber nicht rundweg. Viel schärfere Kritik erfahren die sogenannten antideutschen Politikansätze, die von Foltin allerdings auch nicht einer differenzierten Betrachtung unterzogen worden sind. In dem letzten Kapitel geht Foltin auf das Konzept der Multitude ein, dass vor rund 15 Jahren von Antonio Negri verfasst und in der autonomen Bewegung intensiv diskutiert wurde. Doch mittlerweile muss man auch fragen, welchen Einfluss die Multitude-Rezeption auf die konkrete politische Praxis der autonomen Bewegung hatte. Darauf geht Foltin leider nicht ausführlicher ein. So bleibt man trotz der vielen interessanten Anregungen in dem Buch, am Schluss doch etwas ratlos nach dem letzten Kapitel zurück. Dort wird kurz auf die Syriza in Griechenland und die «Interventionistische Linke» (IL) und das Ums-Ganze-Bündnis in Deutschland eingegangen. Diese beiden linken Bündniskonstellationen gehören zur postautonomen Linken. Viele ihre Gründer und Mitglieder gehörten in den 80er Jahren zur autonomen Bewegung und beteiligten sich in den 90er Jahren an den Debatten über eine Zukunft jenseits der autonomen Event- und Jugendkultur. Hier hätte man sich in dem Buch einige weiterführende Gedanken gewünscht. Ein guter Abschluss des Buches wären etwa einige provokative Thesen zur Frage, ob die autonome Bewegung noch eine Zukunft hat, gewesen.
«Autonome Theorien – Theorien der Autonomen?» von Foltin Robert. Erschienen 2015 im Mandelbaum Verlag, Wien.
aus Vorwärts/Schweiz 27/28 2015, 23.10. 2015
http://www.vorwaerts.ch
Peter Nowak
Eine Baumbesetzung ist gleich Hausfriedensbruch
PROZESS A100-GegnerInnen vor Gericht, weil sie sich gegen das Autobahnprojekt wehrten
einem großen Polizeiaufgebot geräumt worden. Den größten Raum nahm jedoch die Befragung des A100-Projektleiters im Senat für
Stadtentwicklung und Umwelt, Arne Huhn, ein, der den Strafantrag gegen die A100-Gegner-Innen unterzeichnet hatte. Bei seiner Befragung spielte ein Brief des damaligen Senators für Stadtentwicklung und heutigen Regierenden Bürgermeisters, Michael Müller, an die grünen Mitglieder des Abgeordnetenhauses Dirk Behrend und Harald Moritz eine Rolle. Dort hatte Müller betont, dass der Senat nicht gegen alle Personen, die auf dem geräumten Grundstück angetroffen worden waren, Strafantrag stellt. Eine Rücknahme der Anzeige, die zur Einstellung des Verfahrens führen würde, lehnte Huhn aber ab. In einer Erklärung nannte der Angeklagte Peter Schwarz den Bau der A100 eine „Politik für die Interessen der Auto- und Immobilienindustrie“. Mit der Anklage versuche der Senat, KritikerInnen des Projekts zu kriminalisieren. Schwarz verwies darauf, dass für den Weiterbau der A100 bereits mehrere Wohnhäuser in der Beermannstraße in Treptow abgerissen werden, obwohl laut Senat Geflüchtete in den Gebäuden untergebracht werden sollten. Am 11. November wird der Prozess fortgesetzt. UnterstützerInnen der Angeklagten rufen zu einer regen Teilnahme auf, weil zu dem Termin auch
zwei BaumbesetzerInnen – deren Verfahren eingestellt wurden –, als ZeugInnen geladen sind. Sollten sie die Aussage verweigern, könnte ihnen Beugehaft drohen.
Mieter und Künstler stellen die Wohnungsfrage
Mit der Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt wird deutlich, dass der kapitalistische Verwertungszwang das größte Hindernis für alternative Wohnmodelle darstellt
Der türkische Teekocher mit dem Aufkleber der Kreuzberger Stadtteilinitiative Kotti & Co. gehört zum Inventar des Protest-Gececondo[1], das die Mieter im Mai 2012 am Kottbuser Tor errichtet haben. Nun findet sich der Teekocher auch im Haus der Kulturen der Welt[2]. Dort wurde im Rahmen der Ausstellung „Wohnungsfrage“[3], die am 22.Oktober eröffnet wurde, die Protesthütte nachgebaut.
„Das HKW hat uns die Möglichkeit gegeben, mit dem Architekten Teddy Cruz und der Wissenschaftlerin Fonna Forman[4] aus San Diego eine Antwort auf die Frage des Wohnens zu suchen. Sehr schnell waren wir uns einig, dass die Frage des Wohnens niemals nur eine räumliche /architektonische ist, sondern immer auch eine politische und eine ökonomische Frage“, erklärt Sandy Kaltenborn von Kotti & Co gegenüber Telepolis.
Im Rahmen der Ausstellung wird die temporäre Hütte nicht nur im HKW zu sehen sein. Vom 6. bis 8. November wird sie neben der Protesthütte am Kottbuser Tor aufgebaut. Dort wird auch die 50minütige Filminstallation „Miete essen Seele auf“[5] von Angelika Levi[6] zu sehen sein, in der die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in Kreuzberg verarbeitet wird.
Auch die Senioren der Stillen Straße[7], die 2012 mit der Besetzung[8] ihres von Schließung bedrohten Treffpunkts in Pankow für Aufmerksamkeit sorgten, sind Kooperationspartner der Ausstellung. Gemeinsam mit ihnen entwickelte das Londoner Architekturbüro Assemble die Installation Teilwohnung[9]. So ist ein Wohnkomplex entstanden, der im Erdgeschoss kollektiv genutzte Gemeinschaftsräume und Werkstätten beherbergt. Die anderen Etagen sind den privaten Räumen der Bewohner vorbehalten.
„Der Entwurf ermöglicht ein gemeinsames und zugleich selbstbestimmtes Wohnen von Menschen jeden Alters und stellt damit einen Gegenentwurf zu den isolierten Wohnanlagen dar „, betont einer der Architekten.
Mietenkämpfe, wenn der kapitalistische Verwertungszwang wegfällt
In der Eröffnungsansprache benannte der Intendant des HKW Bernd Scherer die Faktoren, die die Verbreitung solcher menschenfreundlichen Alternativen behindern. „Wohnungen werden nicht nur gebaut, um darin zu wohnen, sondern um Geld anzulegen und mit den wachsenden Preisen und Mieten zu spekulieren“, benannte er eine Situation, die heute Mieter mit geringen Einkommen leidvoll erfahren.
In der Ausstellung wird an Beispielen aus verschiedenen Teilen der Welt gezeigt, wie Wohnungen für die Allgemeinheit errichtet werden können, wenn der kapitalistische Verwertungszwang zurückgedrängt ist. So zeigt der Dokumentarfilm „Häuser für die Massen“ wie in Portugal nach der Nelkenrevolution 1974 die Mieter- und Stadtteilbewegung SAAL[10] Teil eines allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs wurde. Hier wird deutlich, mit welcher Begeisterung, Menschen, die jahrzehntelang marginalisiert worden waren, die individuelle und gesellschaftliche Befreiung in die eigenen Hände nahmen.
Das Künstlertrio Lisa Schmidt-Colinet, Florian Zeyfang und Alexander Schmoeger dokumentiert die Geschichte des Wohnungsbaus in Kuba seit der Revolution. Im Zentrum stehen die aus Arbeitern bestehenden Microbrigaden[11], die mit Material von der Regierung ihre eigenen Wohnungen und daneben auch kommunale Gebäude wie Schulen und Krankenhäuser errichten. In dem Film werden auch aber die Probleme benannt, die durch den Mangel an Rohstoffen nach dem Ende des nominalsozialistischen Lagers, aber auch die dirigistische Politik der kubanischen Regierung entstanden sind.
Die Menschen wollen an der Basis entscheiden und nicht bevormundet werden, sagt in dem Film ein kubanischer Architekt. Sie wollen sich auch nicht von scheinbar objektiven Marktgesetzen unterwerfen. Das ist eine Erkenntnis, die sich aus der hochinteressanten Ausstellung gewinnen lässt. Es ist bemerkenswert, dass schon im Ausstellungstitel, aber auch in den Texten der Zusammenhang zwischen den Problemen um die Mieten und dem Kapitalismus hergestellt wird. Friedrich Engels Schrift „Zur Wohnungsfrage“[12] klingt im Titel an.
Der Intendant des HKW spricht die Grenzen an, die eine Wohnungspolitik für viele Menschen im Kapitalismus hat. Dieser Aspekt ist deshalb besonders zu würdigen, weil auch viele Menschen, die sich positiv auf die aktuelle Mieterbewegung beziehen, den Zusammenhang zum Kapitalismus nicht herstellen.
Das wurde am Abend der Ausstellungseröffnung[13] bei der Vorstellung des Buches „Der Kotti“ von Jörg Albrecht[14] im „postpostmodernen Büro für Kommunikation WestGermany“[15] deutlich. Bei dem Autor, der in der Vergangenheit ebenfalls mit der Mieterinitiative Kotti & Co kooperierte, kam das Wort Kapitalismus nicht vor.
Mietrebellen forschen über ihre Geschichte
Kürzlich ist in Berlin die Ausstellung „Kämpfende Hütten“[16] zu Ende gegangen. Dort haben sich ehemalige Hausbesetzer, heutige Mietrebellen und Wissenschaftler mit der über 150jährigen Geschichte der Berliner Mieterbewegung befasst. An die Blumenstraßenkrawalle[17] gegen eine Zwangsräumung 1872 wurde ebenso erinnert, wie an die von dem Historiker Simon Lengemann erforschten Mieterräte[18] , die unter dem Motto „Erst das Essen, dann die Miete“[19] in der Endphase der Weimarer Republik die Mietzahlungen kürzten, um überhaupt überleben zu können.
Bei der Ausstellung wurde aber auch deutlich, dass selbst über die jüngere Geschichte der Mieterbewegung heute wenig bekannt ist. So informieren Dokumente über die Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahren aktive Mieterbewegung im Westberliner Märkischen Viertel[20] und über den ebenso vergessenen Anteil, den Migrantinnen und Migranten an der Westberliner Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre hatten. Es ist auf jeden Fall ein Zeichen des Selbstbewusstseins der aktuellen Mieterbewegung, wenn sie mit Künstlern kooperiert und sich ihrer Geschichte vergewissert.
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/artikel/46/46360/1.html
Anhang
Links
[1]
http://kottiundco.net/2015/10/21/die-wohnungsfrage-stellen/
[2]
http://www.hkw.de
[3]
http://www.hkw.de/de/programm/projekte/2015/wohnungsfrage/ausstellung_wohnungsfrage/wohnungsfrage_ausstellung.php
[4]
http://www.uctv.tv/shows/The-Urbanization-of-Happiness-and-the-Decline-of-Civic-Imagination-with-Fonna-Forman-and-Teddy-Cruz-The-Good-Life-25953
[5]
http://www.weltfilm.com/de/filme/in-produktion/miete-essen-seele-auf
[6]
http://de-de.facebook.com/angelika.levi
[7]
http://stillestrasse.de/
[8]
http://stillestrasse10bleibt.blogsport.eu/
[9]
http://assemble.io/docs/Installation.html
[10]
http://www.uncubemagazine.com/sixcms/detail.php?id=14819803&articleid=art-1415705429622-e8121177-d0d5-4a97-831e-41091b148093#!/page24
[11]
http://www.florian-zeyfang.de/microbrigades-variations/movie/
[12]
http://gutenberg.spiegel.de/buch/zur-wohnungsfrage-5094/1
[13]
http://www.berlinonline.de/nachrichten/kreuzberg/buchvorstellung-das-kotti-ist-tot-es-lebe-vielleicht-bald-nichts-mehr-69994
[14]
http://www.fotofixautomat.de/
[15]
http://www.westgermany.eu/
[16]
http://kaempfendehuetten.blogsport.eu/
[17]
http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2014/me-single/article/blumenstrassenkrawalle-anno-1872.html
[18]
http://haendewegvomwedding.blogsport.eu/?p=828
[19]
http://www.berlinstreet.de/ackerstrasse/acker33
[20]
http://www.trend.infopartisan.net/trd0413/t020413.html
Verschieden und vereint
Peter Nowak ist freier Journalist und Aktivist aus Berlin. Lisa Riedner ist Migrationsforscherin und betreibt mit der Initiative Zivilcourage ein temporäres workers center in München.
ak 609 vom 20.10.2015
https://www.akweb.de/
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Italienische Übersetzung des Artikels:
Differenziato e connesso. Sul meeting transnazionale di Poznan
di PETER NOWAK e LISA RIEDNER
Pubblichiamo la traduzione italiana dell’articolo di Peter Nowak – giornalista freelance e attivista di Berlino – e Lisa Riedner – ricercatrice nel campo delle migrazioni e attivista presso un temporary workers center della Initiative Zivilcourage di Monaco. L’articolo è comparso sul n. 609 della rivista «Analyse & Kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis» il 20 ottobre 2015.
La scorsa estate la città polacca di Poznan è salita alla ribalta per la protesta dei lavoratori di Amazon, che hanno rivendicato un adeguamento dei propri salari e delle proprie condizioni di lavoro ai contratti esistenti negli altri paesi europei, esprimendo solidarietà con gli scioperi dei lavoratori di Amazon in Germania.
Nel primo week-end di ottobre circa 150 attivisti/e provenienti da tutta l’Europa, si sono incontrati a Poznan per confrontarsi sulle possibilità di uno sciopero sociale transnazionale. Alla base dell’incontro c’è la considerazione che non sia possibile fronteggiare la politica di austerità intrapresa dalla Germania solo attraverso blocchi e grandi manifestazioni. Lotte importanti sono anche le battaglie che quotidianamente si svolgono sul posto di lavoro o le resistenze contro gli sfratti e le espulsioni dai quartieri. Queste lotte, infatti, riescono a mobilitare e politicizzare le persone che le grandi manifestazioni non riescono ad attrarre. Si tratta di un approccio che ha già fatto scuola. Già il 31 maggio 2014, durante le Blockupy-Aktionstage, fu bloccata l’attività di tutti i negozi di abbigliamento nella Frankfurter Zeile [la via commerciale] a Francoforte. Ciò serviva a denunciare le pessime condizioni di lavoro dei dipendenti e i rapporti di sfruttamento nell’industria tessile. Durante questa giornata, attivisti e attiviste hanno cooperato con i lavoratori di un negozio che scioperavano per l’aumento di salario. Quest’anno, poi, nel corso della tre giorni di Blockupy a Francoforte e durante un incontro di preparazione a Berlino si è riunito il gruppo di lavoro «Lotte del lavoro» della coalizione di Blockupy. Durante l’incontro a Poznan, inoltre, attivisti e attiviste hanno allargato la prospettiva della discussione, andando oltre i confini dei propri Stati e mettendo l’accento sui rapporti con l’Europa dell’Est.
Tema centrale dei gruppi di lavoro sono stati i diversi aspetti dello sciopero sociale. Un aspetto molto importante è quello dell’auto-organizzazione dei lavoratori, che dovrebbe essere sostenuta, ma non guidata, dai sindacati. L’idea dello sciopero sociale è che le lotte del lavoro non devono rimanere confinate nelle singole aziende. Un esempio è rappresentato dal licenziamento, qualche settimana fa, di un dipendente della Lebenshilfe di Francoforte, i cui lavoratori stavano lottando per un salario più alto e migliori condizioni di lavoro. In una manifestazione di protesta, svoltasi durante una festa della Lebenshilfe, si è vista la partecipazione della Freie Arbeiter Union (FAU), accanto ai sindacati DGB – Gewerschaften dei GEW e Ver.di. Alla fine dell’evento, si è svolta una manifestazione nel quartiere di Bornheim, in cui è stata tematizzata la relazione tra Hartz IV, bassi salari, affitti arretrati e sfratti. Queste forme di sciopero sociale sono in aumento.
La speranza di uno sciopero sociale transnazionale
L’incontro di Poznan è stato caratterizzato dalle lotte dei migranti. Uno degli interventi di apertura ha raccontato quanto avvenuto di recente sul confine croato-ungherese. Attraverso un’azione della Fluchthilfe – organizzata a livello statale – si sono aperte le frontiere per molti migranti, che sono in parte riusciti a raggiungere l’Austria e la Germania. A partire dalla capacità dei migranti di mettere in questione i confini, i partecipanti al meeting di Poznan si sono chiesti se i movimenti dei migranti possano dare un nuovo impulso alle lotte contro l’austerità. Le lotte dei migranti, infatti, non sono rilevanti solo ai confini dell’Europa. Nell’Italia settentrionale sono stati i migranti che hanno portato avanti gli scioperi nel settore della logistica e preso parte insieme alle famiglie all’occupazione delle case in supporto agli scioperi. In Francia quest’estate i migranti hanno occupato gli immobili delle società di lavoro interinale come Adecco, Randstad e Manpower e il movimento spagnolo 15M ha fondato già in 5 città europee le cosiddette Oficinas Precarias. Qui i lavoratori precari trovano sostegno nella lotta contro l’intensificazione dello sfruttamento e la crescente sottrazione di diritti sociali. «Dove prima c’erano diritti fondamentali di libera circolazione, ora si parla di privilegi, di diritti basati sui guadagni nel mercato del lavoro, diritti che diventano la condizione per un soggiorno a lungo termine e per l’entrata nel welfare sociale», come dice Nicola dei Berlin Migrant Strikers.
Al termine dell’incontro è risultato chiaro che uno sciopero transnazionale non è pensabile senza le lotte dei migranti, non da ultimo per il fatto che il capitalismo contemporaneo dipende dal governo della mobilità. L’esperimento di uno sciopero transnazionale deve sicuramente partire dal paradosso che tutti siamo colpiti dalla precarizzazione e dallo sfruttamento e che, allo stesso tempo, abbiamo problemi e rivendicazioni diversi. «Le prestazioni sociali sono oggi utilizzate per creare gerarchie tra migranti e cittadini, tra nuovi e vecchi migranti, tra migranti esterni e interni all’Europa», dice Paola del gruppo ∫connessioni Precarie di Bologna. Da ciò derivano due sfide fondamentali: non si tratta solo di far riferimento ai lavoratori con un permesso di soggiorno in tasca, dice Paola. Un’altra sfida è ripoliticizzare, oltre alle lotte del lavoro, anche il sociale nel suo complesso, in modo che gli scioperi sviluppino nuovamente una forza sociale per contrastare il neoliberalismo, come nota Thomas di Interventionistische Linke.
Già prima del meeting era stata presentata la proposta di costruire il processo dello sciopero sociale transnazionale attorno a una piattaforma politica comune con quattro rivendicazioni: salario minimo europeo, reddito di base europeo, welfare sociale e permesso di soggiorno minimo europei per migranti nella EU. Queste rivendicazioni restano ancora controverse: ad alcuni sembrano eccessivamente riformiste, ad altri troppo utopiche, ad altri ancora troppo eurocentriche. Ciononostante gli attivisti hanno concordato una mobilitazione che, unendo le forze, possa portare a uno sciopero europeo attorno alla questione del lavoro migrante il primo marzo 2016. Dovrebbe inoltre essere sostenuta la carovana dei lavoratori e delle lavoratrici di Amazon nelle diverse sedi in Italia, Francia, Germania e Polonia, se questi decidessero una mobilitazione per febbraio. Un altro meeting per lo sciopero sociale transnazionale è stato pianificato per il prossimo anno.
Differenziato e connesso. Sul meeting transnazionale di Poznan
Friede den Protesthütten, Krieg der Immobilienwirtschaft
Haus der Kulturen der Welt widmet sich mit Ausstellung und Langzeitprojekt der Frage, wie Menschen in Großstädten künftig wohnen werden
Wohnungen als Spekulationsmasse? Architekten und Aktivisten wollen kritisch beleuchten, dass das Menschenrecht auf Wohnen zunehmend der Immobilienwirtschaft überlassen wird.
Der Teekocher mit dem Aufkleber der Kreuzberger Stadtteilinitiative Kotti & Co. gehört zum Inventar des Protest-Gecekondu, das Mieter im Mai 2012 am Kottbuser Tor errichtet haben. Nun findet sich der Teekocher im Haus der Kulturen der Welt (HKW).
Dort wurde im Rahmen der Ausstellung »Wohnungsfrage«, die am Donnerstag eröffnet wurde, die Protesthütte nachgebaut. »Das HKW hat uns die Möglichkeit gegeben, mit dem Architekten Teddy Cruz und der Wissenschaftlerin Fonna Forman aus San Diego eine Antwort auf die Frage des Wohnens zu suchen. Sehr schnell waren wir uns einig, dass die Frage des Wohnens niemals nur eine räumliche oder architektonische ist, sondern immer auch eine politische und eine ökonomische Frage«, sagt Sandy Kaltenborn von Kotti & Co dem »nd«.
Im Rahmen der Ausstellung wird die temporare Hütte nicht nur im HKW zu sehen sein. Vom 6. bis 8. November wird sie neben der Protesthütte am Kottbuser Tor aufgebaut. Dort wird auch die Filminstallation »Miete essen Seele auf« von Angelika Levi zu sehen, in der die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in Kreuzberg verarbeitet wird.
Mit der Ausstellung experimenteller Wohnungsformate und künstlerischer Arbeiten, einer Publikationsreihe und einer internationalen Akademie will das HKW einen »Diskurs über sozialen, bezahlbaren und selbstbestimmten Wohnungsbau anregen«. Den »Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten«, die »kolossale Steigerung der Mietspreise«, die Verdrängung der »Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis«: Die Ausstellung will sich kritisch damit auseinandersetzen, dass das Menschenrecht auf Wohnen zunehmend der Immobilienwirtschaft überlassen wird. Das Gestalten von Wohnungen, Nachbarschaften und Städten solle wieder als soziokulturelle Praxis verstanden werden.
Zu diesem Zweck werden (Film)Installationen, Bildessays oder Architekturmodelle gezeigt. Die entwickelten Wohnkonzepte werden in der Ausstellung 1:1 umgesetzt.
In der Ausstellung wird außerdem an Beispielen aus verschiedenen Teilen der Welt gezeigt, wie Wohnungen für die Allgemeinheit errichtet werden können, wenn der kapitalistische Verwertungszwang zurückgedrängt ist. So zeigt der Dokumentarfilm »Häuser für die Massen«, wie in Portugal nach der Nelkenrevolution 1974 die Mieter- und Stadtteilbewegung Teil eines allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs wurde.
Auch die Senioren der Stillen Straße, die 2012 mit der Besetzung ihres von Schließung bedrohten Treffpunkts in Pankow für Aufmerksamkeit sorgten, sind Kooperationspartner der Ausstellung. Gemeinsam mit ihnen entwickelte das Londoner Architekturbüro »Assemble« die Installation Teilwohnung. So ist ein Wohnkomplex entstanden, der im Erdgeschoss kollektiv genutzte Gemeinschaftsräume und Werkstätten beherbergt. Die anderen Etagen sind den privaten Räumen der Bewohner vorbehalten. »Der Entwurf ermöglicht ein gemeinsames und zugleich selbstbestimmtes Wohnen von Menschen jeden Alters und stellt damit einen Gegenentwurf zu isolierten Wohnanlagen dar«, betont einer der Architekten.
In der einwöchigen Akademie will das Haus außerdem WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen, KünstlerInnen und andere ExpertInnen aus unterschiedlichen Bereichen und Disziplinen zusammen bringen. Das Künstlertrio Lisa Schmidt-Colinet, Florian Zeyfang und Alexander Schmoeger beispielsweise dokumentiert die Geschichte des Wohnungsbaus in Kuba seit der Revolution. Im Zentrum stehen die aus Arbeitern bestehenden Microbrigaden, die mit von der Regierung mit Material ihre eigenen Wohnungen und daneben auch kommunale Gebäude wie Schulen und Krankenhäuser errichten.
Insgesamt stehen 18 Vorträge auf dem Programm. Andrej Holm spricht über »Staatsversagen und Marktekstase« auch das Auf und Ab der Berliner Mietskasernen wird beleuchtet.
In der Eröffnungsansprache benannte der Intendant des HKW, Bernd Scherer, die Faktoren, die die Verbreitung solcher menschenfreundlichen Alternativen behindern. »Wohnungen werden nicht nur gebaut, um darin zu wohnen, sondern um Geld anzulegen und mit den wachsenden Preisen und Mieten zu spekulieren«, benannte er eine Situation, die nicht nur in Berlin Mieter mit geringen Einkommen leidvoll erfahren.
Bis 14. Dezember. Die Akademie findet bis zum 28. Oktober statt. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin. Programm und weitere Infos unter: www.hkw.de
https://www.neues-deutschland.de/artikel/988862.friede-den-protesthuetten-krieg-der-immobilienwirtschaft.html
Peter Nowak
Schnell geheuert, schnell gefeuert
PROTEST Migrantische Beschäftigte in der Gastronomie wehren sich gegen schlechte Arbeitsverhältnisse
neuen Job suchen, als um eine Lohnerhöhung oder Arbeitszeitverkürzung zu kämpfen, so die Einschätzung eines gewerkschaftlich organisierten Barmanns. Berichtet wurde auch, wie eine ungewöhnliche Form es Arbeitskampfes zum Erfolg führte: Beschäftigte von drei italienischen Pizzerien nutzten ein Konzert der linken italienischen Band Banda Bassotti im S036, um das Publikum in einer kurzen Rede über ihre schlechten Arbeitsbedingungen zu informieren. Kurze Zeit später hatten sie einen Tarifvertrag. „Der schnelle Erfolg kam zustande, weil diese Pizzerien einen Ruf zu verlieren haben“, so die Einschätzung eines FAU-Mitglieds. „Im Cancún aber können wir uns nur auf unsere gewerkschaftliche Kraft und nicht die Fürsprache einer Band verlassen“, fügt er hinzu.
■■Protestkundgebung „Paradies für Touristen, die Hölle für Arbeiter“, Samstag, 19 Uhr, vor dem Restaurant, Rathausstraße 5–13.
Pegida bekämpfen, aber die Kernforderungen übernehmen
Viele Politiker, die sich jetzt so wortreich von Pegida distanzieren, können deren Forderungen und Anliegen durchaus nachvollziehen
Rassistische und neonazistische Internetkommentare, teilweise mit Klarnamen und Fotos, sind nun wahrlich keine neue Entdeckung. Seit Monaten wird öffentlich diskutiert, ob man diese Hassbotschaften löschen, strafrechtlich verfolgen oder ignorieren soll. Doch seit letztem Dienstag wird darüber republikweit diskutiert. „Bild [1] stellt die Hetzer an den Pranger“, lautete das Motto. Dabei werden aufmerksame Beobachter nicht vergessen haben, dass das Blatt auch schon Thilo Sarrazin ein Forum bot, der natürlich niemals in den Sprachduktus verfallen würde, den Bild hier dokumentiert hat.
Doch im Kern teilt Sarrazin mit den Internethetzern die Überzeugung, dass sich „Deutschland abschafft“. Und der Bild-Boulevard wird auch früher oder später wieder solchen Positionen ein Forum bieten. Doch den plumpen Internethetzern sei dank, nun können sich die intellektuellen Rechten wieder vom braunen Narrensaum abgrenzen. Auch Pegida bläst zum ersten Jahrestag der Wind ins Gesicht.
Eine ganz große Koalition von der Linken bis zur CSU werfen Pegida vor, nun endlich die Grenzen überschritten zu haben. Während dabei vor allem Dresden in die Schlagzeilen geriet, wurden die Hetzparolen [2], die auf der Kundgebung und Demonstration des Berliner Pegida-Ablegers Bärgida [3] am letzten Montag verbreitet wurden, kaum beachtet.
Waren es in vergangener Woche in Dresden einige für Merkel und Gabriel vorgesehene Galgen, so sorgten am Pegida-Jahrestag die Ausfälle des Autors Akif Pirinçci [4] für Empörung. Der Pegida-Begründer Bachmann und musste sich schließlich entschuldigen und bedauern, dass Akif Pirinçci überhaupt eingeladen wurde.
Akif Pirinçci vom umstrittenen Erfolgsautor zum rechten Hetzer
Innerhalb weniger Stunden kündigte die Verlagsgruppe Random House die Verträge mit dem Autor und stoppte die Auslieferung seiner Bücher. Auch das Blog [5] von Pirinçci ist seit gestern offline. Der Webmaster hat in einem Offenen Brief [6] dem Autor die Zusammenarbeit aufgekündigt. Dabei ist er wenigstens so ehrlich zuzugeben, dass er die Bücher von Pirinçci, in denen dieser die angebliche „Verschwulung Deutschlands“ anprangerte und gegen Feministinnen, Linke und Migranten hetzte, bisher interessant fand.
Denn Pirinçci galt bisher mitnichten als Kryptonazi, sondern als umstrittener rechter Autor, um deren Auftritt diverse Gruppierungen rechts von der Union geradezu wetteiferten. Erst zwei Tage vor der Rede, die ihn nun republikweit zum Outsider machte, war Pirinçci Gast der rechtskonservativen Jungen Freiheit auf der Buchmesse und wurde von dem Publikum bejubelt. Ein Faz-Kommentator beschrieb [7], wie die intellektuelle Rechte noch am Wochenende die Ausfälle von Pirinçci goutierte:
Pegida-Versteher in allen Medien
In der aktuellen Jungen Freiheit [8] kann der akademische Pegida-Versteher [9] Werner Patzelt [10] noch einmal verkünden, dass die Mehrheit der Pegida-Teilnehmer über „grundständige bis mittlere Bildung verfügen“ und wohl mehrheitlich erwerbstätig seien. Schon deshalb können sie keine Ultrarechten oder gar Neonazis sein.
„Auf den Pegida-Veranstaltungen wurden, so weit ich sehe, von den Rednern keine Forderungen vorgebracht, die unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen. Auch in den 19 Positionen von Pegida kann ich nichts erkennen, was sich nicht mit freiheitlicher Demokratie vereinbaren ließe“, verkündete Patzelt noch in einer Zeit, als selbst in der Union massive Kritik an den Abendlandrettern begonnen hatte.
Als nun nach der Demo zum Jahrestag die Kritik an Pegida zunahm und auch die Leipziger Volkszeitung [11] rassistische Thesen auf der Kundgebung ausmachte, kam auch der unvermeidliche Werner Patzelt in dem Blatt zu Wort. Allerdings korrigierte er dort nicht etwa seine Einschätzung über Pegida, sondern lieferte unter dem Titel – „Was in der Asylkrise jetzt getan werden muss“ – Thesen zur Integrationspolitik.
Dabei lässt er keinen Zweifel daran, dass einige seiner Thesen den meisten Pegida-Teilnehmern gut gefallen würden. So warnt er gleich am Beginn davor, dass die Einwanderungspolitik der Bundesregierung in eine Sackgasse geraten könnte. Danach kommt ein Katalog von Maßnahmen, um Deutschland abzuschotten. So soll festgestellt werden, dass Deutschland nicht verpflichtet ist, „jeden asylbegehrenden Menschen zur Durchführung einer Prüfung auf Bleiberecht ins Land zu lassen“.
Ein Lob auf Ungarn darf bei Patzelt auch nicht fehlen, wen Patzelt fordert, dass Deutschland „die Grenzstaaten der EU beim Versuch, ihre Aussagen gegen selbstermächtigte Zuwanderung zu schützen“, unterstützen möge. Zudem regt Patzelt eine Debatte darüber an, „wieweit aus einem ‚deutschen Volk‘ eine Bevölkerung Mitteleuropas auf deutschen Staatsgebiet“ werden soll.
Manche Pegida-Redner würden da wohl deutlichere Begriffe wählen, doch im Grunde greift Patzelt in seinen Thesen viele Anliegen von Pegida etwas moderater verpackt auf. Doch auch viele der Politiker, die sich jetzt so wortreich von Pegida distanzieren, können deren Forderungen und Anliegen durchaus nachvollziehen. Wenn Unionspolitiker in Offenen Briefen ein schnelles Ende der Willkommenskultur und eine verstärkte Grenzsicherung fordern, wenn der langjährige Magdeburger SPD-Oberbürgermeister Lutz Trümper [12] aus der SPD austritt, weil die nach seinen Geschmack nicht genug gegen Flüchtlinge unternehme oder wenn FDP-Landespolitiker vor ungeordneter Migration warnen, kann Pegida sich bestätigt sehen.
Auch die immer neuen Vorschläge zur Abschottung aus der CSU und Teilen der CDU machen deutlich, wie gut eine Abgrenzung von Pegida und die Übernahme von deren Kernforderungen harmonieren können. Auch die Sonderlager für Balkanflüchtlinge sind wieder in der Diskussion. Viele der möglichen Insassen wären Roma, eine im NS verfolgte Bevölkerungsgruppe.
Es war der emeritierte Historiker Wolfgang Wippermann [13], der schon vor einigen Wochen darauf aufmerksam machte, dass in der Weimarer Republik solche Sonderlager für Ostjuden eingerichtet wurden und damals auch offen Konzentrationslager genannt wurden. Nach den Erfahrungen mit dem NS wird niemand bei politischem Verstand mehr von Konzentrationslagern reden.
Pirinçci hatte sich in Dresden vor allem mit der Textpassage um Kopf und Kragen geredet, in der er Konzentrationslager erwähnte. Hätte er dagegen von Sonderlagern gesprochen, in denen Menschen vorrübergehend konzentriert werden, hätte ihm wohl kaum jemand widersprochen, denn genau die werden von zahlreichen Politikern dringend gefordert.
Peter Nowak
http://www.heise.de/tp/news/Pegida-bekaempfen-aber-die-Kernforderungen-uebernehmen-2851694.html
Links:
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