Gülaferit Ünsal beendet ihren Hungerstreik

Weil sie in der Haft schikaniert worden sein soll, nahm Gülaferit Ünsal aus Protest keine Nahrung mehr auf. Jetzt hat die Gefängnisleitung reagiert.

Am 29. Mai hat Gülaferit Ünsal nach 54 Tagen ihren Hungerstreik erfolgreich beendet. In einem von Ünsal, ihrer Rechtsanwältin, der Gefängnisleitung und dem Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Canan Bayram (Grüne) unterschriebenen Protokoll wurde festgehalten, dass die Gefangene Zeitungen und Post künftig sofort ausgehändigt bekommt. Die Gefängnisleitung verpflichtete sich gegenüber Ünsal »zu einem Umgang in interkulturell respektvoller Form«. Zudem sollten künftig Bedrohungen von Ünsal im Gefängnis untersucht und geahndet werden.

Die Gefangene hatte seit Monaten über Mobbing durch einige Mitgefangene und das Vorenthalten von legalen linken Zeitungen geklagt. Nachdem sie im letzten Jahr vergeblich mit Briefen auf ihre Situation aufmerksam gemacht hatte, war sie am 6. April in den Hungerstreik getreten. Die Nachricht vom erfolgreichen Ende des Hungerstreiks wurde am Freitagabend mit großer Freude von den rund 60 Menschen aufgenommen, die sich vor der JVA für Frauen in Pankow versammelt hatten, um Ünsal ihre Solidarität auszudrücken. Mehrmals wöchentlich fanden in den letzten Wochen Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der JVA statt. Organisiert wurden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. Ünsal war im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt worden.

»Für mich als Anwältin ist es absurd, dass man mehr als 50 Tage in den Hungerstreik gehen muss, um seine Rechte zu bekommen«, erklärte Canan Bayram gegenüber »nd«. Die Rote Hilfe sagte, es wird jetzt notwendig sein, dass die Öffentlichkeit weiterhin beobachtet, ob die Vereinbarungen mit Ünsal eingehalten werden. Canan Bayram will die Gefangene einmal im Monat besuchen. Auch Hakan Taş, der für die LINKE im Abgeordnetenhaus sitzt, hat einen Besuch bei Ünsal angekündigt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/972852.guelaferit-uensal-beendet-ihren-hungerstreik.html

Peter Nowak

Kein russisches Alleinstellungsmerkmal

Im Schatten der Bretterbude

Die Bakuninhütte in Thüringen war einst Treffpunkt der libertären Bewegung. Nun wird der wechselvollen Geschichte des Gebäudes eine Ausstellung gewidmet.

Wer rastet, der rostet«, lautet das Motto von Rudolf Dressel, der noch mit 95 Jahren in seiner Oldtimer-Werkstatt in Berlin-Zehlendorf arbeitet. Dem Senior des Familienbetriebes würde auf den ersten Blick wohl niemand Sympathien mit anarchosyndikalistischem Gedankengut unterstellen. Und doch ließ es sich Dressel nicht nehmen, am 17. Mai zu einer besonderen Wanderhütte zu fahren, die knapp fünf Kilometer entfernt von Meinigen liegt, einem kleinen Städtchen in Thüringen: die Bakuninhütte.

Dressel war eingeladen worden, bei der Eröffnung der Doppelausstellung »Meiningen und seine Anarchisten« zu sprechen, die bis zum 27.  September im Meininger Schloss Elisabethenburg zu sehen sein wird. Während im ersten Raum Exponate zum Leben Erich Mühsams zu finden sind, die bereits in mehreren deutschen und israelischen Städten zu sehen waren, ist die zweite Ausstellung der kurzen Geschichte der Bakuninhütte gewidmet. Für Dressel beginnt hier eine Reise zurück in seine Kindheit.

Zusammen mit seiner Familie verbrachte Dressel in den zwanziger Jahren viel Zeit in dieser Gegend. »Hier stand das Karussell«, sagt Dressel und zeigt auf eine leere Stelle vor der Hütte. Das Karussell lockte damals viele Jungendliche aus Südthüringen zur Bakuninhütte, die seit Mitte der zwanziger Jahre nicht nur ein Treffpunkt der syndikalistischen und anarchistischen Bewegung Thüringens und Hessens war. Sie war auch ein Ort, um sich über die Theorie und Praxis von Anarchismus, Syndikalismus und Rätekommunismus zu informieren. Zu den Referenten, die aus Deutschland und den Nachbarländern angereist kamen, gehörten auch Augustin Souchy und Erich Mühsam. Am 9. Februar 1930 schrieb Mühsam an seine Frau Zenzl: »Diese Hütte haben die Genossen gebaut, 600 Meter hoch, mitten in den schönsten Wald.«

Obwohl das anarchistische Hüttenleben nach der ersten Razzia im März 1933 für beendet erklärt wurde, scheint sich die libertäre Szene dort weiterhin getroffen zu haben. »Ist Ihnen bekannt, dass die Kommunisten und Syndikalisten wieder ihr Unwesen auf der sogenannten Siedlung treiben? Wenn nicht, möchten wir Sie als Nationalgesinnte darauf hinweisen, denn wir fühlen es als unsere Pflicht, sie nicht wieder hoch kommen zu lassen.« Der Denunziantenbrief an die NSDAP war mit dem Satz »Einer, der die Sache genau beobachtet« unterschrieben. Der Autor lamentierte, dass »nationale Gastwirte aufs schwerste geschädigt würden«, wenn man den Linken gestatte, auf der Hütte Getränke zu verkaufen. Im Mai 1933 wurde das Verbot endgültig durchgesetzt, die Nazis nahmen die Hütte in Beschlag und Anarchisten, die weiter aktiv für ihre Überzeugungen eintraten, mussten um ihr Leben fürchten.

Die Geschichte der Bakuninhütte geriet über die Jahre in Vergessenheit. Wer sich überhaupt noch erinnern konnte, dachte an die »Paganinihütte«, wie sie in den sechziger und siebziger Jahren von den älteren Bewohnern der Region genannt wurde, die selbst noch dort oben an Freizeitvergnügungen teilgenommen hatten. Ob die Namensänderung auf einem Hörfehler beruhte oder der italienische Komponist politisch einfach weniger belastet war als der russische Anarchist, lässt sich heute nicht mehr klären.

Die wechselhafte Geschichte der Hütte riss auch mit Gründung der DDR nicht ab. In den ersten Jahren wurde die Hütte als Freizeit- und Erholungsheim von der FDJ und ihr nahestehenden Organisationen genutzt. Unter den Besuchern befanden sich auch einige der Mitbegründer der Hütte aus den zwanziger Jahren, die mittlerweile der SED beigetreten waren. Später wurde das Gebäude zu einem Naturschutzheim umfunktioniert, in dem sich engagierte Ökologen bereits in den späten sechziger Jahren mit den Gefahren des Kalibergbaus auseinandersetzten. Im letzten Jahrzehnt vor der Wende wurde die gesamte Region um die Hütte zum Übungsgelände der Polizei erklärt und für die Bewohner gesperrt.

Nach 1989 entdeckten junge Leute in Meiningen und Umgebung, die sich gegen Nazis und Rassisten engagierten, den Anarchismus neu. Sie gründeten die Freie Union Revolutionärer Anarchisten (Fura), die für Konservative in Süd­thüringen bald zum Inbegriff des lokalen Linksextremismus wurde. 2006 wurden einem Meininger Kulturzentrum die öffentlichen Mittel gestrichen, weil dort auch die Fura eine Postadresse hatte.

Als sich die jungen Anarchisten für die Geschichte der Bakuninhütte zu interessieren begannen, sahen sich Verwaltung und Politik unter Zugzwang. 2009 erließ die Gemeinde ein absolutes Nutzungsverbot für das Gebäude. CDU-Politiker wollten die Hütte sogar abreißen lassen. Die Hütte habe sich nicht zu einer Wallfahrtsstelle entwickeln sollen, erklärte Uwe Kirchner, der damalige Sprecher des Meininger Landratsamts.

Dass sechs Jahre später vor dem Meininger Schloss Elisabethenburg eine Fahne mit der Aufschrift »Meiningen und seine Anarchisten« weht, wertet Kai Richarz auch als einen politischen Erfolg. Er gehörte zu den Jugendlichen aus Südthüringen, die sich im Kampf gegen Nazis politisiert hatten und sich in der Fura organisierten. Seit Jahren setzt sich Richarz für den Erhalt der Bakuninhütte ein. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Philosophie, doch das Thema treibt ihn immer noch um. Er forscht über die Geschichte des Anarchismus und Syndikalismus in Thüringen und wurde als Referent der Tagung »Erich Mühsam in Meiningen. Ein historischer Überblick zum Anarchosyndikalismus in Thüringen« eingeladen, die vom 11. bis 13. Juni in Meiningen stattfinden soll.

Die Ausstellung, deren Exponate aus dem Archiv der Meininger Anarchosyndikalisten stammen, thematisiert eine Fülle historischer Gegebenheiten. Einige Tafeln führen in die Geschichte der Jugendbewegung ein, die bald nach ihrer Entstehung in unterschiedliche Flügel aufsplitterte. Manche wurden nach dem Ersten Weltkrieg Herolde der völkischen Bewegung, andere engagierten sich bei den Kommunisten oder Anarchisten. Wie fließend die Übergänge auch innerhalb der linken Strömungen waren, zeigt das Schicksal der damals in Meiningen lebenden, jüdischen Familie Aul, die in den zwanziger Jahren auch zu den regelmäßigen Nutzern der Hütte zählte. In der Ausstellung ist das Mitgliedsbuch zu sehen, das Martin und Herbert Aul als Kämpfer der anarchosyndikalistischen Kolonne Durutti ausweist. Während Herbert Aul 1944 von der SS in Paris erschossen wurde, kehrte sein Bruder 1946 nach Meiningen zurück und machte in der SED Karriere. Ihre Mutter Bella Aul, die in den zwanziger Jahren von der SPD in die KPD gewechselt war und in der Weimarer Republik als aktive und emanzipierte Frau in Meiningen bekannt war, wurde in Auschwitz ermordet. Bis 1989 erinnerte ein Straßenname an sie. Und heute gibt es eine Initiative, die sich dafür einsetzt, dass in Meiningen wieder eine Straße an die verfolgten und ermordeten jüdischen Linken der Stadt erinnert.

Die Doppelausstellung »Sich fügen heißt lügen: Erich Mühsam, Anarchisten in Meiningen und die Bakuninhütte« läuft noch bis 27. September im Schloss Elisabethenburg in Meiningen.

http://jungle-world.com/artikel/2015/22/52049.html

Peter Nowak

Die Spur führt zur Bakuninhütte

In Meiningen wird in einer Ausstellung an Erich Mühsam und den Anarchosyndikalismus in Thüringen erinnert

Fast stünde sie heute nicht mehr, die Bakuninhütte bei Meinigen in Thüringen. Doch jetzt gibt es sogar eine Ausstellung, welche die Geschichte des früheren Anarchisten-Treffpunkts beleuchtet.

»Meiningen und seine Anarchisten«, so lautet die Aufschrift auf einer Fahne, die bis zum 27.September vor dem Schloss Elisabethenburg des thüringischen Städtchens Meiningen hängt. Sie verweist auf eine Doppelausstellung, die Mitte Mai in dem repräsentativen Gebäude der Stadt eröffnet wurde. Ein Teil widmet sich dem Leben und Tod des anarchistischen Schriftstellers Erich Mühsam.

Die Schau wurde bereits in verschiedenen Städten Deutschlands sowie in Tel Aviv gezeigt. Sie gibt einen guten Überblick über die Biografie eines Mannes, der im Lübeck der Buddenbrooks geboren wurde und 1901 aus der ihm von den Eltern zugedachten Rolle als angepasster Bürger ausbrach. Mühsam wurde Publizist und kämpfte unermüdlich gegen die militaristischen, deutschnationalen Kreise in Deutschland. Über Mühsams Ermordung in nationalsozialistischer Haft ist viel geschrieben wurde. Manche kennen auch noch sein Engagement in der bayerischen Räterepublik, das ihm eine lange Haftstrafe und den Hass der deutschnationalen und konservativen Kräfte einbrachte. Nur wenige jedoch wissen, dass Mühsam in der Weimarer Republik sehr viel gereist ist, um Initiativen von syndikalistischen Gewerkschaften und Freidenkern zu unterstützen.

Vielerorts hielt er Reden und ermutigte seine Zuhörer, sich für ihre eigenen Interessen zu organisieren. Im Rahmen seiner vielen Reisen kam Mühsam auch ins thüringische Meinigen und besuchte die rund fünf Kilometer entfernte Bakuninhütte. Auf einer Postkarte an seine Frau Zenzl schrieb Mühsam am 9. Februar 1930: »Diese Hütte haben die Genossen gebaut« – 600 Meter hoch, mitten im schönsten Wald.

85 Jahre später steht die kleine Hütte, benannt nach dem russischen Anarchisten Michail Bakunin (1814-1876), als Kulturdenkmal wieder im Mittelpunkt des Interesses in Südthüringen. Die Lokalzeitung brachte kürzlich eine ganze Seite darüber, weitere Beiträge sollen folgen. Dieses neue Interesse an der Hütte mit ihrer bewegten Geschichte ist ein besonderer Erfolg für den Wanderverein Bakuninhütte. Seit 2006 hat der Verein dafür gekämpft, dass das einmalige Zeugnis der syndikalistischen und anarchistischen Geschichte in Südthüringen überhaupt wieder der Öffentlichkeit zugänglich wird. Dabei wurden den Vereinsmitgliedern anfangs von Politikern und Behörden viele Steine in den Weg gelegt. Noch 2009 erließ man ein absolutes Nutzungsverbot, CDU-Politiker wollten das historische Gebäude sogar abreißen lassen. »Die Hütte habe sich nicht zu einer Wallfahrtsstelle entwickeln sollen«, erklärte der damalige Sprecher des Meininger Landratsamts Uwe Kirchner im Jahr 2009.

Die Treffen von Libertären, Kommunisten, Gewerkschaftern hoch über Meiningen waren schon Mitte der 1920er Jahre den Behörden suspekt. Das wird in der vom Wanderverein Bakuninhütte konzipierten Schau dokumentiert, die mit ihren zahlreichen Tafeln eine wichtige Fundgrube ist.

Kai Richarz hat sich bereits als Jugendlicher für den Erhalt der Bakuninhütte eingesetzt. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Philosophie, doch das Thema hat ihn nicht losgelassen. Er hat bereits Artikel  zum Thema veröffentlicht. Richarz ist auch einer der Referenten der Fachtagung »Erich Mühsam in Meiningen. Ein historischer Überblick zum Anarchosyndikalismus in Thüringen«, die vom 11. bis 13. Juni in Meiningen stattfinden wird. Es gibt also in der nächsten Zeit einige Gelegenheit, Meiningen und seine Anarchisten in Vergangenheit und Gegenwart kennenzulernen.

Termine und weitere Informationen unter: www.muehsam-in-meiningen.de

Peter Nowak

»Alles ist kaputt«

Mieter der Grunewaldstraße erheben Vorwürfe gegen Hauseigentümer

Roma in Schöneberg beschuldigen ihren Vermieter, sie bedroht zu haben, um ihren Auszug zu erpressen. Sollte es einen weiteren Räumungsversuch geben, wollen sie vor dem Bezirksamt protestieren.

»Keine Fotos, keine Namen«, betonten die acht Mieter der Grunewaldstraße 87 im Stadtteil Schöneberg mehrmals eindringlich. Sie waren am Donnerstagnachmittag in die Räume der Roma-Selbsthilfeorganisation Amaro Foro nach Neukölln gekommen, um auf illegale Entmietungsmethoden aufmerksam zu machen. Der Besitzer des Hauses versuche, sie mit allen Methoden loszuwerden. Bereits Mitte Mai seien drei vom Eigentümer engagierte Männer in die Wohnungen der Rumänen eingedrungen und hätten sie zum sofortigen Verlassen des Hauses aufgefordert. Als sie sich weigerten, seien nicht nur ihnen Schläge angedroht worden. »Sie wüssten, wo unsere Kinder in die Schule gehen und würden sie entführen«, berichten die Betroffenen. Außerdem hätten die Männer gedroht, »unsere Frauen zu vergewaltigen«. Zwei Mieter berichteten, dass sie zu einem Café in Schöneberg gebracht worden seien, wo die Drohungen fortgesetzt worden sein sollen. Einer der Betroffenen hat Teile davon mit seinem Handy dokumentiert.

Von Polizei und Politik fühlen sich die Mieter im Stich gelassen. Sie hätten Anzeige erstattet und die Namen der Täter genannt. Zudem hätten sie gefordert, dass die das Haus nicht mehr betreten dürfen. Bisher sei nichts geschehen. »Die Polizei ist nicht auf unserer Seite«, meint eine Mieterin. Zum 1. Juni rechnen die Mieter mit erneuten Räumungsversuchen. »Wir wollen unsere Wohnungen nicht verlassen, weil wir dann obdachlos sind. Wenn es aber einen erneuten Räumungsversuch gibt, verlassen wir alle das Haus und bauen unsere Zelte in einem Park oder vor dem Bezirksamt auf«, sagte einer der Mieter unter zustimmenden Nicken der anderen.

Für den Hausbesitzer war das Geschäft mit den Roma bisher sehr lukrativ. Mieten zwischen 300 und 400 Euro für einen Raum und eine Küche sowie eine Etagentoilette seien nicht ungewöhnlich gewesen. Alle Mieter sprachen vom schlechten baulichen Zustand des Hauses. »Alles ist kaputt«, fasste es ein Mieter zu zusammen. Die Wohnungen haben teilweise kein Wasser und keinen Strom.

»Die rumänischen Familien sind nicht dafür verantwortlich, dass ihnen ohne eine Chance auf dem Berliner Wohnungsmarkt stark überbelegter Wohnraum in sehr schlechtem Zustand und völlig überteuert vermietet wird«, sagt der Vorstandsvorsitzende von Amaro Foro, Merdjan Jakupov.

Damit wendet sich die Initiative gegen Versuche von Medien und Teilen der Nachbarschaft in der Grunewaldstraße, die Romafamilien dafür verantwortlich zu machen, dass Lärm und Dreck auf der Straße zunehmen. In der letzten Woche waren auf einem Treffen einer Nachbarschaftsinitiative solche Töne zu hören (»nd« berichtete). Aber andere Nachbarn betonten, dass nicht die Roma sondern der Vermieter das Problem seien. Vielleicht kommt es zu einer Kooperation. Die Roma bekräftigten ihrerseits, sie hätten an guten Kontakten zur Nachbarschaft großes Interesse. Auch die Klagen über Müll vor dem Haus könnten sie verstehen. Doch das liege an fehlenden Mülltonnen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/972744.alles-ist-kaputt.html

Peter Nowak

G7-Treffen als Inszenierung vom Wiederaufstieg Deutschlands

Auf dem Treffen der G7-Finanzminister in der Roten Zone in Dresden ging es um Selbstdarstellung Deutschlands und Griechenland

Ein durch einen Zaun abgetrenntes Gebiet mitten in der Innenstadt[1], in dem wesentliche Grundrechte wie das Versammlungsrecht außer Kraft gesetzt worden sind. So präsentiert sich in diesen Tagen Dresden.

Vom 27. bis 29. Mai tagen[2] in der sächsischen Hauptstadt die Finanzminister und Notenbankchefs der G7-Staaten und Dresden hat seine Rote Zone. Das Treffen findet im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft statt. Dort wird das G7-Treffen[3], das nächstes Wochenende auf Schloss Elmau stattfinden soll, auf finanzpolitischem Gebiet vorbereitet.

Deutschland – Symbol für Deutschlands Wiederaufstieg wie Phönix aus der Asche

Gastgeber Wolfgang Schäuble nutzt das Treffen zur Schaustellung des neuen deutschen Selbstbewusstseins. Auch der Tagungsort ist hier Teil des Programms. So wird auf der Webseite des Bundesfinanzministers en passant die neueste deutsche Geschichtserzählung verbreitet: „Wie kaum eine andere deutsche Stadt steht Dresden für den erfolgreichen Wiederaufbau nach zwei Diktaturen und erfolgreichen Strukturwandel. Dresden ist ein symbolträchtiger Ort, um im G7-Kreis über die Stärkung der Weltwirtschaft nach der Finanzkrise zu beraten.“

Solche Statements ignorieren jahrelange Diskussionen, die die Gleichsetzung von NS und DDR mit guten Argumenten ablehnten[4]. Die Saga vom Wiederaufstieg Deutschland wie Phönix aus der Asche funktioniert am Beispiel Dresden nur, wenn man einen Aspekt mitdenkt, der in dem Statement aus dem Hause Schäuble ausgespart wird. Es ist auch ein Affront gegen die damalige Anti-Hitler-Koalition. Die Bombardierung wird einfach als Leerstelle ausgespart.

Im heutigen Geschichtsdiskurs der selbstbewussten Nation Deutschland belässt man es vorerst eher bei Auslassungen. Die regierungsamtliche Rhetorik gibt denen Recht, die in den letzten 25 Jahren nicht nur die Neonazipropaganda, sondern auch den offiziellen Dresden-Mythos kritisch[5] unter die Lupe genommen haben. Die Erklärungen zum G7-Treffen zeigen, wie heute Dresden ganz selbstverständlich in den Dienst für das selbstbewusste Deutschland verwendet wird.

Alle reden vom Grexit

Gastgeber Schäuble versäumt auch in Dresden nicht, seinen Lieblingsgegner zu treten. Das ist Griechenland, seit die Mehrheit der dortigen Bevölkerung sich erdreistet hatte, eine Regierung zu wählen, die die Austeritätspolitik ablehnt, die wesentlich mit Schäuble verbunden ist.

Bild machte mal wieder wenig subtil Propaganda[6]. Da stichelte Schäuble gegen Athen und vergleicht den griechischen Finanzminister mit SED-Ministern. Aber nicht er, sondern Griechenland sorgt laut Bild auf den Treffen für Irritationen. Dabei hatte die griechische Regierung eigentlich auf Optimismus gemacht und eine baldige Einigung mit den Institutionen, wie die Troika und Co. jetzt genannt werden, in Aussicht gestellt. Doch Schäuble dementierte sofort. „So wurde beim heutigen G7-Treffen auch eines früh klar: So schnell, wie es die griechische Links-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras glauben macht, wird es in dem monatelangen Gezerre um neue Finanzspritzen für Athen keinen Durchbruch geben“, schreibt Bild.

Die Absicht ist klar. Man will die gegenwärtige Regierung in die Enge treiben, bis entweder Syriza zerbricht oder die Bevölkerung in Griechenland die Geduld verliert. So geht also die Demontage einer demokratisch gewählten Regierung weiter, die nicht nach Deutschlands Pfeile tanzen will. Dabei hat IWF-Chefin Largarde bekräftigt, die internationalen Geldgeber hätten im Schuldenstreit mit Griechenland noch keine großen Fortschritte erzielt. Die Fortschritte messen sich nach dieser Lesart daran, wie weit die griechische Regierung bereit ist, ihre Wahlversprechen aufzugeben und sich dem Diktat der Institutionen unterzuordnen.

In der Vergangenheit gab es zwischen dem IWF und Schäuble manchmal taktische Widersprüche. Der IWF hat die EU schon mal aufgefordert, etwas flexibler gegenüber Griechenland zu sein, damit das Land in der Lage ist, die Verbindlichkeiten gegenüber dem IWF zu bedienen. Das ginge nicht mehr, wenn das Land offiziell seine Zahlungsunfähigkeit erklären würde.

Doch in Dresden hat auch Largarde den Grexit, also den von außen ökonomisch erzwungen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, als eine Möglichkeit anerkannt[7]. Damit droht die griechische Regierung ein Druckmittel zu verlieren, weil sie immer darauf hoffte, dass es die Geldgeber dazu nicht kommen lassen wollen. Bei den Debatten geht es nicht um die Interessen der großen Mehrheit der durch die Austeritätspolitik verarmten Teile der Bevölkerung. Es geht nur darum, ob Griechenland die Schulden weiterhin abzahlt.

In den letzten Wochen hat besonders Lagarde den Druck auf die griechische Regierung erhöht und jeden Zahlungsaufschub ausgeschlossen. Diese Position hat sie in Dresden bekräftigt. Zudem beschuldigte sie die griechische Regierung, sie sei unsolidarisch gegenüber den Ländern der Asiens und Afrikas, die trotz großer Armut Schulden zurückzahlen.

Athen und die Schuldenstreichung

Das ist allerdings Demagogie. Tatsächlich fordern[8] seit Jahrzehnten Nichtregierungsorganisationen, Ökonomen und Politiker in den Ländern des globalen Südens eine Schuldenstreichung[9]. Es gibt eine weltweite Bewegung für diese Forderung.

Die Länder kämen nie aus dem Teufelskreis von Armut und Verelendung heraus, wenn die oft illegitimen Schulden nicht gestrichen werden, so die Argumente. Die Schulden wurden oft von politischen Eliten, nicht selten von Militärdiktaturen, angehäuft und kamen den politischen Eliten, nicht aber der Mehrheit der Bevölkerung zugute. Alle Versuche, eine Schuldenstreichung durchzusetzen, wurden von IWF und Weltbank abgelehnt und den Ländern mit politischer und ökonomischer Isolierung gedroht.

Es gäbe also viele Gemeinsamkeiten zwischen vielen Staaten des globalen Südens und Griechenland. Die griechische Regierung könnte sogar neue Impulse für eine internationale Debatte um die Schuldenstreichung geben, wenn sie erklären würde, dass sie die Zahlungen aussetzt und das Geld für Sozialreformen verwendet, die die notleidende Bevölkerung entlasten. Genau das fürchten IWF und die Institutionen und versuchen alles, um eine solche Solidarisierung zu verhindern. Die Propaganda vom mit den Ländern des globalen Südens unsolidarischen Griechenland gehört dazu.

Dresden – Kein Warm-up für Elmau?

Nun wäre eine solche Konferenz auch Gelegenheit, dass sich der Teil der politischen Opposition zu Wort meldet, die gegen diesen Umgang der deutschen Regierung mit Griechenland Einwände hat. Die Dresdner Behörden haben sich darauf eingestellt. Rote Zone nennt man die Hochsicherheitsbereiche mitten in den Städten seit den Hochzeiten der globalisierungskritischen Bewegung. Doch von einer großen Protestbewegung kann in Dresden nicht die Rede sein.

Die sächsische Linkspartei spricht[10] von verpassten Chancen bei dem Meeting und erweist sich damit als konstruktive Oppositionspartei, die eben noch ein paar andere Themen auf dem Treffen ansprechen will. Noch vor einem Jahr stritten sich Leser der Sächsischen Zeitung[11], ob das Treffen von der Protestbewegung ignoriert werden würde oder ob Dresden während des Gipfels zur Protesthochburg werden würde.

Nun stellt sich heraus, dass erstere recht hatten. Das ist umso erstaunlicher, als zurzeit ein Teil der außerparlamentarischen Linken nach Südbayern mobilisiert[12], wo in der nächsten Woche auf Schloss Elmau[13] das G7-Treffen[14] stattfindet (Die Alpenfestung der Reichen und Mächtigen[15]). Die Mobilisierung ist längst nicht mit der monatelangen Vorbereitung auf den G8-Gipfel in Heiligendamm zu vergleichen. Die bayerische Landesregierung und die Bürgermeister unterschiedlicher politscher Couleur versuchen die Proteste kleinzuhalten.

Zurzeit versuchen[16] die G7-Protestierer, das Verbot für ein Camp juristisch aufheben zu lassen. Das Camp wurde von den Behörden verboten, weil es in einem möglichen Hochwassergebiet liegt. Dass es in der nächsten Woche dort Hochwasser geben wird, ist eher unwahrscheinlich. Dass Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, dagegen nicht.

Ab heute wird an den Grenzen wieder kontrolliert. Schon seit einigen Tagen berichten[17] Wanderer über Verbote und Schikanen. Eigentlich wäre für die Protestbewegung das Treffen in Dresden eine gute Chance, um schon mal eigene Akzente zu setzen. 2007, als das Treffen der damaligen G8-Finanzminister bei Potsdam stattfand[18], war es Teil der Protestchoreographie. So ist die Dresdner Protestflaute auch ein Indiz für die Schwäche der aktuellen Bewegung gegen den G7-Gipfel. Dabei werden in Treffen wie in Dresden die politischen Weichenstellungen beschlossen, die dann auf den Gipfeltreffen wie in Elmau nur vorgestellt und abgenickt werden. Daher müssten eigentlich Treffen wie in Dresden in den Focus der Protestbewegung rücken.

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45058/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://m.lvz.de/Mitteldeutschland/News/Dresden-stellt-massiven-Sicherheitszaun-fuer-G7-Treffen-der-Finanzminister-auf

[2]

http://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Internationales_Finanzmarkt/Deutsche_G7_Praesidentschaft/deutsche_g7_praesidentschaft.html

[3]

http://www.g7germany.de/Webs/G7/DE/Home/home_node.html

[4]

http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/9964

[5]

http://www.verbrecherverlag.de/buch/698

[6]

http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/griechenland-krise-tsipras-und-co-am-g-7-pranger-41124854.bild.html

[7]

http://www.rp-online.de/politik/eu/griechenland-finanzelite-spielt-den-grexit-durch-aid-1.5122074

[8]

http://www.europeana.eu/portal/record/09428/objekt_start_fau_prj_ffbiz_dm_1_zeig_1618.html

[9]

http://www.deine-stimme-gegen-armut.de/blog/2007/02/21/erlassjahr-kampagne-fordert-schuldenstreichung/

[10]

http://www.dielinke-dresden.de/politik/detail/article/27-mai-2015-gegenaktion-der-partei-die-linke-zum-g7-finanzministergipfel-in-dresden/

[11]

http://www.sz-online.de/nachrichten/g7-finanzgipfel-in-dresden-2864837.html

[12]

http://www.stop-g7-elmau.info/

[13]

http://www.schloss-elmau.de/news-webcam/

[14]

http://www.g8-2015.de/

[15]

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43273/

[16]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g7-gegner-wollen-sich-gegen-verbot-von-protestcamp-wehren-a-1035623.html

[17]

http://www.merkur.de/lokales/garmisch-partenkirchen/garmisch-partenkirchen/g7-gipfel-pressezentrum-eisstadion-garmisch-partenkirchen-aerger-sperrzone-5026635.html

[18]http://www.g-8.de/nn_94290/Content/DE/Artikel/2007/04/2007-04-14-g8-finanzmi

Fünfzig Tage hungern

Mehrmals wöchentlich finden zurzeit Kundgebungen in unmittelbarer Nähe der Justizvollzugsanstalt (JVA) für Frauen in Berlin-Pankow statt. Organisiert werden sie von der Berliner Ortsgruppe der Roten Hilfe und dem Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«. In deutscher und türkischer Sprache werden Solidaritätserklärungen verlesen. Zwischendurch wird Musik in beiden Sprachen gespielt. Die Teilnehmer der Kundgebungen halten Plakate mit dem Konterfei von Gülaferit Ünsal hoch, die sich seit dem 6. April in der JVA im Hungerstreik befindet. Sie wehrt sich so nach eigenen Angaben gegen Schikanen durch Mitgefangene und die Postzensur, denn linke Zeitungen in deutscher und türkischer Sprache erhält sie nicht oder nur mit großer Verzögerung. Ünsal wurde im Mai 2013 vom Berliner Kammergericht zu einer Haftstrafe von sechseinhalb Jahren wegen »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt. Es handelt sich dabei um die »Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front« (DHKP-C), eine militante marxistisch-leninistische Organisation in der Türkei. Als geistig klar, aber körperlich sehr geschwächt beschreibt ein Mann, der Ünsal im Gefängnis besucht hat, ihren Zustand nach über fünfzig Tagen Hungerstreik. Ein körperlicher Zusammenbruch ist jederzeit möglich. Der Kreis der Unterstützer bleibt weiterhin überschaubar. Die Zahl der Kundgebungsteilnehmer schwankt zwischen 20 und 80. Mittlerweile haben weitere Gefangene, die nach Paragraph 129b verurteilt wurden, aus Solidarität einen Hungerstreik begonnen. Unterstützung kommt auch von der Gefangenengewerkschaft. Auffällig ist die Ignoranz staatlicher Stellen und der im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien gegenüber dem lebensgefährlichen Protest. An Informationsmangel kann es nicht liegen. Ünsal hatte vor Beginn ihres Hungerstreiks in Briefen an die Öffentlichkeit und Parteien auf ihre Lage in der JVA Pankow aufmerksam gemacht.

http://jungle-world.com/artikel/2015/22/52031.html

Peter Nowak

Der Zug in die Normalität

Begleitet von einer medialen und politischen Gegenkampagne, ist der Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer beendet worden. Die Verabschiedung des Tarifeinheitsgesetzes im Bundestag gefährdet solche Arbeitskämpfe in Zukunft.

Millionen deutscher Kurzurlauber konnten aufatmen. Über Pfingsten legte der Arbeitskampf der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den Zugverkehr nicht mehr lahm. Die Gewerkschaft beendete ihren unbefristeten Streik in der vergangenen Woche und ließ sich auf eine Schlichtung ein. Noch einige Tage zuvor hatte der GDL-Vorstand eine Schlichtung mit der Begründung abgelehnt, dass in der Frage der Grundrechte nichts geschlichtet werden müsse.

Mit dem Streikabbruch ist allerdings der grundsätzliche Konflikt nicht beendet. Die Deutsche Bahn AG hat ein Teilziel erreicht: Die Auseinandersetzung mit der GDL um Lohnerhöhungen und eigenständige Tarifverträge auch für Zugbegleiter, Lokrangierführer und Mitarbeiter im Bordservice, die im Juli 2014 begonnen hatte, wurde derart in die Länge gezogen, dass der Bundestag mittlerweile das Gesetz zur Tarifeinheit verabschieden konnte. Das auch als Lex GDL bezeichnete Gesetz schränkt die Rechte kleiner Gewerkschaften stark ein.

Der GDL ist die Bedeutung des Tarifeinheitsgesetzes für ihre Arbeit bewusst. Das zeigte sich am 18. April auf der bundesweiten Demonstration unter dem Motto »Rettet das Streikrecht« in Frankfurt am Main, wo die GDL mit Fahnen und Rednern vertreten war (Jungle World 17/15). Dass die Gewerkschaft ihren Arbeitskampf am 21. Mai abbrach, ist in dieser Hinsicht bedauerlich. Schließlich fand die zweite Lesung des Tarifeinheitsgesetzes erst am 22. Mai statt. Der Streik ­einer der Gewerkschaften, gegen die sich das Gesetz richtet, wäre ein gutes Signal gewesen.

Das bundesweite Bündnis »Hände weg vom Streikrecht« gehörte zu den Initiativen, die sich solidarisch mit dem GDL-Streik zeigten. »Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und Streik ist kein Privileg der im DGB organisierten Gewerkschaften«, heißt es in der Erklärung des Bündnisses. Es bewertete die mediale und politische Hetze gegen den Arbeitskampf des Zugpersonals als Begleitmusik zur Einführung des Tarifeinheitsgesetzes, das solchen kämpferischen Gewerkschaften die Arbeit erheblich erschweren soll.

Diese Agitation nahm noch einmal enorm zu, nachdem die GDL am 20. Mai abermals in den Streik getreten war. Berlins Boulevardpresse eiferte nicht nur in Artikeln gegen den Ausstand des Zugpersonals. Am 20. Mai verband die BZ die Werbung für ihr Produkt mit einem Streikbruch. Unter der Losung »Wir sind stärker als der Streik« mietete die Zeitung einen Sonderzug und ließ ihn von 5.30 bis 20.30 Uhr zwischen den Stationen Gesundbrunnen, Hauptbahnhof, Potsdamer Platz und Südkreuz pendeln. Zusteigen durfte, wer eine BZ in der Hand hielt.

Die PR-Aktion reihte sich ein in einen medialen Feldzug, der den GDL-Streik als Angriff auf den deutschen Standort brandmarkte. Dabei wurde deutlich, wie schnell es gelingt, das volksgemeinschaftliche Ressentiment gegen Lohnabhängige zu mobilisieren, die zur Verteidigung ihrer Interessen nicht gleich an das Wohl von Staat und Nation denken. Fakten wurden dafür großzügig außer Acht gelassen. Der deutschen Wirtschaft wurden Milliardenverluste prophezeit, obwohl Ökonomen klarstellten, dass sich ein solcher Effekt höchstens bei einem mehrwöchigen Streik eingestellt hätte. Dass ein Arbeitskampf zu Pro­fitausfällen bei den bestreikten Unternehmen führen muss, um erfolgreich zu sein, scheint in Deutschland nicht einzuleuchten.

Dass die GDL im Bündnis mit dem Beamtenbund die Interessen ihrer Mitglieder kämpferisch vertritt, reicht schon aus, um antigewerkschaftliche Reflexe auch in Kreisen zu mobilisieren, die sonst durchaus die DGB-Gewerkschaften für ihre mangelnde Kampfbereitschaft kritisieren. So monierte Ulrike Herrmann in der Taz den »Egoismus der GDL«. Ihr Kollege Richard Rother ließ Hagen Lesch, einen »Tarifexperten« beim unternehmernahen »Institut der Deutschen Wirtschaft« in Köln, in einem Artikel erklären, »wieso die GDL so absurd daherredet« und einen befristeten Streik ankündigte, ohne die genaue Dauer zu verraten.

Die Erklärung wäre einfach gewesen: Die GDL ließ das Ende offen, um zu verhindern, dass die Deutsche Bahn AG sich mit dieser Information gut auf den Streik vorbereiten kann. In vielen Ländern sind solche Momente der Unberechenbarkeit ein fester Bestandteil eines Arbeitskampfes. Für Rother, der die GDL als »Ellenbogengewerkschaft« tituliert, ist ein derartiger Ausbruch aus den gewerkschaftlichen Gepflogenheiten in Deutschland zu viel. Besonders empört zeigte er sich darüber, dass die GDL mit dem Arbeitskampf das Tarifeinheitsgesetz aushebeln wolle. »Insofern trägt der kommende Ausstand Züge eines politischen Streiks, und der ist in Deutschland ­eigentlich verboten«, winkte er mit dem Gesetzbuch. Statt zu streiken, sei ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tarifeinheitsgesetz abzuwarten. »Das wäre ja der normale Weg.«

»Normal« ist es für deutsche Gewerkschaften tatsächlich, die Interessen des Standorts zu berücksichtigen, bevor sie überhaupt eigene Forderungen stellen. Es ist ein Verdienst der GDL, diesen »normalen« deutschen Weg verlassen zu haben. Soziale Initiativen und linke Gewerkschaften aus anderen Ländern erkannten das und soli­darisierten sich daher mit dem GDL-Streik. Allerdings werden solche Erklärungen in deutschen Medien selten erwähnt. So heißt es in einer Resolution europäischer Bahngewerkschafter: »Angesichts des Drucks der Leitung der Deutschen Bahn, der deutschen Regierung und auch in beachtlichem Maße der Medien erklärt der in Budapest tagende Vorstand der Autonomen Lokomotivführergewerkschaften Europas (ALE) – in Vertretung der Lokomotivführer der 16 Mitgliedsgewerkschaften aus ebenso vielen Ländern – seine Unterstützung und Solidarität mit den deutschen Lokomotivführern und der Mitgliedsgewerkschaft GDL bei ihrem Kampf fürdie tarifliche Vertretung aller ihrer Mitglieder bei der Deutschen Bahn.«

http://jungle-world.com/artikel/2015/22/52040.html

Peter Nowak

Wem nützt die weitere Verrechtlichung der Arbeitskämpfe?

Tarifeinheit ist ein Füllbegriff, hinter dem sich unterschiedliche Interessen von Teilen des DGB und der Kapitalverbände verbergen

Hätte die Zugpersonalgewerkschaft GDL mehr Sinn für politische Symbolik, hätte sie ihren letzten Streik nicht schon am 21.Mai abgebrochen. Schließlich wurde am folgenden Tag das Tarifeinheitsgesetz[1] vom Bundestag verabschiedet, das Kritiker schon als Lex GDL bezeichnet haben. 444 Abgeordnete stimmten[2] für die von der Bundesregierung vorangetriebene Tarifeinheit, 144 stimmten dagegen und 16 enthielten sich. Geschlossen stimmten die am 22. Mai im Parlamentssaal anwesenden Abgeordneten der Grünen und Linken gegen das Gesetz, auch eine SPD- und 16 Unionsabgeordnete votierten mit Nein. Das Abstimmungsverhalten macht schon deutlich, dass es sich bei der Tarifeinheit keineswegs um eine Frage geht, die einfach im Links-Rechts-Schema eingeordnet werden können.

Abschied vom Prinzip: Ein Betrieb – ein Tarifvertrag

Ausgangspunkt des Gesetzes war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010[3]. Aufgrund der Entscheidung war es rechtens, dass in einem Betrieb mehrere Tarifverträge der gleichen Berufsgruppen nebeneinander bestehen können. Damit wich das Bundesarbeitsgericht von seiner bisherigen Rechtssprechung ab, die dem Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ gefolgt war. Zu den ersten, die nach diesem Urteil nach einer gesetzlichen Regelung der Tarifeinheit gerufen hatten, waren der DGB und ihre Einzelgewerkschaften.

Damals war auch die Linkspartei keineswegs klar dagegen positioniert. Das lag auch am Gewerkschaftsflügel, der über die WASG in die Linkspartei gekommen war. Was hat sich nun in den letzten 5 Jahren verändert, dass zumindest die parlamentarische Linke eindeutig gegen die Tarifeinheit ist und auch einige Einzelgewerkschaften, vor allem die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, ihre ursprüngliche Befürwortung der Tarifeinheit zurückzog? Bei ihr ist das eine Folge des großen Drucks von der Gewerkschaftsbasis. Dahinter stehen aber auch unterschiedliche Vorstellungen von der Gewerkschaftsmacht und Veränderungen durch neue Arbeitsverhältnisse.

Wenn Kritiker der Tarifeinheit monieren, dass damit kleineren Gewerkschaften im Betrieb wesentliche Rechte genommen werden und deren Streikfähigkeit damit unterminiert werden soll, haben sie Recht. Selbst die Befürworter des Gesetzes, die solche Pläne lange von sich wiesen, geben mittlerweile offen zu, dass das Ziel des Tarifeinheitsgesetzes die weitere Verregelung des deutschen Arbeitskampfes ist. Lange Zeit war der Deutsche Gewerkschaftsbund der Garant für die Verrechtlichung der Arbeitskämpfe. Die Unternehmer konnten sich darauf verlassen, dass ein Streik nicht aus dem Ruder lief. Davon profitierte auch die Unternehmerseite, die natürlich überhaupt keine Arbeitskämpfe mochte. Doch wenn sie sich schon nicht vermeiden konnten, wussten sie wenigstens genau, wann der Streik beginnt und zu Ende ist. Diese Verregelungskultur war, anders als linke Kritiker behaupteten, kein Verrat an der Arbeiterklasse. Sie entsprach vielmehr den Bedürfnissen eines großen Teils der DGB-Mitglieder.

Einheitsgewerkschaft oder Betriebsgemeinschaft?

Vor allem in den fordistischen Großbetrieben sahen sich die Gewerkschaft als Teil des Betriebes. Dort trat man mit der Lehre ein und glaubte sich rundumversichert. Es ging dort schon mal um die Durchsetzung unterschiedlicher Interessen, aber immer schön konstruktiv, dabei sollte aber nie der Erfolg des Betriebes infrage gestellt werden.

Diese Arbeit der Gewerkschaftsarbeit, die nicht auf Konflikte setzt, sondern das Gemeinsame im Betrieb in den Mittelpunkt stellt, knüpfte vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten der BRD an die Praxis der NS-Volksgemeinschaft an. Darauf machten linke Kritiker des DGB wie der Historiker Karl Heinz Roth aufmerksam, der in den 70er Jahren sein Buch „Die andere Arbeiterbewegung“[4] verfasste. Dabei wurden von den Kritikern damals aber oft die Unterschiede zwischen einer an die Standortlogik angepassten DGB-Politik und der NS-Betriebsgemeinschaftsideologie, wie sie sich in der Deutschen Arbeitsfront ausdrückte, außer acht gelassen. Letztere konnte nur in einem Umfeld existieren, wo auch die noch so angepasste Variante sozialdemokratischer Gewerkschaftspolitik terroristisch unterdrückt wurde. Die angepasste DGB-Betriebspolitik wiederum wurde wesentlich von den im NS illegalisierten Sozialdemokraten betrieben, baute aber in den Betrieben auf den Bewusstseinsstand der durch die NS-Volksgemeinschaft sozialisierten Belegschaften auf. Während nun vor allem die nach dem gesellschaftlichen Aufbruch von 1968 entstandene Linke die angepasste DGB-Politik heftig kritisierte und historische Parallelen zur NS-Betriebsgemeinschaft zog, verteidigten die ältere Linke die Einheitsgewerkschaft. Nach dieser Erzählung wurde sie von Antifaschisten unterschiedliche politischer Richtungen in den NS-Konzentrationslagern illegal gegründet und nach dem Ende des NS dann praktisch umgesetzt. Sie sei eine Konsequenz aus der Zersplitterung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, die vom NS getrennt geschlagen, in die Illegalität, in die KZs getrieben und ins Exil gezwungen wurde.

Auch diese Erzählung kann sich auf historische Dokumente berufen. Es gab im Widerstand gegen den NS programmatische Abhandlungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Parteilosen, die sich in einer Gesellschaft nach dem Ende des NS eine Einheitsgewerkschaft wünschten, die stark genug sein sollte, den Machtansprüchen von Kapitalverbänden zu widerstehen. Nur hatte eine solche Einheitsgewerkschaft wenig mit der realen Praxis des DGB zu tun, die linke Kritiker wie den Linkssozialisten Viktor Agartz[5], aber auch Mitglieder der KPD in den 50er Jahren ausgrenzte. Gegenüber der neuen Linken, die im Gefolge des 68-Aufbruchs entstand, reagierte sie mit Gewerkschaftsausschlüssen. Diese repressiven Maßnahmen wurden mit der Verteidigung der Einheitsgewerkschaft begründet.

Hier haben wir das Beispiel eines Mythos in der Geschichte, wie ihn das Kollektiv Loukanios[6] in ihrem kürzlich veröffentlichten Buch „History is unwritten“[7] kritisch unter die Lupe nehmen. Die Erzählung von der Einheitsgewerkschaft kann sich auf reale historische Ereignisse berufen. Es waren nicht nur Kommunisten, sondern ebenso Linkssozialisten wie Wolfgang Abendroth[8], aber auch Anhänger dissidenter linker Gruppen, die das Konzept der Einheitsgewerkschaft verteidigten. Der DGB-Bürokratie diente der Verweis auf die Einheitsgewerkschaft dazu, Ausschlüsse von kritischen Mitgliedern zu rechtfertigen, die als Saboteure der Gewerkschaftseinheit hingestellt wurden.

Dass sowohl die Einheitsgewerkschaft als auch die Verregelung des Arbeitskampfes vor allem bei der neuen Linken auf Kritik stieß, ist nicht verwunderlich. Schließlich wurden sie aus der imaginierten Einheit ausgegrenzt und die Verregelung ließ kaum Spielraum für die Spontanität und Kreativität von Betriebsbelegschaften, die Arbeitskämpfe nicht nach dem Lehrbuch des DGB führen wollten. So wurde der wesentlich von Arbeitsmigranten aus der Türkei getragene Ford-Streik im Jahr 1973[9] von einer Allianz aus DGB-Führung, Polizei und betriebseigenen Sicherheitspersonal niedergeschlagen. Als alles vorbei war, resümierte[10] der Spiegel in rassistischer Diktion: „Der Türkenstreik bei Ford endete mit einem Sieg der Deutschen: Von den besonderen Forderungen der Gastarbeiter wurde bis heute kaum eine erfüllt. Die Isolation der Türken blieb.“

Hetze gegen und kritische Solidarität mit der GDL

Damals wagten Betriebslinke aus Deutschland gemeinsam mit türkischen Kollegen den Ausbruch aus der deutschen Standortlogik. Vier Jahrzehnte später fordert die mehrheitlich deutsche GDL, die im Bündnis mit dem Beamtenbund steht, den deutschen Standort nur deshalb heraus, weil sie auf kämpferische Interessenvertretung setzt und das Moment der Spontanität und Unberechenbarkeit in den Arbeitskampf zurückgebracht hat. Das reicht schon, um sämtliche antigewerkschaftlichen Reflexe zu mobilisieren (Spin Doctoring im GDL-Arbeitskampf[11]).

Da sorgt ein Julien Sewering für Aufregung, weil er das kämpferische Zugpersonal gleich nach Auschwitz schicken will und sich selber als Zugwärter, der dabei bestimmt nicht streikt, imaginiert[12]. Er ist kein Nazi, er will nur an den Klickzahlen verdienen, kommt gleich die scheinbar beruhigende Nachricht. Als ob es nicht schon beunruhigend genug wäre, mit Vernichtungswünschen gegen streikende Gewerkschafter überhaupt eine Leserschaft gewinnen zu können. Wenn man noch bedenkt, dass es sich bei diesen Blogs um ein Format handelt, dass angeblich von Jugendlichen als Ersatz für Nachrichtensendungen benutzt wird, ist das kein Grund zur Beruhigung. Scheinbar gibt es keine zivilisatorische Firewall, die die Sewerings und Co. ohne staatliche Maßnahmen ins gesellschaftliche Aus stellt, in das sie gehören.

Überdies beteiligen sich auch Kreise am Unions-Bashing gegen die GDL, die sonst schon mal dem DGB mangelnde Kampfbereitschaft attestieren. So lässt der Taz-Wirtschaftsredakteur Richard Rother einem Tarifexperten erklären[13], „wieso die GDL so absurd daherredet“ Dabei hat die GDL nur bei Streikbeginn das Ende offen gelassen. Damit soll verhindern werden, dass das bestreikte Unternehmen sich so gut wie möglich, auf den Arbeitskampf vorbereitet.

In vielen Ländern sind solche Momente der Unberechenbarkeit ein fester Bestandteil eines Arbeitskampfes. Aber für Rother ist so viel Ausbruch aus der verregelten deutschen Gewerkschaftstradition schon fast ein Fall für den Staatsanwalt. In einem Kommentar[14] fragt er nach dem Staatsverständnis der GDL und gleich noch des deutschen Beamtenbundes, weil die dem Zugpersonal nicht in den Arm fällt. Besonders empört ist Rother, dass die GDL mit dem Arbeitskampf das Tarifeinheitsgesetz aushebeln will. „Insofern trägt der kommende Ausstand Züge eines politischen Streiks, und der ist in Deutschland eigentlich verboten“, winkt Rother mit dem Gesetzbuch.

Ansonsten weist er der GDL den juristischen Weg. „Soll ein ganzes Land wochenlang stillstehen und ein bundeseigenes Unternehmen geschädigt werden, weil der Beamtenbund nicht auf einen Richterspruch aus Karlsruhe warten will, wenn er Zweifel am Willen des Gesetzgebers hat? fragt Rother rhetorisch und setzt hinzu: „Das wäre ja der normale Weg.“ Er vergisst hinzufügen, dass es normal ist für deutsche Gewerkschaften, die schon immer die Interessen des Standortes Deutschland mitdenken, wenn sie Forderungen stellen. Es ist der GDL gerade hoch anzurechnen, dass sie diesen normalen deutschen Weg verlassen hat. Die Tarifeinheit soll nun dafür sorgen, dass ein solches Abkommen vom deutschen Weg im Arbeitskampf nicht mehr möglich sein soll.

Daher bekam die GDL trotz ihrer konservativen Wurzeln von links Unterstützung[15]. „Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit und Streik ist kein Privileg der im DGB organisierten Gewerkschaften“, heißt es in der Erklärung des Bündnisses „Hände weg vom Streikrecht“[16]. Es sieht die mediale und politische Hetze gegen den Arbeitskampf des Zugperson als Begleitmusik zur Einführung des Tarifeinheitsgesetzes, das solche kämpferische Gewerkschaften an die Kette legen soll.

„Angesichts des Drucks der Leitung der Deutschen Bahn, der deutschen Regierung und auch in beachtlichem Maße der Medien“, erklärt[17] der in Budapest tagende Vorstand der Autonomen Lokomotivführergewerkschaften Europas[18] – in Vertretung der Lokomotivführer der 16 Mitgliedsgewerkschaften aus ebenso vielen Ländern – seine „Unterstützung und Solidarität mit den deutschen Lokomotivführern und der Mitgliedsgewerkschaft GDL bei ihrem Kampf für die tarifliche Vertretung aller ihrer Mitglieder bei der Deutschen Bahn.“

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45032/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/040/1804062.pdf

[2]

http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw21_ak_tarifeinheit/374480

[3]

http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BAG&Datum=07.07.2010&Aktenzeichen=4%20AZR%20549/08

[4]

http://www.zvab.com/buch-suchen/titel/die-andere-arbeiterbewegung-und/autor/roth

[5]

http://www.iablis.de/globkult/geschichte/personen/973-das-dritte-leben-des-viktor-agartzChristophJ%C3%BCnkein

[6]

http://historyisunwritten.wordpress.com/das-autorinnenkollektiv/

[7]

http://www.edition-assemblage.de/history-is-unwritten/

[8]

http://www.offizin-verlag.de/Abendroth-Wolfgang-Gesammelte-Schriften—Band-2-1949—1955

[9]

http://ford73.blogsport.de/

[10]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41911224.html

[11]

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45015/

[12]

http://www.huffingtonpost.de/christoph-hensen/vergasen-strafanzeige-juliensblog_b_7341830.html

[13]

http://www.taz.de/!160188/

[14]

http://www.taz.de/Kommentar-Lokfuehrerstreik/!160108/

[15]

http://www.labournet.de/branchen/dienstleistungen/bahn/bahn-gewerkschaften/bahn-gewerkschaft-gdl/solidaritat-mit-dem-streik-der-gdl/

[16]

http://streikrecht-verteidigen.org/

[17]

http://www.ale.li/index.php?id=156&L=0&N=0

[18]

http://www.ale.li/index.php?id=2&L=0&N=0

Leben und leben lassen

Wieder einmal sorgt eine Preisverleihung an den Philosophen Peter Singer für heftige Diskussionen. Jetzt gehen auch einige seiner Anhänger auf Distanz

Es ist ungewöhnlich, dass eine Auszeichnung nach einer lebenden Person benannt wird. Noch ungewöhnlicher ist es, wenn diese Person den nach ihr benannten Preis selbst erhält. Doch genau das wird heute um 18 Uhr in der Berliner Urania geschehen: Der australische Philosoph und Bioethiker Peter Singer wird in der Urania den mit 10.000 Euro dotierten „Peter-Singer-Preis für Strategien zur Tierleidminderung“ [1] entgegennehmen. Moderatorin des Festakts ist die amerikanische „Karnismus-Kritikerin“ Melanie Joy [2]. Europa-Parlamentarier Stefan Bernhard Eck wird darlegen, weshalb er sich in Brüssel für eine andere Tierpolitik auf der Grundlage des Ethikkonzepts von Peter Singer stark macht.

Die Laudatio auf den Preisträger sollte der deutsche Philosoph Michael Schmidt-Salomon [3] halten. Doch wenige Tage vor der Preisverleihung sagte [4] der Vorsitzende der Giordano Bruno Stiftung seine Teilnahme an der Preisverleihung ab. Als Grund führt er ein Interview [5] an, dass Singer kürzlich der Neuen Züricher Zeitung gegeben hat. (Der Philosoph Georg Meggle in Telepolis über Peter Singer:Schwierigkeiten der Medien mit der Philosophie. [6])
.

„Ein Embryo hat kein Recht auf Leben“

Dort geht es um genau die Themen, die in Deutschland und in vielen anderen Ländern oft zu Protesten führen, wenn Singer irgendwo auftritt oder einen Preis erhält. Deswegen wird er auch gerne mit den Adjektiven umstritten [7] oder renommiert versehen. Beide Adjektive sagen aber wenig über den Gegenstand der Kontroverse aus.

Gegen die aktuelle Preisverleihung ruft in Berlinein Bündnis „Kein Forum für Peter Singer“ [8] zu Protesten vor der Urania auf. Dass dort Singer als Euthanasie-Befürworter bezeichnet wird, irritiert aus zwei Gründen. Zunächst ist schon der Begriff Euthanasie ein Euphemismus, heißt er doch übersetzt schöner Tod. Unter diesem Begriff wurden im NS Tausende Menschen ermordet, die als unwertes Leben bezeichnet wurden. Es ist fraglich, ob die Kritiker sich einen Gefallen tun, wenn sie Singer, der eine philosophische Position einnimmt, zum Euthanasiebefürworter stempeln. Warum kann Singer nicht kritisiert werden, ohne ihn gleich in die Nähe von Massenmördern zu rücken?

Doch diese Überspitzung hat im Umgang mit Singer Tradition. Immer, wenn eine neue Preisverleihung an Singer ansteht, wird er entweder als der große Humanist oder als Todesphilosoph [9] tituliert. Dass Kritik an seiner Podien berechtigt ist, zeigt sich schließlich an dem Interview in der NZZ, das Schmidt-Salomon zum Rückzug von der Laudatio animierte. In dem Protestaufruf wird auf zwei Zitate von Singer verwiesen, die er sinngemäß in dem NZZ-Interview wiederholt bzw. radikalisiert hat.

„Würden behinderte Neugeborenen bis zu einem gewissen Zeitpunkt nach der Geburt nicht als Wesen betrachtet, die ein Recht auf Leben haben, dann wären die Eltern in der Lage (…), auf viel breiterer Wissensgrundlage (…), ihre Entscheidung zu treffen“, wird aus Singers Bestseller „Praktische Ethik“ [10] zitiert. Im NZZ-Interview radikalisiert Singer diese Auffassung. Ein „Frühgeborenes im Alter von 23 Wochen“ habe „keinen anderen moralischen Status als ein Kind mit 25 Wochen in der Gebärmutter“.

Schmidt-Salomon wies darauf hin, dass Singer in einem philosophischen Disput 1993 noch erklärt habe, dass nur die Geburt „als Grenze sichtbar und selbstverständlich genug“ sei, „um ein sozial anerkanntes Lebensrecht zu markieren. Würde die Vorstellung in das öffentliche Denken eingehen, „dass ein Kind mit dem Augenblick der Geburt nicht zugleich auch ein Lebensrecht besitzt, sinke möglicherweise die Achtung vor kindlichem Leben im allgemeinen“, schreibt Singer in seinem Buch „Muss dieses Kind am Leben bleiben“.

Schmidt Salomon fasst das Motto seiner Organisation so zusammen: „Lebensrecht für Alle. Lebenspflicht für Niemanden“ [11]. Damit soll deutlich gemacht werden, dass es ein individuelles Recht auf Sterbehilfe gib

»Suche Vermieter mit Herz«

Mieter aus der Schöneberger Gleditschstraße wehren sich gegen Verdrängung

»Hier wird verdrängt«: Berlinweit finden sich Beispiele dafür, wie Vermieter Preise in die Höhe zu treiben suchen, gerechtfertigt oder nicht. Kiezinitiativen und Verbände wehren sich.

»Suche Vermieter mit Herz« und »Hier wird verdrängt«: Schilder mit solchen Aufschriften haben die Mieter der Gleditschstraße 49 – 63 in Schöneberg in den letzten Monaten häufig auf Kundgebungen gezeigt. Sie haben Angst vor Verdrängung, wehren sich, gehen auf die Straße, fordern die Bezirkspolitiker zum Handeln auf und haben die Mietergemeinschaft Gleditschstraße gegründet. Lange Zeit waren die zwischen 1958 und 1960 gebauten Häuser Vorzeigeprojekte der Wohnungsbaugesellschaft Gagfah. Nach mehreren Eigentümerwechseln sind die Gebäude mittlerweile im Besitz der Immobilienfirma Industria Bau- und Vermietungsgesellschaft. Seitdem ist unter den ca. 250 Mietern der Häuser die Angst gewachsen und die neuen Besitzer haben dazu beigetragen. So hat die Industrie Bau die Mieter zur Duldung der angekündigten Modernisierung aufgefordert. Andernfalls sei der Investor gehalten, »umgehend Duldungsklage zu erheben«, heißt es in Schreiben an die Hausbewohner. »Dabei hatten die Mieter lediglich – wie von Mietervereinen empfohlen – von ihrem Recht Gebrauch gemacht, auf finanzielle und soziale Härten hinzuweisen«, meint Jens Hakenes von der Mietergemeinschaft Gleditschstraße. Anstatt das Gespräch mit den Mietern zu suchen, habe die Industria Bau- und Vermietungsgesellschaft schweres Geschütz aufgefahren und die Bewohner noch mehr verunsichert, so Hakenes.

Die Mietergemeinschaft kritisiert indes nicht den Investor, sondern die Schöneberger Bezirkspolitik. Enttäuscht sind sie vor allem über die geringen Möglichkeiten der Politik, mit der sozialen Erhaltungsverordnung (EVO) die Modernisierung sozialverträglich für die Mieter zu gestalten. Dabei betont die Mieterinitiative, dass sie die Bemühungen der zuständigen Stadträtin für Gesundheit, Soziales Stadtentwicklung und Bauen in Tempelhof-Schöneberg Sibyll Klotz (Grüne) anerkennt. Doch die Instrumente seien stumpf. »Die EVO ist entgegen allen Versprechen und Beteuerungen kein geeignetes Mittel, um die Vertreibung von Mietern zu verhindern, wenn sie nicht weiter entwickelt und auch konsequent angewendet wird«, sagt Hakenes. In dieser Einschätzung ist er sich mit der Stadträtin einig. »Das Ziel einer EVO ist nicht, Modernisierungen insgesamt zu verhindern. Eine EVO ist ebenfalls kein Instrument, Mietsteigerungen direkt zu begrenzen, Mietrecht ist Bundesrecht«, sagt Sibyll Klotz dem »nd«. Sie sieht in dem EVO allerdings ein Instrument, das es dem Bezirksamt ermöglicht, exorbitanten Umlagen und damit Verdrängung entgegenzuwirken.

Doch viel Hoffnung macht Klotz den Mietern in der Gleditschstraße nicht. »Die Auseinandersetzung, was Gegenstand einer Instandhaltung und was Gegenstand einer Modernisierung ist, die auf die Miete umgelegt wird, muss zwischen Mieter und Vermieter geregelt werden. Daran ist weder das Bezirksamt noch die Bauaufsicht beteiligt.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/972155.suche-vermieter-mit-herz.html

Peter Nowak

Arm und schief angesehen

Rumänen und Bulgaren in der Grunewaldstraße 87 haben Probleme – und Nachbarn haben ein Problem mit ihnen

Die neuen Mieter sind arm und müssen viel Geld für schlechte Wohnungen bezahlen. Dann werden sie von Nachbarn auch noch zu Problemanwohnern erklärt.

Das alte denkmalgeschützte Haus ist renovierungsbedürftig. Doch in der Abendsonne kann man sich schwer vorstellen, dass die Grunewaldstraße 87 seit Monaten als »Horrorhaus von Schöneberg« durch die Medien geistert. Die G 87 Grundbesitz GmbH, die seit 2012 Eigentümerin des Hauses ist, hat es an rumänische und bulgarische Staatsbürger vermietet, die in Berlin ein besseres Leben suchen. In dem Haus finden sie es kaum. Die Mieter klagen über katastrophale hygienische Zustände und kaputte Fenster. Zudem wohnen zu viele Menschen auf engem Raum. Sie müssen zudem noch Mieten von fast zwölf Euro pro Quadratmeter bezahlen. Es gibt also viele Gründe, sich über die Zustände in der Grunewaldstraße 87 aufzuregen.

Doch um diese Probleme ging es der Nachbarschaftsinitiative zunächst nicht, die sich am Donnerstagabend in einer Pizzeria in der Grunewaldstraße traf. Mehr als zwei Dutzend Anwohner waren gekommen. Man wollte sich über den Umgang »mit den Problemanwohnern« verständigen. In der Einladung wurde die Beteiligung von Rassisten ausdrücklich ausgeschlossen.

Anfangs war in den Wortmeldungen viel von »uns Mietern und denen aus der Grunewaldstraße 87, die sich nicht an unsere Lebensweise anpassen«, die Rede. Ein Mieter verteilte Telefonnummern der Polizei und riet, die Beamten zu rufen, wenn einem etwa komisch vorkommt. Ein anderer Bewohner regte an, zu kontrollieren, wer die Häuser betritt und Unbekannte nach ihrem Ziel zu fragen. Von der gefühlten Angst vor den Neumietern war viel die Rede. Auf die Frage, wer konkret von den Bewohnern des Problemhauses bedroht worden ist, meldeten sich zwei Nachbarn.

Zur Versachlichung der Debatte trugen ein Stadtteilverein und eine Mitarbeiterin der Stadträtin für Gesundheit, Soziales, Stadtentwicklung und Bauen, Sibyll Klotz (Grüne), bei. Sie mahnten zur Differenzierung und wiesen darauf hin, dass es sich den Bewohnern der Grunewaldstraße 87 überwiegend um Menschen handelt, die sich legal in Deutschland aufhalten und gültige Mietverträge für die Wohnungen haben. Die Probleme kämen auch daher, dass die Neumieter oft aus armen Verhältnisse stammen und mit ihren Lebensgewohnheiten in dem gutbürgerlichen Stadtteil auffallen. Stadträtin Klotz hatte in einer Erklärung, die bei dem Treffen aushing, betont, dass schnelle Lösungen nicht zu erwarten sind. Die Mitarbeiterin von Klotz berichtete über kleine Schritte zur Entspannung der Situation. So habe man gemeinsam mit der Initiative »Amaro Foro«, die sich für die Selbstorganisation junger Roma einsetzt, Kita- und Schulplätze für die Kinder der Neumieter gesucht. Während ein Nachbar auf die »Gutmenschenallüren« schimpfte, betonten andere, dass es ihnen nicht darum gehe, die Menschen aus dem Haus zu vertreiben, sondern darum, die katastrophale Wohnsituation der Menschen zu ändern. »Der Druck auf den Eigentümer muss stärker werden«, sagte eine Frau. Dabei würden sicher auch einige der betroffenen Mieter mitmachen. Es war ein großes Manko des Treffens, dass viel über die Neumieter und nicht mit ihnen gesprochen wurde. Dabei saßen einige von ihnen auf der anderen Straßenseite auf einer Bank.

Peter Nowak

Besorgte Bürger bleiben unter sich

MIETER In Schöneberg diskutieren Anwohner über den Umgang mit den neuen rumänischen Nachbarn

Als „Horrorhaus von Schöneberg“ geistert das denkmalgeschützte Gebäude in der Grunewaldstraße 87 durch die Medien. Die G 87 Grundbesitz GmbH, die seit 2012 Eigentümerin des Hauses ist, vermietet an Rumänen und Bulgaren, die in Berlin ein besseres Leben suchen. In dem Haus finden sie es kaum: Zu viele Menschen wohnen auf engem Raum. Sie klagen über katastrophale hygienische Zustände und kaputte Fenster. Trotzdem müssen sie fast 12 Euro pro Quadratmeter bezahlen.

Es gäbe also viele Gründe, sich über die Zustände aufzuregen. Doch darum ging es den rund 30 Leuten aus dem Kiez, die sich am Donnerstagabend in einer Pizzeria trafen, zunächst nicht. Man wollte sich über den Umgang „mit den Problemanwohnern“ verständigen – ohne in allzu rechte Fahrwasser zu geraten: Die Initiatoren schlossen in der Einladung die Beteiligung von Rassisten aus.

Gefühlte Angst

Anfangs war in den Wortmeldungen viel von „uns Mietern und denen aus der Grunewaldstraße 87, die sich nicht an unsere Lebensweise anpassen“, die Rede. Offenbar aus Sorge vor Einbrüchen verteilte ein Anwohner Telefonnummern der Polizei und riet, sie zu rufen, wenn einem etwas komisch vorkomme. Immer wieder sprachen Teilnehmer von der „gefühlten Angst“ vor den Neumietern.

Mitglieder eines Stadtteilvereins sowie eine Mitarbeiterin der Stadträtin für Soziales, Sibyll Klotz (Grüne), mahnten zur Differenzierung. Sie wiesen darauf hin, dass sich die Bewohner der Grunewaldstraße 87 überwiegend legal in Deutschland aufhielten und gültige Mietverträge hätten. „Die Probleme entstehen auch, weil die Neumieter oft aus armen Verhältnisse kommen, die mit ihren Lebensgewohnheiten in dem gutbürgerlichen Stadtteil auffallen“, sagte die Frau von der Stadtteilgruppe.

Der Bezirk habe gemeinsam mit der Initiative Amaro Foro, die sich für die Selbstorganisation von Roma einsetzt, Kita- und Schulplätze gesucht, sagte die Bezirksamtsmitarbeiterin. Während ein Anwohner auf diese „Gutmenschenallüren“ schimpfte, betonten andere, dass sich die katastrophalen Wohnsituation ändern müsse.

Mit den Betroffenen selbst sprach am Donnerstag niemand. Dabei saßen einige von ihnen auf der anderen Straßenseite auf einer Bank.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F05%2F23%2Fa0230&cHash=8aec5de053901e8152750cd8b41a7b9d

Peter Nowak

Buckeln hinter Schloss und Riegel

Am 21. Mai feiert die Gefangenengewerkschaft ihr einjähriges Bestehen. Wer sich hinter Gittern organisieren will, stößt noch immer auf Widerstand.

Ein Jahr ist vergangen, seit einige Gefangene der JVA-Tegel eine Gewerkschaft gründeten. Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), zieht eine positive Bilanz: »Aufgrund von engagierten inhaftierten Gewerkschaftern verfügt die GG/BO in insgesamt 16 Haftanstalten über Sektionen mit jeweiligen Sprechern.«

In der GG/BO organisieren sich Gefangene unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Haftgründen, um vor allem zwei Dinge zu fordern: Sozialversicherungspflicht für inhaftierte Beschäftigte und ihre Einbeziehung in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Gefängnisverwaltungen und Politiker scheinen jedoch unter allen Umständen verhindern zu wollen, dass sich JVA-Insassen gewerkschaftlich organisieren.

Die Angriffe laufen auf zwei Schienen. So sagte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), dass die Gefangenengewerkschaft nicht als Verhandlungspartner anerkannt werde. Die JVA-Insassen besäßen keinen Arbeitnehmerstatus und würden daher auch nicht unter das Koalitionsrecht fallen. Damit rekurriert Heilmann auf ein Relikt aus obrigkeitsstaatlichen Zeiten, das von kritischen Kriminologen und Strafrechtlern bereits in den siebziger Jahren bekämpft wurde: der Arbeitszwang in den Gefängnissen. In Brandenburg wurde er im vorigen Jahr abgeschafft, in anderen Bundesländern wird darüber diskutiert.

Mittlerweile sind auch aktive Gewerkschafter hinter Gittern einem union busting ausgesetzt. Die Vollzugsbehörden der JVA Frankenthal, Würzburg und Landsberg haben sich besonders durch gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten hervorgetan. In Landsberg wurde den Gewerkschaftsmitgliedern die Mitgliedszeitung Outbreak, von der bisher zwei Ausgaben erschienen sind, aus rechtlichen Gründen nicht ausgehändigt. Dem Sprecher der Gefangenengewerkschaft wurde mitgeteilt, er könne die einbehaltenen Zeitungen persönlich bei der Poststelle abholen, andernfalls würden sie auf Kosten der Gefangenen zurückgeschickt. Auch Informationsbriefe und Mitgliederausweise der GG/BO wurden einbehalten und die Behörden verdeutlichten gegenüber Mitgliedern, dass sich die Gewerkschaftsarbeit negativ auf den weiteren Vollzugsverlauf auswirken und mit der Verzögerung oder Streichung von Vollzugslockerungen verbunden sein könne.

Dass es nicht bei verbalen Drohungen bleibt, zeigt der Umgang mit Mehmet Aykol, dem in der JVA-Tegel inhaftierten Rechtssekretär der Gefangenengewerkschaft. Er wurde von der Vollzugsbehörde vor die Alternative gestellt, seine Gewerkschaftsfunktion aufzugeben oder die Vollzugslockerungen, die Aykol nach 18 Jahren Haft erhalten sollte, zu verlieren. Er entschied sich für die Gewerkschaft. Eine Sachbearbeiterin der JVA-Tegel begründete gegenüber einem GG/BO-Mitglied das Verbot, Gewerkschaftsmaterialien auszulegen, folgendermaßen: »Die Verteilung von Mitgliedsanträgen, Flyern oder Broschüren (…) birgt die Gefahr einer Verstrickung in subkulturelle Verflechtungen«. Eine Richterin des Berliner Landesgerichts bestätigte die Einbehaltung von Gewerkschaftsmaterialien und berief sich auf den Schutz der Gefangenen. In ihrer Begründung schrieb sie: »Die Gefangenen können sich den ihnen aufgedrängten Informationen und Werbemaßnahmen nicht in gleicher Weise entziehen wie in Freiheit lebende Menschen.«

Auch viele Firmenbesitzer wollen verhindern, dass die Gewerkschaft ihre Beschäftigten beeinflusst. Niedriglöhne und eine gewerkschaftsfreie Zone sollen die Gefängnisarbeit bei Unternehmen attraktiv machen. Doch bisher geht die Einschüchterungstaktik nicht auf. So haben sich im Mai 90 Gefangene der JVA Heilbronn in einer Unterschriftensammlung mit den Forderungen der GG/BO solidarisch erklärt. Einzelne Gefangene wollen auf juristischem Weg auch im Knast einen Mindestlohn durchsetzen. Auf der Konferenz der Landesjustizminister am 17. und 18. Juni in Stuttgart wollen Unterstützer die Forderung nach voller Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern erheben.

http://jungle-world.com/artikel/2015/21/51990.html

Peter Nowak

Anti-Frontex-Tage in Warschau

In den nächsten Tagen machen sich Antirassisten aus ganz  Europa auf den Weg nach Warschau. Sie wollen sich an den Anti-Frontex-Tagen beteiligen, die vom 19.- bis 22. Mai 2015 in der polnischen Hauptstadt  stattfinden sollen.   Damit wollen die Aktivisten die Feier zum zehnten Geburtstag von Frontex   konterkarieren,  zu dem am 21. Mai Politiker aus ganz Europa nach Warschau kommen.  In den letzten Jahren waren Anti-Frontex-Proteste in Warschau meist klein und fanden wenig Aufmerksamkeit. Das hat sich in diesem Jahr geändert. Der Widerstand gegen den Frontex-Geburtstag hat in  den letzten Wochen  in ganz Europa größere Unterstützung erfahren.  Auch in Deutschland gab In zahlreichen Städten  gut besuchte Vorbereitungstreffen für die Warschauer Aktionstage. Dabei wurde die Verantwortung von Frontex für die Toten im Mittelmeer  betont, die in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt  und den Protest gegen in  Warschau den Mobilisierungsschub gegeben  haben.

aus Neues Deutschland, 195.2015

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Peter Nowak