Skepsis und Solidarität

Die Freude über den Sieg von Syriza bei der Wahl in Griechenland war bei der außerparlamentarischen Linken in Deutschland groß. Für Unbehagen sorgt die Wahl der rechtspopulistischen Partei Anel als Koalitionspartner.

Wochenlang dümpelte die Kampagne für den europaweiten »Blockupy«-Aktionstag, der am 18. März in Frankfurt/Main stattfinden soll, vor sich hin. Wie soll man auch an einem Mittwoch die Massen zu einem symbolischen Protest anlässlich der Eröffnungsfeier für das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) bewegen, wenn die Mitarbeiter der EZB ihre Arbeit dort schon vor einigen Monaten aufgenommen haben? Zudem gab es auch lange Zeit zahlreiche politische Diskussionen darüber, warum ausgerechnet die EZB zum Ziel der Proteste gemacht wurde. Hatte diese nicht trotz des Widerstands der deutschen Bundesregierung Geld in den Euro-Raum gepumpt und damit schon vor zwei Jahren Spekulationen über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone die Grundlage entzogen?

Doch der Wahlsieg von Syriza in Griechenland hat der Kampagne für den »Blockupy«-Aktionstag Auftrieb gegeben. Für die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe ist der Glücksfall eingetreten, dass eine gemäßigt linke Regierung im Euro-Raum den Beweis dafür antreten möchte, dass auch in der Euro-Zone eine andere Politik möglich ist, ohne gleich den Kapitalismus infrage zu stellen. Dem Experiment einer linkskeynesianischen Politik stellt sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EZB entgegen. Diese hat eine Sondergenehmigung für den Einsatz griechischer Staatsanleihen aufgehoben. Die Bonds werden seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheiten für EZB-Kredite akzeptiert. Mit dieser Entscheidung erschwert die EZB den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld. Der konservativen griechischen Vorgängerregierung wurde dieser Zugang noch ermöglicht, obwohl sie den versprochenen Kampf gegen die Korruption nie begonnen hat. Der Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras will die EZB hingegen schon von Anfang an die Möglichkeiten begrenzen.

Eine bessere Werbung konnte sich das »Block­upy«-Bündnis nicht wünschen. Auf der Homepage des Bündnisses wird das ganz offen erklärt. Dort wird zunächst eingeräumt, dass es große Zweifel gab, ob die Entscheidung für den Aktionstag am 18. März nicht ein Fehler gewesen sei. Mit dem Blick auf die Wahl in Griechenland heißt es dann: »Nun können wir sagen: Dieser Fehler war ein Glücksfall.« Man verneige sich »vor dieser Entschlossenheit und Rebellion, vor dem langem Atem und der Hoffnung«, wird das griechische Wahlergebnis kommentiert. Allerdings wird die Begeisterung dann doch etwas abgeschwächt: »Eine andere, bessere Welt wird nicht per Kabinettsbeschluss eingeführt.« Man stehe nicht an der Seite eines Regierungsprojektes, sondern an der »der kämpfenden Menschen in Griechenland und der solidarischen Linken«.

Der Widerspruch, ein Wahlergebnis zu feiern, aber auf Distanz zur sich darauf stützenden Regierung zu gehen, erklärt sich aus der Zusammensetzung des »Blockupy«-Bündnisses, das von Attac bis zum Bündnis »Ums Ganze« reicht. Gerade den linken Vertretern des Bündnisses dürfte die Koalition von Syriza mit der rechtskonservativen Partei Anel besonders missfallen. »Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.«

Auch die »Neue antikapitalistische Organisation« (NaO), ein Bündnis trotzkistischer und antifaschistischer Gruppen, findet deutliche Worte zum Koalitionspartner Syrizas. Anel »ist eine antisemitische, rechtspopulistisch-nationalistische Kraft, die den Teil des griechischen Kapitals repräsentiert, der sich mehr Widerstand gegen EU und Deutschland wünscht«, heißt es dort. »Die Koalition mit der Anel-Partei erschwert sehr die Solidarität«, sagt NaO-Sprecher Michael Prütz der Jungle World. Zugleich ist Prütz aber davon überzeugt, dass die Regierung Syrizas ohne eine starke Solidaritätsbewegung scheitern würde. Bereits vor den letzten Wahlen gründete die NaO ein Griechenland-Solidaritätskomitee. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, auf das sich die Solidaritätsgruppen stützen können. Ende Februar wollen sie sich in Köln zu einer ersten Vernetzungskonferenz treffen. Im Rahmen des »Blockupy«-Aktionstags soll es dann zu einer europäischen Kooperation kommen.

Der langjährige IG-Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich hat in den vergangenen zwei Jahren mehrmals linke außerparlamentarische Projekte in Griechenland besucht und deren Mitglieder zu Besuchen in Deutschland eingeladen. 2013 beteiligte sich eine griechische Delegation an der »Revolutionären 1. Mai-Demonstration« in Berlin. Sie wollten explizit in Deutschland, dem Land, in dem die Austeritätspolitik für den Euro-Raum konzipiert wurde, ihren Protest zum Ausdruck bringen. In den kommenden Wochen soll wieder eine Solidaritätsdelegation nach Deutschland kommen. Nur ist ihr Großteil dann Teil der neuen Regierungsmehrheit in Griechenland. Doch Köbrich betont, dass es keine Syriza-Jubelveranstaltung geben wird: »Solidarität muss immer kritisch sein.« Allerdings betont der Gewerkschafter auch, dass er der neuen griechischen Regierung nicht vorschnell das Etikett einer weiteren reformistischen Illusion verpassen will. »Ich sehe in der neuen Regierung keine neue Sozial­demokratie, die nur Wohltaten verteilen will. Ich sehe in der Abwahl der alten Eliten eine Chance für reale emanzipatorische Veränderung, die wir nutzen müssen«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World.

Während Köbrich Chancen für eine außerparlamentarische Linke ausloten will, haben auch der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, und die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften IG Metall, GEW, IG BCE, NGG, Verdi, EVG und IG Bau einen Aufruf unterzeichnet, der unter dem Motto steht: »Griechenland nach der Wahl – keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa«. Sie werten den Wahlsieg von Syriza als eine Chance für mehr Sozialdemokratie im Euro-Raum. Bezeichnenderweise mochte als einzige DGB-Gewerkschaft die Gewerkschaft der Polizei diesen Aufruf nicht unterzeichnen.

Auffällig ist, dass in der Solidaritätsbewegung für Griechenland bisher ein Thema kaum aufgegriffen wurde, das von Tsipras bereits lange vor der Wahl und bei seiner Regierungserklärung im Parlament erneut angesprochen wurde. Es geht um Schulden Deutschlands an Griechenland. Dabei bezieht sich Tsipras auf eine Zwangsanleihe, die die griechische Nationalbank während der NS-Besetzung an das Dritte Reich in Höhe von 476 Millionen Reichsmark zahlen musste. Sie wurden nie zurückgezahlt. Nach griechischen Berechnungen entspräche dies heute elf Milliarden Euro. Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren Reparationszahlungen, sie nennen einen Gesamtbetrag von 162 Milliarden Euro ohne Zinsen für alle Reparationsforderungen. Keine bisherige Regierung hat gewagt, eine solche Forderung an Deutschland zu richten. Das könnte sich unter der neuen Links-rechts-Koalition ändern.

Die Bundesregierung hat auf Tsipras’ Parlamentsrede mit der lapidaren Antwort reagiert, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen. Nur handelt es sich bei den nicht zurückgezahlten Zwangsanleihen nicht um Reparationen, sondern schlicht um Schulden. Hier könnte sich auch das Feld für eine linke Bewegung auftun, die bei aller Kritik an Syriza und der neuen griechischen Regierung diese Forderung nach Bezahlung der Schulden an Griechenland in den Mittelpunkt stellen könnte. Zudem könnte sich eine kritische Linke gegen den Sozialchauvinismus wenden, der sich in der deutschen Politik und führenden Medien gegenüber einem Großteil der griechischen Bevölkerung artikuliert. Das begann schon vor einigen Jahren, als die Bild-Zeitung und andere Boulevardblätter über »Pleite­griechen« höhnten, die doch gefälligst ihre Inseln zum Verkauf anbieten sollten. In der kommenden Zeit dürfte wieder die Kampagne »Kein deutsches Geld an Griechenland« reanimiert werden, und zwar in einem Land, das sich standhaft weigert, die Schulden aus der Nazizeit zu begleichen.

In Griechenland geborene Linke wie Mark Terkessidis und Margarita Tsomou haben sich in der Taz irritiert darüber gezeigt, wie ausgiebig in manchen deutschen Medien die Koalition von Syriza und Anel kommentiert wurde, während die Kritik an der Wahl des Koalitionspartners Anel auch in der außerparlamentarischen Linken in Griechenland einen geringeren Stellenwert hat. Die Kritik an den griechischen Rechtspopulisten in Deutschland wäre glaubwürdiger, wenn der antigriechische Sozialchauvinismus deutscher Medien und der Umgang der deutschen Regierung mit den Schulden aus der Nazizeit genauso skandalisiert würden.

http://jungle-world.com/artikel/2015/07/51416.html

Peter Nowak