Pro Soluta

Konfliktlösung im Sinne des Vermieters

„Vor vier Jahren erhielten wir die ersten Briefe zum Verkauf unseres Hauses und Einladungen der angeblichen Mieterberatung Pro Soluta. Ein Vermesser kündigte sich auch an, erschien dann aber nur bei wenigen Mietern. Relativ schnell wurde uns klar, dass nun auch dieses Haus im spekulativen Verwertungs-Roulette gelandet ist. “ Die Erfahrungen der Bewohner/innen der Willibald-Alexis-Straße 34 in Kreuzberg teilen viele Mieter/innen in Berlin. Wenn ein Brief von Pro Soluta kommt, zeigt sich bald, dass die Eigentümer die Mieter/innen möglichst schnell loswerden wollen.

Die Briefe sind in der Regel in einem sehr moderaten Ton verfasst. Man wünsche einen Termin für ein Gespräch, welches dem „einvernehmlichen Miteinander“ und „der Vermittlung zwischen Mietern und Eigentümern“ dienen solle, teilt Pro Soluta mit und vergisst nicht zu erwähnen, dass eine Vollmacht des Eigentümers auf Verlangen vorgezeigt werden kann. Auch auf der Homepage von Pro Soluta hat man zunächst den Eindruck, man hätte es mit einem leicht esoterisch angehauchten Verein von Sozialarbeiterinnen zu tun: „Kommunikation ist ein universelles Phänomen, das in alle Bereiche individuellen wie sozialen Lebens hineinreicht. Gesellschaft ist ohne Kommunikation nicht denkbar, das Individuum ist ohne Kommunikation nicht lebensfähig“, heißt es dort. Gleich darunter findet sich ein Zitat des Philosophen Karl Jaspers: „Dass wir miteinander reden, macht uns zum Menschen.“ Wenn Mieter/innen aber ihr Recht gebrauchen, die Bitte um einen Gesprächstermin abzulehnen oder zu ignorieren, wird der Druck auf sie erhöht. Immer wieder berichten Betroffene, dass sie mit ständigen Anrufen konfrontiert werden. Insbesondere ältere Mieter/innen fühlen sich häufig von Pro Soluta zum schnellen Auszug gedrängt, weil sie sich später die Wohnung doch nicht mehr leisten könnten.

Profiling von Mieter/innen

Gegründet wurde Pro Soluta von Birgit Schreiber, die sich auf der Firmenhomepage als Immobilienfachwirtin und Wirtschaftsmediatorin vorstellt. Ihr Unternehmen verdient Geld, indem es versucht, mögliche Mietkonflikte im Sinne der Hauseigentümer zu lösen. Mit der frühzeitigen Ansprache durch Pro Soluta sollen die Mieter/innen vereinzelt werden, um ein gemeinsames Handeln zu erschweren. Daneben dient die Kontaktaufnahme von Pro Soluta auch dem Profiling. Durch die Gespräche erhält Pro Soluta Informationen über Alter, Familienstruktur, Zeit und Ort der Erreichbarkeit sowie häufig auch über die wirtschaftliche Situation der Mieter/innen. Mit solchen Informationen können Vermieter leichter das Verhalten der Mieter/innen beeinflussen und diese einfacher – beispielsweise durch sehr geringe Abfindungen – zum Auszug bewegen. Mieter/innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie Schreiben und Gesprächswünsche von Pro Soluta ignorieren können, ohne dass ihnen dadurch rechtliche Nachteile entstehen. Die Berliner MieterGemeinschaft empfiehlt, dass sich die betroffenen Mieter/innen untereinander austauschen, um den scheinbar sanften Entmietern von Pro Soluta nicht einzeln gegenüberzustehen.

Aufruf an Betroffene von Pro Soluta

Erfahrungsaustausch und Vernetzung von Mieter/innen

Die Firma Pro Soluta tritt seit einigen Jahren vermehrt in Erscheinung. Offiziell handelt es bei ihr um einen Dienstleister für „Mediation“ , der zwischen Mieter- und Vermieterseite bei Eigentümerwechseln vermittelt. Häufig entpuppte sich Pro Soluta jedoch als Entmietungsspezialist, der von den Hauseigentümern zu diesem Zweck beauftragt wurde. Das Unterbreiten fragwürdiger Abfindungsangebote sowie das Streuen falscher Informationen und das Drohen mit juristischen Auseinandersetzungen kennzeichnen laut Berichten von Betroffenen die mieterfeindlichen Praktiken dieser Firma.

Infolge der wiederholten Berichterstattung des MieterEchos (zuletzt Mieter-Echo Nr. 371/ Dezember 2014) erreichten die Redaktion mehrere Zuschriften von Mieter/innen verschiedener Häuser und Bezirke, die einen Erfahrungsaustausch und eine Vernetzung mit anderen Betroffenen anregten. Dieses Anliegen ist sehr zu begrüßen, denn solch ein Austausch kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Strategien von Pro Soluta sowie ähnlicher Unternehmen offenzulegen und geeignete Formen der Gegenwehr zu entwickeln.

Alle Mieter/innen, die Erfahrungen mit Pro Soluta gemacht haben und Interesse an einem Austausch und einer Vernetzung mit anderen Betroffenen haben, sind herzlich dazu aufgerufen, mit der Redaktion des MieterEchos in Kontakt zu treten. Schicken Sie dazu bitte eine E-Mail mit dem Betreff „Pro Soluta“ an die Redaktionsadresse me@bmgev.de.

Teilen Sie uns bitte auch die Adresse Ihres Hauses und in knappen Sätzen Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Firma Pro Soluta mit. Die Redaktion wird anschließend die Weitervermittlung der Kontakte in die Wege leiten.

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2015/me-single/article/pro-soluta.html

Peter Nowak

Zurück Keine Droge ist illegal

Keine Geschenke

Deutschland: Bei Amazon wurde wieder gestreikt

An mehreren deutschen Standorten des Online-Handlers  Amazon wurde im März wieder gestreikt.   Wie schon in den Wochen vor Weihnachten sah die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di  auch vor dem   Ostergeschäft  eine gute Gelegenheit, um  den Druck auf den Konzern zu erhöhen. Die  Beschäftigten kämpfen  für einen Tarifvertrag nach den Bestimmungen des Onlinehandels. Amazon orientiert sich bisher am Logistiktarifvertrag, der für die Mitarbeiter_innen mit geringerem Lohn verbunden ist.

Der neue Streikzyklus bei  Amazon begann am 13. März als  sich  Amazon auf der Buchmesse  in Leipzig  als  erfolgreicher Global Player präsentieren wollte. Mit diesem   Streikauftakt  bekam der Arbeitskampf eine  maximale Aufmerksamkeit.  Im Anschluss wurde auch an den  Amazon-Standorten Bad Hersfeld in Osthessen und Graben in Bayern  gestreikt.  Das Amazon-Management reagierte  mit der lapidaren Erklärung, alle Aufträge würden termingerecht erfüllt. Allerdings wird  dabei nicht erwähnt, dass Amazon sowohl vor dem Weihnachts- wie dem Ostergeschäft zusätzliche Beschäftigte eingestellt hat, um  die Streikfolgen aufzufangen. Zudem hat Amazon im letzten Jahr in Polen zwei neue Niederlassungen eröffnet, um den Versandhandel  von dort abzuwickeln, wenn in Deutschland   gestreikt wird.

Während diese Zusammenhänge  in einen  Großteil der Medien  nicht  vermittelt wurden, bieb die Erklärung des Managements, es gäbe keine Behinderungen beim Versandhandel.   So verstärkt sich in der Öffentlichkeit der Eindruck,  Ver.di kann gegen einen global agierenden   Konzern wie Amazon nicht gewinnen. Dass die Bilanz von ver.di  nach den beiden Streikrunden nicht optimal  ist, bestätigte auch  verdi-Sekretärin Mechthild Middeke im Interview mit der  „Zeitung für sozialistische   Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“  express: „Der wirtschaftliche Druck ist da, wenn auch nicht in ausreichender Dimension“.  Einen zentralen Grund  sieht sie in den vielen befristeten Arbeitsverhältnissen. „Nicht alle, doch einige Befristete hatten auch während der vorweihnachtlichen Streiks mitgemacht und die sind nun einfach nicht mehr da.“

Was den Amazon-Streik von anderen Arbeitskämpfen heraushebt, sind kontinuierlich arbeitende außerbetriebliche Solidaritätsgruppen.  Die Initiative dazu ging im letzten Jahr von Studierenden in Leipzig aus. Mittlerweile sind auch in Berlin, Hamburg und Frankfurt/Main örtliche Solidaritätsgruppen entstanden. Es  gab bereits zwei bundesweite Treffen der Amazon-Solidarität.   Beschäftigte und Solidaritätsgruppen trugen   am 18.3.  in Frankfurt/Main ein Transparent mit der Aufschrift „Amazon  Strikers meet Blockupy“ was deutlich macht, dass die Kooperation nicht nur vor dem Werkstoren stattfindet.   Diese Solidaritätsgruppen versuchen auch verschiedene Arbeitskämpfe   zu koordinieren. So beteiligten  sich die streikenden Amazon-Beschäftigten in Leipzig am 30. März an einer Demonstration von Kita-Mitarbeiter_innen, die an diesem Tag ebenfalls für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen sind.  An diesen Tag nahm auch eine Delegation  der  kämpferischen italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas an der Demonstration in Leipzig teil.  Die Gewerkschaft hat in Italien in den letzen Jahren einige Erfolge bei der Organisierung von Beschäftigten  in der Onlinehandels- und Logistikbranche zu verzeichnen.   Der Mailänder SI-Cobas-Gewerkschafter Roberto Luzzi betonte  bei einer Veranstaltung in Berlin die Bedeutung  einer transnationalen Kooperation im Arbeitskampf. Die  Notwendigkeit ergäbe sich schon aus der Tatsache, dass der Versandhandel in kurzer Zeit in ein anderes Land, beispielsweise  von Leipzig nach Poznan,  verlagert werden kann.   Ein solcher schneller Wechsel  ist in dieser Branche auch deshalb so einfach, weil es dort keine Hochöfen oder komplexe Maschinenparks gibt, die nicht so einfach verlegt werden können. Würde damit nicht auch die materielle Grundlage für das Standortdenken bei großen Teilen der Belegschaft wegfallen, das  transnationale Arbeitskämpfe massiv erschwert, diese Frage stellten sich Teilnehmer_innen  Veranstaltung in Berlin. Schließlich hat dieses Standortdenken seine materielle  Grundlage oft in der Überzeugung, dass  der     „eigene“ Betrieb nicht so leicht verlagert werden kann.

Wenn Arbeitskämpfe gegen einen Konzern wie Amazon nicht in einem Land gewonnen werden können, ist ein Agieren  über Ländergrenzen   existentiell. Einige Beispiele wurden in Berlin  genannt.   So streikten kurz vor Weihnachten 2014  Amazon- Beschäftigte in   Frankreich und bezogen sich dabei  auf die Arbeitskämpfe in Deutschland.  Auch im Amazon-Werk in Poznan ist bei der Belegschaft der Unmut über die Arbeitsbedingungen gewachsen.

https://www.akweb.de/

ak analyse und kritik, 604/2015ak Banner

Peter Nowak

Wenn Ausländer die Behörden stressen

Kein Recht auf Platz

AKTION Gericht untersagt Open-Air-Kino auf dem „Leo“ – weil der teilweise der Kirche gehört

Ein Open-Air-Kino gegen Verdrängung hatte die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ für Sonntagabend auf dem Weddinger Leopoldplatz geplant. Der Film „Buy, Buy St. Pauli“ über Gentrifizierung in Hamburg sollte gezeigt und anschließend mit den FilmemacherInnen diskutiert werden. Doch dann musste sich die Stadtteilinitiative mit der eigenen Verdrängung auseinandersetzen.

Am 24. April hatte das Amtsgericht Wedding der evangelischen Nazarethkirchengemeinde recht gegeben und die Veranstaltung auf dem Areal untersagt. Es gebe genügend Platz auf dem nichtprivaten Teil des Platzes, so die Begründung der Richterin. Sie zog zudem den politischen Charakter der Veranstaltung in Zweifel.

Zuvor hatte die Stadtteilinitiative noch eine einstweilige Verfügung erwirken können. Weil die als Kundgebung angemeldete Filmvorführung unter den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit falle, sei die Gemeinde zur Duldung der Aktion verpflichtet, so die Begründung.

Enttäuscht von dem Urteil ist Martin Steinberg von der Stadtteilinitiative. „Erschreckend“ sei es, „mit welchem Nachdruck die Nazarethkirchengemeinde versucht, eine politische Meinungsäußerung auf Teilen des Platzes zu verhindern“, sagte er zur taz. Er verwies darauf, dass das Areal mit öffentlichen Mitteln saniert wurde, bevor es 2006 in den Besitz der Gemeinde überging.

Für Steinberg ist mit dem Urteil der Konflikt nicht beendet. Er wird auch Thema der Aktionstage sein, die noch bis zum 30. April an verschiedenen Orten in Wedding stattfinden. Am 28. April um 20 Uhr wird Robert Maruschke im „Ex-Rotaprint“ in der Gottschedstraße 4 über Stadtteilorganisierung in den USA berichten.

Am 30. April ab 18.30 Uhr wird der ganze Leopoldplatz zum Ort der politischen Auseinandersetzung. Dann beginnt dort eine Stadtteildemo unter dem Motto „Organize! Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung!“, die durch den Wedding zieht.

Anders als in den vergangenen Jahren haben die OrganisatorInnen auf den Zusatz „Walpurgisnacht“ verzichtet. „Damit wollten wir betonen, dass es uns um eine antikapitalistische Demonstration geht, und auch Menschen im Stadtteil ansprechen, die mit dem Bezug zur Walpurgisnacht nichts anfangen können“, begründete Steinberg diese Entscheidung.

Programm der Aktionswoche „Hände weg vom Wedding“:

haendewegvomwedding.blogsport.eu


http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F04%2F27%2Fa0099&cHash=801051ea40e79a52a20cfdd079ce761e

Peter Nowak

Ist Demokratie mit dieser EU überhaupt möglich?

Die EU-Eliten wollen an Griechenland vorexerzieren, dass reformerische Veränderungen innerhalb der EU nicht möglich sind

Die Krise zwischen einen großen Teil der EU-Eliten und der griechischen Regierung spitzt sich wieder zu. Bei dem Treffen der EU-Finanzminister in Riga ist der Druck auf die griechische Regierung erneut gewachsen. Wieder einmal wird die Meldung „EU-Partner verlieren Geduld mit Griechenland“ verbreitet [1]. Diese Aussage ist eine Heuchelei.

Wenn es nach den EU-Eliten gegangen wurden, hätten die Wahlen in Griechenland nie stattfinden sollen, die Syriza an die Regierung brachten. Von Vertrauen konnte keine Rede sein. Seit die Regierung im Amt ist, wird von den EU-Gremien alles versucht, um ihr und ihren Wählern deutlich zu machen, dass es in der Eurozone keine Alternative zu dem im Wesentlichen von Deutschland geförderten Austeritätsprogramm gibt.

Dass bei dem Treffen der Finanzminister in Riga nicht mal oberflächlich die diplomatische Form gewahrt wurde, ist schon bemerkenswert. In verschiedenen Medien wird berichtet [2], Finanzminister Varoufakis sei als Amateur, Spieler und Zeitverschwender beschimpft worden. Nun ist der Minister nicht etwa ein Radikaler, der die EU-Zone schnellstens verlassen oder zerstören will.

Im Gegenteil, er hat kürzlich in einem längeren Beitrag begründet [3], warum die Linke in der gegenwärtigen Situation gerettet werden muss und nur dadurch die Möglichkeit für eine spätere emanzipatorische Entwicklung jenseits des Kapitals offen gehalten werden kann. Diese Thesen werden von Linken unterschiedlicher Couleur heftig kritisiert.

Die Vorwürfe in Riga sind ein weiterer Affront gegen eine Regierung, die es wagt, ihren Wählerauftrag nicht gänzlich zu vergessen, wie es die überwiegende Mehrheit der Regierenden in Europa praktiziert. Dabei hat Varoufakis auch an diesem Punkt durchaus Flexibilität gezeigt und angeboten, bestimmte Reformen wie die Herabsetzung des Rentenalters zu vertagen.

Doch vonseiten der EU-Gremien und ihrer Medien heißt es weiterhin unisono, Griechenland habe seine Hausaufgaben nicht gemacht. Das heißt kurz und knapp, die griechische Regierung hat sich noch nicht in allen Punkten den EU-Eliten unterworfen. Die Hausaufgaben hätte die griechische Regierung nach dieser Logik dann gemacht, wenn sie verkünden würde, sie setze die abgewählte Politik der konservativen Regierung ohne Abstriche fort.

Demokratische Entscheidungen werden ignoriert

Die EU-Eliten zeigen nur einmal mehr, wie wenig Wert sie auf demokratische Entscheidungsprozesse legen. Dass die Austeritätspolitik in Griechenland abgewählt wurde, muss den EU-Eliten nicht gefallen. Doch würden sie ihre Sonntagsreden über Demokratie ernst nehmen, müssten sie das ihnen unangenehme Ergebnis akzeptieren und auf dieser Basis die Politik neu ausrichten.

Die Haltung der EU-Eliten aber, die seit Ende Januar das griechische Wahlergebnis mit allen Mitteln bekämpfen, lässt die Frage aufkommen, ob diese EU überhaupt demokratiefähig ist. Oder zeigt nicht das griechische Experiment, dass diese EU-Gremien sogar eine Gefahr für die Demokratie sind?

Diese Frage zu bejahen, hätte aber auch Konsequenzen für Gruppierungen, die ähnliche Programme wie Syriza haben. Sie müssten sich zumindest die Option offenhalten, diese EU zu verlassen. Es könnte im Nachhinein einmal der größte Fehler der neuen griechischen Regierung gewesen sein, nicht eine Austrittsmöglichkeit aus der EU mit in die Planungen hineingenommen zu haben. Vielleicht ist aber die Abstimmung der griechischen Bevölkerung, die von einigen Ministern immer mal wieder in die Diskussion gebracht wurde, in diese Richtung zu interpretieren.

Wenn der Druck der EU-Gremien weiterwächst, könnte die griechische Bevölkerung befragt werden, ob sie sich dem EU-Diktat weiter unterwerfen will oder ob Wege außerhalb der EU gesucht werden sollen. Der griechische Finanzminister aber betont weiter, dass Griechenland mit dem „No“ zur Austeritätspolitik die europäischen Werte verteidige.

Gleichzeitig schlägt [4] er die Politik eines New Deal für Griechenland vor, der an die keynesianistische Politik des US-Präsidenten Roosevelt in den 1930er Jahren anknüpft. Nicht durch Sparprogramme, sondern durch finanzielle Anreize ist damals die Krise zumindest eingedämmt worden. Solche Pläne werden von vielen Ökonomen der unterschiedlichen politischen Couleur unterstützt. Doch ein solches Programm läuft den Interessen der deutschen Wirtschaft zuwider und wird von dem deutschzentrierten EU-Raum vehement abgelehnt.

Wieder einmal ist es die Bild-Zeitung, die hier publizistische Schützenhilfe leistet und die Vorschläge des griechischen Finanzministers als „Kampfansage an die EU-Partner“ tituliert [5]. Diese Propaganda zeigt Wirkung. Weil der DGB-Krefeld [6] den griechischen Finanzminister als Redner für den 1. Mai eingeladen hat, erreichten ihn Hassmails und Drohungen [7] .

Deutsche Goldreserven nach Athen

Mit einer kleinen Streitschrift im VSA-Verlag unter dem Titel „Griechenland am Abgrund“ [8] hat sich der Bremer Historiker Karl Heinz Roth in die Debatte eingeschaltet. „Die europäischen Mächte haben sich ganz offensichtlich darauf verständigt, die im Fall Griechenlands gestartete post-keynesianistische Alternative abzuwürgen, den Hoffnungsträger Syriza vor seinen Wählern vorzuführen und der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben“, beschreibt er die europäische Reaktion auf den Regierungswechsel.

Er stellt ein sehr detailliertes Konzept vor, mit dem er den Ausweg aus der Wirtschaftskrise in Griechenland mit den noch immer offenen deutschen Schulden für die NS-Verbrechen in Griechenland verbindet. Dazu schlägt er vor, dass Deutschland seine Reparationsschulden durch einen Transfer eines Teils der Goldreserven der Deutschen Bundesbank begleichen solle. Ein Teil soll zur Finanzierung eines Not- und Sofortprogramms der griechischen Regierung verwendet werden. Damit sollen die Maßnehmen der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik finanziert werden, die Millionen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen würde.

Mit einem weiteren Teil der Goldreserven sollen den die griechischen Schulden beim Europäischen Rettungsschirm abgedeckt werden. Ein dritter Teil soll für ein mehrjähriges Jobgarantie- und Wiederaufbauprogramm der griechischen Ökonomie verwendet werden. Zudem schlägt Roth vor, mit einem Teil der Erlöse der Goldreserven einen griechischen Entschädigungs- und Gedenkfonds zu finanzieren.

Seine konkreten und detaillierten Vorschläge bezeichnet Roth als „eine realpolitisch durchdachte Blaupause“, mit der die absehbare humanitäre Katastrophe in Griechenland abgewendet werden und für linksalternative Politikmodelle in Europa Luft geschaffen werden könne. Es ist klar, dass solche Konzepte nur Realisierungschancen haben, wenn in verschiedenen europäischen Ländern wieder Empörte auf die Straße gehen und ihre Forderungen bündeln und zuspitzen.

„Wir sind alle Griechenland“ könnte eine Parole lauten, mit der deutlich würde, dass hier nicht nur die EU-Eliten mit einem Land, sondern mit einem großen Teil der Bevölkerung zumindest in den Ländern der europäischen Peripherie im Konflikt stehen.

Schließlich könnte der Sturz von Schäuble ein durchaus realistisches Ziel einer solchen Bewegung sein. Schließlich steht dieser Politiker wie kaum ein anderer für die repressive Phase des Modells Deutschland, das in vielen europäischen Ländern verhasst ist.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand Metternich für die in vielen Teilen der europäischen Bevölkerung verhasste Politik der Heiligen Allianz. Dabei handelte es sich um eine repressive Machtpolitik, zu der es nach der Lesart der damals Herrschenden keine Alternative geben sollte und könnte.

Als in ganz Europa 1848 die Menschen auf die Barrikaden gingen, wurde Fürst Metternich, der Kopf der Heiligen Allianz, gestürzt und musste ins Exil gehen. Was folgte, war nicht das „Reich der Freiheit“, aber es wurde Raum für eine andere Politik geschaffen. In vielen europäischen Ländern ist Schäuble heute genauso verhasst wie Metternich vor 180 Jahren.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/news/Ist-Demokratie-mit-dieser-EU-ueberhaupt-moeglich-2621230.html

Links:

[1]

http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/griechenland-krise-amateur-euro-finanzminister-beschimpfen-varoufakis_id_4637117.html

[2]

http://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/euro-finanzminister-beschimpfen-gianis-varoufakis-13557145.html

[3]

https://www.woz.ch/-5a79

[4]

http://www.project-syndicate.org/commentary/greece-debt-deal-by-yanis-varoufakis-2015-04

[5]

http://www.bild.de/politik/ausland/griechenland-krise/vor-finanzminister-gipfel-in-riga-varoufakis-provoziert-erneut-griechenlands-geldgeber-40677840.bild.html

[6]

http://dgb-krefeld.de/?p=186#more-186

[7]

http://www.wz-newsline.de/lokales/krefeld/ein-sturm-der-entruestung-wegen-varoufakis-einladung-1.1909632

[8]

http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/griechenland-am-abgrundbr-die-deutsche-reparationsschuld/

Wenn die Renditechancen steigen, wird schneller geräumt

Zwangsräumungen waren bisher kein Thema der Wissenschaft. Das hat sich nun geändert. Am 23.April wurde eine vom Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldtuniversität erarbeitete Studie mit dem Titel „Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie kann unter  https://www.sowi.hu-berlin.de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/studie-zr-web.pdf heruntergeladen werden.
Für die Untersuchung wurden sämtliche öffentliche Daten zwischen 2009 und 2013 ausgewertet. Zudem führten die WissenschaftlerInnen Interviews mit Betroffenen, MitarbeiterInnen in Jobcentern, Freien Trägern und VertreterInnen von Wohnungsbaugesellschaften.
Die Berliner Fallstudie belegt die Kritik von GegnerInnen der Zwangsräumungen an vielen Punkten. So wird in dort nachgewiesen, dass die Aufwertung der Berliner Stadtteile einen unmittelbaren Einfluss auf die Zwangsräumungen in Berlin und die Überlastung des wohnungsbezogenen Hilfesystems hat. Insbesondere die Entstehung von Mietschulden, die Klagebereitschaft von EigentümerInnen und die Unterbringungsschwierigkeiten sind eng mit Mietsteigerungen im Bestand, Ertragserwartungen von EigentümerInnen und den Preisentwicklungen von Wohnungsangeboten verbunden, weist die Studie nach . Dort wird anschaulich beschrieben, wie WohnungseigentümerInnen von einem Mieterwechsel profitieren und wie der dann auch forciert wird.
Aus einer ökonomischen Perspektive verwandeln sich BewohnerInnen, die schon sehr lange im Haus wohnen und günstige Bestandsmieten zahlen in „unrentable MieterIinnen“. Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele EigentümerIinnen in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den MieterInnenwechsel zu forcieren. Diese Entwicklung haben die StadtforscherInnen nicht nur in einigen angesagten Szenestadtteilen sondern in ganz Berlin festgestellt. Die Zahl der Zwangsräumungen war denn auch nicht in Kreuzberg oder Neukölln sondern in dem Stadtteil Marzahn im Osten Berlins besonders hoch.   Belegt wird in der Studie auch, dass Jobcenter mit die Bedingungen für Zwangsräumungen schaffen.
„Jobcenter und landeseigene Wohnungsbaugesellschaften sind Teil einer staatlichen Koproduktion von Zwangsräumungen und erzwungenen Umzügen. Mit ihrer konsequenten Orientierung an Kostensenkungsverfahren und der repressiven Hartz-IV-Gesetzgebung sind die Jobcenter an der Entstehung von Mietrückständen oft beteiligt,“ heißt es in der Studie, in der nachgewiesen wird, dass etwa 20 Prozent der Räumungen in Berlin von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die eigentlich preiswerten Wohnraum sorgen müssten, verantwortet wird.

Ein Hilfesystem, das den Betroffenen nicht hilft

In der Studie werden auch die verschiedenen Instrumentarien untersucht, mit denen der Verlust der Wohnung von einkommensschwachen MieterInnen verhindern werden soll. Die Schlussfolgerungen sind wenig ermutigend:
„Unter den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheinen die Mietschuldenübernahme und die Unterbringung als klassische Instrumente der Sozialen Wohnhilfe völlig ungeeignet, um eine Vermeidung von Wohnungslosigkeit tatsächlich durchzusetzen.“
Ausführlich wird an vielen Beispielen belegt, wie die Hilfesysteme selbst dem  Zwang  unterworfen sind, rentabel zu arbeiten und dadurch Ausgrenzungsmechanismen gegen einkommensschwache Mieter entwickeln. „Durch Sparzwang und fehlende Ressourcen entwickelt sich eine Logik des Hilfesystems, die die eigentliche Logik von Auffangsystemen ins Gegenteil verkehrt.“ Statt davon auszugehen, dass unterstützungsbedürftige Menschen grundsätzlich immer Hilfe gewährt wird, gelte die Devise: „Es ist nichts zum Verteilen da, Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings möglich.“
Im Fazit betont das Forschertrio noch einmal, dass mit den Instrumenten des Hilfesystems Zwangsräumungen und erzwungene Umzüge nicht verhindert werden können.  Organisierter Widerstand gegen Zwangsräumungen, wie er in Spanien in den letzten Jahren massenhaft praktiziert  und in Deutschland in einigen Städten durchaus ein Faktor wurde, könnte die Interessen    einkommensschwacher MieterInnen besser vertreten.
Bestätigt in seiner Kritik und Praxis sieht sich das Berliner Bündnis „Zwangsräumung verhindern“. „Das Problem sind nicht die Mieter. Seit dieser Studie wissen wir es ganz genau“, heißt es in ihrer Presseerklärung.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/studie-zu-zwangsraeumungen.html
Peter Nowak

Abnicken ist nicht

In Frankfurt wurde gegen das geplante Gesetz zur Tarifeinheit demonstriert.

»Wir sind nicht alle, es fehlen die Proletarier!« Diese Variation einer Parole skandierte eine Gruppe bei der Demonstration »Rettet das Streikrecht«, die am Samstag in Frankfurt stattfand. »Wie kann es sein, dass bei Blockupy mehr als 20 000 Menschen in Frankfurt auf die Straße gehen und einen Monat später, wenn es um die Verteidigung des Streikrechts geht, sind es gerade mal 700?« fragte ein Mitglied der Freien Arbeiterunion (FAU). Die Basisgewerkschaft war zahlreich vertreten und brachte mit ihren schwarzroten Bannern Farbe in die Demonstration. Nicht so bunt waren die Fahnen der Bahngewerkschaft GDL. Doch die Gewerkschaft, die in den vergangenen Monaten gezeigt hat, dass Streiks auch heutzutage mehr als nur ein Medienevent sein und tatsächlich Teile des öffentlichen Lebens lahmlegen können, hat sich von Anfang an am Bündnis »Rettet das Streikrecht« beteiligt. Es richtet sich gegen ein Gesetz mit dem irreführenden Namen »Tarifeinheit«, mit dem kämpferischen Gewerkschaftern die Arbeit erschwert werden soll.

»Entgegen allen Beteuerungen aus den Reihen der Großen Koalition und des DGB wird mit diesem Gesetz das Streikrecht massiv eingeschränkt, indem mit Mehrheitsbestimmung zwei Klassen von Gewerkschaften entstehen: die einen, die noch streiken dürfen, und die anderen, die bestenfalls Tarifergebnisse, die andere ausgehandelt haben, abnicken dürfen«, brachte Wilma Meier vom Bündnis »Hände weg vom Streikrecht« ihre Ablehnung auf den Punkt.

Doch nicht nur die gegen Politiker, die das Gesetz vorantreiben, richten sich die Demonstranten. Auch der DGB und die Einzelgewerkschaften IG Bau und IG Metall werden attackiert, weil sie die Tarifeinheitsinitiative unterstützen. Die IG Metall hat intern versucht, Kritik zu unterbinden; so sollte auf Seminaren eine Diskussion über die Tarifeinheit verhindert werden. Viel Applaus erhielt Christiaan Boissevain, IG-Metall-Mitglied aus München, der die Tarifeinheitsinitiative als »großen Angriff auf das Streikrecht im europäischen Rahmen« bezeichnete. Auch andere Redner wiesen darauf hin, dass in vielen europäischen Nachbarländern Einschränkungen des Streikrechts bereits in Kraft oder in Vorbereitung sind.

So schreibt das italienische Streikrecht vor, dass Bahngewerkschaften Ausstände mindestens fünf Tage vorher ankündigen müssen. Zudem muss die Gewerkschaft eine »Grundversorgung« garantieren, während des Berufsverkehrs müssen Züge fahren. Auch hierzulande träumen konservative Medien und Unternehmerverbände von einem Streikrecht mit strengeren Regeln. Solche Vorstellungen finden sich auch im Positionspapier »Für ein modernes Streikrecht – Koalitionsfreiheit sichern – Daseinsvorsorge sicherstellen« der CSU, das für Aufregung bei Verdi sorgt. Sollten die Pläne der CSU realisiert werden, wäre das Streikrecht »nur noch formal vorhanden, aber in der Praxis ausgehebelt und unwirksam«, heißt es in einer Erklärung von Verdi Bayern.

Auf der Demonstration wurden weitere Beispiele für Einschränkungen von Gewerkschaftsrechten genannt. So sorge in Griechenland die Austeritätspolitik der Troika nicht nur für eine massive Verarmung der Bevölkerung, sondern auch für eine Aushebelung von Tarif- und Gewerkschaftsrechten. In Spanien seien zahlreiche Gewerkschafter von langen Gefängnisstrafen bedroht, weil sie sich an Streikposten beteiligt hatten. Ausgangspunkt der dortigen Repression gegen Gewerkschafter war der landesweite Streik im März 2012. Er wurde europaweit von linken Gruppen unterstützt. In Deutschland entstand das M31-Netzwerk, das einen Aufruf zur Unterstützung eines europaweiten Generalstreiks verfasste. Debattiert wurde über ein emanzipatorische Antwort auf die Austeritätspolitik. Vielleicht wäre es an der Zeit, diese Diskussion unter dem Gesichtspunkt der europaweiten Verteidigung von Streiks- und Gewerkschaftsrechten neu zu führen.

http://jungle-world.com/artikel/2015/17/51831.html

Peter Nowak

Zumutbar: 278,7 Milliarden Euro

Karl Heinz Roth begründet die Rechtmäßigkeit der deutschen Reparationsschuld gegenüber Griechenland

Herr Straubinger, ist die Geduld mit Griechenland unendlich? Was müssen wir uns eigentlich alles noch zumuten?« Mit dieser Frage leitete Gerd Breker vom Deutschlandfunk Anfang April ein Interview mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der CSU, Max Straubinger, ein. Kurz zuvor hatte die griechische Regierung ihre Reparationsforderung an Deutschland konkretisiert. Auf die Summe von 278,7 Milliarden Euro kommt ein Parlamentsausschuss, der sich mit den Entschädigungen befasst. In Deutschland fielen die abwehrenden Reaktionen auf diese Forderung heftig aus. Breker bringt dabei letztlich nur auf den Punkt, was die »Bild«-Zeitung schon vor Wochen in einer regelrechten Anti-Griechenland-Kampagne formuliert hat: »Kein deutsches Geld an Griechenland.«

Da ist es umso erfreulicher, dass der Historiker Karl Heinz Roth ein Büchlein herausgegeben hat, das profunde begründet, warum nicht die Forderungen der griechischen Regierung sondern die Reaktionen in Deutschland eine Zumutung sind. Im ersten Teil geht er auf die Folgen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise für einen großen Teil der griechischen Bevölkerung ein. Er benennt die Verantwortung der wesentlich von Deutschland geförderten Austeritätspolitik und das Agieren der Troika, der es nur um die Profite der Banken geht. Der Autor klagt auch die Verantwortung der griechischen Eliten aus Politik und Wirtschaft ein. »Sie lancierten einen beispiellosen Wirtschaftsboom, der vor allem den heimischen Familiendynastien und den Großkonzernen der europäischen Kernzone zugutekamen.«

Im zweiten Kapitel beschreibt Roth die Maßnahmen der im Januar neu gewählten, wesentlich von der linken SYRIZA gestellten Regierung, die mit einer postkeynesianistischen Politik den fatalen Kreislauf aus Krise und Verelendung durchbrechen will, in dem sich Griechenland seit Jahren befindet. Auch hier wahrt der Wissenschaftler seinen kritischen Blick. So verweist er darauf, dass auch unter der neuen Regierung der enorm aufgeblähte Militäretat Griechenlands nicht gesenkt worden ist, was wahrscheinlich dem Einfluss des kleinen rechtskonservativen Koalitionspartners zuzuschreiben ist. Roth schildert die immensen Widerstände seitens der EU-Institutionen und der deutschen Regierung gegen die neue Politik in Athen. »Die europäischen Mächte haben sich ganz offensichtlich darauf verständigt, die im Fall Griechenlands gestartete postkeynesianische Alternative abzuwürgen, den Hoffnungsträger SYRIZA vor seinen Wählern vorzuführen und der allgemeinen Lächerlichkeit preiszugeben.«

Doch bei dieser pessimistischen Zustandsbeschreibung bleibt Roth nicht stehen. Er präsentiert einen Plan, der den Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft mit der Begleichung der Reparationsschulden verbindet. Dazu schlägt er vor, dass Deutschland seine Reparationsschulden durch Transfer eines Teils der Goldreserven der Deutschen Bundesbank begleicht. Sie sollten der Finanzierung eines Not- und Sofortprogramms der griechischen Regierung im Bereich der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik dienen, was Millionen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen würde. Mit einem weiteren Teil der Goldreserven könnten die griechischen Schulden beim Europäischen Rettungsschirm abgedeckt werden. Ein dritter Teil wäre für ein mehrjähriges Jobgarantie- und Wiederaufbauprogramm einzusetzen. Zudem schlägt der Autor vor, mit einem Teil der Erlöse der Goldreserven einen griechischen Entschädigungs- und Gedenkfond anzulegen.

Seine sehr detaillierten Vorschläge bezeichnet Roth als »eine realpolitisch durchdachte Blaupause«, mit der die absehbare humanitäre Katastrophe in Griechenland abgewendet und generell alternativen Politikmodellen in Europa Luft zum Atem verschafften werden könne. Der Verfasser wünscht sich seine Schrift als Weckruf an die parlamentarische und außerparlamentarische europäische Linke. »Wir fordern die politischen Institutionen der Linken, SYRIZA, Podemos, die deutsche Linkspartei und die linken Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf, sich der europäischen Herausforderung zu stellen«, lautet der letzte Satz. Es ist zu hoffen, dass Roths Diskussionsangebot angenommen wird.

Karl Heinz Roth: Griechenland am Abgrund. Die deutsche Reparationsschuld. Eine Flugschrift. VSA-Verlag, Hamburg. 96 S., br., 9 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/968960.zumutbar-278-7-milliarden-euro.html

Peter Nowak

Wird das Sterben im Mittelmeer verhindert?

Gefangene im Hungerstreik

Am Sonntag beteiligten sich in Berlin rund 60 Menschen an einer Solidaritätskundgebung vor dem Frauengefängnis Pankow. Sie wollten damit Gülaferit Ünsal grüßen, die sich seit dem 9. April im Hungerstreik befindet. Ünsal war nach Paragraf 129b wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) verurteilt worden. Im Gefängnis war sie mehrmals tätlichen Angriffen von Mitgefangenen ausgesetzt. Nachdem Proteste bei der Gefängnisleitung keine Änderung brachten, trat Ünsal in den Hungerstreik. Sie protestiert zudem gegen die Beschlagnahme von linken türkischen Zeitungen. Bereits seit dem 9. März befindet sich Sadi Özpo­la in der JVA Bochum im Hungerstreik. Auch er war wegen angeblicher Mitgliedschaft in der DHKP-C verurteilt worden. Er protestiert damit gegen die Beschlagnahme linker Bücher und Zeitungen durch die Anstaltsleitung. Die begründet die Maßnahme mit einer Gefahr für die Resozialisation. Sein Gesundheitszustand hatte sich in den letzten Tagen verschlechtert. Die Gefängnisleitung hat Özpola eine Vitaminspritze verweigert, die die gesundheitlichen Folgen des Hungerstreiks mildern soll.

Anmerkung: Sadi Özpola hat seinen Hungerstreik gestern erfolgreich beendet

https://www.neues-deutschland.de/artikel/968732.gefangene-im-hungerstreik.html

Peter Nowak

Forscher empfehlen Widerstand

WOHNEN Die Zahl der Zwangsräumungen nimmt weiter zu. Das besagt die neue Studie „Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems“ von Soziologen der HU

Zwangsräumungen sind in Berlin und anderen Städten spätestens zu einem politischen Thema geworden, seitdem sich MieterInnen dagegen wehren. Gerade hat sich auch die Wissenschaft dem Thema angenommen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Humboldt-Universität haben die StadtforscherInnen Laura Berner, Inga Jensen und Andrej Holm die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt und die Funktionsweise der bestehenden Hilfsmöglichkeiten für Menschen, denen eine Zwangsräumung droht, untersucht. Die ForscherInnen stützten sich in der 186-seitigen Studie insbesondere auf die durch die Fraktion der Piratenpartei im Abgeordnetenhaus gesammelten Daten aus den Jahren 2007 bis 2013. Daneben befragten sie zahlreiche BehördenmitarbeiterInnen und Betroffene.

Die von vielen MieterInnenorganisationen geäußerten Befürchtungen, dass die Zahl der Zwangsräumungen mit den Renditechancen der WohnungseigentümerInnen steigt, werden bestätigt, heißt es in der Studie. „Galten Mietrückstände noch vor ein paar Jahren vor allem als ärgerlicher Einnahmeverlust, sehen viele EigentümerInnen in Mietrückständen inzwischen eine Chance, durch eine Räumungsklage den MieterInnenwechsel zu forcieren“, schreiben die StadtforscherInnen. Und diese Entwicklung wird in ganz Berlin festgestellt. Mit neun Räumungen auf 1.000 Haushalte finden in Marzahn die meisten Zwangsräumungen statt. An zweiter Stelle steht Spandau.

Die Studie belegt auch, dass oft die Jobcenter Zwangsräumungen verursachen. „Mit ihrer konsequenten Orientierung an Kostensenkungsverfahren und der repressiven Hartz-IV-Gesetzgebung sind die Jobcenter an der Entstehung von Mietrückständen oft beteiligt“, so die ForscherInnen. Auch die Analyse der Hilfesysteme ist alles andere als ermutigend für die Betroffenen: „Unter den aktuellen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen erscheint die Mietschuldenübernahme als klassisches Instrument der sozialen Wohnhilfe völlig ungeeignet, um eine Vermeidung von Wohnungslosigkeit durchzusetzen.“

Hoffnung setzten die ForscherInnen dagegen auf zunehmende MieterInnenproteste: „Angesichts der sich stetig verschärfenden Wohnungsmarktsituation und der zunehmenden Verarmung von immer mehr Menschen sind Widerstand und Protest notwendiger Motor und Voraussetzung für Veränderung“, heißt es am Schluss der Studie.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F04%2F20%2Fa0122&cHash=aa3e364021b9501c03f54573b925759c

ab 23.4. ist die Studie online zu finden unter:
https://www.sowi.hu-berlin.de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/studie-zr-web.pdf h


Peter Nowak

»Geflüchtete bleiben in Untersuchungshaft«

Am 7. April begann vor dem Berliner Amtsgericht der Prozess gegen drei Flüchtlinge, die sich an der Besetzung einer Schule in der Ohlauer Straße in Kreuzberg beteiligt haben. Torben Schneider war als Prozessbeobachter im Gerichtssaal.

Was wird den drei Männern vorgeworfen?

Den aus Darfur Geflüchteten wird vorgeworfen, am 2. Juli 2014 vom Dach der von Flüchtlingen besetzten Schule in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg Betonteile, Steine und Glas geworfen und damit Polizisten gefährdet zu haben. Damals sollte die Schule von einem großen Polizeiaufgebot geräumt werden. Durch eine antirassistische Mobilisierung konnte das verhindert werden.

Wurden die Männer damals gleich an Ort und Stelle festgenommen?

Nein, die Verhaftung erfolgte mehr als fünf Monate später. Zwei der Geflüchteten sind am 10. Dezember 2014 verhaftet worden. An diesem Tag gab es eine unangekündigte Brandschutzkontrolle in der ehemaligen Schule. Die Bewohner wurden um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen und die beiden wurden verhaftet. Der dritte Mann wurde am 11. Dezember während der Trauerfeier für Sister Mimi vor dem Eingang der Schule verhaftet. Sister Mimi war eine zentrale Aktivistin des Refugee-Protests, sie verstarb am 10. Dezember 2014.

Wurden die Vorwürfe gegen die drei Männer am ersten Prozesstag bestätigt?

Nein. Weder konnte geklärt werden, wer die Gegenstände vom Dach geworfen hat, noch gibt es einen Beweis, dass dadurch Menschen gefährdet worden wären.

Warum wurde der Haftbefehl dann nicht nach dem ersten Verhandlungstag aufgehoben?

Wenn es sich um Menschen mit deutschem Pass handeln würde, wäre spätestens mit dem ersten Prozesstag, bei dem sich der dringende Tatverdacht nicht bestätigt hat, der Haftbefehl aufgehoben worden. Da es sich um Geflüchtete handelt, die eine Schule besetzt haben, bleiben sie in Untersuchungshaft.

Wann wird der Prozess fortgesetzt?

Am 21. April soll der zweite Prozess um neun Uhr vor dem Berliner Amtsgericht fortgesetzt werden. Für den 28. April ist ein weiterer Prozesstag angesetzt. Ich hoffe, dass auch an diesen Tagen wieder viele Unterstützer der Geflüchteten anwesend sind.

http://jungle-world.com/artikel/2015/16/51801.html
Peter Nowak

Deutsche Zahlungsmoral

Die griechische Regierung hat die Reparationsforderungen an Deutschland auf 278,7 Milliarden Euro beziffert. Die deutsche Öffentlichkeit reagiert mit Kritik und Vorwürfen.

»Herr Straubinger, ist die Geduld mit Griechenland unendlich? Was müssen wir uns eigentlich alles noch zumuten?« Mit dieser Frage leitete Gerd Breker vom Deutschlandfunk vorige Woche ein Interview mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der CSU, Max Straubinger, ein. Kurz zuvor hatte die griechische Regierung ihre Reparationsforderung an Deutschland konkretisiert. Auf die Summe von 278,7 Milliarden Euro komme nach einer ersten Auswertung ein Parlamentsausschuss, der sich mit den Entschädigungen befasst, teilte der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Mardas am Montag voriger Woche im griechischen Parlament mit.

In Deutschland fielen die abwehrenden Reaktionen auf diese Forderung heftig aus. Breker bringt dabei letztlich nur auf den Punkt, was die Bild-Zeitung schon vor Wochen in einer regelrechten Anti-Griechenland-Kampagne formuliert hat: »Kein deutsches Geld an Griechenland.« Endlich scheinen die Deutschen ein Land gefunden zu haben, dem sie unmissverständlich klarmachen können, was viele bereits unmittelbar nach Kriegsende im Jahr 1945 gedacht haben, aber nicht so laut und deutlich von sich geben konnten. Deutschland will sich seine NS-Verbrechen nicht mehr vorhalten lassen. Wer sich nicht daran hält, wird von Straubinger im Interview mit dem Deutschlandfunk zurechtgewiesen. »Es ist richtig, dass Griechenland das politische Berlin, aber insgesamt auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gehörig strapaziert.« Breker sekundiert ihm: »Es gibt keine konkrete Sparliste. Stattdessen erleben wir Reparationsforderungen gegen Deutschland in Höhe von fast 280 Milliarden Euro.« Straubinger befindet, dass sich Griechenlands Regierung mit einer solchen Forderung »lächerlich macht in der gesamten Völkergemeinschaft und insbesondere in der Europäischen Union«.

Solche Äußerungen sagen viel über ein Deutschland, das sich mittlerweile anscheinend so mächtig fühlt, dass es nicht einmal mehr für nötig hält, 70 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus die Opfer mit Entschuldigungsfloskeln zu beruhigen. Dazu passt, dass hierzulande in einigen Medien suggeriert wird, die Reparationsforderungen seien eine Erfindung der neuen griechischen Regierung. Dabei werden seit Jahrzehnten von griechischen Opferverbänden immer wieder Reparationsforderungen erhoben. Hierzulande berichteten auch nur wenige Medien über eine Mitteilung der jüdischen Gemeinde in Thessaloniki von Ende Februar vorigen Jahres, in der sie, anlässlich des anstehenden Griechenlandbesuchs von Bundespräsident Joachim Gauck, ihre Forderungen nach Entschädigungszahlungen für die Naziverbrechen bekräftigte.

Es gehe um »immaterielle Schäden« sowie ein Lösegeld in Höhe von 2,5 Millionen Drachmen, das 1943 an den Regionalkommandanten der Nazis gezahlt worden sei, erläuterte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde David Saltiel. Mit dieser Summe, die nach heutigem Stand 45 Millionen Euro entspreche, seien damals Tausende Juden von der Zwangsarbeit freigekauft worden. Saltiel hoffte, dass das Thema bei Gaucks Besuch in Griechenland Anfang März vorigen Jahres zur Sprache kommen würde. Ansonsten werde man auch versuchen, die Forderungen vor dem Euro­päischen Gerichtshof für Menschenrechte durchzusetzen, hieß es in einer Mitteilung der Jüdischen Gemeinde Thessaloniki. In Athen sagte Griechenlands damaliger Staatspräsident Karolos Papoulias, mit Verhandlungen über Repara­tionen sowie die Rückzahlung einer von der NS-Diktatur erhobenen Zwangsanleihe müsse »so schnell wie möglich« begonnen werden. Gauck sagte dazu: »Sie wissen, dass ich darauf nur so antworten kann, dass ich meine, der Rechtsweg dazu ist abgeschlossen.«

Da die von den Konservativen gestellte griechische Regierung die Reparationsforderungen gegenüber der Bundesregierung nicht allzu offensiv vertrat, interessierte sich in Deutschland auch kaum jemand dafür. Man überging sie schweigend. Das ist nicht mehr möglich, seit die neue griechische Regierung die konkret bezifferte Entschädigungsforderung gegenüber Deutschland präsentierte. Saltiel klassifizierte die Forderungen bereits Mitte März im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen.

»Sie sind mehr als berechtigt. Auf jeden Fall soll die Zwangsanleihe, die sich Deutschland 1942 von der griechischen Notenbank hat auszahlen lassen, endlich zurückgegeben werden. Die beläuft sich mittlerweile auf mehr als zehn Milli­arden Euro«, betonte er. Saltiel zog auch eine bittere Bilanz der deutschen Ignoranz gegenüber den griechischen NS-Opfern. »Es gibt kein deutsches Entgegenkommen. Im Jahr 2000 hatte das höchste griechische Gericht beschlossen, das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, dass sich in Griechenland befindet, gepfändet werden darf, um die Opfer des Massakers von Distomo zu entschädigen. 1944 hatten die Nazis dort sämtliche verbliebenen Dorfbewohner erschossen. Unglücklicherweise zogen die Kläger aber nach Straßburg, wo sie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheiterten.«

Auf die Frage nach den speziellen Forderungen der griechischen Juden antwortete Saltier: »Wenigstens die Fahrkarten sollte die Regierung in Berlin uns erstatten, die wir 1943 haben lösen müssen. Den Juden aus Thessaloniki war von den deutschen Besatzern gesagt worden, sie müssten sich Zugtickets kaufen, auf sie warte woanders eine gute Zukunft. Das waren 50 000 Menschen, von denen die meisten nach Auschwitz deportiert wurden.«

Dass man solche Stimmen in Deutschland kaum wahrnimmt, ist kein Zufall. Schließlich würde es dann nicht mehr so leicht fallen, die Reparationsforderungen als eine Rache der neuen griechischen Regierung abzutun und mit dem Ratschlag zu kommen, die Griechen sollten lieber ihre Schulden bezahlen und ihre Hausaufgaben bei der Umsetzung der Austeritätspolitik machen, anstatt Deutschland zu brüskieren.

Eine andere Begründung für Deutschlands Weigerung, Reparationen und Schulden an Griechenland zu zahlen, präsentierte Ulrike Herrmann in der Taz, die in ihrem Kommentar kritisiert, dass Deutschland seit Jahrzehnten trickse, um Ansprüche der Griechen abzuwehren, aber die Forderung von 278,7 Milliarden Euro für rea­litätsfern hält. »Dieses Geld hat die Bundesrepublik nicht. Denn leider haben die Nationalsozialisten ja nicht nur in Griechenland gewütet, sondern auch in Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und besonders in Polen, Russland oder der Ukraine.«

Der Logik, weil Deutschland besonders verbrecherisch gewesen sei, könne es den Forderungen nur mit einer symbolischen Summe nachkommen, verweigert sich der Hamburger Historiker Karl Heinz Roth. In der im April erschienen Flugschrift »Griechenland am Abgrund. Die deutsche Reparationsschuld« schlägt er vor, die Schulden durch den Transfer eines erheblichen Teils der Goldreserven der Deutschen Bundesbank nach Griechenland zu begleichen. Mit dem Geld sollten unter anderem Sofortmaßnahmen für die notleidende Bevölkerung Griechenlands, die Abschreibung der griechischen Staatsschulden bei der Europäischen Zentralbank sowie ein wirtschaftlicher Wiederaufbau finanziert werden. Zusätzliche Goldbarren sollte die Bundesbank für einen Fonds zur Entschädigung der NS-Opfer und ihrer Angehörigen in Griechenland zur Verfügung stellen.

Derzeit wäre es allerdings schon ein Fortschritt, wenn sich die Forderung »Deutsche Goldreserven nach Griechenland« in der außerparlamentarischen Linken hierzulande verbreiten würde. Schließlich fehlt immer noch eine adäquate Antwort auf die Kampagne von Bild und jene, die die Euro-Krise nutzen, um griechische Reparationsforderungen zu diskreditieren.

http://jungle-world.com/artikel/2015/16/51790.html

Peter Nowak

Instrument zur Entmietung

Pankower Mieter wehren sich gegen ausufernde energetische Sanierung

Immer mehr Berliner Mieter machen gegen die energetische Sanierung ihrer Häuser mobil. Sie ist oft nicht ökologisch und treibt zudem die Mieten hoch.

Wenn der Begriff energetische Sanierung fällt, bekommen viele Mieter Angstzustände. Denn sie verbinden mit dem Begriff keineswegs umweltfreundlicheres Wohnen, sondern massive Mietpreissteigerungen und Vermieterschikanen. Das wurde am Mittwochabend beim 2. Pankower Mieterforum deutlich. Es stand unter dem Motto »Prima Klima mit der Miete«. Über 100 Mieter aus Pankow, aber auch Betroffene aus anderen Stadtteilen beteiligten sich an dem über vierstündigen Informationsaustausch im Veranstaltungsort Wabe, der selber von Investoreninteressen bedroht ist.

Sven Fischer aus der Kopenhagener Straße 46 in Prenzlauer Berg berichtete, dass vor zwei Jahren noch 60 Mietparteien in dem Haus gewohnt hätten. Nach der Ankündigung der energetischen Modernisierung und der darauffolgenden Vermieterschikanen seien viele von ihnen in eine Schockstarre gefallen. »Rentner bekamen Herzattacken und junge Mütter wollten nur noch ausziehen«, berichtete Fischer. Er gehört zu der kleinen Gruppe, die bis heute in dem Haus geblieben ist. In der Auseinandersetzung habe er sich zum Experten für energetische Sanierung entwickelt. Dabei sei ihm klar geworden, dass es hier nur um einen Türöffner für Mietpreistreiberei gehe, erklärte er unter Applaus.

Der Stadtsoziologe Andrej Holm bezeichnete die energetische Sanierung denn auch als ein Instrument zur Entmietung. »Es geht den Eigentümern nicht um die Umwelt, sondern um Rendite«, betonte er. Holm würdigte ausdrücklich die Mieter, die sich trotz Schikanen nicht aus ihren Wohnungen vertreiben lassen und auf Baustellen ausharren. »Sie sind ein Hindernis für die Renditeerwartungen der Eigentümer.«

Eine Möglichkeit, ohne große Mietsteigerungen ökologisch zu sanieren, stellte der Architekt Bernhard Hummel am Beispiel des Häuserblocks Magdalenenstraße 19 vor. Das Lichtenberger Gebäude, das vor 1989 zum Komplex der Staatssicherheit gehörte, wird heute von 60 Mietern aller Altersgruppen bewohnt. Das Haus gehört allerdings keiner privaten Wohnungsbaufirma, sondern dem Mietshäusersyndikat. Ein bundesweites Netzwerk, das sich zum Ziel gesetzt hat, Wohnraum dem Profitinteresse zu entziehen.

Der Moderator des Mieterforums, Matthias Coers, betonte, dass solche Beispiele zeigten, dass es Alternativen auf dem Wohnungsmarkt gibt. Allerdings könne damit nicht die große Masse der Wohnungssuchenden in Berlin mit bezahlbaren Wohnungen versorgt werden.

Denen kann vielleicht eine Initiative der Mieteranwältin Carola Handwerg Hoffnung machen. Sie versucht auf juristischem Wege dagegen vorzugehen, dass die energetische Modernisierung zum Schrecken der Mieter wird. Dabei bezieht sich Handwerg auf eine Klausel im Gesetz, der Wohnungseigentümern die Möglichkeit gibt, die energetische Modernisierung aus wirtschaftlichen Gründen abzulehnen. Handwerg hat ein erstinstanzliches Urteil erstritten, das auch den Mietern diese Verweigerung einräumt. Nun muss sich zeigen, ob das Urteil auch in den höheren Instanzen Bestand hat, sagte Handwerg und warnte vor verfrühtem Optimismus.

Am Ende waren sich die Teilnehmer einig, dass nur die unterschiedlichen Formen von Widerstand kombiniert mit juristischen Mitteln zum Erfolg führen.

Peter Nowak